Das Buch über den Petrusdienst, das der Präfekt der Glaubenskongregation, Gerhard Kardinal Müller, im Februar dieses Jahres herausgegeben hat, ist ein wahrer Schatz. Man muss nicht gleich das ganze Werk lesen, jedes Kapitel, jede thematische Ausführung ist eine Perle für sich, die dem Leser Neues offenbaren kann. Der Titel lautet: „Der Papst. Sendung und Auftrag“. Und genau darum geht es: Jeder Stein dieses reichhaltigen Mosaiks kann uns den Dienst des Petrusnachfolgers tiefer erschließen und uns im christlichen Glauben stärken.
Anlass für das Buch ist das Pontifikat von Papst Franziskus, das für viele Überraschungen sorgt und entschlossen das Ziel verfolgt, auch die Menschen an der Peripherie zu erreichen. Mit seiner unmittelbaren Art provoziert Franziskus sowohl innerkirchlich als auch in seinem Zugehen auf die heutige Weltöffentlichkeit. Unbeirrt schreitet er voran. Und so erlebt auch Kardinal Müller in seiner Aufgabe als oberster Glaubenshüter der Kirche dieses Pontifikat als Herausforderung. Es ist ein großes Geschenk, wie uns der Kardinal an seinem Ringen teilhaben lässt. Denn mit Franziskus und Kardinal Müller treffen zwei ausgesprochen selbstbewusste Persönlichkeiten aufeinander. Jeder von ihnen weiß auf seine Weise, was er will, und hält unverdrossen an seinem Kurs fest.
Und so ist das Buch zunächst ein einzigartiges Glaubenszeugnis für den Gehorsam gegenüber dem Petrusnachfolger. Kardinal Müller erklärt ausgiebig das von Gott gestiftete Amt des Papstes. Die Person habe dabei Vorrang vor der Institution und jeder Petrusnachfolger werfe ein neues Licht auf dieses Amt. Schließlich leuchtet unmissverständlich auf, warum er Franziskus in vollkommener Ergebenheit dient und ihm ohne jede Frage die Treue hält.
Der Kardinal hebt das einzigartige missionarische Charisma des jetzigen Papstes hervor. Gleichzeitig zeigt Müller seine eigene Teilhabe am Lehramt der Kirche als Präfekt der Glaubenskongregation auf. Und dieser Verantwortung möchte er gerecht werden – im Geist gegenseitiger Hilfestellung, auch dem Papst gegenüber, dem er zur Seite steht. Denn der Primat des Papstes, insbesondere seine höchste Lehrvollmacht, ist, wie Kardinal Müller erklärt, organisch in die Kirche als ganze eingebunden. Sie muss immer im Strom der Geschichte und im Verein mit der Gesamtkirche ausgeübt werden.
Dankbar bekennt Müller, dass er auf seinem Lebensweg nie von seinem Glauben abgewichen sei. Er macht sich die Worte des hl. Basilius des Großen (330-379) zu eigen, der von sich sagen konnte: „So wage ich doch wenigstens in diesem einen Punkte mich im Herrn zu rühmen, dass ich niemals irrige Ansichten von Gott hatte oder anders dachte und später von meiner Absicht abging“ (S. 106). Dies sagt er im Zusammenhang mit den beiden Bischofssynoden über Ehe und Familie. In voller Länge gibt er die Stellungnahme wieder, die er auf der Synode vorgetragen hatte (S. 101-105). Und davon weicht er auch jetzt nicht ab. Er will das Nachsynodale Schreiben „Amoris Laetitia“ offensichtlich im Sinn dieser Ausführungen gedeutet wissen.
Als Titelbeitrag dürfen wir den Vortrag veröffentlichen, den Kurt Kardinal Koch, der Präsident des Päpstlichen Rats für die Einheit der Christen, bei der Vorstellung des Papstbuchs von Kardinal Müller gehalten hat. Es handelt sich um eine meisterhafte Zusammenfassung, die auf eigenständige Weise die verschiedenen Aspekte des Petrusdienstes herausarbeitet – mit einem besonderen Blick auf das ökumenische Anliegen der Kirche.
Liebe Leser, mit einem aufrichtigen Vergelt’s Gott für Ihre großherzige Unterstützung und Ihre Verbundenheit mit unserem Apostolat wünschen wir Ihnen Gottes reichen Segen.
Umfassendes Werk über Sendung und Auftrag des Papstes
Der Petrusdienst
Der Präfekt der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Kardinal Müller, hat Anfang dieses Jahres ein umfangreiches Buch über die Sendung und den Auftrag des Papstes vorgelegt. Kurt Kardinal Koch stellt dieses programmatische Werk detailliert vor. „Was kann man denn auf sechshundert Seiten über den Papst sagen?“, so fragt Koch gleich zu Beginn. Und er gibt zur Antwort, wenn man über den Papst spreche, müsse man „sehr viel Anderes mit bedenken und mit aussagen“. All diese zahlreichen Facetten, die im Buch anklingen, möchte Kardinal Koch einfangen. Nachfolgend sein brillanter Vortrag, den er bei der Buchvorstellung am 16. März 2017 in der Bibliothek von Santa Maria dell'Anima, dem Kolleg der deutschsprachigen Katholiken in Rom, gehalten hat.
Von Kurt Kardinal Koch, Rom
In dem Buch von Gerhard Kardinal Müller mit dem Titel „Der Papst. Sendung und Auftrag“[1] begegnet uns eine perspektivenreiche Mischung von historischen und theologischen Aussagen über das einzigartige Amt des Papstes, eingehenden Analysen von päpstlichen Lehrschreiben und zahlreichen Kommentierungen der Situation des Glaubens und der Kirche heute.
Sonderstellung des Apostels Petrus
Das Buch handelt nicht nur vom Papst als Person und seinem Amt, sondern stellt den Papst in einen großen Kontext hinein, den ich kurz umreißen möchte: Der Papst ist Nachfolger des Apostels Petrus. Deshalb muss von Simon Petrus und seiner Sonderstellung im Kreis der Apostel die Rede sein, die ihm von Jesus übergeben worden ist und die auch der Nachfolger des Petrus in der heutigen Kirche einnimmt. Den Primat als Hirte der universalen Kirche hat der Papst nur inne, weil er Bischof der Diözese Rom ist. Es muss deshalb auch von der besonderen Bedeutung Roms und vom Verhältnis gesprochen werden, das zwischen dem Bischof und dem ihm anvertrauten Bistum besteht. Das Bistum Rom ist eine Diözese unter vielen anderen. Damit stellt sich die Frage, wie sich die verschiedenen Diözesen untereinander und zum Bistum Rom verhalten, und damit auch die Frage nach dem Verhältnis der Vielheit der Ortskirchen und der Einheit der Universalkirche. Daraus ergibt sich von selbst die Frage, in welcher Beziehung die Bischöfe zueinander und zum Bischof von Rom stehen. Dies ist genauer die Frage nach dem Verhältnis zwischen Episkopat und Papsttum, zwischen bischöflicher Kollegialität und Primat des Bischofs von Rom. Da sowohl das Bischofsamt als auch der Primat des Papstes zur theologisch begründeten Verfassung der Kirche göttlichen Rechts gehören, versteht es sich leicht, dass man über den Papst nicht reden kann, ohne darüber Auskunft zu geben, was unter Kirche zu verstehen ist.
Die Kirche als universales Sakrament
Da es außerhalb der katholischen Kirche andere christliche Gemeinschaften gibt, die sich ebenfalls als Kirche, freilich in einem anderen Sinn, verstehen, erhebt sich die ökumenische Frage, wie ein Konsens über das Kirchenverständnis erreicht werden kann, wie die anzustrebende Einheit der Kirche zu verstehen ist und welche Bedeutung dem Papst in der wieder gewonnenen Einheit zukommen wird. Um diese Frage glaubwürdig beantworten zu können, braucht es eine klare Rechenschaft darüber, was Kirche in katholischer Sicht ist, nämlich das universale Sakrament des dreifaltigen Gottes für die Menschheit und die Welt. Da der Begriff der Sakramentalität seinem Wesen nach die Vermittlung von Unsichtbarem und Sichtbarem einschließt, weist er zurück auf die heilsgeschichtliche Beziehung Gottes zu den Menschen und zur Welt, die ihre deutlichste Konkretisierung in der Inkarnation des Gottessohnes im geschichtlichen Menschen Jesus von Nazareth gefunden hat. Da das Grundgeheimnis der Inkarnation einer rein positivistischen Vernunft verschlossen bleiben muss, sondern nur mit den Augen des Glaubens eingesehen werden kann, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Vernunft. Denn auch Sendung und Auftrag des Papstes können nicht einfach mit rein menschlichen oder politischen Kriterien erfasst werden, sondern brauchen eine theologische Durchdringung.
Das Papsttum im Kontext der gesamten Theologie
Mit diesen nur kurz angesprochenen Fragen und Perspektiven, die einer theologischen Kettenreaktion gleich kommen, hoffe ich, verdeutlichen zu können, dass die Frage nach Auftrag und Sendung des Papstes nur im Kontext des Grundverständnisses von Wesen, Gestalt und Mission der Kirche geschichtlich-theologisch beantwortet werden kann und dass deshalb im Buch von Kardinal Müller stets die ganze Theologie präsent ist: angefangen von der Theologie des Papsttums über die Ekklesiologie und Ökumenische Theologie über die Christologie und Trinitätslehre bis hin zur theologischen Erkenntnislehre. Diesem umfassenden Anspruch hat sich Kardinal Müller selbst verpflichtet, wenn er im Vorwort als Ziel seiner Arbeit angibt, er wolle „im Hinblick auf die Bedeutung des Nachfolgers Petri für die Kirche Gottes in der Welt von heute“ aus seiner Sicht „als Theologe, Bischof und Präfekt der mit dem Lehramt des Papstes engstens verbundenen römischen Kongregation meine Erfahrungen und Beobachtungen, aber auch Reflexionen und Hinweise zu Ursprung, Wesen und Sendung des Nachfolgers Petri zu einem Gesamtbild zusammenfügen“ (15). Um dieses anvisierte Gesamtbild vor Augen zu bekommen, um die Fülle des im Buch versammelten Inhalts zu verdeutlichen und in diesem Sinn das große Werk von Kardinal Müller zu würdigen, scheint es mir angezeigt, uns wenigstens in kurzen Strichen dem Aufbau des Buches zuzuwenden und die zwölf Kapitel – selbst eine apostolische Zahl – zu vergegenwärtigen und bei jedem Kapitel auf ein Grundanliegen aufmerksam zu machen, das das ganze Buch durchzieht.
Primat der Person vor der Institution
Das erste Kapitel „Die Päpste meiner Lebensgeschichte“ bietet zunächst einen biografischen Zugang zum Thema. Im Blick auf die sieben Päpste, die Kardinal Müller erlebt hat und erlebt, beschreibt er sein persönliches Heranwachsen als Christ, Priester und Theologe und seine Verantwortung als Bischof und Kardinalpräfekt. Dabei scheint jeweils eine persönliche Beziehung zu diesen Päpsten auf, die für Kardinal Müller zu seinem Glauben an Jesus Christus und seinem Leben und Wirken in der Kirche selbstverständlich hinzu gehört. Damit ist bereits ein erster Hinweis gegeben, dass der Titel des Buches nicht, wie man erwarten könnte, „Papsttum“ oder „Papstamt“ heißt, sondern „Der Papst“. Damit soll der Vorrang der Person vor der Institution zum Ausdruck gebracht und deutlich werden, dass das Papstamt keine unpersönliche Institution, sondern eine Folge von Personen ist, die jene Sendung verwirklichen, die der erhöhte Herr ihnen in einer individuellen Weise aufgetragen hat. Der tiefste Grund für diesen Primat der Person vor der Institution liegt deshalb in der Christologie. Denn Jesus hat einen konkreten Menschen, nämlich seinen Jünger Simon, der sich zu ihm als Messias bekannt hat, zum Felsen gemacht, auf dem er seine Kirche bauen wird. Der persönliche Glaube des Petrus und die persönliche Beauftragung durch Jesus gehören deshalb unlösbar zusammen, wie dies Papst Leo der Große sehr tief zum Ausdruck gebracht hat: „Wie für immer gilt, was Petrus von Christus geglaubt hat, so besteht auch immerdar, was Christus in Petrus eingesetzt hat“ (277). Diese Wechselbeziehung gilt deshalb auch für den Nachfolger des Petrus. Sie kommt dadurch zum Ausdruck, dass, während die Bischöfe ganz allgemein Nachfolger der Apostel sind, nur Petrus Nachfolger eines bestimmten Apostels ist, nämlich des Simon Petrus. Wie bei ihm liegt seine besondere Verpflichtung darin, den Glauben an Jesus Christus als Sohn Gottes mit seinem Wort und seinem Leben zu bezeugen, oder mit den Worten von Kardinal Müller: „Der Papst trägt die höchste Verantwortung für das Christus-Bekenntnis der Kirche“ (217).
Verankerung im göttlichen Heilsplan
Das zweite Kapitel „Die Mission des Papstes im universalen Heilsplan Gottes“ liest sich wie ein Präludium des ganzen Buches. Wie bei einer Oper in der Ouvertüre bereits alle Motive angetönt werden, die in ihr anschließend breit entfaltet werden, so lässt sich auch dieses Kapitel als Ouvertüre des ganzen Buches verstehen. Es macht unmissverständlich deutlich, dass der Notenschlüssel der Oper wie der Ouvertüre ein theologischer ist. Denn die Aufgabe und der Primat des Bischofs von Rom sind von Christus gestiftet, sie sind deshalb göttlichen Rechts und gehören zum Wesen der Kirche. Nur in diesem christologischen Licht können Sendung und Auftrag des Bischofs von Rom adäquat verstanden werden.
Einbindung in die Dramatik der Geschichte
Das relativ kleine, aber gewichtige dritte Kapitel „Das Papsttum als Tatsache der Geschichte und der Offenbarung“ beschäftigt sich mit Fragen der theologischen Erkenntnislehre, vor allem mit dem Problem, wie Ereignisse und Entwicklungen in der Kirchengeschichte, die auch rein profanhistorisch beschrieben werden, in ihrer Bedeutung für den Glauben erfasst werden können. Denn ein bloßer Dualismus von profaner und theologischer Papstgeschichte würde auch inhaltlich zur gefährlichen Alternative führen, ob der Primat des Bischofs von Rom in einer göttlichen Verheißung gründet oder bloß eine zufällige geschichtliche Erscheinung darstellt. Demgegenüber muss eine theologische Hermeneutik von der doppelten Tatsache ausgehen, dass auf der einen Seite das Papsttum zu Rom in der Offenbarung Gottes begründet ist, dass aber auf der anderen Seite gerade diese göttliche Stiftung mit bisher 266 Menschen als Amtsinhaber nach dem Apostel Petrus keineswegs von der Dramatik der Geschichte unberührt ist.
Mit diesen beiden Seiten des Papsttums wird freilich die Grundüberzeugung des christlichen Glaubens berührt, dass das Endgültige Gottes in die Geschichte der Menschen eingegangen und in ihr gegenwärtig ist. Wer in dieser Grundüberzeugung lebt, wird auch im Blick auf das Papsttum viel gelassener mit der großen, bereits bei Simon Petrus feststellbaren und bis zum Ende der Welt bestehen bleibenden Spannung zwischen dem göttlichen Auftrag des päpstlichen Primates und der menschlichen Schwachheit seiner Amtsinhaber umgehen können. Und er wird dankbar sein für den gesunden Mittelweg, den ihm Kardinal Müller präsentiert, indem er sowohl den heute vor allem in deutschsprachigen Ländern verbreiteten antirömischen Affekt als auch den spiegelverkehrten papalistischen Affekt als mit der katholischen Lehre vom Papst für unvereinbar hält. In dieser Sinnrichtung legt Kardinal Müller beispielsweise auch ein Plädoyer für die Sinnhaftigkeit der Bezeichnung des Papstes als „Stellvertreter Christi“ ab. Denn „wer ihn so anspricht, bekennt seinen Glauben an die Autorität, die Jesus dem Papst verliehen hat und erinnert den Papst immer daran, dass nicht er es ist, dem die Ehre gilt, sondern dem, der ihn gesandt hat“ (220). Mit diesem Beispiel wird sichtbar, dass sich im Buch von Kardinal Müller nicht nur eine klare Theologie des Papstamtes findet, sondern auch die Entfaltung einer praktischen Spiritualität in der Ausübung dieses Amtes.
Grundlegung in der Heiligen Schrift
Im vierten Kapitel „Der Urheber der Kirche ist auch der Stifter des Papsttums“ geht es um das biblische Fundament von Sendung und Auftrag des Papstes, nämlich um die Gestalt des Petrus und die einmalige Beziehung Jesu zu ihm in der biblischen Tradition. Dabei fällt auf, dass Kardinal Müller in die Darstellung des exegetischen Befunds bereits streng dogmatische Begriffe aus späteren kirchlichen Lehrentscheidungen einbezieht. So redet er von der „Unfehlbarkeit Petri im Bekenntnis der Gottessohnschaft Jesu“ (195), Im Blick auf die Rede des Petrus in der pfingstlichen Versammlung spricht er von der „ersten Lehrentscheidung ex ca-thedra Petri“ (214) oder im Blick auf das Handeln des Petrus bei der Apostelwahl nach dem Ausscheiden des Judas vom „ersten primatialen und zugleich kollegialen Akt“. Diese Terminologie mag beim ersten Lesen irritieren. Doch mit dieser Irritation soll die Überzeugung zum Ausdruck gebracht werden, dass das Papsttum nicht auf einer späteren Entscheidung der Kirche aufruht, sondern seinen Grund in der Heiligen Schrift hat, wie es explizit heißt: „Der petrinische Apostolat und damit das Papsttum gründet in der Beziehung zwischen zwei Personen: nämlich Jesus, dem Christus, dem menschgewordenen Sohn des ewigen Vaters, und Simon, den er zum Petrus, dem Fels, machte, auf den der Herr Seine Kirche gebaut hat und weiter erbaut bis zu seiner Wiederkunft“ (169). Zur Erläuterung dieser Überzeugung werden nicht nur die klassischen Primatsstellen im Matthäusevangelium behandelt, sondern werden die Gestalt des Petrus und seine Sonderstellung in der ganzen Breite der neutestamentlichen Botschaft dargestellt. Nicht nur in diesem Kapitel, sondern im ganzen Buch ist die Heilige Schrift die am meisten zitierte Quelle, was zeigt, dass Kardinal Müller seine Theologie maßgeblich aus dem Wort Gottes nährt.
Ungesunde Verbindung von politischer Macht und geistlichem Dienst
Das fünfte Kapitel „Der römische Primat in der apostolischen Tradition“ zeichnet den geschichtlichen Übergang vom in der Heiligen Schrift begründeten Primat des Petrus zum petrinischen Primat der Ortskirche von Rom mit ihrem Bischof als Vorsteher und Leiter nach. Es wird dargestellt, wie sich der römische Primat im Leben der Kirche gestaltet hat, wie dieser Primat mit der Zeit theologisch reflektiert und gelehrt worden ist, wie sich die dogmatische Primatslehre in der ungeteilten Christenheit konsolidiert hat und worin die zunehmenden Spannungen in der katholischen Kirche zwischen Ost und West begründet gewesen sind. Kardinal Müller sieht die entscheidenden Ursachen für die größer werdende Entfremdung zwischen Ost und West nicht in der Theologie und Spiritualität des Papsttums, wie sie vor allem in der überragenden Papstgestalt Gregor des Großen exemplifiziert wird, sondern in ihrer Überlagerung durch politische Faktoren, sei dies im Osten durch die starken Eingriffe der byzantinischen Kaiser bis in Glaubensfragen hinein oder sei dies im Westen durch die Zentralisierung und Verrechtlichung der Kirche nach dem Vorbild der kaiserlichen Regierung im Imperium.
Nach dem Urteil von Kardinal Müller ist deshalb das sog. ost-westliche Schisma „politisch und nicht theologisch begründet“ (284), und gilt der orthodoxe Widerstand der „mittelalterlichen theologisch-politischen Theorie der päpstlichen Universalmonarchie von Gregor VII. bis Bonifatius VIII. als ihren profiliertesten Vertretern“. Über sie urteilt Kardinal Müller, dass sie „nicht Bestandteil der katholischen Glaubenslehre vom Primat des Papstes“ ist und dass deshalb auch das gegenwärtige ökumenische Gespräch historische Formen einer ungesunden Liaison von politischer Macht und geistlichem Dienst überwinden und sich „exakt auf die Glaubensfrage konzentrieren“ muss (292). Damit ist ein hilfreicher Weg für die notwendige Verständigung zwischen katholischer Kirche und Orthodoxie gewiesen. Das ganze Kapitel zeigt denn auch, dass neue Lösungen von alten Konflikten nur auf der Basis einer profunden Geschichtskenntnis möglich sind.
Integration in Kirche und Bischofskollegium
In den Kapiteln sieben und acht stehen die Lehrentscheidungen hinsichtlich des petrinischen Primates des Bischofs von Rom beim Ersten und Zweiten Vatikanischen Konzil im Vordergrund. Das siebte Kapitel „Das Dogma vom Lehr- und Jurisdiktionsprimat des römischen Papstes“ behandelt die Lehrkanones der Konstitution Pastor aeternus und weist nach, dass es sich bei den Definitionen des Ersten Vatikanischen Konzils nicht um Neuerfindungen der Kirche handelt, zu denen die Kirche von den damaligen Zeitumständen gleichsam genötigt worden wäre, sondern dass mit ihnen das, was im Glaubensbewusstsein der Kirche bereits präsent ist, in den formalen Rang eines Dogmas erhoben worden ist. In diesem Kapitel wird besonders deutlich, dass Kardinal Müller im Blick auf die Interpretation von Lehrentscheidungen eine Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches als mit dem katholischen Glaubensverständnis nicht kompatibel hält, dass er sich vielmehr leiten lässt von einer Hermeneutik der Reform, die auch Neuerungen und Weiterentwicklungen, aber in einer grundlegenden Kontinuität in der Tradition der kirchlichen Lehre, kennt.
Dies gilt auch für das Verhältnis zwischen dem Ersten und Zweiten Vatikanischen Konzil. Bei letzterem setzt Kardinal Müller den Akzent auf die „Integration des Papsttums in Kirche und Bischofskollegium“. Damit steht vor allem das wechselseitige Ineinander von Episkopat, der ebenfalls göttlichen Rechts ist, und Primat als dem konkreten Prinzip der Einheit des Episkopats und der Ortskirchen im Vordergrund, wobei dieses Ineinander nur glaubwürdig gelebt werden kann, wenn die historischen und bis heute nachwirkenden Extreme einerseits eines Papalismus und Kurialismus und andererseits eines Episkopalismus und Konziliarismus überwunden werden. Die wechselseitige Integration von Episkopat und Primat weist von selbst wieder zurück auf die unverwechselbare und letztlich analogielose Verfassungsstruktur der katholischen Kirche, die am ehesten mit einer Ellipse mit zwei Brennpunkten, der Vielheit der Ortskirchen und der Einheit der Universalkirche, zu vergleichen ist. Demgemäß ist, mit Kardinal Müller gesprochen, die Gesamtkirche „weder eine nachträgliche Summe von Teilkirchen, noch sind die Teilkirchen Unterabteilungen der Gesamtkirche. Die Kirche ist der eine Leib Christi als corpus oder communio ecclesiarum. Es handelt sich um eine innere Verschränkung von Gesamtkirche und Teilkirche, die vom Gesamtepiskopat mit dem Bischof von Rom als dem Nachfolger Petri geleitet und repräsentiert wird“ (382). Nur in diesem ekklesiologischen Gesamtkontext leuchtet Sendung und Auftrag des Papstes ein, die stets im Licht einer geistlichen Erneuerung überprüft werden müssen. Diesem Anliegen dient ein eigener Abschnitt in diesem Kapitel, der dem Dienst und der Reform der römischen Kurie gewidmet ist, die ganz im Dienst des Primats des Bischofs von Rom steht und sich nicht als Zwischeninstanz zwischen den Bischöfen und dem Papst verstehen darf.
Anwaltschaft für die Menschenrechte
Drei Kapitel beschäftigen sich nicht explizit mit Theologie und Praxis des petrinischen Primats, sondern behandeln grundlegende Dimensionen der Sendung der ganzen Kirche, für die freilich der Papst eine besondere Verantwortung trägt. Das neunte Kapitel „Der Papst – Zeuge für die Würde jedes Menschen“ zeigt, dass die ganze Kirche am prophetischen Amt Jesu Christi teilhat und die besondere Verantwortung des kirchlichen Lehramts darin besteht, die Vorschriften des natürlichen Sittengesetzes in Erinnerung zu rufen. Dazu gehören vor allem das Eintreten für die Würde jedes Menschen, die Anwaltschaft für die Menschenrechte, die aktuelle Interpretation der katholischen Soziallehre und die ökologische Sorge für die Schöpfung als das gemeinsame Haus und die Verantwortung für die Armen, die in der Verkündigung von Papst Franziskus einen ganz besonderen Stellenwert einnehmen.
Verteidigung der Freiheit des Menschen in der Wahrheit Gottes
Das zehnte Kapitel „Der Papst – Hüter der Wahrheit Gottes und Hirte der Menschen“ betont die Verantwortung des Papstes für die Wahrheit Gottes und des Menschen angesichts der heute starken Tendenzen eines grenzenlosen Relativismus, und es nimmt von daher Bezug auf das Grundanliegen von Papst Benedikt XVI. nach einer glaubwürdigen Synthese zwischen der Vernunft des Glaubens und dem Glauben der Vernunft, und zwar in der Glaubensüberzeugung, dass die Freiheit des Menschen in der Wahrheit Gottes ihren festen Grund hat: „Der Papst bietet in seinem Christus-Bekenntnis der ganzen Menschheit den Dienst, dass er daran erinnert: Gott ist der Grund der Wahrheit und der Freiheit des Menschen“ (443).
Wegweiser zum ewigen Leben
Das zwölfte Kapitel „Der Papst – Lehrer der Vollendung des Menschen in Gott“ bietet im Grunde eine eingehende Interpretation der ersten Enzyklika von Papst Franziskus über den Glauben Lumen fidei und der Enzykliken von Papst Benedikt XVI. über die christliche Hoffnung Spe salvi und die christliche Liebe Deus caritas est. Dieses Kapitel steht nicht zufälligerweise am Schluss des Buches, weil damit vollends deutlich wird, dass der eigentliche Sinn und das letzte Ziel der Kirche und damit auch des petrinischen Primats darin besteht, in den Menschen Glaube, Hoffnung und Liebe zu ermöglichen und ihnen die Wege zu zeigen, die zum ewigen Leben führen.
Ökumenische Grundfrage im Licht des Kirchenverständnisses
Das sechste Kapitel „Der protestantische Grundentscheid gegen den römischen Papst“ habe ich übersprungen und nehme seinen Inhalt jetzt zusammen mit dem elften Kapitel „Der Papst – Wegbereiter der Einheit der Christen in der Kirche Gottes“. Denn beide Kapitel behandeln das ökumenische Problem. Während im sechsten Kapitel gezeigt wird, dass in der Reformation Martin Luthers nicht zufälligerweise der Papst zum Stein des Anstoßes geworden und deshalb die Lehre der katholischen Kirche vom römischen Primat vom Reformator bestritten worden ist, wird im elften Kapitel noch grundsätzlicher ausgeführt, dass die eigentliche Differenz zwischen dem katholischen und evangelischen Glaubensverständnis im Kirchenbegriff liegt, wie sie bereits vom großen Tübinger Theologen Johann Adam Möhler sensibel formuliert worden ist: „Die Katholiken lehren: die sichtbare Kirche ist zuerst, dann kommt die unsichtbare: jene bildet erst diese. Die Lutheraner sagen dagegen umgekehrt: aus der unsichtbaren geht die sichtbare hervor, und jene ist der Grund von dieser.“ Und Möhler stellt anschließend fest: „In diesem scheinbar höchst unbedeutenden Gegensatze ist eine ungeheure Differenz ausgesprochen“ (481). Von daher erscheinen das katholische Verständnis der Kirche als sacramentum salutis mundi und das evangelische Verständnis der Kirche als creatura verbi als zwei Ansatzpunkte, die sich als inkompatibel erweisen. Die eigentliche Differenz beginnt jedenfalls bei der „Frage nach der kirchlich-sakramentalen Vermittlung der ein für alle Mal bewirkten Versöhnung der Menschen mit Gott durch Jesus Christus und die Gegenwart des Heils im Heiligen Geist“ (311).
Kardinal Müller ist freilich zuversichtlich, dass bei dieser ökumenischen Grundfrage mehr Konsens erreicht werden könnte, insofern auf der einen Seite das evangelische Verständnis auch eine Korrektur für eine einseitig auf die sichtbare Gestalt der Kirche konzentrierte katholische Ekklesiologie bedeutet und weil auf der anderen Seite nach katholischem Verständnis die Kirche nur Instrument der Heilsvermittlung ist, während der Mittler des Heils Jesus Christus selbst ist: Die Erlösung und Rechtfertigung des Menschen wird „kausaliter allein von Gott durch Christus im Heiligen Geist“ bewirkt, sie wird aber „instrumentaliter durch Wort und Sakrament in der kirchlich sakramental verfassten Gemeinschaft der Glaubenden wirksam vergegenwärtigt für die Menschen in ihrer Zeit“ (314-315). Die in der evangelischen Sicht betonte Unmittelbarkeit des einzelnen zu Gott und die in der katholischen Sicht hervorgehobene sakramentale Vermittlung durch die Kirche brauchen deshalb nicht sich ausschließende Gegensätze zu bleiben.
Dialog zwischen Katholiken und Lutheranern
Die in den Kapiteln sechs und elf behandelten Fragen stehen auch im Mittelpunkt des in diesem Jahr stattfindenden Gedenkens der Reformation vor fünfhundert Jahren. Wenn das Buch von Kardinal Müller über den Papst in diesem Jahr des Reformationsgedenkens erscheint, will er bewusst auch auf die nach wie vor offenen ökumenischen Fragen hinweisen, zu denen die Frage des Papstamtes in besonderer Weise gehört. Die Ausführungen von Kardinal Müller dokumentieren das ökumenische Interesse, das er seit seiner Promotion über „Bonhoeffers Theologie der Sakramente“ an den Tag gelegt und in seiner Eigenschaft als Präsident der Ökumene-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz weiterverfolgt hat. Die beiden Kapitel beziehen sich eingehend auf die ökumenischen Dialoge zwischen Katholiken und Lutheranern und bieten einen guten Überblick über die ökumenische Situation vor allem in Deutschland. Als einem, der nicht aus Deutschland stammt, sei mir allerdings der Hinweis erlaubt, dass es Reformation nicht nur im Singular gibt und dass Deutschland nicht das einzige Reformationsland ist.
Primat der Liebe im weltweiten Netz von Eucharistiegemeinschaften
Damit soll keineswegs gesagt sein, dass das Buch noch umfangreicher hätte werden sollen. Es bietet auf jeden Fall große Hilfen für das ökumenische Gespräch vor allem über das Papstamt, über das Papst Paul VI. geurteilt hat, es sei „das schwerwiegendste Hindernis auf dem Weg des Ökumenismus“. Damit das Papstamt auch zu einer ökumenischen Möglichkeit werden kann, dazu braucht es gewiss noch viel theologische Arbeit. Einen viel versprechenden Weg finde ich im Buch von Kardinal Müller bei seinem Hinweis, dass die eucharistische Ekklesiologie einen Ansatz bietet, der auch ökumenisch fruchtbar gemacht werden kann: Die eucharistische Ekklesiologie ist „nicht ein theologisches Gedankenkonstrukt, sondern die Basis aller ökumenischen Suche nach der Einheit aller Christen in der einen Kirche und in der einen Eucharistie“ (238). Der Primat des Bischofs von Rom lässt sich theologisch in der Tat am besten von jenem weltweiten Netz von Eucharistiegemeinschaften her verstehen, das die Kirche ist. Als eucharistischer Primat der Liebe ist er in der Kirche um eine Einheit besorgt, die eucharistische Gemeinschaft ermöglicht und schützt und wirksam verhindert, dass ein Altar gegen einen anderen Altar gestellt wird. Dabei versteht es sich von selbst, dass beim Bischof von Rom sein Vorsitz in der Liebe und sein Vorsitz im Glauben unlösbar zusammengehören. Der Vorsitz in der Liebe gründet im Vorsitz im Glauben und seiner Wahrheit. Umgekehrt muss der Vorsitz im Glauben Vorsitz in der Liebe sein, da die Lehre der Kirche zur Liebe führen will und führt.
Promotor der ökumenischen Verständigung und Garant der Einheit der Kirche
Der Primat des Bischofs von Rom ist, wie vor allem Papst Benedikt XVI. gelehrt hat, nicht allein eine juridische oder rein äußerliche Zutat zur eucharistischen Ekklesiologie, sondern ist in ihr selbst begründet. Wenn darüber ein ökumenischer Konsens erreicht werden könnte, dann wäre der Primat des Bischofs von Rom nicht mehr das „schwerwiegendste Hindernis auf dem Weg des Ökumenismus“, sondern Promotor der ökumenischen Verständigung und Garant der Einheit der Kirche. Dazu gehört auch, dass der Bischof von Rom, dessen Auftrag darin besteht, die Kirche zum Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes zu verpflichten, sich selbst als der exemplarisch Gehorsame erweist, wie dies die Kongregation für die Glaubenslehre in ihren Erwägungen über den „Primat des Nachfolgers Petri im Geheimnis der Kirche“ ausgesprochen hat: „Der römische Bischof steht – wie alle Gläubigen – unter dem Worte Gottes und unter dem katholischen Glauben. Er ist Garant für den Gehorsam der Kirche und in diesem Sinn servus servorum. Er entscheidet nicht nach eigener Willkür, sondern ist Stimme für den Willen des Herrn, der zum Menschen in der von der Überlieferung gelebten und interpretierten Schrift spricht. Mit anderen Worten: Die episkope des Primats hat die Grenzen, die aus dem Gesetz Gottes und der in der Offenbarung enthaltenen, unantastbaren göttlichen Stiftung der Kirche hervorgehen.“
Ein großes Geschenk des Herrn an alle Christen
Die Erwägungen der Glaubenskongregation aus dem Jahre 1998 und damit unter der Leitung des damaligen Kardinal Joseph Ratzinger hat Kardinal Müller wohl deshalb seinem Buch als Anhang mitgegeben, weil sie konzis zusammenfassen, worum es ihm in seinem Buch über den Papst geht. Der Bischof von Rom kann sich nicht im Sinne einer Monarchie politischer Art als Herrscher verstehen, der sich nur nach seinem Willen richten würde. Er kann aber seinen Dienst auch nicht auf einen bloßen Ehrenvorrang beschränken. Sein Primat ist vielmehr letztverbindlicher Dienst am Glauben und glaubwürdiger Dienst an der Liebe und so Dienst an der Einheit der Kirche. Damit leuchtet der tiefste Grund auf, dass die katholische Kirche das Papstamt als ein großes Geschenk, das sie von Christus erhalten hat, versteht, ein Geschenk freilich, das sie nicht für sich behalten, sondern in ökumenischer Offenheit mit der ganzen Christenheit teilen möchte.
Die Wahrheit und Schönheit dieses Geschenks des Herrn an seine Kirche hat Kardinal Müller in umfassender und tiefer Weise zum Leuchten gebracht. Das macht den großen Wert seines Buches aus, und dafür sei ihm – stellvertretend für die hier Anwesenden und stellvertretend für alle, die jetzt mit der Lektüre dieses faszinierenden Buches beginnen werden – herzlich gedankt.
[1] Gerhard Ludwig Kardinal Müller: Der Papst – Sendung und Auftrag, Verlag Herder 2017, gebunden mit Schutzumschlag, 608 Seiten, 29,99 Euro, ISBN 978-3-451-37758-7.
Zum Papst-Buch des Präfekten der Glaubenskongregation
Chance des Pontifikats von Papst Franziskus
Das Buch von Gerhard L. Kardinal Müller über die Aufgabe und Sendung des Papstes hält Pfarrer Erich Maria Fink für einen äußerst wertvollen Beitrag zur Bewältigung der gegenwärtigen Herausforderungen. Einerseits sieht er darin eine große Hilfe, um das Pontifikat von Papst Franziskus positiv einordnen und als Chance für den Weg der Kirche in die Zukunft begreifen zu können. Andererseits bietet es seiner Meinung nach eine solide Grundlage für einen wirklichen Fortschritt im ökumenischen Dialog. Darüber hinaus ist Pfr. Fink davon überzeugt, dass die Akzente, die Kardinal Müller setzt, auch innerkirchlich Versöhnung und Einheit stiften können.
Von Erich Maria Fink
Als 1995 die Enzyklika „Ut unum sint“ über den Einsatz für die Ökumene erschien, war ich sehr überrascht. Ich bewunderte den Mut, mit dem Papst Johannes Paul II. die Bedeutung des Petrusdienstes für die Einheit der Christen herausstellte. Natürlich ging er zunächst auf den Dialog und die Errungenschaften ein, die auf dem bisherigen ökumenischen Weg bereits erzielt werden konnten. Doch letztlich mündet die Enzyklika in eine umfassende biblische Grundlegung des Papstamtes ein, für die Johannes Paul II. alle zur Verfügung stehenden Register gezogen hat (Nr. 86-103). Er verweist nicht nur auf den einschlägigen Sendungsauftrag im Matthäusevangelium (Mt 16,17-19), sondern zieht auch die anderen Evangelien, die Apostelgeschichte und Paulusbriefe heran, um das Wesen und die Unverzichtbarkeit dieses Dienstes aufzuweisen.
Die Ausführungen werden mit einer unmissverständlichen Feststellung eingeleitet, die wie ein Paukenschlag klingt: „Unter allen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ist sich die katholische Kirche bewusst, das Amt des Nachfolgers des Apostels Petrus, des Bischofs von Rom, bewahrt zu haben, den Gott als ,immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit‘ eingesetzt hat und dem der Heilige Geist beisteht, damit er alle anderen an diesem wesentlichen Gut teilhaben lässt“ (Nr. 88). Und am Ende seiner leidenschaftlichen Abhandlung ruft Johannes Paul II. „den Brüdern und Schwestern der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften“ mit den Worten des Apostels Paulus die „Ermahnung“ zu: „ … ,kehrt zur Ordnung zurück, lasst euch ermahnen, seid eines Sinnes, und lebt in Frieden! Dann wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein. Die Gnade Jesu Christi, des Herrn, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen‘ (2 Kor 13,11.13)“ (Nr. 103). Und mit dieser klaren Aufforderung, die göttliche Autorität des Petrusnachfolgers anzuerkennen, schließt die gesamte Enzyklika. Erstaunlicherweise ist sie weltweit auf ein ausgesprochen positives Echo gestoßen. Besonders hoch wurde dem Papst angerechnet, dass er alle Christen eingeladen hatte, für ihn und seine „Bekehrung“ zu beten, damit er für die Ausübung seines Dienstes eine solche Form finde, wie sie von allen angenommen und anerkannt werden könnte (vgl. Nr. 4 und 95).
Ein Buch des Präfekten der Glaubenskongregation
Über 20 Jahre später nun veröffentlicht Gerhard Kardinal Müller als Präfekt der Glaubenskongregation ein Buch mit dem Titel „Der Papst – Sendung und Auftrag“. Sofort war ich an die Ökumene-Enzyklika Johannes Pauls II. erinnert. Wie ein ständig präsenter Pulsschlag ist vom Anfang bis zum Ende des Buches das Anliegen des Kardinals zu spüren, das Amt des Papstes für die heutige Zeit zu erschließen, insbesondere den Fernstehenden und den nicht mit Rom vereinten kirchlichen Gemeinschaften die Hintergründe und das wahre Wesen des Petrusdienstes zu vermitteln.
Natürlich nimmt sich die genannte Enzyklika gegenüber dem 600 Seiten umfassenden Werk des Kardinals nur wie ein winziges Samenkörnchen aus. Müller lässt es gleichsam aufgehen und zu einem mächtigen Baum heranwachsen, der Schutz und Halt zu bieten vermag. Ich kenne nichts Vergleichbares, das in einem solch breiten Spektrum persönliches Lebenszeugnis, Darstellung geschichtlicher und theologischer Zusammenhänge sowie Deutung aktueller Entwicklungen miteinander verbindet, um einen Zugang zur Sendung des Papstes zu eröffnen.
Dabei verwendet Kardinal Müller eine wunderbare Sprache, dynamisch, geradezu fesselnd, klar und verständlich, verbindlich und vornehm zugleich. Er hat ein Werk geschaffen, das sowohl persönliches Glaubenszeugnis als auch Meilenstein auf dem Weg der Kirche ist. Denn es hat den Charakter einer Besinnung in einem geschichtlichen Augenblick, da das Petrusamt von Papst Franziskus in einer Weise ausgeübt wird, wie wir es bisher nicht gekannt haben.
„Sitz im Leben“ von Kardinal Müller
Ich habe den Eindruck, als halte Kardinal Müller inne, um diese Neuheit auf sich wirken zu lassen und im Licht der Tradition zu interpretieren. Gleichzeitig versucht er, sich seiner eigenen Rolle und Verantwortung als Präfekt der Glaubenskongregation an der Seite eines Papstes Franziskus bewusst zu werden, seinen persönlichen Platz und seine Aufgabe zu begreifen.
Zu den ganzen Auseinandersetzungen um das Nachsynodale Schreiben „Amoris Laetitia“ hat Kardinal Müller mehr oder weniger geschwiegen. Noch kurz bevor die vier Kardinäle ihre fünf „Dubia“ veröffentlicht hatten, war sein Buch abgeschlossen. Es war seine unverwechselbare Art, auf die Herausforderung zu reagieren, und zwar vollkommen anders. Während er sich öffentlich zurückhielt, reifte dieses Werk heran, in dem er eine klare Antwort vorbereitete.
Gleich im ersten Kapitel „Die Päpste meiner Lebensgeschichte“ (S. 17-110) fällt auf, dass der Abschnitt über Papst Franziskus nur zwei Seiten umfasst (S. 100f.). Er schließt mit der Feststellung: „Am 21. September 2013 bestätigte mich Papst Franziskus als Präfekt der Glaubenskongregation. Am 22. Februar 2014, am Hochfest Cathedra Petri, nahm er mich im feierlichen Konsistorium in das Kardinalskollegium auf und verlieh mir die Titelkirche Sant‘ Agnese in Agone.“ Unmittelbar darauf fährt Kardinal Müller fort: „Zum Thema der Ehe lautete mein Beitrag auf der Bischofssynode 2015: …“. Und es folgt diese Stellungnahme, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt, in voller Länge (S. 101-105).
Interpretationsschlüssel für „Amoris Laetitia“
Was will Kardinal Müller damit zum Ausdruck bringen? Es besteht kein Zweifel darüber, dass er zu diesen Ausführungen auch nach der Veröffentlichung von „Amoris Laetita“ steht und sie als gültigen Interpretationsschlüssel sieht. Wenigstes sein abschließendes Resümee soll hier zitiert werden: „Die Kirche muss dem Wort Gottes in Schrift und Tradition und in der verbindlichen Auslegung des Lehramtes treu bleiben, sonst macht sie sich schuldig am Heil der Seelen. In Christus, dem Lehrer der Wahrheit und dem guten Hirten, sind Lehre und Leben seiner Kirche untrennbar. Wenn sie die Sakramente der Buße und der Eucharistie anbieten würde, nur um das Gefühl des Dazugehörens nicht zu stören, ohne auf die Überwindung des objektiven Hindernisses des Sakramentenempfangs aufmerksam zu machen, würde sie den Menschen in einer falschen Heilssicherheit wiegen. Nur Gott allein schaut in die Herzen, und ihm steht das letzte Urteil über jeden einzelnen Menschen zu. Aber die Kirche muss sich an den Weg der sakramentalen Heilsvermittlung halten. Das Bußsakrament ist nicht dazu da, um den Menschen das Sündenbewusstsein auszureden, sondern um in ihm die Reue zu erwecken mit dem Vorsatz, sein Leben zu bessern, damit durch die Absolution die Schuld wirklich ausgelöscht wird. Die Absolution ist eine wirkliche Sündenvergebung und nicht nur eine Erklärung, dass Gott über sie hinwegsieht. Die Wunden werden vom göttlichen Arzt nicht zugedeckt, sondern in der Tiefe geheilt, denn ‚er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen [und] durch seine Wunden sind wir geheilt‘ (Jes 53,4 f.)“ (S. 105).
Papst und Glaubenskongregation
Und so arbeitet Kardinal Müller einerseits die Aufgabe des Petrusnachfolgers heraus. Wie er in seinem Buch immer wieder betont, besteht sie darin, „die Wahrheit des Glaubens zu verteidigen und in Glaubensfragen ein definitives Urteil zu fällen“ (S. 290).
Andererseits gibt Müller zu bedenken: „Der große Dominikaner Melchior Cano (1509-1560) sagte frei heraus, was die Opportunisten und Höflinge aller Zeiten nicht gerne hören: ,Petrus ist nicht auf unsere Lü-gen und Schmeicheleien angewiesen. Gerade diejenigen, die jede Entscheidung des Papstes blind und unkritisch verteidigen, tragen am meisten dazu bei, dass die Autorität des Heiligen Stuhles untergraben wird. Sie stärken seine Fundamente nicht, sondern zerstören sie.‘“ (S. 132).
Kardinal Müller kommt in seiner Analyse des derzeitigen Pontifikats zu dem Ergebnis, dass uns die Art der Verkündigung von Papst Franziskus zu einer grundsätzlichen Reflexion über die Einordnung des Petrusdienstes in das Geheimnis der Kirche herausfordert.
Der Primat des Papstes, der im göttlichen Heilsplan verankert ist, bleibt immer eingebettet in den Strom der Tradition und die Gemeinschaft der ganzen Kirche. Kollegialität und heilsame „Dezentralisierung“ (vgl. Evangelii Gaudium) erhalten nach Müller von daher eine ganz neue Bedeutung (vgl. S. 366ff.). Auf dem Weg, die überlieferte Lehre der Kirche zu bewahren und in Kontinuität mit der Tradition weiterzuentwickeln, sind gerade heute eine „organische Einheit“ und ein „Zusammenwirken von Papst, römischer Kurie, Konzil, Bischofssynoden und Bischofskonferenzen“ gefordert (S. 385). Und somit betont Kardinal Müller: Das Amt des Präfekten der Glaubenskongregation „bedeutet in der unmittelbaren Mitarbeit mit dem Lehramt des Papstes eine große Verantwortung“ (S. 90). Ja noch mehr: „Der Kongregation für die Glaubenslehre kommt bei der Wahrnehmung des päpstlichen Lehramtes eine besondere Funktion zu. Sie hat Anteil am Lehramt des Papstes und unterstützt ihn in allen Fragen der Glaubens- und Sittenlehre, wenn sie ihrem Auftrag gemäß tätig ist. Das Lehramt des Papstes ist der Seins- und Wesensgrund seiner Sendung: ,Er ist eingesetzt von Christus als ein immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit der Kirche im Glauben und der Gemeinschaft‘ (Lumen gentium 18)“ (S. 14).
Chance des derzeitigen Pontifikats
Kardinal Müller geht nun von da aus einen entscheidenden Schritt weiter. Im derzeitigen Pontifikat sieht er eine große Chance für die Sendung der Kirche in die Welt und für die Ökumene. Gerade, weil Franziskus keine dogmatischen Diskussionen führen will, öffnet er Türen für Fernstehende, für alle, die von der Gesellschaft an den Rand gedrängt werden, aber auch für die christlichen Gemeinschaften, die noch nicht in voller Einheit mit dem Papst stehen.
Bestätigt sieht Müller dies beispielsweise im Treffen des Papstes mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill auf Kuba: „In der Tat stellt die Begegnung des Papstes als Nachfolger Petri mit dem Patriarchen der zahlenmäßig größten orthodoxen Kirche in Russland einen bedeutenden Fortschritt auf dem Weg zur vollen institutionellen Union und sakramentalen Kommunion aller bischöflich geleiteten Ortskirchen dar“ (S. 513).
Papst Franziskus komme der Sehnsucht vieler Christen „nach einer ökumenischen Gestalt des Papsttums“ entgegen, „damit wir auf die sichtbare Einheit der Kirche zugehen, wie ihr göttlicher Stifter sie will“ (S. 14).
Zusammenfassend schreibt Kardinal Müller über Papst Franziskus: „In seiner Apostolischen Exhortatio Evangelii Gaudium und den beiden Enzykliken Lumen fidei und Laudato si wie auch im Nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia über Ehe und Familie nach den beiden Bischofssynoden zu diesem Thema 2014 und 2015 zeigt sich seine Absicht, Brücken zu bauen auch zu den Entfremdeten und Fernstehenden, ja sogar zu den Feindseligen. Die ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Konservativen und Liberalen, die das Leben und die Mission der Kirche paralysieren, sollen überwunden werden.“
Prof. Dr. Werner Münch (geb. 1940) ist Politikwissenschaftler und Soziologe, der sich in verschiedensten Bereichen des gesellschaftlichen und kirchlichen Lebens engagiert hat. Bis heute bringt er unermüdlich seine reichhaltigen Erfahrungen ein. Er war Dozent und Präsident der Rektorenkonferenz aller kirchlichen Hochschulen in Deutschland, Mitglied im Europäischen Parlament, Finanzminister und Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Immer deutlicher kritisiert er eine Politik und Rechtssetzung, welche die Zerstörung der Ehen und Familien, den Gender-Wahnsinn, die „sexuelle Vielfalt“, die Missachtung des Lebensschutzes sowie die Manipulation der Natur des Menschen befördern. Er ist ein leuchtendes Beispiel für einen Katholiken, der unerschrocken Zeugnis für die christlichen Werte ablegt und die Gesellschaftspolitik aktiv mitgestaltet. Aufgrund des großen Interesses an seinen Vorträgen hat er nun einen Sammelband veröffentlicht, der den Titel trägt: „Freiheit ohne Gott. Kirche und Politik in der Verantwortung“.[1] Ein Beispiel aus den 14 Referaten, in dem er den prophetischen Dienst der letzten drei Päpste beleuchtet.
Von Werner Münch
Die Päpste Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus haben, wie viele andere Päpste vor ihnen, in unterschiedlicher Weise ihren Einfluss auf die Weltpolitik ausgeübt. Das erfolgt nicht nur in Audienzen in Rom, deren Ergebnisse nicht bekannt werden, sondern auch in Reden vor großen internationalen Organisationen. Die Bedeutung dieser Ansprachen wird oft unterschätzt, zumal die veröffentlichte Meinung sie weitgehend auf wenige Schlagworte reduziert.
Papst Johannes Paul II. vor dem Europarat 1988
Der heilige Papst Johannes Paul II. rückte Fragen der Erhaltung des Friedens, der Würde der Person, der Bedeutung der Familie sowie des Kerns der christlichen Botschaft in den Mittelpunkt seiner Rede.
Beim Thema Frieden würdigte er die Gründerväter Europas: Jean Monnet, Robert Schuman, Alcide De Gasperi und Konrad Adenauer, und forderte die Versammlung auf, „den auf die Gerechtigkeit begründeten Frieden zu festigen“. Der alte Kontinent Europa mit seiner stürmischen Geschichte müsse das Bewusstsein seiner „gemeinsamen Identität“ zurückgewinnen, auch wenn diese „keine leicht zu bestimmende Wirklichkeit sei“.
Er erinnerte daran, dass die „biblische Auffassung vom Menschen“ es den Europäern ermöglicht habe, „von der Würde der menschlichen Person eine hohe Vorstellung zu entwickeln“. Dabei verwies er auf das Gewissen als dem „Sitz einer verantwortungsvollen Freiheit“. Er würdigte in diesem Zusammenhang die Fortschritte der Wissenschaften, insbesondere der biologischen und medizinischen Disziplinen, ohne ihre Gefahren in der Anwendung zu verschweigen. Dabei sei es notwendig, „dass der Respekt der Menschenwürde nie außer Acht gelassen wird, vom Augenblick der Zeugung an bis zu den letzten Stadien der Krankheit oder den schlimmsten Zuständen geistiger Umnachtung“. Jeder Mensch behalte für immer „seinen Wert als Person, denn das Leben ist ein Geschenk Gottes“.
Besonders bemerkenswert sind seine Hinweise auf die schwieriger gewordene Situation der Familie. Wir erleben, sagte der Papst, „die Verbreitung von Auffassungen, welche die Liebe abwerten, die Sexualität von der Lebensgemeinschaft, deren Ausdruck sie ist, trennen und die dauerhafte Bande, zu denen eine wirklich menschliche Liebe verpflichtet, schwächen. Es besteht hier eine richtige Gefahr, denn die Familie schwächt sich ab und zerfällt. Die fallenden Bevölkerungskurven sind ein Anzeichen dafür, „dass die Familie eine besorgniserregende Krise erlebt“. Bei Betrachtung der heutigen Realität – 29 Jahre später! – erkennen wir, welche Gabe der Antizipation von zukünftigen Entwicklungen dieser Papst besaß.
Schließlich legte Johannes Paul II. Wert auf die Feststellung, dass die Entwicklung des europäischen Kontinents immer auch von der christlichen Botschaft durchdrungen und beeinflusst war. Diese Botschaft vermittle „eine so enge Beziehung des Menschen mit seinem Schöpfer, dass sie alle Aspekte des Lebens aufwertet, vor allem das natürliche Leben: der Körper und der Kosmos sind Geschenk Gottes“.
Eine letzte Aussage ist noch besonders bemerkenswert, weil sie seinem stetigen Wunsch entsprach, für den er leidenschaftlich kämpfte und auf dessen Verwirklichung er seine ganze Hoffnung setzte, für die er oft belächelt wurde, nämlich die in Europa begonnene Zusammenarbeit „mit den anderen Völkern, insbesondere denjenigen Mittel- und Osteuropas, vertieft zu sehen“, damit auch diese auf ein „Leben in Einheit und Solidarität hoffen“ können. Nur gut zwei Jahre nach dieser Ansprache brach der Kommunismus in Europa zusammen.
Papst Benedikt XVI. vor der UN-Vollversammlung 2008
Papst Benedikt XVI. hielt seine Rede vor der UN-Vollversammlung in New York am 18. April 2008, dem 60. Jahrestag der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“. Gleich zu Beginn seiner Ansprache bot er diesem „privilegierten Ort“ an, die von der Kirche „entwickelte Erfahrung in ‚der Menschlichkeit‘ einzubringen und sie allen Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen“. Bei seinen unter den Titel „Die Menschenrechte und die Suche nach dem Gemeinwohl“ gestellten Ausführungen fordert er die Verantwortlichen der internationalen Politik auf, unter „Beachtung des Subsidiaritätsprinzips die Ziele ihrer Politik, nämlich die „Förderung des Gemeinwohls“ und die „Verteidigung der menschlichen Freiheit“, nicht aus den Augen zu verlieren. Wissenschaftliche Forschung und Entwicklung, Schöpfungsordnung und Schutz des Lebens, Naturrecht und Menschenrechte sowie die Religionsfreiheit waren seine zentralen Themen. Grundsatzorientiert, zweifelsfrei in der Diktion und theologisch klar begründet trug er seine Überzeugungen vor.
Er erkennt ausdrücklich die Ergebnisse und Vorteile der wissenschaftlichen Forschung und Entwicklung an, betont aber gleichzeitig die Gefahren ihrer Anwendung und mahnt, ihre Grenzen zu akzeptieren.
Die Schöpfungsordnung sei dann eindeutig verletzt, wenn die Anwendung der wissenschaftlichen Ergebnisse dem „unantastbaren Charakter des Lebens widerspricht“ und darüber hinaus „die menschliche Person selbst und die Familie ihrer natürlichen Identität berauben“. Er erinnert dabei an das antike Völkerrecht (ius gentium) und sein Prinzip der „Schutzverantwortung“.
Der Schutz des Lebens sei geboten nach dem Prinzip der Person als Ebenbild des Schöpfers sowie der Sehnsucht nach dem Absoluten und dem Wesen der Freiheit. Die Würde des Menschen sei deshalb „Fundament und Ziel der Schutzverantwortung“, weil jede Person als „Ebenbild des Schöpfers“ zu betrachten sei. Deshalb seien die Menschenrechte ein Garant „für die Wahrung der Menschenwürde“.
Ihre Beachtung sei deshalb nicht diskussionswürdig, weil sie ihre Grundlage im Naturrecht hätte. Mit seinen Inhalten und Folgen hat sich Papst Benedikt XVI. viele Jahre vor und während seines Pontifikats als Papst immer wieder befasst. Einen besonderen Höhepunkt dieser Auseinandersetzung hat er mit seiner Ansprache im Deutschen Bundestag während seines Deutschlandbesuches im September 2011 vorgelegt, als er entschieden darauf hingewiesen hat, dass auch der Mensch eine Natur habe, und dabei den wunderbaren Begriff der „Ökologie des Menschen“ geprägt hat.
Aufgrund des Naturrechts seien die Menschenrechte „universal“ und ebenso „die menschliche Person, die das Subjekt dieser Rechte ist“. Selbstverständlich würden die Menschenrechte das Recht der Religionsfreiheit einschließen, deren Gewährleistung „nicht auf die freie Ausübung des Kultes beschränkt werden“ dürfe, sondern „in richtiger Weise die öffentliche Dimension der Religion berücksichtigen“ müsse, „also die Möglichkeit der Gläubigen, ihre Rolle im Aufbau der sozialen Ordnung zu spielen“. Darunter versteht er die Erlaubnis für alle Frauen und Männer, in jedem Staat der Welt „ihren Weg des Glaubens und ihre Suche nach Gott in dieser Welt zu verfolgen“. Und sein Satz: „Es ist daher unbegreiflich, dass Gläubige einen Teil von sich – ihren Glauben – unterdrücken müssen, um aktive Bürger zu sein. Es sollte niemals erforderlich sein, Gott zu verleugnen, um in den Genuss der eigenen Rechte zu kommen“, zeichnet in seiner Eindeutigkeit den Papst besonders aus und ist in diesen Zeiten der erneuten Verfolgung von Christen in zahlreichen Ländern unserer Welt leider auch immer noch aktuell.
Papst Benedikt XVI. hat sich in dieser Rede erneut als ein Papst ausgezeichnet, der nicht nur theologisch brilliert hat, sondern in gesellschaftlichen und politischen Fragen einer der großen Mahner unserer Zeit war, nicht selten mit prophetischen Gaben wie sein Vorgänger auf dem Stuhle Petri.
Papst Franziskus vor dem Europäischen Parlament 2014
Papst Franziskus hielt seine Ansprache vor dem Europäischen Parlament in Straßburg am 25. November 2014. Er warb für Ermutigung und Hoffnung und würdigte zahlreiche Entwicklungen der Vergangenheit in Europa, aber er sparte auch nicht mit deutlicher Kritik. Gleich zu Beginn seiner Rede sagte er über die Europäische Union: „Einer ausgedehnteren, einflussreicheren Union scheint sich … das Bild eines etwas gealterten und erdrückten Europas zuzugesellen, das dazu neigt, sich in einem Kontext, der es oft nüchtern, misstrauisch und manchmal sogar argwöhnisch betrachtet, weniger als Protagonist zu fühlen. Von mehreren Seiten aus gewinnt man den Gesamteindruck der Müdigkeit, der Alterung, die Impression eines Europas, das Großmutter und nicht mehr fruchtbar und lebendig ist.“ Diese in einer ganz anderen Sprache als in der durch seine Vorgänger vorgetragene starke Kritik präzisiert der Papst durch seine Verwerfung der praktizierten „egoistischen Lebensstile“, den Vorwurf der Priorität von wirtschaftlichen und technischen Fragen zulasten der „anthropologischen Orientierung“, der Behandlung des Menschen wie ein „Konsumgut“, das dann „ohne viel Bedenken ausgesondert wird wie im Fall der Kranken, der Kranken im Endstadium, der verlassenen Alten ohne Pflege oder der Kinder, die vor der Geburt getötet werden“. Gegen die „Verabsolutierung der Technik“, eine „Wegwerf-Kultur“ und den „hemmungslosen Konsumismus“ setzt er die Notwendigkeit, „die Kostbarkeit des menschlichen Lebens zu erkennen, das uns unentgeltlich geschenkt ist“.
Bei der Frage nach einer besseren Lösung verweist er mit dem Hinweis auf eine der berühmtesten Fresken Raffaels im Vatikan darauf, dass Europa aus einer „fortwährenden Begegnung zwischen Himmel und Erde“ bestehen müsse, also sowohl aus einer Hinwendung zu Gott als auch aus seiner festen Absicht, sich um die Lösung der konkreten Probleme dieser Erde zu kümmern. Hier erwähnt er, wie auch Papst Johannes Paul II. in seiner Rede, die „Seele“, die Europa nie verlieren dürfe. Man hätte sich gut vorstellen können, dass er mit seiner berechtigten Mahnung, immer bereit zu sein, „sich der transzendenten Dimension des Lebens zu öffnen“, es deshalb auch für nicht akzeptabel halte, die Verbannung der Kreuze aus allen öffentlichen Einrichtungen in den Mitgliedsstaaten zu fordern, die Verletzung der Würde von Ehe und Familie durch die konsequente Durchsetzung der Gender-Ideologie und die Abtreibung als Menschenrecht zu beschließen und bei der Vergabe von Finanzhilfen an Entwicklungsländer von diesen deren Zulassung zu verlangen, weil das Methoden des Kolonialismus sind. Im Humanismus des Christentums stand nämlich immer die Achtung der Würde des Menschen im Mittelpunkt. Das ist der Grund, weshalb Papst Franziskus daran erinnert, dass Gottvergessenheit immer zu Gewalt und Chaos führt.
Mutig war auch seine Erwähnung der Christenverfolgung heute mit den deutlichen Worten: „Gemeinschaften und Einzelne, die sich barbarischer Gewalt ausgesetzt sehen: aus ihrer Heimat vertrieben; als Sklaven verkauft; getötet, enthauptet, gekreuzigt und lebendig verbrannt werden – unter dem beschämenden und begünstigenden Schweigen vieler.“
Diese Reden zeigen, dass unsere Päpste unverzichtbare und anerkannte Mahner der Weltpolitik sind.
[1] Werner Münch: Freiheit ohne Gott – Kirche und Politik in der Verantwortung, Verlag Media Maria 2017, geb., 13,5 x 20,5 cm, 176 S., 19,95 Euro (D), 17,50 Euro (A), ISBN 978-3-9454013-8-5, Tel. 0043-7303-9523310, E-Mail: buch@media-maria.de
300 Jahre Hl.-Blut-Fest auf dem Gottesberg
„Segne uns, o Blut der Gnaden“
Von Kindheit an stand Dr. Thomas Maria Rimmel mit Patres des Salvatorianer-Ordens in Verbindung. Denn von ihnen wird der Wallfahrtsort „Maria Steinbach“ betreut, in dessen unmittelbarer Nähe Rimmel geboren wurde. Durch sie kam er auch zur Ausbildung in das von ihnen geführte Salvatorkolleg von Bad Wurzach, das nur etwa 25 km davon entfernt liegt. Dort befindet sich der sog. „Gottesberg“, der seit 1921 ebenfalls den Salvatorianern anvertraut ist. In seinem Beitrag geht Dr. Rimmel fundiert auf die dort verehrte Heilig-Blut-Reliquie ein und erinnert an das 300-jährige Jubiläum der Kirchweihe, das der Gnadenort in diesem Jahr feiert.[1] Gleichzeitig wirft er einen Blick auf die Tradition des sog. Blutritts. Er gehört zu den größten dieser Art in ganz Europa und wird jedes Jahr zum Heilig-Blut-Fest am zweiten Freitag im Juli abgehalten.
Von Thomas Maria Rimmel
2017 ist ein Jahr der Jubiläen. Zwischen den hundertjährigen marianischen Jubiläen (Fatima, Patrona Bavariae) und dem Gedenken 500 Jahre Reformation liegt die Kirchweih vor 300 Jahren auf dem Gottesberg südöstlich vom oberschwäbischen Bad Wurzach. Zur Zeit der Reformation war dieser Moränenhügel strategisch bedeutsam. Vom „Gottesberg aus“ ließ Truchsess Georg von Waldburg († 1531), Anführer des „Schwäbischen Bundes, „seine 18 Geschütze dreimal (…) feuern“, so dass sich die „Besatzung von Wurzach“ ergab.[2] Das waren 4000 aufständische Bauern („Allgäuer Haufen“), die gegen die 2000 Reiter und 7000 Fußsoldaten der Herrschaft keine Chance hatten. Viele Bauern ertranken auf der Flucht im Moor oder wurden von den Landsknechten niedergemetzelt. Martin Luther mahnte im Bauernkrieg anfänglich zum Frieden, änderte seine Meinung allerdings nach Erfahrungen mit Gewalttaten durch Bauern in Thüringen. Mit seiner Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ schlug er sich auf die Seite der Obrigkeit und forderte ein rücksichtsloses Vorgehen gegen die Bauern.[3]
1709/10 wurde auf dem Gottesberg, wo zuvor wahrscheinlich ein Kreuz oder ein Bildstock standen, eine Heilig-Grab-Kapelle mit der Nachbildung der Heiligen Stiege einschließlich Einsiedelei errichtet. Das Geld dazu – wie auch für die Anstellung eines Geistlichen – hatten späte Verwandte eben jenes Truchsess Georg von Waldburg gestiftet. Ein Einsiedler verrichtete die Mesnerdienste. Immer mehr Gläubige pilgerten von der Pfarrkirche vorbei an sieben Stationen hinauf zum Gottesberg, um das Leiden und Sterben Jesu zu verehren – und um eine gute Sterbestunde zu beten. 1712 begründeten die Grafen von Bad Wurzach dort die „Bruderschaft vom guten Tod“. Wegen der wachsenden Pilgerzahl wurde noch im selben Jahr – nach Plänen des Füssener Baumeisters Johann Georg Fischer († 1747) – mit dem Bau der heutigen und größeren Barockkirche begonnen. Den kirchlichen Segen erhielt dieses neue Gotteshaus am 10. November 1717 durch den damals zuständigen Konstanzer Weihbischof Konrad Ferdinand Geist von Wildegg († 1722). Patrozinium ist das Fest Kreuzerhöhung am 14. September.
Zunächst sollten Kapuziner die Betreuung der Wallfahrer übernehmen und ein Hospiz betreiben. Das wurde aber vom Ortspfarrer und vom Bistum mit der Befürchtung abgelehnt, durch die Präsenz der Kapuziner könnten benachbarte Bettelorden materielle Einbußen erleiden. „Daraufhin bewarben sich 1763 Paulanerbrüder aus [dem heute bayerisch-schwäbischen Markt] Rettenbach, die durch die Kaufbeurer Franziskanerin Crescentia Höß († 1744) auf die Gebetsstätte aufmerksam gemacht worden waren, um diese Bleibe.“[4] Der Orden der Paulaner geht auf den kalabresischen Einsiedler Franz von Paola († 1507) zurück. Ei-ne Besonderheit dieses Ordens mit franziskanischer Spiritualität war ein viertes Gelübde, nämlich keine Tiere und nichts „vom Fleisch“ zu essen. Wäre nicht Fisch erlaubt gewesen, hätten die Patres vegan gelebt. In München brauten die Brüder Bier für den Eigenbedarf, in der Fastenzeit Starkbier, das am Fest des Ordensgründers verkauft werden durfte. Weil die Gemeinschaft Einnahmen hatte, auch auf dem Gottesberg durch eigene Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienten (Wollspinnerei), war letztlich der Grund, warum die Paulaner dort den Zuschlag für die Pilgerbetreuung erhielten.
Die Patres brachten einen umfangreichen Reliquienschatz – aus dem Nachlass ihres in Markt Rettenbach ein Jahr zuvor verstorbenen böhmischen Mitbruders Theophilus Maria Miller de Malkowitz – mit auf den Gottesberg. Reliquien sind Überreste von Heiligen bzw. Seligen (Gebeine) oder Gegenstände, die mit diesen eng in Verbindung standen (z.B. Kleidung, Leidenswerkzeuge). Sekundärreliquien (Tücher, Flüssigkeiten) werden durch Berührung mit Primärreliquien oder mit dem Grab des jeweiligen Heiligen zu solchen. „Für Martin Luther waren Reliquien ,alles tot Ding‘.[5] “Die Echtheit von Reliquien wurde in Frage gestellt, deren Verkauf angeprangert. Bald trug das Tridentinische Konzil den Bischöfen auf, den Reliquienhandel zu unterbinden. Zudem galt es dem Aberglauben vorzubeugen, in Bildern oder Reliquien wohne „irgendeine Gottheit oder Kraft“[6] inne. Auf der anderen Seite wird der Vorwurf zurückgewiesen, Reliquien seien „nutzlos“: „Auch die heiligen Leiber der heiligen Martyrer und anderer, die mit Christus lebten, die lebendige Glieder Christi und ein Tempel des Heiligen Geistes waren und von ihm (einmal) zum ewigen Leben auferweckt und verherrlicht wurden, sind von Gläubigen zu verehren, wodurch den Menschen von Gott viele Wohltaten erwiesen werden.“[7] Das Zweite Vatikanische Konzil bestätigt die Verehrung echter Reliquien.[8] Die Verehrung einzelner Heiligen mehrt ihre Glorie im Himmel. Die „Wohltaten Gottes“ sind nicht zuletzt ihrer Fürsprache zu verdanken. Dass diese Anrufung Wunder bewirken kann, bezeugen die vielen Wunder, oft Krankenheilungen, im Zusammenhang mit Selig- und Heiligsprechungen.
Mit der Wiederentdeckung der römischen Katakomben – insbesondere ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts – wurden zahlreiche Gebeine entdeckt, die man mit Märtyrern identifizierte. „Den anonymen Skeletten wurden Namen aus Martyrologien oder Begriffe aus Tugendtafeln gegeben (1672 wurden 394 von 428 Skeletten mit Namen belegt), eine Praxis, welche päpstliche Behörden ab 1691 einzudämmen versuchten.“[9] Bis zum Verbot per Dekret 1881 gelangten auf diesem Weg Tausende Skelette auch in den schweizerisch-süddeutschen-österreichischen Raum (Translationen). Auf den Gottesberg wurden 1767 die Reliquien der Katakombenheiligen Redemptus, Reparatus und Eutropia in die Altäre eingelassen und zur Schau gestellt. Diese Gebeine sind Programm. Sie erinnern an die eigene Vergänglichkeit und weisen hin auf die christliche Hoffnung auf die Auferstehung. Christus hat den Menschen erlöst (Redemptus) und die ursprüngliche Begnadung des Menschen durch sein leidvolles Sterben am Kreuz erneuert (Reparatus). An der Verherrlichung durch Gott wird in der Ewigkeit auch der dann verklärte Leib seinen Anteil haben. So wie mit der Auferstehung Christi zur Rechten des Vaters ein menschlicher Leib sitzt, dürfen die Gläubigen die Auferstehung ihres Leibes erwarten. Der Weg zum ewigen Leben bei Gott führt über den Glauben an das Erlösungswerk Jesu Christi zusammen mit einem tugendhaften Leben. Dafür steht der Name Eutropia („die sich dem Guten zuwendet“).
Die bedeutendste Reliquie aus dem Schatz der Paulaner auf dem Gottesberg allerdings ist die Heilig-Blut-Reliquie. Dieses mit dem Blut Christi getränkte Leinwandstückchen stammt aus dem Privatbesitz von Papst Innozenz XII. Dieser hatte es 1693 dem deutschen Rompilger Martin Denzer aus Albrechts bei Obergünzburg geschenkt. Über dessen Verwandte gelangte die Reliquie in den Besitz der zunächst im nahegelegenen Markt Rettenbach ansässigen Patres, die sie dann, wie bereits erwähnt, „im Gepäck“ mit auf den Gottesberg brachten. Die Reliquie war ursprünglich in eine Monstranz eingearbeitet, mit der die Gläubigen an den Fas-tenfreitagen und am Fest des Heiligen Blutes gesegnet wurden. Noch heute lädt ein Pater auf dem Gottesberg jeden Freitag nach der heiligen Messe um 9.00 Uhr die Pilger zum Einzelsegen mit der Reliquie ein. Ganze Pfarreien pilgerten bald auf den Gottesberg, bis der Konstanzer Generalvikar Ingnaz Freiherr von Wessenberg 1802 für das Bistum Konstanz Wallfahrtsgottesdienste sowie Prozessionen einschränkte und Bruderschaften verbot. 1806 wurde das kleine Kloster auf dem Gottesberg aufgehoben. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sollten es dann die umliegenden Gemeinden sein, die mit Bittgängen die Wallfahrt allmählich wieder belebten.
Mit der Ankunft der Salvatorianer 1921 auf dem Gottesberg erfuhr die Verehrung des kostbaren Blutes eine neue Blüte. 1928 wurde das erste Heilig-Blut-Fest gefeiert. „15 Reitergruppen mit zusammen 350 Pferden und Tausende von Pilgern gaben ihm das Gepräge.“[10] Seit 1933 wird die Heilig-Blut-Reliquie alljährlich am Sonntag vor dem Heilig-Blut-Fest, das immer am zweiten Freitag im Juli gefeiert wird, zunächst in einer abendlichen Lichterprozession in die Stadtpfarrkirche Sankt Verena unten in der Stadt übertragen. Am Blutfreitag selbst wird die Reliquie im Rahmen einer großen Prozession mit 1500 und mehr Reitern – singend und betend – wieder zurück auf den Gottesberg begleitet („Blutritt“). Mit der Reiterprozession im nicht fernen Weingarten am Freitag nach Christi Himmelfahrt zählt jene in Bad Wurzach zu den größten Reiterumgängen Europas.
Seit 1930 befindet sich die Blutreliquie in einem Silberreliquiar – umgeben von einem Kranz mit sieben farbigen Medaillons. Dargestellt sind biblische Szenen, bei denen Jesus Blut vergossen hat: Beschneidung, Ölberg, Geißelung, Dornenkrönung, Kreuzweg, Kreuzigung, Lanzenstich. Versehen ist die Reliquie mit der lateinischen Aufschrift „De Sang.-Xti“ – „Vom Blut Christi“. Dabei soll es sich bei der Reliquie auf dem Gottesberg um das echte physische Blut Jesu handeln, das nicht auf konsekriertes Blut und damit auf ein Blutwunder zurückgeführt werden kann wie beim Corporale in Walldürn. Außerdem ist eine Blutreliquie nicht zu verwechseln mit einer konsekrierten Hostie in einer Monstranz. Bei der eucharistischen Anbetung ist Jesus real gegenwärtig. Aber ist diese Reliquie auf dem Gottesberg echt und damit verehrungswürdig? Handelt es sich wirklich um das Blut Christi? Letztlich bleibt die Beantwortung dieser Frage dem Glauben des Einzelnen überlassen.
Der Katechismus der Katholischen Kirche lehrt, dass „die Reliquienverehrung, das Aufsuchen von Heiligtümern, die Wallfahrten und Prozessionen, die Kreuzwegandachten, die religiösen Tänze, der Rosenkranz und die Medaillen“ „Frömmigkeitsformen“ sind, „die das liturgische Leben der Kirche umgeben“, es „aber nicht ersetzen“.[11] Der „religiöse Sinn“ dieser Andachtsformen liege darin, so der Katechismus weiter mit einem Verweis auf die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, „mit der heiligen Liturgie zusammenstimmen, gewissermaßen aus ihr heraus fließen und das Volk zu ihr hinführen“.[12] So verweist die Heilig-Blut-Reliquie die Gläubigen auf das Geheimnis des Kreuzes. „Durch sein Blut“ hat Jesus auf Golgotha die ganze Menschheit erlöst. Am Kreuz wurde diese Erlösung nicht nur offenbart, sondern vollzogen. Und dieses einmalige Opfer Jesu Christi wird in jeder heiligen Messe vergegenwärtigt. Doch auch diese Wahrheit will im Glauben angenommen sein. Wie sehr dies auf dem Gottesberg in Bad Wurzach geschieht, das bezeugen die Pilger übers Jahr mit ihren Messbesuchen und dem Empfang des Bußsakraments.
Während des Bauernkriegs verbreiteten Soldaten „vom Gottesberg aus“ – mit Tausenden Soldaten zu Fuß und hoch zu Ross – Tod und Schrecken unter der Bevölkerung. Heute geht „vom Gottesberg“ ein Segen aus für die Menschen. Wichtigstes Realsymbol dafür ist die Heilig-Blut-Reliquie, die alljährlich von Tausenden Betern während einem Öschritt begleitet wird. Je gläubiger die Pilger zu Fuß oder zu Pferd in den Ruf „Segne uns, o Blut der Gnaden“ einstimmen, je inniger ihre innere Anteilnahme ist, desto mehr Segen geht aus nicht nur für die Einzelnen, sondern für die Heiligung und Rettung der ganzen Welt – und für den so sehr ersehnten Frieden. Denn in dem Moment, als sich der Mensch gläubig dem „blutgetränkten Tüchlein“ und somit Christus zuwendet (sichtbares Zeichen), wendet sich umgekehrt Christus diesem Menschen zu (innere Wirkung). Dieser „wunderbare Tausch“ vollzieht sich insbesondere, wenn mit der Heilig-Blut-Reliquie den Pilgern der Segen erteilt wird. Insofern kommt gerade dem Segen mit der Heilig-Blut-Reliquie eine quasi-sakramentale Bedeutung zu.
[1] Homepage: www.gottesberg. org/index.php/heilig-blut-fest [2] Vgl. Alfred Weitnauer: Allgäuer Chronik II, 34. [3] Vgl. Volker Leppin: Die Reformation, 57. [4] Otto Beck: Der Gottesberg in Bad Wurzach, Lindenberg 2004, 3. [5] Arnold Angenendt: „Reliquien“ in: LThK VIII, 1092. [6] DH 1823. [7] DH 1822. [8] Vgl. SC 111. [9] Johannes Ev. Hafner: „Reliquien/Reliquienverehrung“, in: RGG 4, Tübingen 2004, 423. [10] Der Gottesberg in Bad Wurzach, 4. [11] KKK 1674-1675. [12] KKK 1675.
Die eindeutige Lehre des hl. Johannes Paul II. bleibt gültig
„Nebelwerferei“ hilft niemandem
Weihbischof Dr. Andreas Laun will auf keinen Fall in Abrede stellen, dass im Nachsynodalen Schreiben „Amoris laetitiae“ ein großer Reichtum an pastoralen Hilfestellungen für die Ehevorbereitung sowie für die Begleitung von Ehepaaren und Familien zu finden ist. Besonders hebt er die Ausführungen über die eheliche Zärtlichkeit hervor. Doch kommen diese Impulse seiner Meinung nach wenig zum Tragen, da die Unklarheiten über den Umgang mit Katholiken, die außerhalb einer gültigen Ehe wie Mann und Frau zusammenleben, von der Beschäftigung mit diesen wertvollen Weisungen abhalten und die Kirche lähmen. Sich nur still zu verhalten, baue die psychologischen Hürden, die entstanden seien, nicht ab. Klarheit sei gefordert.
Von Weihbischof Andreas Laun
Es ist mehr als nur unangenehm: Die Unsicherheit und Diskussion bezüglich der Zulassung zu den Sakramenten von Katholiken, die in einer eheähnlichen, aber ungültigen Verbindung leben, kommen nicht zur Ruhe.
Der Grund ist: Von den Bischöfen der Welt hört man verschiedene, nicht vereinbare Antworten dazu oder sie schweigen mit der Begründung, man sollte die Aufmerksamkeit (den „Focus“ in Neudeutsch) ganz auf die vielen, unbezweifelbar guten, von niemandem angezweifelten und richtigen Aussagen von „Amoris laetitiae“ lenken. Das klingt vernünftig, widerspricht aber erstens der Psychologie der Menschen, die klare Antworten wollen und von Bischöfen erwarten, und zweitens widerspricht es der Tradition der Pastoral, die immer betonte, es gäbe keine gute Pastoral ohne die Einheit in der Wahrheit.
Dazu eine biblische Weisung: Man betrachte, wie Jesus liebevoll, behutsam, aber ohne angeblich „pastorale“ Zugeständnisse oder gar „Nebelwerferei“ mit der Frau am Jakobsbrunnen umging, indem er sie zur Wahrheit führte und sie dann, als sie sie selbst aussprach, lobte und sie für ihr weiteres Leben wohl den Folgerungen ihrer eigenen Erkenntnis sozusagen überließ, fast möchte man sagen „sie der Wahrheit preisgab“, die wohl keine andere ist als diejenige, die Jesus der Ehebrecherin mitgab. „Auch ich verurteile dich nicht“ trotz deiner fünf Männer, aber: „Geh hin und sündige nicht mehr“.
Die Medien haben derzeit – nicht ganz zu Unrecht – den Eindruck, dass manche Bischöfe zwar wissen, was sie gemäß der klaren Lehre des hl. Papstes Johannes Paul II. in „Familiaris consortio“ antworten sollten, aber nicht wagen, diese Antwort auszusprechen, weil sie sich nicht unbeliebt machen wollen. Stattdessen sagt man, die Kirche müsse die Realität anerkennen, die Lebenswirklichkeit der Menschen „sehen“ und „unterscheiden“, als hätte man dies bisher nicht getan!
Daher lassen manche Bischöfe die Sache im Nebel, den sie dann sogar vergleichen mit der „Wolke“ im AT, die die Gegenwart Gottes anzeigt, oder vernebeln ihr Reden so, dass man alles heraushören kann, aber doch nicht wirklich erfährt, was gemeint ist, was „die Kirche denkt“ oder in manchen Teilen der Kirche eben auch nicht denkt.
Zugleich behauptet man, die Lehre habe sich nicht geändert, aber wenn es so ist, versteht man nicht, warum man die Aussagen des hl. Papstes Johannes Paul II. nicht einfach wiederholen darf. Hätte man den Mut dazu, gäbe es vielleicht einen kleinen medialen Tsunami, aber dieser wäre rasch vorbei ohne wirklichen Schaden und man könnte wirklich das tun, was nötig wäre: die eigentlich ohnehin bekannte Lehre der Kirche über Ehe und Familie verkünden und verständlich machen!
Dabei sollte man auf die in der Kirchengeschichte einzigartig entwickelte Lehre vom hl. Johannes Paul II. über die eheliche, geistige und leibliche Liebe zurückgreifen und z.B. auch das bisher nicht beachtete, aber auch ziemlich „neue“ Kapitel über die eheliche Zärtlichkeit in „Amoris laetitiae“ (Nr. 27ff) in den „Focus“ der Öffentlichkeit zu rücken suchen.
Das ist ein wichtiges Thema, das übrigens Dietrich von Hildebrand (1889-1977), ein Vorläufer der katholischen Lehre zur Ehe, schon vor jetzt bald 100 Jahren ausführlich in seinem damals Aufsehen erregenden Buch „Reinheit und Jungfräulichkeit“ behandelt hat.
Zudem könnte und sollte man von den geistlichen Bewegungen sprechen, die sowohl in Kanada (Solitude Myriam) als auch in Polen (Sychar) angefangen wurden von tapferen Frauen und Männern, die vom Ehepartner verlassen wurden, nun aber ihre eheliche Treue allein leben in der Kraft ihrer Treue zu Gott und eben zu dem Menschen, mit dem sie sich immer noch verheiratet wissen „bis der Tod euch scheidet“. Darüber zu reden wäre wichtig und nicht peinlich, wie zeitgeistige Diskussionen über Homoehe, sondern aufbauend für die Kirche, wie Gott sie liebt, sie stärkt im Kampf gegen die Mächte der Hölle und ihr den Sieg schenken wird.
Am Freitag, den 26. Mai 2017, feierte Diözesanbischof Dr. Benno Elbs aus Feldkirch anlässlich einer Visitation in Buchboden, Pfarrei Sonntag, ein Pontifikalamt. Dabei wurde der Wallfahrtskirche in Buchboden der Ehrentitel „Maria Mutter Europas“ verliehen. P. Notker Hiegl OSB, der die Gebetsgemeinschaft „Maria Mutter Europas“ ins Leben gerufen hat, erklärte sie zur sechsten Stern-Kapelle im Reigen der 12 Sterne um das Haupt Mariens (Offb 12,1ff). Ihn beseelt der Gedanke, dass die Menschen Europas in den zunehmenden Turbulenzen unter dem Schutz der Gottesmutter Stärkung im christlichen Glauben finden mögen. „Glaube, Hoffnung und Liebe sind Verheißung für Europa und weisen auf die Kräfte hin, aus denen unser Kontinent gewachsen ist und lebt“, so Pater Hiegl.
Von P. Notker Hiegl OSB
Die Fatimabotschaft, die der Welt vor 100 Jahren geschenkt worden ist, hat vor allem eine europäische Dimension. Maria will die Völker Europas unter ihrem Schutz zusammenführen und im Glauben an den Erlöser stärken. Nur das Christentum mit den biblischen Schriften des Alten und Neuen Bundes ist für Europa, wie die Geschichte zeigt, religiös „konstitutiv“. Zusammen mit der griechischen Philosophie und der römischen Rechtsordnung gibt es dem Kontinent äußerlich und innerlich menschenwürdige Größe und Gestalt. Europa muss seine Identität als christlicher Kontinent zu Ehren Jesu Christi und seiner jungfräulichen Mutter Maria wiedererlangen. Die Heiligtümer der Gottesmutter sind dafür entscheidende Orte des Segens und der Hoffnung.
Damit dieser Gedankengang in Zeiten der Krise nicht untergeht, erbauten wir im Jahr 2007 in der Nähe unserer Benediktiner-Erzabtei St. Martin Beuron im Donautal auf dem Gnadenweiler, einer Filiale von Bärenthal hoch oben auf der Schwäbischen Alb, das erste Heiligtum „Maria Mutter Europas“. Danach kamen weitere Kirchen bzw. Kapellen in verschiedenen Ländern hinzu und fügten sich in den Kranz des Europa-Gebetes ein: 2008 die Kirche in Beresniki/ Ural in Russland, 2009 die Kapelle „Our Lady of Europe“ in Gibraltar, welche schon eine 700-jährige Tradition in diesem Anliegen (1309-2009) mitbrachte, und die Bischöfliche Hauskapelle in Reykjavik/Island sowie 2011 das berühmte Marienheiligtum in Mellieħa auf Malta.
Bergkapelle auf der Alpe Klesenza
Diesen fünf Heiligtümern, welche die Partnerschaft „Maria Mutter Europas“ verbindet, möchte ich entsprechend der Vision des hl. Apostels Johannes von den zwölf Sternen um das Haupt Mariens (Offb 12,1ff) weitere Sterne hinzufügen. Zunächst schwebte uns die Alpe Klesenza auf 1617 Metern im Großen Walsertal, Vorarlberg, vor. Jährlich wird vom Männerwerk der Diözese Freiburg zum Fest Mariä Himmelfahrt bzw. am Sonntag danach eine Wallfahrt hinauf zu dieser Alpe unternommen. Sie liegt wunderbar am Fuß der „Roten Wand“ und birgt ein Bergkapellchen, das durch Pfarrer Josef Kary aus der Erzdiözese Freiburg erbaut wurde. Schon als Jugendlicher kam er des Öfteren mit der Deutschen Jugendbewegung hierher in die „Freiburger Hütte“.
Er wurde 1914 geboren, mit 24 Jahren zum Priester geweiht und 1941 als Sanitäter zur Wehrmacht eingezogen. Unsägliches Leid kam über seine Einheit. Nur wenige überlebten. Hier machte er das Gelübde, eine Kapelle zu erbauen, wenn er das Kriegsgeschehen überleben würde. Als er 1954 wieder herauf zur Berghütte kam, machte er sich daran, sein Versprechen umzusetzen. Das Freiburger Männerwerk hält bis zum heutigen Tag das Gelöbnis hoch, jährlich eine Wallfahrt zur Kapelle zu machen.
Nachfolger als Zelebrant der Votivmesse war in diesen Jahren Erzbischof Stefan Burger, der Bruder des Beuroner Erzabtes Tutilo Burger OSB. Durch ein Mitglied des Männerwerks, Bruno Morath, der auf dem Gnadenweiler meine Goldene Profess mitfeierte, kam der Wunsch auf, dieser Alpenkapelle „einen Stern zu verleihen“.
Wallfahrtskapelle von Buchboden
Diesen Gedanken schilderte ich persönlich Dr. Benno Elbs, dem zuständigen Diözesanbischof von Feldkirch, bei einem Besuch im März 2017. Pfarrer Gerhard Schrafstetter, in dessen Gemeindegebiet die Alpe Klesenza liegt, brachte die nahegelegene Wallfahrtskapelle von Buchboden als Alternative ins Gespräch, die für unser Anliegen geeigneter wäre. In der Zeit von Mai bis Oktober finden dort monatlich Wallfahrtsgottesdienste statt. Dadurch könnte das Gebetsanliegen für ein christliches Europa einem größeren Kreis nahegebracht werden. Bischof Dr. Benno Elbs nahm diesen Vorschlag an und entschied sich für die Kapelle in Buchboden statt in Klesenza. Auch der Intention und der Vernetzung der Kapelle mit den anderen Heiligtümern stimmte der Bischof zu. Der Konstituierungsfeier würde er persönlich vorstehen.
Bischof Dr. Elbs, geboren am 16. Oktober 1960 in Bregenz, wurde am 30. Juni 2013 als vierter Vorarlberger Bischof für die erst 1968 gegründete Diözese Feldkirch geweiht. Nach diesem überaus freundschaftlichen Treffen im Bischofshaus übernachteten wir in der Propstei Sankt Gerold, einem Besitztum des bekannten Schweizer Benediktinerklosters Maria Einsiedeln. Sie liegt fast genau zwischen Feldkirch und Buchboden.
Pontifikalamt mit Weihegebet
Am Freitag nach Christi Himmelfahrt, den 26. Mai 2017, versammelten sich die angereisten Gäste zusammen mit den einheimischen Gläubigen in Sonntag im Großen Walsertal, fünf Kilometer unterhalb von Buchboden. Besonders freute ich mich über die Bürgermeister, denen ich in früheren Jahren Exerzitien geben durfte. Auch Ehepaare, denen ich geistlicher Begleiter war, nahmen teil, dazu ein ganzer Bus mit 43 Personen aus meinen früheren Gemeinden Bärenthal, Hausen im Tal und aus Thiergarten, an der Spitze Bürgermeister Roland Ströbele. Bischof Dr. Elbs begann schließlich um 18:30 Uhr die Wallfahrtsprozession am Josefsbrunnen, 1,5 km entfernt vom Dorfzentrum Sonntag, voraus der Kreuzträger, in der Mitte der Pilgergruppe der Träger des Lautsprechers, betend und singend hinauf nach Buchboden.
Die Gemeinde Buchboden hatte das gesamte Areal um die Kirche herum neu asphaltieren lassen, überall waren Blumentöpfe aufgestellt, bestückt mit leuchtenden Frühlingsblumen. Das Dort atmete „Feiertag“: der Bischof kommt, die Dorfkirche erhält einen Ehrentitel. Die Glocken läuten, die Gläubigen versammeln sich in der beflaggten barocken Kirche, einige im Trachtendirndl. Der Bischof ist mitten unter seinen Diözesanen, Pfarrer, Kaplan und ein Benediktiner konzelebrieren das Opfer Jesu Christi, an der Kommunionbank steht die erste große Votivkerze für „Maria Mater Europae“, schön verziert von Benediktinerinnen im Kloster Kellenried bei Ravensburg, gestiftet von Frau Magdalena Schmidt.
In seiner Predigt spricht der Bischof über Maria, die „Brückenbauerin des Friedens“, der Gesang des Dorfkirchenchors mit bewegenden und gefühlvollen Melodien, von einer Gitarre begleitet, und schließlich das gemeinsam gesprochene Weihegebet um die Bewahrung des christlichen Glaubens in Europa, mit dem die Wallfahrtskirche von Buchboden als sechste Sternkapelle Maria, der „Mutter Europas“, gewidmet wird.
In unserer Zeit, in welcher das christliche Abendland so sehr durch den vielköpfigen Drachen (vg. Offb.) angefeindet wird, ist die Errichtung weiterer Sternkapellen in anderen europäischen Ländern für mich geradezu eine innere Notwendigkeit. Angedacht sind Ungarn, Rumänien, die Ukraine, Griechenland bzw. Kreta und Madesimo in den italienischen Alpen. Somit würden elf Sterne aus dem Sternenkranz Mariens leuchten: Eine Frau mit der Sonne bekleidet, der Mond unter ihren Füßen, ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt (Offb 12,1). Gerne würde ich noch erleben, dass auch in der Schweiz eine Sternkapelle entsteht.
Ausklang eines schönen Tages
In der Pergola vor der Kirche war ein Tisch aufgestellt mit rund 80 Büchern über Gnadenweiler und die ganze Vernetzung der Sternkapellen. Rosenkränze und Armbändchen in himmelblauer Farbe mit 10 Perlen und einem Kreuzchen lagen ebenfalls auf. Andachtskerzen aus dem Gnadenweiler Heiligtum erhielten Pfarrer Gerhard Schrafstetter und seine mich betreuende Haushälterin Ilga Moosbrugger. Einpacken musste ich nichts mehr. Bischof Elbs erhielt einen wertvollen Korallen-Rosenkranz mit silbernen Ziselier-Kugeln und einem entsprechenden Glaubens-Bekenntnis-Kreuz. Ein großes Agape-Fest auf dem Dorfplatz rundete das Fest ab. Um 21:30 Uhr fuhr der Bärenthaler Bus wieder Richtung Bära- und Donautal, Bischof Dr. Elbs war einer der Letzten, welche das Festgelände verließen; ein Stück Himmel auf Erden. Dank an Jesus und Maria!
Gebet zu „Maria Mutter Europas“
Du Frau mit der Sonne bekleidet,
der Mond ist zu Deinen Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf Deinen Haupt.
Heute kommen wir vor Dich und weihen wir Dir unser ganzes Leben, die Sorgen der Kirche, die Anliegen all unserer Lieben und empfehlen Dir auch unsere lieben Verstorbenen.
Wir knien vor Dir und rufen aus innigem Herzen zu Dir: für unseren Papst Franziskus, unseren Bischof Benno, die Priester, die Diakone und Ordensleute, für alle Getauften und ganz besonders für unseren christlichen Kontinent Europa.
Salve Mater Maria, sei gegrüßt Mutter Maria, zu der wir innig rufen für unseren Papst Franziskus, dass er die Kirche in der Kraft des Heiligen Geistes leite und uns sende zu den Armen, Notleidenden und zu denen, die hungern und dürsten nach dem Evangelium.
Salve Mater Maria, sei gegrüßt Mutter Maria, zu der wir innig rufen für unseren Bischof Benno, dass er die ihm anvertraute Herde führe zu den Quellen des Heiles, die Sakramente und das Wort Gottes.
Salve Mater Maria, sei gegrüßt Mutter Maria, zu der wir innig rufen für alle Bischöfe, Priester, Diakone und Ordensleute, dass sie treu ihre Berufung leben und Zeugnis geben für Deine Güte und Menschenfreundlichkeit.
Salve Mater Maria, sei gegrüßt Mutter Maria, zu der wir innig rufen für alle Getauften, dass sie die Gnade des Taufsakramentes in ihrem Leben entfalten.
Salve Mater Maria, sei gegrüßt Mutter Maria, zu der wir innig rufen für unseren christlichen Kontinent Europa von Norden bis Süden, von Westen bis Osten, von Reykjavik (Island) und Gnadenweiler (D) bis Mellieħa(Malta), von Gibraltar und Buchboden bis Beresniki in Russland/Ural. Möge Dein Strahlenkranz von Sternen aufleuchten in weiteren Ländern Europas zur Ehre des dreifaltigen Gottes, zu Deinem mütterlichen Ruhm und zum Segen für unseren Kontinent.
Bischof Dr. Benno Elbs von Feldkirch hielt am 26. Mai 2017 in Buchboden (Vorarlberg) eine Predigt, in der er Maria als Brückenbauerin vorstellte. Anlass war die Aufnahme der dortigen Wallfahrtskirche in die Gebetsgemeinschaft „Maria – Mutter Europas“ und damit die Verleihung dieses Ehrentitels. Seine Überlegungen ließ Bischof Elbs in ein längeres Zitat aus der Rede von Papst Franziskus bei der Verleihung des Karls-Preises einmünden. Dabei geht es um den Traum des Papstes von einem Europa, das sich ganz neu für die Kultur des Lebens öffnet. Diesen Teil der Predigt haben wir nachfolgend nicht wiedergegeben.[1]
Von Bischof Benno Elbs, Feldkirch
Vor wenigen Tagen hat Papst Franziskus das 100-jährige Jubiläum der Marienerscheinungen von Fatima gefeiert. Wenn wir in die heutige Welt schauen, dann merken wir, dass die Botschaft der Marienerscheinungen in Fatima heute genauso aktuell ist wie vor 100 Jahren. Wir sind wieder in einer ähnlichen Situation wie 1917: Kriege, Flüchtende, Hungersnöte, Terror und Unterdrückung und es gibt sehr viel seelische Not. Die Mutter Gottes hat damals Frieden versprochen. Ihr Blick ist auf Frieden gerichtet. Und ihre ganz schlichte Bitte damals war: Betet!
Wir könnten diese kleine Predigtmeditation mit einer Frage aus der Millionenshow beginnen. Welches Symbol ist auf allen Scheinen der Euro-Währung abgebildet? Sie wissen es – es ist die Brücke. Die Brücke ist ein zentrales Symbol der Wertegemeinschaft Europas. Und wenn wir heute diese Kirche in die Reihe der Kirchen „Maria Mutter Europas“ stellen, dann ist es vielleicht dieses Bild, das uns ein wenig leiten kann. Maria ist eine Brückenbauerin, eine Brückenbauerin, die das moderne Europa so dringend braucht.
Maria ist eine Brückenbauerin zu Gott
Mit ihrem Ja zum Plan Gottes baut Maria das Fundament für eine Brücke. Sie baut gleichsam eine Brücke für Gott, damit er sein Heilswerk in der Welt vollbringen kann: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ Sie baut eine Brücke des Vertrauens zu Gott.
Maria ist eine Brückenbauerin zu den Menschen
Ein schönes Beispiel dafür ist die Hochzeit von Kana. Es ist die sensible Aufmerksamkeit Marias, die das Scheitern dieses Festes verhindert. Sie haben keinen Wein mehr: Maria spürt, dass hier etwas schiefläuft, dass Menschen in Not kommen. Ich glaube, eine christliche Gemeinde ist ein Ort, wo Menschen aufgehoben sind, wo sie getragen sind in Situationen der Angst, der Not, der Verzweiflung. Es ist ein Ort, wo Menschen wachsen dürfen.
Maria ist eine Brückenbauerin für den Frieden
Angesichts der Terroranschläge in England z.B. merken wir, dass auch diese Brücke für unser Leben, für das gute Zusammenleben von Menschen so entscheidend ist. Es ist ein schönes Symbol für Frieden und Versöhnung, wenn der hl. Papst Johannes Paul II. die Kugel, mit der er getötet werden sollte, in die Krone der Gottesmutter von Fatima einarbeiten ließ. Ein Projektil des Todes wird zu einem Zeichen von Frieden und Versöhnung. Diese Haltung ist auch die Haltung der Gottesmutter Maria: Stiftet Frieden! Ein Text von Jean Vanier, der sich sehr intensiv mit dem Gedanken des Frieden-stiftens auseinandergesetzt hat, bringt das sehr treffend zum Ausdruck.
Er legt uns sechs Markierungen für den Weg zum Frieden ans Herz:
1. Erweise jedem einzelnen Menschen Achtung.
2. Schaffe den Freiraum, den die Menschen zum Wachstum und zur Entdeckung ihres inneren Reichtums brauchen.
3. Suche immer wieder das Gespräch.
4. Stimme ständig die gegenseitigen Erwartungen aufeinander ab.
5. Freue dich an der Verschiedenheit der Menschen.
6. Bemühe dich immer um diejenigen, die am meisten leiden.
Wenn Maria diese Brückenbauerin ist, dann sind auch wir eingeladen, ihr in dieser Lebenshaltung zu folgen,
• dass wir Brückenbauerinnen und Brückenbauer zu Gott werden,
• dass wir Brückenbauerinnen und Brückenbauer zu den Menschen werden,
• und dass wir Brücken des Friedens bauen zueinander.
Gerade dieses Bild ist im Großen Walsertal doch sehr bedeutsam. Brücken verbinden diese Dörfer in einem gebirgigen Land. Brücken verbinden uns Menschen.
Gott möge auf die Fürbitte der Gottesmutter Maria, der „Mutter Europas“, ein spirituelles Netzwerk des Segens über Europa ausspannen. Er möge unsere Wege segnen, die Wege unserer Heimat und die Wege Europas. Er möge sie segnen mit dieser Grundhaltung, dass wir nicht Mauern bauen, sondern Brücken. Das ist die Haltung dessen, was in der Heiligen Schrift mit Reich Gottes gemeint ist.
[1] Die ganze Predigt finden Sie im Internet unter www.bischof-von-feldkirch.at/im-wortlaut
Fatimas Aufruf zur selbstlosen Liebe
Das freiwillige Opfer für andere
In seiner Enzyklika „Mystici Corporis Christi“ über den „mystischen Leib Christi“ vom 29. Juni 1943 schrieb Papst Pius XII.: „Ein wahrhaft schaudererregendes Mysterium, das man niemals genug betrachten kann: dass nämlich das Heil vieler abhängig ist von den Gebeten und freiwilligen Bußübungen der Glieder des geheimnisvollen Leibes Jesu Christi, die sie zu diesem Zweck auf sich nehmen; und von der Mitwirkung, die die Hirten und Gläubigen, besond. die Familienväter und -mütter, unserem göttlichen Erlöser zu leisten haben.“ Die Worte klingen wie ein lehramtliches Echo auf die Botschaft von Fatima. Ehrendomherr Pfr. Dr. Franz Weidemann aus Dortmund spricht sich gegen einen billigen Heilsoptimismus aus und erinnert an unsere Mitverantwortung für das Seelenheil unserer Mitmenschen.
Von Franz Weidemann
In Fatima hat die Gottesmutter zu Gebet und stellvertretender Buße für die Bekehrung der Sünder und für den Frieden in der Welt aufgerufen. Mit welcher Strenge und Konsequenz sich die drei Seherkinder diesen Aufruf zu Eigen gemacht haben, ist mehr als überraschend. Natürlich ist ein solches Übermaß an Opfer und Hingabe des Gebetes nicht zu erklären. Auch die schockierende Höllenvision im Juli 1917 vermag keinen ausreichenden Grund dafür abzugeben. Vielmehr war es die Macht der Liebe, welche die Herzen der Kinder ergriffen und sie zu jedem von Gott gewollten Opfer befähigt hatte. Durch Maria wurde ihnen gezeigt, wie gut Gott ist, wie groß er den Menschen erschaffen und zu welch hohem Ziel er ihn erwählt hat. In diesem Licht erkannten die Kinder die Unheilsmacht der Sünde, welche die Menschen von Gott trennt. So waren die Kinder zu jedem Opfer bereit, um in geheimnisvoller Solidarität der Liebe an der Rettung der Seelen mitzuwirken? Soweit es von ihnen abhängen würde, sollte kein Mensch für ewig verloren gehen! Sie hatten den Wert der Ewigkeit begriffen und erkannt, dass es letztlich nur darauf ankommt, in der Liebe Gottes zu leben und zu sterben. Wenn dies garantiert ist, findet der Mensch sein letztes Glück, seine Seligkeit. Und dazu müssen die Gebote Gottes befolgt werden, welche stets Gebote der Liebe sind. Dann wird auch Frieden werden auf Erden.
Diese Zusammenhänge werden auch im Lauf der Welt- und Kirchengeschichte der vergangenen 100 Jahre sichtbar: Zwei Weltkriege haben unsägliches Unheil hervorgerufen und der Kommunismus hat seine Irrtümer tatsächlich über die Welt verbreitet. Dass er überraschend in vielen Ländern zusammengebrochen ist, heißt noch nicht, dass er endgültig überwunden ist. Materialismus und Gottlosigkeit sind auch im Westen prägend geworden. Der offene und auch schleichend-verborgene Abfall vieler Menschen von Gott haben noch kein Ende gefunden. Die Kirche wurde verfolgt, die Päpste mussten viel leiden und auch jetzt hat der Heilige Vater große Sorgen zu tragen. Angesichts dieser Negativbilanz müssten wir rein menschlich gesehen aufgeben und in Verzweiflung fallen. Genau dies aber ist nicht der Sinn der Botschaft von Fatima!
Die Ereignisse von Fatima sind vielmehr ein Aufruf zur Bekehrung und zum Gebet, um all das viele Unheil, welches die Menschen als Folge der Sünden heimsucht, abzuwenden. Wir müssen Gott darum bitten, er möge sich seines Volkes erbarmen. Niemand weiß, wie viel Gutes tatsächlich durch so viele stille Beter und opferbereite Menschen in den letzten Jahren und Jahrzehnten schon bewirkt worden ist und in Zukunft noch weiter geschehen wird. Gott, der die Herzen kennt, wirkt machtvoll auch in unserer Zeit. Der Arm des Herrn ist nicht verkürzt, sondern er gießt reiche Gnaden in die Herzen der Menschen aus. Erst in der Ewigkeit werden wir die Frucht alles Betens und Opferns sehen dürfen, d.h. wie viele Menschen sich zu Gott bekehrt, neu zum Glauben gefunden und ihr Heil erlangt haben, weil andere für sie gebetet und geopfert haben!
Gleichzeitig ruft uns die Gottesmutter in Fatima dazu auf, unsere Zuflucht zum Erlösungsopfer Christi zu nehmen und uns mit ihm in der Eucharistie zu vereinigen. Letztlich ist es nie menschliche Kraft, welche Rettung und Heil bewirken kann: Vielmehr ist es das Opfer, das der Herr am Kreuz dargebracht hat und das auf den Altären vergegenwärtigt wird, wenn der Priester in der Person Christi das heilige Messopfer feiert.
Mit der ganzen Kraft und Innigkeit ihrer mütterlichen Liebe lädt uns Maria ein, unser Leben in Dankbarkeit als Geschenk Gottes anzunehmen und zu einer Gabe der Liebe für viele zu machen. So wie sie als Jungfrau und Gottesmutter auf Erden dem Heilsplan Gottes treu gedient hat, indem sie geglaubt, gebetet, geopfert und im Herzen gelitten hat, so sollen auch wir in Einheit mit ihr unsere Herzen Gott in Liebe darbringen, damit möglichst viele Menschen gerettet werden.
Das mütterliche Herz Mariens, das in einzigartiger Weise mit Gott verbunden ist, erträgt es nicht, dass Gott von den Sünden der Menschen so sehr und so viel beleidigt wird. Sie erträgt es nicht, dass Seelen verloren gehen, für die ihr Sohn Jesus Christus sein kostbares Blut vergossen hat. Sie erträgt es nicht, wenn die Guten gleichgültig und lau sind. Darum fleht sie uns von Herzen an, umzukehren und endlich zu beginnen, mit Gottes Gnade nach Heiligkeit zu streben. Wenn wir ein Herz haben, dann werden wir die Bitte der Gottesmutter nicht überhören, sondern uns bemühen, ihr nach Kräften zu entsprechen!
Gerade heute ist die Botschaft von Fatima prophetisch! Maria verspricht den Triumph ihres Unbefleckten Herzens. Die Unbefleckte Jungfrau erinnert uns an den Erlösungssieg Christi und lädt uns durch die drei Seherkinder ein, selbst aktiv auf diesen Sieg hinzuarbeiten: durch Gebet und Sühne. Altabt Dr. Anton Nadrah OCist von Stična in Slowenien und langjähriger Theologieprofessor in Ljubljana hat die Geschehnisse von 1917 auf begnadete Weise zusammengefasst.[1] Er führt den Leser behutsam ein in die Geheimnisse von Fatima und gibt so Antwort auf die Frage, warum Christus durch Maria triumphieren wird.
Von Anton Štrukelj
Die Jahrhundertfeier der Marienerscheinungen von Fatima bedeutet eine erfrischende und unerschöpfliche Erneuerungskraft für die Kirche. In der Cova da Iria erschien die „Königin des heiligen Rosenkranzes“ drei Hirtenkindern vom 13. Mai bis 13. Oktober 1917, „um in unserem modernen Zeitalter zu uns zu sprechen.“ „Wer glaubt, dass die prophetische Mission Fatimas beendet ist, der irrt sich“, betonte Papst Benedikt XVI. als Pilger am 13. Mai 2010 im großen Wallfahrtsort Portugals und brachte aller Welt ins Bewusstsein, wie sehr sich Maria in Fatima auch an uns wendet. Damals bekundete er öffentlich, wie er sich nach dem „angekündigten Triumph des Unbefleckten Herzens Mariens zu Ehre der Allerheiligsten Dreifaltigkeit“ sehnt. Die Triumphe Gottes, die Triumphe Marias sind leise, aber doch wirklich.
Die Marienerscheinungen in Fatima seien „wie ein Fenster der Hoffnung“ zu sehen, das Gott öffnet, „wenn der Mensch ihm die Tür verschließt“. Diesen berühmten Worten bei seinem Besuch in Fatima im Mai 2010 fügt der Papst emeritus hinzu: „Die Jungfrau Maria ist vom Himmel gekommen, um uns an Wahrheiten des Evangeliums zu erinnern, die für eine lieblose und heilsvergessene Menschheit die Quelle der Hoffnung bilden.“ Gott bereitet diesen Triumph vor, aber unser Mittun ist unentbehrlich. Wir dürfen uns fragen, ob nicht auch wir einen konkreten Beitrag leisten können, damit dieser Triumph zu einer beglückenden Wirklichkeit für die ganze Menschheit wird. Maria lädt uns ein, ihr zu helfen. Es ist eine schöne und verantwortungsvolle Aufgabe, die auf jeden von uns wartet. Christus wird triumphieren, das Reich Gottes kommt näher – durch Maria!
Die dringenden Bitten und Empfehlungen der himmlischen Mutter sind bekannt: das Gebet, die Buße, die Weihe an ihr Unbeflecktes Herz, die Andacht der fünf ersten Samstage. All das finden wir in diesen sechs Schriften von Pater Anton Nadrah auf eine schöne und einladende Art und Weise geschildert. „Wichtig ist dabei, dass die Botschaft, die Antwort von Fatima im Wesentlichen nicht auf bestimmte Andachtsübungen abzielt“, sagt uns Papst Benedikt XVI., „sondern auf die grundlegende Antwort, das heißt die ständige Umkehr, die Buße, das Gebet und die drei göttlichen Tugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe… Seien wir realistisch darauf gefasst, dass das Böse immer angreift, von innen und von außen, aber dass auch die Kräfte des Guten immer gegenwärtig sind und dass letztendlich der Herr stärker ist als das Böse. Und die Muttergottes ist uns eine sichtbare, mütterliche Garantie der Güte Gottes, die immer das letzte Wort in der Geschichte ist.“
Der hl. Johannes Paul II. besuchte Fatima ein Jahr nach dem Attentat, am 13. Mai 1982. Aus Dankbarkeit, dass die Mutterhand (mano materna) ihm das Leben gerettet hat, ließ er die Pistolenkugel in die Krone Marias einfügen und sagte: „Die Botschaft Unserer Lieben Frau von Fatima ist – wenn auch von mütterlicher Sorge und Liebe getragen – stark und entschieden, sie scheint streng zu sein. Es ist so, als ob Johannes der Täufer am Ufer des Jordan sprechen würde. Sie lädt zur Buße ein, sie mahnt, sie ruft zum Gebet auf.“
Im Bericht von der Hochzeit zu Kana finden wir einen schönen Satz, den Maria zu den Aposteln sagt: „Was er euch sagt, das tut“ (Joh 2,5). Das ist ihr schönstes Wort neben ihrem Jawort, Fiat. Ihre ganze Gesinnung ist vielleicht nirgends gegenwärtiger als hier. Was sie selber tut, das empfiehlt sie auch uns. Mit ihrem Glauben erschloss sie die Tür für die Menschwerdung Jesu. Aufgrund ihres Glaubens ist Maria, wie die Ostkirche zu sagen pflegt, Hodegétria (die auf Christus Hinweisende); sie ist Wegweisende zum Glauben, zum Mittelpunkt der hochzeitlichen Liebe Jesu Christi. Maria ist unsere Mutter in der Gnadenordnung: „Diese Mutterschaft Marias in der Gnadenökonomie dauert unaufhörlich fort, von der Zustimmung an, die sie bei der Verkündigung gläubig gab und unter dem Kreuz ohne Zögern festhielt, bis zur ewigen Vollendung aller Auserwählten. In den Himmel aufgenommen, hat sie diesen heilbringenden Auftrag nicht aufgegeben, sondern fährt durch ihre vielfältige Fürbitte fort, uns die Gaben des ewigen Heils zu erwirken. In ihrer mütterlichen Liebe trägt sie Sorge für die Brüder ihres Sohnes, die noch auf der Pilgerschaft sind und in Gefahren und Bedrängnissen weilen, bis sie zur seligen Heimat gelangen. Deshalb wird die selige Jungfrau in der Kirche unter dem Titel der Fürsprecherin, der Helferin, des Beistandes und der Mittlerin angerufen“ (LG 62).
Maria ist immer mit uns als Mutter der Barmherzigkeit und Güte. Im Jubiläumsjahr ihrer Erscheinung in Fatima ist sie uns noch besonders nahe. Sie ruft uns zu: „Was er euch sagt, das tut.“ Das Buch von Altabt Prof. Dr. Anton Nadrah aus der Zisterzienserabtei Stična/Sittich in Slowenien möge wie das Samenkorn auf guten Erdboden fallen und reiche Frucht bringen!
[1] Anton Nadrah OCist: Fatima – Christus wird durch Maria triumphieren, Pb., 79 S., 7,90 Euro + 2,50 Euro Versandkosten, ISBN 978-3-903118-31-7, Be&Be Heiligenkreuz, Tel. 0043-2258-8703-400, E-Mail: bestellung@bebeverlag.at
Warum machte sich Maria so eilends auf den Weg zu Elisabeth?
Mariä Heimsuchung
Die frühe Kirche feierte den Besuch der Jungfrau Maria bei ihrer Verwandten Elisabeth (vgl. Lk 1,39-56) nur im Rahmen der Adventsliturgie. Der hl. Bonaventura führte das Fest 1263 zunächst im Franziskanerorden ein. Als Termin wurde der Tag nach der Oktav Johannes‘ des Täufers gewählt, also der 2. Juli. Damit wurde der Akzent auf die theologische Tradition gesetzt, dass bei der Begegnung von Maria und Elisabeth das Kind Jesus seinen Vorläufer Johannes schon vor dessen Geburt geheiligt, also von der Erbsünde befreit und mit Gnaden erfüllt hat. 1389 wurde das Fest vom Papst auf die ganze Kirche ausgeweitet. Im deutschen Sprachraum wird es weiterhin am 2. Juli begangen, während es im römischen Generalkalender seit 1970 am 31. Mai verzeichnet ist.
Von P. Suitbert Jaspers OSB
Warum besuchte Maria ihre Verwandte Elisabeth? Warum eilte sie zu ihr? Man könnte sagen, Maria wollte ihrer Verwandten, die ein Kind erwartete, beistehen und ihr bei der Geburt ihres Kindes helfen. Aber davon wird im Evangelium kein Wort erwähnt. Gewiss: Elisabeth war im sechsten Monat und Maria blieb drei Monate bei ihr. Doch der Grund für die Reise Marias zu Elisabeth war offensichtlich etwas ganz Anderes.
Man muss sich einmal die Situation von damals vorstellen: Israel hatte fast 2000 Jahre lang auf den Messias, den Retter, gewartet. Immer wieder haben die Propheten sein Kommen verheißen. Und das Volk spürte: Jetzt ist die Zeit für die Ankunft des Messias reif geworden.
Und plötzlich erscheint der Engel Gabriel der Jungfrau Maria und verkündet ihr: DU bist die Begnadete, du bist die Auserwählte, du wirst die Mutter des Messias sein. Diese Botschaft muss Maria wie ein Blitz getroffen haben! Damit hatte sie doch niemals gerechnet. Das war für sie unvorstellbar. Sie war ein unbekanntes Mädchen, aus dem kleinen Ort Nazareth, vielleicht 14 Jahre alt. Sie hatte schon andere Pläne. Und jetzt wird sie plötzlich aus dem Gleis geworfen. Plötzlich war alles anders. Plötzlich steht sie im Mittelpunkt der ganzen Heilsgeschichte.
Ich denke, einerseits war Maria von unfassbarem Glück erfüllt, geradezu überschüttet, andererseits so überrascht, dass sie nicht wusste, wie ihr geschieht und was das alles bedeutet, was sie nun machen soll und wie es weitergeht. So fragte sie den Engel: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Diese Frage ist kein Zweifel an der Botschaft des Engels. Nein, Maria hat geglaubt. Und gerade deswegen fragt sie, was sie tun soll, um der Botschaft gerecht zu werden, um dem Willen Gottes zu entsprechen.
Maria konnte ja nicht auf die Straße gehen und den Leuten sagen, ihr sei ein Engel erschienen mit der Botschaft, dass sie die Mutter des verheißenen Messias sei. Man hätte sie doch ausgelacht und für verrückt erklärt. Oder sollte sie gar zum Hohenpriester gehen? Das alles war doch unmöglich. Die Auserwählung hat Maria innerlich einsam und hilflos gemacht. Sie konnte ihr Geheimnis niemanden anvertrauen. Sie wusste nicht, wie ihr geschah und wie es weitergehen sollte.
Aber in dieser ihrer inneren Not hat ihr der Engel doch einen Hinweis gegeben und gesagt: „Auch Elisabeth, deine Verwandte, hat ein Kind empfangen, obwohl sie schon alt war und als unfruchtbar galt, denn bei Gott ist nichts unmöglich.“ Jetzt wusste Maria: Auch Elisabeth ist in dieses wunderbare Erlösungsgeschehen mit einbezogen. Auch sie hat ein Kind auf außergewöhnliche Weise empfangen. Freilich, nicht durch das Wirken des Heiligen Geistes, aber doch auf wunderbare Weise, denn sie war ja schon alt und unfruchtbar. Zu ihr musste Maria gehen, mit ihr musste sie sprechen, ihr konnte sie ihr Geheimnis anvertrauen. Und deshalb eilte sie zu ihr. Es wird eigens betont: Sie eilte. Wenn Maria bei Elisabeth nur hätte helfen wollen, hätte sie nicht zu eilen brauchen, denn es waren ja noch drei Monate Zeit bis zur Geburt des Kindes. Sie eilte, denn es brannte in ihrem Herzen. Sie musste doch mit jemanden sprechen über ihr Glück und darüber, was sie tun sollte und wie es weitergehen sollte.
Und so begegnen einander die beiden gesegneten Frauen und ihre Kinder. Eine wunderschöne Begegnung! Schon bei der Begrüßung durch Maria hüpfte das Kind im Schoß der Elisabeth. Und Elisabeth spürte: Das ist keine gewöhnliche Begegnung wie sonst. Nein, hier ist Gott am Werk! Unwillkürlich denkt man an David, der vor der Bundeslade hüpfte und tanzte. Und jetzt kommt Maria, die Bundeslade des Neuen Testamentes, die den Herrn in sich trägt, zu Elisabeth und da hüpft das Kind in ihrem Leib wie damals David vor der Bundeslade. Sind das nicht wunderbare Zusammenhänge?
Und vom Heiligen Geist erfüllt ruft Elisabeth aus: „Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“ Woher wusste Elisabeth, dass Maria die Mutter des Herrn ist? Der Heilige Geist hatte es ihr offenbart. Und für Maria waren diese Worte eine Bestätigung ihrer Gottesmutterschaft. Diese Bestätigung hat sie wohl auch gebraucht: Sie hat die Verkündigung durch den Engel nicht geträumt, es war keine Täuschung. Nein, der Herr hat wirklich in ihr menschliche Gestalt angenommen. Sie ist die Erwählte, die Begnadete, die Mutter des Messias.
Und jetzt jubelt Maria voller Freude ihr „Magnifikat“: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.“ Sie weiß und bekennt: „Ich bin nur seine niedrige Magd. Aber Er hat an mir Großes getan, so Großes, dass mich jetzt alle Geschlechter selig preisen werden.“ Das sagt ein Mädchen von 14 Jahren. Damit schließt sich der Kreis zu uns hier und heute, zu uns, die wir der Mutter Maria gedenken. Denn zu „allen Geschlechtern“ gehören auch wir. Jedesmal wenn wir das „Ave Maria“ oder den Rosenkranz, den Engel des Herrn oder das Magnifikat beten, erfüllen wir diese Prophezeiung und preisen Maria selig. Dann sind wir mitten hineingenommen in die Szene, nicht nur als Zuschauer im Abstand von 2000 Jahren, sondern wir sind mit auf der Bühne, nicht nur als Statisten, sondern als Mitwirkende, als Mithandelnde, als Erfüller dieser Prophetie.
Ist das nicht großartig! Es ist also Gegenwart, auch wenn 2000 Jahre dazwischen liegen. Wir preisen Maria selig, weil Gott an ihr Großes getan hat, weil er in ihr menschliche Gestalt angenommen hat, weil sie die Muttergottes ist. Wir preisen sie selig, weil sie uns den Erlöser gebracht hat.
Gibt es Wunder? Richard Theisen meint: Ja! Am eigenen Leib hat er erfahren, wie immer wieder Dinge passierten, die mit der reinen Vernunft nicht zu erklären sind. Andere mögen einwenden, dass es sich dabei eher um Zufälle handele, doch für den Autor ist klar: Nein, es ist das Wirken Gottes, das auch in den kleinen Geschehnissen des Alltags immer wieder zum Vorschein kommt. Man muss es nur erkennen und annehmen. Das hat freilich auch bei dem Autor lange Zeit gedauert. Viele Jahre ignorierte er die Zeichen, bis für ihn immer klarer wurde: Hier wirken Kräfte, die mit Größerem zu tun haben müssen als mit dem Verstand. In diesem Buch legt Richard Theisen Zeugnis ab über die kleinen und großen Wunder in seinem Leben.[1]
Von Richard Theisen
Lobpreislieder auf der Lokomotive
Ich kam als Lokführer mit einem Eilzug aus einer 200 km entfernten Großstadt und hatte wegen Anschluss 12 Minuten Verspätung und war bemüht, diese herauszufahren, doch plötzlich griff ich auf freier Strecke zur Bremse und bremste den Zug etwas ab. Dann schalt ich mich selbst mit den Worten: „Mensch, du hast doch Verspätung, was bremst du den Zug ab?“ Ich löste die Bremse aus und fuhr mit Tempo weiter.
Nach der nächsten Kurve sah ich des Rätsels Lösung. Es waren gerade sechs Kinder verbotenerweise über das Gleis gegangen, das letzte verließ gerade die Schienen. Durch die unerklärliche Bremsung war eine Zeitverzögerung entstanden und keines der Kinder kam zu Schaden! Wäre also die Bremsung nicht erfolgt, so hätte es keine Hoffnung für die Kinder gegeben, denn ein Zug hat einen langen Bremsweg!
Seltsamerweise passierte dies gerade in der Höhe meines Wohnortes, wo meine liebe Frau gerade einen Rosenkranz betete! Ich selbst war bei meinen Fahrten ständig beim Lobpreis-Singen, weil sich dies mit dem D-Dur-Gebrumm der Fahrmotoren so anbot!
[1] Richard Theisen: Meine wunderbare Welt – Himmlische Zufälle, geb., 112 S., 13,5 x 20,5 cm, 8,90 Euro (D), ISBN 978-3-86460-363-1, od. direkt bei R. Theisen, Weiherstraße 54, 66640 Namborn.
Jubiläumsfeier der Charismatischen Erneuerung in Rom
Ermutigung pur vom Papst
Die Charismatische Erneuerung in der Katholischen Kirche (CE) feiert dieses Jahr ihr 50-jähriges Bestehen. Als Geburtstag gilt das sog. „Duquesne-Wochenende“ vom 16. bis 18. Februar 1967 im amerikanischen Pittsburgh. Dort erlebte eine Gruppe von Studenten bei Einkehrtagen eine außerordentliche „Berührung“ mit dem Heiligen Geist. Inzwischen gehören weltweit rund 120 Millionen Katholiken dieser Bewegung an. Unter allen christlichen Konfessionen macht der Anteil der charismatisch geprägten Gläubigen mehr als 25 Prozent aus. Karl Fischer, Geschäftsführer der CE Deutschland, berichtet von der Jubiläumsfeier mit Papst Franziskus in Rom.
Von Karl Fischer
Aus allen Teilen der Welt, aus 120 Ländern, waren 50.000 Mitglieder und Freunde der Charismatischen Erneuerung zu Pfingsten nach Rom gekommen. Unter ihnen waren etwa 50 Bischöfe und 1.000 Priester. Aus Deutschland kamen rund 500 Teilnehmer. Seit 50 Jahren gibt es die Charismatische Erneuerung als Bewegung in der katholischen Kirche und Papst Franziskus hatte eingeladen, das Jubiläum in Rom zu feiern. Erstaunlich, dass der Papst selbst vorgeschlagen hatte, den Höhepunkt der zahlreichen Veranstaltungen – diese hatten bereits am Mittwoch vor Pfingsten begonnen – nicht auf dem Petersplatz, sondern auf dem Circus Maximus, dem Ort der frühchristlichen Märtyrer im Herzen von Rom zu begehen. Und er hatte gewünscht, dass zu dieser Feier Christen aus anderen Konfessionen, einschließlich der Pfingstler, eingeladen würden. Offensichtlich wollte er mit ersterem die Wichtigkeit des persönlichen Glaubenszeugnisses unterstreichen, welches ein großes Anliegen in der Charismatischen Erneuerung ist. Und mit letzterem hat er die ökumenische Berufung der Charismatischen Erneuerung unterstrichen. Die Ursprünge der katholischen Charismatischen Erneuerung (CE) liegen in der Begegnung katholischer Studenten und Professoren mit charismatischen Christen aus anderen christlichen Traditionen.
Am Freitag traf man sich, um auf die Anfänge zurückzuschauen und wie sich die Charismatische Erneuerung in der Kirche entfaltet hat. Musikgruppen aus verschiedenen Ländern führten die Menschen in den Lobpreis Gottes, die trotz der heißen Temperaturen mit Leib und Seele und großer Freude feierten. David Mangan und Patti Mansfield, die bei den ersten „charismatischen Einkehrtagen“ 1967 in Pittsburgh (USA) einen tiefe Begegnung mit Gott erlebt hatten, die man als „Taufe im Heiligen Geist“ bezeichnet, gaben von ihrem Erleben Zeugnis. Anschließend feierte der Präsident des Päpstlichen Rates für die Laien, Kardinal Kevin Joseph Farrell, mit den rund 30.000 Menschen die Eucharistie.
Am Samstag kamen dann nochmal deutlich mehr Menschen zur Jubiläumsveranstaltung mit Papst Franziskus. Nach einer Zeit des Lobpreises und Gebets erläuterte Pater Raniero Cantalamessa OFMCap, der Prediger des Papstes, das Pfingstereignis und unterstrich in seiner Ansprache die ökumenische Berufung der charismatischen Bewegung: „Das pfingstliche und das charismatische Phänomen hat eine besondere Berufung und Verantwortung im Blick auf die Einheit der Christen.“
Pastor Giovanni Traettino, Pfingstpastor aus Caserta bei Neapel und ein Freund des Papstes, nannte es in seiner Ansprache „unvorstellbar“, wie sehr die Einheit unter den Christen charismatischer Prägung in den letzten Jahren gewachsen sei.
Papst Franziskus unterstrich drei Dinge, die er für unverzichtbar für die charismatische Bewegung hält: die „Taufe im Heiligen Geist“ – im Kern die Erfahrung der Liebe Gottes (vgl. Röm 5,5) – mit den Menschen zu teilen; die Kraft des Lobpreises; den Dienst an den Menschen, besonders den Armen. Er sprach erneut von der Charismatischen Erneuerung als einem „Strom der Gnade“, der in die Kirche geflossen sei. Und er betonte: „Dieser Gnadenstrom ist für die ganze Kirche, nicht nur für einige.“
Auch Franziskus unterstrich die ökumenische Berufung dieser Bewegung, die heute in allen Kirchen zu finden ist – in der katholischen Kirche zählen sich 120 Millionen zu dieser Erneuerungsbewegung –, indem er auf ihren ökumenischen Ursprung verwies und darauf, dass es der Heilige Geist ist, der die Einheit wirkt.
Franziskus am Schluss seiner Rede: „Danke, Katholisch-Charismatische Erneuerung für das, was ihr der Kirche in diesen 50 Jahren gegeben habt. Die Kirche zählt auf euch, auf eure Treue zum Wort, auf eure Verfügbarkeit zum Dienst und auf das Zeugnis eines durch den Heiligen Geist verwandelten Lebens. Mit allen in der Kirche die ‚Taufe im Heiligen Geist‘ zu teilen, den Herrn ohne Unterlass zu preisen, zusammen mit Christen aus verschiedenen Kirchen und christlichen Gemeinschaften im Gebet und im Einsatz für die Bedürftigsten unterwegs zu sein. Den Ärmsten und den Kranken zu dienen, das erwarten die Kirche und der Papst von euch, Katholisch-Charismatische Erneuerung, aber von euch allen, die ihr in diesen Strom der Gnade eingetreten seid! Danke.“
Gaben zum Nutzen anderer und Primat der Liebe
Unter Federführung von Gerhard Kardinal Müller hat die Glaubenskongregation mit Datum vom 15. Mai 2016 (Pfingsten) das Schreiben Iuvenescit Ecclesia über charismatische Gaben in der Kirche veröffentlicht. Abschnitt 5 geht auf die biblischen Charismen ein und erkennt sie für das heutige Leben der Kirche an.
In 1 Kor 12, 7 erklärt Paulus: „Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie nützt“ oder, wie viele Übersetzer anfügen, „damit sie anderen nützt“. Denn die meisten, wenn auch nicht alle Charismen, die vom Apostel erwähnt werden, haben unmittelbaren Nutzen für die anderen. Diese Bestimmung zum Aufbau aller wurde zum Beispiel von Basilius dem Großen treffend ausgedrückt, wenn er sagt: „Diese Gaben erhält jeder mehr für die anderen als für sich selbst […]. Im Leben in Gemeinschaft ist es notwendig, dass die Kraft des Heiligen Geistes, die einer erhalten hat, an alle weitergegeben wird. Wer für sich selbst lebt, mag vielleicht ein Charisma haben, aber er macht es nicht nützlich und lässt es ungebraucht, weil er es bei sich selbst behält“ (Regulae fusius Tractae, 7, 2: PG 31, 933-934). Paulus schließt aber nicht aus, dass ein Charisma nur der Person, die es erhalten hat, nützlich sein kann. Dies ist bei der Gabe der Zungenrede der Fall, die sich in dieser Hinsicht von der Prophetengabe unterscheidet (vgl. 1 Kor 14,4.18-19). Die Charismen, die von allgemeinem Nutzen sind, seien es Charismen des Wortes (der Weisheit, der Erkenntnis, der Prophetie, der Ermahnung) oder des Tuns (der Wunderkräfte, des Dienstes, der Leitung), haben auch einen persönlichen Nutzen, weil ihr Einsatz zum Gemeinwohl bei denen, die sie besitzen, das Wachstum in der Liebe fördert. Paulus schreibt diesbezüglich, dass auch die erhabensten Charismen der Person, die sie erhalten hat, nichts nützen, wenn die Liebe fehlt (vgl. 1 Kor 13,1-3). Ein ernster Abschnitt im Matthäusevangelium bringt dasselbe zum Ausdruck: Die Ausübung der auffälligen Charismen (Prophetie, Exorzismen, Wundertaten) kann leider mit dem Fehlen einer echten Beziehung zum Erlöser einhergehen (vgl. Mt 7,22-23). Deshalb bestehen sowohl Petrus als auch Paulus auf der Notwendigkeit, alle Charismen auf die Liebe auszurichten. Petrus bietet eine allgemeine Regel: „Dient einander als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der Gabe, die er empfangen hat“ (1 Petr 4,10). Paulus sorgt sich vor allem um die Ausübung der Charismen bei den Versammlungen der christlichen Gemeinschaft und sagt: „Alles geschehe so, dass es aufbaut“ (1 Kor 14,26).
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