Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Maria in Erwartung der Geburt ihres Kindes ist ein zentrales Motiv adventlicher Betrachtung. Mit dem Sohn Gottes unter ihrem Herzen stimmte sie bei Elisabeth das „Magnificat“ an. „Meine Seele preist die Größe des Herrn!“ In den Worten dieses Dankliedes leuchtet bereits die ganze Fülle des Geheimnisses der Menschwerdung auf. Schon wenige Tage nach der Empfängnis Jesu in ihrem Schoß steht Maria klar vor Augen, was geschehen ist. Und sie kommt aus dem Staunen nicht heraus, dass Gott durch sie, die einfache und niedrige Magd, in diese Welt kommen will. Mit dem Jubel in ihrem Herzen klingt bereits ihre mütterliche Liebe an, mit der sie neun Monate später das göttliche Kind umfangen wird. So führt uns Maria Weihnachten entgegen. Sie steht im Mittelpunkt der Ereignisse von Bethlehem und will jedem von uns den Weg zu einer gnadenvollen Feier des Festes bereiten. Denn aus der Tiefe ihres Glaubens entspringt ihre vollkommene Hingabe an den neugeborenen Erlöser.

In diesem Licht haben wir das Titelthema dieser Ausgabe gewählt: „Die Mutter der Barmherzigkeit“ – Maria als adventliche und weihnachtliche Gestalt. Dabei gibt uns Mag. Martin Leitner in seinem Leitartikel einen wunderbaren Schlüssel an die Hand. Er verbindet die Sendung Mariens mit dem Geheimnis der göttlichen Barmherzigkeit.

Der hl. Papst Johannes Paul II. hatte in seiner Enzyklika „Reich ist Gott an Barmherzigkeit“ vom 30. November 1980 geschrieben (Nr. 8): „Eine besondere Offenbarung seines Erbarmens ist es, wenn Gott seinen gekreuzigten Sohn dem Erbarmen des Menschen anempfiehlt. Christus ist als Gekreuzigter das Wort, das nicht vergeht (vgl. Mt 24,35), derjenige, der an der Tür steht und an das Herz jedes Menschen klopft (vgl. Offb 3,20), der dabei nicht über dessen Freiheit verfügt, sondern die Freiheit zur Liebe zu wecken sucht – nicht nur im Sinne einer Solidarität mit dem leidenden Menschensohn, sondern in bestimmtem Sinn auch als ,Erbarmen‘, das wir ihm ganz persönlich bezeugen. Konnte im Rahmen des messianischen Programms Christi, im Lauf der Offenbarung des Erbarmens durch das Kreuz die Würde des Menschen mehr geachtet und erhoben werden als dadurch, dass er, der Erbarmen findet, zugleich ,Erbarmen schenken‘ darf?“ Und Johannes Paul II. betont, dass wir darin „in gewissem Sinn eine Synthese der ganzen Frohbotschaft, des ganzen ,wunderbaren Austausches‘ (admirabile commercium)“ zwischen Gott und Mensch finden.

Leitner wendet nun diesen Kerngedanken auf Maria als Mutter der Barmherzigkeit an: „Die große Wende (vom Alten zum Neuen Testament) geschah mit der Menschwerdung, als Gottes Barmherzigkeit für den Menschen sich in der Tatsache zeigte, dass Er es einem menschlichen Geschöpf gewährte, Ihm Mutter zu sein und als solche eine aus dem tiefsten Inneren kommende ‚barmherzige‘ Zuneigung für Ihn zu empfinden.“

Dietrich Bonhoeffer nannte das „Magnificat“ das „leidenschaftlichste, wildeste, ja man möchte fast sagen revolutionärste Adventslied, das je gesungen wurde“. Er, der immer mehr ins Fadenkreuz der Nazis geraten war und schließlich als Märtyrer am Galgen starb, klammerte sich an die Verheißungen, mit denen Maria die Ankunft des Erlösers angekündigt hatte. Die hochmütigen und finsteren Mächte dieser Welt werden von ihrem Thron gestürzt werden. Doch wird Gott seine Allmacht nur durch die Niedrigkeit seiner Getreuen kundtun. Und letztlich sind Krippe und Kreuz der Weg, auf dem Gott sein eigenes innerstes Wesen offenbart, mit dem er seinem Geschöpf in aller Demut dient und Rettung schenkt.

Liebe Leser, mit dieser Einladung, das Jesuskind mit barmherzigen Augen und voll Erbarmen aufzunehmen, wünschen wir Ihnen an der Hand unserer himmlischen Mutter Maria von ganzem Herzen einen gesegneten Advent und ein gnadenreiches Weihnachtsfest.   

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2018
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Marienfrömmigkeit ist kein Umweg, sondern erschließt das tiefste Geheimnis Gottes

Die Mutter der Barmherzigkeit

Mag. Martin Leitner (geb. 1963) betrachtet die Göttliche Barmherzigkeit im Zusammenhang mit der Jungfrau und Gottesmutter Maria. In welcher Beziehung steht sie als Mutter Jesu Christi zur Barmherzigkeit Gottes? Wie hat sie an der Offenbarung dieses Geheimnisses mitgewirkt? Welche Rolle spielt sie für uns als Mutter der Barmherzigkeit? Diesen Fragen geht Leitner besonders auf dem Hintergrund der Lehrverkündigung des hl. Papstes Johannes Paul II. nach, die in enger Verbindung mit der Botschaft des barmherzigen Jesus an die hl. Schwester Faustyna Kowalska steht. Mag. Leitner, der zunächst als Nachrichtentechniker gearbeitet hatte, begann 1990 sein Theologiestudium und ist seit Herbst 2016 Leiter des Priesterseminars Leopoldinum in Heiligenkreuz bei Wien. Nachfolgend ein Auszug aus seinem Vortrag, den er am 6. Oktober 2018 beim II. Apostolischen Kongress der Göttlichen Barmherzigkeit in Paderborn gehalten hat.

Von Martin Leitner

Das Geschöpf empfindet für Gott Barmherzigkeit

Die Barmherzigkeit ist „das am meisten überraschende Attribut des Schöpfers und des Erlösers“, sagt Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Dives in misericordia“ – „Über das göttliche Erbarmen“ (Nr. 13) und niemand auf Erden hat die Barmherzigkeit auf so radikale und umfassende Weise erlebt, wie die selige Jungfrau Maria.

Wenn das Alte Testament diesen so „mütterlichen“ Ausdruck benutzte, sprach es stets von einer aus dem tiefsten Inneren kommenden Zärtlichkeit Gottes für seine Geschöpfe. Es hat aber niemals gewagt zu sagen, dass auch ein menschliches Geschöpf „für Gott Barmherzigkeit empfinden“ konnte. Die große Wende geschah mit der Menschwerdung, als Gottes Barmherzigkeit für den Menschen sich in der Tatsache zeigte, dass Er es einem menschlichen Geschöpf gewährte, Ihm Mutter zu sein und als solche eine aus dem tiefsten Inneren kommende „barmherzige“ Zuneigung für Ihn zu empfinden. Aber das wäre nicht möglich gewesen, wenn Gott nicht schon immer in sich selbst auch „Sohn“ gewesen wäre. Gott hätte diese mütterliche Barmherzigkeit auf Erden nicht empfangen können, wenn nicht seit Ewigkeit im Himmel die Göttliche Person des Sohnes existiert hätte. So offenbart sich in der Weihnachtsikone der Mutter – die in ihren Armen auf unvorstellbare Weise den Gottessohn halten kann, der auch der Menschensohn geworden ist – das „seit Jahrhunderten verborgene Geheimnis“: Der Vater, reich an Barmherzigkeit, sandte seinen eigenen Sohn hinein in jene Schöpfung, die er durch Ihn und in Ihm geschaffen hatte. So schreibt Papst Franziskus in seiner Bulle „Misericodiae Vultus“ – „Das Antlitz der Barmherzigkeit“: „Dazu erwählt, die Mutter des Sohnes Gottes zu sein, war Maria von Anbeginn an von der Liebe des Vaters vorbereitet worden, um die Lade des Bundes zu sein, des Bundes zwischen Gott und den Menschen. In ihrem Herzen hat sie die Barmherzigkeit Gottes bewahrt, in völligem Einklang mit ihrem Sohn Jesus“ (Nr. 24).

Teilnahme an der Offenbarung des göttlichen Erbarmens

Wenn wir also Maria die „Mutter der Barmherzigkeit“ nennen, sagen wir damit, dass sie wie keine andere auf menschliche, zutiefst innige Weise das Geheimnis von „Gottes Sohnsein“ kennt, in dem wir alle zu „Kindern im Sohn“ geworden sind. Bei der Geburt Jesu hält Maria also Gottes Barmherzigkeit in den Armen, auch wenn diese sich erst im Ostergeheimnis voll offenbaren sollte. Hier können wir uns an die herrliche Meditation von Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Über das göttliche Erbarmen“ (Nr. 9) erinnern:

„Maria hat auch auf besondere und außerordentliche Weise − wie sonst niemand − das Erbarmen Gottes erfahren und ebenso auf außerordentliche Weise mit dem Opfer des Herzens ihr Teilnehmen an der Offenbarung des göttlichen Erbarmens möglich gemacht. Dieses Opfer lebt ganz aus der Kraft des Kreuzes, unter das sie als Mutter gestellt war; es ist eine einzigartige Teilnahme an der Selbstoffenbarung des Erbarmens, das heißt an der absoluten Treue Gottes zu seiner Liebe, zu seinem Bund mit dem Menschen, dem Volk und der Menschheit, den er von Ewigkeit her wollte und den er in der Zeit geschlossen hat; es ist die Teilnahme an jener Offenbarung, die im Kreuz ihren Höhepunkt gefunden hat. Niemand hat so wie die Mutter des Gekreuzigten das Geheimnis des Kreuzes erfahren, diese erschütternde Begegnung der transzendenten göttlichen Gerechtigkeit mit der Liebe, diesen ,Kuss‘ zwischen Erbarmen und Gerechtigkeit. Niemand hat wie Maria dieses Geheimnis mit dem Herzen aufgenommen: die wahrhaft göttliche Dimension der Erlösung, die sich vollzog durch den Tod des Gottessohnes auf Golgota zusammen mit dem Herzensopfer seiner Mutter, zusammen mit ihrem endgültigen ,Fiat‘.“

Das Fiat von Weihnachten und das Fiat von Ostern

Wie waren die beiden „Fiat“, die zwei Erfahrungen von Barmherzigkeit in ihr miteinander verknüpft – das Fiat von Weihnachten und das Fiat von Ostern? Betrachten wir sie auf dem Kalvarienberg, direkt am Fuß des Kreuzes, an das man ihren Sohn genagelt hatte. Die Jünger waren geflohen, und es waren nur einige Frauen bei ihr geblieben, die Jesus treu waren und ihn liebten, sowie Johannes, der Lieblingsjünger Jesu. Sicher war auch Maria von der Finsternis umgeben, die die Welt verdunkelte. Die grausamen Folterqualen ihres Sohnes zerrissen ihr das Herz, aber ihre Seele war verwundet durch das unerklärliche Schweigen des Himmels. Sie kannte das Geheimnis von Jesu Empfängnis, sie wusste, dass er Gott zu Recht seinen Vater nannte; sie wusste, dass ihm ein Reich ohne Ende verheißen war. Aber dort am Kreuz schien der Sohn umsonst zu beten. Jesus sagte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen…!“ Und Maria wusste, dass er einen Psalm betete. Sie konnte sogar die Worte mitbeten, aber ihr schauderte bei dem bloßen Gedanken an die Verse, die sofort danach folgten: „Du bist es, der mich aus dem Schoß meiner Mutter zog, mich barg an der Brust meiner Mutter. Von Geburt an bin ich geworfen auf dich, vom Mutterleib an bist du mein Gott. Sei mir nicht fern, denn die Not ist nahe, und niemand ist da, der hilft!“

Maria wusste, wie sehr all diese Worte – jedes einzelne – wahr waren, wortwörtlich wahr! Sie stand unter dem Kreuz, um sie mit dem Wunder ihrer ewigen Jungfräulichkeit zu bezeugen. Sie war die Mutter, die ihren Schoß Gott dargeboten hatte. Aber Gott, der Vater, schwieg. Erst im letzten Augenblick, bevor er sein „Es ist vollbracht“ ruft und sich dem Vater mit einem letzten Impuls seines Sohnseins anvertraut, enthüllt Jesus selbst das Geheimnis. Der Himmlische Vater hat den Sohn hingegeben „zum Heil für alle“, hat Ihn aus Liebe in die Hände der Sünder gegeben, und der Sohn hat dem nicht nur freiwillig zugestimmt, sondern wollte auch, dass seine irdische Mutter diesem süßen und furchtbaren Tausch zustimmte.

Die Unbefleckte Empfängnis war Frucht des vergossenen Blutes

Und da war noch mehr. Maria verstand jetzt, dass sie selber an diesem Tausch teilhatte. Ihre unbefleckte Empfängnis, jene Gnade, die sie von jeher umfing, war Frucht dieses Blutes, das ihr Sohn vergossen hatte. Und zum ersten Mal spürte sie mit ihrer ganzen Existenz, dass sie wahrhaft die „Tochter des Sohnes“ war, von Ihm gemacht, von Ihm erlöst. „Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn. Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter!“ Und von jener Stunde an akzeptierte Maria, mit der Leidenschaft der Zuneigung und einer neuen Geburt, die Mutter „ihres Sohnes Johannes“ zu sein und die Mutter aller Gläubigen, die er symbolisierte. Wie es der Katechismus der Katholischen Kirche sagt: „Zu Füßen des Kreuzes wird Maria erhört. Denn sie ist die Frau, die neue Eva, die wahre ,Mutter der Lebendigen‘“ (Nr. 2618), und von da an wusste die Kirche, dass sie eine Mutter hat, und Maria wusste, dass sie unzählige Kinder hat, die sie stets anrufen würden: „Gegrüßet seist du, Königin, Mutter der Barmherzigkeit: unser Leben, unsere Wonne und unsere Hoffnung, sei gegrüßt! Zu dir rufen wir, verbannte Kinder Evas, zu dir seufzen wir, trauernd und weinend in diesem Tal der Tränen. Wohlan denn, unsere Fürsprecherin, wende deine barmherzigen Augen uns zu, und nach diesem Elend [d.h. diesem Exil, diesem Leben in der Fremde] zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes, O gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria.“

Ein wenig möchte ich noch diesen wohl zu den schönsten Mariengebeten gehörenden Lobpreis der Mutter der Barmherzigkeit betrachten. In wunderschönen Melodien wird er am Ende des Tages in verschiedenen Klöstern gesungen, oft mit einer kleinen Lichterprozession zur Madonnenstatue im Kreuzgang verbunden.

„Wende deine barmherzigen Augen uns zu!“ Bei diesen Worten denke ich an den hl. Josemaría Escrivá, der mit dem letzten Blick auf die kleine Madonnenstatue in seinem Zimmer in die Ewigkeit einging, im tiefen Bewusstsein, im gläubigen Vertrauen darauf, dass der liebevolle Blick Mariens, ihre „barmherzigen Augen“, ihn geleiten wird auf dem Weg zum Vater.

Wir dürfen auch an die Worte des hl. Märtyrers Maximilian Maria Kolbe denken, der in der Hölle von Ausschwitz für einen Familienvater sein Leben hingegeben hat, der während seiner Studienzeit in Rom in sein Tagebuch schrieb: „Muttergottes, halte mich ganz fest, sonst stürze ich in den tiefsten Abgrund der Sünde!“

Eines der schönsten Gebete der Christenheit – leider viel zu wenig bekannt und verwendet – wird bei den Sterbenden gebetet, es kann auch heute noch verwendet werden: „Profiscere, anima Christiana“ – „Brich auf, christliche Seele“. Im Moment des Sterbens wird gebetet, dass Maria dem Sterbenden entgegenkomme und ihn mit ihren barmherzigen Augen ansehen möge. Was muss das sein, ihren Augen, ihrem Blick zu begegnen!

Wie war das, bei Bernadette Soubirous († 1879) oder den drei Kindern von Fatima? Doch es sind nicht die Seher allein, es gibt ein überwältigendes Zeugnis von Menschen aller Völker, dass Maria überall, in allen Ländern der Erde als „Mutter der Barmherzigkeit“ aufgesucht und geliebt wird.

Wir bergen uns im Mutterschoß der Gottesgebärerin

Sie kennen sicherlich auch das „Sub tuum praesidium“ – „Unter deinen Schutz und Schirm“ – es ist eines der ältesten überlieferten Mariengebete. Die ältesten erhaltenen Fassungen dieses Gebets (auf Papyrus) haben eine schöne Besonderheit. Der Beginn lautet nicht „Unter deinem Schutz und Schirm“, sondern „Unter deine Barmherzigkeit fliehen wir, Gottesgebärerin“.[1] Das Wort eusplanchnía meint den guten Mutterschoß, die „Eingeweide des Wohlwollens“, also das Mutterherz im vollsten Sinn: „Zu deinem Mutterherzen flüchten wir, in deinem Mutterschoß bergen wir uns.“ Alles, was die Mutter ausmacht, ist angesprochen: ihr Blick, ihr Herz, ihr Schoß.[2]

Bei seinem letzten Polen-Besuch sagte Papst Johannes Paul II. in Kalwaria Zebrzydowska, dem von ihm so geliebten Wallfahrtsort nahe seiner Geburtsstadt und nahe Krakau: „Wie oft habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Mutter des Sohnes Gottes ihre barmherzigen Augen auf die Sorgen des bekümmerten Menschen richtet und ihm die Gnade erwirkt, schwierige Probleme zu lösen, und dass er, in der Kleinheit seiner Kraft, von Staunen erfüllt wird angesichts der Kraft und der Weisheit der Göttlichen Vorsehung."[3] Das ist die Erfahrung des Papstes, der eine so tiefe, innige Beziehung zur Mutter der Barmherzigkeit hatte.

Steht uns die Gottesmutter näher als Gott selbst?

Was ist das Geheimnis Mariens? Warum berührt sie so unvergleichlich die Herzen? Ist sie uns Menschen näher als der Gott? Näher selbst als der Sohn Gottes? In einer Predigt zum Fest Mariä Geburt sagt der hl. Bernhard von Clairvaux (1153) tatsächlich etwas in diesem Sinn. Das mag verwundern und scheint gewisse Vorurteile zu bestätigen, dass die Marienverehrung sich zwischen Gott und uns dränge und so eine Verfälschung des ursprünglich Christlichen darstelle, weil allein Christus der Mittler des Heils ist. Die Predigt des hl. Bernhard wird uns weiterhelfen:

„Aus tiefstem Herzensgrund, mit der ganzen Liebe unseres Gemütes und aller Hingabe wollen wir diese Maria ehren, denn so ist der Wille Gottes: er wollte, dass wir alles durch Maria haben. Ja, das ist sein Wille, doch für uns. In allem und durch alles sorgt er nämlich für die Elenden: er lindert unsere Angst, weckt den Glauben, stärkt die Hoffnung, überwindet das Misstrauen, richtet den Kleinmut auf. Vor den Vater hinzutreten hattest du Angst; schon allein beim Hören erschrakst du und flohst zu den Blättern: So gab er dir Jesus als Mittler. Was würde ein solcher Sohn bei einem solchen Vater nicht erlangen? Er wird sicher um seiner Ehrfurcht willen erhört werden (Hebr 5,7), denn ,der Vater liebt den Sohn‘ (Joh 5,20). Oder zitterst du auch vor ihm? Dein Bruder ist er und dein Fleisch, er wurde in allem in Versuchung geführt, ohne zu sündigen (Hebr 4,15), ,um barmherzig zu werden‘ (Hebr 2,17). Ihn gab dir Maria als Bruder. Doch vielleicht erschrickst du auch bei ihm vor der göttlichen Majestät, denn obwohl er Mensch wurde, blieb er doch Gott. Willst du auch bei ihm einen Fürsprecher haben? Wende dich an Maria! Reine Menschlichkeit findest du bei Maria, nicht nur rein von jeder Befleckung, sondern auch rein, da sie nur diese Natur besitzt. Und ich möchte sagen, ohne zu zweifeln: Auch sie wird um ihrer Ehrfurcht willen erhört werden. Erhören wird doch der Sohn die Mutter, und erhören wird der Vater den Sohn. Meine lieben Söhne, das ist die Leiter für die Sünder, das meine größte Zuversicht, das der ganze Grund meiner Hoffnung! Wieso denn? Kann der Sohn etwa zurückweisen oder eine Zurückweisung erhalten? Dass er nicht hört oder nicht gehört wird – kann das beim Sohn vorkommen? Sicher keines von beiden! ,Du hast‘, sagt der Engel, ,bei Gott Gnade gefunden‘ (Lk 1,30). Welch ein Glück! Immer wird Maria Gnade finden, und nur Gnade ist es, was wir brauchen. Die kluge Jungfrau verlangte nicht nach Weisheit wie Salomo, nicht nach Reichtum, nicht nach Ehren, nicht nach Macht, sondern nach Gnade. Allein die Gnade ist es nämlich, durch die wir gerettet werden."[4]

Marienfrömmigkeit ist kein Hindernis und kein Umweg

So können wir abschließend sagen: Wo wir Maria als Mutter der Barmherzigkeit verehren, sind wir einerseits direkt verwiesen auf ihren göttlichen Sohn, auf diese menschgewordene Barmherzigkeit Gottes, die uns durch die selige Jungfrau gebracht wird. Damit ist Marienfrömmigkeit kein Umweg, Maria steht auch nicht zwischen Gott und uns, sondern sie fördert und begleitet unseren Weg zu einer klaren Erkenntnis der Barmherzigkeit unseres himmlischen Vaters.

Marienfrömmigkeit wird oftmals als Seitenweg oder gar Sackgasse gesehen. Und es mag schon stimmen, dass es so manche überbordende Formen gibt, die vielleicht diesen Eindruck verstärken. Doch mit einem klaren Blick auf die selige Jungfrau, die selbst den Pilgerweg des Glaubens gehen musste, wie das II. Vatikan. Konzil in „Gaudium et Spes“ sagt, die uns Vorbild ist in diesem Pilgerweg des Glaubens, Vorbild in ihrem doppelten Fiat – dem Willen des himmlischen Vaters gegenüber bei der Menschwerdung des Gottessohnes und bei der Selbsthingabe des Erlösers am Holz des Kreuzes –, Vorbild in ihrer Hoffnung gegen alle Hoffnungslosigkeit, in ihrem Mut gegen alle Ängstlichkeit sogar seiner engsten Vertrauten. In der tragischen Stunde des Kreuzes ist sie uns zur Mutter gegeben. Als Brüder und Schwestern dieser menschgewordenen Barmherzigkeit Gottes sehen wir dadurch auch unseren Auftrag: Die Barmherzigkeit zu leben, als Abbild und Spiegelbild jener Barmherzigkeit, die Gott uns erwiesen hat und immer neu erweist.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2018
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Vgl. H. Förster zur ältesten Überlieferung der marianischen Antiphon „Sub tuum praesidium“, in: biblos. Beiträge zu Buch, Bibliothek und Schrift, Bd. 44,2, Wien 1995, 183-192.
[2] Vgl. Christoph Kardinal Schönborn: 8. Katechese über die Göttliche Barmherzigkeit, gehalten im Wiener Stephansdom am 4. Mai 2008, Quelle: www.erzdioese-wien.at
[3] Papst Joh. Paul II.: Homilie am 19. August 2002.
[4] Bernhard v. Clairvaux: Werke, Bd. VIII, 629. 

Gedanken zum 1. Adventssonntag

Wacht und betet allezeit!

Ehrendomherr Dr. Franz Weidemann (Dortmund) zeigt in seiner Betrachtung zum Evangelium am 1. Adventssonntag im Lesejahr C (Lk 21,25-28.34-36), wie der christliche Glaube den endgültigen Anspruch des Lebens ernst nimmt, aber gerade dadurch zu innerer Freiheit und Freude gelangt.

Von Franz Weidemann

Der Witz ist alt, aber nicht schlecht: Es ist Religionsunterricht in der vierten Klasse. Thema ist das Ende der Welt und die Wiederkehr des Herrn. Der Religionslehrer gibt sich alle Mühe, den Kindern die Situation, wie sie uns das Evangelium vor Augen führt (vgl. Lk 21,25-28. 34-36), so eindringlich wie möglich zu schildern. Zum Schluss folgt bei ihm wie immer der Satz: „Hat noch jemand eine Frage?“ – Eine ganze Minute lang liegt die übliche Stille über der Klasse, während der Lehrer etwas enttäuscht in die Runde schaut. Doch dann meldet sich Fritzchen. Der Lehrer ist natürlich hocherfreut: „Ja, bitte!“ – „Ich hätte gerne gewusst, ob wir an dem Tag schulfrei haben!“ Ob der bedauernswerte Lehrer wohl darüber lachen konnte? Auf jeden Fall wurde er aller Illusionen beraubt, von der Schulklasse verstanden worden zu sein.

Wenn wir ausgerechnet am ersten Advent solch ein dramatisches Evangelium hören, besteht die Gefahr, dass die Botschaft auch bei uns nicht so recht ankommt. Advent – da denken wir doch in erster Linie an den Adventskranz, an Licht in dunkler Zeit, wir denken vielleicht an Glühwein und Plätzchenduft, an geschmückte Straßen und Häuser und sicher auch immer häufiger und dringlicher an all die Vorbereitungen auf das bevorstehende Weihnachtsfest. Die vorweihnachtliche Routine hat uns eben fest im Griff. Da wird unsere Routine aber erheblich gestört! Der Evangelist Lukas (21, 25-35) schildert die vielfältigen Zeichen der kommenden Endzeit vor der Wiederkehr des Herrn. Diese Zeichen sind nicht nur unübersehbar, sondern schlichtweg furchterregend: „Die Menschen werden vor Angst vergehen“ (Lk 21,26).

Endzeitstimmung! So könnte man die Atmosphäre beschreiben, welche die biblischen Texte kreieren. Ist es Drohbotschaft statt Frohbotschaft? Macht uns das Evangelium mit seinen Weltuntergangsszenarien und Naturkatastrophen unsere schöne Weltsicht kaputt? An das unausweichliche Ende zu denken, das fällt den Menschen und auch uns Christen immer schwerer. Etwas sperrt sich in uns dagegen. Dabei haben die ersten Christen das Ende eigentlich gar nicht gefürchtet, sondern sogar im Gegenteil herbeigesehnt. Die Bibel mündet in den Stoßseufzer ein: „Maranatha – Komm, Herr Jesus.“ Seltsam. Oder ist vielmehr unsere Haltung seltsam? Was ist daran so beängstigend, wenn es heißt: „Die Verständigen werden strahlen, wie der Himmel strahlt.“ – „Sie werden immer und ewig leuchten wie die Sterne.“ – „Dann wird der Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken kommen.“ – „Er wird die Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen.“ – Wie herrlich muss doch der Himmel sein!

Sicher, auch hier auf der Erde ist es schön. Aber eben nicht immer. Für den biblischen Menschen ist klar: Unsere Heimat ist im Himmel, hier sind wir in der Fremde. Warum freuen wir uns also nicht auf das Ende der Welt? Warum haben wir Angst vor den Dingen, die da kommen sollen? Vermutlich, weil es genau genommen keine Angst vor der Zukunft ist, sondern eine Angst vor unserer eigenen Vergangenheit, vor dem, was wir im Moment, sind. Wer hat sich nicht schon öfter die Frage gestellt: „Was würde ich heute tun, wenn ich wüsste, dass dies mein letzter Tag wäre?“ Mich versöhnen, mich entschuldigen, die Natur genießen, beten, mit Gott ins Reine kommen. Aber – und das ist der entscheidende Punkt – wir tun es nicht. Und deshalb – aufgrund unserer eigenen Inkonsequenz – fürchten wir das Ende. Nicht weil es so schrecklich wäre, sondern weil wir spüren, dass wir uns selber, unseren Mitmenschen und Gott gegenüber nicht gerecht werden.

Angesichts des unausweichlichen Endes sollten wir uns eingestehen, dass unser Leben unvollkommen ist. Wir bedürfen der Umkehr, des täglichen Neuanfangs. Viele ahnen diesen Anspruch, wollen ihn aber nicht wahrhaben. Und so wenden sie sich lieber von Gott und der Kirche ab, um letztlich den Tod zu verdrängen. Unser Empfinden bei Glaubenssätzen wie „Er sitzt zur Rechten des Vaters und wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten“ ist entlarvend. Wir versuchen, ihnen auszuweichen, sie aus Liedern und Gebeten zu streichen. Dies offenbart nur unsere Glaubensschwäche, unseren Hochmut, unseren Egoismus. Das Evangelium jedoch möchte uns wachrütteln, damit wir das Leben ernst nehmen und nicht vertrödeln, uns nicht vertrösten mit einem: „Ab morgen fang‘ ich an, wirklich zu leben!“

In einer Gesellschaft, in der es sich gut leben lässt, ist der Gedanke an den Tod und an das, was danach kommt, etwas Trübseliges. Für einen Menschen aber, der zu leiden hat, ist der Himmel wirklich noch eine Verheißung. Da ist man gar nicht so entsetzt darüber, dass dieses Leben nicht ewig dauert. Und wer Gott ehrlich sucht, wer sich nicht auf faule Kompromisse einlässt, sondern alles von Gott erwartet, braucht auch das Gericht nicht fürchten. Gott wird uns mit seinem liebenden Blick anschauen, er wird all die tiefen Sehnsüchte, die Schwächen, die Leiden, das Bemühen in uns sehen und anerkennen. Wir kennen weder den Tag, noch die Stunde, aber wir wissen, dass wir in Gottes Hand geborgen sind.

Apokalyptische Ängste schüren, ist unverantwortlich, sei es durch Nostradamus oder die Berufung auf die Klimakatastrophe. Oft werden die Menschen unter dem Mantel der Frömmigkeit gelähmt und unfrei gemacht. Der französische Priester Pierre de Caussade hat uns in seinem Buch „Hingabe an Gottes Vorsehung“ ein wunderschönes adventliches Leitmotiv an die Hand gegeben: „Man muss die Vergangenheit der großen Barmherzigkeit Gottes überlassen, die Zukunft seiner Vorsehung, die Gegenwart aber müsst ihr ganz der Liebe Gottes anheimgeben.“ Der Advent lädt uns ein, die Ankunft des Herrn zu erwarten und seine unfassbar große Liebe zu erwidern: „Wacht und betet allezeit!“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2018
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Aufruf zum Sieben-Schmerzen-Rosenkranz

Die „Mutter des Wortes“ von Kibeho

Am 28. November 1981 begannen in Kibeho, einem abgelegenen Ort im Süden Ruandas, Marienerscheinungen. Sie endeten 1989, zumindest was die öffentlichen Erscheinungen betrifft. Am 29. Juni 2001 wurde eine endgültige Erklärung über die offizielle Anerkennung der Erscheinungen der Jungfrau Maria in Kibeho durch den Vatikan für die Gesamtkirche veröffentlicht. Sie gilt allerdings nur für die ersten drei Seher, nämlich die Schülerinnen Alphonsine Mumureke, Nathalie Mukamazimpaka und Marie-Claire Mukangango, die dem Phänomen zunächst sehr abweisend gegenüberstand. Doch gerade Marie-Claire erhielt von der Gottesmutter einen besonderen Auftrag, nämlich den Sieben-Schmerzen-Rosenkranz wieder in Erinnerung zu bringen und der ganzen Welt bekannt zu machen. Er soll nach dem Wunsch der Jungfrau Maria neben dem herkömmlichen Rosenkranz gerade in unserer bedrängten Zeit häufig gebetet werden. Hildegarde Ufitamahoro, die von 1986 bis 1989 wie die drei Seherinnen die „Kibeho High School“ besuchte und aus derselben Pfarrgemeinde wie Marie-Claire stammte, ist Journalistin und Mitbegründerin der Initiative „Mater Dolorosa“. Sie lebt heute in Belgien und sieht ihre Berufung darin, die Botschaften von Kibeho weltweit zu verbreiten. Nachfolgend Auszüge aus ihrem Buch „Die Jungfrau Maria spricht zur Welt. Die Botschaften von Kibeho“.[1]

Von Hildegarde Ufitamahoro

Marie-Claire wurde 1961 als Tochter von Basera und Véronique Nyiratuza in Rusekera in der Pfarrei Mushubi in der Diözese Gikongoro geboren; ihre Pfarrkirche ist der „Mutter der Kirche“ geweiht. Marie-Claire wurde am 12. August 1966 im Alter von fünf Jahren getauft und ging am 15. August 1969 zur Erstkommunion. Gefirmt wurde sie am 22. August 1975. Zur Zeit der Erscheinungen besuchte sie die vierte Klasse des Zweigs für angehende Primarschullehrerinnen an der weiterführenden Schule in Kibeho. Als Seherin ist sie vor allem für die Botschaft des Sieben-Schmerzen-Rosenkranzes der Jungfrau Maria bekannt, die mit einem dringenden Aufruf zur Buße einhergeht.

Am 24. April 1982 fragte Marie-Claire die Jungfrau Maria, warum sie nach Ruanda gekommen sei. Die Gottesmutter erklärte, dass sie nach Ruanda komme, weil es ein armes Land sei: ein Land, in dem man noch demütige Menschen finde, Menschen, die sie lieben. Gott sei nicht nur ein Gott der Fremden, wie manche sagen. Sie sagt, sie sei gekommen, um allen Menschen den Weg zu Gott zu zeigen. Außerdem seien alle Menschen, Schwarze wie Weiße, in Gottes Augen gleich. Die Jungfrau Maria spricht das Problem der Rassentrennung an und sagt: „Es darf keine Unterscheidung zwischen den Menschen geben, ob sie weiß sind oder schwarz, sie sind alle gleich.“ Weiter erklärte die Jungfrau Maria Marie-Claire, dass sie von ihrem Sohn gesandt worden sei: „Wenn ich zu euch komme, dann deshalb, weil mein Sohn mich sendet, denn dort, wo der Sohn nicht ist, ist die Mutter an seiner Statt.“

Anteilnahme an den sieben Schmerzen Mariens

Am 25. März 1982 wurde Marie-Claire von der Jungfrau Maria gefragt, was sie über die sieben Schmerzen denke. Daraufhin kommentiert Marie-Claire die einzelnen Schmerzen:

Erster Schmerz: Der greise Simeon prophezeit Maria, dass der Schmerz ihre Seele wie ein Schwert durchdringen wird (Lk 2, 22-35): „Ich hätte gedacht, dass mein Leid nicht zu groß sein würde. Ich hätte mir gesagt, dass ich für das Heil der Welt leiden würde.“

Zweiter Schmerz: die Flucht nach Ägypten (Mt 2,13-15): „Das hätte mir wehgetan. Ich hätte gedacht, dass sie ihn verfolgen, obwohl er sie doch erretten will.“

Dritter Schmerz: die dreitägige Suche nach Jesus (Lk 2,41-52): „Es hätte mir Kummer gemacht, ihn verloren zu haben, der mir alles bedeutete.“

Vierter Schmerz: Maria begegnet ihrem Sohn, der das Kreuz trägt (Lk 23,27): „Der Gedanke, dass mein Kind das Kreuz trägt, obwohl er keinen Fehler begangen hat, wäre ein großer Schmerz für mich gewesen. Selbst wenn es mir vorhergesagt worden wäre, hät-te ich mich vor lauter Kummer nicht an die-se Prophezeiung erinnert.“

Fünfter Schmerz: Maria unter dem Kreuz (Joh 19,25-27): „Mein Schmerz wäre grenzenlos gewesen, wenn ich hätte mitansehen müssen, dass man ihn ans Kreuz schlägt, obwohl er nichts Böses getan hat. Das hätte mir furchtbaren Kummer bereitet. Ich hätte in diesem Augenblick nicht daran gedacht, dass er auferstehen würde.“

Sechster Schmerz: Maria nimmt den leblosen Körper ihres Sohnes in die Arme (Joh 19,38-40): „Mir hätte der Gedanke sehr wehgetan, dass ich nun den leblosen Körper dessen in meinen Armen halte, den ich früher voller Zärtlichkeit an meiner Brust gewiegt habe.“

Siebter Schmerz: Maria am Grab Jesu (Joh 19,41-42). Dem siebten Schmerz fügt Marie-Claire keinen betrachtenden Text hinzu, da sie in diesem Augenblick sieht, wie die Muttergottes weinend, vom Schmerz übermannt und der Ohnmacht nahe, am Grab Jesu steht und unter der Last ihres Kummers zusammenzubrechen droht. Der in unermesslichem Leid versunkene Blick der seligen Jungfrau Maria lähmt sie und lässt sie die Betrachtung nicht fortsetzen. Nachdem sie alles wiederholt hat, was sie bis zu diesem Zeitpunkt über diesen Rosenkranz gelernt hat, erhält Marie-Claire den Auftrag, ihn den anderen beizubringen und damit an der Schule von Kibeho und in ihrer eigenen Heimatpfarrei Mushubi zu beginnen.

Am 27. März 1982 sagte die Jungfrau Maria zu Marie-Claire, dass die Botschaften, die sie in Kibeho mitteilt, für alle bestimmt sind. Sie sagt dies mit den folgenden Worten: „Wenn ich mich jemandem offenbare, um zu ihm zu sprechen, dann will ich mich durch ihn an die ganze Welt wenden. Wenn ich jetzt in die Pfarrei von Kibeho komme, soll das nicht heißen, dass ich nur um der Pfarrei von Kibeho oder des Bistums Butare oder um Ruandas oder Afrikas willen komme. Ich wende mich vielmehr an die ganze Welt.“

Marie-Claire erhält den Auftrag, zum Bischof zu gehen und ihm mitzuteilen, die Jungfrau Maria wünsche, dass die Christen den Sieben-Schmerzen-Rosenkranz lernen und beten, „denn die Welt ist in Aufruhr“.

Am 13. Juni 1982 erklärte die Jungfrau Maria der Seherin Nathalie, wie man den Sieben-Schmerzen-Rosenkranz betet, und sagte ihr, dass sie weitaus mehr als nur sieben Schmerzen erlitten habe. Die sieben Schmerzen, die im Rosenkranz betrachtet werden, seien nur die größten von all ihren Schmerzen. Um den Wert dieses Rosenkranzes zu steigern, soll derjenige, der ihn betet, an Marias Schmerzen Anteil nehmen und sie als seine eigenen empfinden. Er soll ebenfalls mitleiden und sich in Marias Situation hineinversetzen – indem er sich zum Beispiel vorstellt, dass irgendjemand ihm ankündigt, ein Schwert werde ohne jeden Grund sein Herz durchdringen und sein Kind werde getötet werden. Die Jungfrau Maria erklärte Nathalie, dass ihr Herz in diesem Augenblick in zwei Hälften zerrissen wurde. Einen Schmerz nach dem anderen hat die Jungfrau Maria Nathalie auf diese Weise erklärt.

Wahre Umkehr und Buße

Am 28. Mai 1982 gibt die Jungfrau Maria während der Erscheinung Marie-Claire Ratschläge, wie man sich aufrichtig bekehrt: „Um sich zu bekehren genügt es nicht, in den Beichtstuhl zu gehen und danach weiterzumachen wie zuvor. Wahre Umkehr besteht darin, sein Verhalten zu ändern und das Böse, das man getan hat, aufzugeben.“

Dann tadelt sie die Heuchelei im Gottesdienst: „Den Weg Gottes und den Weg Satans gleichzeitig einzuschlagen und auf beiden zu gehen, führt zu nichts. Dich nach außen als Christ zu zeigen, obwohl du es innerlich nicht bist, nützt nichts. Manche sind Heuchler, die einen Weg suchen, um ihre Wünsche erfüllt zu bekommen. Sie hängen an den Gütern der Welt und geben sich beim Beten nicht die geringste Mühe. Sie sprechen ein einziges Gebet und denken, das reicht, und dann kehren sie sofort zu ihren weltlichen Angelegenheiten zurück. Oft beten sie, als ob das nur ein Spiel wäre.“

Am 31. Mai 1982 vertraute die selige Jungfrau Maria Marie-Claire in Bezug auf den Sieben-Schmerzen-Rosenkranz Folgendes an: „Ich bitte euch, dass ihr Buße tut. Wenn ihr diesen Rosenkranz betet und (seine Geheimnisse) betrachtet, werdet ihr die Kraft zur Buße finden. Heute sind viele Menschen nicht mehr in der Lage, um Vergebung zu bitten. Sie schlagen den Sohn Gottes erneut ans Kreuz. Deshalb habe ich euch vor allem hier in Ruanda daran erinnern wollen, denn hier gibt es noch demütige Menschen, die nicht am Reichtum und am Geld hängen. Den Sieben-Schmerzen-Rosenkranz kennt ihr deshalb nicht, weil diejenigen, die ihn gekannt haben, ihn rasch vergessen wollten.“

Wie betet man den Sieben-Schmerzen-Rosenkranz?

Man beginnt mit dem Kreuzzeichen.

Eröffnungsgebet:

Mein Gott, ich bringe Dir diesen Sieben-Schmerzen-Rosenkranz dar, um Dich zu verherrlichen und Deine heiligste Mutter, die selige Jungfrau Maria, zu ehren, ihre Leiden zu betrachten und daran Anteil zu nehmen. Demütig bitte ich Dich, dass Du mir wahre Reue über all meine Sünden verleihst. Gewähre mir Weisheit und Demut, damit ich alle Ablässe empfangen kann, die in diesem Gebet enthalten sind.

Reueakt:

Mein Gott, aus ganzem Herzen bereue ich alle meine Sünden, nicht nur wegen der gerechten Strafen, die ich dafür verdient habe, sondern vor allem, weil ich Dich beleidigt habe, das höchste Gut, das würdig ist, über alles geliebt zu werden. Darum nehme ich mir fest vor, mithilfe Deiner Gnade nicht mehr zu sündigen und die Gelegenheiten zur Sünde zu meiden. Amen.

Gegrüßet seist du, Maria… (3-mal)

Mutter der Barmherzigkeit, erinnere uns alle Tage an das Leiden Jesu.

Die sieben Schmerzen:

1. Der greise Simeon kündigt Maria an, dass ein Schwert des Schmerzes ihr Herz durchbohren wird (Lk 2,22-35).

2. Die Flucht Jesu nach Ägypten (Mt 2, 13-15).

3. Der Schmerz Mariens bei der dreitägigen Suche nach Jesus (Lk 2,41-52).

4. Die Jungfrau Maria begegnet Jesus, der das Kreuz trägt (Lk 23,27).

5. Die Jungfrau Maria zu Füßen des Kreuzes Jesu (Joh 19,25-27).

6. Die Jungfrau Maria nimmt den Leichnam Jesu in ihre Arme (Joh 19,38-40).

7. Die Jungfrau Maria legt den Leichnam Jesu ins Grab (Joh 19,41-42).

Nach jedem Schmerz betet man ein Vaterunser und sieben Gegrüßet seist du, Maria.

Das Schlussgebet:

Königin der Märtyrer, Dein Herz hat so vieles erlitten. Ich bitte Dich um der Tränen willen, die Du in diesen furchtbaren und schmerzensreichen Zeiten vergossen hast, mir und allen Sündern der Welt die Gnade der vollkommenen Reue zu erwirken. Amen.

Am Ende betet man dreimal: Maria, die Du ohne Sünde empfangen wurdest und für uns gelitten hast, bitte für uns.

Dieser Rosenkranz soll nach Möglichkeit täglich, aber vor allem an den folgenden Tagen gebetet werden:

• freitags: zum Gedenken an den Tod Christi;

• dienstags: zum Gedenken an den Wochentag, an dem die „Mutter des Wortes“ Marie-Claire zum ersten Mal erschienen ist;

• in der Fastenzeit;

• am Vortag der Feste, die uns an das Leiden Jesu erinnern (z.B. am 14. September: Fest Kreuzerhöhung, und am 15. September: Gedächtnis der Schmerzen Mariens).

Der traditionelle und der Sieben-Schmerzen-Rosenkranz

Am 31. Mai 1982 forderte die Gottesmutter Marie-Claire auf, den Pilgern den traditionellen und den Sieben-Schmerzen-Rosenkranz gleichzeitig zu zeigen, um zu verdeutlichen, dass beide Rosenkränze im Leben der Kirche eine wichtige Rolle spielen.

Zu Beginn der Erscheinung am 15. August 1982 fragte die Gottesmutter Marie-Claire, ob sie den Auftrag ausgeführt habe, die Menschen den Sieben-Schmerzen-Rosenkranz zu lehren. Marie-Claire antwortete, dass die Menschen in ihrer Pfarrei (Mushubi) sich geweigert hätten, weil viele von ihnen sie für verrückt hielten. Marie-Claire erlaubte sich sogar ein Wortspiel mit dem Namen ihrer Heimatregion (i Butebo): „Wir sind wirklich wie leere Körbe (ibitebo), so unwissend, dass sie mich für verrückt gehalten haben, als ich ihnen den Sieben-Schmerzen-Rosenkranz beibringen wollte. Erstaunlicherweise sind gerade diejenigen, die mich so bedrängt haben, von der Gnade ergriffen worden und haben am nächsten Tag selbst angefangen, ihn den anderen beizubringen.“

„Aber ich habe dir gesagt, dass du ihn auf der ganzen Welt verbreiten sollst.“ Später fragte die Gottesmutter: „Warum geben sich die Menschen nicht mehr Mühe mit dem Rosenkranzgebet, ganz gleich, ob es sich nun um den herkömmlichen Rosenkranz oder um den Sieben-Schmerzen-Rosenkranz handelt?“

Die Seherin Nathalie berichtet vom 15. August 1982: „Viele denken, dass der Sieben-Schmerzen-Rosenkranz den normalen Rosenkranz ersetzt hätte oder dass man den Sieben-Schmerzen-Rosenkranz öfter beten sollte als den normalen Rosenkranz.“

„Erkläre ihnen, dass der normale Rosenkranz jeden Tag und der Sieben-Schmerzen-Rosenkranz an zwei Tagen in der Woche, dienstags und freitags, gebetet werden soll. Wann werdet ihr meinem Wunsch nachkommen, wenn ihr nicht auf diejenigen hört, die ich zu euch sende? ,Auf wen?‘ Auf diejenigen, denen ich Botschaften übergebe, damit sie sie den anderen übermitteln.“

Zweimal hat sie wiederholt: „Es wird eine Zeit kommen, da ihr beten, Buße tun und gehorchen wollt, aber es wird zu spät sein, wenn ihr es jetzt nicht tut, wenn ihr nicht jetzt beginnt, euch zu bekehren, und alles zu tun, worum ich euch bitte.“

Die Aufgabe der Priester und Bischöfe

Am 15. September 1982 hatte Marie-Claire ihre letzte öffentliche Erscheinung. Es war zugleich der Gedenktag der Schmerzen Mariens. Die Jungfrau Maria sagte Folgendes über den Sieben-Schmerzen-Rosenkranz: „Da viele Menschen den Sieben-Schmerzen-Rosenkranz bereits kennen oder ihn zumindest kennenlernen können, wenn sie das wollen, werden wir uns nicht mehr vor einem großen Publikum treffen. Zwar werde ich dir von Zeit zu Zeit erscheinen und dich an das eine oder andere erinnern, aber das wird von nun an im Privaten geschehen.“

Die Jungfrau Maria trägt Marie-Claire auf, alle Bischöfe von Ruanda aufzusuchen, um ihnen diese Botschaft zu übermitteln. Die Jungfrau Maria will, dass der Sieben-Schmerzen-Rosenkranz in allen Diözesen des Landes bekannt gemacht wird. Sie fordert die Bischöfe auf, den Priestern ihre Zustimmung zu erteilen, damit diese Mittel und Wege suchen, wie sie den Christen in ihren jeweiligen Pfarreien helfen können, diesen Rosenkranz kennenzulernen und zu beten, ohne fürchten zu müssen, dass sie damit die Gebote der Kirche übertreten.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2018
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Hildegarde Ufitamahoro: Die Jungfrau Maria spricht zur Welt – Die Botschaften von Kibeho, geb., 180 S., 16,95 Euro (D), 17,50 Euro (A), ISBN: 978-3-945-4019-4-1, Bestelladresse: Verlag Media Maria, Tel. 07303-9523310, Fax: 07303-9523315, E-Mail: buch@ media-maria.de

Offizielle Anerkennung der guten Früchte

Medjugorje – eine spirituelle Lunge Europas

Dr. Christian Stelzer ist Arzt für Allgemeinmedizin und Mitglied der Ärztekammer für Wien. Dieses Fachgebiet verbindet ihn mit dem polnischen Erzbischof Henryk Hoser, den Papst Franziskus im Mai 2017 zum Sonderbeauftragten und am 5. Juli 2018 zum Apostolischen Visitator für Medjugorje ernannt hat. Denn Hoser, der 1942 geboren wurde, studierte zunächst an der Medizinischen Akademie in Warschau und erwarb dort 1966 sein medizinisches Diplom. Von 1966 bis 1968 arbeitete er an der Akademie als Assistent am Institut für Anatomie und im folgenden Jahr als Arzt an der Abteilung für Innere Medizin des Kreiskrankenhauses in Ziębice. 1969 trat er in die Gesellschaft des Katholischen Apostolats (SAC) des heiligen Vinzenz Pallotti ein, studierte Philosophie und Katholische Theologie, wurde 1974 zum Priester geweiht, war 20 Jahre lang als Missionar in Ruanda, später auf weltkirchlicher Ebene tätig und leitete von 2008 bis 2017 als Bischof die Diözese Warschau-Praga.

Von Christian Stelzer

Am 31. Mai 2018, dem letzten Tag des Marienmonats Mai, ernannte Papst Franziskus den polnischen Erzbischof Henryk Hoser aus Warschau-Praga zum Apostolischen Visitator für Medjugorje und nahm damit die Geschicke des Pilgerortes in seine Hände. Mit sofortiger Wirkung und auf unbegrenzte Zeit wurde Erzbischof Hoser die Zuständigkeit für die pastorale Entwicklung dieser außerordentlichen Gebetsstätte übertragen.

Etwas mehr als ein Jahr zuvor, am 11. Februar 2017, dem ersten Erscheinungstag von Lourdes und Welttag der Kranken, hatte der Heilige Vater, Papst Franziskus, Erzbischof Hoser zum Sonderbeauftragten für Medjugorje bestimmt, damit er sich ein Bild über die seelsorgliche Betreuung der Pilger und deren Bedürfnisse mache. Die jetzige Mission des Apostolischen Visitators hat zum Ziel, eine ständige und dauerhafte Begleitung der Pfarrgemeinde von Medjugorje und der Gläubigen, die sich dorthin auf Pilgerschaft begeben, sicherzustellen. Der Apostolische Visitator ist Beauftragter des Papstes und mit besonderen und umfassenden Befugnissen und Vollmachten ausgestattet. Er könnte auch für eine gesamte Diözese eingesetzt werden und damit, im Auftrag des Papstes, die gesamte Amtsführung des Diözesanbischofs überprüfen. Die Aufgabe von Erzbischof Henryk Hoser betrifft den Pilgerort Medjugorje.

Mit dem Blick eines Arztes

In den vergangenen Monaten hatte ich Gelegenheit, Erzbischof Hoser zu begegnen. Vor seiner Ernennung durch Papst Franziskus zum Sonderbeauftragten war er nie in Medjugorje gewesen. Dennoch gewann ich im Gespräch den Eindruck, dass er sich bereits ein genaues und unvoreingenommenes Bild von den Ereignissen vor Ort gemacht hatte, mit dem diagnostischen Blick eines Arztes, der er auch ist. Erzbischof Hoser hatte ja vor seinem Eintritt in den Orden der Pallottiner ein Medizinstudium in Warschau absolviert und als Assistenzart gearbeitet. Später wirkte er als Missionar in Ruanda und leitete ein Zentrum für Gesundheits- und Sozialdienste. Er entwickelte ein Programm zur psychischen, medizinischen und sozialen Betreuung von AIDS-Kranken.

Lebensfreude im Hause des Vaters und der Mutter

Seiner Gabe zu einer exakten und objektiven Wahrnehmung entspringen auch seine Aussagen zu Medjugorje. „Nach Medjugorje kommen Pilger von fernen Orten, aus ungefähr 80 Ländern der Welt. Um diese Entfernungen zu überwinden, bedarf es einer festen und tatkräftigen Motivation. Aber warum kommen jedes Jahr so viele Pilger nach Medjugorje?“, stellt Erzbischof Hoser beim feierlichen Gottesdienst anlässlich seiner Amtseinführung in Medjugorje am 22. Juli dieses Jahres vor Tausenden Gläubigen die rhetorische Frage, um dann selbst die Antwort zu geben: „Sie kommen, um jemanden zu treffen, um Gott zu treffen, um Christus zu treffen, um seine Mutter zu treffen. Und anschließend, um den Weg zu erkennen, der sie zur Lebensfreude im Hause des Vaters und der Mutter führt; und schlussendlich, um den Weg Mariens zu erkennen, als den sichersten Weg. Das ist der Weg der Marienverehrung, der sich hier bereits jahrelang vollzieht…“

Dann betont der Erzbischof in seiner Predigt: „So schaut die Religiosität des Volkes in Medjugorje aus: Im Mittelpunkt stehen die Hl. Messe, die Anbetung des Allerheiligsten Sakraments, die fast durchgängige Möglichkeit, das Sakrament der Versöhnung zu empfangen, und dies wird von all den restlichen Formen der Religiosität begleitet: den Gebeten des Rosenkranzes und des Kreuzweges, welche die anfangs spitzen Steine in glatte Fußwege verwandelt haben.“

Medjugorje biete Raum für die göttliche Gnade durch die Fürsprache der Gottesmutter, die an diesem Ort als „Königin des Friedens“ verehrt werde. Und es sei wohl wahr, so der Apostolische Visitator weiter, „dass die Welt Frieden dringend nötig hat: den Frieden im Herzen eines jeden Einzelnen, den Frieden in der Familie, den sozialen Frieden und den internationalen Frieden, so sehr ersehnt durch alle und insbesondere durch die Einwohner dieses Landes, die so sehr durch den Balkankrieg geprüft sind.“

Weltmittelpunkt des Gebetes und der Bekehrung

Einige Tage nach seiner Amtseinführung, am Hochfest des hl. Jakobus, dem Patron der Pfarre Medjugorje, richtete der Erzbischof am Ende des Gottesdienstes einige Worte an die Gläubigen: „Wir Bewohner von Medjugorje haben eine große Verantwortung gegenüber der ganzen Welt. Denn Medjugorje ist wahrhaft zum Weltmittelpunkt des Gebetes und der Bekehrung geworden, und aus diesem Grund hat sich der Heilige Vater dessen angenommen und mich hierher gesandt, um den Franziskanerpatres bei der Organisation der Aufnahme der Pilger an diesem Ort, der eine Quelle der Gnade ist, zu helfen.“

Bereits ein Jahr davor, am 5. April 2017, hatte Erzbischof Hoser – zu diesem Zeitpunkt noch Sonderbeauftragter des Papstes – im Rahmen einer Pressekonferenz betont, dass von Medjugorje ein Licht ausgehe, dessen die Welt bedürfe, eine Welt, die zerbreche und immer mehr in die Dunkelheit falle, um dann mit der Einladung zu schließen: „Ich lade alle ein, hierher zu kommen und die Größe Gottes zu entdecken.“ Später äußerte Erzbischof Hoser seine Überzeugung, dass die Erscheinungen anerkannt werden. „Denn es sei schwer zu glauben, dass sechs Seher seit 36 Jahren lügen würden“, so der Erzbischof.

„Friede, Friede, Friede und nur Friede“

Diese sechs ersten Zeugen der Ereignisse von Medjugorje berichten seit dem 24. Juni 1981 glaubhaft, dass ihnen die Muttergottes als die „Königin des Friedens“ erscheint, um die Menschen zu Gebet, Umkehr, Versöhnung und Frieden aufzurufen. Die Nachricht von diesen außerordentlichen Ereignissen im kommunistischen Jugoslawien hatte sich sofort in Windeseile verbreitet und schon am dritten Tag der Erscheinungen strömten Tausende Menschen auf den Berg Crnica, einen der Hügel, die Medjugorje umgeben. Zwischen Dornen und Granatäpfeln fielen die sechs Jugendlichen auf die Knie und erblickten die „wunderschöne Frau“. An diesem Tag nannte sie ihren Namen: „Ich bin die selige Jungfrau Maria“. Beim Abstieg vom Berg schaute Marija Pavlovic, eine der jugendlichen Seher, ein zweites Mal an diesem Abend die Gottesmutter, die unter Tränen zu ihr sagte: „Friede, Friede, Friede und nur Friede. Zwischen Gott und Mensch soll wieder Friede herrschen. Der Friede soll unter den Menschen sein.“

Verhöre und Verfolgungen durch die Kommunisten

Sehr schnell erkannte die politische Führung im damaligen Jugoslawien die Gefahr, die von diesem religiösen Phänomen auf einen totalitären Staat ausgehen könnte. So begann man, die Seher und deren Familien Schikanen auszusetzen, sie zu verfolgen und zu verhören. Doch selbst die Androhung von Strafen konnte die Jugendlichen nicht davon abhalten, Zeugnis von dem zu geben, was sie auf ganz außergewöhnliche Weise erleben durften. Viele der Dorfbewohner begannen, die Erscheinungen gläubig anzunehmen. Mitglieder der kommunistischen Partei verbrannten ihre Partei-Ausweise. In Anwesenheit des Ortspfarrers versprachen sich die Dorfbewohner in der Kirche von Medjugorje, dass sie jeglichen Streit vermeiden, täglich den Rosenkranz beten und wöchentlich bei Brot und Wasser fasten werden. Die Anwesenheit der Gospa, wie die Kroaten die Gottesmutter liebevoll nennen, erlebten sie als außerordentliches Geschenk, das ihrem Dorf und ihrer Pfarre zuteilgeworden war. „Ihr seid für die Botschaften verantwortlich. Hier ist die Gnadenquelle und ihr, liebe Kinder, seid die Gefäße, die die Geschenke überbringen“, wird einige Jahre später, am 8. Mai 1986, eine Botschaft an die Pfarre lauten. Pfarrer Jozo Zovko OFM, der zu Beginn der Erscheinungen eine Falle der Kommunisten gegen ihn vermutet hatte und erst später, nachdem ihm die Jugendlichen alles berichtet hatten, an die Authentizität der Ereignisse zu glauben begonnen hatte, wurde am 17. August 1981 von den Behörden verhaftet und im Oktober desselben Jahres in einem Scheinprozess zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Der Zugang zum Erscheinungs- und Kreuzberg wurde gesperrt und eine Volksmiliz zur Bewachung aufgestellt.

Aufbruch, der in das Herz der Kirche führt

Doch die Ereignisse waren nicht zu stoppen. Aus der ganzen Welt begannen Gläubige und auch Neugierige den Ort in der Herzegowina zu besuchen. Viele von ihnen erfuhren eine tiefe Erneuerung ihres Glaubens und eine Umkehr zu Gott und begannen ein sakramentales Leben zu führen. Medjugorje wird in den folgenden Jahren zum größten Beichtstuhl der Welt, wo Menschen in langen Schlangen vor den 60 Beichtstühlen geduldig warten, um das Sakrament der Versöhnung zu empfangen – viele von ihnen das ersten Mal nach langer Zeit.

„Ich bezeuge, dass meine Stola täglich nass geworden ist von den Tränen der vielen, denen ich nach Jahren oder Jahrzehnten die Beichte abnehmen durfte“, bezeugt P. Karl Wallner, der bekannte Jugendseelsorger, Zis-terzienserpater und Nationaldirektor der Missio Österreich, um dann fortzusetzen: „Ich kenne viele junge Paare, die von Medjugorje her die Weisheit und den Mut haben, ganz rein in die Ehe zu gehen. Ich kenne Familien, die durch Medjugorje zum Familiengebet motiviert wurden. Unter den Jugendlichen, die ich per Jugendbus nach Medjugorje begleiten durfte, waren je-des Jahr mehrere, die die Gnade einer geistlichen Berufung empfangen haben. Diesen Aufbruch, der in das Herz der Kirche führt, möchte ich als Priester nicht missen.“

Nun ist die Türe für Laien und Priester weit geöffnet

Wallfahrten nach Medjugorje und die weltweiten Gebetstreffen wurden in den vergangenen 37 Jahren der Erscheinungen großteils von Laien organisiert. Offizielle Wallfahrten auf diözesaner Ebene waren seit der Erklärung der Bischöfe Ex-Jugoslawiens im April 1991 untersagt. Beichtpriester in Medjugorje waren rar und als Pilger auf einen Geistlichen zu treffen, der ihm in dessen Muttersprache die Beichte abnehmen konnte, ein reiner Glücksfall. Mit seiner Entscheidung, Erzbischof Hoser als Apostolischen Visitator für Medjugorje zu ernennen, hat Papst Franziskus eine Tür weit geöffnet und den Gläubigen, Laien und Priestern, einen freien Zugang zur Erneuerung und Vertiefung ihres Glaubens geschenkt. Denn, wie Erzbischof Hoser kürzlich in Warschau sagte: „Medjugorje ist die spirituelle Lunge Europas, ein Ort, an dem Millionen Menschen Gott und die Herrlichkeit der Kirche erfahren.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2018
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Fatima und die junge Bundesrepubik (Teil 12)

Zur Adventlichkeit allen politischen Neubeginns

Im 12. Teil ihrer Artikelserie über den unerwarteten Aufstieg der jungen Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg bieten Dorothea und Professor Dr. Wolfgang Koch eine adventliche Betrachtung. Was sind die Voraussetzungen dafür, dass das Reich Gottes in unserer Welt ankommen und Gestalt annehmen kann? Wie konnte es nach einem Dritten Reich mit seinem totalitären NS-Regime, das Deutschland in die Katastrophe eines vollkommenen Zusammenbruchs gestürzt hatte, zu einem religiösen und gesellschaftspolitischen Neuaufbruch kommen? Das Ehepaar Koch sieht dahinter die Kraft des Christentums, die Kraft Christi selbst, die aber einen notwendigen Freiraum braucht, um sich aus den Herzen gläubiger und verantwortungsbewusster Menschen heraus entfalten zu können. Deshalb warnen Dorothea und Wolfgang Koch vor allen totalitären Versuchungen – auch im Gewand eines humanistischen Liberalismus, und plädieren für das persönliche christliche Zeugnis, welches das Staatswesen innerlich mitzutragen vermag.

Von Dorothea und Wolfgang Koch

Ein Gespräch mit Helmut Schmidt (1918-2015), zwei Tage nach seinem Tod erschienen, wirft ein Schlaglicht auf die politisch-religiöse Gegenwart.[1] Wie schon der Titel ankündigt, zeigen sich darin „die letzten Dinge“ eines Liberalismus, den Schmidt auch nach dem Ende seiner Kanzlerschaft (1974-1982) als elder statesman mit philosophischem Anspruch vertrat.

Die „letzten Dinge“ des Liberalismus

„Gott“, „Schicksal“ oder „Nirwana“ nennt Schmidt die Vorstellung, „dass es Dinge gibt, die wir nicht begreifen, und dass sie möglicherweise zusammenhängen“. Christen gelten ihm als primitiv: „ … Bei primitiveren Geistern besteht nun einmal das Bedürfnis, diese Vorstellung eines Zusammenhangs zu personifizieren.“ Respekt zeigt er nicht: „Wie die Jungfrau zum Kind gekommen ist, kann kein Christ wirklich glauben. Aber es wird gelehrt. Und keiner glaubt es. Das sind sehr seltsame Dinge. Es wird gelehrt kraft Autorität, kraft institutionalisierter Autorität. Und natürlich muss auch ein Theologiestudent, der die Hoffnung hat, Gemeindepfarrer und später Propst und noch später Bischof zu werden, so tun, als ob er es glaubt.“

Folgerichtig liegt christdemokratisches Denken nicht im Horizont des Sozialdemokraten: „Das demokratische Prinzip gibt es eigentlich in der Kirche kaum und in der Theologie überhaupt nicht. … Das demokratische Prinzip stammt in Wirklichkeit von den Griechen und wird wiederbelebt durch die Renaissance und die Aufklärung.“ Daher ist es wohl eher ein aufgeklärter Absolutismus, der dem elder statesman vorschwebt: „Ich würde mich immer an Friedrich II. von Preußen halten: Lasst den anderen nach seiner Façon selig werden. Das ist auch der Standpunkt der Chinesen. Sie haben alle Religionen mehr oder minder unbehelligt gelassen. Nur in den allerwildesten Zeiten Maos wurde das vorübergehend anders.“

Als Ideologie „durchaus vorzuziehen“?

Wer die Entwicklungen in China besorgt verfolgt, ist nicht nur über die Verharmlosung der Christenverfolgung verblüfft. Da Schmidt die „Aufgabenteilung zwischen Politik und Religion“ für „eine der großen Schwächen des Christentums“ hält, bevorzugt er den Konfuzianismus: „Im Konfuzianismus, den ich mehr für eine Weltideologie halte als für eine Weltreligion, hat es diese Dichotomie auch nicht gegeben. … Ich wäre glücklich, wir hätten eine Staatsphilosophie wie die Chinesen, wo es diesen Zwiespalt nicht gibt, wo aber auch der Kaiser, der oben darüber schwebt … und vom Himmel abgerufen werden kann. Aber wer der Himmel eigentlich ist, das bleibt ganz unklar, ganz nebulös. Es gibt keine Riten, und für den Himmel werden auch keine Tempel gebaut. … So eine Staatsphilosophie ist in meinen Augen dem ewigen Krieg der Europäer gegeneinander durchaus vorzuziehen.“

Diese Sicht erinnert an das „Projekt Weltethos“ des Schweizer Theologen Hans Küng (*1928), das der Philosoph Robert Spaemann (*1927) scharfsinnig kritisiert: „Küng steht ganz in der Tradition neuzeitlicher Instrumentalisierung der Religion im Dienst der Moral und der Moral im Dienst der Staatserhaltung. … ‚Ethos ist mehr als Recht‘, schreibt Küng. Aber auch für dieses Mehr sollten schließlich die Vertreter der Staatsgewalt zuständig sein. Das genau aber ist die Definition des Totalitarismus."[2] Vor diesem Hintergrund macht der 2015 unterzeichnete „UNO-Weltzukunftsvertrag“ nachdenklich-[3]

Die Hoffnung auf einen Neubeginn

Die Antiphonen, die an den letzten sieben Tagen vor Heilig Abend das Magnifikat der Vesper umrahmen, atmen die Sehnsucht nach dem Christkönig, zu dem Maria hinführt. Von Weihnachten aus gelesen, ergeben die Anfangsbuchstaben „ero cras“ – „Morgen werde ich kommen“: „O Emmanuel, O Rex Gentium, O Oriens, O Clavis David, O Radix Jesse, O Adonai, O Sapientia“. Auf den Weg zur Wiege des Christkönigs führt also am 17. Dezember die göttliche Weisheit: „O Sapientia, quae ex ore Altissimi prodiisti, attingens a fine usque ad finem, fortiter suaviterque disponens omnia, veni ad docendum nos viam prudentiae“ – „O Weisheit, die Du aus dem Munde des Allerhöchsten hervorgegangen bist, die du mit Macht wirkest, die du reichst von einem äußersten Ende bis zum anderen und alles lieblich ordnest, komm, lehre uns den Weg der Klugheit“ (Sir 24,3; Weish 8,1.29).

Das Weisheitsbuch, entstanden wenige Jahrzehnte vor Christi Geburt in der jüdischen Diaspora, antwortet auf eine uns vertraute, „moderne“ Mentalität: „Sie denken nämlich bei sich verkehrt und sagen: ‚Kurz und verdrießlich ist die Zeit unseres Lebens und es gibt keine Rettung beim Ende des Menschen, auch ist keiner bekannt, der aus dem Totenreiche zurückgekehrt wäre. Denn aus nichts wurden wir geboren und werden nachher sein, als wären wir nicht gewesen. … Darum kommt und lasset uns die gegenwärtigen Güter genießen, mit Hast das Geschaffene gebrauchen, solange wir jung sind‘“ (Weish 2,1-2.6).

Für den Philosophen Rüdiger Safranski (* 1945) ist diese Haltung eine Form des Nihilismus: „Die zeitgemäße Form des Nihilismus ist der Konsumismus. Auch wenn man keinen Gott mehr hat, kann man sich immer noch etwas kaufen.“ Nachdenklich macht Safranskis Analyse der Entwicklungslinien: „Aber vergessen wir nicht: Der Protestantismus ist die halbe Wegstrecke zum Nihilismus. Die Religion als äußere Manifestation verliert an Bedeutung und wird in die Innenwelt verlagert, lebt dort eine Weile weiter als religiöse Moral, bis das Religiöse verschwindet und nur noch die Moral übrig bleibt. Irgendwann verschwindet auch die Moral, und man ist beim Nihilismus."[4]

Von der Herrschaft des Christkönigs

Angesichts dieses damals wie heute entmutigenden Mainstreams heißt es von der göttlichen Weisheit, sie breite sich aus von einem Ende zum andern mit Kraft, „fortiter“, und „durchwohne“ – „di-oikeî“, wie es auf Griechisch heißt –, alles „handsam“, „chrês-tôs, suaviter“, also „gefügig, sanftmütig“, so wie Christus uns lehrt, sanftmütig und demütig von Herzen zu sein wie er selbst. Mit diesem Vers erwartet also die Kirche die Ankunft und die Wiederankunft des Christkönigs und betet: „Veni ad docendum nos viam prudentiae“ – „Komm und lehre uns den Weg der Klugheit“. Wie Augustinus erläutert, befähigt die „Kraft“, das Ziel zu erreichen, die „Sanftmut“ aber, dazu solche Mittel zu gebrauchen, die der Natur der mitwirkenden Dinge entsprechen. Mitgedacht sind also „politische“ Konsequenzen, die christliche Gestaltung der Gesellschaft.

Wenn also Christus die Sanftmütigen seligpreist, denen er verheißt, die Erde zu besitzen, scheint er insbesondere diejenigen zu meinen, die in Politik und Gesellschaft, in Beruf und Familie auf naturrechtlicher Grundlage, gemäß „der Natur der mitwirkenden Dinge“, Verantwortung tragen. Für sie betet die Kirche um Klugheit, an sie wendet sich das Weisheitsbuch mit seinem ersten Satz: „Liebet die Gerechtigkeit, ihr Richter der Erde! Denket über den Herrn in Gerechtigkeit und in Einfalt des Herzens suchet ihn. Denn er lässt sich von jenen finden, die ihn nicht versuchen, und offenbart sich jenen, die Vertrauen auf ihn setzen.“

Eine christlich geprägte Gesellschaft

Der Christkönig herrscht „fortiter“ und „suaviter“, kraftvoll und sanftmütig, alles „durchwohnend“, so wie „Kirche“ die Lebenswelt bezeichnet, in der der Herr wohnt – „kyriakê oikía“. Dabei überwältigt der Christkönig nicht, sondern lässt sich von dem entdecken, der sich frühmorgens aufmacht: „Strahlend und unverwelklich ist die Weisheit, und leicht wird sie von denen gesehen, welche sie lieben, und von denen gefunden, welche sie suchen. Ja, sie kommt denen zuvor, die nach ihr verlangen, um sich ihnen zuerst zu zeigen. Wer frühzeitig auf sie achthat, wird keine Mühe haben, denn er wird sie an seiner Tür sitzend finden. … Sie selbst geht umher und sucht die auf, die ihrer würdig sind“ (Weish 6,13-15,17).

Eine christlich geprägte Gesellschaft öffnet Freiräume, in denen die göttliche Weisheit „denen, die sie begehren“, tatsächlich zuvorkommen kann. Sie erleichtert, mit den Schätzen der christlichen Kultur und des religiösen Lebens vertraut zu werden, eine notwendige, freilich nicht hinreichende Bedingung für jenes Suchen und Gefundenwerden. Die Garantie solcher Bedingungen ist die Voraussetzung für jedes von Christen innerlich mitgetragenen Staatswesens. Gefährdungen gehen nicht nur von totalitären Staatsformen aus – wie offenbar in China –, sondern auch von radikalliberalen Gesellschaften, in denen der Glaube in akuter Gefahr ist, spurlos zu verdunsten – wenn auch nicht ohne Schuld kirchlicher Autoritäten.

Aber selbst nach den bisher schrecklichsten Tyranneien gab es einen Neuanfang!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2018
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] H. SCHMIDT (2015): Auch ein Gott kann uns nicht retten – Religion, Politik und der ewige Friede: Ein Gespräch mit Helmut Schmidt über die letzten Dinge, in: FAZ, 12.11.2015, Nr. 263, 11.
[2] R. SPAEMANN (2002): Grenzen: Zur ethischen Dimension des Handelns, Stuttgart, 537f.
[3] sustainabledevelopment.un.org/post 2015/transformingourworld
[4] R. SAFRANSKI (2015): Die Deutschen sind in der Pubertät, in: NZZ, 08.11.2015. 

Neuer Stern im Kreis der Heiligtümer „Maria Mutter Europas“

Marienkapelle am Schauenberg im Elsass

Seit dem Jahr 2007 baut P. Notker Hiegl, Benediktiner-Mönch der Erzabtei St. Martin in Beuron, die Gebetsgemeinschaft „Maria Mutter Europas“ auf. Er selbst hatte als Pfarrer der umliegenden Gemeinden in dem Dorf Gnadenweiler unweit seines Klosters eine Kapelle mit diesem Titel gebaut. Schon bald entwickelte sich die Idee, mit anderen Marienheiligtümern eine Partnerschaft einzugehen, um gemeinsam für die Erhaltung des Christentums in Europa zu beten. Inzwischen hat sich P. Hiegl das Ziel gesteckt, wenigstens 12 Kapellen in diesem Anliegen zu vereinigen und so in Anlehnung an das Bild in der Offenbarung des Johannes einen marianischen Kranz aus zwölf „Sternen“ zu bilden. Nun hat er seine Fühler nach Frankreich ausgestreckt.

Von Notker Hiegl OSB

Seit über zehn Jahren bin ich dabei, eine Gebetsgemeinschaft aufzubauen, die sich der Erhaltung und Neubelebung des christlichen Glaubens in Europa widmet. Dabei versuchen wir die Verehrung der jungfräulichen Gottesmutter Maria als „Mutter Europas“ zu fördern. Nach und nach haben sich verschiedene europäische Heiligtümer unter diesem Titel zu einer Partnerschaft zusammengeschlossen. Vor kurzem habe ich mich in dieser Angelegenheit an den Straßburger Erzbischof Luc Marie Daniel Ravel CRSV gewandt, da wir auch die Marienkapelle am Schauenberg im Elsass in unsere Gemeinschaft aufnehmen möchten.

Die Entwicklung unserer Initiative habe ich dem Erzbischof in einem Brief folgendermaßen dargelegt: „Als Pfarrer gründete ich im Jahre 2007 auf der Schwäbischen Alb bei Beuron eine Wallfahrtskapelle ‚Maria Mutter Europas‘, die jährlich von Zig-Tausenden Gläubigen besucht wird, und in der um die Erhaltung und Vertiefung des christlichen Glaubens in Europa gebetet wird. Ein Priester (Pfr. Erich Maria Fink, Beresniki) aus dem Ural besuchte das Heiligtum und bat um Gebetsgemeinschaft. So entstand ein Kranz von Gebetsstätten, welcher bis heute je ein Heiligtum in Deutschland, Russland, Gibraltar, Island, Malta, Österreich, Ungarn und Serbien umschließt. Nach dem Bild aus der Offenbarung des Johannes (12,1), dem Sternenkranz Mariens, möchte ich nun in zwölf Ländern Europas solch ein Heiligtum wissen.

Überall wurde einer Kirche/Kapelle der Ehrentitel ‚Maria Mater Europae‘ mit einer Plakette übergeben mit der Bitte ums vereinte Gebet für ein bleibendes christliches Europa, sonst keine weiteren äußeren oder inneren Verpflichtungen oder Änderungen. So auch gestern am 4. Oktober in Notre-Dame-du-Schauenberg/Pfaffenheim, wo mich der Pfarrgemeinderat und der Herr Bürgermeister freundlich empfingen und dankbar und zustimmend für diese Initiative waren. Die für die Heiligtümer zuständigen Bischöfe wurden jeweils um den Segen für dieses Gebetsanliegen gebeten. Die beiliegenden Fotokopien zeigen die Zustimmung für den Gebetskreis ‚Maria Mutter Europas‘.“

Ich erwähnte auch meine persönliche Verbindung zu Straßburg durch meine Freundschaft mit Erzbischof Léon Arthur Elchinger. Außerdem nannte ich die Gründungsmitglieder der Gebetsgemeinschaft „Maria Mutter Europas“, zu denen Walter Kardinal Kasper, Tutilo Burger – der Erzabt von Beuron, sowie sein leiblicher Bruder Stefan Burger, der jetzige Erzbischof von Freiburg, zählen. „Gerne würde ich Sie in Straßburg besuchen und erwarte mit großer Hoffnung Ihren Segen für diese wichtige europaweite Gebetsaktion“, so schloss ich meinen Brief.

Geschichte der Schauenberger Wallfahrtskapelle

Schon 1334 taucht der Flurname „Schonenberg“ für die Vogesen-Erhebung auf, an der sich die heutige Kapelle befindet. Ein Einsiedler namens Udalricus ließ sich dort um 1400 nieder. Bald wurde die Einsiedelei bekannt und erhielt eine kleine Kapelle, die zu Ehren des Augsburger Bischofs Ulrich und im Andenken an den ersten Einsiedler im Jahr 1441 dessen Name als Patronat erhielt. Ab 1483 stand die Kapelle als Kaplanei (erster Kaplan war Johannes Hübschinhans) unter der Anrufung der Gottesmutter Maria. Eine gewisse Landgräfin Anna, Gattin des Landgrafen Ludwig I., des Friedfertigen, war schwer erkrankt und gebot ihrem Leibdiener, er möge mit ihrer Marienstatue bis zum „Schau-an-Berg“ im Vogesenbergland pilgern und dort für ihre Gesundung beten. So kam er zum Eremitenbruder und betete gemeinsam mit ihm um die Genesung der Landgräfin. Das kleine Gnadenbild blieb schließlich an Ort und Stelle, wohl zum Zeichen dafür, dass Gott den Berg diesem Bild Mariens gewidmet haben wollte. Die Gottesmutter sollte hier angerufen und verehrt werden. Damit war die hiesige Wallfahrt geboren und immer mehr Menschen pilgerten zu diesem Gnadenbild. Der Bischof von Basel, damals zuständig für diese Region, genehmigte die Wallfahrt und eine Kaplanei. Schon 1515 musste die Kapelle wegen des Andrangs der großen Prozessionsgruppen vergrößert werden. Manches Unheil kam im Lauf der Geschichte über Kapelle und Einsiedelei, die Wallfahrtsstätte selbst jedoch blieb auch im 30-jährigen Krieg erhalten. Es wird berichtet, dass der Straßburger Bischof Johann IV. von Manderscheidt-Blankenheim (1569-92) während seines Aufenthalts in Rufach wöchentlich einmal zum Schauenberger Gnadenort pilgerte. Ende des 17. Jahrhunderts war die Kapelle wiederum zu klein und man fasste 1685 den Beschluss, sie abermals zu vergrößern. 1690 wurde die Wallfahrtsleitung den Franziskanern übertragen. Anstelle der Einsiedelei errichteten sie ein Klostergebäude, das sie im April 1704 bezogen. Als Beichtväter und Prediger waren die Franziskaner in der ganzen Gegend beliebt, mussten jedoch im Zug der Revolution 1791 die Kapelle verlassen. Kloster und Wallfahrt wurden geschlossen. Das religiöse Leben mit seiner Marienverehrung schien endgültig ausgelöscht zu sein.

„Abgehauen treibt er neue Triebe“

Nach intensiven Renovierungsarbeiten kehrte die Statue der Gottesmutter, die vor der Zerstörung bewahrt werden konnte und auf dem Altar der Pfarrkirche von Pfaffenheim ihren Platz gefunden hatte, am 3. September 1811 in einer feierlichen Prozession wieder in die Marienkapelle zurück. Am 4. September 1911 wurde das 100-jährige Jubiläum der Translation des Gnadenbildes mit dem Straßburger Weihbischof Zorn von Bulach glanzvoll gefeiert.

Während des Ersten Weltkriegs war der Schauenberg Ziel unzähliger Pilger, jener, die ins Feld zogen, und jener, die daheim waren. 1918 blühte die gemeinsame Wallfahrt zur Lieben Frau in Dankbarkeit wieder auf. Auch im Zweiten Weltkrieg blieb Schauenberg verschont und die Marienverehrer konnten 1945 der Gottesmutter für ihren Schutz danken. Das Gnadenbild wurde im ehemaligen kleinen Chor in einem leuchtenden Schrein aufgestellt, nun als linker Nebenaltar. 1948 wurde eine der letzten feierlichen Prozessionen mit sehr großer Beteiligung der Pfaffenheimer Gemeindemitglieder durchgeführt, geleitet vom Straßburger Bischof Weber. Im Jahr 1961 feierte Weihbischof Elchinger den 150. Jahrestag der Übertragung des Gnadenbildes.

Im Kirchlein gibt es zahlreiche Votivtafeln zum Dank für erhaltene Gnaden. Gleichzeitig überrascht das Innere durch seine Schlichtheit. Schiff wie Chor sind mit einer flachen Balkendecke ausgestattet. Hinter dem hohen gotischen Chorbogen und vor einem kleinen spätromanischen Rundbogen in der Rückwand (Reste einer Vorgängerkirche) befindet sich ein einfacher Opferaltar, darüber ein großes Kruzifix aus dem 17. Jahrhundert, seitlich davon ein romanisches Sakramentshäuschen. Diese gelungene Gestaltung ist das Verdienst von Pfarrer Sigismund Kueny (1957-1987), der nach dem Zweiten Vatikanum der Kirche ihr heutiges Gesicht gegeben hat. Nun wird der Gnadenort von einem Rektor zusammen mit der Kirchenverwaltung von Pfaffenheim und indischen „Schwestern vom heiligen Josef zu Saint Marc“ verwaltet.

Übergabe der Ehrenplakette „Maria Mutter Europas“

Am 4. Oktober 2018, dem Fest des hl. Franziskus, fand ein Treffen einer Abordnung aus Gnadenweiler bei Beuron mit den Verantwortlichen vor Ort statt. Mit mir waren Stefan Blanz, ein Oblate von Beuron, Roland Ströbele, der Bürgermeister von Bärenthal (Gnadenweiler), und Hermann Jäger, der ehemalige Bürgermeister von Teningen, gekommen. Wir wurden von den Mitgliedern der Kirchenverwaltung Pfaffenheim im Hof des ehemaligen Franziskanerklosters Schauenberg empfangen und in den vormaligen Kapitelsaal der Mönche geführt. Beim Treffen, an dem auch der Pfaffenheimer Bürgermeister teilnahm, schilderte Jäger ausführlich den Werdegang und die Ausbreitung der Gebetsgemeinschaft über ganz Europa. Ströbele ging spezifisch auf die Gründung der ersten Kapelle „Maria Mutter Europas“ ein, in die er als ehemaliger Landtagsabgeordneter organisatorisch wie auch finanziell seinen Beitrag eingebracht hatte. Der Pfaffenheimer Bürgermeister bekundete seine Freude darüber, dass die kleine Elsass-Gemeinde als Vertreter Frankreichs in diesen erlauchten Kreis der Europa-Kapellen aufgenommen werden sollte. Er könne dies nur begrüßen. Von kirchlicher Seite gab es sowohl vom Stiftungsrat als auch vom Pfarrgemeinderat freudige Zustimmung. Ich konnte die Begegnung mit einem theologischen Hinweis auf die „Seele Europas“ abrunden und auf De Gaulle und Konrad Adenauer, auf De Gasperi und Schuman hinweisen. Wie die zwölf Sterne auf der marianisch-blauen Europa-Fahne mögen zwölf Stätten des Gebetes für ein christliches Europa aufleuchten. So war der Höhepunkt der Begegnung die Überreichung der Emaille-Plakette „Maria Mutter Europae“, die am Eingang zur Kirche seitlich vom Weihwasserbecken ihren Platz finden wird. Mit einer Marienandacht vor dem Gnadenbild in der Marienkapelle, an der Bürgermeister, Pfarrgemeinderat und wir Gäste teilnahmen, fand die „Gründungsversammlung“ ihren Abschluss.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2018
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

„Abtreibung ist wie Auftragsmord!“

Darf der Papst das sagen?

Zu der vieldiskutierten Ansprache von Papst Franziskus über Abtreibung nimmt Christiane Lambrecht, die Landesvorsitzende der Christdemokraten für das Leben (CDL) in Bayern, Stellung. Statt einer direkten Antwort dankt sie dem Papst für sein aufrüttelndes Wort. Die kollektive Sprachlosigkeit angesichts des unvorstellbaren Verbrechens der massenweisen Tötung ungeborener Kinder bedarf eines Weckrufs. Papst Franziskus stellt sich mit seiner Aussage allen Versuchen, Abtreibung als Menschrecht zu deklarieren, diametral entgegen. Er will sich bewusst in den Weg stellen, er will stören. Und dazu spricht er eine Sprache, welche nicht eine „katholische Sicht“ abhandelt, sondern jeden Menschen in seinem Gewissen treffen möchte. Denn Abtreibung geht alle an und macht alle mitverantwortlich. Warum wird so entsetzlich gegen das Werbeverbot für Abtreibung gekämpft? Weil es den Unrechtscharakter der Abtreibung anmahnt. Und die öffentlich-rechtlichen Medien geben sich wieder einmal dazu her, radikal vorzupreschen und gegen diese letzte moralische Hürde Politik zu machen.

Von Christiane Lambrecht (CDL)

Abtreibung ist wie Auftragsmord! Darf der Papst das sagen? Ein Aufschrei geht durch die Medien – und ich bin dankbar dafür. Denn das kollektive Schweigen zum Thema Abtreibung ist weder für die Frauen im Schwangerschaftskonflikt hilfreich, noch für deren ungeborene Kinder – die ja tatsächlich ohne eine faire Gerichtsverhandlung, ohne Verteidiger und unter enormem Zeitdruck und mangelnder Solidarität in der Gesellschaft durch Beauftragung eines Arztes getötet werden. Bezahlt von unseren Steuern. Das sind die traurigen Fakten. Deswegen leitet Papst Franziskus das Thema auch ein, indem er fragt, ob es gerecht sei, jemanden umzubringen, um ein Problem zu lösen. Wohl niemand in der zivilisierten Welt wird Töten als etwas „Gerechtes“ sehen. Denn es gibt kein gutes, kein gerechtes Töten.

Darf aber der Papst wirklich sagen, Abtreibung ist wie ein Auftragsmord? Stellt er damit nicht alle Frauen als Mörderinnen hin? Der Katechismus sagt: Abtreibung ist „moralisch verwerflich“, ein „schweres Vergehen“. Papst Franziskus spitzt zu, denn wie man sieht, hören dann die Menschen zu. Immerhin geht es bei Abtreibung um einen Menschen, der ohne Abtreibung leben würde, und um eine Frau, die unser aller Hilfe bräuchte, statt einer in der Regel kostenfreien Abtreibung.

Wer für Abtreibung ist, schützt nicht die Schwächsten unserer Gesellschaft: Er schützt nicht die Frauen in der Not einer ungewollten Schwangerschaft, er schützt nicht die ungeborenen Kinder, die laut Gesetz aber ihr Lebensrecht haben. Abtreibung ist zudem immer ein mehrdimensionales Drama. Am Ende ist das Kind tot und die Mutter muss ein Leben lang damit zurecht kommen. Und irgendwie sind wir alle auch dafür verantwortlich.

Bei einer Abtreibung entscheidet sich eine Frau in der hormonell unstabilen Lage der frühen Schwangerschaft gegen ihr Kind. Egal aus welchen Gründen. Ihr fehlt Sicherheit und ein Netz an Mitmenschen, die ihr Mut machen. Ein Schritt, der immer Teil ihrer Lebensgeschichte sein wird und sehr oft tiefe, offene oder verdeckte seelische Wunden hinterlässt.

In Deutschland werden jedes Jahr über 100.000 Abtreibungen gemeldet, etwa jede fünfte Schwangerschaft endet vor der Geburt durch Abtreibung des Kindes. Das sind geschätzt 300 Kinder pro Werktag.

Also sagt der Papst nichts anderes, als was Konsens ist. Weltweit. Die Menschenrechte beginnen nämlich im Bauch. In Artikel 3 der UN-Menschenrechts-Charta heißt es: „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ Das Recht auf Leben umfasst also alle Menschen und ist nicht nur ein Privileg derer, die schon geboren sind.

Abtreibung geht uns alle an. Wegschauen macht das nicht besser! Deswegen danke ich Papst Franziskus und schreibe aktuell Kommentare auf Facebook – dort gibt es heiße Diskussionen unter den diversen Artikeln. Es ist die DNA von uns Christen, den Schwächsten eine Stimme zu geben und sich für ihr Lebensrecht und Lebensglück einzusetzen. Ein eigenes Kind ist keine Katastrophe, sondern ein Geschenk. Auch wenn es Situationen geben mag, die Frauen zunächst überfordern. Also lasst uns die Gesellschaft ändern, die politischen Rahmenbedingungen für Familien, eine echte Willkommenskultur etablieren. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der keine schwangere Frau auch nur mit dem Gedanken ernsthaft spielt, ihr Kind töten zu lassen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2018
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

„Glaubenslicht im Priesterleben“

Die geweihten Diener der Kirche

Die Aufdeckung von sexuellen Vergehen an Minderjährigen durch katholische Priester erschüttert die Kirche auf der ganzen Welt. In der Öffentlichkeit steht sie unter Beschuss wie kaum je zuvor. Die Verbrechen werden aber auch gezielt dazu genützt, um das katholische Priestertum insgesamt in Misskredit zu bringen. Paul Josef Kardinal Cordes hat nun eine eindrucksvolle Sammlung von Zeugnissen herausgebracht, die der Rufschädigung der Priester wehren will. Das Buch trägt den Titel „Glaubenslicht im Priesterleben"[1] und enthält Texte aus Publikationen der bayerischen Benediktinerabtei Metten, der „Legionäre Christi“, der missionarischen Priesterbruderschaft vom hl. Karl Borromäus, die aus der Laiengemeinschaft „Comunione e Liberazione (CL)“ hervorgegangen ist, sowie des „Neokatechumenalen Weges“.

Von Paul Josef Kardinal Cordes

Neid ist wohl das Letzte, was sie bei anderen wecken – die Priester der katholischen Kirche. Eine kaum zu bewältigende Fülle von Terminen: Eucharistiefeiern an mehreren Orten mit wechselnden Gemeinden, mehr Beerdigungen als Taufen, Sitzungen in unterschiedlichsten Gremien; unaufhaltsamer Rückgang der Teilnahme am Gottesdienst. Und nicht zuletzt: das Verkennen der sakramental geschenkten Leitungsvollmacht seitens einiger Laien. Dazu kommt ein beschädigtes öffentliches Image: Wohl gehören Finanz- oder Sexualskandale wahrlich nicht „unter den Teppich“; doch wenn sie irgendwo in der Welt zu Recht aufgedeckt werden, heftet man sie globusweit zu gern den Priestern ans Revers. Ohne Frage: Gerade ihnen steht der Wind ins Gesicht.

Priester – keine Schmuddelkinder

Doch werden gläubige Zeitgenossen sie nicht als kirchliche Aschenputtel ansehen! Das wäre ein fataler, vielfältiger Irrtum. Die Kenntnis von der wirklichen Potenz ihrer Sendung belehrt eines Besseren: Ohne den Beistand geweihter Hirten verliert sich die Gottoffenheit des Menschen an das Diesseits. Gottesverehrung droht dann sogar in die Anbetung des Geschaffenen und der Geschöpfe umzuschlagen. Der große hl. Jean-Marie Vianney hat es beobachtet. Er stiftete Glauben in selten erreichtem Ausmaß und wurde 1923 zum Schutzheiligen aller Pfarrer ernannt.

Dieser hellsichtige Gottesmann lebte im französischen Ars. Die Welt dort war durch Landwirtschaft und Viehzucht geprägt. Von ihm stammt die aufreizende Behauptung: „Lasst eine Pfarrei zwanzig Jahre ohne Priester und man wird die Tiere anbeten."[2] Der hl. Jean-Marie Vianney stellte fest, wie Frömmigkeit in die Anbetung des Geschaffenen umschlägt, wenn nicht Priester sie auf Gott hinlenken. Seine Beobachtung stammt aus dem Agrarmilieu. Doch in einem anderen Umfeld sucht sich der Mensch andere Objekte, um sie gegen Gott auszutauschen. In jedem Fall warnt uns seine Erkenntnis, dass sich ohne Begleitung durch den geweihten Hirten unser Sinn für Gott erschreckend verbiegen kann. So ist das gängige Zerrbild von doppeltem Schaden: Es beschämt nicht nur einen wichtigen Stand; es geht letztendlich zulasten des Heilsweges der Christen selbst. Grund genug, es zu korrigieren.

Protektor und Garant

Zunächst sei genauer das geprüft, was uns der Augenschein lehrt. Die Soziologie gibt uns beachtliche Hinweise. Sie sind nicht von religiösem „Interesse“ geleitet und können darum allgemein leichter überzeugen.[3] Die wissenschaftliche Forschung geht davon aus, dass große Charismen und epochale Intuitionen nach und nach durch Routine verflachen; Lebensumfeld und Alltag verwässern die Neuaufbrüche. Geistig-geistliche Aufbrüche trotzen aber dann „dem Zahn der Zeit“, wenn sie geschützt und verteidigt werden. „Gesellschaften sind Systeme von Sozialkontrollen und sie bestehen nur so lange, wie sie sozial kontrolliert werden."[4] Das gilt auch für den Glaubensaufbruch, für die Offenbarung und die Kirche. Und in diesem Feld haben die geweihten Amtsträger die Aufgabe, „das Evangelium in der Kirche für immer unversehrt und lebendig [zu] bewahren“ (Offenbarungskonstitution, Nr. 7). Demnach wäre – sogar soziologisch gestützt – der geweihte Amtsträger als „Siegelbewahrer“ von Gottes Heilswerk unersetzlich.

Ein geistlicher Schatz kann freilich nicht nur dann verschleudert werden, weil ihm derartige Garanten abgehen. Schlimmer ist noch, wenn am Erlösungswerk die vorgegebenen Wurzeln missachtet und die Akteure verkannt werden. Nicht selten passiert es, dass Menschen den Initiator der göttlichen Offenbarung aus dem Blick verlieren. Christentum gilt dann als Alltagswissen wie die Sprache und Kultur. Man heftet es schlicht als Gemeingut ab. Liegt die Heilige Schrift nicht in fast jedem guten Hotel aus; kann sie nicht jeder käuflich erwerben? Mancher Zeitgenosse vergisst, dass die Bibel die Selbstoffenbarung Gottes ist, dass nur ihm das Autorenrecht, das „Copyright“, zukommt, und dass sein Wort ohne die Kirche als Hüterin weder bewahrt noch unverfälscht erhalten worden wäre. Schon vor mehr als 150 Jahren klagte der dänische Philosoph Søren Kierkegaard:

„Die Grundverwirrung, die man den Sündenfall des Christentums nennen könnte, ist: Jahr um Jahr, Jahrzehnt um Jahrzehnt, Jahrhundert um Jahrhundert, schleichend – beinahe halb von sich nicht wissend, was sie wollte, und wesentlich nicht wissend, was sie tat –, das angestrebt zu haben, Gott das Eigentumsrecht am Christentum zu entwenden, und sich in den Kopf zu setzen, dass das Geschlecht, das Menschengeschlecht selbst das Christentum erfunden habe oder doch so ungefähr das Christentum selbst erfunden habe."[5]

Dem Himmel sei darum Dank, dass Gott seinem Wort eigens geweihte Protektoren und Garanten beigefügt hat; sie sind unabdingbar.

Mitten in der Welt

Ohne Frage müssen diese mit Welt und Gesellschaft fest vernetzt sein. Sie haben ihren Ort mitten im Alltag. Das Zweite Vatikanische Konzil sieht die Kirche nicht auf einer „Insel der Seligen“. Es formuliert, dass „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute … auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi sind“ (Pastoralkonstitution, Nr. 1). Jeder sucht schließlich in einer konkreten Lebenssituation nach seinem Glaubensweg; wer ihn geht, hat nachzuvollziehen, wo und warum im Überkommenen der Schuh drückt. Und auch der Protektor steht demnach „mitten in der Welt“; wenn er gravierende Entfremdungen vom Glaubensgut ausmachen soll, muss auf die fällige Wahrheit verwiesen werden; wenn vertretbare Neuentwürfe anstehen; wenn Glaube und Leben zu vermitteln sind. Christi Menschwerdung bleibt auch für den Amtsträger das prägende Modell; nomadenhaft isoliert, schafft er sich ab – ob er will oder nicht.

Solche Verpflichtung, den Buchstaben und Geist des Anfangs zu schützen, setzt den Amtsträger trotz aller Nähe zu den Menschen von ihnen ab – ihnen zum Heil. Und sie rückt ihn in das Licht des Beharrens; „Wächter der Tradition“ nennt ihn die Soziologie. Wenn er dem Glaubensleben Stabilität geben soll, kann er nicht umhin, möglichen abwegigen „Fortschritten“ zu wehren. Er steht an einer „Grenzstelle“ und muss neue Einflüsse abschirmen, die glaubensfeindlich sind. Solche Verteidigung mag nicht selten seine Beliebtheit mindern. Denn sie weckt „einen unglücklichen, aber zur selben Zeit unvermeidlichen Antiklerikalismus seitens der Kräfte, die auf Veränderung aus sind“.[6]

Im Gegenwind

Eine menschlich motivierte Abneigung verschärft sich notwendig, sobald das geistige Klima generell religionsfeindlich wird. Prägt säkularistisches Denken Mensch und Gesellschaft, so werden Glaubensboten zum Ärgernis. Die öffentliche Meinung sucht sie herabzusetzen. Allerdings widerfährt ihnen solche Zurückweisung letztlich, insofern sie Stellvertreter sind. Genauer bedacht, gilt die Antipathie letztlich der Kirche, ja sogar Gott selbst. Kämpferischer Atheismus ist am Werk. Eine alte Volksweisheit beleuchtet den Widerstand solcher Gegner; sie stammt wohl schon von dem römischen Satiriker Petronius († 66 nach Christus): „Sie schlagen den Sack und meinen den Esel.“ Greifbar wurde dieses Vorgehen immer wieder in der Geschichte, wenn Gottlosigkeit herrschte. Klerus und Religiose wurden zur Zielscheibe. Etwa im Spanischen Bürgerkrieg (1936-39): Es waren vor allem Priester und Ordensleute, die verfolgt und getötet wurden. Der Hass der Nazi-Diktatur richtete sich gleichfalls – über die völkischen Minderheiten hinaus – vornehmlich gegen die katholischen Priester. 8021 von ihnen waren von Verfolgung betroffen – so eine Dokumentation, die keineswegs alle Fälle umfasst; mit mehr als 400 Insassen stellten sie im KZ Dachau die größte „Berufsgruppe“, aus der 112 Priester sogar ihr Leben ließen.[7] Auch in den Pfarrgemeinden standen sie unter Beobachtung und wenn es auskam, machte man ihnen den Prozess – wie etwa 1943 den Lübecker Märtyrern Johannes Prassek, Hermann Lange und Eduard Müller.

Mit Autorität

Priester bleiben exponiert. Auch weil ihnen Autorität zukommt, auf die ja schon ei-ne irdische Organisation für ihren Leitungsdienst nicht verzichten kann. Dabei hat eine solche Vollmacht beim Amtsträger keine individuellen oder natürlichen Wurzeln. Sie ist ihm gegeben dank seiner Aufgabe und dem Rang des „Systems“, das er vertritt. Besser gesagt: Nicht er besitzt die Autorität, sondern die Autorität des Gefüges, dem er zugehört, besitzt ihn. Die Kirche ist als Kollektiv „in gewisser Weise im Amtsträger konkretisiert; vielleicht könnte man sagen, sie ist in ihm verdinglicht“.[8] – Für die Glaubensgemeinschaft hat priesterliche Führung demnach kirchlichen Charakter. Die soziologischen Daten gewinnen eine neue, gnadenhafte Tiefe. Erst im übernatürlichen Licht erscheint die spezifische Qualität des Priesters. Seine Autorität ist sakramental grundgelegt. Ein wirksames Heilszeichen hat ihn ausgerüstet mit der Weihegnade, die ihn befähigt, „in der Person Christi des Hauptes zu handeln“.[9] Erst solcher Glaube an die qualifizierende Kraft des Weihesakraments rückt den Amtsträger der Kirche in die Sendung, die ihm von Christus bestimmt ist. Darum bringen integere Katholiken und Suchende dem geweihten Priester generell immer besondere Wertschätzung entgegen. Sie achten in ihm wohl den Kirchenrepräsentanten, lassen sich aber mindestens so stark leiten von ihrer Glaubensintuition: der Verankerung seiner spezifischen Sendung im Willen des Erlösers, der seine Diener mit besonderer Kraft „von oben“ ausgestattet hat. Der Herr der Kirche hat ihn gesandt, damit alle Getauften „geistige Opfer darbringen, die Gott gefallen“ (1 Petr 2,5).

Kirchenbindung und Priesterweihe kennzeichnen die Person des Amtsträgers. Sein priesterlicher Dienst steht und fällt mit der besonderen Christus-Beziehung, die ihm in der Weihe durch die Kirche zuteil wurde. Weil der Priester die Kirche repräsentiert und mit spezifischer Gnade ausgestattet ist, sind die von ihm gespendeten Sakramente immer gültig. Wer sie empfängt, braucht nicht nach der Makellosigkeit des Dieners zu fragen. Der hl. Augustinus hat mit seiner Überwindung der Irrlehre der Donatisten ein für alle Mal sichergestellt: Auch wenn ein sündiger Amtsträger das sakramentale Zeichen setzt, wird die zugesagte Gnade vermittelt. Nicht der Spender des Sakraments, sondern Christus allein ist und bleibt Träger des Heilsgeschehens; er ist der Garant von dessen Wirksamkeit. So erreicht das amtliche Tun des Dieners eine pastoral höchst bedeutsame Absicherung: Christus ist selbst am Werk. Der Empfänger braucht sich keine bange Frage nach der Heiligkeit des Amtsträgers zu stellen.

Gottverbunden

Trotz dieser theologischen Klarstellung unterstreicht die Kirche für Berufung, Ausbildung, Einsetzung und Tätigkeit des Priesters, er müsse heilig sein. Wenn auch die von ihm gespendeten Sakramente immer gültig sind, so kann dennoch auf seine Gottverbundenheit keineswegs verzichtet werden. Es war der Theologe Karl Rahner, der die Forderung, die Kirche brauche heilige Priester, überzeugend begründete. Er stellte fest, dass bei aller Ablehnung des Donatismus, auf das Ganze gesehen, nur der glaubende und liebende Priester Existenz und Dauer der Sakramente garantieren könne. Sein Argument: Das Wort des Priesters würde nur dann als wahr aufgenommen, wenn der Wille des Hörenden bereitet und sein inneres Ohr geöffnet sei. Solche Bereitschaft aber sei unlösbar an die geistliche Authentizität des Spenders gebunden. Deshalb habe der zum sakramentalen Wort Gottes Bevollmächtigte „auch Recht und Pflicht, jenen Kontext der Glaubensaussage herzustellen, in dem allein diese sakramentalen Worte jene ,Disposition‘ oder ,Situation‘ finden, innerhalb der diese sakramentalen Worte überhaupt gesagt und glaubend gehört werden können“.[10] Es sind die Heiligen der Kirche, die um diese theologische Bedingung gewusst und sie gelebt haben.

Ihre Identität: eine kirchliche Kostbarkeit

Die totale Eingliederung in die Lebenswelt anderer bleibt nicht ohne Rückwirkung auf die Priester. Ihr Ansehen und ihre Akzeptanz sind stark von dem Bild abhängig, das Öffentlichkeit, Medien und Gemeinden über die Amtsträger prägen und verbreiten. Ihre Wertschätzung hebt ihr Sendungsbewusstsein. Anfeindung mag einmal das eigene Zutrauen in die Identität und den Sinn des Dienstes ankränkeln. Ein so geschwächtes Selbstwertgefühl überträgt sich dann zusätzlich bald auf die Gläubigen. „Mündiges Christsein“ verselbstständigt sich. Dann tritt ein, was der hl. Pfarrer von Ars voraussagt. Ja, das Wort Jesu selbst findet eine traurige Bestätigung: „Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben“ (Mt 9,36).

Darum tun Hirt und Herde gut daran, in belastenden Fällen aus dem Schatten des eigenen Kirchturms herauszutreten. „Kampanilismus“ ist immer engstirnig. Die Catholica mit ihren großen politischen, sozialen und kulturellen Unterschieden zeigt hingegen Weite und Wahrheit des Glaubens. In solcher Perspektive relativieren sich Verkürzung und Beschädigung, die Kultur und Sünde dem Bild des Priesters zugefügt haben. Sie treten zurück. Es erscheint wieder folgerichtig, dass geweihten Männern so oft Geltung und Liebe entgegengebracht wird. Oder dass Gottes Eingriff in dramatischen Augenblicken sie selbst erschüttert: wenn sie erleben, wie Gott durch sie Wege aus der Not zeigt, weil Verirrte sich nach Erlösung sehnen; wie beglückend das Heil ist, das von Gott kommt. Und in ihrem Leben wird die eigentliche Wurzel priesterlichen Seins und Dienstes sichtbar: das „Handeln in der Person Christi“, sodass sich machtvoll die Gegenwart Gottes bekundet. – Ohne Priester verfinstert sich unser aller Glaubenslicht.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2018
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Paul Josef Kardinal Cordes (Hg.): Glaubenslicht im Priesterleben, geb., 144 S., 15,95 Euro (D), 16,50 Euro (A), ISBN: 978-3-9454019-9-6, Verlag Media Maria, Tel. 07303-9523310, E-Mail: buch@ media-maria.de
[2] A. Monnin: Esprit du curé d’Ars. Saint J.-B. M. Vianney dans ses catechisms, ses homélies et sa conversation, Paris 1975, 86.
[3] Ein herausragender Soziologe der USA, Werner Stark, ist dieser Frage nachgegangen in seinem monumentalen Werk The Sociology of Religion, hier: „Saint and Priest“, Band IV, New York 1970, 98-211.
[4] Ebd., 172.
[5] S. Kierkegaard: Der Einzelne und sein Gott, Freiburg 1961, 39.
[6] W. Stark, a.a.O., 178.
[7] Joseph-Teusch-Werk e.V. (Hg.): Katholischer Widerstand, Bad Neuenahr 1985.
[8] W. Stark, a.a.O., 176.
[9] Vaticanum II, Presbyterorum ordinis, Nr. 2; vgl. auch vom Hg.: Warum Priester? Fällige Antworten mit Benedikt XVI., Augsburg 2009.
[10] K. Rahner: Kirche und Sakramente, Freiburg 1960, 91.

Nächster Kongress 14.-16. Juni 2019 in Ingolstadt

„Ohne Gott – keine Zukunft!“

Professor Dr. Hubert Gindert ist mit 85 Jahren immer noch aktiv und bereitet gerade den nächsten Kongress „Freude am Glauben“ vor. Es wird bereits die 19. Veranstaltung dieser Art sein und vom 14. bis 16. Juni 2019 in Ingolstadt stattfinden. Das kirchliche Engagement von Gindert geht auf eine Erfahrung vor 30 Jahren zurück. Als Laie, nämlich als Professor für Betriebswirtschaft, hatte er 1989 an der Diözesan-Synode im Bistum Augsburg teilgenommen und den Widerstand gegen den damaligen Bischof Dr. Josef Stimpfle miterlebt. Um seiner Treue zur Kirche Ausdruck zu verleihen, rief er daraufhin den ersten „Initiativkreis katholischer Laien und Priester“ ins Leben. Im Jahr 2000 gründete er schließlich das „Forum Deutscher Katholiken“, dem er bis heute vorsteht.

Kirche heute-Interview mit Hubert Gindert

Herr Professor Gindert, am 12. Oktober dieses Jahres durften Sie den 85. Geburtstag feiern. Herzlichen Glückwunsch! Trotz Ihres gesegneten Alters sind Sie noch immer in vielfältiger Weise aktiv, Sie organisieren den Kongress „Freude am Glauben“, redigieren die Zeitschrift „Der Fels“, veröffentlichen immer wieder Stellungnahmen zu aktuellen Herausforderungen im politischen und kirchlichen Leben. – Was gibt Ihnen die Kraft zu diesem außergewöhnlichen Engagement? Was motiviert Sie?

Prof. Gindert: Der Kirche verdanke ich meinen Glauben. Den Benediktinern verdanke ich meine schulische Bildung. In der schwierigen Situation kann die Kirche auch von uns Loyalität und Einsatz erwarten.

Die Planungen für den Kongress „Freude am Glauben“ im Jahr 2019 haben Sie schon fest in die Hand genommen. Er wird vom 14. bis 16. Juni 2019 in Ingolstadt stattfinden. Was haben Sie sich mit diesem Kongress vorgenommen? Unter welches Thema haben Sie ihn gestellt? Welche inhaltlichen Schwerpunkte möchten Sie setzen?

Wir haben den Kongress „Freude am Glauben“ 2019 unter das Motto: „Ohne Gott – keine Zukunft!“ gestellt, weil wir täglich erleben, wohin eine Gesellschaft kommt, die sich immer mehr von Gott abwendet. Als Schwerpunkte unseres Kongresses haben wir das Eucharistieverständnis, Ehe und Familie, die neuen digitalen Formen der Kommunikation, die Integration von Moslems in unsere Kultur- und Rechtsgemeinschaft, den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und die Frage „Wie kann man in der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts Mensch bleiben?“ gesetzt.

Wie hat sich der Kongress in den letzten Jahren entwickelt? Wie sehen Sie die Zukunft dieser Initiative?

Im Verlauf der Jahre hat sich eine Art Stammpublikum gebildet in der Größe von ca. 700 bis 800 Personen aus ganz Deutschland. Höhere Teilnehmerzahlen hängen davon ab, ob wir in der jeweiligen Diözese die dortigen Pfarreien und Gemeinschaften erreichen. In der Diözese Eichstätt sehen wir dafür gute Voraussetzungen.

In diesen Tagen wird viel vom Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche gesprochen. Worauf kommt es Ihrer Ansicht nach jetzt an? Welche Maßnahmen oder Schritte erwarten Sie von der Kirche? Wer ist besonders gefordert?

Besonders gefordert ist, dass wir die Missbrauchsfälle richtig justieren. Die Missbrauchsfälle wurden von Mitgliedern der Kirche verübt, aber nicht von der (!) Kirche. Wäre es anders, dann könnten wir im Credo nicht mehr bekennen: „Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche…“ Deswegen ist eine klare Sprache gefordert. Dazu gehört das transparente Vorgehen mit Nulltoleranz gegen die Missetäter, aber auch die Zurückweisung eines Generalverdachts gegen alle Priester. So kann m.E. die existenziell notwendige Glaubwürdigkeit der Kirche für ihr Wirken zurückgewonnen werden.

Welche Hoffnungen verbinden Sie mit der Bischofssynode in Rom über die pastorale Ar-beit mit der Jugend?

Die Bischofssynode sucht pastorale Wege, um die Jugend über ein gegenseitiges Aufeinander-hören zu erreichen. Es wird berichtet, dass das Wort von der „Veränderung“ von Anfang an wie ein Leitwort über der Versammlung stand (Tagespost, 18.10.2018). Die Frage ist, was soll verändert werden? Die Sexualmoral der Kirche, die Bewertung der Homosexualität, der bessere Zugang von Frauen zu den Leitungsämtern? Entscheidend ist m.E., dass die Jugend besser in die ganze und unveränderte Botschaft Jesu hineingeführt wird, damit sie eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus entwickeln und ihre Berufung finden kann. Dann bekommen die Fragen, die unter „Veränderungen“ aufgeführt werden, einen neuen und anderen Stellenwert. Ein weichgespültes Evangelium, das die Forderungen Christi relativiert, bringt nichts. Ich meine darüber hinaus, dass die Kraft, die von den Glaubenszeugen von früher und heute ausgeht, zu wenig ausgeschöpft wird.

Sie haben sich immer kirchentreu positioniert, also in Treue zum Papst und zur Lehre der Kirche. Papst Franziskus stellt mit seinem Pontifikat in vieler Hinsicht eine Herausforderung dar. Wie sehen Sie unseren Papst und was geben Sie den Gläubigen zur Orientierung an die Hand?

Papst Franziskus hat zweifellos Stärken. Sie liegen in seiner Hinwendung an Arme, Erniedrigte und am Rand der Gesellschaft Stehende. Bewundernswert ist auch sein Mut, wie er sich beispielsweise zur Existenz des Teufels, zur Gender-Ideologie oder zur Abtreibung äußert. Was ich nicht verstehe, aber nicht bewerten möchte, ist, dass er den Dialog mit den vier Kardinälen (Dubia) nicht geführt hat, weiter, dass seine Worte zum Kommunionempfang von geschiedenen Wiederverheirateten so gefallen sind, dass ganze Bischofskonferenzen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen und die Kirche in einer wesentlichen Frage auseinanderdriftet. Die Gläubigen können das aber nicht als Vorwand benutzen, um ihre persönlichen Entscheidungen willkürlich zu treffen. Denn nach wie vor haben sie im Katechismus (KKK) des hl. Papstes Johannes Paul II. einen verbindlichen Kompass für ihren Lebensweg.

Wie beurteilen Sie das eingeleitete Abkommen des Vatikans mit China? Haben Sie sich dazu schon eine Meinung gebildet?

Es ist schwierig, zu einem sicheren Urteil über das Abkommen des Vatikans mit China zu kommen, weil es gewichtige Stimmen gibt, denen die Kenntnis der chinesischen Politik nicht abgesprochen werden kann und die dieses Abkommen kritisch sehen. Wir haben historische Parallelen solcher Abkommen mit Kommunisten aus der Zeit vor der Wende in Europa. Die polnischen Bischöfe haben sich damals deutlich gegen eine vom Vatikan praktizierte Politik des Entgegenkommens (Appeasement) ausgesprochen.

Wie sehen Sie das Flüchtlingsproblem? Was erwarten Sie von der Politik? Welchen Beitrag sollte die Kirche leisten?

Das ist ein komplexes Problem. Zuerst wäre zu klären, warum jemand geflüchtet ist. War es Bedrohung an Leib und Leben, waren es wirtschaftliche Gründe? Wer in Not ist, dem muss geholfen werden. Das bedeutet aber kein Bleiberecht. Darauf spitzt sich aber die Diskussion meist zu. Wenn es um die Integration geht, dann muss geprüft werden, ob die Bereitschaft gegeben ist, sich in die Rechts- und Kulturgemeinschaft des Gastlandes zu integrieren. Das spielt zweifellos bei Moslems, die ihren Glauben ernst nehmen, eine entscheidende Rolle. Kein Staat kann auf seinem Territorium Parallelgesellschaften mit abweichenden Rechtssystemen dulden. Die Kirche sollte die Angst der Bevölkerung vor Überfremdung zur Kenntnis nehmen und das ihr Mögliche tun, dass der christliche Glaube wieder gestärkt wird und für Anders- und Nichtgläubige attraktiv wird.

Das religiöse Leben in Deutschland bröckelt. Welche Perspektive sehen Sie für die katholische Kirche in unserem Land?

Das erschreckend dahinschwindende religiöse Leben in Deutschland wird kaum zur Kenntnis genommen. Es ist kein Thema, das auf Bischofskonferenzen, in Laienräten und vom ZdK ernsthaft aufgegriffen wird. Zwei Zahlen konstatieren nüchtern: Der sonntägliche Kirchenbesuch geht ständig zurück und liegt unter 10%. Die Beichtpraxis beträgt 1-2%. Für die Bundesrepublik trifft die Feststellung von Benedikt XVI. von 2012 zu: „Die spirituelle Krise, die den Westen ergreift, ist die gravierendste seit dem Untergang des Römischen Reiches gegen Ende des 5. Jahrhunderts. Das Licht des Christentums ist überall im Westen am Verlöschen“ (Kath.net, 7.10.2018). Es gäbe auch heute Chancen für einen Neuanfang. Das setzt aber die Bereitschaft voraus, die Situation erst einmal zur Kenntnis zu nehmen. Es gibt kirchliche Kindergärten, kirchliche Schulen, es gibt den Religionsunterricht und in den meisten Pfarrgemeinden Ministranten, wo die Neuevangelisierung den Anfang nehmen könnte. Dazu gehört weiter die tatkräftige Förderung neuer religiöser Gemeinschaften.

Die ganze Welt wird von Erschütterungen heimgesucht, wie wir sie bislang noch nicht erlebt haben. Wo führt die derzeitige Entwicklung Ihrer Meinung nach hin?

Sehen wir einmal von Naturkatastrophen, die teilweise von Menschen mitverursacht werden, ab – z.B. die riesigen Rodungen von Wäldern –, bleiben Erschütterungen durch Kriege und Hungersnot mit Vertreibung im Gefolge. Sie sind zumeist der Ausdruck von Machtwillen und Profitgier. Da es keine Institution gibt, die die Autorität und die Macht hat, eine solche Entwicklung zu verhindern, besteht die Gefahr, dass solche Erschütterungen zunehmen. Die Sozialbotschaft böte einen Ausweg.

Was gibt Ihnen Hoffnung für einen weltweiten Aufbruch der Kirche, für eine neue Evangelisierung, für ein neues Pfingsten? Oder halten Sie diese Art der „optimistischen“ Rede für naiv oder unangebracht?

Einen weltweiten Aufbruch der Kirche, ein neues globales Pfingsten kann ich nicht sehen. Wohl gibt es Regionen – z.B. in Afrika –, wo das Christentum blüht und wächst. Auch in Europa wäre ein Pfingsten möglich, weil sich die Menschen von Gott, aber Gott nicht von den Menschen zurückgezogen hat. Die Kirchengeschichte zeigt uns Neuaufbrüche. Sie geschehen immer dann, wenn die Menschen zu Gott zurückkehren.

Herr Professor, aufrichtigen Dank für dieses offene und wertvolle Gespräch. Noch einmal gratulieren wir Ihnen ganz herzlich zu Ihrem Geburtstag und wünschen Ihnen Gesundheit und viel Kraft, damit Sie noch lange Zeit so segensreicht wirken können.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2018
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Neuen Kommentar schreiben

Die mit einem * markierten Felder sind Pflichtfelder! Die Redaktion behält sich das Recht vor, Kommentare gegebenenfalls nicht für die Veröffentlichung freizugeben oder in Abstimmung mit den jeweiligen Autoren zu kürzen.