Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Der hl. Papst Johannes Paul II. war von einer prophetischen „Vision der Hoffnung“ erfüllt. Er verkündete der Menschheit einen „neuen Frühling“, eine „neue Zivilisation der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens“. Gleichzeitig rief er die Christen dazu auf, ihre vorrangige Berufung eben darin zu sehen, in der heutigen Zeit „Baumeister der Hoffnung“ zu sein.

Auf der anderen Seite war Johannes Paul II. mit den Ereignissen vom 11. September 2001 und dem Ausbruch des Irak-Kriegs konfrontiert. „In den letzten Jahren, besonders nach dem Ende des Kalten Krieges, ist der Terrorismus zu einem hochentwickelten Netz des politischen, technischen und wirtschaftlichen Zusammenwirkens geworden, das die nationalen Grenzen überschreitet und sich anschickt, die ganze Welt zu umgarnen“, so schrieb er in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2002.

Doch ließ er sich von diesen düsteren Wolken nicht beirren. Er blickte der Realität ins Auge und nahm die gefährliche Zuspitzung von Gewalt und Hass zwischen den unterschiedlichen Machtblöcken und Kulturkreisen ernst. Doch bekräftigte er immer wieder, dass er dennoch und umso mehr an die „neue Zeit“ glaube, die zwar unter schweren Geburtswehen anbrechen, doch ganz gewiss kommen werde.

Diesen Spagat hat Johannes Paul II. bis zu seinem Tod durchgehalten. Ja aus dieser Spannung lebte sein ganzes Pontifikat, schöpfte er seine wesentliche Antriebskraft und Dynamik. Fast am Ende seiner Amtszeit legte er in seiner polnischen Heimat ein eindrucksvolles Zeugnis ab. Er gestand, dass ihm vor allem die Botschaft vom barmherzigen Jesus, vermittelt durch die hl. Schwester Faustyna Kowalska, die Gewissheit gegeben habe, der Welt eine Vision der Hoffnung verkünden zu müssen. Ebenso sei es die Ankündigung vom Triumph des Unbefleckten Herzen Mariens in Fatima gewesen, wie er bei anderer Gelegenheit betonte, die ihn in seinem Einsatz für eine neue Evangelisierung und die Ausrufung eines neuen Missionszeitalters bestärkt habe.

Ähnlich versuchen Dorothea und Dr. Wolfgang Koch, auf die derzeitige Situation in Deutschland zu blicken und eine Orientierungshilfe anzubieten. Als Titelthema haben wir Beiträge ausgewählt, in denen sie die Deutschland-Prophetie in Erinnerung rufen, die Schwester Luzia von Fatima im Jahr 1940 niedergeschrieben hat: „Deutschland wird noch in den Schafstall des Herrn zurückkehren; dieser Augenblick nähert sich sehr langsam, sehr mühsam, aber er wird schließlich eintreffen, und die Herzen Jesu und Marias werden dann mit Glanz herrschen.“ Gleichzeitig zeigt das Ehepaar Koch auf, dass diese Worte tatsächlich auf eine übernatürliche Begegnung mit dem Herrn in der Eucharistie zurückgehen. Während diese Verheißung sowohl in ökumenischer Hinsicht als auch angesichts der zunehmenden Islamisierung des europäischen Kontinents Zuversicht stiften kann, nimmt Wolfgang Koch insbesondere Bundekanzlerin Angela Merkel ins Visier. Sein mahnender Aufruf wird durch die kritische Analyse von Werner Münch ergänzt.

Liebe Leser, in diesem unheilvollen Augenblick der Weltgeschichte, in der der „Vater der Lüge“ die Völker gegeneinander aufbringt und in eine Spirale der Gewalt und des Hasses zu stürzen versucht, richten wir unseren Blick mit kindlichem Vertrauen auf Maria, die Königin des Friedens. Möge sie mit uns – wie damals im Kreis der Apostel – von Gott eine reiche Ausgießung des Heiligen Geistes und den Sieg über die Mächte des Bösen erflehen. Mit einem aufrichtigen Vergelt’s Gott für Ihre Unterstützung und in der Hoffnung auf ein neues Pfingsten wünschen wir Ihnen Gottes Schutz und Segen.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2018
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Schwester Lúcia und die Deutschland-Prophetie

Die Herzen Jesu und Mariens werden mit Glanz herrschen

Dorothea und Wolfgang Koch arbeiten die Hintergründe und die Bedeutung des Briefes heraus, den Schwester Lúcia 1940 an den deutschen Kirchengeschichtsprofessor Dr. Ludwig Fischer geschrieben hat. Darin heißt es am Ende: „Deutschland wird noch in den Schafstall des Herrn zurückkehren; dieser Augenblick nähert sich sehr langsam, sehr mühsam, aber er wird schließlich eintreffen, und die Herzen Jesu und Marias werden dann mit Glanz herrschen.“ Es erhebt sich die Frage, ob es sich bei diesen Worten um eine persönliche Hoffnung und einen gutgemeinten Trost der Seherin von Fatima handelt, oder ob sich dahinter mehr verbirgt. Das Ehepaar Koch zeigt, dass diese Äußerungen nach dem Zeugnis von Schwester Lúcia tatsächlich auf eine mystische Offenbarung Jesu Christi zurückgehen und eine echte Prophetie darstellen. Die Verheißung des Herrn, die „sicher“ in Erfüllung gehen werde, wie Lúcia betont, sei als Ermutigung und Geschenk der Liebe zu verstehen. Dorothea und Wolfgang Koch stellen diese Deutschland-Prophetie, in der sie ein gewaltiges Hoffnungszeichen für unsere Zeit erblicken, im Rahmen ihrer Artikelserie „Fatima und die junge Bundesrepublik“ als Teil 6 vor.  

Von Dorothea und Wolfgang Koch

Am Josefstag 1940, als Hitler alles zu gelingen schien, schreibt Schwester Lúcia einen Brief an Ludwig Fischer (1880-1957), Priester und Professor für Kirchengeschichte in Bamberg. Er enthält eine auch im geistigen Zerfall der Gegenwart tröstende, ja kühne Hoffnungen weckende Verheißung, die mit der Russland-Prophetie Fatimas verknüpft ist.

Fischer, der Fatima den deutschen Katholiken nahebringt, gewinnt das Vertrauen Schwester Lúcias de Jesus dos Santos (1907-2005) und kann sie 1937 drei Tage lang interviewen. Als einer der wenigen ist er zugegen, als der Bleisarg der hl. Jacinta Martos (1910-1920) geöffnet wurde, dem Wohlgeruch entströmt und ihr Gesicht unversehrt enthält. Fischers modernes Denkmal in Fatima stellt diese bewegende Szene dar. Fischer besaß also eine besonders intime Kenntnis der Ereignisse.

Lúcia schreibt am Josefstag 1940

Durch Lúcias Brief empfängt auch unser Land eine Botschaft. Auf dem Mariologischen Weltkongress 2016 wurde erstmals die vollständige Übersetzung des kaum bekannten Briefes vorgelegt.[1] Nur einen Satz daraus hatte Fischer 1949 veröffentlicht. Das Original muss sich im Nachlass des Regensburger Bischofs Rudolf Graber (1903-1992) befinden,[2] der für wissenschaftliche Forschung noch unzugänglich ist. Zum Glück besitzt das Archiv in Fatima eine Fotokopie des Originals.[3]

Am gleichen Tag schreibt Lúcia ihrem Beichtvater, der lange vor der Niederschrift um die Russland-Prophetie weiß: „Während ich einige Stunden vor dem ausgesetzten Allerheiligsten verbrachte, betete ich in verschiedenen Anliegen und ganz besonders für Deutschland. Da geschah es in einigen Momenten inniger Vereinigung, dass ich in meiner Seele spürte und hörte: ,Deutschland wird zu meiner Herde zurückkehren, aber dieser Moment nähert sich sehr langsam. Er nähert sich – das ist sicher – aber langsam, sehr langsam.‘ Im Brief an Dr. Fischer habe ich aus Nächstenliebe und um ihn zu ermutigen, auf diese Verheißung des Herrn hingewiesen."[4]

Über das Deutschland dieses Jahres schreibt Thomas Mann im letzten Absatz seines Doktor Faustus, der grandiosen Gestaltung deutscher Geistesgeschichte: „Deutschland, die Wangen hektisch gerötet, taumelte dazumal auf der Höhe wüster Triumphe, im Begriffe, die Welt zu gewinnen kraft eines Vertrages, den es zu halten gesonnen war, und es mit seinem Blute gezeichnet hatte."[5]

Auf dieses Deutschland blickend, enthalten die tröstenden Zeilen beider Briefe eine Kernaussage Fatimas, die Schwester Lúcia 1941 niederschrieb: „… Am Ende aber wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren. Der Heilige Vater wird mir Russland weihen, das sich bekehren wird, und der Welt wird eine Zeit des Friedens geschenkt werden."[6] Der Marienfrühling der jungen Bundesrepublik mit seiner Marienweihe wäre demnach eine Vorahnung dieser Verheißung.

Offene Forschungsfragen

Wie ihr Brief vom Josefstag 1940 andeutet, sieht es Lúcia als ihre „Pflicht“ an, für Deutschland zu beten. In eigenartiger Koinzidenz ist 1940 zugleich das Jahr, in dem Thomas Mann seinen deutschen Tonsetzer Adrian Leverkühn sterben lässt, der einen Teufelspakt geschlossen hatte. Es ist auch das Jahr, in dem die Ereignisse von Marienfried beginnen.

Wer verpflichtet Lúcia? Der Wortlaut legt nicht nahe, dass ihr Versprechen Fischer galt. Der Gottesmutter? Warum liegt erst jetzt eine vollständige deutsche Übersetzung vor, obwohl es um Deutschland geht? Warum berichtet Fischer erst 1949 darüber? Warum zitiert er nur einen Satz?

Die Erklärung aus dem Umfeld des Regensburger Institutum Marianum, Papiermangel habe die Veröffentlichung verzögert, überzeugt nicht. Bereits 1947 erschienen literarische Werke in großer Auflage, wie etwa Doktor Faustus. Aber auch in der Frühphase des Krieges hätte ein derart tröstender Brief in so trostloser Lage Verbreitung finden können. Er war ja „aus Nächstenliebe“ geschrieben und „um zu ermutigen“. Die brisanten Predigten des „Löwen von Münster“ wurden bekannt.

Lúcia bedankt sich für Fischers Mühe, ihr den besonderen Segen Papst Pius‘ XII. verschafft zu haben. Vermittelte Fischer zwischen Lúcia und Pius XII.? Hatte dieser Papst vor 1940 keinen unmittelbaren Kontakt zu ihr? Lúcia betont, dass ihr Brief mit dem Bischof von Leiria, José Alves Correia da Silva (1872-1957), abgestimmt sei, seit 1920 ein intimer Kenner der Ereignisse. Veranlasste ihn die Deutschland-Prophetie, die Fatima-Statue zur Kölner Peregrinatio Mariae einfliegen zu lassen? Hat die Prophetie dadurch einen offiziösen Charakter? Vermittelte Fischer zwischen den Bischöfen Frings und da Silva?

1952 lässt Kardinal Frings Fatima unmittelbar auf sich wirken: „Es war schon ergreifend, diesen kleinen, einfachen, mit einem Dach überwölbten Ort zu sehen, wo die Gottesmutter den Kindern erschienen ist. Dort lasen wir am folgenden Morgen die Messe“, erinnert er sich im Alter.[7] So reift in ihm der Gedanke, Deutschland dem Unbefleckten Herzen Mariens zu weihen. Sind sich da Silva und Frings persönlich in Fatima begegnet? Der Besuch des prominenten Kardinals lässt es vermuten. Und sollte dabei nicht Lúcias Deutschland-Prophetie in all der Not Nachkriegsdeutschlands ein Thema gewesen sein?

Lenins Rückkehr nach Russland

Von der Deutschland-Prophetie Fatimas können auch heute seelsorgliche Impulse ausgehen, für deren Wirkungen der Marienfrühling in der jungen Bundesrepublik eine erste Ahnung gibt. Im Lichte Fatima besteht nämlich zwischen Russland und Deutschland ein besonderer Zusammenhang.

Im Monat vor der ersten Marienerscheinung löst Deutschland die Russische Oktoberrevolution aus. Denn um Russland als Kriegspartei zu schwächen, beschließt Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg (1856-1921), im vorrevolutionären Russland „größtmögliches Chaos zu schaffen“, wobei „die radikalen Elemente bevorzugt zu unterstützen“ seien.[8] Unter strenger Geheimhaltung organisiert der preußische Militärgeheimdienst den Transport Wladimir Iljitsch Lenins (1870-1924) aus seinem Schweizer Exil nach Russland.

Am Ostermontag 1917 beginnt in Zürich die verhängnisvolle Eisenbahnfahrt des Kommunisten und Revolutionärs. Stefan Zweigs (1881-1942) literarische Gestaltung dieser Fahrt schließt mit den Worten: „Das Geschoß hat eingeschlagen und zertrümmert ein Reich, eine Welt."[9] Ein deutscher Waggon war das Geschütz, seine Treibladung Marx, Engels und die materialistische deutsche Philosophie. Es ist kaum vorstellbar, dass Lúcia in ihrer Abgeschiedenheit um die Zusammenhänge von deutscher Theorie und russischer Revolution wusste. Auch Fischer wird die folgenreiche Zugfahrt unbekannt gewesen sein.

Fatima – Hoffnung für Deutschland

Mit Bezug auf den Zweiten Weltkrieg sagt Maria am 13. Juli 1917:

„Um das zu verhüten, werde ich kommen und um die Weihe Russlands an mein Unbeflecktes Herz und die Sühnekommunion an den ersten Samstagen bitten. Wenn man auf meine Wünsche hört, wird Russland sich bekehren, und es wird Friede sein; wenn nicht, dann wird es seine Irrlehren über die Welt verbreiten."[10]

Im religiösen Aufbruch der jungen Bundesrepublik mag man die Erfüllung eines Gebets sehen, mit dem Fischer sein Fatima-Buch beschließt: „Gute Mutter komme auch zu Deinem armen deutschen Volke, dem man vor vier Jahrhunderten den Glauben an Deine Gottesmutterwürde und das Vertrauen auf Deine mütterliche Liebe mit Gewalt aus dem Herzen gerissen hat. … Führe es zurück zur Marienminne seiner Väter. Gute Mutter komme auch zu uns und richte Deinen Gnadenthron auf in unseren deutschen Landen."[11]

Schließen wir uns diesem Gebet an! Die Erfüllung der Verheißung für unser Land steht noch aus. Fatima wird daher auch für uns zum Hoffnungszeichen. Was auch immer an Schrecklichem zur Buße eigener Schuld und stellvertretender Sühne für andere noch geschehen mag: „Deutschland […] wird noch in den Schafstall des Herrn zurückkehren; dieser Augenblick nähert sich sehr langsam, sehr mühsam, aber er wird schließlich eintreffen, und die Herzen Jesu und Marias werden dann mit Glanz herrschen.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2018
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[1] D. u. W. KOCH (2016): Zur Bedeutung Fatimas für die junge Bundesrepublik, in: Fatima – 100 Jahre danach, Regensburg 2017, 173ff.
[2] „Ich besitze einen Brief der Lúcia von Fatima. […] Lúcia hatte diesen Brief am 19. März 1940 dem Bamberger Professor Dr. Ludwig Fischer geschrieben.“ Festpredigt am 25.07.1976, in: J. KÜNZLI (1971): Die Erscheinung in Marienfried, Jestetten 112015.
[3] A. M. MARTINS (Hrsg.): Documentos di Fatima, Porto 1976, 464f.
[4] Ders.: Novos Documentos di Fatima, Porto 1984, 258.
[5] Th. MANN (1947): Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn.
[6] Die Botschaft von Fatima, Kongregation für die Glaubenslehre, 26.06.2000, www.vatican.de
[7] J. FRINGS (1973): Für die Menschen bestellt, Köln, 154.
[8] W. HAHLWEG (1957): Lenins Reise durch Deutschland im April 1917, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 1957, 307-333.
[9] S. ZWEIG (1943): Der versiegelte Zug (posthum), in: Sternstunden der Menschheit, Frankfurt 1962, 255f.
[10] Schwester Lúcia spricht über Fatima, Bd. I, Memórias IV.
[11] L. FISCHER (1929): Fatima. Das portugiesische Lourdes, Bamberg, 124.    

Zur Verantwortung der Bundeskanzlerin

Hat Deutschland eine christliche Zukunft?

Angela Merkel hat zum vierten Mal das Kanzleramt angetreten. Professor Dr. Wolfgang Koch fragt sich, wie es mit Deutschland weitergehen wird. Er nimmt die Sorgen ernst, mit denen viele Gläubige auf die Politik der Parteien blicken, die das Christentum in ihrem Namen tragen. Gleichzeitig stelle er schmerzlich fest, dass keine akzeptable Alternative existiere. Umso wichtiger sei es, die Bundeskanzlerin an ihre Verantwortung zu erinnern. Bei der Suche nach den christlichen Wurzeln von Angela Merkel entdecke man nämlich Unvermutetes. Auf dem 30. Evangelischen Kirchentag in Hannover habe sie am 25. Mai 2005 eine bemerkenswerte Auslegung des Propheten Maleachi vorgetragen, und zwar als Kanzlerkandidatin vor der Bundestagswahl. Zu ihrer Maleachi-Exegese habe sie sich später auch als Bundeskanzlerin bekannt und den Text 2013 in den Sammelband „Daran glaube ich – Christliche Standpunkte“ aufgenommen. „Leben nicht die meisten Menschen in unserem Land und in Europa längst, als wenn Gott abwesend wäre?“, so fragt Merkel und fordert einen gesellschaftlich-politischen Weg, der Gott nicht „betrügt“, sondern ihn als „den tragenden und letztlich entscheidenden Existenzgrund allen guten menschlichen Lebens“ anerkennt und ernst nimmt. Halten wir der Bundeskanzlerin ihre eigenen Worte als Spiegel vor! – so Koch, denn nur auf dieser Grundlage könne eine christliche Demokratie den verlorenen Weg der Mitte wiederfinden.  

Von Wolfgang Koch

Ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl 2017 wurde Angela Merkel zum vierten Mal zur Bundeskanzlerin gewählt. Christen sind verpflichtet, für Regierende zu beten, etwa im Sinne der uralten Karfreitagsfürbitte: „Allmächtiger ewiger Gott, in Deiner Hand liegt die Macht und das Recht aller Völker. Schaue gütig auf jene, die uns kraft ihres Amtes regieren, damit überall auf Erden unter dem Schutz Deiner Rechten gewahrt bleibe die Unversehrtheit der Religion und die Sicherheit des Vaterlandes.“

Dennoch schauen Christen mit Sorge auf Angela Merkel, auch wenn diese gelegentlich den „Gründungsimpuls der Christlich Demokratischen Union“ beschwört, der uns heute Kompass sein könne: „Die Idee der Gründung der CDU war eigentlich eine ungeheuerliche Idee: eine Partei, die im ‚C‘ ihre Grundlage findet, also in der von Gott gegebenen Würde jedes einzelnen Menschen."[1] Aber entspricht Merkels Regierungshandeln diesem Gründungsimpuls? Besinnt sich ihre Partei darauf? Die Frage nach einer Heimat in den „C-Parteien“ stellt sich für zahlreiche Christen, die mangels einer akzeptablen „Alternative“ umso schmerzlicher ist.

Parteienübergreifend ist die Politik anscheinend zu allen Zeiten rückständig und tut sich schwer damit, Gegenwarttrends aufzunehmen. Denn Sätze wie „Das 21. Jahrhundert wird wohl auch uns Europäer lehren, dass das Agnostische nicht das Ende der Geschichte ist“, liest man immer öfter. „Die ganze Idee Europas ist eine reine Frucht vom Baum des Christentums. Ein vom Christentum ‚befreites‘ Europa ist gar kein Europa mehr."[2] Wer sich jedoch auf die Suche nach den christlichen Wurzeln der evangelischen Pfarrerstochter Angela Merkel macht, findet Unvermutetes. Da sie solche Einsichten hat, trägt die Bundeskanzlerin besondere Verantwortung.

„Gibt es eine letzte Bestimmung des Menschen?“

Unter der Überschrift „Pflege der Frömmigkeit“ legt die Kanzlerkandidatin vor der Bundestagswahl 2005 den Propheten Maleachi aus: „In aller Freiheit und Deutlichkeit stellt er den Menschen ihre Zukunft vor Augen und macht ihnen deutlich, dass sie in ihrem Reden und Handeln Gott betrügen und belügen“, fasst die Kandidatin die Predigt des Propheten zusammen. „Für ihn ist deutlich, dass dies schreckliche Konsequenzen haben wird. Aus diesem Grund befragt er sein Volk. Er konfrontiert es mit der Wahrheit."[3]

Klar bezieht Merkel das Anliegen dieses letzten der zwölf „kleinen Propheten“ auf die Gegenwart des Jahres 2005, spricht vom „Ende allen aufklärerisch-rationalen Fortschrittsglaubens“ und fragt nach dem „Herrn unserer Geschichte“: „Gibt es eine letzte Bestimmung des Menschen? Gibt es ein Ziel für uns fragende, irrende und immer wieder nach Sinn suchende Menschen? Muss man nicht tagtäglich verrückt werden angesichts der Bedrohungen, Ängste und Abgründe dieser Welt?“ Gegen solche existentiellen Zweifel seien die Propheten Israels aufgestanden.

Wer im Jahr 2018 Angela Merkels Text liest, erkennt, wie sehr sich in der Krise der Gegenwart die Krise aller Zeiten zeigt: „Bei Maleachi heißt es von nicht wenigen im Volk, die höhnisch reden: ‚Es ist umsonst, dass man Gott dient; und was nützt es, dass wir sein Gebot halten und in Buße einhergehen vor dem Herrn Zebaoth.‘“ Und Merkel stellt die Frage, die allen gläubigen Christen in der Seele brennt: „Ich frage: Ist uns das – angesichts der tieferen Orientierungs- und Wertekrise, in der wir heutzutage leben – wirklich so fremd? Leben nicht schon die meisten Menschen in unserem Lande und in Europa beispielsweise längst, als wenn Gott abwesend wäre?“

Auch als Bundeskanzlerin bekennt sich Angela Merkel zu ihrer Maleachi-Exegese, da ihr Text vor der Bundestagswahl 2013 im Sammelband „Daran glaube ich – Christliche Standpunkte“ neu erscheint. Es wäre zulässig, ihre Auslegung des Propheten als ernst gemeint gelten zu lassen.

„ … Existenzgrund allen guten menschlichen Lebens“

Welcher Weg führt für die christliche Kanzlerkandidatin des Jahres 2005 aus der „religiös-moralischen Depression im damaligen Israel“? „Der Prophet Maleachi ist so etwas wie ein glühender Verfechter einer stark am Kultischen orientierten, sehr strengen Frömmigkeit“, erläutert sie. Dies wirke auf uns heute einigermaßen befremdlich. „Aber auch wenn dies der Fall ist, so müssen wir vor allem eines sagen: Maleachis Anliegen war es, an Gott zu erinnern. Und er tat dies in einer bedrängten und von Orientierungslosigkeit und gesellschaftlicher Zerrissenheit geprägten Gesellschaft. Er erinnerte an Gott und damit an den tragenden und letztlich entscheidenden Existenzgrund allen guten menschlichen Lebens.“

„Ich frage mich vor dem Hintergrund dieser prophetischen Mahnung heute auch:“, wendet Angela Merkel ihre Auslegung auf die Gegenwart an, „Haben wir – gerade auch wir deutschen Protestanten – überhaupt noch ein rechtes Bewusstsein davon, dass ein lebendiger Glaube neben ethischer Gesinnungsforderung und gesellschaftlich-politisch geübter Verantwortung – was alles wichtig ist! – auch wesentlich etwas mit ‚Kultus‘ zu tun hat? Mit Kultus in wohlverstandenem Sinne: Also mit gelebten und gefeierten und im Gottesdienst sinnlich erfahrenen Ritualen? Etwas zu tun hat mit der Pflege von Frömmigkeitspraxis, mit Gebeten, mit gelerntem und verinnerlichtem Katechismus, Liedern und Bibelstunden? Und wenn das noch bejaht werden sollte, wo erfahren wir das denn noch in unseren Gemeinden? Wie pflegen wir unsere diesbezügliche Identität? Glaube, gerade auch wenn er der kommenden Generation weitervermittelt werden will, bedarf auch der Formgebung und der bewussten, liebevollen Gestaltung.“

Inwiefern ihre eigene kirchliche Gemeinschaft selbst zu dieser Entwicklung beigetragen hat, wolle sie nicht erörtern, erinnere aber an Wolfgang Huber, der als Ratspräsident der Evangelischen Kirche in Deutschland von „einer Phase der Selbstsäkularisierung“ gesprochen habe: „Keine schmeichelhafte Analyse der Kirche des Wortes, aber ich bin sehr froh über dieses selbstkritische Wort.“ Selbstredend könnte all dies auch von der katholischen Kirche in Deutschland gesagt sein, wie sie sich in großen Teilen darstellt: „Ich würde mir daher wünschen, dass die katholische Kirche weniger politischer Verein oder weltliche NGO ist, sondern ihren spirituellen Kern heiligt, liebt und lebt“, wünscht sich etwa Wolfram Weimer.[4]

„Und zwar Gemeinschaft mit Gott und den Menschen“

„Wenn wir eines von Maleachi lernen können“, folgert Angela Merkel, „dann doch unter anderem, dass Gott seinem Volk die richtigen Fragen stellt. Er fragt: ‚Ist es recht, dass ein Mensch Gott betrügt, so wie ihr mich betrügt?‘ Und die Gegenfrage des Volkes soll suggerieren, dass es gar nicht weiß, wo etwas schiefläuft. Es fragt nämlich Gott zurück: ‚Womit betrügen wir Dich?‘ Und Gott hat die passende Antwort parat. Sie wird dem Volk nicht gefallen haben, aber sie wussten jetzt, woran sie waren. Und sie haben die Möglichkeit bekommen, umzukehren und den richtigen Weg einzuschlagen. Fehlt uns das nicht heute in der Politik? … Ich meine ja!“

Im Sinne dieser Auslegung Angela Merkels, der Kanzlerkandidatin des Jahres 2005, sind also auch Verpflichtungen des Staates Gott gegenüber anzuerkennen, etwa der Schutz des menschlichen Lebens in allen seinen Phasen, und alle zerstörerischen Praktiken zu verwerfen, die einer christlich verankerten Gesellschaftsordnung entgehen stehen, zu denen ganz sicher auch die „Ehe für alle“ gehört. Außerhalb dieser Konsequenz und einer entsprechenden Praxis in Politik und Gesellschaft ist an den Wiederaufbau einer christlich geprägten, demokratisch verfassten und den Herausforderungen der Zukunft gewachsenen Gesellschaft gar nicht zu denken. Wer erinnert die Kanzlerin an ihre eigene Maleachi-Exegese und an die Verantwortung, die sie als Christin trägt?

Aber so düster auch manches bei Maleachi klingen mag, letztlich stehe die Hoffnungsbotschaft im Zentrum, betont Merkel: „Am Ende des Buches heißt es wunderschön: ‚Euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit und Heil unter ihren Flügeln‘“, ein Bild, das sie an den „mit der Sonne förmlich verschmelzenden Christus auf dem Isenheimer Altar des Matthias Grünewald“ denken lasse und an das Kirchenlied „Sonne der Gerechtigkeit“. Das hebräische Wort Zedaka, oft als „Gerechtigkeit“ übersetzt, heiße eigentlich „Gemeinschaftstreue“: „Und zwar Gemeinschaft mit Gott und den Menschen.“

„Verdirbt Politik den Charakter?“

Die „Pflege der Frömmigkeit“, der Titel ihrer Bibelarbeit, besitzt für Angela Merkel offenbar sogar einen missionarischen Impuls. Ein Biograph berichtet über den emotionalen Ausbruch der Pfarrerstochter bei einer Fraktionssitzung: „Selbstverständlich müsse man für den Glauben werben“, hatte Merkel ihren Parteifreunden erklärt. „Sie reagierte damit auf einen resignierten Einwurf eines Kollegen. Mission sei zwecklos, sagte dieser, das Christentum auf dem Rückzug. Empört sei die Kanzlerin und CDU-Chefin da gewesen, berichten Augenzeugen. Selbstverständlich müsse man für seinen Glauben einstehen, so die Pfarrerstochter in ungewohnt kämpferischem Ton. ‚Schauen Sie sich mal an, was mein Vater im Osten macht: Für den Glauben werben.‘"[5]

„Verdirbt Politik den Charakter?“, fragt der katholische Priester Monsignore Dr. Paul Adenauer, der Sohn des Gründungskanzlers der „Bonner Republik“ in seinem Tagebuch. „Vater meint ja, denn ein derartiger Kampf fordere in den Menschen gerade die schlechtesten Eigenschaften heraus, und um sich zu verteidigen, sei man sehr versucht, auch nach minderwertigen Mitteln zu greifen."[6] Wenn dies so ist und es selbst bei einem Mann wie Adenauer so war, stehen alle Christen umso mehr in der Verantwortung, für Regierende zu beten und zu opfern. „Wie sehr müssen wir auf den Heiligen Geist warten“, notiert Adenauers Sohn Paul am Anfang der 1960er Jahre. „Ich bete um diesen Tröster, diesen Lebensspender, besonders für den Mann, der ein Stockwerk genau unter mir schläft.“

Zur Verantwortung der Christen gehört es aber auch, den Regierenden immer wieder entschlossen, mutig, öffentlich und konstruktiv den Spiegel vorzuhalten. Christen müssen widersprechen, wenn Regierende gegen den christlichen Glauben handeln. Im Falle Angela Merkels wäre es der Spiegel ihrer eigenen Bibelarbeit über den Propheten Maleachi und seine klaren Worte, die sie verstanden hat und deuten kann. Nehmen wir Angela Merkel bei ihrem eigenen Wort, erinnern wir die Bundeskanzlerin an ihre besondere Verantwortung als Christin!

Christliche Demokratie als Weg der Mitte

Für Joseph Ratzinger sind Nationalismus und Marxismus die beiden „Sündenfälle Europas in der Neuzeit“. Ihre revolutionäre Energie sei ungebrochen, analysiert der spätere Papst als Präfekt der Glaubenskongregation.[7] Wie so oft in der Geschichte stellt sich damit für Christen gerade heute die Aufgabe, nach dem verlorenen Weg der Mitte zu suchen, ihn wiederzufinden und mutig auf ihm voranzugehen.

Ein Maßstab kann auch heute Adenauer sein: „Wir nennen uns Christliche Demokraten, weil wir der tiefen Überzeugung sind, dass nur eine Demokratie, die in der christlich-abendländischen Weltanschauung, in dem christlichen Naturrecht, in den Grundsätzen der christlichen Ethik wurzelt, die große erzieherische Aufgabe am deutschen Volk erfüllen und seinen Wiederaufstieg herbeiführen kann. Wir nennen uns Union, weil wir alle diejenigen, die auf diesem Boden stehen, zu politischer Arbeit zusammenführen wollen."[8]

Eine sich so nennende „Alternative“ zu christlicher Demokratie ist dagegen in ihrem programmatischen Kern nationalistisch und liberalistisch. Sie sei keine christliche Partei, bekennen ihre Befürworter offen: „Sie steht in der Tradition der Nationalliberalen. Bismarck, nicht Windthorst, Stresemann, nicht Adenauer, markieren ihre geistigen Wurzeln."[9]

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2018
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[1] A. MERKEL (2015): Rede auf dem 28. Parteitag der CDU, 14.12.2015, www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/bericht-der-vorsitzenden-der-cdu.pdf
[2] S. SASSE (2018): Keine Zukunft ohne Herkunft, in: Die Tagespost, 08.02.2018, 5.
[3] A. MERKEL (2005): Pflege der Frömmigkeit, Bibelarbeit der Kanzlerkandidatin auf dem 30. Evangelischen Kirchentag am 25.05.2005. Neu abgedruckt in: Daran glaube ich, Leipzig 2013, 127ff.
[4] In: Keine Zukunft ohne Herkunft.
[5] V. RESING (2013): Die Protestantin. Ein einführendes Portrait, in: A. MERKEL: Daran glaube ich, 7f.
[6] Konrad Adenauer – Der Vater, die Macht, das Erbe. Das Tagebuch des Monsignore Paul Adenauer 1961-1966, Paderborn 2017.
[7] J. RATZINGER (1990): Europa – Hoffnungen und Gefahren, in: Wendezeit für Europa?, Freiburg 1991.
[8] K. ADENAUER (1946): Grundsatzrede am 24. 03.1946, in: Konrad Adenauer – Reden 1919-1967, Stuttgart 1975, 87f.
[9] M. KRAH (2017): Warum ich ein Kreuz bei der AfD mache, in: Die Tagespost, 22.03.2017. 

Vollständige Übersetzung

Brief von Schwester Lucia an Prof. Ludwig Fischer

Im Archiv des Heiligtums von Fatima befindet sich eine Fotokopie des Briefes, den Schwester Lúcia de Jesus dos Santos im Jahr 1940 an den Bamberger Kirchengeschichtsprofessor Dr. Ludwig Fischer gerichtet hat. Auf dem Internationalen Mariologischen Kongress vom 6. bis 11. September 2016 in Fatima legten Dorothea und Wolfgang Koch erstmals eine Übersetzung des Briefes durch die Romanistin Dr. Ursula Böhmer, Bonn, vor:

Institut der Dorotheen-Schwestern – Tuy

19. 3. 1940

Hochwürdiger Herr Dr. Fi[s]cher!

Durch Vermittlung seiner Exzellenz des hochwürdigen Herrn Bischofs von Leiria erhielt ich das Heiligenbild, das Sie mir freundlicherweise geschickt haben, sowie auch die Worte, die Sie mir zum Dank für meine so armseligen Gebete schrieben. Mir scheint, dass dies meine Pflicht ist, so habe ich es versprochen.

Ich hege Ihnen gegenüber ein wahres Gefühl der Dankbarkeit, für den Segen, den Sie so feinfühlig für mich vom Heiligen Vater erlangten und nach dem ich so sehr verlangte. Und schließlich für das hohe Maß an Mühe und Leiden zum Ruhm und zur Ehre unseres guten Gottes und seiner so geliebten Mutter im Himmel.

Seit langem wünschte ich Ihnen meine Dankbarkeit zu zeigen, aber ich wagte es nicht. Heute, da seine Exzellenz der hochwürdige Herr Bischof es mir nahelegt, indem er sich anbietet, meinen Brief zusammen mit einem eigenen zu schicken, ergreife und nutze ich die Gelegenheit. Da wir schon so nahe an Ostern sind, sende ich meine aufrichtigen guten Festtagswünsche, wenn sie denn zu einer Zeit passen, wie wir sie erleben; es ist der Herr, der uns reinigt durch Krieg und Verfolgung, Er sei unsere Kraft und unsere Hilfe.

In meinen armseligen Gebeten vergesse ich nicht Deutschland, es wird noch in den Schafstall des Herrn zurückkehren; dieser Augenblick nähert sich sehr langsam, sehr mühsam, aber er wird schließlich eintreffen, und die Herzen Jesu und Marias werden dann mit Glanz herrschen. Ich schicke ein ärmliches Heiligenbild als Dank an Euer Hochwürden.

Ihre niedrige Magd +

Maria Lucia von Jesus r.S.D.

 

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2018
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Neues Grundlagen- und Orientierungssemester in Köln

Gap.Cologne

Von Dr. Johannes Hattler

Ab Oktober 2018 bietet das Lindenthal-Institut in Köln ein Grundlagen- und Orientierungssemester mit zwei Bestandteilen an: ein Studium Generale und ein paralleles Studien- und Berufsorientierungsprogramm. Das Gap.Cologne richtet sich als Gap Year Program primär an Abiturienten/-tinnen, die die Lücke (engl. gap) zwischen Schule und Studium sinnvoll nutzen wollen. Kooperationspartner des Projekts ist die Universität von Navarra, die auch die Credit-Points vergibt, die für das Folgestudium angerechnet werden können.

Im Studium Generale werden die Grundlagen unserer Kultur und unseres Selbstverständnisses vermittelt. Den größten Umfang im Studienangebot haben die theoretische und praktische Philosophie. Daneben stehen ausgewählte Themen der Katholischen Theologie, Geschichte, Psychologie, Rhetorik, Soziologie, Politik, Wirtschaft, Literatur und natürlich die Einführung in das akademische Studium auf dem Programm. Das Fundament für die Ausrichtung der Studieninhalte und für die Auswahl der Dozenten ist das christliche Welt- und Menschenbild. Der Lehrkörper setzt sich aus Dozenten aus dem In- und Ausland zusammen.

Das Studien- und Berufsorientierungsprogramm verläuft parallel. Es beinhaltet eine Kompetenz- und Persönlichkeitsanalyse, zum ermittelten Profil passend ausgewählte Mentoren, Arbeitsplatzbesichtigungen, den Austausch mit Studierenden verschiedener Fachrichtungen, Bewerbungstraining und zusätzliche Hilfestellungen für eine fundierte Entscheidung.

Im Rahmen der Kooperation mit der Universität von Navarra findet ein Austauschprogramm mit den Studierenden im dortigen englischsprachigen Studiengang Philosophy, Politics and Economics statt. Der einwöchige Aufenthalt in Spanien schließt den Besuch in der Hauptstadt Madrid ein, wo die Universität von Navarra ebenfalls einen Campus hat.

Das Orientierungssemester beginnt im Oktober 2018 und geht bis Ende Februar 2019. Im Anschluss bleibt noch genug Zeit, um die Welt zu erkunden, Praktika zu machen, sich für das Sommersemester zu immatrikulieren oder sich in einem Sozialprojekt zu engagieren. Auch für diese weiteren Schritte bietet das Team des Lindenthal-Instituts Unterstützung an, indem Praktika und Auslandsaufenthalte durch weitere Partner vermittelt werden können.

Die Kursgröße ist auf 25 Personen beschränkt, um ein optimales Betreuungsverhältnis zu gewährleisten. Der Preis für das Gesamtprogramm aus Studium Generale und Studien- u. Berufsorientierung beträgt 3.950 Euro. Weitere Informationen zum Programm, dem Lehrkörper, den Bewerbungsfristen, Stipendien und dem Schnupperwochenende am 11./12. Mai sind nachzulesen unter www.gap.cologne.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2018
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Werner Münch zur Zukunft des Christentums in Deutschland

Leben mit christlichen Werten

In Kürze erscheint ein 224 Seiten umfassendes Buch mit dem Titel: „Leben mit christlichen Werten. Erinnerungen und Ausblick“.[1] Im Gespräch mit dem Journalisten Stefan Meetschen (geb. 1969) blickt der bekannte Wissenschaftler und Politiker Prof. Dr. Werner Münch, der 1940 als Arbeiterkind in Kirchhellen zur Welt kam, offen und ehrlich auf die verschiedenen Stationen seines bewegten Lebens zurück. Münch lehrte viele Jahre lang als Politikwissenschaftler und war als Rektor und Präsident aller kirchlichen Hochschulen in Deutschland tätig. Als Mitglied im Europäischen Parlament, Minister der Finanzen und Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt sowie als Berater der bulgarischen Regierung für den EU-Beitritt des Landes hat er vielfältige praktische politische Erfahrungen gesammelt. Unermüdlich setzt er sich für den Erhalt der christlichen Werte in Politik und Gesellschaft ein. Nachfolgend einige Auszüge aus dem neuen Interview-Band, in dem Münch zum Teil sehr kritische Töne anschlägt.

Interview mit Werner Münch

Anfang des Jahres 2009 sind Sie nach 37 Jahren Mitgliedschaft aus der CDU ausgetreten. In dem Brief, in dem Sie die Gründe für den Austritt angeführt haben, ist davon die Rede, dass die Kritik der Bundeskanzlerin an Papst Benedikt XVI. im Zusammenhang mit der William-son-Affäre, die damals hochkochte, lediglich „das Fass zum Überlaufen gebracht hat“. Was war sonst noch in dem Fass?

Ich habe in diesem Brief die Profillosigkeit der CDU in der Bundespolitik kritisiert, beispielsweise in der Finanz- und Steuerpolitik. Ich habe kritisiert, dass Angela Merkel den Beschluss des Leipziger Parteitages 2003 in der Steuer- und Finanzpolitik nicht umgesetzt hat, so wie sie vor zwei Jahren in der Frage der Doppelstaatsangehörigkeit ja auch das Mehrheitsvotum des Parteitages ihrer Partei 2016 in Essen missachtet hat, indem sie sofort anschließend erklärte: „Das ist mit mir nicht zu machen, ich werde das nicht umsetzen.“ Das wäre bei Helmut Kohl nicht passiert, das muss ich in aller Deutlichkeit sagen. Mich hatte ferner schon vorher geärgert, dass Angela Merkel im Wahlkampf als Vorsitzende einer christdemokratischen Partei mit Alice Schwarzer zusammen auftrat – der „Star-Feministin“ der Bundesrepublik Deutschland, welche die Abtreibungsdiskussion im Sinne von pro Abtreibung intensiv befördert hat. Mich hatte bereits vorher irritiert, wie Merkel mit Annette Schavan, der Forschungsministerin, in der Frage der Stammzellenforschung agiert hat, als beide der Forschungslobby mit vagen Versprechungen gefolgt sind nach dem Motto „Das wird dazu führen, dass Krankheiten geheilt werden können“ – was bis heute unbewiesen ist. Das ist ja immer der Köder, den man mit der Behauptung der Heilung von Krankheiten auswirft. Übrigens war inzwischen ja auch ihre Einstellung zu Abtreibungsfragen klar: Sie hat auf die Frage eines Journalisten: „Wenn Sie die absolute Mehrheit bei dieser Wahl bekommen sollten, würden Sie in der Frage der Abtreibung etwas ändern?“, geantwortet: „Nein, denn das System hat sich bewährt!“ Also, was ist denn das für ein christliches Werteverständnis, wenn man die Tötung von ungeborenem Leben mit dem Ausdruck „bewährt“ bezeichnet?

 

Inzwischen sind auch andere bekannte Politiker aus der CDU ausgetreten. Fühlen Sie sich mittlerweile wie ein Pionier? Wie ein Politavantgardist? Gibt Ihnen das eine gewisse Genugtuung; oder sagen Sie sich, ja, vielleicht bin ich ein Pionier, aber das ist eigentlich traurig, das möchte ich gar nicht sein?

Natürlich berührt es mich auch und macht mich traurig, wenn ich sehe, was alles an politischer Kultur, Tradition und Werten in der CDU in den letzten Jahren zerstört worden ist. Der hohe Verlust und die große Abwanderung vieler Wähler von der Union zu anderen Parteien bei der Bundestagswahl im September 2017 hat dies eindeutig bewiesen. Viele sind darüber beunruhigt. Wolfgang Bosbach, den ich sehr schätze, hat es einmal gut ausgedrückt: „Nicht ich habe mich geändert in meinen Grundauffassungen, sondern die Partei hat sich geändert und von mir entfernt. Deshalb habe ich jetzt eine distanziertere Position.“ So war und ist das auch bei mir. Nur ist meine Position noch wesentlich distanzierter als bei Wolfgang Bosbach.

 

Aus dem Verteiler der Konrad-Adenauer-Stiftung haben Sie sich, wie man hört, auch streichen lassen. Das wirkt ein wenig verbittert…

Ich leugne nicht ein Stück Verbitterung über diese Entwicklung, die ich erlebt habe. Glücklich bin ich darüber nicht. Denn natürlich verdanke ich der CDU einiges, auch der Konrad-Adenauer-Stiftung. Was aus der Partei Konrad Adenauers geworden ist, habe ich gerade noch einmal beschrieben. Ich habe einige Reden Konrad Adenauers aus der frühen Nachkriegszeit öfter gelesen und war fasziniert, welche Bedeutung er der europäischen Entwicklung unter christlichen Gesichtspunkten zugewiesen hat, weil er eben das „Dritte Reich“ und den Zweiten Weltkrieg auch unter dem Zerfall christlicher Grundwerte beurteilt hat. Für Angela Merkel war in ihrer ersten Rede im Europäischen Parlament die „Toleranz“ das entscheidende Kriterium, nicht irgendein christlicher Grundwert… – Das ist schon ein gravierender Unterschied!

 

Die Zeiten haben sich gewandelt – der Einfluss der Kirche auf das Denken der Bevölkerung ist gering: Versucht Bundeskanzlerin Angela Merkel bei aller Modernisierung nicht das Mögliche, um das christliche Profil der CDU zu bewahren? Wenn die Partei zu christlich, zu fromm wäre, wäre die CDU wahrscheinlich nur noch eine Splitterpartei angesichts der Säkularisierung unserer Gesellschaft…

Davon bin ich nicht überzeugt, weil diese Annahme nicht bewiesen ist. Wenn man nicht versucht hat gegenzusteuern, bekommt man kein anderes empirisches Ergebnis als das, was man konkret erfährt. Wir können jetzt nicht alle Felder abrufen, in denen ich Gegenbeweise habe, dass unter der Führung von Angela Merkel Politik nicht nach christlichen Grundsätzen betrieben worden ist. Doch man kennt die Stichworte: Abtreibung, Präimplantationsdiagnostik, Stammzellenforschung, Ehe für alle, Suizidbeihilfe, Bioethik usw. Ihre Eigenmächtigkeiten in der Abschaffung der Wehrpflicht und der „Energiewende“ sollten wir bei der Aufzählung nicht vergessen. Und dass sie nichts unternimmt, um eine „deutsche Leitkultur“ zu definieren, ist auch bezeichnend.

 

Trotzdem, bei aller sicherlich berechtigten Kritik: Ist es nicht zu einfach, Angela Merkel zum „linken“ oder „relativistischen Sündenbock“ der Christdemokraten zu erklären? Hat der Relativierungsprozess nicht bereits viel früher, nämlich unter Bundeskanzler Helmut Kohl, angefangen? War er nicht der Erfinder einer Politik der Mitte und damit auch der Beliebigkeit? Trägt Kohl nicht wenigstens eine Mitverantwortung dafür, dass bei der CDU das christliche Profil fehlt, wenn es um Lebensschutz, Familien- und Identitätspolitik geht?

Ich weiß nicht, ob er der Erfinder einer solchen Politik war, zumindest ist er dieser Politik gefolgt. Helmut Kohl hat sicherlich schon in seiner Regierungszeit den Anfang einer solchen neuen Politik zu verantworten. Er hat von der Notwendigkeit einer „geistig-moralischen Wende“ gesprochen, die er nicht begonnen, geschweige denn aktiv betrieben hat. Helmut Kohl war ein machtbewusster Politiker. Er hat jede tatsächliche oder vermeintliche Bedrohung geradezu „gerochen“ und sofort Mittel und Wege gefunden, Leute einzusetzen, die dagegen angingen. Sein Verhalten gegenüber Parteifreunden war auch nicht anders als das von Angela Merkel. Aber er hat auch keinen Hehl daraus gemacht. Angela Merkel tut immer noch so, als ob sie die große fürsorgliche „Mutti“ sei. Helmut Kohl hat zu seinen Entscheidungen gestanden und hat sie auch vertreten. Pharisäertum habe ich bei Helmut Kohl nicht erlebt.

 

Steht Merkel nicht zu ihren Entscheidungen?

Da gibt es insgesamt schon eine deutlich wahrnehmbare Eigenschaft, sich politisch zu wenden, wenn es opportun ist. Sie hat stets gespürt, wann es notwendig war, eigene Positionen zu ändern. Damit hat sie den politischen Relativismus perfektioniert. Die Anfänge waren bei Helmut Kohl, die Perfektionierung ist bei Angela Merkel festzustellen. Deshalb habe ich auch gewisse Sorgen, was die Zukunft betrifft. Angela Merkel agiert im Prinzip wie der französische Politiker Talleyrand. Der hat sich mal beim Besuch eines Gastes vors Fenster gestellt, weil draußen irgendeine Bewegung stattfand. Dann sagte er zu dem Gast: „Hier geht mein Volk, ich muss ihm nach, ich bin sein Führer.“ Ich behaupte, dass dies auch die Position von Angela Merkel ist. Die Art und Weise, wie sie sich an Medienstimmungen und Umfragedaten orientiert, ist schon bemerkenswert. Position bezieht sie nämlich meistens erst dann, wenn sich eine mehrheitliche Meinung öffentlich abzeichnet.

 

Wagen Sie eine Prognose: Wie wird es weitergehen mit der CDU, wie wird es weitergehen mit der deutschen Parteienlandschaft?

Die Volksparteien, die eigentlich jetzt schon den Namen nicht mehr verdienen, werden weiter geschliffen. Sie werden immer weiter von der 40-Prozent-Marke wegkommen. Wir haben früher ja ernsthaft über absolute Mehrheiten diskutiert, die es bei Konrad Adenauer auch gab und bei Helmut Kohl bei einer Wahl fast gegeben hätte. Solche Situationen wird es nicht mehr geben. Wir werden eine weitere Relativierung, eine Orientierung hin zur Mitte bekommen – wie immer dann die Mitte definiert wird. … Ich kann mir vorstellen, dass es eine noch weitergehendere relativistische Entwicklung in einem Vielparteiensystem geben wird. Meine Prognose für die Zukunft ist also keine sehr optimistische.

 

Wagen Sie eine Prognose zur Zukunft des Christentums in Deutschland?

Ich möchte nicht als Schwarzseher auftreten und ich lasse mir weder meine Hoffnung noch meine Fröhlichkeit von düsteren Perspektiven rauben, doch ich habe den Eindruck, dass es in unserem Land noch zu einem weiteren Abbau von Glaubenswissen und Glaubensüberzeugungen kommen wird. Die Gottvergessenheit wird immer größer und weitet sich aus zur Gottlosigkeit bis hin zur Gottesfeindschaft. Der Ego-Kult mit der Forderung nach grenzenloser Freiheit nimmt Gott als Störfaktor mit überflüssigen und unzulässigen Einschränkungen der persönlichen Freiheit wahr. Die Entwicklung wird weiter abwärts gehen, denn zusätzlich sind die religiösen Instanzen in unserem Land, die ein Korrektiv sein könnten, weggebrochen. … Der „große Aufstand“ der Kirche gegen die „Ehe für alle“ findet nicht statt. Die Forderung nach einer „Entweltlichung“ der katholischen Kirche hat Papst Benedikt bei seinem Besuch in Deutschland im September 2011 in den Wind gesprochen. Die Pastoral in den vergangenen Jahren hat seit Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils 1965 weitgehend versagt.

 

Was ist Ihr Lieblingsbibelvers in der Heiligen Schrift?

Mein Lieblingsbibelvers ist ganz unbestritten Matthäus 5,37. Dieser Vers handelt vom Schwören. „So sei euer Wort: Euer Ja sei ein Ja, euer Nein sei ein Nein, und was darüber hinausgeht, ist vom Bösen.“ Dieses Wort von Matthäus gilt auch für mich: Wenn ich eine Position hatte und dachte, du bist auch berechtigt, sie zu äußern, dann habe ich sie auch geäußert. Also dieser Bibelvers hatte für mich immer eine große Bedeutung. Es gibt ein anderes Wort von Matthäus zum Schluss der Rede von Jesus Christus über die Endzeit. Und es ist eigentlich korrespondierend zu dem Bibelvers, den ich gerade zitiert habe. Dieser Vers lautet (Matthäus 24,11-13): „Viele falsche Propheten werden auftreten und sie werden viele irreführen. Und weil die Missachtung von Gottes Gesetz überhandnimmt, wird die Liebe bei vielen erkalten. Wer jedoch bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet.“ Ich lebe von dieser Hoffnung, ich glaube daran. Wir haben eine Zusage der Rettung und eines besseren himmlischen Lebens bekommen. Und daran glaube ich und darauf vertraue ich.

 

Was war das Wichtigste, das Sie gelernt haben?

Diese Grundeinsicht: Was ist der Mensch, wem verdankt er sein Leben und welche Pflichten entstehen daraus. Was bedeutete die Taufe für mich, wie beantworte ich die Liebe Gottes, die er mir geschenkt hat und die ich anderen zu schenken verpflichtet bin. Wie erfülle ich den missionarischen Auftrag, der auch an mich ergangen ist. Und wie widerstehe ich dem Zeitgeist, wenn er der von Jesus Christus verkündeten Wahrheit nicht entspricht. Nach diesen Grundeinsichten zu leben, hat sich im Laufe der Jahre bei mir gefestigt. Danach zu handeln, ist bis zum heutigen Tag schwer genug und ganz sicher nicht immer zufriedenstellend gewesen, aber ich habe mich immer darum bemüht.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2018
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[1] Werner Münch: Leben mit christlichen Werten – Erinnerungen und Ausblick, geb., 224 S., Euro 18,95 (D), Euro 19,50 (A), Verlag Media Maria: Tel. 07303-9523310, Fax: 07303-9523315, E-Mail: buch@ media-maria.de

Mitwirkung an der Verwandlung der Welt

Die Berufung der Familie

Wir leben in einer Zeit, in der die Identität und das Selbstwertgefühl der Familie systematisch untergraben werden. Doch die Familien sind das Herz der Kirche. Sie müssen mit aller Kraft verteidigt und unterstützt werden. Wir dürfen es nicht zulassen, dass die Familie von außen her in Frage gestellt, unterhöhlt und zerstört wird. Sie muss aus sich heraus ihr Geheimnis entdecken und verwirklichen. In diesem Sinn war es nach Corbin Gams geradezu prophetisch, wie der heilige Papst Johannes Paul II. auf einem Weltfamilientreffen den Teilnehmern gleichsam als Schlüssel die Frage an die Hand gegeben hatte: „Familie – was sagst du über dich selbst?“ Darauf aufbauend stellt der Theologe Gams, der sich sehr stark in der Familienpastoral engagiert, wesentliche Elemente der Lehre Johannes Pauls II. über die christliche Familie heraus. Gleichzeitig weist er daraufhin, dass sich Papst Franziskus ganz auf der Linie Johannes Pauls II. bewegt, was das Verständnis von der Sendung der Familie in der Welt von heute angeht.

Von Corbin Gams

Am 11. April 2016 twitterte Papst Franziskus: „Das Wohl der Familie ist entscheidend für die Zukunft der Welt und der Kirche.“ 35 Jahre zuvor, am 22. November 1981, ruft Papst Johannes Paul II. der Welt zu: „Die Zukunft der Welt und der Kirche führt über die Familie."[1] Hier kommt die Aktualität, mehr noch die Notwendigkeit der Familie für die Zukunft und das Wohl der Menschheit zum Ausdruck.

Johannes Paul II. – der Papst der Familie

In seinem Nachsynodalen Schreiben „Amoris Laetitia“ beleuchtet Papst Franziskus unter anderem auch die Liebe in der Familie. Nicht weniger als 42 Mal verweist Papst Franziskus in diesem Schreiben auf Aussagen und Texte des hl. Johannes Paul II., den „Papst der Familie“.[2]

Das Thema „Familie“ war das Anliegen, welches Papst Johannes Paul II. sein ganzes Pontifikat hindurch begleitete. Bereits ein Jahr nach seiner Wahl zum Papst hat Johannes Paul II. 1979 mit einem sich über fünf Jahre erstreckenden Katechesenzyklus über den Menschen, seine Leiblichkeit und seine Sexualität begonnen. Vom 26. September bis 25. Oktober 1980 fand unter seiner Leitung die Weltbischofsynode mit dem Thema „Die christliche Familie“ statt. Am Fatimatag, dem 13. Mai 1981, hatte der Papst zwei wichtige Dokumente zur Veröffentlichung während der Mittwochsaudienz in seiner Tasche. Zum einen war es sein Anliegen, an der Lateranuniversität das Päpstliche Institut Johannes Paul II. für Studien über Ehe und Familie zu gründen, und zum anderen das Dokument zur Errichtung des Päpstlichen Rates für die Familien.

Die christliche Familie – Abbild der Dreifaltigkeit

Am 22. November 1981 veröffentlichte Johannes Paul II. das Nachsynodale Schreiben „Familiaris Consortio“ über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute. Im Oktober 1994 begründete Johannes Paul II. dann die Weltfamilientreffen. Die Familie als „Zukunft der Welt und Kirche“,[3] mehr noch als „Abbild der Dreifaltigkeit"[4] war ein zentrales Thema Johannes Pauls II. in seinem über 26 Jahre währenden Pontifikat.

Seine Ansprache zum Weltfamilientreffen am 8. Oktober 1994 begann Johannes Paul II. mit einer Frage: „Familia, quid dicis de te ipsa?“ – „Familie, was sagst du über dich selbst?"[5] Mit dieser Frage wird deutlich, was sein Anliegen war. Die wesentliche, ja die tiefste Frage, welche die Familie betrifft, kann nicht von außen her beantwortet werden, so als ob die Familie irgendein Gegenstand intellektueller Reflexionen sei. Nein – die Familie selbst ist das Subjekt der Frage, sie ist es, die gefragt wird: Was sagst du über dich selbst? Wer bist du? Familie, warum bist du?[6] „Eine Frage, eine Frage, die eine Antwort erwartet."[7]

Hauskirche – Analogie Kirche und Familie

Diese Frage kam nicht von ungefähr. Johannes Paul II. nahm in dieser Ansprache die Frage von Kardinal Suenens zu Beginn des II. Vatikanischen Konzils auf: „Ecclesia, quid dicis de te ipsa?“ – „Kirche, was sagst du über dich?"[8] In seinen vorbereitenden Betrachtungen zu dieser Ansprache wurde dem „Papst der Familie“ diese Parallele deutlich: Kirche und Familie. Die Analogie Kirche und Familie wurzelt in der frühen Kirche, in der nachapostolischen Zeit. Ihre Antwort lautet: Ich bin Ecclesiola, ich bin Hauskirche.[9] Hier wird wieder die Parallele deutlich: die Kirche in ihrer universellen und apostolischen Dimension und die Kirche in ihrer häuslichen, bergenden Dimension der Familie.[10]

Menschwerdung Gottes – Ursprung der Familie

Johannes Paul II. fährt fort: „Die eine wie die andere [Kirche und Familie] lebt aus denselben Quellen. Sie haben denselben Ursprung in Gott: in Gott dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Mit dieser göttlichen Genealogie begründen sie sich durch das große Geheimnis der göttlichen Liebe. Dieses Geheimnis heißt Gottmensch – „Deus homo“ –, Fleischwerdung Gottes, der die Welt so sehr geliebt hat, dass er seinen Eingeborenen Sohn dahingab, damit niemand, der Ihm nachfolgt, verloren gehe. Gott Vater, Gott Sohn, Gott Heiliger Geist. Ein Gott, drei Personen: ein unauslotbares Geheimnis. In diesem Mysterium findet die Kirche ihren Ursprung und findet auch die Familie, die Hauskirche, ihren Ursprung."[11]

Sendung der Familie – Leuchtfeuer für die Welt

Hier wird deutlich, dass Ursprung wie auch Ziel der Kirche und der Familie identisch sind. Beide haben ihren Ursprung in der Gemeinschaft der göttlichen Personen, der Dreifaltigkeit, und ihr Ziel ist es, in der apostolischen und universellen Sendung der Kirche Licht zu sein. Den Familien ruft Johannes Paul II. zu: „Diese Lichter, die wir sehen können, sind Lichter, die aus der ganzen Welt kommen. Jede Familie trägt ein Licht, und jede Familie ist ein Licht! Sie ist ein Licht, ein Leuchtfeuer, das den Weg der Kirche und der Welt in Richtung Zukunft erleuchten soll."[12] Dies ist Gabe und Aufgabe zugleich: Jede Familie trägt ein Licht, jede Familie ist ein Licht. So wird ganz deutlich, die Berufung der Familie ist es ein Licht zu sein, das in der Dunkelheit leuchtet.

Theologie des Leibes – Weg zur Theologie der Familie

Fast am Ende seiner Katechesen, denen er den Titel „Eine Theologie des Leibes“ gegeben hat, schrieb Johannes Paul II.: „Die Theologie des Leibes, vor allem als Pädagogik des Leibes, wurzelt in gewissem Sinn in der Theologie der Familie und führt gleichzeitig zu ihr hin."[13] Hier wird die enge Verbindung zwischen der Theologie des Leibes und der Theologie der Familie sichtbar. Nicht nur der Leib „ist“ eine Theologie, nein auch die Familie. In seinem Schreiben an die Frauen betont Johannes Paul II., dass gerade die Familie ein Abbild der Dreifaltigkeit ist.[14]

Auf diesem Hintergrund gilt es nun unseren Blick auf die Familie zu schärfen.

Familienpastoral – Herz der Kirche

Es scheint, dass ein Perspektivenwechsel angesagt sein könnte. Es gilt die Familie zum Herz und zur Mitte, ja zum Ausgangspunkt für alle pastoralen Überlegungen zu machen. Johannes Paul II. hat es so formuliert: Die Familie ist das Herz der Kirche.[15] Es geht vor allem darum, die Familien zu stärken, zu ermutigen und auszurüsten, um noch besser als christliche Familie leben zu können. Aber wie?

Diener der Kirche – Diener der Familien

Gleich vorweg: Dies ist mit wirklichen Anstrengungen verbunden! Vielen Familien mangelt es an Wertschätzung. Gerade von Seiten der Kirche, von Bischöfen, Priestern und Gläubigen brauchen Familien mehr Stärkung denn je! Warum: Weil die Identität und das Selbstwertgefühl der Familie bedroht und nahezu verloren gegangen ist. Gerade das braucht die Familie heute, um wieder leuchten zu können. Im tiefsten brauchen Familien somit nicht nur gute Worte, sondern vor allem Taten. Es braucht wahre Diener der Familien – in allen Bereichen der Kirche!

Lebendige Zellen für die Verwandlung der Welt

Wodurch werden Ehepaare aufgebaut? Wie können sie sich selber aufbauen? Wie kann die Kirche den Familien die frohe Botschaft näherbringen, dass sie Abglanz der Dreifaltigkeit sind? Wie kann das „Familie – werde, was du bist“ in Ehe und Familie konkret werden?

Papst Franziskus schreibt in „Amoris laetitia“: „Die Familie lebt ihre besondere Spiritualität, indem sie zugleich Hauskirche und lebendige Zelle für die Verwandlung der Welt ist."[16] Genau das ist der Punkt: In ihrem Hauskirche-Sein nimmt sie teil an der Verwandlung der Welt.

Orte der Ausbildung, des Austausches und der Stärkung

Gott sei Dank gibt es Orte, an denen Familien aufgebaut werden, Orte, an denen sie in ihrem Hauskirche-Sein gestärkt werden, Orte der Ausbildung, des Austausches, des „Familie-seins“.

Immer wieder waren meine Frau und ich als Referenten zu einem solchen Ort der Stärkung, der Ausbildung und des Austausches zum Jungfamilientreffen nach Pöllau in der Oststeiermark eingeladen. Ein Ort, wo die Familien selbst eine Antwort geben auf die Frage: „Familia, quid dicis de te ipsa?“ – „Familie, was sagst du über dich selbst?“

Und ihre Antwort lautet: „Ecclesiola sum“ – „Ich bin Hauskirche“, wir sind Kirche im Kleinen, berufen durch unser Familie-Sein, an der Verwandlung der Welt teilzuhaben und in der Dunkelheit zu leuchten!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2018
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[1] Familiaris Consortio, 75.
[2] Papst Franziskus: Ansprache zur Heiligsprechung Johannes Pauls II. am 27. April 2014.
[3] Familiaris Consortio, 75.
[4] Vgl. Mulieris Dignitatem, 7.
[5] Johannes Paul II.: Ansprache zum Weltfamilientreffen am 8. Oktober 1994, 1.
[6] Vgl. Melina: Liebe, S. 246 f.
[7] Johannes Paul II.: Ansprache zum Weltfamilientreffen am 8. Oktober 1994, 1.
[8] Johannes Paul II.: Ansprache zum Weltfamilientreffen am 8. Oktober 1994, 1.
[9] Johannes Paul II.: „Possiamo dire che questo Anno della Famiglia è una grande risposta esattamente a questa domanda. Quid dicis de te ipsa? Famiglia, famiglia cristiana: che cosa sei tu? Troviamo una risposta già nei primi tempi cristiani. Nel periodo post-apostolico: ,Io sono la Chiesa domestica‘. In altre parole: io sono una Ecclesiola; una chiesa domestica.“
[10] Vgl. Johannes Paul II.: Ansprache zum Weltfamilientreffen am 8. Oktober 1994, 1.
[11] Johannes Paul II.: Ansprache zum Weltfamilientreffen am 8. Oktober 1994, 1. Übers.: Johannes Stöhr: Ehe und Familie, Bd. 2, S. 1136.
[12] Johannes Paul II.: Ansprache zum Weltfamilientreffen am 8. Oktober 1994, 6. Übers.: Johannes Stöhr: Ehe und Familie, Bd. 2, S. 1139.
[13] Johannes Paul II.: Die menschliche Liebe, 668 (124,3).
[14] Mulieris Dignitatem, 5-7.
[15] Vgl. Johannes Paul II.: Ansprache zur Weltweihe an das unbefleckte Herz Mariens am 25.3. 1984.
[16] Amoris Laetitia, 324.  

Die spanische Mystik zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben

Das Geistliche ABC nach Franziskus von Osuna

Der Franziskaner Francisco de Osuna wurde um 1492 in Osuna bei Sevilla in Andalusien geboren, studierte an der Universität von Alcalá und lernte auf ausgedehnten Reisen die niederländisch-deutsche Mystik kennen. In der Stille von La Salceda verfasste er schließlich das sog. „Tercer Abecedario Espiritual“, das „Dritte Geistliche Abecedarium“. Dieses Buch, das zu einem Leitwerk der mystischen Gebetslehre wurde und auch entscheidenden Einfluss auf die hl. Teresa von Avila ausübte, machte Franciso de Osuna zu einer spirituellen Autorität in Spanien. Dr. Peter Dyckhoff hat nun unter dem Titel „Das geistliche ABC nach Franziskus von Osuna“ zum ersten Mal eine vollständige Übersetzung des Werkes in deutscher Sprache vorgelegt.[1] Aus seiner Hinführung zum neuen Buch, das 576 Seiten umfasst.

Von Peter Dyckhoff

Nachdem ich auf vielen Umwegen zum Priester geweiht worden war, wurden die Schriften der spanischen Mystiker Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz zu meiner Lieblingslektüre und sind es noch heute. Hinzu kamen und kommen weitere spanische Schriftsteller – vornehmlich des 16. Jahrhunderts. Wie ein roter Faden zieht sich etwas Spanisches durch mein Leben…

Erika Lorenz (1923-2003) – Expertin für spanische Mystik

Während eines Kursus zur „Spiritualität“, den ich in Andalusien besuchte, lernte ich Erika Lorenz (1923-2003) kennen. Sie war Professorin an der Universität Hamburg für Hispanistik, insbesondere für spanische Spiritualität des 16. Jahrhunderts. In den Jahren 1964 und 1965 war sie Gastprofessorin in Bogota und Medellin in Kolumbien. Vielen Hörern und Lesern erschloss Erika Lorenz einen neuen, ganz unkonventionellen Zugang zu den großen Gestalten der spanischen Mystik. Zahlreiche Texte von Teresa von Avila, Johannes vom Kreuz, Francisco de Osuna und Ramon Llull wurden von ihr ausgewählt, übersetzt, mit Anmerkungen versehen und herausgegeben. Sie verband darin, wie in vielen ihrer Monographien, die romanistische wissenschaftliche Kompetenz mit dem seit ihrer Konversion von 1956 praktizierten katholischen Glauben.

An all ihren Veröffentlichungen ließ sie mich durch ein Exemplar teilhaben, das sie jeweils mit freundlichen und lieben Worten signierte. Mein Interesse an spanischer Mystik war groß und ging inzwischen über Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz hinaus. Doch leider hatte ich wegen meiner fehlenden spanischen Sprachkenntnisse keinen direkten Zugang zu Petrus von Alcantara, Ludwig von Granada, Ramon Llull, Franziskus Ortiz, Johannes von Avila, Franziskus von Osuna…

Francisco de Osuna – Wegweiser des kontemplativen Gebetes

Als gerade geweihter Priester verbrachte ich mein erstes Jahr als Kooperator (Kaplan) in St. Georgen bei Bruneck in Südtirol. Erika Lorenz hatte ihr neues Buch Francisco de Osuna gewidmet und nannte es „Versenkung – Weg und Weisung des kontemplativen Gebetes“. Wie immer bei einer Neuerscheinung von ihr ließ sie mir eines der ersten Exemplare signiert zukommen: „Meinem Freund und Gefährten Peter in herzlicher Verbundenheit Erika. Hamburg, d. 5. März 1982“.

Ich hielt dankbar das kleine Taschenbuch aus der Herderbücherei „Texte zum Nachdenken“ (Band 938) in meinen Händen und begann sofort begeistert zu lesen. Viele neue Einsichten wurden mir geschenkt und Aha-Erlebnisse taten sich auf – beschreibt Osuna doch den geistlichen Weg des Ruhegebetes, den ich damals bereits schon zehn Jahre lang ging. Doch enttäuscht war ich, als ich feststellen musste, dass dieses Taschenbuch nur einen winzigen Auszug aus dem gesamten Werk „Tercer Abecedario Espiritual“ des Francisco de Osuna wiedergab.

Hl. Teresa von Avila: „Das Buch diente mir als Meister!“

Der Text auf der Rückseite des Buches von Erika Lorenz ist dagegen so stimmig und vielversprechend. Da er mir so wesentlich und treffend auch für meine Arbeit erscheint, möchte ich ihn dem Leser nicht vorenthalten:

Die hl. Teresa von Avila berichtet in ihrer Autobiographie: „Ich wusste immer noch nicht, wie ich es mit dem Gebet und der inneren Sammlung machen sollte. Denn ich hatte keinen Seelenführer gefunden, der mich verstanden hätte. Darum war ich glücklich über das Buch, es konnte mir als Meister dienen. Ich beschloss, dem darin vorgezeichneten Weg rückhaltlos zu folgen.“

Dieses Buch, „Tercer Abecedario Espiritual“, war der geistliche Bestseller des 16. Jahrhunderts. Sein Verfasser, Francisco de Osuna, kompetent durch eigene Erfahrung, legte in eindringlich-bildhafter Sprache die kontemplative Tradition der Franziskaner erstmalig der Öffentlichkeit vor.

Auch der Mensch unseres Jahrhunderts kann in der hier aus dem Abecedario dargebotenen Auswahl Einweisung in die Kunst des Betens finden, Zugang zu jenem Tiefengebet, das zu einer Versenkung führt, die viele heutzutage nur in den östlichen Religionen zu finden meinen. Doch ist es, fern von Selbsterlösungsstreben, ein christozentrisches Beten. Osuna lehrt eine Kontemplation, die um Notwendigkeit wie Grenzen geistiger „Techniken“ weiß und der es um jene Haltung und Hingabe geht, die sich der gnadenvollen Führung Gottes grenzenlos öffnet.

Zunächst schlugen alle Versuche fehl

Ein weiterer und tieferer Zugang zu Franziskus von Osuna blieb für mich trotz mehrmaligen Lesens der Auswahltexte von Erika Lorenz fragmentarisch und hinterließ den sehnlichen Wunsch, doch einmal mehr von diesem wunderbaren geistlichen Autor zu erfahren. Obwohl ich wegen der Sprachbarrieren den Weg zu ihm bisher nicht fand, hegte ich all die Jahre den nicht versiegenden Wunsch in meinem Herzen, Franziskus von Osuna einmal umfassend und tiefgreifend zu begegnen. All meine Versuche und Anstrengungen, demjenigen näher zu kommen, dessen „Drittes geistliches ABC“ Teresa von Avila zum „Meister“ wurde, schlugen fehl.

Im Abstand von einigen Jahren nahm ich immer wieder erneut die Suche auf, um den vollständigen Text in deutscher Sprache zu finden oder suchte nach einer Möglichkeit, ihn übersetzen zu lassen. Ich schaute regelmäßig in den Programmen deutscher und ausländischer Verlage nach, suchte im ZVAB (Zentrales Verzeichnis antiquarischer Bücher), sowie in einzelnen Antiquariaten.

Ausgabe in englischer Sprache von Mary E. Giles

Im Sommer 2004 entdeckte ich eine vollständige Ausgabe in englischer Sprache: „Francisco de Osuna – The Third Spiritual Alphabet“, Translation and Introduction by Mary E. Giles, Paulist Press New York. Dieser Ausgabe – ich besorgte sie mir gleich voller Erwartung – liegt die spanische Originalausgabe von Miguel Mir aus dem Jahr 1911 zugrunde: Volume 16 of the Nueva Biblioteca de Autores Espanoles.

Ich hielt das ersehnte Buch in englischer Sprache in Händen und begann damit zu arbeiten. Leider wurde mir nach einigen Tagen Übersetzungsarbeit klar, dass ich bestimmte Feinheiten sprachlich nicht erfassen konnte. Somit empfand ich nicht die Freude beim Schreiben, die ich bei anderen Büchern aus der Reihe „Geistlich leben“ erfahren durfte. Bei einem Text, der vom Spanischen ins Englische und dann vom Englischen ins Deutsche übertragen wird, schleichen sich zu leicht Missverständnisse oder gar Unstimmigkeiten ein, die nicht zu verantworten sind. Ich sah mich gezwungen, mein so begeistert begonnenes Vorhaben wieder aufzugeben und reihte das englische Buch – sichtbar und greifbar – unter meine Lieblingsbücher ein.

Pfarrer Heinrich Peter Brubach machte es möglich

Zwölf Jahre lang schaute ich immer einmal wieder mit Bedauern auf den roten Rücken des Buches… 2016 startete ich dann noch einmal einen Versuch, denn ich möchte so gern den Lehrenden des Ruhegebetes und allen, die das Ruhegebet beten, an ihm oder an spanischen Mystikern interessiert sind, einen lebendigen Zugang zu Franziskus von Osuna eröffnen. Sein „Drittes geistliches ABC“ bewirkte die grundlegende geistliche Wandlung im Leben der Teresa von Avila und seither vieler, vieler Menschen. Ich schrieb dem spanischen Verleger Ramon Alfonso Diez Aragon, Director Literario, vom Verlag Sal Terrae in Santander und Valladolid. Kurz darauf erhielt ich Antwort mit der Adresse eines Priesters, der in Malaga lebt und viel für den Verlag arbeitet. Meine Freude war unbeschreiblich:

Pfarrer H. P. Brubach sagte mir zu, das „Dritte geistliche ABC“ des Francisco de Osuna aus einer aktuellen spanischen Ausgabe (Madrid 2015, Biblioteca de Autores Cristianos, 592) ins Deutsche zu übersetzen. Ich bin ihm von Herzen für die wörtliche Übersetzung dankbar, denn ohne ihn wäre diese Übertragung nicht möglich gewesen.

Pfarrer Heinrich Peter Brubach wurde in Kettwig bei Koblenz 1939 geboren und 1964 in Trier zum Priester geweiht. Er war zunächst als Kaplan im Bistum Trier und dann in der Erzdiözese Sucre in Bolivien, dem Partnerbistum des Bistums Trier, und dann fast zehn Jahre als Pfarrer und Lehrer im bolivianischen Monteagudo, Chuquisaca, tätig. Anschließend übernahm er als Pfarrer drei Pfarreien in der Diözese Trier. Er war Mitarbeiter bei der Bistumszeitschrift „Paulinus“ und ehrenamtlicher Richter im Offizialat. Seit 2005 lebt und arbeitet er überwiegend in Malaga, Spanien. Wie er mir schreibt, wurde ihm Spanisch zur zweiten Muttersprache, sodass spanische Verlage ihn als anerkannten Literatur-Übersetzer engagieren.

Das Geistliche ABC

Das Buch von Francisco de Osuna möchte in uns Begeisterung für Heiliges wecken, selbst wenn es uns noch fremd ist, und Erfahrenes umwandeln in eine Leiter, die uns aufwärts führt und dem Himmel näher bringt. So möchten die geschriebenen Worte uns die göttliche Wahrheit erkennen lassen und über jegliche Erkenntnis hinaus zu einer Gottesbegegnung führen. Durch liebende Anerkennung allein kann man kein Werk in sich aufnehmen, man muss es prüfen, es schrittweise wahrnehmen und, wenn es im Einklang mit Höherem steht, annehmen.

Möge dieses Buch eine Liebe in uns erwecken, die grösser und umfassender ist, als es je eine Liebe zu den Dingen sein kann, die ständig wechseln und vergehen. Mögen wir aber auch dieses Buch selbst lieb gewinnen, wenn es uns über einen längeren Zeitraum zum geistlichen Begleiter wird. Die Liebe nimmt das in sich auf, was sie liebt. Dabei nimmt sie niemandem etwas. Sie mehrt die Liebe sogar, indem sie sich an den Werken erfreut. Mögen wir dieses Buch nicht nur in Händen halten, sondern es auch schrittweise besitzen und unser Eigen nennen: Denn den Inhalt wahrhaft aufzunehmen, ihn zu bewahren und ihn anzuwenden, ist weitaus mehr als nur das Lesen der Texte.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2018
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[1] Peter Dyckhoff: Das geistliche ABC nach Franziskus von Osuna, mit Vignetten und Zeichnungen, geb. mit Leseband, 15,1 x 22,7 cm, 512 S., € 40,00 (D), € 41,20 (A), Herder Verlag, ISBN 978-3-451-38051-8.

Zum rechten Verhältnis von Aktion und Kontemplation

Die Ruhe im Alltag

„Das geistliche ABC nach Franziskus von Osuna“ bietet einen unglaublichen Reichtum an Impulsen für das Glaubensleben eines jeden Christen. Das Vierte Kapitel im Traktat XVII ist mit den Worten überschrieben: „Der kleine notwendige Aufwand, um zu Christus zu kommen“. Es geht darum, sich im Alltag immer wieder Ruhe für das Gebet und die Betrachtung zu gönnen. Der Gewinn ist unaussprechlich; denn Jesus Christus wird uns als „Diener des Tisches“ entgegengehen und uns schon hier auf Erden eine Vorahnung von der Herrlichkeit des Himmels zuteilwerden lassen. Doch reicht das Nachdenken über die göttlichen Geheimnisse nicht aus. Die Betrachtung muss umgekehrt auch immer wieder zur Umsetzung im Leben führen.

Von Franziskus von Osuna

Der Herr weiß um die Notwendigkeit für uns, immer wieder von der Arbeit in die Ruhe zu gehen. Dazu ruft er alle. Der Schritt, von der Arbeit in die von Gott gefügte Ruhe zu gehen, kostet keinen Arbeitsaufwand und ist darüber hinaus äußerst fruchtbringend. Der Herr ruft alle, die sich im Alltag mühen und beladen sind, damit sie die Weisung zur Ruhe in Gott befolgen, die ohne Last und Mühe auszuführen ist. Dazu gehört, dass wir auch die Erde unseres eigenen Lebens – und dazu gehört auch unser Körper – pflügen, das heißt kultivieren.

Alle, die schwere Lasten zu tragen haben und durch viele Beschwernisse bedrückt sind, sollen zum Herrn kommen. Es sind diejenigen,

• die sowohl körperlich als auch geistig hart arbeiten müssen,

• die aus bestimmten Lebensumständen heraus eine Arbeit aufnehmen müssen, die ihnen nicht liegt und sie bedrückt,

• die ein Joch auf den Nacken gelegt bekommen, das weder unsere Väter noch wir tragen konnten (vgl. Apg 15,10),

• die der Last der Sünden neue hinzufügen. Denn meine Sünden schlagen mir über dem Kopf zusammen, sie erdrücken mich wie eine schwere Last (Ps 38,5),

• die sich bis zum Letzten abmühen mit weltlichen Aufgaben,

• die sich den zeitlichen Dingen unterwerfen und ihr Streben auf rein Irdisches richten,

• die an Materiellem hängen und es festhalten, obwohl es in Windeseile vergeht,

• die ersehnen, was ihren Händen immer wieder entgleitet.

Sie alle sollen ihr Tun unterbrechen und zum Herrn kommen und, wenn nicht gar ihm, so doch seinem Wort folgen. Das, was er uns mit auf den Weg gibt, ist leicht und sanft durchzuführen und bringt reiche Frucht. Johannes Gerson stellt die berechtigte Frage:

„Wie kann das Joch des Herrn leicht sein? Denn an anderer Stelle heißt es: Der Weg zum Himmel ist schmal und nur wenige gehen auf ihm.“ Er selbst gibt die Antwort und sagt: „Das, was in der Enge beginnt, dehnt sich im Verlauf der Zeit durch unaussprechliche Liebe aus und erweitert sich. So verhält es sich mit denjenigen, die trotz aller Schwierigkeiten damit beginnen, Christus zu folgen. Zu Beginn fühlen sie sich beengt, der Weg ist für sie schwierig und die Last schwer. Doch immer wieder bedenkenlos Christus zu folgen, macht es ihnen leicht, ihren Weg in der Welt zu gehen wie auch einen geistlichen Weg, den der Herr zeigt.“

Ein Weiteres, das diejenigen erfahren dürfen, die Christus nachfolgen: Wenn sie am Ziel ankommen, finden sie eine für sie speziell eingerichtete Heimat – und das Mahl ist für sie bereits vorbereitet, ohne dass sie selbst Mühe damit haben. Jesus Christus ging voraus, um uns nicht nur den Weg, sondern auch eine Wohnung zu bereiten.

Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten. Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin (Joh 14,3-4).

Wenn der Herr sieht, dass die Nachfolgenden nicht mitkommen, geht er ihnen entgegen, um zu sehen, wo sie sind, und um sie anzuspornen, ihren Weg mit ihm fortzusetzen. Der Herr verspricht nicht nur, für uns einen Platz im Himmel zu bereiten, sondern er sagt auch, dass er wiederkommt, um uns an seinen Tisch zu bitten.

Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht,

ich fürchte kein Unheil;

denn du bist bei mir,

dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht.

Du deckst mir den Tisch

vor den Augen meiner Feinde.

Du salbst mein Haupt mit Öl,

du füllst mir reichlich den Becher.

Lauter Güte und Huld

werden mir folgen ein Leben lang

und im Haus des Herrn

darf ich wohnen für lange Zeit.

(Ps 23,4-6)

Mit diesen Worten dankt David dem Herrn für die Hilfe, die er ihm auf seinem Weg gewährte, und dafür, dass alles vorbereitet war, als er ankam. Diejenigen, die schwach sind und auf einem durchnässten Weg gehen, benötigen den „Stock und den Stab“, damit sie nicht fallen. Ist der Weg zurückgelegt, danken sie dem Herrn dafür, dass er sie vor manchem Sturz bewahrt hat und sie in die Herberge des Himmels kommen dürfen. Uns allen hat Christus einen Platz bereitet am Tisch der himmlischen Ehre – Jesus Christus, der sich selbst „Diener des Tisches“ nennt.

Der Herr sagt, der Kelch sei überreich gefüllt. Damit weist er auf die Überfülle der Gegenwart Gottes hin. Ein Wanderer hat Durst – besonders am Ende seiner Pilgerreise. Ist er Christus nachgefolgt, hat er einen großen Durst und eine große Sehnsucht, den Herrn zu „schmecken“. Ja, wir dürfen die Gegenwart überall genießen und ihn mit jedem Atemzug und mit jedem Lebensimpuls schmecken. Der Kelch Christi, aus dem wir trinken dürfen, ist reich an Erkenntnis und geheiligtem Licht, das Christus in unserer Seele hervorruft.

Wir dürfen der Barmherzigkeit Gottes alle Tage unseres Lebens gewiss sein, und darüber hinaus wird sie uns immer umfangen. Die vollkommene Barmherzigkeit wird sich uns erst im Himmel offenbaren. Hier auf Erden jedoch dürfen wir bedingt schon an seiner Herrlichkeit teilhaben. Der Herr möchte aber, dass wir für immer in seine volle Herrlichkeit eintauchen – ja, in ewiger Dauer der Tage werden wir in der Glorie des Hauses Gottes sein. Weil keine Nacht mehr für uns folgen wird, dürfen wir sicher sein, dass wir die Helligkeit Gottes nicht mehr verlieren. Wir werden von der vollkommenen Herrlichkeit Gottes erfüllt und weitaus mehr von der Herrlichkeit und Liebe Gottes empfangen, als wir uns je vorstellen können und verdient haben. Die Gaben der Liebe werden so groß sein, dass sie kein Ende kennen.

Wenn du den Weg zur Nachfolge Christi beschreitest, gehe ihn ganz. Erinnere dich an das Wort, das über diesem Traktat steht: „Dein Körper möge Jesus folgen, und seiner Gottheit deine Seele.“ Es reicht nicht aus, ihm lediglich in der Vorstellung zu folgen, indem du sein Leben und die Geheimnisse des Glaubens betrachtest und erwägst. Man kann nicht von der Nachfolge Christi reden, wenn die Entsprechung in unseren Werken und Taten fehlt. Wer sagt, dass er in ihm bleibt, muss auch leben, wie er gelebt hat (1 Joh 2,6).

Es reicht, wie gesagt, nicht aus, nur darüber nachzudenken, wie wir Christus nachfolgen können. Wenn wir es allerdings nicht in die Tat umsetzen, dann wäre es besser, wir hätten überhaupt nicht darüber nachgedacht. Wer also das Gute tun kann und es nicht tut, der sündigt (Jak 4,17).

Du sollst keinesfalls von der Betrachtung und der inneren Sammlung abgehalten werden, doch muss beiden in jedem Fall die Aktion folgen. Nicht nur dein Geist, deine Vorstellungen und Empfindungen sollen Christus nachfolgen, sondern auch deine körperlichen Werke. Taten müssen mit dem, was in uns geschieht und aufbricht, stimmig einhergehen. Es ist höchste Vorsicht geboten, allein den Gedanken zu folgen, wenn die entsprechenden Taten ausbleiben. Die innerlich gewonnenen und geschenkten Kräfte bringen keinen großen Gewinn, wenn sie nicht aktiv in unser Alltagsleben integriert werden. Viele lassen sich an den geistlichen Tisch bitten, und sie werden herrschaftlich bedient. Wenn es jedoch darum geht, den Tisch für andere zu bereiten und sie zu bedienen, so sind sie dazu nicht bereit. Ein derart einseitiges und egoistisches Verhalten kann zwar vorübergehenden geistlichen Fortschritt bringen, der allerdings keinen Bestand hat und nicht zur Vollkommenheit beiträgt.   

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2018
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Heiligmachendes Tun

Mit Datum vom 19. März 2018, dem Hochfest des hl. Josef, hat Papst Franziskus das Apostolische Schreiben „Gaudete et Exsultate“ – „Freut euch und jubelt“ über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute veröffentlicht. Es ist ein wunderbares Dokument, ein einzigartiges Geschenk an die Kirche, dem wir in Zukunft eine besondere Aufmerksamkeit widmen möchten. Einige Sätze zum Thema Aktion und Kontemplation (vgl. 26-31).

Von Papst Franziskus

Es ist nicht gesund, die Stille zu lieben und die Begegnung mit anderen zu meiden, Ruhe zu wünschen und Aktivität abzulehnen, das Gebet zu suchen und den Dienst zu verachten. Alles kann als Teil der eigenen Existenz in dieser Welt akzeptiert und integriert werden und sich in den Weg der Heiligung einfügen. Wir sind aufgerufen, die Kontemplation auch inmitten des Handelns zu leben, und wir heiligen uns in der verantwortlichen und großherzigen Ausübung der eigenen Sendung.

Kann der Heilige Geist uns etwa dazu anspornen, eine Mission zu erfüllen, und uns gleichzeitig auffordern, vor ihr zu flüchten oder uns nicht ganz hinzugeben, um den inneren Frieden zu bewahren? Manchmal sind wir jedenfalls versucht, die pastorale Hingabe oder das Engagement in der Welt als zweitrangig zu betrachten, als wären sie „Ablenkungen“ auf dem Weg der Heiligung und des inneren Friedens. Man vergisst dabei, dass „das Leben nicht eine Mission hat, sondern eine Mission ist“.[1]

Das bedeutet nicht, die Momente der Ruhe, der Einsamkeit und der Stille vor Gott zu verachten. Ganz im Gegenteil. Die ständig neuen technologischen Errungenschaften, die Attraktivität des Reisens, die unzähligen Konsumangebote lassen nämlich dem Erklingen der Stimme Gottes manchmal keinen Raum. Alles füllt sich in immer größerer Geschwindigkeit mit Worten, oberflächlichem Genuss und Lärm. Dort herrscht keine Freude, sondern die Unzufriedenheit derer, die nicht wissen, wofür sie leben. Wie können wir da nicht erkennen, dass wir dieses hektische Rennen stoppen müssen, um einen persönlichen Raum wiederzuerlangen, was manchmal schmerzhaft, aber letztlich immer fruchtbar ist, in dem ein aufrichtiger Dialog mit Gott aufgenommen wird?

Wir brauchen einen Geist der Heiligkeit, der sowohl die Einsamkeit als auch den Dienst, die Innerlichkeit wie auch den Einsatz für die Verkündigung durchdringt, damit jeder Moment ein Ausdruck hingebungsvoller Liebe unter den Augen Gottes ist. So werden all diese Momente zu Stufen auf unserem Weg der Heiligung.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2018
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[1] Xavier Zubiri: Naturaleza, historia, Dios, Madrid 31999, 427. 

Gedanken zum Dreifaltigkeitsfest

Gott ist seinem Wesen nach Gemeinschaft

Am 16. Januar 2018 ist P. Suitbert Jaspers OSB 90 Jahre alt geworden. Karl Jaspers, wie er mit seinem Taufnahmen hieß, wurde 1928 als jüngstes von 5 Kindern geboren und sollte eigentlich Ingenieur werden. So jedenfalls hatte es sich sein Vater vorgestellt, der sich auf Fußbodenheizungen spezialisiert hatte. Doch der junge Karl spürte eine tiefere Sehnsucht nach Liebe und Glück. Und er kam zu der Überzeugung, dass diese Sehnsucht niemand stillen kann außer Gott. So trat er 1950 mit 22 Jahren in die Abtei Neuburg ein und wurde dort 6 Jahre später zum Priester geweiht. Dankbar blickt er auf sein diamantenes Professjubiläum sowie auf sein diamantenes Priesterjubiläum zurück. Zum Dreifaltigkeitsfest betrachtet er in einfacher und doch ganz tiefer Weise das Geheimnis Gottes, der die Liebe ist, ewige Gemeinschaft, Begegnung und Austausch.

Von Suitbert Jaspers OSB

Was bedeutet das Geheimnis der göttlichen Dreifaltigkeit? Was hat es damit auf sich? Das Christentum ist die einzige Religion, die um dieses Geheimnis weiß, es bekennt und verehrt. Und es ist das wichtigste Geheimnis unseres Glaubens, es hat zentrale Bedeutung. Wieso?

Schon der große griechische Philosoph Plato (400 v. Chr.) hat sich gefragt: „Wenn es nur EINEN Gott gibt, wen hat dieser Gott geliebt?“ Auf diese Frage wissen wir Menschen keine Antwort. Und so fragte Plato weiter: „Muss man nicht lieben, um glücklich zu sein?“ Wenn es nur EINEN Gott gibt, ist dieser dann nicht einsam, vereinsamt, ohne Du, ohne Austausch, ohne Begegnung? Er hätte also noch nie geliebt, wäre noch nie geliebt worden. Wäre seine Allmacht blinde Tyrannis und seine Allwissenheit kaltes Wissen, kein liebendes Verstehen? Wenn man den Monotheismus (Eingottglauben), den wir mit den Juden und den Muslimen gemeinsam haben, konsequent zu Ende denkt, muss man dann nicht zu diesem schrecklichen Gottesbild kommen?

Jesus Christus hat in dieses Problem Licht gebracht. Er gewährt uns einen Einblick in das innere Wesen Gottes. Denn Jesus spricht oft vom Vater, vom Sohn und vom Heiligen Geist. Das aber heißt: Gott ist gar nicht allein, einsam und vereinsamt. Nein, Gott ist seinem Wesen nach Gemeinschaft, Begegnung, Austausch. Er hat ein ihm ebenbürtiges Du. Denn der Vater ist Gott, der Sohn ist Gott und der Heilige Geist ist Gott. Und was alles menschliche Denken übersteigt: Vater, Sohn und Heiliger Geist sind nicht drei Götter, sondern sie sind EIN Gott, sie sind eins. Das Miteinander, das Füreinander, das Ineinander von Vater, Sohn und Heiligem Geist ist so restlos und so vollkommen, dass sie eins sind. Das Geben und Nehmen, das Schenken und Empfangen ist so vollkommen, dass sie verschmelzen, ohne sich aufzulösen. Denn drei Götter kann es nicht geben, aber einen einsamen und vereinsamten Gott auch nicht.

So sagt Jesus: Ich und der Vater sind eins. Glaubt mir doch, dass ich IM Vater bin (nicht nur BEIM Vater), und der Vater IN mir ist. Und in der Präfation am Dreifaltigkeitsfest heißt es: „Allmächtiger Vater, mit deinem eingeborenen Sohn und dem Heiligen Geist bist Du der EINE Gott und der EINE Herr, nicht in der Einzigkeit einer Person, sondern in den drei Personen des einen göttlichen Wesens.“ Von unserem Verstand her könnten wir diese Wahrheit nicht finden, weil sie unseren Verstand übersteigt, und weil es in unserer geschaffenen Welt dafür kein Beispiel gibt. Wir wissen es nur, weil Jesus uns diese Wahrheit offenbart hat. Begreifen und beweisen können wir sie nicht, nur glauben.

Mann und Frau können EIN Fleisch werden. Aber sie bleiben doch zwei Menschen, die sich nicht so nahe kommen, wie sie es möchten, die sich nie ganz restlos verstehen und sich auch wieder trennen müssen. Eine schwangere Frau hat mit ihrem ungeborenen Kind eine ganz innige Lebensgemeinschaft, aber sie sind doch zwei Menschen, sogar mit getrenntem Blutkreislauf. Aber in Gott ist die Begegnung so restlos, dass Vater, Sohn und Heiliger Geist EINS sind. Das muss eine grenzenlose Freude und Seligkeit sein, sprudelndes Leben, eine beglückende Einheit. Gott ist nicht ein abstraktes höchstes Wesen der Philosophen, sondern ein lebendiger Gott, schäumendes Leben, ein Feuerball der Liebe, ein Einssein der drei göttlichen Personen. Man könnte auch sagen: Gott ist in sich ewige Hochzeit. Vielleicht trifft dieses Bild sein Wesen am besten.

Wir Menschen können deshalb nur Liebe schenken und empfangen, weil es einen Urquell aller Liebe gibt: den dreifaltigen Gott. So wie das Gebot der Liebe unser Hauptgebot ist, so ist auch das Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit das wichtigste, das zentrale Geheimnis unseres Glaubens. Eines steht und fällt mit dem anderen.

Und noch etwas: Wir Menschen bleiben auf Erden immer unerfüllt und unsere Sehnsucht bleibt ungestillt, auch in der glücklichsten Ehe. Das ist eine schmerzliche Erfahrung. Aber auch unser Glück. Denn unsere Sehnsucht bleibt ja nur deshalb unerfüllt, weil wir zu viel mehr und Größerem berufen sind. Wir sind berufen, in der grenzenlosen Fülle Gottes mit eintauchen zu dürfen in den Schoß der Heiligsten Dreifaltigkeit.

Der hl. Augustinus drückt es so aus: „Unser Herz bleibt unruhig, bis es seine Ruhe gefunden hat, o Gott, in dir.“ Und deshalb sagt Jesus: „Ich will, dass auch ihr dort seid, wo ich bin. Ihr in mir und ich in euch, wie ich im Vater bin, und der Vater in mir ist.“ Ja, da kann man nur staunen, jubeln und danken. Das ist die Frohbotschaft unseres Glaubens für jeden, für uns alle.

Man sagt, das Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit sei abstrakt. Man kann damit nichts anfangen. Gewiss geht es weit über unseren Verstand hinaus. Aber andererseits macht uns das Geheimnis der Dreifaltigkeit Gott sympathisch, menschlich und liebenswert. Denn der dreifaltige Gott ist der Urquell allen Seins, allen Lebens und aller Liebe. In ihm beginnen und beschließen wir fast all unsere Gebete: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2018
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Symphonie zum Gedenken an die Shoah in der Berliner Philharmonie

Neue Töne im christlich-jüdischen Dialog

Der Spanier Kiko Argüello (geb. 1939) hat als Kunstmaler bedeutende religiöse Werke geschaffen. Doch ist er weltweit bekannt geworden als Gründer einer neuen religiösen Gemeinschaft, die allgemein „Neokatechumenaler Weg“ genannt wird. 1964 gilt als Gründungsjahr. Zusammen mit Carmen Hernández rief er kleine Gemeinschaften ins Leben, die im Geist der Heiligen Familie den christlichen Glauben auf dem sog. Dreifuß „Wort Gottes – Liturgie – Gemeinschaft“ umzusetzen versuchen. Am 11. Mai 2008 wurde das Neokatechumenat vom Vatikan endgültig anerkannt. Ein Merkmal der Bewegung ist ihre spirituelle Nähe zum Judentum. So ist es nicht überraschend, dass Kiko Argüello eine Symphonie zum Gedenken an den Holocaust komponiert hat, die nach siebenjähriger Erfolgsgeschichte nun auch in Deutschland aufgeführt wird.

Von Sebastian Walter und Maria Voderholzer

Am 10. Juni 2018 wird um 20 Uhr in der Berliner Philharmonie die Symphonie „Das Leiden der Unschuldigen – Im Gedenken an die Shoah“ vor Vertretern von Kirche, Gesellschaft und Judentum aufgeführt. Die musikalische Hommage an die Opfer des Holocaust, die „Huldigung und Gebet“ sein will, wird durch Chor und Orchester des Neokatechumenalen Weges vorgetragen. In Berlin, dem Ausgangsort der Shoah, möchte der Komponist Kiko Argüello auf diese Weise einen Beitrag zur christlich-jüdischen Versöhnung leisten.

„Revolution in der Beziehung zwischen Christen und dem Volk Israels“

Die bisherigen Aufführungen u.a. im Vatikan vor Papst Benedikt XVI., in Jerusalem, Bethlehem, New York sowie im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau haben eine große Resonanz unter jüdischen Vertretern hervorgerufen. Der Rabbiner David Rosen, Direktor für interreligiöse Angelegenheiten des „American Jewish Committee“ und Ehrenpräsident des „International Council of Christians and Jews“, bezeichnet das Werk als „Revolution in der Beziehung zwischen Christen und dem Volk Israels“.

Komponist der Symphonie ist der spanische Künstler Kiko Argüello, der auch der Gründer des Neokatechumenalen Weges, eines nachkonziliaren pastoralen Aufbruchs innerhalb der katholischen Kirche, ist. Der Neokatechumenale Weg hat weltweit ca. 1,5 Millionen Mitglieder und ist in Berlin in acht Pfarreien sowie durch ein eigenes Priesterseminar präsent. Der Berliner Erzbischof Dr. Heiner Koch sieht in der Aufführung der Symphonie gerade in Berlin einen echten Beitrag zur Versöhnung.

Eingeladen sind vor allem Rabbiner und jüdische Gläubige sowie Vertreter der katholischen Kirche, aber auch Mitglieder anderer Konfessionen und Religionsgemeinschaften sowie Persönlichkeiten aus Gesellschaft, Politik und Kultur. Darüber hinaus steht die Aufführung, die nicht gewinnorientiert ist, der interessierten Öffentlichkeit offen. Karten werden kostenlos ausgegeben.

Der gekreuzigte Christus im Leiden unschuldiger Menschen

Das Motiv der Komposition geht auf die biografischen Erfahrungen Kiko Argüellos zurück, die der Künstler in der Barackensiedlung Palomeras Altas vor den Toren Madrids in den 60er-Jahren machte. „Menschen liegen auf der Straße, sterben vor Kälte. Alleingelassene Kinder, die in schrecklichen Waisenhäusern untergebracht sind, dort Gewalt erfahren und missbraucht werden. Diese an Parkinson erkrankte Frau, die ich in diesem Viertel kennengelernt habe, wurde von ihrem Mann verlassen und bettelte um Almosen, ihr Sohn schlug sie mit einem Stock.“ Angesichts des „Ärgernisses, dass es heute so viele Unschuldige gibt, die an den Sünden anderer schwer zu tragen haben“, stellt sich die existenzielle Frage nach Gott. Argüello sah in den leidenden Menschen den gekreuzigten Christus, der die Sünde vieler Menschen trägt. „Ich habe das Ausmaß der Tragödie erkannt, die das jüdische Volk im Holocaust erlebt hat.“

Die Symphonie versteht sich als musikalisches Geschenk an das jüdische Volk. Bei seinen zahlreichen Aufführungen auf der ganzen Welt haben Juden durch die Symphonie ein tief empfundenes Verständnis für das kollektive Leiden ihrer Religionsgemeinschaft erlebt. Der renommierte Rabbiner Irving Greenberg: „Wir sind den Gründern und Mitgliedern des Neokatechumenalen Weges zutiefst dankbar.“ Rabbiner David Rosen: „Das Werk ist ein Ausdruck der Liebe gegenüber dem jüdischen Volk.“

Aufführungsgeschichte der Symphonie

Seit den ersten Aufführungen 2011 in Galiläa und dem Vatikan – in Anwesenheit von Papst Benedikt XVI. – hat die Symphonie beeindruckende Zeichen von Sympathie, Verständnis und Versöhnung zwischen Juden und Christen hervorgebracht. Es folgten weitere Aufführungen: 2011 in Israel (Jerusalem, Bethlehem) und Spanien (Madrid), 2012 in den USA (New York, Chicago und Boston), Ungarn (Budapest) sowie im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, 2016 in Japan (Fukushima), 2017 in Italien (Triest und Vatikan). Bei den Aufführungen waren insgesamt mehrere dutzend Bischöfe und Kardinäle der katholischen Kirche sowie mehrere hundert Rabbiner und jüdische Gläubige anwesend. Durch seine historische Bedeutung als Ausgangsort der Shoah ist Berlin in besonderem Maße prädestiniert, Ort des Gedenkens an die Opfer des Holocaust zu sein.

Der Komponist Kiko Argüello

Der spanische Künstler Francisco (Kiko) José Gómez Argüello Wirtz wurde am 9. Januar 1939 in León (Spanien) geboren und studierte Kunst an der San Fernando Akademie in Madrid. 1959 wurde er mit dem „Premio Nacional Extraordinario de Pintura“ (dem Außerordentlichen Nationalen Preis für Malerei) ausgezeichnet. Nach einer tiefen existentiellen Krise führte seine Bekehrung zu einem Aufenthalt in der Barackensiedlung Palomeras Altas vor den Toren Madrids, wo Argüello mit dem „Leiden der Unschuldigen“ konfrontiert wurde. Durch die Zusammenarbeit mit der spanischen Theologin und Missionarin Carmen Hernández kam es in der Barackensiedlung zur Bildung der ersten sog. „Gemeinschaft“. In den folgenden Jahren nahmen die Gemeinschaften und der „Weg“ konkretere Formen an. Unterstützung erfuhren die pastoralen Initiativen von Kiko Argüello und Carmen Hernández durch die Päpste Paul VI., Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus.

Der „Neokatechumenale Weg“ als Erneuerungsbewegung

Der Neokatechumenale Weg ist ein Weg innerhalb der Pfarrei zur Wiederentdeckung der Taufe, der in den 60er-Jahren in den Baracken von Madrid entstand. Nach dem Vorbild des urchristlichen Tauf-Katechumenats bietet der Neokatechumenale Weg eine stufenweise Hinführung zur existenziellen Dimension des Glaubens für bereits getaufte Christen genauso wie der Kirche Fernstehende oder Ungetaufte an. Der Neokatechumenale Weg wurde 1990 von Papst Johannes Paul II. offiziell anerkannt und 2008 durch Papst Benedikt XVI. als „Weg der christlichen Initiation“ kirchenrechtlich bestätigt. Die Neokatechumenalen Gemeinschaften sind heute in allen Ländern der Welt vertreten und unterhalten mehr als 100 Priesterseminare. Darüber hinaus gibt es zahlreiche missionarische Initiativen. Ein Spezifikum dieses Weges ist die Entdeckung der jüdischen Wurzeln des Christentums und die daraus resultierende Liebe zu den Juden als „ältere Brüder“. In den Gemeinschaften findet sich gleichsam ein gelebter Widerhall der kirchlichen Erklärung „Nostra Aetate“ (1964) des Zweiten Vatikanischen Konzils, das die Haltung der katholischen Kirche gegenüber dem Judentum neu formulierte und Ausgangspunkt einer immer intensiveren Annäherung unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. war.

Der Chor und das Symphonieorchester

Der Chor und das Orchester des Neokatechumenalen Weges bestehen aus insgesamt ca. 200 professionellen Sängern und Musikern aus den neokatechumenalen Gemeinschaften weltweit. Musikalischer Leiter ist der international renommierte Dirigent Tomáš Hanus. Der gebürtige Tscheche ist zudem musikalischer Direktor der Welsh National Opera (Cardiff, Wales) mit Gastengagements an den Opernhäusern in Paris, Madrid, New York, Berlin und München. Darüber hinaus dirigierte er u.a. die Dresdner Staatskapelle, das London Symphony Orchestra sowie das russische National Philharmonic Orchestra.

Unterstützung durch den Berliner Erzbischof

Ausdrückliche Unterstützung erfährt die Veranstaltung seitens des Berliner Erzbischofs Dr. Heiner Koch. In einem Brief schreibt er: „Diese Musik hat, bezogen auf das Leiden der Juden in der Shoah, einen Prozess der gegenseitigen Annäherung zwischen Juden und Christen in Gang gesetzt – ganz in Übereinstimmung mit der Entwicklung, die sich innerhalb der katholischen Kirche insgesamt seit dem II. Vatikanischen Konzil vollzieht. Sie ermöglichte eine besondere Aufmerksamkeit und Liebe für die Situation und das Leiden unserer älteren Brüder, deren Bund von Gott niemals widerrufen wurde, wie der heilige Papst Johannes Paul II. sagte.

Herrn Argüello war es seit Jahren ein Herzenswunsch, diese Sinfonie in Berlin als dem Ausgangspunkt der Shoah aufzuführen, um gerade an diesem Ort einen Beitrag zur Versöhnung, ja zu gegenseitiger Liebe und Verständnis zu leisten. Möge Gott dieses Ereignis mit seinem Segen begleiten. Über Ihr Kommen würde ich mich sehr freuen.“

Veranstalter/Informationen

Die nicht profitorientierte Aufführung der Symphonie „Das Leiden der Unschuldigen – Im Gedenken an die Shoah“ am 10. Juni 2018 um 20 Uhr in der Berliner Philharmonie wird vom Neokatechumenalen Weg Deutschland veranstaltet. Organisation und Durchführung erfolgt über den gemeinnützigen Verein „Heilige Familie von Nazareth für die Neue Itineranten-Evangelisierung e.V.“ (Uhuweg 21a, 12351 Berlin, hfvn-ev.de).

Ansprechpartner für Akkreditierung und weit. Informationen sind: Sebastian Walter (Tel. +491794566702) oder Maria Voderholzer (Tel. +4917626913689), zentrale E-Mail-Adresse: presse@symphonie2018.de

Aufschlussreiche Webseiten:

Website zur Veranstaltung: symphonie2018.de

Website des Orchesters: oscnc.es

Website Tomáš Hanus: tomashanus.com

Video von der Aufführung 2012: www.youtube.com/watch

Hashtag zur Veranstaltung: #DasLeidenDerUnschuldigen  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2018
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Wir erwarten den angekündigten Triumph des Unbefleckten Herzens Mariens

Die Gottesmutter lädt uns ein, ihr zu helfen!

Auf einem Familienkongress in Maria Roggendorf bei Wien hielt Prof. Dr. Anton Štrukelj einen Vortrag über die Verehrung der Jungfrau und Gottesmutter Maria. Er zeigt die Notwendigkeit auf, am Aufbau des Reiches Gottes und an der Rettung der Seelen mitzuwirken. Unsere Mithilfe ist notwendig. Und wer zu Maria seine Zuflucht nimmt, erfährt nicht nur Schutz und Hilfe, sondern wird von ihr auch zu einem Instrument des Heils geformt. Darin besteht nach Štrukelj der Wesenskern der Fatima-Botschaft. Vertieft werden seine Ausführungen durch die eindrucksvollen Zeugnisse, die die beiden Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. über die Marienverehrung und insbesondere über das Rosenkranzgebet abgelegt haben.

Von Anton Štrukelj

Das wunderschöne Gotteshaus hier in Maria Roggendorf wurde 1988 zur Basilika erhoben. Es legt Zeugnis ab für eine lange Geschichte. Aber es erinnert auch an den späteren Kardinal Hans Hermann Groër, der sich unermüdlich dafür eingesetzt hat, dass diese Kirche wieder zu einem Haus Mariens wird. Es war überhaupt sein Bestreben, die Menschen Maria zuzuführen. Denn wer Maria findet, findet bei ihr und in ihr Jesus Christus: „Jesus, der Du in Maria lebst…“. Und er wird zugleich auch zu einem Helfer Mariens in ihrer mütterlichen Sorge um die Kirche. Er wird mit Maria für die Kirche beten, mit Maria für die Kirche leiden und sich für sie opfern. Dies erinnert mich auch an die Predigt, die der inzwischen verstorbene Kardinal Joachim Meisner im Jahre 1987 beim Internationalen Mariologischen Kongress im marianischen Wallfahrtsort Kevelaer gehalten hat. Er zitierte die Worte aus dem bekannten Marienlied: „Dass wir dort nicht fehlen, wo wir nötig sind.“ Ist dies nicht eine wichtige Botschaft an uns?

In Fatima hat Gott ein Fenster der Hoffnung geöffnet

Schon fast 50 Jahre lang wird hier in Maria Roggendorf ununterbrochen die sog. „Wallfahrt für die Kirche“ begangen. Die zentralen Anliegen dieser Wallfahrt sind das Gebet „für die Festigung im Glauben, für die geistlichen Berufungen, für die Erneuerung der Kirche und für den Frieden in der Welt“. Im Licht der Fatima-Botschaft gewinnen diese Gebetsanliegen eine besondere Aktualität. Was uns die Gottesmutter in ihren Erscheinungen 1917 ans Herz gelegt hat, ist von höchster Bedeutung. Maria, die „Königin des heiligen Rosenkranzes“ ist den drei Hirtenkindern vom 13. Mai bis 13. Oktober erschienen, „um in unserem modernen Zeitalter zu uns zu sprechen“. Die Marienerscheinungen in Fatima sind „wie ein Fenster der Hoffnung“ zu verstehen, das Gott öffnet, „wenn der Mensch ihm die Tür verschließt“. Diese berühmten Worte hatte Papst Benedikt XVI. bei seinem Besuch in Fatima am 13. Mai 2010 geprägt. Und er fügte hinzu: „Die Jungfrau Maria ist vom Himmel gekommen, um uns an Wahrheiten des Evangeliums zu erinnern, die für eine lieblose und heilsvergessene Menschheit die Quelle der Hoffnung bilden.“

Der Triumph Christi kommt durch Maria

Damals bekundete er öffentlich, wie sehr er sich nach dem „angekündigten Triumph des Unbefleckten Herzens Mariens zu Ehre der Allerheiligsten Dreifaltigkeit“ sehnt. Die Triumphe Gottes, die Triumphe Marias sind leise, aber doch wirklich. Gott bereitet diesen Triumph vor, aber unser Mittun ist unentbehrlich. Wir dürfen uns fragen, ob nicht auch wir einen konkreten Beitrag leisten können, damit dieser Triumph zu einer beglückenden Wirklichkeit für die ganze Menschheit wird. Maria lädt uns ein, ihr zu helfen. Es ist eine schöne und verantwortungsvolle Aufgabe, die auf jeden von uns wartet. Christus wird triumphieren, das Reich Gottes kommt näher – durch Maria! Die dringenden Bitten und Empfehlungen der himmlischen Mutter sind bekannt: das Gebet, die Buße, die Weihe an ihr Unbeflecktes Herz, die Andacht der fünf ersten Samstage. Ganz zentral aber ist das Rosenkranzgebet. So möchte ich ein wenig auf dieses Mariengebet eingehen.

Johannes Paul II.: „Der Rosenkranz ist mein Lieblingsgebet“

Der hl. Johannes Paul II., der uns im Jahr 2003 die lichtreichen Geheimnisse geschenkt hat, schreibt in „Rosarium Virginis Mariae“ (Nr. 2): „Das Rosenkranzgebet hat mich in Augenblicken der Freude und der Prüfung begleitet. Viele Sorgen habe ich in dieses Gebet hineingelegt und habe dadurch stets Stärkung und Trost erfahren. … Zwei Wochen nach meiner Wahl auf den Stuhl Petri habe ich mich, gleichsam mein Herz öffnend, wie folgt ausgedrückt: ,Der Rosenkranz ist mein Lieblingsgebet. Er ist ein wunderbares Gebet, wunderbar in seiner Schlichtheit und seiner Tiefe. … In der Tat ziehen vor dem Hintergrund der Worte des Ave Maria vor den Augen der Seele die wichtigsten Ereignisse des Lebens Jesu vorbei. Sie bilden zusammen den freudenreichen, schmerzhaften und glorreichen Rosenkranz, der uns – so könnten wir sagen – durch das Herz seiner Mutter in lebendige Verbindung mit Jesus bringt. Gleichzeitig kann unser Herz in die Abfolge dieser Geheimnisse des Rosenkranzes alle Ereignisse einschließen, die das Leben des einzelnen, der Familie, der Nation, der Kirche und der Menschheit ausmachen; die persönlichen Erfahrungen und die des Nächsten, in besonderer Weise die jener Menschen, die uns am allernächsten stehen, die uns am Herzen liegen. So bekommt das schlichte Gebet des Rosenkranzes den Rhythmus des menschlichen Lebens.‘“

Benedikt XVI.: „Der Rosenkranz trägt in sich die heilende Macht des heiligsten Namens Jesu“

Nun haben wir 20 Gesätze des Rosenkranzes. Die 20 Geheimnisse sind wie 20 Farbfenster, wie 20 kostbare Ikonen. Mit Maria betrachten wir das Leben Jesu. Papst Benedikt XVI. sagte in einer Katechese bei einer Generalaudienz: „Heute bekräftigen wir gemeinsam, dass das Rosenkranzgebet keine Frömmigkeitsübung ist, die der Vergangenheit angehört, als sei es ein Gebet aus anderen Zeiten, an das man mit Nostalgie zurückdenkt. Vielmehr erfährt der Rosenkranz gleichsam einen neuen Frühling. Das ist zweifellos eines der beredtesten Zeichen der Liebe, die die jungen Generationen Jesus und seiner Mutter Maria entgegenbringen. In der heutigen Welt, in der so viel Zerstreuung herrscht, hilft dieses Gebet, Christus in den Mittelpunkt zu stellen, so wie es die Jungfrau Maria tat, die all das, was über ihren Sohn gesagt wurde, und auch das, was er tat und sagte, in ihrem Herzen bedachte. Wenn man den Rosenkranz betet, durchlebt man noch einmal die wichtigen und bedeutsamen Augenblicke der Heilsgeschichte; man durchläuft die verschiedenen Etappen der Sendung Christi. Durch Maria wird das Herz auf das Geheimnis Christi ausgerichtet. Christus wird in den Mittelpunkt unseres Lebens, unserer Zeit und unserer Städte gestellt durch die Betrachtung seiner freudenreichen, lichtreichen, schmerzhaften und glorreichen heiligen Geheimnisse und durch das Nachdenken über sie. Maria möge uns helfen, die Gnade in uns aufzunehmen, die aus diesen Geheimnissen ausströmt, auf dass sie durch uns die Gesellschaft ,tränken‘ kann, angefangen bei den Alltagsbeziehungen, und sie reinigt von so vielen negativen Kräften, indem sie sie für die Neuheit Gottes öffnet. Wenn der Rosenkranz richtig gebetet wird – nicht mechanisch und oberflächlich, sondern mit tiefem Glauben –, dann bringt er in der Tat Frieden und Versöhnung. Er trägt in sich die heilende Macht des heiligsten Namens Jesu, der mit Glauben und Liebe in der Mitte jedes ,Gegrüßet seist du, Maria‘ angerufen wird.“

Hineinschwingen in das Beten der Kirche

Papst Benedikt XVI. antwortet auf die Frage, wie er den Rosenkranz betet: „Ich mache ihn ganz einfach, genau so, wie meine Eltern gebetet haben. Beide haben den Rosenkranz sehr geliebt. Und je älter sie geworden sind desto mehr. Je älter man wird, desto weniger kann man große, geistige Anstrengungen vollbringen, desto mehr braucht man andererseits eine innere Zuflucht und ein Hineinschwingen in das Beten der Kirche überhaupt. Und so bete ich eben, wie sie es auch getan haben.“

Das Wort des Gekreuzigten an den Jünger, an Johannes und durch ihn hindurch an alle Jünger Jesu: ,,Siehe da, deine Mutter“ (Joh 19,27), wird durch alle Generationen hindurch immer neu wahr. Maria ist in der Tat zur Mutter aller Glaubenden geworden. Zu ihrer mütterlichen Güte wie zu ihrer jungfräulichen Reinheit und Schönheit kommen die Menschen aller Zeiten und aller Erdteile in ihren Nöten und ihren Hoffnungen, in ihren Freuden und Leiden, in ihrer Einsamkeit wie in der Gemeinschaft. Und immer erfahren sie das Geschenk ihrer Güte, erfahren sie die unerschöpfliche Liebe, die sie aus dem Grund ihres Herzens austeilt… Die Jungfrau, die Mutter, zeigt uns, was Liebe ist und von wo sie ihren Ursprung, ihre immer erneuerte Kraft nimmt. Ihr vertrauen wir die Kirche, ihre Sendung im Dienst der Liebe an. So wollen wir mit Papst Benedikt XVI. beten:

„Heilige Maria, Mutter Gottes,

du hast der Welt das wahre Licht geschenkt,

Jesus, deinen Sohn – Gottes Sohn.

Du hast dich ganz dem Ruf Gottes überantwortet und

bist so zum Quell der Güte geworden, die aus ihm strömt.

Zeige uns Jesus. Führe uns zu ihm.

Lehre uns ihn kennen und ihn lieben,

damit auch wir selbst wahrhaft Liebende

und Quelle lebendigen Wassers

werden können inmitten einer

dürstenden Welt.“

(Enzyklika „Deus caritas est“)  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2018
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Siebte Kapelle „Maria Mutter Europas“ in Pannonhalma

Für ein christliches Europa

P. Notker M. Hiegl OSB aus der Erzabtei St. Martin in Beuron, derzeit Spiritual in der Benediktinerinnenabtei Engelthal bei Altenstadt in Hessen, hat vor etwa zehn Jahren die Gebetsgemeinschaft „Maria Mutter Europas“ ins Leben gerufen. Es geht ihm um die Zukunft des europäischen Kontinents. Der Fürsprache und dem Schutz der Gottesmutter wird das große Anliegen der Bewahrung des Christentums in Europa anvertraut. Dazu begründete P. Hiegl eine Partnerschaft unter Marienheiligtümern in Europa, die sich das Patronat „Maria Mutter Europas“ und das gemeinsame Anliegen der Rettung des christlichen Abendlandes zu eigen machen. Mit Schreiben vom 16. Februar 2018 hat sich dem „Regnum Marianum“ der „12 Sterne Maria Mutter Europas“ als siebtes Heiligtum nun auch eine Kapelle in Ungarn angeschlossen.

Von Notker Hiegl OSB

Am Freitag, 16. Februar 2018, traf sich in der Prälatur des Erzabtes und Bischofs von Pannonhalma eine froh feiernde kleine Runde von drei Personen: der inzwischen emeritierte Erzabt-Bischof Imre Asztrik Varszegi OSB, mein Begleiter, der Oblate Stefan Blanz aus Messkirch bei Beuron, und ich. Was war der Anlass dieses Festabends? Dem Reigen der Marienheiligtümer zur Bewahrung des Christentums in Europa sollte eine weitere Kapelle hinzugefügt werden. Welcher Aufbruch war gelungen? Welche Herzensfreude einte uns drei in dieser Abendstunde? Wie war es zu diesem „Gipfel“ gekommen? Eine kurze Chronologie mit einigen Schlaglichtern und Zitaten.

Die Erzabtei Pannonhalma

Die berühmte ungarische Erzabtei Pannonhalma liegt dort, wo das Bakony-Gebirge und die kleine Balkan-Tiefebene aufeinandertreffen. Der imposante Gebäudekomplex, der bereits von Weitem zu sehen ist und in seiner Wuchtigkeit stark an das benediktinische Mutterkloster Monte Cassino in Italien erinnert, blickt auf eine Vergangenheit von mehr als 1000 Jahren zurück. Und innerhalb der Mauern lebt – mit kürzeren und längeren Unterbrechungen – auch heute noch der gleiche Orden, für den Fürst Geza, der Vater des ungarischen Königs Stephan des Heiligen, das Kloster im Jahr 996 gegründet hat. Archäologische Ausgrabungen belegen, dass die Römer die Region schon seit dem 4. Jahrhundert vor Christi Geburt besetzten. Ihre Herrschaft fand erst später durch die Hunnen ein Ende. Der altchristliche Geschichtsschreiber Sulpicius Severus berichtet, dass der hl. Martin, der spätere Bischof von Tours (316-397), in Sabaria geboren wurde, das ganz in der Nähe des heutigen Pannonhalma liegt. Das Kloster und der Hügel wurden später nach ihm benannt: Monasterium Sancti Martini, Szent Marton hegye, zu Deutsch: Martinsberg. Im Jahr 1242 verteidigte Abt Uros die Burg des hl. Martin gegen den Mongolensturm. 1586 müssen die Mönche wegen der Türkenherrschaft das Kloster verlassen. Nach dem Sieg über die Türken im Jahr 1639 lebt das Kloster wieder auf. Josef II., der Aufklärer, macht im Jahr 1766 der Tätigkeit des Ordens ein Ende. Welch wechselvolle Geschichte! Franz I. stellt im Jahr 1802 den Benediktiner-Orden wieder her, der den Unterricht als primäre Aufgabe erhält, bis zum heutigen Tag mit Elite-Gymnasium. Gegen Ende des Jahres 1944 hatte der Orden 279 Mitglieder. Ein letzter großer Einschnitt erfolgte 1945, als der Grundbesitz durch die Kommunisten beschlagnahmt wurde. Im Warschauer Pakt wurde die Kirchenfeindlichkeit immer größer. Erzabt Krizosztom Kelemen musste nach Amerika emigrieren, 1948 erfolgten die Verstaatlichung der Schule sowie Schauprozesse gegen einzelne Patres. Die heutige Erzabtei ist das kirchliche und kulturelle Bildungs- und Erziehungszentrum Ungarns und wurde 1996 zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärt. Das ganze Kloster erstrahlt in einem blühenden Zustand (vgl. bences.hu/lang/de/).

Die Unterkirche, Krypta unter dem Hochaltar-Areal

An der Klosterpforte wurden wir vom Gästepater empfangen, der uns freudig mitteilte, genau an diesem Nachmittag sei die Bestätigung von Rom gekommen, dass Pater Cyrill, der bereits vom Konvent zum künftigen Abt gewählt worden war, nun auch von Rom als Erzabt und Bischof der Kleindiözese Pannonhalma bestätigt worden sei und dass nun dem Weihetermin nichts mehr im Wege stehe. Nach der Führung in den Gästeflügel machten Stefan und ich uns selbstständig auf die Suche nach dem „Grabmal“ Seiner Kaiserlichen und Königlichen Hoheit Otto von Habsburg; denn dieser große Europäer hatte verfügt: „Mein Herz gehört Ungarn.“ Er selbst ist ja in der Kapuzinergruft, der Kaisergruft, in Wien bestattet. In der Basilika, im Hauptschiff und in den Nebenschiffen fanden wir kein entsprechendes Grabmal. Jedoch führen zwei Treppen rechts und links vom Hochchor in eine Unterkirche, einen quadratischen Raum mit 6 Säulen und Konsolen und einem Kreuzgewölbe, Ende des 17. Jahrhunderts der Romanik nachempfunden. Und inmitten der Säulen, im mystischen Halbdunkel fand ich die Grabplatte über der Herzensurne dieses großen Habsburgers mit dem einzigen Wort in vier Großbuchstaben: OTTO. Welche Schlichtheit, welche Erhabenheit, drei Meter vor der thronartigen Sitznische aus Rotmarmor, dem Stuhl des hl. Königs Stephan! Die Herzen seiner Eltern, nämlich von Kaiser Karl I. und Kaiserin Zita, sind in der Schweizer Abtei Muri in der Gruftkapelle sehr ehrwürdig in einer Stele beigesetzt; die Habsburger stammen aus diesem Kanton Aargau, ihre Stammburg ist bis zum heutigen Tag dort erhalten. Und beide Hoheiten sind selig gesprochen, was bei Otto von Habsburg durchaus ebenfalls einmal passieren könnte, ob seinem öffentlichen Eintreten für ein christliches Europa. In Gesprächen mit ihm wie zum Beispiel in seiner Villa „Austria“ in Pöcking am Starnberger See oder bei der Begegnung mit ihm in Gibraltar zur dortigen 700-Jahr-Feier der Kapelle „Unserer Lieben Frau von Europa“ durfte ich seine mystische Christus-Liebe und Marien-Verehrung stets neu erfahren.

Der Briefwechsel vor dem Pannonhalma-Besuch

Zuerst wandte ich mich an Vater Erzabt Tutilo Burger OSB, Beuron, und bat um ein wohlwollendes Begleitschreiben an Seine Exzellenz nach Pannonhalma. Ich konnte darauf hinweisen, dass auch Vater Erzabt Theodor Hogg, Beuron, mir im Jahr 2011 ein solches gewährt hatte, als ich nach Valletta/Malta aufgebrochen war. Und Erzabt Tutilo schrieb mir ein ausgezeichnetes Testimonium für den Ungarn-Besuch (mit Datum vom 19. Dezember 2017). Darin heißt es: „Schon seit vielen Jahren wünscht Pater Notker, ausgehend vom neuen Marienheiligtum in Gnadenweiler, zur Erneuerung des Glaubens und der Kirche in Europa unter dem Schutz der Gottesmutter beizutragen. Zu diesem Zweck hat Pater Notker eine europäische Gebetsinitiative verbrüderter Gotteshäuser mit dem Titel ,Maria Mutter Europas‘ ins Leben gerufen, der sich bisher folgende Heiligtümer angeschlossen haben: Our Lady of Europe in Gibraltar, Maria Mutter Europas in Beresniki/Ural, Maria Mutter Europas in Reykjavik/Island, Maria Mutter Europas in Mellieħa/Malta, die Pfarr- und Wallfahrtskirche Mariä Geburt in Buchboden/Großes Walsertal. Nachdem mit den ersten fünf gleichsam ein Kreuz über Europa gezeichnet werden konnte, steht nun an, den Kranz der Gottesmutter mit zwölf Sternen (Offb 12,1) durch weitere Patrozinien für die ,Mutter Europas‘ abzubilden. Ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Pater Notker auf der Suche nach einem ungarischen Heiligtum sich bei Dir Deinen geschätzten Rat einholen dürfte. In brüderlicher Verbundenheit grüßt Dich herzlich im HERRN + Tutilo.“

Am 23. Januar ging folgender Brief bei Erzabt Tutilo in Beuron ein, den ich natürlich ebenfalls zugestellt bekam: „Lieber Erzabt Tutilo! Danke für Deinen Brief und für die beigelegte Dokumentation. Ungarn ist seit 1000 Jahren ,regnum marinanum‘. Marienheiligtümer, -wallfahrtsstätten haben wir in Hülle und Fülle, fast alle sind lebendig frequentiert. Ich versuche Dir bzw. Euch lesbare Literatur zur Verfügung zu stellen. Danach könnten wir den Kontakt mit einigen aufnehmen, um zu fragen, ob sie Interesse, Offenheit dafür hätten. Ich habe jetzt von einem Fachmann einige Studien bekommen. Es wird für Pater Notker ein guter Ausgangspunkt sein, sich zu orientieren. Ich vermittle gerne… Mit lieben Grüßen, Dein Asztrik.“ Soweit der vorausgehende Briefwechsel.

Entscheidung für die Liebfrauenkapelle

Nach einer gemeinsamen hl. Messe und dem Abendtisch im Kloster St. Martin trafen wir uns mit Vater Erzabt Asztrik in der Prälatur. Mit unserem Gebetsanliegen für die Erhaltung des Christentums in Europa rannten wir offene Türen ein – in diesem Kloster mit seinen Kämpfen gegen die Mongolen, den Islam und den Kommunismus. Allerdings gab der Abt zu bedenken: Seit dem Status des Klosters als Kulturerbe der UNESCO darf im klösterlichen Innenbereich nichts mehr selbstständig verändert werden, auch nicht in der Krypta beim Grab von Otto von Habsburg. Nicht einmal eine Emaille-Platte dürfte angebracht werden, jedoch wüsste er eine viel stärkere pastorale Lösung für diesen Aufruf zum Gebet, nämlich die Liebfrauenkapelle auf diesem Martinsberg, wo die Wallfahrtsströme der Gläubigen hinkämen, um für ein christliches Europa zu beten.

Die Liebfrauenkapelle auf dem Gipfel des südlichsten von drei Hügeln des Pannonhalma-Areals ist ein einschiffiger Barockbau aus dem Jahr 1720. Die Krypta wurde als letzte Ruhestätte der Mönche vorgesehen, während die Kapelle als Pfarrkirche der nahe bei der Abtei lebenden Einwohnerschaft von nicht ungarischer Muttersprache dienen sollte. Das mit Säulen umfasste Hauptaltarbild stellt die Himmelfahrt der jungfräulichen Gottesmutter Maria dar, im roten Kleid der Liebe und im blauen Umhang der Jungfräulichkeit. Im Kapitel-Aufbau darüber ist im Giebelbild die Krönung Mariens durch die Heiligste Dreifaltigkeit zu sehen. Am Seitenaltar rechts ist der Tod des Ordensgründers, des hl. Benedikt, links die Auferstehung Jesu Christi dargestellt. Dieses ehrwürdige Marienheiligtum ist nun offiziell als siebte Kapelle in den Reigen der „12 Sterne Maria Mutter Europas“ aufgenommen worden. Mögen noch weitere fünf Kapellen in fünf weiteren europäischen Ländern folgen, zu Ehren von Jesus und Maria, damit Europa christlich bleibt!  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2018
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