Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Evangelisierung braucht geistliche Zentren, so lautet unser Titelthema. Was Menschen in Pfarreien oft nicht mehr erleben können, finden sie an solchen Orten. Sie erfahren einen lebendigen und anziehenden Glauben. Gerade Fernstehende, die sonst mit der Kirche und den Sakramenten nichts mehr anfangen können, werden neu entzündet. Sie entdecken das Evangelium und das persönliche Gebet als Kraftquelle für ihren Alltag. Wenn sie dann auch in ihren eigenen Pfarreien Fuß fassen – und das ist das große Ziel –, können sie zu wertvollen Mitarbeitern im Gemeindeleben werden und entscheidend zur Erneuerung beitragen. weiter...

Solche Zentren können Gebetsstätten, Wallfahrtsorte, Niederlassungen von neuen geistlichen Gemeinschaften oder auch traditionelle Klöster sein, wie das Beispiel des Stiftes Heiligenkreuz zeigt. Dazu schildert Prof. P. Karl Wallner OCist seine Erfahrungen von der Missionsarbeit seines Klosters, das seit mehreren Jahrzehnten einen einzigartigen Aufbruch erlebt. Den Vortrag, den wir als Leitartikel wiedergeben, hat Pater Wallner Mitte März auf einem Symposium zur Neuevangelisierung in Passau gehalten. Die Veranstaltung verstand sich als Weiterführung der Initiative „Mission Manifest“, an deren Entstehung auch Wallner mitgewirkt hatte. Er erinnert in seinen Ausführungen an die erste These des Manifests, in der es heißt: „Uns bewegt die Sehnsucht, dass Menschen sich zu Jesus Christus bekehren. Es ist nicht mehr genug, katholisch sozialisiert zu sein. Die Kirche muss wieder wollen, dass Menschen ihr Leben durch eine klare Entscheidung Jesus Christus übergeben.“

Orte, an denen Bekehrungen geschehen und der Glaube zum Blühen kommt, zeichnen sich vor allem durch eine Atomsphäre der Einheit, der Geschwisterlichkeit und des gegenseitigen Vertrauens aus. Es herrscht ein positiver Geist, der Ausschau nach dem Guten, nach den Quellen der Freude und der Heiligkeit hält. Die Entscheidung für Christus reift im Gebet und durch die Beheimatung in einer überzeugenden Glaubensgemeinschaft heran, in der Kraft und der Freiheit des Heiligen Geistes.

So sind die geistlichen Zentren ein prophetisches Zeichen für die ganze Kirche. Wie es Jesus selbst in seinem Hohepriesterlichen Gebet unterstrichen hat, kann die Welt nur zum Glauben an Ihn, den Sohn Gottes und einzigen Erlöser der Menschen, finden, wenn seine Jünger eins sind, wie Er und der Vater eins sind. Nicht nur in kleinen Kreisen, sondern auch im Großen muss die Kirche den frohmachenden Geist der Einheit ausstrahlen, um Menschen zu Christus führen zu können. Jeder muss dazu seinen Beitrag leisten, auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens; denn der Friede erwächst aus den Herzen der einzelnen Menschen. Gleichzeitig ist er ein Geschenk von oben, das allein aus der persönlichen Beziehung mit Christus hervorgeht.

Heute gleicht die Kirche dem zerrissenen und geschundenen Leib des Herrn im Todeskampf auf Golgatha. Dem Widersacher und „Auseinanderwerfer“ ist es gelungen, die Jünger des Herrn immer mehr gegeneinander aufzubringen und die Einheit zu zerstören. Wie sehr ist es heute notwendig, der Sintflut an Verdächtigungen, Beschuldigungen und Angriffen mit der verwandelnden Liebe des Auferstandenen zu begegnen. Die Verwirrung können wir nur mit der Haltung des Herrn überwinden, der die Macht des Bösen in der Demut des Kreuzes besiegt hat. Möge uns ein österlicher Sieg geschenkt werden, der Einheit schenkt!

Liebe Leser, für diesen Weg haben wir uns entschieden, diesem Auftrag des Evangeliums wollen wir dienen. Von Herzen danken wir Ihnen für Ihre Unterstützung und wünschen Ihnen ein frohes Osterfest. Auf die Fürsprache Mariens erbitten wir Ihnen Gottes reichen Segen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Das Beispiel des Stiftes Heiligenkreuz

Mission braucht geistliche Zentren

Vom 15. bis 17. März 2019 fand in Passau ein Symposium zum Thema Evangelisierung statt. Referenten wie Professor Dr. Ludger Schwienhorst-Schönberger von der Universität Wien setzten den Akzent vor allem auf die Bibel als „Quelle und Weg der Evangelisierung“. Dr. Katrin Brockmöller aus Stuttgart hob dabei den persönlichen Umgang mit der Heiligen Schrift hervor. Sie entfaltete das Thema „Bibel lesen mit Herz und Verstand! – Das ‚Lectio-Divina-Projekt‘ als konkreter Beitrag zur Evangelisierung“. Der Augsburger Weihbischof Florian Wörner berichtete von einem Projekt der Neuevangelisierung in der Pfarrei von und mit Jugendlichen, das unter dem Namen „Missionarische Woche“ läuft. Prof. P. Karl Wallner OCist sprach am Beispiel des Stiftes Heiligenkreuz zum Thema „Mission braucht geistliche Zentren“. Nachfolgend geben wir seinen Vortrag in leicht bearbeiteter Form wieder. Die Ausführungen, die er dabei über die Medienarbeit des Stiftes Heiligenkreuz machte, bringen wir im nächsten Heft als eigenen Beitrag.

Von P. Karl Wallner OCist

Von 1998 bis 2016 war ich Jugendseelsorger des Stiftes Heiligenkreuz und damit hauptverantwortlich für die Jugend- und Berufungspastoral. Meine Arbeit wurde von der gesamten Kloster-Gemeinschaft mitgetragen, die von einer grundsätzlichen empathischen Offenheit auf Berufungen hin geprägt ist. Insbesondere war ich in diesem Zeitraum für die „Jugendvigil“[1] zuständig, ebenso für die „Kl-Ostertage“ (Ostertage im Kloster) in der Karwoche, die uns die meisten Berufungen gebracht haben. Parallel dazu war ich seit 1999 Rektor der Hochschule. 2016 wurde ich zum Nationaldirektor der Päpstlichen Missionswerke in Österreich bestellt und konnte alle pastoralen Agenden in Heiligenkreuz in jüngere Hände legen. Weiterhin wirke ich als Professor für Dogmatik und Sakramententheologie und bemühe mich nach wie vor, möglichst viele junge Menschen in Kontakt mit dem Kloster zu bringen.

Das Stift Heiligenkreuz heute

In den letzten 20 Jahren erlebte das Stift Heiligenkreuz im Wienerwald, das seit 1133 ununterbrochen existiert, einen Boom. Wir sind von 1982, wo ich eingetreten bin, bis heute von 42 auf 105 Mönche gewachsen. Heuer werden wir noch sieben Feierliche Professen, vier Priesterweihen und drei Einkleidungen haben. Des Weiteren konnten wir 1988 eine Niederlassung in Bochum-Stiepel eröffnen, 2018 in Sri Lanka und 2019 in Neuzelle (Brandenburg).

Die 1802 gegründete Hochschule ist an diesem Zustrom an Berufungen wesentlich beteiligt. Sie ist von 1999 bis 2019 von 62 auf 314 Studenten gewachsen. Davon sind derzeit 178 Ordensleute und Seminaristen. Die meisten meiner eigenen Mitbrüder haben ihre Berufung nach Heiligenkreuz über das Studium an der Hochschule gefunden, auch der jetzige Abt Dr. Maximilian Heim 1983 und ich 1982.

Das Entscheidende an der Atmosphäre in Heiligenkreuz scheint mir die grundsätzliche Sehnsucht aller nach Berufungen, nach „Nachwuchs“ zu sein. Sie hat zu klugen pastoralen Maßnahmen geführt. Es gibt in der Berufungsfrage eine verbreitete spirituelle Gefahr, die ich als „Gnadenfatalismus“ bezeichnen möchte. Es ist die Haltung: „Da kann man nur noch beten!“ Die Förderung geistlicher Berufe aber fordert den ganzen Einsatz all unserer Kräfte. – Natürlich gibt es einen Primat der Gnade. Natürlich hängen die geistlichen Berufungen zuerst von unseren Gebeten ab. Unser Herr sagt ja: „Bittet daher den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende“ (Mt 9,38; Lk 10,2). Natürlich ist das Gebet um geistliche Berufe die Grundlage aller Tätigkeiten zur Förderung geistlicher Berufe. Jede Berufung ist ein übernatürliches Geschenk. Aber die Übernatur baut auf der Natur auf! Daher verurteilt der Vorrang der Gnade uns gerade nicht zum Fatalismus und zur Passivität.

Das Entscheidende ist unsere innere Offenheit und Sehnsucht nach Berufungen. Die Kernfrage, die wir uns stellen müssen, lautet doch: Wollen wir überhaupt geistliche Berufe? Wollen wir sie mit ganzem Herzen und ganzer Kraft? Trauen wir es Gott überhaupt noch zu, unseren Klöstern geeignete Berufungen zuzuführen? Oder haben wir schon aufgegeben?

Das Kloster als Missionszentrum

Unser Kloster war immer schon „pastoral“ ausgerichtet, seit der Barockzeit und besonders nach Joseph II. durch die Übernahme von 21 Pfarren. In der letzten Zeit aber haben wir das Kloster selbst als Missionszentrum entdeckt.

Papst Franziskus lädt uns in „Evangelii Gaudium“ ausdrücklich ein, missionarisch zu sein, um in die Zukunft zu kommen. Wir Klöster haben heute in einer neuen Weise die Chance, missionarisch zu sein, und zwar vor Ort. Es gibt dazu eine „Gunst der Stunde“, die ich in drei Punkten kurz beschreiben möchte. In allen drei Punkten geht es um den Begriff der Erfahrung. Ein Kloster ist eine dreifache Erfahrungswelt:

1. Erfahrung christlicher Spiritualität

Die Situation heute im Westen ist gekennzeichnet von Austrocknung in der Glaubens- und Kirchenerfahrung. Die Selbstverständlichkeit der christlichen Glaubenspraxis, die Selbstverständlichkeit der kirchlichen Inkulturation, die Selbstverständlichkeit der familiären und pfarrlichen Glaubensweitergabe, die Selbstverständlichkeit des liturgischen Kirchenjahres – all das ist einer Situation gewichen, in der die gelebte Gläubigkeit zur Ausnahme und zum Privatvergnügen einzelner geworden ist.

Alle Elemente, die vormals das katholische Glaubensleben innerlich und äußerlich strukturiert haben, wurden von diesem Wandel erfasst: die Religiosität in der Familie, die Prägung durch das Pfarrleben, die Glaubensweitergabe durch den Religionsunterricht, die Erziehung in kirchlichen Schulen und „kleinen Seminaren“. Die Folge davon ist, dass es immer weniger Lebensräume der Glaubenserfahrung gibt. – Das wirkt sich auch auf die Berufungen dramatisch aus: Die bisherigen „Milieus“, in denen junge Menschen kirchlichen Glauben und Christusnachfolge erleben können, sind nicht mehr intakt; die Saatbeete, in denen bisher Berufungen heranreifen konnten, sind durch die abgesunkene Gläubigkeit ausgetrocknet. Und an dieser Situation wird sich so schnell nichts ändern.

In dieser Situation sind Orte der Erfahrungsverdichtung besonders interessant. Wenn alles zur Wüste wird, steigt natürlich die Attraktivität der Oase. Und unsere Klöster und Ordensgemeinschaften gelten als solche Oasen der Spiritualität.

Die Literatur über die Klöster boomt, wie Klosterführer oder Pilgerpfade von Kloster zu Kloster. In Österreich ist der Zusammenschluss von Klöstern zu einem kommerziell-touristisch-spirituellen Marketing-Projekt namens „Klösterreich“ überaus erfolgreich. Woher kommt dieses verstärkte Interesse am Klosterleben?

Es gibt dafür zunächst einen rein gesellschaftlichen Grund: Das Banale ist out, das Exzentrische ist in. Das Außergewöhnliche wird gesucht, toleriert und meist auch bestaunt – auch wenn es nicht nachgeahmt wird. Das christliche Leben im Kloster, der Zölibat und vieles mehr gehört für die Menschen heute in die Kategorie des Exzentrischen, Außergewöhnlichen, ja sogar Skurrilen.

Unsere Klöster sind daher zumindest interessant, weil sie institutionalisierte Oasen des Aussteigertums sind. Wir werden als geheimnisvolle Orte von Nicht-Banalität und Nicht-Normalität wahrgenommen. Ich empfehle dazu die inzwischen leicht aus der Mode gekommenen Bücher von Hans Conrad Zander: Als die Religion noch nicht langweilig war. Über die Wüstenväter.[2]

Unsere exotische Lebensform – täglich um 4.30 Uhr aufstehen, keine Frauen, kein Fernseher – sind ein offener Widerspruch gegen die Mac-Donalds-Kultur und den amorphen Einheitsbrei der Lebensstile.

Was die Spiritualität betrifft: Da müssen wir heute nicht auf fernöstliche Mantras, Lotossitz und Chakras setzen: für die heutigen Menschen ist eucharistische Anbetung, Rosenkranz und Geistliche Lesung mindestens ebenso exotisch, wie es in den 1970er Jahren die fernöstlichen Meditationsformen waren. Und genau das haben wir mit unserer Jugendvigil versucht: die jungen Leute durch die normal-katholischen Gebetsformen (die für sie alle exotisch sind) zu Christus zu führen.

2. Erfahrung der persönlichen Begegnung mit Ordensleuten

Ein zweiter Pluspunkt: In einem Kloster kann man reale Menschen in der Christusnachfolge erleben. Gott ist für uns Christen nicht Buch geworden, nicht Lehre, nicht dogmatisches System, sondern Mensch. „Verbum caro factum est.“ Das interessanteste für den Menschen ist der andere Mensch – noch dazu, wenn dieser durch seine Lebensform die Existenz Gottes zu bezeugen versucht.

An unserer Hochschule unterrichte ich Dogmatische Theologie. Gerade deshalb erlaube ich mir die Feststellung: In der gegenwärtigen Atmosphäre ist Dogma „out“, aber Zeugnis „in“. Das Objektive des Dogmas stellt für den Menschen heute keinen Wert mehr dar. Das Prinzip der Postmoderne ist die Subjektivität: „Ich denke mir!“ – „Für mich ist es gut!“ – „Ich empfinde es für mich wertvoll!“ – Weil man sein eigenes Ich so wichtig nimmt, ist man bereit, auch die Subjektivität des anderen ernst zu nehmen, also auch die Überzeugung des anderen gelten zu lassen. Daraus folgt: In einer Zeit des Wahrheitsrelativismus ist die Berufung auf die eigene Subjektivität gleichsam zum unschlagbarsten aller Argumente geworden! Heute wird nicht mehr danach gefragt, was Jesus oder die Kirche denn nun „objektiv“ (also „dogmatisch“) lehren, sondern wie man sich selbst subjektiv dazu verhält.

Anders gesagt: Mit einer dogmatischen Argumentation – also: „Jesus sagt, dass…“ – wird man wenig Erfolg haben. Wenn man sich aber auf seine subjektive Erfahrung beruft, schaut die Sache plötzlich ganz anders aus. Es klingt doch sehr authentisch, wenn man sagt: „Mir sagt mein Jesus, dass…“ Ich beobachte folglich positiv, dass wir Mönche im Kloster für solche authentischen Subjekte gehalten werden. Ja, das Kloster ist gleichsam der Ort, wo man heute „noch“ solchen Subjekten begegnen kann, deren Überzeugung durch eine spezifische Lebensform abgedeckt ist.

Anders gesagt: Die Menschen sind allgemein davon überzeugt, dass wir Ordensleute ein authentisches Christentum verbürgen. Und darin liegt eine große Chance.

Der westlichen Kirche fehlt zusehends das, was ich die „Starzen“ nennen möchte. Starez heißt in der östlichen Kirche der geistliche Vater und Begleiter, also der gottes- und weltkluge Weise. Starez ist der in geistlichen Dingen erfahrene Seelenführer und Beichtvater, einer, der zumindest Zeit hat und der im Gespräch den Horizont ausweitet hin auf Gott.

Unsere früheren „Geistlichen“ haben sich zu „Seelsorgern“ gewandelt. Nomen est omen. – Es geht nicht mehr um ein Sein (Geistlich-Sein), sondern um ein Tun (Seel-sorgen, Pastoral-schaffen, Pfarre-organisieren). Unsere Seelsorger sind eher Organisatoren und Entertainer. Diese Tendenz wird durch die aufgrund des Glaubensabbruchs und der Schrumpfung der Kirche notwendigen Umstrukturierungsmaßnahmen hin zu Mega-Großpfarren hochpotenziert, sodass der Pfarrer noch mehr Manager und noch weniger Geistlicher zu werden droht.

Im Kloster aber kann man dem Mönch begegnen. Die persönliche Begegnung hat bei uns in der Jugendseelsorge Priorität. Andere Gemeinschaften (Seligpreisungen, Johannesgemeinschaft, Schwestern vom Lamm) praktizieren das auch. Für einen jungen Menschen ist es umwerfend, mit einem Mönch zu sprechen, normal zu sprechen.

Man muss in einem Kloster aber Andockstellen schaffen: Gästeaufnahme, Führungen durch Mitbrüder! Da ist der Mönch schon „die Sensation“ der Führung an sich.

Wie mühsam war es für mich, in der Pfarre eine geistliche Atmosphäre zu schaffen! Man muss für Jugendveranstaltungen schon ein wirklich durchstrukturiertes Programm entwerfen, damit eine Atmosphäre entsteht, in der die Menschen von Gott berührt werden. Wie viel leichter ist das im Kloster: Hier sind – nach dem Wort eines alten Mitbruders – die Steine gleichsam durchbetet, hier kann man immer betende Menschen erleben.

Wenn junge Leute kommen, so steht ihnen die Teilnahme am Chorgebet jederzeit offen. Es gibt Mitbrüder, die für die Beichte und das geistliche Gespräch zur Verfügung stehen, sodass eigentlich automatisch, ohne dass man hier als Verantwortlicher viel organisieren muss, der „Finger Gottes“ die jungen Menschen anrühren kann.

3. Erfahrung der Gemeinschaft im christlichen Geist

Wir leben in einer Gesellschaft der Singles und der Verkultung des Individualismus. Der deutsche Trendforscher Matthias Horx charakterisiert unsere Mentalität als die des „Mega-Ego-Individualismus“. Und gerade weil sich heute jeder selbst in seiner Individualität zum Götzen zu machen droht, wirkt ein Ort, wo nicht das „Ego“, sondern das „Wir“ im Mittelpunkt steht, interessant und anziehend. Im Kloster geht es nicht um die Profilierung des „Ich“, sondern um die Synthese des „Wir“. „Seht, wie sie zusammenhalten!“ (Tertullian). Der „Mega-Ego-Individualismus“ führt bei vielen Menschen zu einem Gefühl der dramatischen Vereinsamung und daher suchen sie Gemeinschaft; daher sind sie von unserer Lebensform beeindruckt und fühlen sich angezogen.

Die Menschen haben ein gutes Gespür für echte Gemeinschaft. Sie fühlen es, ob es in unseren Konventen stimmt oder nicht. Wichtig für die Gemeinschaft: Das miteinander Singen! Und gerade der Gregorianische Choral hat sehr positive psychologische Auswirkungen.

Angebote in Heiligenkreuz

1. Öffentlichkeit für Spiritualität schaffen

Einladung zum Chorgebet. Begleitung der Gäste.

2. Geistliche Kreise um sich scharen

Seit 1952 gibt es eine Gebetsgemeinschaft mit 2.100 Personen: „Freunde des Heiligen Kreuzes“.

3. Führungen

Ca. 170.000 Touristen besichtigen jährlich das Stift Heiligenkreuz. Für Jugendliche, namentlich für Schul- und Pfarrgruppen, bieten wir Sonderführungen an, die in der Regel von einem jungen Mitbruder gehalten werden. Wir bemühen uns, die Führungen so zu legen, dass sie mit einer Teilnahme am Chorgebet enden.

4. Gäste

Der Gästetrakt ist das ganze Jahr über durchgängig mit Einzelgästen ausgebucht, aber auch mit Wochenendgruppen, darunter vielen Schul- und Jugendgruppen. Dabei wird deutlich, welch große Bedeutung der Gästepater für ein Kloster hat. Er hat mehr seelsorgliche Möglichkeiten als mancher Pfarrer, da alle Gäste, die zu einem Kloster kommen, offen sind und sich Betreuung wünschen. Der Gästepater – bei uns sagt man auch „Gastmeister“ – ist eine Mischung zwischen Starez und Manager. Auf jeden Fall ist er der offizielle „Außenminister des Klosters“ und kommt in seiner Bedeutung für die Repräsentation des Klosters nach außen sicher gleich nach dem Abt.

5. Kloster auf Zeit

Selbstverständlich gibt es die Einrichtung von „Kloster auf Zeit“, des Mitlebens im Kloster, in der Klausur. Diese Einrichtung steht unter der Verantwortung des Novizenmeisters. Freilich muss er hier eher restriktiv sein, da der Konvent sonst überfremdet würde. Es leben ja in der Studienzeit ohnehin schon ein gutes Dutzend Ordensleute aus anderen Klöstern mit uns im Konvent, sodass eine allzu große Zahl von Fremden nicht erträglich wäre. Der Novizenmeister sieht in „Kloster auf Zeit“ eine Einrichtung für Menschen, die nach ihrer Berufung suchen. Gäste, die nur einmal religiös ausspannen wollen, nehmen zwar an unseren Chorgebeten teil, wohnen und essen aber im Gästetrakt und nicht in der Klausur. Die richtigen „Kloster auf Zeit“-Gäste nehmen auch am Leben der Novizen und Kandidaten teil.

6. Jugendseelsorge samt Jugendseelsorger

Heiligenkreuz will vor allem offen sein für die Jugend. Der Abt hat daher erstmals in der Geschichte einen eigenen Jugendseelsorger ernannt: einen Priestermönch, der schon eine Zeitlang als Pfarrer außerhalb des Stiftes wohnte und sogar schon Dekanatsjugendseelsorger war. Für die Jugendseelsorge steht ein eigener Raum im äußeren Stiftshof zur Verfügung. Der Jugendseelsorger hat große Freiheit zur Gestaltung der Jugendarbeit, die sich freilich vor allem an Jugendliche wendet, die bereits gläubig sind. Naturgemäß ist das Einzugsgebiet groß. Zu den Veranstaltungen kommen die Jugendlichen aus ganz Österreich. Angeboten werden Jugendexerzitien zu Silvester, in der Karwoche und zu Pfingsten. Außerdem gibt es eine Jugendbegegnung zu Kreuzerhöhung im September. Bei all diesen Programmen gab es bisher mindestens 40 Teilnehmer/innen. Seit einiger Zeit wurden drei Jugendherbergen mit einer Kapazität von 60 Stockbetten eingerichtet. Der Jugendraum ist nie abgeschlossen, er steht auch allen Mitbrüdern zur Verfügung, die Jugendliche seelsorglich betreuen oder sich mit Jugendgruppen nach Führungen zum Gespräch zusammensetzen.

7. Kl-Ostertage

Überlaufen ist unser Kloster jedes Jahr in der Karwoche. Nicht nur durch die „normalen“ Gäste. Speziell ist, dass junge Männer in den Kartagen mit uns in der Klausur mitleben dürfen. Wir zählen jedes Jahr zwischen 20 und 28 Teilnehmer. Da die Liturgie sehr feierlich ist, freut sich der Zeremoniär über die Möglichkeit, die jungen Leute in die Assistenz einteilen zu können. Die Teilnehmer der Kl-Ostertage teilen unser Leben. Wichtig ist, dass jeder Gast einen Mitbruder als „Schutzengel“ zugeteilt erhält. Diese Kl-Ostertage sind für die Berufungspastoral überaus fruchtbar, da interessierte junge Männer gerade in der heiligsten Zeit des Jahres unser Mönchsleben teilen dürfen.

8. Geistliche Kraftsportwochen

Im Kloster gibt es einen Raum für den Kraftsport, der sehr gerne genutzt wird, auch von den Studenten. Zwischen 2001 und 2018 gab es dort zwei Wochen im Sommer „Geistliche Kraftsportwochen“, wo trainiert wurde. Gleichzeitig gab es ein intensives geistliches Programm samt lockerer Freizeitgestaltung.

9. Jugendvigil

Eine Möglichkeit für Jugendliche, Gott zu erfahren, ist die monatliche „Jugendvigil“. Die Idee dazu wurde 1997 vom Novizenmeister, der jetzt unser Abt ist, geboren und mit mir als damaligen Dekanatsjugendseelsorger in die Tat umgesetzt. Das Konzept ist einfach: Jugendliche kommen und beten mit den Mönchen, und zwar so, dass sie dabei auch sinnlich das uralte Kloster erleben. Am ersten Monatsfreitag versammeln sich die Jugendlichen um 20.15 Uhr in der Kreuzkirche. Wichtig ist die Einbindung des Klosters: Die Jugendlichen können vorher an der Komplet der Mönche teilnehmen. Die Jugendvigil selbst eröffnen dann die Mönche mit einem Gregorianischen Choral. Es folgt eine stille Lichterprozession in die dunkle Abteikirche und dann singend durch den Kreuzgang. Dort wird – immer an verschiedenen Orten – Statio gehalten und eine jugendgemäße Erzählung vorgelesen. Nach diesem einstimmenden Teil der Wallfahrt durch das Kloster findet der Rest der Jugendvigil in der Kreuzkirche statt. Es folgt eine kurze zündende Predigt oder ein Zeugnis, dann eucharistische Anbetung mit freiem Gebet. Die alten Mönche geben sich mit den jungen Leuten durchaus charismatisch, eine eigene Band sorgt für die Musik. Der Zustrom ist enorm, so dass ihn die Kreuzkirche gerade fassen kann: 250 bis 300 Teilnehmer im Schnitt.

Erwachsene dürfen dezidiert nicht teilnehmen, damit die Jugendvigil nicht überaltert. Jugendliche wollen unter sich sein. Die Erwachsenen werden aber am Tag der Jugendvigil auch „gefordert“. Für sie gibt es von 22 Uhr bis 7 Uhr morgens eine „Liturgische Nacht“ mit eucharistischer Anbetung. Um 23:30 Uhr feiert der Prior eine festliche hl. Messe. So erleben wir jedes Mal nach der Jugendvigil einen Schichtwechsel: Wenn die Jugendlichen aus der Kirche zur Agape strömen, warten draußen schon die Erwachsenen auf den Einlass zur Liturgischen Nacht. Eindrucksvoll ist auch, dass die Beichte so sehr geschätzt wird – gerade auch von den Jugendlichen –, dass wir immer mehrere Beichtväter brauchen.

Wichtig ist uns, dass wir als Gemeinschaft wahrgenommen werden. Die Jugendvigil ist daher nicht die Sache des Jugendseelsorgers, sondern des ganzen Konventes.

2016 ist dazu das Buch „Jesus, berühre mich!“ erschienen, wo man in der langen Einführung die Idee der Jugendvigil nachlesen kann. Der Hintergedanke dieses Buches war, andere zur Nachahmung zu animieren.

10. Authentizität – oder: Wir müssen uns nicht anbiedern!

Wichtig ist für uns in Heiligenkreuz die Authentizität. Denn der Mut zur Offenheit für das Apostolat an der Jugend erfordert auch den Mut zur Identität, zu Authentizität. Für uns ist es daher selbstverständlich, dass wir Mönche unsere klösterliche Liturgie nicht anpassen, wenn Jugendliche oder Gäste dabei sind. Wir halten das Schweigen, wir singen unser Chorgebet lateinisch usw. – Natürlich haben wir unsere Hefte und Behelfe mit Übersetzungen, denn wir wollen ja niemanden ausschließen. Aber wir wollen ausdrücklich auch unsere Identität zeigen, uns als das präsentieren, was wir sind: Mönche in einer konkreten monastischen Tradition. Das „Eingehen“ und „Abholen“ geschieht dann nachher im Gespräch und in der Betreuung. Bei Jugendlichen schlägt das voll ein: Hier ist einmal etwas, das eben wirklich exotisch anders ist; hier ist etwas „alternativ“, nicht pädagogisch nachgehend, sondern provokant herausfordernd.

Ausblick

Ich fasse zusammen: Benedikt von Nursia hat 529 Montecassino gegründet. Damals versank Europa im Chaos der Völkerwanderung. Im selben Jahr schloss Kaiser Justinian die platonische Akademie in Athen, sozusagen als Schlusspunkt unter dem Verfall des Bisherigen. Eine neue Zeit begann, sie entstand aus den Oasen der Klöster, in denen der Glaube, die brüderliche Liebe und die Weitergabe des Glaubens, aber auch des antiken Wissens geschah.

Geschichte wiederholt sich nicht. Aber man kann aus ihr lernen. Und tatsächlich gibt es Parallelen. Wenn unsere Klöster und Orden begreifen, dass ihr Gemeinschaftsleben mit seinem Fokus auf Gott in der Nachfolge Christi missionarische Kraft hat, und wenn sie dieses Potential auch nützen und ausbauen, dann wäre das jedenfalls ein großes Plus für die Zukunft des Christentums.

Aber natürlich: Wir Klöster können das allein nicht schaffen. Ich denke, dass Gott heute etwas Anderes, etwas Neues will, wo das ganze Volk Gottes missionarisch beteiligt ist. Die Kirche ist ja ihrem Wesen nach missionarisch (Ad Gentes 2).

Aus meiner Erfahrung mit Heiligenkreuz treibt mich aber eine Idee um: dass sich die Bewegungen und Aufbruchskräfte, die es in der Kirche überall gibt, zu „Oasen der Kraft“ zusammentun und verorten. Dass das, was früher einzelne Orden und heute leider nur mehr vereinzelte Klöster schaffen, jetzt als Gemeinschaftswerk der jungen Bewegungen entsteht – Orte, wo man Gott erfahren kann: im Lobpreis, in den Sakramenten, im Gemeinschaftsleben, im Lernen, im Zeugnis, im gegenseitigen Dienst und in der kreativen Evangelisierung durch den Einsatz der Medien.

Wir brauchen dringend Mission Camps, wo sich vom Gebet her die missionarische Kraft, mit der Christus seine Kirche durch alle Zeiten ausgestattet hat, neu fokussiert und viele entzündet.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Konrad Ludwig / Kilian Müller / Karl Wallner (Hg.): Jesus, berühre mich! Kurzgeschichten von der Jugendvigil im Stift Heiligenkreuz, Heiligenkreuz 2016.
[2] Vgl. Hans Conrad Zander: Als die Religion noch nicht langweilig war. Die Geschichte der Wüstenväter, Köln 2001.

Totenerweckungen und die Hoffnung auf das ewige Leben

Jesus hat Macht über den Tod

Ein neues Buch von Dr. Peter Dyckhoff trägt den Titel „Jesus erweckt die Toten“.[1] Die Evangelien berichten von drei solchen Wundern, die Jesus gewirkt hat. Was bedeuten sie? Um diese Machttaten besser verstehen zu können, zieht Dyckhoff zunächst Parallelen zu den Propheten Elija und Elischa im Alten Testament. Von Totenerweckungen ist also bereits vor Jesus die Rede, interessanterweise insgesamt auch dreimal. Schließlich blickt Dyckhoff in die Zeit danach, als die Apostel Petrus und Paulus jeweils einen Toten erwecken. Immer handelt es sich jedoch nur um das Zurückholen eines Toten in das irdische Leben. Aber genau dies wirft ein Licht auf die Macht Gottes und das Geheimnis der Auferstehung. Der Autor stellt die Publikation kurz vor.

Von Peter Dyckhoff

Ein Blick in das Alte Testament mit seinen zwei Totenerweckungen durch die Propheten Elija und Elischa bereitet auf das bessere Verstehen der drei Totenerweckungen Jesu vor, die eng mit dem Alten Testament verknüpft sind. Jesus erwähnt bei seiner Predigt in Nazaret den Propheten Elija, der als Erster einen Knaben aus dem Tod wieder ins Leben zurückrief. Elija ist gesandt, um Leben aus Gottes Hand zu spenden.

Im eigentlichen Sinn spricht das Alte Testament von drei Totenerweckungen. Die dritte wird jedoch in der Regel übersehen, da sie nur am Rande erwähnt wird. Sie ereignet sich nach dem Tod Elischas an seinem Grab. Im Kupferstich des Matthäus Merian (1630) wird sie bildlich dargestellt, was eine große Seltenheit ist. Ist diese wunderbare Begebenheit einer weiteren Totenerweckung, die fast nebenbei am Ende des biblischen Berichtes über das Leben des Propheten Elischa erwähnt wird, nicht ein Zeichen dafür, dass Gottes Kraft durch die Fürsprache Elischas sogar noch über seinen Tod hinaus wirksam ist?

Alle Totenerweckungen sind nicht nur mit Worten wiedergegeben; sie werden auch in Bildern dargestellt. So „hört“ man zum Beispiel im Schauen des Bildes, auf dem Elija und die Witwe aus Sarepta zu sehen sind, förmlich den Dialog zwischen beiden.

Der zweite Teil des Buches enthält die drei Totenerweckungen Jesu im Neuen Testament. Die drei Toten, die Jesus auferweckt, sind ein Kind, ein Jüngling und ein erwachsener Mann. Der Tod wird von immer reiferem Leben erfahren und ist somit stets tiefer vollendet. Durch die drei Totenerweckungen wird deutlich, dass Jesus Macht über jeden Tod hat. – Die blutflüssige Frau und der Vater der verstorbenen Tochter stehen als Vorbilder für den Glauben. Beide Heilungswunder sind miteinander verknüpft; sie sind jeweils eine Geschichte des Glaubens im Angesicht einer unheilbaren Krankheit sowie des Todes. Im Heilen und Auferwecken wird zeichenhaft das Geschenk unvergänglichen Lebens angedeutet. Jesus nimmt in den Verstorbenen das von ihm hervorgerufene Leben wahr. Er sieht die Verstorbenen so, wie Gott sie sieht: lebend. Für ihn ist das kommende Reich bereits gegenwärtig.

Der Einblick in die beiden Totenerweckungen im Alten Testament lässt die Art, in der Jesus Tote erweckt, besser verstehen, da Zusammenhänge deutlich werden.

Lazarus wird zum Symbol für die Kraft, die in der Lage ist, den Tod zu überwinden. Erst von der Lazarus-Perikope an gibt es im Johannes-Evangelium den Jünger, den Jesus liebt. Lazarus ist nach seiner Auferweckung ein reiner Wesensspiegel der Herrlichkeit des menschgewordenen Sohnes.

Im dritten Teil werden, wie es der Kirchenlehrer Augustinus interpretiert, die drei Totenerweckungen Jesu im Neuen Testament zu Sinnbildern der sündigen Seele. Es ist für viele Menschen nicht einfach, in der Welt mit ihren vielen Versuchungen zu bestehen und ihren Lebensweg zu gehen, ohne in den Sog des Bösen und der Sünde zu geraten. Die drei Tode der Menschen, die Jesus leiblich erweckt hat, spiegeln die Seele wider, die sich durch die Sünde mehr oder weniger weit von Gott entfernt hat.

Der vierte Teil widmet sich dem Hinabsteigen Jesu in das Reich des Todes. Dieses Geschehen sprechen wir betend im Glaubensbekenntnis aus. Von den Evangelisten ist es Matthäus, der als Einziger den Abstieg Jesu in den Schoß der Erde erwähnt. Die Bilder des „Abstiegs in das Totenreich“ möchten dem Betrachter zeigen, wie die Liebe Jesu auf seinem Weg des Abstiegs sichtbar wird, und gleichzeitig, wie sich das Irdische mit dem Himmlischen wieder verbindet. Der erste Adam brachte uns den Tod, der zweite, Christus, schenkt uns das Leben.

Den Abschluss des Buches „Jesus erweckt die Toten“ bildet ein Blick in die Apostelgeschichte, die uns von zwei Totenerweckungen berichtet: Petrus erweckt die Jüngerin Tabita und Paulus erweckt Eutychus, einen jungen Mann. Petrus lebt mit einem derart großen Vertrauen und Glauben an Gott, dass er aus dieser Quelle heilen und sogar einen Menschen aus dem Tod ins Leben zurückholen kann. Doch immer wieder kündigt er an, dass nicht er, sondern Jesus Christus heilt und von den Toten erweckt. So zeigt auch das Gebet des Petrus, dass nicht er der Handelnde ist, sondern dass das Wunder ein Hinweis auf die Gegenwart des erhöhten Herrn ist.

Paulus besucht am Ende seiner dritten Missionsreise die Gemeinde in Troas und wird in ein seltsames Geschehen verwickelt. Er, der bisher am Sabbat in jüdischen Synagogen das Wort Gottes auslegte, tritt jetzt nicht mehr als ein judenchristlicher Missionar unter Juden auf, sondern als Vorsteher des Sonntagsgottesdienstes einer rein christlichen Gemeinde. Ein seltener Kupferstich zeigt das tragische Geschehen, das sich während des Gottesdienstes ereignet. Ein junger Mann stürzt zu Tode und Paulus erweckt ihn wieder zum Leben. Damit sagt der Apostel, dass es im eigentlichen Sinn keinen Tod vor Gott gibt, denn auch ein in dieser Welt Toter lebt vor Gott. Nach der Auferweckung feiert die Gemeinde zusammen mit Paulus den Gottesdienst weiter. Der Bericht ist zugleich das früheste Zeugnis für die Praxis eines sonntäglichen Gottesdienstes.

Den Abschluss bildet ein Kupferstich von Martin Schongauer aus dem Jahr 1478, der den heiligen Johannes darstellt. Die vierzig Abbildungen im Buch möchten dazu beitragen, die Texte zu vertiefen und zu einem verinnerlichten Glauben zu führen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Peter Dyckhoff: Jesus erweckt die Toten, geb. mit Lesebändchen, 144 S., mit 40 Abb., 15,95 Euro (D), 16,40 Euro (A), ISBN: 978-3-9479310-4-0, Verlag Media Maria, Illertissen 2019, Tel. 07303-9523310, Fax: 07303-9523315, E-Mail: buch@ media-maria.de, Internet: www.media-maria.de

Paulus holt einen Unfalltoten ins Leben zurück

„Beunruhigt euch nicht: Er lebt!“

Die Berichte von Totenerweckungen in der Heiligen Schrift offenbaren den göttlichen Plan zur endgültigen Erlösung des Menschen. Sie sind eine wichtige Hilfe, um eine Vorstellung von der christlichen Hoffnung auf das ewige Leben zu gewinnen und im Glauben gestärkt zu werden. Denn nach dem Evangelium geht es nicht nur um ein Weiterleben nach dem Tod, also um die Unsterblichkeit der Seele, sondern um das ewige Leben als Teilhabe am Leben Gottes selbst sowie um die Vollendung des menschlichen Lebens in der Auferstehung des Leibes. Nachfolgend erschließt Dr. Peter Dyckhoff die tiefe Bedeutung der Erweckung des jungen Mannes Eutychus durch den Apostel Paulus im Kontext der Ereignisse, wie sie in der Apostelgeschichte überliefert sind.

Von Peter Dyckhoff

Der Unfalltod eines jungen Mannes ereignet sich während der dritten Missionsreise des heiligen Paulus in Troas. Troas ist eine Hafenstadt, die im Norden Kleinasiens am Ägäischen Meer liegt. Diese Stadt besuchte Paulus bereits auf seiner zweiten Missionsreise und gründete hier eine christliche Gemeinde. Die Erzählung vom Fenstersturz des Eutychus unterbricht den Reisebericht, den der Evangelist Lukas über die Reisen des Paulus verfasste. Nach den Tagen der Ungesäuerten Brote segelt Paulus von Philippi ab und kommt nach fünf Tagen in Troas an, wo er sich sieben Tage aufhält (vgl. Apostelgeschichte 20,6). Paulus ist auf dem Rückweg nach Jerusalem.

Als wir am ersten Tag der Woche versammelt waren, um das Brot zu brechen, redete Paulus zu ihnen, denn er wollte am folgenden Tag abreisen; und er dehnte seine Rede bis Mitternacht aus (Apostelgeschichte 20,7).

Es gibt einen unbekannten Augenzeugen, der von folgender Begebenheit berichtet. Lukas selbst war nicht anwesend, und auch Paulus kann es nicht sein, denn von ihm wird namentlich berichtet. Wahrscheinlich wird es ein ständiger Begleiter des Paulus sein, der nicht näher beschrieben wird.

Paulus, der am Sabbat in jüdischen Synagogen das Wort Gottes auslegte, tritt jetzt nicht mehr als ein judenchristlicher Missionar unter Juden auf, sondern als Vorsteher des Sonntagsgottesdienstes einer rein christlichen Gemeinde. Am ersten Tag der Woche wird die Auferstehung des Herrn gefeiert. Als Kulttag hat er den jüdischen Sabbat abgelöst. Dieser Tag wird mit der gottesdienstlichen Versammlung der Gemeinde als „Tag des Herrn“ gefeiert. Der „Dienst am Wort“, die Verkündigung der Heilsoffenbarung, und das eucharistische Mahl als fester Bestandteil der Liturgie gehören von Anfang an zu dieser sonntäglichen Feier. Die Gemeinde in Troas hat sich zum „Brechen des Brotes“ versammelt und feiert zusammen mit Paulus das gemeinsame Liebesmahl.

Die Feier am „Tag des Herrn“, der Paulus vorsteht, bietet ihm die letzte Gelegenheit, der Gemeinde noch wichtige Dinge zu sagen. Da die Feier am Abend stattfindet und Paulus am nächsten Tag abreisen will, dehnt sich seine Predigt bis Mitternacht aus. Über den Inhalt der Rede ist weiter nichts bekannt. Nach dem tragischen Ereignis, das eine wunderbare Wende nimmt, setzen Paulus und die Gemeinde den Gottesdienst fort, indem sie das Brot brechen.

Die lebendige Erinnerung des Augenzeugen spricht aus den Worten der nun folgenden Geschichte des jungen Mannes. Er erinnert sich an seinen Namen: Eutychus. Er hat das Obergemach im dritten Stock des Hauses im Gedächtnis, in dem viele Lampen brennen, und auch die Predigt des Apostels Paulus, die bis Mitternacht dauert.

In dem Obergemach, in dem wir versammelt waren, brannten viele Lampen. Ein junger Mann namens Eutychus saß am offenen Fenster und sank in tiefen Schlaf, als Paulus immer länger sprach; überwältigt vom Schlaf, fiel er aus dem dritten Stock hinunter; als man ihn aufhob, war er tot (Apostelgeschichte 20,8-9).

Sicherlich haben die vielen Lampen, das heißt die vielen Kerzen, die im Obergemach, dem Versammlungsraum der Gemeinde, brannten, der Luft den Sauerstoff entzogen und sie dunstig und heiß gemacht und somit das Einschlafen des Jünglings begünstigt. Durch das Einschlafen des Eutychus bricht die Verbindung ab, die durch das „Wort“ des Paulus hergestellt wurde, aber auch mit dem „Licht“, das das Obergemach hell macht.

Der Ort des Lichtes, der Raum, in dem die Gemeinde das Wort Gottes durch Paulus hört, ist – symbolisch gesprochen – der Raum des Lebens. Und der Ort, an dem das Wort nicht vernommen wird, ist der der Finsternis. Der Raum, in den der Eingeschlafene stürzt, ist der Raum des Todes. So hat die Angabe über das Einschlafen und den Sturz des jungen Mannes während der Predigt durchaus keine heitere Seite, wie manche Ausleger vermuten, die das Einschlafen in einem „langweiligen“ Gottesdienst damit in Verbindung bringen.

Indem die Schrift ausdrücklich sagt, dass der junge Mann tot ist: Als man ihn aufhob, war er tot, sind alle Spekulationen darüber überflüssig, ob man ihn für tot hielt. Der im Schlaf aus dem Fenster des dritten Stockwerks in den Hof oder auf die Straße gestürzte Mann ist also wirklich tot. Das kann mit Bestimmtheit gesagt werden, denn der Bericht geht von einer Totenerweckung aus. Dies wird auch durch das Verhalten des Apostels Paulus gekennzeichnet. Der Redner machte gut, was er durch seine lange Rede „angerichtet“ hatte.

Paulus lief hinab, warf sich über ihn, umfasste ihn und sagte: Beunruhigt euch nicht: Er lebt! Dann stieg er wieder hinauf, brach das Brot und aß und redete mit ihnen bis zum Morgengrauen. So verließ er sie. Den jungen Mann führten sie lebend von dort weg und sie wurden nicht wenig getröstet (Apostelgeschichte 20,10-12).

Die Eutychus-Geschichte wird eingeleitet durch den Bericht, dass viele Lampen im Obergemach brennen, in dem die Versammlung standet. Sie sind Zeichen der Festfreude, die durch den Unfall jäh unterbrochen wird. Paulus steigt sofort hinab und wirft sich über den verstorbenen Eutychus und umarmt ihn. Damit umgibt er ihn mit seiner Nähe und schenkt ihm Zuwendung. Paulus lässt den jungen Mann erfahren, dass sein eigentliches Leben jetzt erst anfängt. Beunruhigt euch nicht: Er lebt!, sagt Paulus zu den Umstehenden. „Seine Seele ist in ihm. Im eigentlichen Sinn gibt es vor Gott keinen Tod, denn auch ein in dieser Welt Toter lebt vor Gott.“

Die Erzählung ist von einer doppelten Gegenläufigkeit bestimmt: einer Bewegung vom Obergemach nach unten und wieder nach oben; dann vom Raum des Lichtes in die Nacht hinaus und wieder in diesen festlich und hell erleuchteten Raum zurück. Symbolisch gesehen ist das Obergemach, in dem sich auch die Jünger nach der Himmelfahrt des Herrn versammelten, ein Ort zwischen oben und unten, der die Verbindung der Erde zum Himmel herstellt. Der Rahmen dieser letzten Totenerweckung in der Heiligen Schrift ist der eines Sonntagsgottesdienstes. Hier liegt das früheste Zeugnis für die Praxis eines sonntäglichen Gottesdienstes vor. Paulus besitzt beim Feiern des Wortgottesdienstes und des eucharistischen Mahles die Gabe, im Sinne Jesu Christi das Wort und die Wirklichkeit eins werden zu lassen.

Sie aber zogen aus und verkündeten überall. Der Herr stand ihnen bei und bekräftigte das Wort durch die Zeichen, die es begleiteten (Markus 16,20).

Die Botschaft des Paulus, die an alle geht, die Zeugen dieser Auferweckung sind, lautet: „Glaubt ganz fest und innig an die Auferstehung Jesu Christi, sodass die Angst vor dem Tod nicht euer Leben verstellt.“ Paulus bestärkt die Gemeinde in Troas, zuversichtlich und getröstet in Gott zu sein, gefestigt und voll Leben, wie es Eutychus jetzt ist.

Der neue Tag ist bereits angebrochen, und Paulus geht zu Fuß von der Hafenstadt Troas zu dem fünfunddreißig Kilometer südlich von Troas gelegenen Assos. Er will damit die beschwerliche Seereise vermeiden, da das zu umfahrende Kap seiner stürmischen Nordostwinde wegen berüchtigt und gefährlich ist. In Assos geht Paulus an Bord und segelt nach Mitylene auf Lesbos, der drittgrößten Insel Griechenlands (vgl. Apostelgeschichte 20,13-14).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2019
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„Ich wünsche, dass dieses Bild verehrt wird“

Das Gnadenbild des Barmherzigen Jesus

Das sog. „Bild vom Barmherzigen Jesus“ geht auf eine Vision der hl. Schwester Faustyna Kowalska am 22. Februar 1931 zurück. Jesus forderte sie auf, ein Bild nach dieser Erscheinung zu malen. Da sie selbst nicht in der Lage war, wurde der Auftrag 1934 vom Kunstmaler Eugeniusz Kazimirowski ausgeführt. In der weltweiten Verehrung setzte sich jedoch eine Darstellung durch, die 1943 von Adolf Hyła geschaffen wurde. 2017 veröffentlichte der kroatische Paulinerpater Marko Kornelije Glogović OSPPE (geb. 1976) ein Buch, das nun unter dem Titel „Das Gnadenbild des Barmherzigen Jesus. Geschichte – Gebete – Meditationen“ auch auf Deutsch erschienen ist.[1] Darin hebt Pater Glogović vor allem die Bedeutung des ersten Bildes hervor. Nachfolgender Auszug beleuchtet die Hintergründe.

Von Marko Kornelije Glogović OSPPE

Jesus erscheint Schwester Faustyna

Während Schwester Faustyna in ihrer Klosterzelle in der polnischen Stadt Płock am Abend des 22. Februar 1931 betete, erblickte sie Jesus, den Herrn, in einem weißen Gewand. Seine rechte Hand war zum Segnen erhoben, mit der linken Hand berührte er das Gewand an seiner Brust. Vom Inneren der Brust gingen aus der Öffnung im Gewand zwei Strahlen aus, ein roter und ein weißer. Schweigend betrachtete Schwester Faustyna den Herrn wie bei der Anbetung des Allerheiligsten. Nach einer Weile sagte Jesus zu ihr: „Male ein Bild, nach dem, was du siehst, mit der Aufschrift: Jesus, ich vertraue auf Dich! Ich wünsche, dass dieses Bild verehrt wird, zuerst in eurer Kapelle und dann auf der ganzen Welt“ (Tagebuch, 47).

Die hl. Faustyna war einfach „außer sich“, als sie die Forderung des Herrn Jesus hörte. Sie war keine talentierte Malerin und hatte daher nicht die Möglichkeit, so etwas auszuführen. Deshalb bat sie ihren Beichtvater Michał Sopoćko um Hilfe. Er gründete später die Ordensgemeinschaft der Schwestern vom Barmherzigen Jesus. Die Gründung wurde im Tagebuch der Schwester Maria Faustyna Kowalska mehrere Male erwähnt und von Jesus prophezeit. Schwester Faustynas Beichtvater war ein sehr vernünftiger Mensch und deshalb sagte er zu Schwester Faustyna: „Male Gottes Bild in deiner Seele“ (Tagebuch, 49). Sobald sie aus dem Beichtstuhl wegging, hörte sie folgende Worte: „In deiner Seele besteht mein Bild. Ich wünsche ein Fest der Barmherzigkeit. Ich wünsche, dass das Bild, welches du mit dem Pinsel malen wirst, am ersten Sonntag nach Ostern feierlich geweiht wird. Dieser Sonntag soll das Fest der Barmherzigkeit sein“ (Tagebuch, 49). Drei Jahre lang dauerten die Verhandlungen für die Anfertigung des Bildes. Auf der einen Seite standen Jesu beharrliche Aufforderungen und auf der anderen Seite gab es Unglauben und das Aufschieben durch den Beichtvater und die Oberin.

Die damalige Ordensoberin bat Jesus durch Schwester Faustyna um ein Zeichen. Der Herr antwortete darauf: „Ich will mich den Vorgesetzten durch Gnaden zu erkennen geben, die ich durch das Bild erteilen werde“ (Tagebuch, 51). Daraufhin besorgte die Oberin für Schwester Faustyna einen Pinsel und eine Leinwand, damit sie versuchen sollte, das Bild zu malen. Es gelang ihr jedoch nicht. Sie bat auch eine Ordensschwester um Hilfe, doch auch diese wusste nicht, wie sie die Vision im Bild darstellen sollte.

Schwester Faustyna litt darunter. Ständig dachte sie darüber nach, wie sie den Wunsch des Herrn erfüllen könnte und so schrieb sie: „Als ich in die Kapelle kam, näherte ich meinen Kopf dem Tabernakel, klopfte an und sagte: ,Jesus, sieh, welch große Schwierigkeiten ich wegen dem Malen des Bildes habe.‘ Ich vernahm eine Stimme aus dem Tabernakel: ,Meine Tochter, deine Leiden werden nicht mehr lange dauern‘“ (Tagebuch, 152). Während eines Aufenthalts in Warschau erblickte sie plötzlich den Herrn, der zu ihr sagte: „Sei dir bewusst, wenn du die Sache mit dem Malen des Bildes vernachlässigst und das ganze Werk der Barmherzigkeit, wirst du am Tag des Gerichts für eine große Anzahl von Seelen Rechenschaft ablegen müssen“ (Tagebuch, 154).

Die Entstehung des Bildes

Drei Jahre, nachdem sie zum ersten Mal die Aufforderung erhielt, das Bild zu malen, wurden die Anzeichen für einen nahenden Weltkrieg immer deutlicher. In dieser Zeit wurde Schwester Faustyna nach Vilnius in Litauen versetzt. Dort suchten die Deutschen später nach ihrem Beichtvater, da er Juden versteckt hatte. Jetzt entschloss sich Prof. Michał Sopoćko, Schwester Faustynas Beichtvater und Seelenführer, ihr endlich zu helfen. Dabei leitete ihn mehr die Neugier, wie denn dieses Bild aussehen würde, als der Glaube an die Authentizität der Erscheinungen.

Zunächst bat Prof. Michał Sopoćko die talentierte und bekannte Malerin Franciszka Wierzbicka, Schwester im Bernhardinerorden in Vilnius, das Bild zu malen. Sie lehnte jedoch aus einer inneren Unsicherheit heraus ab. Michał Sopoćko bat nun den Maler Eugeniusz Kazimirowski (1873-1939), den Auftrag zu übernehmen. Jesus war mit dieser Wahl zufrieden. Kazimirowski war damals 61 Jahre alt und ein bekannter und angesehener Maler sowie ein Mitglied des Vereins der unabhängigen Künstler. Er hatte in Krakau, Lemberg, München, Paris und Rom studiert und sich auf das Malen von Porträts und Landschaften spezialisiert, doch er hatte auch einige religiöse Bilder gemalt. Michał Sopoćko wohnte im Jahr 1934 im Haus der Ordensschwestern von der Heimsuchung Mariens in Vilnius im ersten Stock und der Maler Kazimirowski wohnte im Erdgeschoss des gleichen Hauses (Rossa-Straße 2), woran man die Vorsehung Gottes erkennen kann. Schwester Faustyna war jede Woche etwa sechs Kilometer zu Fuß unterwegs vom Kloster der Schwestern der Muttergottes der Barmherzigkeit bis zum Haus, in dem der Beichtvater und der Maler wohnten, um die Entstehung des Bildes zu überwachen.

„Dieser Tag ist für mich besonders groß; an diesem Tag fuhr ich zum ersten Mal, um mich um das Malen des Bildes zu bemühen; an diesem Tag wurde zum ersten Mal nach außen die Barmherzigkeit Gottes besonders verehrt, obwohl sie seit Langem bekannt ist, doch hier in einer Form, die der Herr wünschte. An viele besondere Gnaden erinnert mich dieser Tag des süßesten Namens Jesu“ (Tagebuch, 863).

Michał Sopoćko hatte dem Maler Kazimirowski die Geschehnisse um Schwester Faustyna teilweise erzählt und ihn um Diskretion gebeten. Am 2. Januar 1934 fing dieser mit den Arbeiten an dem Bild an. Wie schon erwähnt, kam Schwester Faustyna einmal wöchentlich in die Wohnung des Malers, in der sich auch sein Atelier befand. Sie beschrieb ihm die Details des Bildes sehr genau und überwachte und korrigierte die Arbeit, denn sie war um jede Einzelheit besorgt. Ihr Seelenführer stand als Modell für dieses Bild zur Verfügung. Schwester Faus-tyna war mit dem Bild nie zufrieden. Dies störte Michał Sopoćko mit der Zeit. Im Tagebuch ist ein Gespräch zwischen ihr und dem Herrn aufgeführt, in dem sie sich darüber beschwert, dass das Bild nicht so schön wird wie Jesus wirklich ist: „‚Wer vermag Dich so schön zu malen, wie Du bist?‘ Da hörte ich folgende Worte: ‚Nicht in der Schönheit der Farben oder des Pinselstrichs liegt die Größe dieses Bildes, sondern in meiner Gnade‘“ (Tagebuch, 313).

Auch wenn die Ausführung sich für den Maler als schwierig erwies, da er seine eigenen Ideen und seine Art zu malen nicht einbringen konnte, hat Michał Sopoćko mehrere Male bestätigt, dass die Anfertigung des Bildes während der ganzen Zeit von Schwester Faustyna überwacht und bis ins kleinste Detail von ihr überprüft wurde. Das Bild wurde nach sechs Monaten im Juli 1934 fertiggestellt. Schon bald sollte der Zweite Weltkrieg beginnen.

Genau zu dieser unbeschreiblich schweren Zeit gab Jesus der Menschheit sein Bild! Der Herr hat Einzelheiten des Bildes selbst erklärt – wie zum Beispiel: „Mein Blick auf diesem Bild gleicht meinem Blick vom Kreuz“ (Tagebuch, 326). „Die zwei Strahlen bedeuten Blut und Wasser. Der blasse Strahl bedeutet Wasser, das die Seelen rechtfertigt, der rote Strahl bedeutet Blut, welches das Leben der Seelen ist… Diese zwei Strahlen drangen aus der Tiefe meiner Barmherzigkeit, damals, als mein sterbendes Herz am Kreuz mit der Lanze geöffnet wurde“ (Tagebuch, 299).

Schwester Faustyna hat in ihrem Tagebuch auch den Gedanken niedergeschrieben, dass diese Strahlen vollkommen vereint, aber nicht miteinander vermischt sind.

Es gab zu dem Bild nicht nur regelmäßig Änderungswünsche, sondern es wurde auch viel über die Aufschrift diskutiert: „Jesus, ich vertraue auf Dich“. Prof. Michał Sopoćko war der Meinung, dass eine andere Aufschrift besser geeignet wäre: „Jesus, König der Barmherzigkeit“. Es war Jesus selbst, der die Entscheidung traf. Der Herr bestätigte gegenüber Schwester Faustyna des Öfteren, dass diese Worte auf dem Bild sichtbar sein müssten: „Jesus, ich vertraue auf Dich“. (…) „Ich überreiche den Menschen ein Gefäß, mit dem sie zur Quelle der Barmherzigkeit um Gnaden kommen sollen. Das Gefäß ist dieses Bild mit der Aufschrift: Jesus, ich vertraue auf Dich“ (Tagebuch, 327).

„Einmal besuchte mich die Gottesmutter. Sie war traurig und schaute zu Boden. Sie gab mir zu erkennen, dass sie mir etwas zu sagen hätte, andererseits gab sie mir zu erkennen, dass sie nicht gern darüber sprechen wollte. Als ich dessen gewahr wurde, fing ich an, die Gottesmutter zu bitten, es mir zu sagen… Sofort sah mich Maria mit gütigem Lächeln an und sagte: ‚Du wirst bestimmt Leiden zu ertragen haben wegen deiner Krankheit und der Ärzte; auch des Bildes wegen wirst du auf viele Leiden stoßen; doch ängstige dich nicht.‘ Am nächsten Tag wurde ich krank und musste viele Qualen ertragen, so, wie die Muttergottes es mir gesagt hatte. – Doch meine Seele ist auf Qualen vorbereitet. Das Leid ist der stete Begleiter meines Lebens“ (Tagebuch, 316).

Nachdem das Bild nach einigen Schwierigkeiten endlich fertiggestellt war, behielt Prof. Michał Sopoćko das Bild in seiner Wohnung. Kurze Zeit danach zog er zu den Schwestern des Bernhardinerordens und nahm das Bild mit, sodass es sich ab November desselben Jahres in dem dunklen Flur des Bernhardinerklosters befand. Michał Sopoćko stellte das Bild auch noch mit der Vorderseite zur Wand auf! Wie er später in seinen umfangreichen Memoiren erklären sollte, war er von dem Bild etwas enttäuscht, weil es nichts außergewöhnlich Neues mit sich brachte. Angesichts der Tatsache, dass er die Ereignisse um Schwester Faustyna noch untersuchte, schien es ihm nicht angemessen, das Bild in einer Kirche aufzustellen. Der Herr bat allerdings über Faustyna immer wieder darum, das Bild so aufzustellen, dass es für die Öffentlichkeit sichtbar ist, damit die Gläubigen es verehren können: „Sage dem Beichtvater, dass das Bild in der Kirche ausgestellt sein soll und nicht in der Klausur dieses Klosters. Durch das Bild werde Ich den Seelen viele Gnaden erteilen, deshalb soll jede Seele Zugang zu ihm haben“ (Tagebuch, 570).

Hier noch einige interessante Details, die ich im Gespräch mit dem Regisseur des bereits erwähnten Dokumentarfilms erfahren habe: Eine der ersten Kopien des Originalbildes schmückte nach dem Tod des Malers Eugeniusz Kazimirowski im Jahr 1939 auch sein Grabmal in der Stadt Białystok. Nur einige Meter von seinem Grab entfernt befand sich das Grab von Michał Sopoćko, bevor dessen sterbliche Überreste im Laufe des Seligsprechungsprozesses in das Heiligtum der Barmherzigkeit Gottes in Białystok gebracht wurden. Michał Sopoćko hatte die Arbeit und das Talent dieses Malers sehr geschätzt. In seinem Testament äußerte er den Wunsch, dass das Originalbild unbedingt nach Vilnius, wo es entstanden war, zurückgebracht werden sollte. Es ist auch interessant, dass Michał Sopoćko und sein Freund Kazimirowski ihre Wohnungen in Vilnius zur gleichen Zeit aufgaben. Es scheint, als hätte der Herr ihnen die Wohnungen einschließlich des Ateliers nur für die Zeit der Anfertigung des Bildes „überlassen“. Der Maler Kazimirowski hat das Bild nie öffentlich ausgestellt gesehen. Die kleine Kopie des Bildes, die auf dem Grabmal des Malers zu sehen war, wurde im Auftrag von Michał Sopoćko angefertigt. Ich vermute, dass ihm bekannt war, dass Eugeniusz Kazimirowski eine besondere Verbindung (auch auf mystische Weise) zu diesem Bild hatte. Wie ich aus einigen Gesprächen erfahren habe, besteht der Verdacht, dass der deutsche Geheimdienst etwas mit dem Tod des Malers zu tun hatte, doch das wurde nie bestätigt. Dies ist allerdings nicht auszuschließen angesichts der Besetzung Polens, des Krieges und der Tatsache, dass sich auch Michał Sopoćko vor der Gestapo verstecken musste…

„Als das Bild ausgestellt wurde, sah ich eine lebendige Bewegung der Hand Jesu; er machte ein großes Kreuzzeichen. Am selben Abend, als ich mich zur Ruhe gelegt hatte, sah ich, wie das Bild über der Stadt hing. Die Stadt war mit Schlingen und Fangnetzen bestückt. Als Jesus vorüberging, durchschnitt er alle Schlingen und zeichnete am Ende ein großes Kreuz und entschwand. Ich sah mich inmitten vieler boshafter Gestalten, die mir großen Hass entgegen sprühten. Aus ihrem Mund kamen verschiedene Drohungen, doch keine von ihnen berührte mich. Nach einer Weile verschwand die Erscheinung, aber ich konnte lange nicht einschlafen“ (Tagebuch, 416).

1935 wurde das Bild zum ersten Mal im Heiligtum der Muttergottes Ostra Brama in Vilnius öffentlich ausgestellt. Dort hatte Prof. Michał Sopoćko das Triduum vor Ostern gefeiert und der damalige Gemeindepfarrer hatte gern zugestimmt, das Bild als eine Betrachtungshilfe für die Gläubigen vor dem Feiertag auszustellen. Schwester Faustyna selbst half bei der Anbringung des Bildes, das hoch über dem Eingang der Kirche hing, sodass es für jeden Besucher gut sichtbar war. Es kamen viele Gläubige und Pilger in die Kirche, da in jenem Jahr ein Jubiläumsjahr feierlich begangen wurde. So konnte das Bild vom 26. bis zum 28. April 1935 zum ersten Mal öffentlich ausgestellt werden während der feierlichen Abschlussfeier zum 1900. Gedenktag der Erlösung der Welt. Am ersten Sonntag nach Ostern nahm auch Schwester Faustyna an der hl. Messe teil und hörte die Predigt des hochwürdigen Michał Sopoćko. Während der hl. Messe hatte Schwester Faustyna eine Vision: Der Herr erschien ihr bei der Predigt in der Gestalt, wie er auf dem Bild abgebildet ist, und während der Priester von der Barmherzigkeit Gottes sprach, segnete Jesus die Anwesenden. Dieselbe Vision hatte sie am gleichen Tag während der eucharistischen Anbetung. Der Herr ist Schwester Faustyna sehr oft so erschienen, wie er auf dem Bild zu sehen ist.

„Während der hl. Messe mit ausgesetztem Allerheiligstem Altarsakrament erblickte ich vor der hl. Kommunion zwei Strahlen, die aus der Allerheiligsten Hostie kamen, so wie sie auf dem Bild gemalt sind: einer rot, der andere blass. – Sie spiegelten sich an jeder Schwester und Schülerin wider, doch nicht an allen gleichmäßig. An manchen waren sie kaum angedeutet. Das war am Abschlusstag der Exerzitien für die Kinder (Tagebuch, 336).

Schwester Faustyna war an diesen Tagen unbeschreiblich glücklich und zufrieden: Endlich hatte sich der Wunsch des Erlösers erfüllt! Sie war dem Priester unendlich dankbar für seine Hingabe, seinen Einsatz und seinen Respekt und für die Übernahme der Kosten für die Anfertigung des Bildes.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Marko Kornelije Glogović OSPPE: Das Gnadenbild des Barmherzigen Jesus – Geschichte – Gebete – Meditationen, geb., 176 S., 14,95 Euro (D), 15,40 Euro (A), ISBN: 978-3-9479310-5-7, Verlag Media Maria, Illertissen 2019, Tel. 07303-9523310, Fax: 07303-9523315, E-Mail: buch@ media-maria.de – Internet: www.media-maria.de

Fatima und die junge Bundesrepublik (Teil 15)

Parallelen zur Gegenwart und mögliche Lehren

Die Artikelserie von Prof. Dr. Wolfgang Koch und seiner Ehefrau Dorothea findet mit Gedanken über mögliche Lehren für die Gegenwart ihren Abschluss. In 15 Folgen haben sie den unerwarteten Aufschwung der jungen Bundesrepublik nach dem II. Weltkrieg beleuchtet. Es ist ihnen gelungen nachzuweisen, dass Deutschland seinen Neuanfang ganz wesentlich katholischen Persönlichkeiten wie Konrad Adenauer verdankt. Aus tiefer Glaubensüberzeugung heraus haben sie die Weichen für die Zukunft gestellt und der gesellschaftspolitischen Entwicklung einen katholischen Stempel aufgeprägt. Doch setzten sie ihr Vertrauen nicht nur auf abstrakte Werte und Wahrheiten, sondern auf das Wirken der göttlichen Gnade. So bereiteten sie einem neuen marianischen Aufbruch den Weg, der zu einer breiten Vertiefung des Glaubenslebens und der liturgisch-sakramentalen Frömmigkeit führte. Ein besonderes Augenmerk gilt zur Abrundung der bekannten Schriftstellerin Ida Friederike Görres (1901-1971). Ihre schonungslose Analyse und ihr besorgter Blick in die Zukunft könnten aktueller nicht sein, doch sind sie bei ihr verbunden mit einer übernatürlichen und deshalb unzerstörbaren Liebe zur Kirche.

Von Dorothea und Wolfgang Koch

Bei allen Unterschieden, vor allem angesichts der nach 1945 noch weitgehend intakten Kirchlichkeit breiter Bevölkerungsteile, zeigen sich überraschende Parallelen zwischen der Gegenwart des Jahres 2019 und der unmittelbaren Nachkriegszeit. Offenbar herrschte damals zunächst ein Lebensgefühl wie heute in Bewegungen wie der „Benedikt-Option“.[1] Gerade weil der säkulare Liberalismus heute alles Christliche wegzuspülen droht, ermutigt ein Blick auf die Triebkräfte, die damals wider Erwarten einen marianischen Frühling hervorbrachten und einen Neuanfang schenkten. Auch wenn die Christen den „Kulturkampf“ fürs Erste verloren hätten, ist doch „die Haltung des Rückzugsgefechts […] keine Option für uns“.[2] Sammeln wir Kräfte für die nächste Frühlingsoffensive, sobald der innerkirchliche Winter überwunden ist.

Zur Lage der Nachkriegskirche

Unter dem Säkularisierungsdruck sah der protestantische Theologe Martin Niemöller bereits 1948 das Christentum selbst in existentieller Gefahr. „Die Welt, in der wir leben und handeln, ist aus den Fugen, nicht nur hier und dort, sondern überall“, analysiert der Exponent der Bekennenden Kirche. „Wir sprechen schon von einer nachchristlichen Ära, in der wir leben, und wir sehen, wie der Prozess des Verfalls die christlichen Kirchen selber angreift."[3]

Wie Seismographen detektieren Intellektuelle wie Ida Friederike Görres schon 1946 ein „unmerkliches Sterben der Kirche in den Seelen“. Ihr Brief an die Kirche[4] bezeugt leuchtend die gemäß ihrer Berufung wirkenden Priester und Ordensleute. Jedoch spricht sie auch vom „Zorn und der Klage der Liebe, […] die sich’s leisten kann, scharf zu sehen, alles zu sehen, ohne Vertuschen, ohne Ausweichen, ohne Ausreden, weil sie alles hofft, alles glaubt, alles duldet, alles übersteht. Unser Zorn und unsere Trauer um so vieles Einzelne entspringt unserem Wissen um ihre, der Kirche Herrlichkeit und Würde, ihre unantastbare Hoheit; weil sie die Kirche Christi ist.“

Aus dieser Liebe zur Kirche klagt sie, wie wenig das Volk an den Geheimnissen des Glaubens teilhat, mit wieviel Flachheit es abgespeist wird „oder mit leeren, tönenden Fremdwörtern aus der Halbbildung des Verkünders“. Sie klagt über die vielen Dorf- und Stadtkirchen, „in denen das heilige Messopfer mit so herzloser, geradezu unanständiger Hast heruntergeleiert wird – ‚zelebriert‘ kann man da wirklich nicht sagen –, sonntags wie werktags“. Eine anständige Predigt sei eine Ausnahme: „Oh, ich sage nicht eine schöne, eine gescheite, eine gelehrte, nein, nur eine theologisch einwandfreie, menschlich nicht abstoßende, eine fromme Predigt ohne Phrasen und falsche Töne, eine, über die man sich nicht zu ärgern braucht und die man auch nicht zwischen Bank und Kirchentür schon wieder restlos vergessen hat“. Bei ihrem Requiem am 19. Mai 1971 predigt der Regensburger Dogmatiker Joseph Ratzinger.

1950 analysiert der Eichstätter Theologe Rudolf Graber die Ausgangslage. Für den späteren Bischof von Regensburg ist das „hervorstechende Kennzeichen der Neuzeit die unaufhaltsame Säkularisierung, Mechanisierung und Veräußerlichung“, die „auch vor dem Heiligsten nicht haltmacht. […] Wir müssen den Mut haben, es uns einzugestehen, dass es, aufs Ganze gesehen, rückwärts geht und dass wir mit unserer ganzen pädagogischen und seelsorglichen Kunst zu Ende sind."[5]

Disposition für den Neuaufbruch

Ida Friderike Görres schildert die innere Disposition kirchlich empfindender Christen, in der jener marianische Frühling wurzeln konnte, dem wir in unserer Artikelserie nachgingen:

„Aber wir sind und bleiben katholisch, weil wir die Kirche lieben, wie nichts anderes auf Erden geliebt wird; mit einer Liebe und Leidenschaft, mit der sich keine, aber auch gar keine andere vergleichen, nein, nicht einmal im gleichen Atem nennen lässt – ja, gerade von dem, der weiß, was Liebe unter Menschen ist, Liebe der Ehe, der Freundschaft, der Familie, Liebe zu Volk und Heimat.“

„Und obwohl wir die Fehler sehen, die uns ins Herz schneiden, lieben wir die Kirche, weil sie die Wahrheit trägt: das, das macht unsere Herzen erzittern vom unaussprechlichen Schauer der Gottesbegegnung: weil sie, genau wie Christus von sich sagt: ‚dazu geboren und in die Welt gekommen ist, um von der Wahrheit Zeugnis zu geben‘. Darum allein: Wenn das nicht wäre! […] Wahrheit als Anvertrautes als das Gnadengeschenk Gottes, über alles Suchen und Erwarten hinaus, auf Knien empfangen, mit der Stirn im Staube zu verehren, mit unsäglicher Dankbarkeit und immerdar stammelnder Ehrfurcht zu bewahren und zu bewachen, mit lebendigster Sorge, mit empfindlichster Eifersucht, der unendlichen Gefährdung dieses Kleinods in unseren Händen hellwach bewusst.“

Solche Liebe zur unserer heiligen Mutter, der Kirche, möge auch uns sehend machen, wenn wir die Triebkräfte analysieren, die damals ein Aufblühen aus einer „scheinbaren Endsituation der Kirche“ hervorbrachten, wie Graber formuliert, aus dem „wie nie zuvor und niemals danach […] die Katholiken einer Zeit in Deutschland so sehr den Stempel“ aufdrückten.[6]

Natürlich wiederholt sich Geschichte nicht. Wir müssen uns auf unsere Weise vom Heiligen Geist führen lassen. Zumute ist uns beim Blick auf unsere Gegenwart wie dem hl. Paulus im Römerreich, der „alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen“ sah, „die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten“ und „durch die Begierden ihres Herzens der Unreinheit ausgeliefert sind“. Selbst für kirchliche Hirten gilt: „Sie erkennen, dass Gottes Rechtsordnung bestimmt: Wer so handelt, verdient den Tod. Trotzdem tun sie es nicht nur selber, sondern stimmen bereitwillig auch denen zu, die so handeln."[7]

Drei Zweige kirchlicher Erneuerung

Im Marianischen Frühling der jungen Bundesrepublik trieben drei Zweige der Erneuerung: Glaubensbildung, liturgisch-sakramentales Leben, Marienfrömmigkeit. In jenen Aufbruchsjahren waren sie eine lebendige Einheit. Der Zerfall dieser Einheit erklärt für Joseph Ratzinger als Münchener Erzbischof insbesondere „die tiefe Krise, in die das Denken und Sprechen von und mit Maria in den Jahren nach dem Konzil geraten ist“.[8]

Glaubensbildung

Zunächst wäre also die Glaubensbildung wiederzugewinnen. Wenn es beispielsweise aufgrund von Meinungsumfragen heißt, „die Katholiken hadern mit der Sexualmoral der Kirche“.[9] zeigt sich darin zuallererst eine tiefgreifende Unkenntnis der Glaubenslehre, die aller Moral vorausliegt, sie erst verständlich macht und mit innerer Freude bejahen lässt.

Einen Weg zu neuer Glaubensbildung mag die Theologie jener Aufbruchsjahre öffnen, die hochstehend war und in der Breite der katholischen Gläubigen verwurzelt: „Es wäre verfehlt, die Leistungen der deutschen Theologie als intellektuell langweilig und unwirksam für die öffentliche Diskussion zu beurteilen“, konstatiert der Eichstätter Zeithistoriker Heinz Hürten. „Die Zeitgenossen waren kaum der Ansicht, dass die Theologie hinter den Anforderungen der Zeit zurückblieb, erschloss sie doch die Tradition des abendländischen Christentums in einer Weise, die weithin verstanden wurde. Die Lebensarbeit von Josef Pieper, der damals zu internationaler Anerkennung gelangte, diente gerade dem Ziel, einer großen, theologisch und philosophisch nicht vorgebildeten Leserschaft die Weisheit der klassischen Philosophie, vornehmlich des heiligen Thomas von Aquin, zu vermitteln."[10]

Es werde „allerhöchste Zeit, sich mit dem Denken Piepers ernsthaft auseinanderzusetzen“, konstatiert die FAZ.[11]

Liturgisch-sakramentales Leben

Die Bedeutung des liturgischen Lebens unterstreicht ein eigenhändiger Entwurf aus der Feder des Kölner Kardinals Josef Frings für die Kölner Diözesansynode 1954: „Das sogenannte ‚Deutsche Hochamt‘, bei dem das Volk mit deutschen Liedern die vom Priester gesungene Messe begleitet, … ist in der Kölner Erzdiözese nicht üblich und wird daher zur Einführung nicht empfohlen“. Dass der kursiv gedruckte Passus im verabschiedeten Dokument fehlt, verweist auf die kommende Entwicklung.[12]

Wie die Synode feststellt, ist der Gregorianische Choral der Gesang der römischen Kirche schlechthin, der „in höchstem Maße zur Mehrung von Glaube und Frömmigkeit“ beitrage. Die Pfarrer sollen sich „nach Kräften bemühen, durch regelmäßige Einführung in den Textgehalt der liturgischen Gesänge die Chöre für einen richtigen und schönen Vortrag des Chorals zu erwärmen und ihnen auch Gelegenheit bieten, durch Teilnahme an Instruktionskursen sich im Choralsingen zu vervollkommnen“. Die Zelebranten selbst „sollen bestrebt sein, durch würdigen, richtigen und andächtigen Vortrag der Altargesänge allen als Beispiel zu dienen“. Die Synode weist aber auch auf die Werke der klassischen Polyphonie hin. Offenbar werden auf diese Weise Kernanliegen Pius‘ XII. praktisch umgesetzt, die er 1947 formuliert.[13]

Pius XII. unterstreicht die Stärkung des liturgischen Lebens auch dadurch, dass er am 29. Mai des Marianischen Jahres 1954 Papst Pius X. heiligspricht, der sein Reformpontifikat mit einer Wiederherstellung der Liturgie eröffnet.[14] „Eucharistie und inneres Leben: das ist die eindringlichste und für weiteste Kreise bestimmte Predigt, die Pius X. […] an alle Menschen richtet“, umreißt Pius XII. die Kernbotschaft des neuen Heiligen. „Als Apostel des inneren Lebens behauptet er seinen Platz im Zeitalter der Maschine, der Technik, der Organisation: der Heilige und Führer der Menschen von heute."[15] Kaum eine Botschaft könnte zeitgemäßer sein.

Marienfrömmigkeit

Untrennbar sind die Weihe Deutschlands 1954 an das Unbefleckte Herz Mariens und persönliche Weihen mit einem Buß- und Sühneanliegen verbunden. Was genau ist damit gemeint?

Sühne ist Wiedergutmachung von Schuld: „Sie soll erstens Gott die verletzte Ehre wiedererstatten und zweitens dem, der diese Ehre verletzte, die verlorene Gerechtigkeit wiedererlangen“, erläutert der Philosoph Hans-Eduard Hengstenberg. Wirksam könne sie nur in Christus geleistet werden. „Der Sühnende nimmt die Last dort auf die eigene Schulter, wo sie dem Versagenden herabgeglitten war, und trägt die Last nun an Stelle des ersten dem ursprünglichen Ziele entgegen“. In diesem Sinne ist Buße ein Grenzfall, Sühne für eigenes Versagen. Für uns gebe es keine Sühne (für andere), die nicht zugleich Buße (für eigene Sünden) ist.[16]

Hengstenberg sieht zwei Stufen der „notwendenden“ Sühne. Die erste nennt er „Fersesein“ und bezieht sie auf die Verheißung: „Der Same des Weibes wird der Schlange den Kopf zertreten, und die Schlange wird ihn in die Ferse stechen."[17] Ohne Opfer, Einbußen, Verluste im natürlichen Bereich, gebe es keinen Sieg: „Die Verletzung der Ferse ist geradezu Bedingung dafür, dass das Haupt der Schlange zertreten wird. […] Die größte Demut im niedrigsten Dienst, die Ausgeliefertheit und Verletztheit ist die Bedingung dafür, dass wir das Reich Gottes tragen und das Reich des Dämons vernichten. In diesem Fersesein stehen wir aber in einer unauslösbaren Beziehung zu Maria, denn die Ferse besteht nur, weil Feindschaft gesetzt ist zwischen Maria und dem Satan.“

Die zweite Stufe zielt auf den „positiven Aufbau neuer personaler Ordnungen, die auf einem neuen Verhältnis des Menschen zu Gott und den Heiligen und damit des Menschen zum Mitmenschen beruhen“. Dazu gehöre alles, was sich auf die soziale Neuordnung, den Besitz, die Verteilung der Verantwortung im personalistischen Sinne in Wirtschaft und Politik bezieht. „Und diese Ordnung wird uns in weitem und hervorragendem Maße sichtbar und gegenwärtig in Maria. Wir erkennen also die Weihe an ihr unbeflecktes Herz als einen wesentlichen Bestandteil der positiven Sühne! Das Fersesein ist der Untergrund. Die Weihe erhebt sich darauf, als Hingabe an die Ordnung, die uns ermöglicht, ordnend in der Welt zu wirken“.

Fazit

„Vielleicht ist schon eine übernächste Generation der Zerstörungsfreude ihrer eigenen Väter überdrüssig und sucht nach Material zum Bau der Zeitenbrücke zwischen dem Früher und dem Jetzt“, hofft Ida Friederike Görres im Jahre 1969.[18] Warum sollte sie nicht uns meinen? Das dreifache Anliegen der Gottesmutter in Fatima, Buße und Sühne, Rosenkranzgebet und Marienweihe, kann jedenfalls auch heute einen neuen Aufbruch vorbereiten und die Glaubensbildung wachsen lassen, das sakramentale Leben vertiefen, die Marienfrömmigkeit neu entzünden.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] R. DREHER (2017): Die Benedikt-Option, Kißlegg 2018.
[2] G. u. M. KUGLER (2019): Die Benedikt-Option nicht als Rückzugs-Option verstehen, in: DT, 7.2.2019.
[3] Herder Korrespondenz, 11/1948, 95.
[4] Brief über die Kirche, in: Frankfurter Hefte 1 (1946), S. 715ff.
[5] Herder Korrespondenz, 10/1950, 17.
[6] Gebhardt: Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 23, Stuttgart 102005, 109ff.
[7] „Männer entbrannten in Begierde zueinander; Männer trieben mit Männern Unzucht“ (vgl. Röm 1,18.24.27.32.
[8] J. RATZINGER (1980): Maria – Kirche im Ursprung, Einsiedeln 52010, 15-40.
[9] Katholiken hadern mit Sexualmoral der Kirche, in: FAZ, 3.2.2014.
[10] H. HÜRTEN (1996): Deutscher Katholizismus unter Pius XII, in: Vatikanum II und Modernisierung, Paderborn 2001, 61.
[11] Der Ghostwriter des Papstes, in: FAZ, 19.9. 2008.
[12] Kölner Diözesan-Synode 1954, Erzbischöfliches Generalvikariat in Köln, 369.
[13] Enzyklika Mediator Dei, 20.11.1947, online: www.vatican.va
[14] J. LAAS (2005): Der hl. Pius X. und die Erneuerung der Kirchenmusik, In: UVK, Mai/Juni 2005.
[15] Herder Korrespondenz, 06/1954, 465.
[16] H.-E. HENGSTENBERG (1948): Die Marienverehrung, Dettelbach 21996, 67ff.
[17] Gen 3,15.
[18] I. F. GÖRRES (1969): Im Winter wächst das Brot, Einsiedeln 51970, 39.

Radio Horeb greift mit neu gestaltetem „Abend der Jugend jugendrelevante Themen auf

Es ist Jesus, den ihr sucht!

Radio Horeb stellt sich der Herausforderung, auch an junge Menschen heranzukommen. Sie sollen durch eine ansprechende Vermittlung von Glaubensinhalten erreicht werden. Dazu hat der Sender den sog. „Abend der Jugend“ jeweils am Montag ab 19:45 Uhr neu gestaltet. Mit der Jugendsynode im Herbst 2018 setzte sich die Kirche zum Ziel, sich wirklich auf die Welt der Jugendlichen von heute einzulassen und auf ihre Fragen zu hören, um ihnen das Evangelium als Antwort erschließen zu können. Programmdirektor Dr. Richard Kocher spannt einen Bogen von Papst Franziskus zu Johannes Paul II., der mit seiner Botschaft die Herzen der jungen Menschen berührte. Zum Empfang von Radio Horeb s. unter www.radiohoreb.de

Von Richard Kocher

Gibt es nichts Größeres?

Papst Franziskus hat während des Weltjugendtags in Panama die Frage gestellt: „Dient der Fortschritt der Gesellschaft einzig dazu, dass man das neueste Automodell oder die neueste auf dem Markt befindliche Technologie erwerben kann? Besteht darin die ganze Größe des Menschen? Gibt es nichts Größeres, als dafür zu leben?“ All das erfüllt nicht die innere Sehnsucht des Menschen – und schon gar nicht die eines fragenden Jugendlichen. So klar dieser Punkt ist, so unklar ist die Antwort für viele junge Menschen in Deutschland auf die Frage, wo und wie man das Entscheidende finden kann, für das es sich lohnt zu leben. Die Kirche scheint für viele nicht dieser Ort zu sein. Schließlich denken laut der Studie „Kirchenmitglied bleiben?“ 41% der katholischen Kirchenmitglieder in Deutschland an einen Austritt. Gerade die 18- bis 29-Jährigen sind kaum noch mit Kirche und Glauben verbunden. Die Folgen bleiben nicht aus: Sinnleere, Ersatzbefriedigungen und seelische Erkrankungen nehmen rapide zu.

Wenn ihr vom Glück träumt…

Das verheerende Urteil über die aktuelle Situation der Kirche in Deutschland sollte uns aufrütteln. Es muss uns unruhig machen, dass der Schatz des Glaubens den Jugendlichen nicht erfahrbar gemacht wird und sie letztlich die Versuche, ihr Leben zu gestalten, ohne Gott machen. Johannes Paul II. hatte im Jahr 2000 beim Weltjugendtag gesagt: „Es ist Jesus, den ihr sucht, wenn ihr vom Glück träumt; er ist es, der auf euch wartet, wenn euch nichts von dem zufriedenstellt, was ihr vorfindet; er ist die Schönheit, die euch so anzieht; er ist es, der euch provoziert mit jenem Durst nach Radikalität, der euch keine Anpassung an den Kompromiss erlaubt; er ist es, der euch dazu drängt, die Masken abzulegen, die das Leben verfälschen; er ist es, der in euren Herzen die wahren Entscheidungen herausliest, die andere am liebsten ersticken würden. Jesus ist es, der in euch etwas entfacht: die Sehnsucht, aus eurem Leben etwas Großes zu machen; den Willen, einem Ideal zu folgen; die Ablehnung, euch von der Mittelmäßigkeit verschlingen zu lassen.“

Spannendes Jugend-Programm

Radio Horeb ist es ein großes Anliegen, den Jugendlichen genau das zu vermitteln: Die Suche nach dem Glück kann nur mit Gott gelingen. In den letzten Monaten wurde der „Abend der Jugend“ komplett umgestaltet. Wir greifen montags um 19:45 Uhr Themen in unserem Radio auf, die junge Menschen bewegen: authentische Glaubenszeugnisse, die Highlights der Worte von Papst Franziskus, Gebetszeiten mit der Möglichkeit, die eigenen Anliegen einzubringen, spannende Glaubenskurse, Tipps für christliche Apps auf dem Smartphone, Interviews zu allen jugendrelevanten Themen und Infos zu aktuellen christlichen Events. Nach kurzen Wortbeiträgen wird Musik aus christlichen Charts gespielt. Für die Jugendlichen gibt es die Möglichkeit, sich an den Sendungen über WhatsApp zu beteiligen und ihre Fragen einzubringen. Damit das funktioniert, moderieren unsere Jugendredakteure Marie Scholz und Nikolaus Albert die Sendungen montags immer live.

Bitte unterstützen Sie uns! Machen Sie den „Abend der Jugend“ von Radio Horeb unter den Jugendlichen bekannt, wo immer Ihnen das möglich ist. Weisen Sie auch auf dessen neugestalteten Podcast-Bereich hin. Durch die neue Strukturierung sind alle Themen schneller zu finden.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2019
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Katechumenat und Sakrament

Wege aus der Krise

Pfarrer Dr. Richard Kocher hielt am 31. Januar 2019, dem Festtag des hl. Don Bosco, eine Predigt zum Thema „Erneuerung der Kirche“. Lange habe man versucht, sich mit der Erklärung zu trösten, die Kirchenaustritte wären ein gewisses „Gesundschrumpfen“. Doch inzwischen könne der rasante Niedergang des kirchlichen Lebens nicht mehr schöngeredet werden. Was ist zu tun? Pfarrer Kocher sieht den einzigen Ausweg in einer „theozentrischen Wende“, die sich in einem inständigen Gebet um Berufungen und in einer missionarischen Erneuerung der Gemeinden manifestieren müsse. Statt einer Sakramentenspendung an Ungläubige plädiert er für ein intensives Katechumenat als Voraussetzung für den Empfang der Sakramente.

Von Richard Kocher

Das Heidentum sitzt in der Kirche

Ende der 50er Jahre hat ein damals noch junger Theologe geschrieben, dass ein neues Heidentum „im Herzen der Kirche selbst unaufhaltsam wächst und sie von innen her auszuhöhlen droht. Das Erscheinungsbild der Kirche der Neuzeit ist wesentlich davon bestimmt, dass sie auf eine ganz neue Weise Kirche der Heiden geworden ist und noch immer mehr wird: nicht mehr wie einst Kirche aus den Heiden, die zu Christen geworden sind, sondern Kirche von Heiden, die sich noch Christen nennen, aber in Wahrheit zu Heiden wurden. Das Heidentum sitzt heute in der Kirche selbst…"[1] Und dann spricht dieser Mann vom „innerkirchlichen Heidentum selbst, und das ist der Gräuel der Verwüstung an heiliger Stätte“. Wer das in prophetischer Voraussicht geschrieben hat, war Joseph Ratzinger. 30 Jahre später, als ich in den 80er Jahren Theologie studiert habe, waren die Krisenzeichen schon unübersehbar. Papst Johannes Paul II. hat damals zu den deutschen Bischöfen gesagt: „Das Versiegen der Berufungen legt Zeugnis gegen euch ab.“

Völlige Entfremdung

Aber man hat das immer noch ignoriert und sagte: Es ist zwar bedauerlich, dass viele Leute die Kirche verlassen, mit ihr offensichtlich nichts mehr anfangen können, aber es ist ein gewisses „Gesundschrumpfen“. Abgestorbene Äste werden entfernt – fast wie eine Verjüngungskur. Ab den 90er Jahren sind die Zahlen immer drastischer geworden: Jedes Jahr haben 100.000 Menschen die Kirche verlassen. Das hält bis heute an. Die Zahlen steigen sogar. Jetzt sind wir bei unter zehn Prozent Kirchenbesuch angelangt. Wer meint, dass das schon das „Ende der Fahnenstange“ ist, der dürfte sich gründlich getäuscht haben. Denn in der letzten Woche ist das Ergebnis einer Umfrage herausgekommen, die zwischen Juli und Dezember 2017 bundesweit bei 1.369 Katholiken durchgeführt worden ist. Das hat eine MDG (Mediendienstleistungsgesellschaft) im Auftrag des Erzbistums München und Freising durchgeführt zusammen mit dem Sinus-Institut. 41 Prozent unserer Leute spielen „mehr oder weniger“ mit dem Gedanken des Kirchenaustritts und sieben Prozent sind fest entschlossen, das in der nächsten Zeit umzusetzen. Das mit Abstand am meisten angenommene Angebot der Kirche sind – wie kann es anders sein – die Gottesdienste an Weihnachten; da sind die Kirchen gefüllt. Was am wenigsten bei dem Fragebogen, den man ausfüllen konnte, geschätzt wird, sind spirituelle Angebote und Exerzitien. Also genau das, was wichtig ist und zur geistlichen Erneuerung beitragen würde; außerdem Beratung durch katholische Fachstellen. Für die Beantwortung von Lebensfragen ist die Kirche ziemlich das Letzte, das man aufsuchen würde. Das ist auch der Titel eines Bestsellers von Ulrich Filler: „Deine Kirche ist ja wohl das Letzte“. Wir stellen eine eigenartige Aggressivität fest bei den Menschen, wenn es auf Kirche und Glauben zu sprechen kommt.

46 Prozent – fast die Hälfte – glauben an eine höhere Macht, aber nicht an einen Gott, wie ihn die Kirche lehrt. Das ist gar nichts! Schlimmer noch: Denn irgendeine höhere Macht im Universum, vielleicht eine Energie, die will von Ihnen nichts und hilft Ihnen auch nicht, wenn Sie in Not sind. Diese Aussage ist katastrophal. Etwa 50 Prozent sagen, dass sie Kirchenmitglied sind, weil das in der Familie immer so war: das Traditionsargument, das sonst überhaupt nicht zieht. Es ist keine innere Verbundenheit mehr vorhanden! Eine große Unzufriedenheit ist zu spüren, die nicht nur mit den Missbrauchsskandalen zusammenhängt, sondern grundsätzlicher Art ist.

Forderung nach Strukturänderung

Die meisten sagen: „Das hängt mit der Struktur bei euch zusammen, liebe Katholiken; da seid ihr einfach hinterher. Ihr habt zu wenig Priester, also müsst ihr an dieser Stellschraube drehen und die Zulassungsbedingungen ändern, sprich: der Zölibat muss weg und Frauen zu Diakoninnen und Priesterinnen geweiht werden.“ Wenn man eine Umfrage machen würde, bin ich sicher, dass das mehrheitsfähig wäre. Das ist nicht nur die Position vom Bund Deutscher Katholischer Jugend (BDKJ). Dessen Vorsitzender hat das dem Papst im Herbst bei der Bischofssynode zum Thema der Jugend dargelegt. Das ist auch die Position von vielen anderen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken, die sich entsprechend äußern; dies kann man nachlesen. Es ist keine Unterstellung von mir. In unserer Kirchenzeitung war ein Streitgespräch von Bischof Dr. Oster mit dem BDKJ-Vorsitzenden Andonie abgedruckt. Darin ging es auch um die Frage des Weihepriestertums. Bischof Oster hat ausgeführt: „Ihre Hauptforderung an die Synode ist, Frauen zu Ämtern zuzulassen und Beziehungsformen zu bejahen, die keine Ehe sind. Diese beiden Positionen waren damals auch schon anstößig. Denn sie sind seit jeher Teil des Evangeliums.“ Andonie: „Diese Themen sind doch nicht Teil einer unumstößlichen Wahrheit.“ Oster: „Die Zulassung von Frauen zum Priesteramt? Dass das nicht geht, ist Bestandteil des überlieferten Glaubensgutes. Der Papst hat jetzt nochmal bestätigt, dass das nicht verändert werden kann. […] Diese permanenten Forderungen werden Jugendliche auf Dauer eher in die Frustration treiben, weil Sie als BDKJ nicht erklären können oder wollen, warum die Kirche das – auch auf Dauer – anders sieht."[2]

Das ist die eine Position: dass man die Strukturen ändern sollte. 

Wir brauchen eine theozentrische Wende

Kardinal Kasper ist nicht dafür bekannt, dass er ein Wortführer auf dem konservativen Flügel der Kirche ist. Er hat am 7. Juni 2013 eine interessante Stellungnahme beim Nationalen Eucharistischen Kongress in Köln abgegeben aufgrund seiner vielen Jahre Erfahrung als Sekretär des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Er kennt sich auf Weltebene bei unseren evangelischen Geschwistern wie kein anderer aus, weil er jahrelang mit ihnen Gespräche geführt hat. Er hat Folgendes ausgeführt:

„Über all dies kann man diskutieren. Die Frage ist nur, welchen Stellenwert solche Fragen haben. Lassen Sie mir in aller Ehrlichkeit sagen und gestatten Sie mir diese Offenheit: Die Fragen, an denen man sich derzeit in der öffentlichen Diskussion oft festbeißt, sind Nebenfragen, Nebenkriegsschauplätze. Von außen gesehen und nach der öffentlichen Wirkung beurteilt, ist die gegenwärtige kirchliche Landschaft ein ideologischer Drahtverhau mit vielen Grabenkämpfen, ein Stellungskrieg, in dem sich nur wenig bewegt. Ein Themenwechsel tut uns not. Denn wenn die gängigen, seit 40 Jahren bekannten Postulate so entscheidend wären für die Zukunft der Kirche, wie sie dargestellt werden, dann müsste es den evangelischen Freunden prächtig gehen. Sie haben keinen Papst und keine Kurie, brauchen auf die Weltkirche keine Rücksicht nehmen, haben keinen Zölibat, ordinieren Frauen zu Pastorinnen und Bischöfinnen, segnen zweite und dritte Ehen, gleichgeschlechtliche eingeschlossen. Aber geht es ihnen besser, wenn es um die Vermittlung des Evangeliums geht? Leider nicht! Ich sage dies nicht schadenfroh. Ich sage: Leider geht es ihnen um kein Haar besser, im Gegenteil.

Die Zukunft des Christentums und der Kirche in unserer Gesellschaft kann also letztlich nicht an diesen Fragen hängen. Es geht um die Gottes- und um die Christusfrage; es geht um die Frage nach dem Brot des Lebens im umfassenden Sinn des Wortes.[3] […] Dazu kommt, viele unserer kirchlichen Reformfragen sind Insiderfragen, welche die neuen Heiden – besser: die äußerlich draußen, aber vielleicht innerlich viel mehr bei uns sind, als wir meinen – gar nicht interessieren. Wir müssen die Frage nach dem Heiligen, die Gottesfrage, in die Mitte rücken. Wir brauchen eine theozentrische Wende in der Theologie und in der Pastoral."[4]

Wege aus der Krise

Wir brauchen eine theozentrische Wende! Als ich studiert habe, hat es geheißen, dass die anthropologische Wende in der Theologie wichtig sei. Was heißt das? Man denkt vom Menschen her, auf ihn hin, geht von seinen Lebenssituationen aus, und betreibt so Theologie – oder etwas akademischer formuliert: Es geht um Theoriefindung bezüglich des Menschen als Grundlage der theologischen Interpretation. Das war nicht verkehrt. Grundvollzüge der Liebe etwa offenbaren uns viel zum Umgang miteinander und in der Ehe sowie der Liebe Gottes zu uns.

Kardinal Kasper sagt jetzt: Wir brauchen eine theozentrische Wende! Gott muss wieder in den Mittelpunkt kommen! Ich habe den begründeten Verdacht, dass bei uns, wenn über Reform der Kirche nachgedacht wird, sich Theologen hinsetzen und überlegen: Was könnten wir denn jetzt ändern? Vieles kommt mir selbstgemacht vor. Müsste man nicht viel mehr um den Heiligen Geist beten? Was mich schon seit Langem stört, ist die Verweigerung, von anderen Nationen, die viel Gutes beispielhaft vorangebracht haben, zu lernen. Wir meinen immer, wir sind der „Nabel der Welt“ und alles soll so gehen, wie es bei uns läuft. Die Kirche in anderen Ländern ist uns in vielerlei Hinsicht voraus. Wir haben den Anschluss verpasst. Vieles läuft bei uns noch, weil wir die entsprechenden Kirchensteuermittel haben, sonst würde es nicht mehr gehen.

Anbetung für Berufungen

Ein Beispiel: Die Amerikaner hatten zu Beginn der Jahrtausendwende eine große Krise: den Missbrauchsskandal! Pater Paulus, der in New York wohnt und immer wieder zu uns nach Balderschwang kommt, sagt: Die Verantwortlichen der Kirche haben sich beraten, weil auch die Spenden in den Keller gesunken sind. Die amerikanische Kirche lebt von den freien Gaben der Gläubigen. Sie glauben gar nicht, wie schnell die Bischöfe die Missbrauchsskandale aufgeklärt haben, als plötzlich kein Geld mehr da war. Diese Botschaft haben sie verstanden.

Da war dann ein gewisser Herr David Craig, Mitinhaber einer Fluggesellschaft und selbst Pilot. Ich sage das deshalb, weil diese Leute sehr nüchtern sind. Wenn er vorher sein Flugzeug nicht durchcheckt, dann ist er vielleicht morgen tot. Das sind keine Personen, die irgendwie abgehoben sind. Er kam zu uns nach Balderschwang und hat mir erzählt, was damals geschehen ist. Im November dieses Jahres kommt er übrigens wieder nach Deutschland. Sie haben mit der Anbetung für Berufungen begonnen: „Adoration for Vocations“. Es gibt heute so gut wie keine Stadt in den USA mit mehr als 9.000 Katholiken, in der nicht die Anbetung rund um die Uhr für Berufungen gehalten wird. Bei uns können Sie das an den Fingern abzählen, wo das so stattfindet. Die Amerikaner hatten im Jahr 2017 70,5 Millionen Katholiken und 590 Priesterweihen. Wir haben 23 Millionen Katholiken und nur noch 56 Priesterweihen pro Jahr. Da können Sie sehen, wie sehr wir schon ins Hintertreffen geraten sind. In den USA ist auch alles sehr säkularisiert. Sie haben außerdem mit einer vernünftigen Jugendarbeit begonnen, auch mit einer Musik bei Events, die Jugendliche anspricht. Es ist dort normal, dass 10- bis 25-tausend Jugendliche zusammenkommen, auch in kleineren Diözesen. Es wird ihre Musik gespielt und starke Zeugnisse vorgetragen. Das meine ich mit „theozentrischer Wende“.

Das heißt natürlich nicht, dass wir durch Anbetung Berufungen „herbeibeten“ können. Das funktioniert nicht. Der liebe Gott beruft auch heute genügend Frauen und Männer zu einem besonderen Dienst. Daran müssen wir festhalten. Nur wird dieser Ruf oft nicht mehr erkannt und angenommen. War es denn bei mir anders? Ich wollte Flugzeugführer bei Lufthansa werden und war schon weit auf diesem Weg. Wenn da nicht zwei Ordensschwestern gewesen wären, die für mich gebetet haben, würde ich heute irgendwo in einem Cockpit eines Flugzeugs sitzen.

Es gibt so viele Möglichkeiten, sich in die Social Media und im Internet zu verlieren, nicht mehr in die Mitte zu finden und die eigene Berufung zu entdecken. Deshalb braucht es dieses außerordentliche Mittel der ständigen Anbetung. Das hat in Amerika die Wende gebracht. Wir werden das in den nächsten Tagen bei uns in den Social Media und auf unserer Homepage auf die Startseite stellen. Da können Sie alle Städte der USA nachlesen, in denen es eine ewige Anbetung gibt.

Glaube, Bekehrung und Evangelisierung

Es gibt Gemeinden in den USA und in Kanada, die am Boden lagen und es geschafft haben, eine missionarische Gemeinde zu werden: dadurch, dass sie die Gläubigen zu Jüngern ausgebildet haben. Das ist in dem Buch von James Mallon, das ich jetzt schon seit fast einem Jahr in der Mittagszeit vorlese: „Divine Renovation“ [= Göttliche Erneuerung] und „REBUILT!“ von Fr. Dr. Michael White aus Baltimore in den USA gut dargelegt. Es ist ein beschwerlicher Weg, aber es ist der richtige. Im Kern geht es darum, dass wir das umsetzen, was im Katechismus der Katholischen Kirche so formuliert ist: „Die heilige Liturgie füllt nicht das ganze Tun der Kirche aus; ihr müssen die Evangelisierung, der Glaube und die Bekehrung vorausgehen; erst dann kann sie im Leben der Gläubigen Früchte bringen: das neue Leben im Heiligen Geist, den tätigen Einsatz für die Sendung der Kirche und Dienst an ihrer Einheit."[5] Wir müssen ernst nehmen, dass unsere Leute meist nicht disponiert sind, die Sakramente zu empfangen; weder haben sie das Glaubenswissen noch sind sie innerlich entsprechend vorbereitet. Glaube, Bekehrung und Evangelisierung müssen zuerst erfolgen. Erst dann kann man die Sakramente spenden.

Es ist oft so ein Trauerspiel, wenn Brautpaare zum Gespräch mit dem Priester kommen. „Wann haben Sie das letzte Mal gebeichtet?“, frage ich. Sie sind ehrlich und sagen: „Bei der Firmung, bei der Erstkommunion“. Sie haben meist schon mehrere Verhältnisse gehabt. Deshalb sollte man ihnen das Sakrament der Beichte auch vermitteln und sagen: Jetzt macht reinen Tisch, damit ihr nicht belastet in die Ehe hineingeht.

Bei der Eucharistie wissen viele überhaupt nicht, wie sie sich verhalten sollen. Da muss ich dann mit den Händen arbeiten: „Hände nach oben heißt: Aufstehen – Hände nach unten heißt: Hinknien.“ Wenn ich ein Zeichen geben würde – das meine ich sarkastisch – dass man sich auf dem Boden rollen darf vor Freude nach der Trauung, dann würden sie das auch machen, weil sie keine Ahnung mehr haben. Wir müssen es ernst nehmen, dass jene, welche zu uns kommen, meist nicht vorbereitet sind und kein Glaubenswissen mehr mitbringen. 

Keine Sakramentenspendung an Ungläubige

 Um nicht missverstanden zu werden: Wenn man bestimmte Erwartungen mit der Spendung der Sakramente verbindet, hat das nichts mit einem Rigorismus zu tun. Ich freue mich ausnahmslos über jeden, der zu mir kommt und um die Spendung der Sakramente bittet. Das ist eine große pastorale Chance, die unbedingt genutzt werden muss. Wenn wir sagen, dass wir die Menschen dort abholen, wo sie sind, dann sollten wir das aber auch in die Tat umsetzen. Bei diesen Beispielen aus den USA und Kanada war das der Kern der Erneuerung, dass man die Sakramente erst gespendet hat, wenn die Leute entsprechendes Glaubenswissen hatten, etwa einen Alphakurs absolviert haben, Kurse in der Pfarrei oder überpfarreilich. Das ist das Wesentliche! Das steht auch im Katechismus, das müssen wir verwirklichen.

Es gibt ein Wort des Herrn gegen Ende der Bergpredigt, das sehr hart ist: „Gebt das Heilige nicht den Hunden und werft eure Perlen nicht den Schweinen vor“ (Mt 7,6). Und dann ein interessanter Nebensatz, der kaum beachtet wird: „… denn sie könnten sie mit ihren Füßen zertreten und sich umwenden und euch zerreißen“. „Hunde“ und „Schweine“ meinen Außenstehende. „Es geht darum – wo immer diese Mahnung in der Entstehungszeit des Textes ihren konkreten Sitz im Leben gehabt haben mag – dass man keinem Menschen, der nicht entsprechend disponiert ist, die Perlen geben soll. Sie verdauen sie nicht. Sie werden unwillig, sie werden wütend, sie zertreten die Perlen mit ihren Füßen. Und: sie werden aggressiv, sie wenden sich um und zerreißen euch. Stellen wir nicht bei einem Großteil unserer Leute, inzwischen auch der mittleren Generation, der Eltern unserer Firmlinge und Kommunionkinder, eine eigentümliche Aggressivität fest, eine stark negativ emotionalisierte Ablehnung der Kirche? Sie haben die Kirche erlebt in den Veranstaltungen der Taufe, des Weißen Sonntags, vielleicht noch der Firmung, und sie haben sie erlebt als heuchlerisches, unehrliches So-tun-als-ob. Mit dem wirklichen Leben hatte das alles für sie nichts zu tun: „Geh mir weg mit der Kirche, ich weiß Bescheid!“ Da haben wir die […] gefährliche Bescheidwisserei. […] Wir können doch in dieser völlig und ganz und gar veränderten Landschaft nicht einfach so weitermachen wie früher, als wäre nichts geschehen, als hätte sich nichts verändert – das kann doch nicht sein! Wir tun es aber, landauf, landab."[6] Das Ende der christentümlichen Gesellschaft sei längst da. 

Keine Strukturveränderungen werden uns retten! Bei Ignatius von Loyola ging es allein um eines: Alles zur größeren Ehre Gottes! Bei Franziskus – er hat wie Ignatius wirklich Reform der Kirche gemacht – ging es nur um eines: Rückkehr zum Evangelium, zur Armut – „sine glossa“, ohne Zunge, ohne Erklärungen und Einschränkungen wortwörtlich das Evangelium leben! Da ist echte Reform der Kirche geschehen.

Wir müssen eine theozentrische Wende vollziehen. Kardinal Kasper hat recht: Gott muss wieder in den Mittelpunkt kommen, und das zeigt sich etwa in der Anbetung. Wir müssen aufhören, die Sakramente Personen zu spenden, die in keinster Weise dafür disponiert sind und auch kein Glaubenswissen haben. Wir brauchen „Katechumenat und Sakrament, nicht aber Sakramentenspendung an Ungläubige“.

Das ist aus meiner Sicht der Weg, den wir zu gehen haben. Er ist sicher nicht leicht, aber ich sehe keinen anderen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Ratzinger, Joseph: Die neuen Heiden und die Kirche, in: Das neue Volk Gottes, Entwürfe zur Ekklesiologie, 325, Düsseldorf 1969.
[2] Jesus und die Jugend – Zwischen Verkündigung und Event: Wie soll die Kirche auf junge Leute zugehen? – Bischof Oster und BDKJ-Vorsitzender Andonie diskutieren vor der Synode, in: Katholische Sonntagszeitung Bistum Augsburg vom 8./9. September 2018/Nr. 36, 2.
[3] Kasper, Walter: „Herr, zu wem sollen wir gehen?“ – Zu dem, der sich für uns hingibt, Katechese beim Eucharistischen Kongress in Köln am 7. Juni 2013, 12f.
[4] Kasper, Walter, a.a.O., 9.
[5] Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1072.
[6] Kopp, Thomas: Katechumenat und Sakrament – nicht aber Sakramentenspendung an Ungläubige, in: Anzeiger für die katholische Geistlichkeit 1988, 35-38, hier 37. Der Monat der Herausgabe ließ sich nicht mehr recherchieren.

Wege der Erneuerung

Gebetsgruppen für die Kirche

Günther Zoppelt (geb. 1958) setzt sich seit vielen Jahren für eine Erneuerung des Glaubenslebens ein. Dazu hat er verschiedene apostolische Initiativen ins Leben gerufen. Angesichts der aktuellen Bedrängnisse sieht er eine Lösung in sog. „Gebetsgruppen für die Kirche“.

Von Günther Zoppelt

Die Braut des Lammes (Offb 21,9), die Kirche, sollte rein, heilig und untadelig sein. Durch die schweren Verfehlungen einiger katholischer Kleriker wurde die Kirche jedoch schwer beschädigt. Seit 2010 haben sich allein in Österreich 3015 Personen mit Missbrauchsvorwürfen bei der Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft der Österreichischen Bischofskonferenz gemeldet. Weltweit ist die Kirche mit diesem Skandal konfrontiert. Der Vertrauensverlust ist schwer wieder aufzuholen. Ein geistiger Kampf ist im Gang: „Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen …, sondern gegen die bösen Geister“ (Eph 6,12). Der hl. Paulus empfiehlt, die Waffenrüstung Gottes anzulegen: „… Nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes. Hört nicht auf, zu beten und zu flehen! Betet jederzeit im Geist, seid wachsam!“

Papst Johannes Paul II. mahnte am 13. September 1983 in Mariazell: „Liebe Priester und Ordensleute, das Gebet ist ein unersetzlicher Bestandteil unserer Berufung. Lernt beten! Schöpft dabei vor allem aus dem Reichtum des Stundengebetes und der Eucharistie. Lernt in der Schule des Herrn selbst so beten, dass ihr zu ,Meistern‘ des Gebetes werdet und jene, die Euch anvertraut sind, das Beten lehren könnt. Wenn ihr die Menschen beten lehrt, dann bringt ihr ihren oft verschütteten Glauben wieder zum Sprechen. Durch das Gebet führt ihr sie zurück zu Gott und gebt ihrem Leben wieder Halt und Sinn.“ Beten lernen und beten lehren! Die Geistlichen müssen wieder verstärkt selbst beten und ihre Gläubigen zum Gebet einladen.

In Notzeiten hat das katholische Volk besonders Zuflucht zur Gottesmutter Maria genommen. Angesichts der Angriffe gegen die Kirche sollte man auch heute in jeder Pfarrei aktiv zum Rosenkranzgebet einladen, die Herz-Jesu-Freitage (hl. Maria Margaretha Alacoque) sowie die Herz-Mariä-Sühnesamstage (Fatima) halten und das Gebet zum hl. Erzengel Michael pflegen.

Um eine echte kirchliche Erneuerung muss viel gebetet werden. Eine Antwort auf die Krise der Kirche sind deshalb die sog. GEBETSGRUPPEN FÜR DIE KIRCHE. Wir beten besonders in den folgenden fünf großen Anliegen:

1 FÜR DEN HEILIGEN VATER, die Bischöfe und für alle Priester: damit sie die Liebe Gottes allen, vor allem den Verwundeten, Notleidenden und Fernstehenden bringen.

2 UM GEISTLICHE BERUFUNGEN: Priester und Ordensleute für die Pfarreien und Klöster.

3 FÜR DIE EINHEIT DER CHRISTEN, damit der Sohn Gottes mit einer Stimme bezeugt wird.

4 FÜR ALLE VERFOLGTEN CHRISTEN und um die Bekehrung der Feinde der Kirche.

5 FÜR ALLE MISSIONARE und um missionarischen Geist für alle Getauften, damit das Evangelium allen Menschen auf Erden verkündet werde.

Die Gebetsgruppen sollten sich jede Woche treffen, einmal im Monat unter der Leitung eines Priesters in der Pfarrkirche vor Ausgesetztem Allerheiligsten. Die Vision: in jeder Pfarrei und in jedem Kloster eine Gebetsgruppe für die Kirche! Nur durch das inständige Gebet können wir ein neues Pfingsten erflehen, das die Kirche erneuert.

Dabei braucht es den Geist der Geschwisterlichkeit nach dem Wort des Herrn (Mt 23,8-11): „Nur einer ist euer Vater, der im Himmel. Nur einer ist euer Meister, Christus. Ihr alle aber seid Brüder (und Schwestern)!“ – „Der Größte von euch soll euer Diener sein“ (Mt 23,11). Im Geist des geschwisterlichen Miteinanders haben begierliche Wünsche und Gedanken, die in Missbrauch enden könnten, keinen Raum. Der hl. Franz von Assisi hat diesen Geist in einzigartiger Weise gelebt.

Papst Benedikt XVI. rief ferner dazu auf: „Die Kirche muss sich immer wieder erneuern und verjüngen. Das Wort Gottes ist dazu das beste Mittel. Daher möchte ich die Lectio Divina in Erinnerung rufen. Das eifrige Studium der Heiligen Schrift, begleitet von Gebet, führt zu jenem innigen Gespräch, bei dem wir das Herz vertrauensvoll öffnen, Gott hören, wenn wir lesen, und ihn anreden, wenn wir beten. Bei entsprechender Förderung, davon bin ich überzeugt, wird die Lectio Divina der Kirche einen neuen Frühling bringen.“ Eine ernsthafte Hinwendung gerade katholischer Christen zur Bibel ist ein grundlegender Bestandteil wahrer Erneuerung.

Gebetsgruppen für die Kirche, das betende Lesen des Wortes Gottes, die Haltung der Geschwisterlichkeit: drei Wege der Erneuerung, die umgesetzt werden müssen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2019
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„Kirche in Not“ macht seit 70 Jahren mobil

Fahrzeuge für Gott

Vor 70 Jahren startete die vom „Speckpater“ Werenfried van Straaten (1913-2003) gegründete „Ostpriesterhilfe“ (heute „Kirche in Not“) ihre Aktion „Ein Fahrzeug für Gott“. Sogenannte „Rucksackpriester“ wurden motorisiert, um unter den Vertriebenen in protestantischen Gebieten der norddeutschen Diaspora Seelsorge zu leisten. Volker Niggewöhner über eine Pioniertat des deutschen Katholizismus nach dem Zweiten Weltkrieg.

Von Volker Niggewöhner

Heute ist man sich in Deutschland kaum noch bewusst, dass die Gräuel des Zweiten Weltkrieges und die auf der Konferenz von Potsdam beschlossene Abtrennung der deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße die größte Vertreibung der europäischen Geschichte auslösten. Von den 15 Millionen deutschen Vertriebenen aus den Ostgebieten waren acht Millionen katholisch. Viele dieser ostdeutschen Katholiken wurden in nahezu rein evangelischen Regionen angesiedelt, während ostdeutsche Protestanten in katholisch geprägten Gebieten eine neue Heimat fanden. Es war die größte Umwandlung der konfessionellen Struktur in Mitteleuropa seit der Reformation.

Insgesamt lebte fast drei Viertel der katholischen Heimatvertriebenen in der Diaspora. Es gab in Deutschland 2500 Orte, wo zwar Katholiken lebten, es aber weder katholische Seelsorge noch eine katholische Kirche gab. Für den geistlichen Trost und die Spendung der Sakramente in diesen Gebieten waren die rund 3000 „Rucksackpriester“ zuständig. Selbst aus ihrer alten Heimat vertrieben, zogen sie unermüdlich bis zur Erschöpfung, zu Fuß von einem Ort zum nächsten, im Rucksack liturgische Geräte für die hl. Messen mit sich führend.

Seelsorge bis zur Erschöpfung

Mit ihren abgewetzten Militäruniformen und geflickten Rucksäcken sahen sie aus wie Landstreicher. Tagtäglich waren sie unterwegs, stundenlang, hunderte Kilometer. Sie trotzten Wind und Wetter, meist zu Fuß oder – wer Glück hatte – mit einem Fahrrad. Viele Priester ruinierten dabei ihre Gesundheit, für etliche endete dieses „pastorale Nomadentum“ tödlich: Unfälle und Krankheiten zollten ihren Tribut. Viele dieser heimatvertriebenen Priester, die von der Flucht schon körperlich ausgezehrt waren, starben. Einige schrieben Briefe an Pater Werenfried van Straaten, wie den folgenden: „Herr Pater, wissen Sie, was das schlimmste ist? Wenn ich die Bilanz dieser drei Jahre ziehe, in denen ich mein junges Leben geopfert habe, dann sehe ich, dass während dieser drei Jahre 80% meiner Katholiken ohne Sakramente gestorben sind. Nicht, weil sie nicht wollten. Sie sehnten sich danach. Aber weil ich nur einen Leib und ein Fahrrad hatte.“

Ein anderer klagte: „Die Seelsorge ist hart, oft voll bitterer Enttäuschungen, aber auch voll ergreifender Priesterfreude. In sieben Schulen gebe ich Religionsunterricht und an drei zentral gelegenen Ortschaften zelebriere ich regelmäßig die heilige Messe. Jede Woche lege ich 215 Kilometer per Fahrrad zurück, oft in Regen und Schneeböen, auf Straßen und Pfaden, die im Winter mit Eis oder Schneematsch, im Frühjahr mit Schlamm, im Sommer mit lockerem Sand bedeckt sind. Seit Weihnachten habe ich 32 Pfund abgenommen.“

Betteln für die Feinde von einst

Es waren Briefe wie diese, die Pater Werenfried van Straaten auf die zündende Idee brachten, diesen Helden der Seelsorge mit einem fahrbaren Untersatz auszustatten. Bereits kurz nach Kriegsende, 1947, hatte Pater Werenfried die materielle wie seelische Not der Heimatvertriebenen erkannt. Der gebürtige Niederländer und Prämonstratenser der Abtei Tongerlo in Belgien war ein Visionär der Nächstenliebe. Er vertraute auf Gott, auf das Gute im Menschen und auf die Kraft der Verzeihung selbst zwischen einst erbitterten Kriegsgegnern. Unermüdlich sammelte er deshalb in Belgien und den Niederlanden zunächst Kleidung und Lebensmittel für die Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten.

Und so gaben Frauen den letzten Anzug ihres von deutschen Soldaten erschossenen Mannes her, um den Vertriebenen zu helfen. „Wogen der Barmherzigkeit und Liebe gingen durch das flämische Land und überspülten alsbald auch die Niederlande“, blickt Pater Werenfried in seiner Autobiografie „Sie nennen mich Speckpater“ dankbar auf diese Jahre zurück.

So kam es, dass Pater Werenfried ab 1949 auch um „Fahrzeuge für Gott“ bettelte. Und er hatte Erfolg. Innerhalb von nur zwei Monaten kam das Geld für 120 Volkswagen zusammen! Die Zeichen der Zeit erkennend und mit kühnem Unternehmungsgeist plante er die nächsten Aktionen: „Mit Kolonnen der Hilfe müssen wir ostwärts gehen. Lastwagen müssen wir mit Priestern bemannen und zum Brechen voll mit Liebesgaben beladen.“

So wuchs die Aktion „Ein Fahrzeug für Gott“ weiter. Und wie immer bei seinen Aktionen löste der „Speckpater“ damit eine Welle der Hilfsbereitschaft aus. Die Kapellenwagenmission seiner „Ostpriesterhilfe“ begann 1950 testweise mit zwei umgebauten Bussen. Sie verlief sehr erfolgreich. Hunderte Priester machten sich in den folgenden Jahren zu Missionsreisen in die versprengten Diaspora-Gemeinden der deutschen Heimatvertriebenen auf. Die Kirche kam buchstäblich ins Dorf und gab den Vertriebenen Lebensmut zurück.

Papst Pius XII. lobte die Kapellenwagen-Mission

Wenn Pater Werenfried von „Kolonnen der Hilfe“ predigte, dann war das durchaus wörtlich zu verstehen: Am 22. April 1952 wurden in Königstein im Taunus, dem wichtigsten religiösen Zentrum der heimatvertriebenen Katholiken, von Josef Kardinal Frings 14 Sattelschlepper – die „Kapellenwagen“ – und 70 Volkswagen gesegnet. 

„Heute kommt die Weltkirche zu euch heimatvertriebenen Priestern und in euch zu allen Katholiken, die der Herrgott euch anvertraut hat“, richtete sich Pater Werenfried in Königstein an die Gäste der Segnungsfeier. Kardinal Frings sprach damals von einem „Schauspiel christlicher Nächstenliebe. Länder und Völker, die das deutsche Volk noch vor einigen Jahren mit Krieg überzogen, gedrückt und geknechtet hat, haben sich vereint, um uns zu helfen, in unseren.“ In einem Brief vom 1. Oktober 1954 an die deutschen Bischöfe über die Vertriebenen-Seelsorge lobte Papst Pius XII. ausdrücklich diese Aktion, als er schrieb: „Besonders rühmlich zu erwähnen [ist] die Kapellenwagen-Mission.“

Zwei Jahrzehnte lang waren fortan je ein deutscher und ein ausländischer Missionar zusammen mit einem Fahrer mit den Kapellenwagen der Ostpriesterhilfe unterwegs. Man fuhr mit einem „Koloss von Autowagen“, erinnert sich ein Fahrer. Wie ein „Raubtierdompteur“ habe er sich beim Lenken gefühlt: Schließlich war jeder Kappellenwagen 14 Meter lang, zwei Meter breit, drei Meter hoch und fünf Tonnen schwer. Eine Seitenwand konnte herausgeklappt werden und machte den Blick auf den Altar frei. Auf der anderen Seite befand sich der Eingang zum Beichtstuhl. Im Heck waren die beiden Priester untergebracht und vorne, im Führerhaus, übernachtete der Fahrer.

Fahrzeughilfe ist bis heute Herzensanliegen von „Kirche in Not“

1970 waren die großen Kapellenwagen zum letzten Mal unterwegs. In hunderten Orten Westdeutschlands und manchmal auch im Ausland waren sie zu Gast. Sie haben den Menschen die Kirche wieder in ihre Städte und Dörfer gebracht.

So wurde die Motorisierung der Seelsorge im Werk Pater Werenfrieds, das heute „Kirche in Not“ heißt und seit 2011 eine Päpstliche Stiftung ist, eine der wichtigsten Zielsetzungen. Sie ist es geblieben. In vielen Ländern der Welt sind die Entfernungen zwischen den Dörfern und Städten wesentlich größer als in Deutschland. Eine Pfarrei kann dort größer sein als hier eine ganze Diözese. Damit Gottes Mitarbeiter auf dem Weg zu einer hl. Messe, zu einem Kranken oder Sterbenden nicht „auf der Strecke bleiben”, finanziert „Kirche in Not“ die unter den örtlichen Bedingungen zweckmäßigen Fahrzeuge – Geländewagen, Motor- und Fahrräder und manchmal auch Boote.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2019
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Nachlese zum Jubiläumsjahr „600 Jahre Niklaus von Flüe“

Ein Kompass zum Leben

Dr. Roland Gröbli (geb. 1960) stammt aus Ennetmoos in der Schweiz. Er ist Historiker und promovierte über den hl. Bruder Klaus (1417-87). Seine Dissertation erschien 1989 unter dem Titel „Die Sehnsucht nach dem ,einig Wesen‘ – Leben und Lehre des Bruder Klaus von Flüe“. Sie erlebte bereits mehrere Auflagen und gilt als biografisches Standardwerk zu Niklaus v. Flüe. Gröbli war Präsident des Wissenschaftlichen Beirats zum Gedenkjahr „600 Jahre Niklaus von Flüe“. 2016 erstellte er im Auftrag des Trägervereins des Jubiläumsjahres die Schriften „Einführung in Leben und Wirken von Niklaus von Flüe“ sowie „Einführung in die lebendige Erinnerungskultur zu Niklaus von Flüe heute“. Das Jubiläumsjahr ist abgeschlossen und nun gilt es, seine Früchte zur Geltung zu bringen. Gröbli bietet dazu eine Artikelserie an, die wir unter dem Titel „Nachlese zum Jubiläumsjahr ,600 Jahre Niklaus von Flüe‘“ veröffentlichen. In einem ersten Beitrag stellt Gröbli die Monografie von Pfarrer Bernard Schubiger über das bekannte Meditationsbild des hl. Bruder Klaus vor. Nach Gröbli ist es ein profundes Werk, das unser Wissen über die Spiritualität des Heiligen erweitert.

Von Roland Gröbli

Das Gedenkjahr 2017 brachte eine Fülle an neuen Werken über Niklaus von Flüe (1417-1487) und regte zu weiteren wertvollen Forschungen an. Diese Feststellung gilt besonders für die Monografie von Pfarrer Bernard Schubiger. Seine faktenreiche Studie über das Meditationsbild erweitert dank seiner profunden Kenntnisse der spätmittelalterlichen Zeit unser Wissen über die Spiritualität von Niklaus von Flüe. Mehr noch, der Autor zeigt uns eindrücklich auf, wie dieses Mediationsbild als Kompass für das eigene Leben dienen kann.

Als Niklaus von Flüe am 21. März 1487 starb, wurde sein Tod am herzoglichen Hof von Sigismund von Österreich (1427-1496) ebenso vermerkt wie in Nürnberg, Augsburg, Mailand oder in Straßburg. Er war, wie der amerikanische Jesuit David J. Collins 2008 schrieb, der „heilige Superstar des 15. Jahrhunderts“.

Ein Bestseller von 1488

Tatsächlich wurde Niklaus v. Flüe bereits zu Lebzeiten vielfach beschrieben und analysiert. Diese schriftlichen Zeugnisse machen ihn zu einem der am besten dokumentierten spirituellen Leitfiguren jener Zeit, obwohl er ein Laie war, der weder schreiben noch lesen konnte. Doch Niklaus von Flüe ist bis heute nicht nur durch diese frühen Schriften präsent, sondern auch durch sein berühmtes Gebet „Mein Herr und mein Gott“ sowie das Radbild und daraus abgeleitet das Meditationsbild. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde das Meditationsbild erstmals im Jahr nach seinem Tod im sog. Pilgertraktat bekannt. Das kleine Büchlein wurde, für damalige Verhältnisse, mit zwei weiteren Auflagen innert Jahresfrist zu einem Bestseller.

Das Meditationsbild ist bis heute als einzigartiges Bilddokument weitherum bekannt. Eine große Popularisierung erfuhr es als „Hungertuch“ von den Hilfswerken Fastenopfer und Brot für Brüder in der Schweiz (1981 und 1987) sowie von Misereor in Deutschland (1980 und 1998). Auch heute findet es sich in vielen Kirchen und Gemeindezentren. Das Radbild (und das Meditationsbild) regte auch Künstler und Wissenschaftler verschiedenster Richtungen an. 

Die maßgebende wissenschaftliche Studie über das Meditationsbild stammt von Prof. Heinrich Stirnimann OP (1920-2005) von 1981. Auch Dr. theol. Werner T. Huber (geb. 1949) hat sich in seiner Dissertation (1981) über das älteste Druckwerk über Br. Klaus und das Meditationsbild und seither immer wieder sehr intensiv mit Niklaus v. Flüe beschäftigt. Die meisten Autoren erschlossen sich vor allem über literarische Quellen den inneren Gehalt des Meditationsbildes. Es blieb deshalb, im Zusammenhang mit dem inneren Verständnis und den persönlichen und religiösen Überzeugungen des Ranft-Eremiten, die am wenigsten erschlossene und am wenigsten ausgewertete Quelle.

Unerhört faszinierende „Lektüre“

Bernard Schubiger schließt mit dieser verdienstvollen Studie eine große Lücke. Nach der Klärung der Quellen, des Kontextes und einer minutiösen Beschreibung des Bildes nimmt uns der Autor im vierten und umfangreichsten Kapitel bei der Hand und führt uns ein in ein Universum, dessen Fülle wir ohne die souveräne Führung durch den profunden Kenner der spätmittelalterlichen Frömmigkeit nur erahnen. Bernard Schubiger bereichert unser Wissen über Niklaus von Flüe. Tief dringt er in die Struktur dieser einzigartigen illustrativen Quelle, breitet überzeugend vielfältige Aspekte und Perspektiven aus und erläutert sie in bisher nicht bekannter Tiefe.

In dieser faszinierenden „Lektüre“ des Bildes gehören seine Kenntnisse und Verweise auf die französische wie die rheinische (deutsche) Mystik und Kunst und zu den Bibeln der Armen (Biblia pauperum) zum besonderen Verdienst von Bernard Schubiger. Er schlägt über die heutigen Sprachgrenzen hinweg Brücken. Wir unterschätzen nur zu oft, wie geografisch und kulturell breit das Einflussgebiet für die Intellektuellen und die Künstler jener Zeit war, breiter jedenfalls als bei manchem verdienstvollen Forscher heute.

Im Gedenkjahr geschrieben – ein bleibender Wert darüber hinaus

Ebenso benutzt er, meines Wissens erstmals im Zusammenhang mit dem Mediationsbild, spätmittelalterliche Fastentücher, darunter das Fastentuch von Altdorf (von 1421), von Zug (um 1465) oder von Zittau (von 1472). Dabei zeigt er eindrücklich auf, wie prägend und wichtig für Niklaus von Flüe die Werke der Barmherzigkeit waren, ein Anliegen, das der Ranft-Eremit auch im Brief an die Berner Obrigkeit eindringlich zur Sprache gebracht hat.

Sein Buch, das im 600. Geburtsjahr von Niklaus von Flüe geschrieben wurde, stellt ein wunderbares Geschenk an den Schweizer Nationalheiligen und an uns alle dar und wird über das Gedenkjahr hinaus von bleibendem Wert sein: Abbé Bernard Schubiger: Le tissu de méditation de Nicolas de Flue, Une boussole pour la vie, Parvis Verlag, Hauteville 2018, 336 Seiten, 24,00 Euro, ISBN 978-2-880224479.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2019
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Maria und die Auferstehung Christi

Papst Johannes Paul II. erklärte bei der Generalaudienz am 21. Mai 1997:

Nach der Beisetzung Jesu im Grab hält Maria als einzige die Flamme des Glaubens wach und bereitet sich darauf vor, die frohe und staunenswerte Nachricht von der Auferstehung zu empfangen. Die am Karsamstag gelebte Erwartung ist einer der höchsten Augenblicke im Glauben der Mutter des Herrn: In der Dunkelheit, die das Universum umhüllt, setzt sie ihr ganzes Vertrauen auf den Gott des Lebens und hofft, an die Worte des Sohnes zurückdenkend, auf die vollkommene Verwirklichung der göttlichen Verheißungen. Die Evangelien berichten von verschiedenen Erscheinungen des Auferstandenen, aber nicht von der Begegnung mit seiner Mutter. Dieses Schweigen darf nicht zu der Schlussfolgerung veranlassen, dass Jesus Maria nach der Auferstehung nicht erschienen sei. (S. 17)

Wir können indes berechtigterweise annehmen, dass Maria wahrscheinlich die erste Person war, der der auferstandene Jesus erschienen ist. Könnte die Abwesenheit von Maria in der Gruppe der Frauen, die sich bei Tagesanbruch zum Grab begaben (vgl. Mk 16,1; Mt 28,1), nicht einen Hinweis dafür bieten, dass Jesus ihr bereits begegnet war? Diese Schlussfolgerung könnte auch in der Tatsache Bestätigung finden, dass die ersten Zeugen der Auferstehung nach dem Willen Jesu die Frauen waren, die unter dem Kreuz treu geblieben und daher fester im Glauben waren. Einer von ihnen, Maria von Magdala, vertraut der Auferstandene in der Tat die Botschaft an, die für die Apostel bestimmt war (vgl. Joh 20,17-18). Auch dieses Element mag uns in der Annahme bestärken, dass Jesus sich zuerst seiner Mutter zeigte: Ihr, die ihm am treuesten geblieben ist und in der Prüfung den Glauben unversehrt bewahrt hat. (S. 21)

Schließlich scheinen der einzigartige, besondere Charakter der Gegenwart der Jungfrau auf Golgotha und ihre vollkommene Verbundenheit mit dem Sohn im Leiden am Kreuz eine ganz besondere Teilnahme ihrerseits am Geheimnis des Auferstandenen zu postulieren. Da Maria das Urbild der Kirche ist …, scheint es vernünftig anzunehmen, dass Maria einen persönlichen Kontakt mit dem auferstandenen Sohn hatte, um ihrerseits die Fülle der österlichen Freude zu erfahren. (S. 22)

Erzbischof Karl Braun: Maria und der Auferstandene, Lindenberg i. Allgäu, 40 S., 10 Abb., 14 x 19 cm, 1. Auflage 2017, ISBN 978-3-95976-065-2, Euro 5,– , Bestellung: Tel. 08381-83721, Fax 08381-83749, kunstverlag-fink.de

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2019
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Programmbeschwerde an ARD nach Anne Will-Talkshow zu Abtreibung

„Kein seriöser Journalismus“

Christiane Lambrecht ist Vorsitzende der Christdemokraten für das Leben/Bayern und nimmt in Ihrer Programmbeschwerde an die ARD nach der Talkshow von Anne Will über das Thema „Recht auf Leben und Selbstbestimmung – die neue Debatte über Abtreibungen“ kein Blatt vor den Mund. Die Diskussion von Franziska Giffey, Kristina Hänel, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Philipp Amthor und Teresa Bücker am 3.2.2019 betrachtet sie als skandalöse Stimmungsmache. Ihr aufrüttelnder Einspruch verdient größte Hochachtung und sollte viele Menschen zur Nachahmung ermutigen.

Von Christiane Lambrecht

Intendanten der ARD, meine heutige E-Mail an Sie ist eine offizielle Programmbeschwerde, denn in der o.g. Sendung „Anne Will“ haben Sie eindeutig gegen Ihren Auftrag als öffentlich-rechtlicher Rundfunk verstoßen.

Dazu zitiere ich das einschlägige Urteil des Bundesverfassungsgerichts, BVErfGE 88, 203ff., Nr. 185: „Der Schutzauftrag verpflichtet den Staat schließlich auch, den rechtlichen Schutzanspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewusstsein zu erhalten und zu beleben. Deshalb müssen die Organe des Staates in Bund und Ländern erkennbar für den Schutz des Lebens eintreten. […] Öffentlich-rechtlicher wie privater Rundfunk sind bei Ausübung ihrer Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) der Würde des Menschen verpflichtet […]; ihr Programm hat daher auch teil an der Schutzaufgabe gegenüber dem ungeborenen Leben.“

Begründungen:

1. Alleine die Konstellation von fünf Frauen, die für Abtreibung sind, gegen einen Mann, der dagegen ist, ist tendenziös und kein seriöser Journalismus. Denn Frau Will war nachweislich „befangen“ und moderierte unprofessionell und tendenziös.

2. Die Sendung bagatellisierte zudem das Thema Abtreibung auf eine subtile Art, auch indem die Konsequenz der Abtreibung überhaupt nicht thematisiert wird. Abtreibung ist tödlich, das ist ein Fakt.

3. In der gesamten Sendung wird nicht nur unterschlagen, dass Abtreibung einen einzigartigen ungeborenen Menschen tötet, sondern auch, dass Abtreibung in Deutschland keinesfalls einfach ein „Frauenrecht“ ist, sondern eine geduldete Straftat bleibt. Der Gesetzgeber legt in § 218 und § 219 StGB Wert darauf, dass das Lebensrecht des ungeborenen Kindes ein eigenes ist, jedoch dem Selbstbestimmungsrecht der Frau bei bestimmten Indikationen untergeordnet werden kann. Deswegen die Beratungspflicht, bei der die Beraterinnen aufgefordert sind, FÜR das Lebensrecht des Kindes zu beraten. Der Preis für jede Abtreibung ist der Tod des ungeborenen Kindes. Niemand dachte 1995 daran, dass 97 Prozent der Abtreibungen aus „sozialer Indikation“ erfolgen und deswegen pro Werktag alleine in Deutschland zwischen 360 und 400 Kinder vor ihrer Geburt im Mutterleib getötet werden.

4. Eine Sendung zum Thema Abtreibung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit einer Konstellation von fünf Frauen, die für Abtreibung sind, gegen einen Mann, der dagegen ist, ist tendenziös und kein seriöser Journalismus. Selbst wenn Sie die Moderatorin abziehen, ist 4:1 kein angemessenes Verhältnis.

5. Die Schlussaussage der Ärztin K. Hänel und von Frau Will beweisen besonders ausdrucksvoll und eindeutig die Befangenheit und Einseitigkeit von Frau Will. Frau Hänel: „Ich kann ja die Frauen nicht alleine lassen. …. Dass Kinder, die auf die Welt kommen gewollt sind, dass sie geliebt sind. … Das ist das, wofür ich mich einsetze. Das ist mein Traum, und wer Träume hat, der gibt niemals auf“, wird von Moderatorin Anne Will so kommentiert: „Das ist aber ein sehr sehr schöner Schlusssatz“. Ich war schockiert. Denn dass Abtreibung nun ein „schöner Traum“ sein soll, dürfte weder in der ARD noch in unserem Land Konsens sein. Jedenfalls hoffentlich. Diese Schlusssequenz ist ein Offenbarungseid an Unmenschlichkeit und ethischer Schieflage.

Dass die Abtreibung von ungewollten Kindern ein „Traum“ ist, hat nebenbei gesagt ein besonderes „Geschmäckle“.

Ich hätte mir gewünscht, dass bei einem Thema, bei dem es um Leben oder Tod geht, eine paritätische Besetzung der Gäste vorgenommen wird.

Die ARD hat sich mit dieser Sendung keinen Gefallen getan. Sie fördern damit indirekt die Bagatellisierung von Abtreibungen. Mir macht es große Sorgen, dass die zunehmende eugenische Tendenz von Abtreibungen (9 von 10 Kindern mit Down-Syndrom werden abgetrieben) und nun der durch Frau Hänel neuen erstaunlichen Rechtfertigung „nicht geliebte Kinder dürfen mit gutem Gewissen abgetrieben werden“, den Schutz der Schwächsten unserer Gesellschaft weiter schrumpfen lassen.

Ich wünsche mir für künftige Sendungen zum Thema Abtreibung, dass beispielsweise eine Ärztin, die gegen Abtreibungen ist, oder eine Beraterin, die schon vielen Frauen im Schwangerschaftskonflikt durch engagiertes Handeln und dem gemeinsamen Finden von Lösungen dazu verholfen hat, ihr Kind zu bekommen, eingeladen werden. Oder eine Frau, die fast abgetrieben hätte und nun sagt, was ihr half. Oder jemand von den „sogenannten“ Lebensschützern – so das wording von Frau Will in der Sendung und damit ein nochmaliger Versuch von Frau Will, alle, die nicht für Abtreibung sind, in eine Ecke zu stellen. Zumindest sollten die Gäste paritätisch besetzt werden.

A propos: Diese Sendung war nach diesem wording wohl eine „sogenannte“ Talk-Show mit einer nach meiner Überzeugung „sogenannten“ Journalistin.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2019
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Wir brauchen einen gesellschaftlichen Wandel!

Von Christiane Lambrecht

Die Preisverleihung der SPD Ost-allgäu am 8. März 2019 mit dem „Rote Rose Preis“ an die beiden Abtreibungsärzte Kristina Hänel und Friedrich Stapf für ihre „herausragende Leistung bei der Abtreibung ungewollter Kinder“ ist kein Festakt, sondern die Beerdigung von Menschlichkeit, Gleichberechtigung und Gleichstellung. Die beiden Ärzte, so die Einladung, hätten sich „für besondere Verdienste um die Gleichstellung“ eingesetzt. Den lokalen Preis erhält Pro Familia Kempten.

Interessant dürfte sein, ob in der Laudatio auch gesagt wird, wie viele Abtreibungen die beiden Mediziner bisher vorgenommen haben. Friedrich Stapf in München führt ausschließlich Abtreibungen durch, bis zu 20 Mal pro Werktag. Damit hat er nach eigenen Angaben mehrere Millionen Euro umgesetzt. Stapf hat seine Praxisräume in München vor einigen Jahren von dem CSU-Bezirksschatzmeister Hans Hammer gemietet, der dafür kritisiert wurde und letztes Jahr das Ärztehaus samt Mieter verkauft hat.

Kristina Hänel ist die Allgemeinmedizinerin, die wegen bewusster werblicher Informationen auf ihrer Website für Abtreibungen rechtskräftig verurteilt wurde. Ihr Ziel war es, dass der § 219a StGB, der Werbung für Abtreibungen verbietet, fällt. Sie wird geehrt, weil sie ein Schutzgesetz für Schwangere in einer Notlage gebrochen hat.

Die vorgeburtliche Tötung eines Menschen ist das Gegenteil von Gleichstellung, denn Abtreibung ist die schlimmste Form von Diskriminierung: Danach ist der abgetriebene, unschuldige Mensch, das Kind vor der Geburt, tot. Und wo bleibt der Aufschrei der Gleichstellungsfeierlobby darüber, dass 9 von 10 Kindern mit der Diagnose Down Syndrom abgetrieben werden? Die beiden Ärzte bekommen ihr Honorar für eine äußerst zweifelhafte „Hilfe“. Ob sich die Frauen ihr Leben lang quälend fragen, wer dieses nie geborene Kind war, ob es nicht doch bessere, wirkliche Lösungen für ihre Probleme gegeben hätte, ob die Frauen selbst unter Folgen der Abtreibung leiden – wen interessiert das hier beim traurigen „Festakt“ im Allgäu?

Abtreibungsärzte zu feiern und mit einem Preis auszuzeichnen ist eine erschreckende Botschaft und nur die Spitze des Eisbergs einer unheilvollen Öffentlichkeitsarbeit der Abtreibungslobbyisten auf dem Weg, Abtreibung als generell straffrei zu ermöglichen. Unter dem Deckmantel der Selbstbestimmung der Frau und altruistischer Hilfe wollen sie kaltblütig das gesetzlich verankerte Lebensrecht der ungeborenen Kinder aushöhlen.

Wir brauchen stattdessen ein Umdenken, eine neue Willkommenskultur für Schwangere und ebenfalls ein Stopp der vorgeburtlichen Selektion behinderter Kinder.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2019
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