Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Vom 6. bis 27. Oktober 2019 fand in Rom die Amazonas-Synode statt. Das genaue Thema lautete: „Amazonien – neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie“. Am Ende wurde ein Abschlussdokument verabschiedet, das bislang leider nur in spanischer Sprache vorliegt. Doch ist es für den Papst lediglich eine Empfehlung. Darauf aufbauend wird er ein Nachsynodales Schreiben ausarbeiten, das dann verbindlichen Charakter hat. Papst Franziskus kündigte an, dieses Schreiben noch im Lauf dieses Jahres zu veröffentlichen.

Die sog. „Bischofssynode“ ist seit 1965 zu einem wichtigen Instrument der Weltkirche geworden. Sie untersteht unmittelbar dem Papst und berät ihn in wichtigen Fragen. Neben den Ordentlichen und Außerordentlichen Generalversammlungen der Bischofssynode gibt es sog. „Sonderversammlungen“, die lokal begrenzt sind und jeweils ein bestimmtes Territorium der Weltkirche betreffen. Bisher wurden elf solche Sondersynoden durchgeführt, und zwar für Holland, zwei für Europa, zwei für Afrika, für den Libanon, für Amerika, für Asien, für Ozeanien, für den Mittleren Osten und nun für die Amazonasregion.

Die Sonderversammlungen hatten nie großes Aufsehen erregt. Spektakuläre Entscheidungen wurden nicht erwartet. Doch die Amazonas-Synode verursachte schon im Vorfeld heftigen Wirbel. Entsprechend selektiv fielen die Wahrnehmung und die Berichterstattung in den weltlichen wie kirchlichen Medien aus. Man war nur noch auf Themen wie Abschaffung des Zölibats oder Diakonat der Frau fixiert. Dazu kamen die unsäglichen Diskussionen über Figuren, die einem heidnischen Götzenkult zugeordnet wurden. Es ist außerordentlich bedauerlich, dass dadurch die großen Anliegen der Synode vollkommen in den Hintergrund gedrängt und kaum vermittelt wurden.

Dabei wäre die Amazonas-Synode ein kirchengeschichtliches Ereignis von globalem Ausmaß, an dem die Weltkirche mit Geist und Herz Anteil nehmen sollte.

Wir möchten nur zwei Punkte nennen: Mehr als alle anderen Kontinente ist Südamerika in Gefahr, für die katholische Kirche buchstäblich verloren zu gehen. Papst Franziskus ist sich bewusst, dass wir uns nichts mehr vormachen dürfen und die Zeit zum Handeln gekommen ist. Die größte Zahl der Christen, die in den südamerikanischen Ländern ihren Glauben aktiv leben, gehört bereits evangelischen Freikirchen an. Der Papst bringt immer wieder seine Hochachtung für die freikirchliche Mission zum Ausdruck, hebt aber mit allem Nachdruck hervor, dass die katholische Kirche den Menschen unersetzbare Gnadenschätze anzubieten hat und die unveräußerliche Verantwortung für die sichtbare Einheit aller Christen trägt.

Der zweite Punkt betrifft die Ökologie. Es ist ein historisches Zusammentreffen, dass sich die katholische Kirche mit Amazonien beschäftigt, während sich die Welt im Klima-Aktivismus überschlägt. Papst Franziskus hat in seiner prophetischen Umwelt-Enzyklika „Laudato si“ wunderbar entfaltet, warum die Bewahrung der Schöpfung zur ureigenen Aufgabe eines Christen gehört. Die Stunde der Kirche hat geschlagen, um der drohenden Diktatur einer falschen Natur-Ideologie ein ernsthaftes Zeugnis entgegenzustellen.

Liebe Leser, wir wünschen Ihnen von Herzen eine gnadenreiche Vorbereitungszeit auf Weihnachten. Gott, der aus Maria Fleisch angenommen hat und in seine Schöpfung eingetreten ist, möge seinen himmlischen Segen über Sie ausgießen. Und denken Sie bitte auch an das „Bethlehem“ unserer Zeitschrift! Eine großherzige Weihnachtsspende kann dazu beitragen, dass wir unser Apostolat fortsetzen können. Ein aufrichtiges Vergelt’s Gott!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/November 2019
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Aufruf Benedikts XVI. zum Schutz der natürlichen Umwelt

Eine Frage der Wahrheit und der Liebe

Seit dem hl. Paul VI. haben alle Päpste zum Schutz der natürlichen Umwelt aufgerufen. Die Kirche ist zu einer prophetischen Stimme geworden, welche die Welt ständig wachzurütteln versucht hat. In ihrer Verantwortung als Hüterin des Schatzes der göttlichen Offenbarung stellte sie die Aufgabe der Menschheit heraus, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um unseren Planeten als Lebensraum auch für die zukünftigen Generationen zu erhalten. Als unmittelbare Vorbereitung auf die Umwelt-Enzyklika Laudato si‘ (2015) von Papst Franziskus können die Ausführungen von Papst Benedikt XVI. zum Schutz der natürlichen Umwelt in seiner Sozial-Enzyklika Caritas in veritate – die Liebe in der Wahrheit „über die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in der Liebe und in der Wahrheit“ vom 29. Juni 2009 betrachtet werden. Im vierten Kapitel, das die Überschrift „Entwicklung der Völker, Rechte und Pflichten, Umwelt“ trägt, fasst Benedikt prägnant und unüberhörbar die Sendung der Kirche hinsichtlich des Umweltschutzes zusammen. Gegen alle Vereinseitigungen steckt er den „Weltauftrag“ der Christen auf dem Gebiet der Bewahrung der Schöpfung genau ab. Auch der Umweltschutz bleibt an die geistliche Sendung der Kirche gebunden, geht aus dieser aber auch als Verpflichtung hervor. Nachfolgend sind die Paragraphen 48 bis 51 wiedergegeben.

Von Papst Benedikt XVI.

Das Thema Entwicklung ist heute stark an die Verpflichtungen gebunden, die aus der Beziehung des Menschen zur natürlichen Umwelt entstehen. Diese Beziehung wurde allen von Gott geschenkt. Der Umgang mit ihr stellt für uns eine Verantwortung gegenüber den Armen, den künftigen Generationen und der ganzen Menschheit dar.

Die Natur – das wunderbare Werk des Schöpfers

Wenn die Natur und allen voran der Mensch als Frucht des Zufalls oder des Evolutionsdeterminismus angesehen werden, wird das Verantwortungsbewusstsein in den Gewissen schwächer. Der Gläubige erkennt hingegen in der Natur das wunderbare Werk des schöpferischen Eingreifens Gottes, das der Mensch verantwortlich gebrauchen darf, um in Achtung vor der inneren Ausgewogenheit der Schöpfung selbst seine berechtigten materiellen und geistigen Bedürfnisse zu befriedigen. Wenn diese Auffassung schwindet, wird am Ende der Mensch die Natur entweder als ein unantastbares Tabu betrachten oder, im Gegenteil, sie ausbeuten. Beide Haltungen entsprechen nicht der christlichen Anschauung der Natur, die Frucht der Schöpfung Gottes ist.

Die Natur ist Ausdruck eines Plans der Liebe und der Wahrheit. Sie geht uns voraus und wird uns von Gott als Lebensraum geschenkt. Sie spricht zu uns vom Schöpfer (vgl. Röm 1,20) und von seiner Liebe zu den Menschen. Sie ist dazu bestimmt, am Ende der Zeiten in Christus „vereint zu werden“ (vgl. Eph 1,9-10; Kol 1,19-20). Auch sie ist also eine „Berufung“.[1] Die Natur steht uns nicht als „ein Haufen zufällig verstreuter Abfälle"[2] zur Verfügung, sondern als eine Gabe des Schöpfers, der die ihr innewohnenden Ordnungen gezeichnet hat, damit der Mensch daraus die gebotenen Aufschlüsse bezieht, „damit er [sie] bebaue und hüte“ (Gen 2,15).

Verzerrte Auffassungen von der Natur

Aber es muss auch betont werden, dass es der wahren Entwicklung widerspricht, die Natur für wichtiger zu halten als die menschliche Person. Diese Einstellung verleitet zu neu-heidnischen Haltungen oder einem neuen Pantheismus: Aus der in einem rein naturalistischen Sinn verstandenen Natur allein kann man nicht das Heil für den Menschen ableiten. Allerdings muss man auch die gegenteilige Position zurückweisen, die eine vollständige Technisierung der Natur anstrebt, weil das natürliche Umfeld nicht nur Materie ist, über die wir nach unserem Belieben verfügen können, sondern wunderbares Werk des Schöpfers, das eine „Grammatik“ in sich trägt, die Zwecke und Kriterien für eine weise, nicht funktionelle und willkürliche Nutzung angibt.

Der normative Charakter der Natur des Menschen

Viele Schäden für die Entwicklung rühren heute aus diesen verzerrten Auffassungen her. Die Natur vollständig auf eine Menge einfacher Gegebenheiten zu verkürzen, erweist sich schließlich als Quelle der Gewalt gegenüber der Umwelt und motiviert zu respektlosen Handlungen gegenüber der Natur des Menschen. Da diese nicht nur aus Materie, sondern auch aus Geist besteht und als solche reich an Bedeutungen und zu erreichenden transzendenten Zielen ist, hat sie auch einen normativen Charakter für die Kultur. Der Mensch deutet und bildet die natürliche Umwelt durch die Kultur nach, die ihrerseits durch die verantwortliche, auf die Gebote des Sittengesetzes achtende Freiheit bestimmt wird. Die Projekte für eine ganzheitliche menschliche Entwicklung dürfen daher die nachfolgenden Generationen nicht ignorieren, sondern müssen zur Solidarität und Gerechtigkeit zwischen den Generationen bereit sein, indem sie den vielfältigen Bereichen – dem ökologischen, juristischen, ökonomischen, politischen und kulturellen – Rechnung tragen.[3]

Ausbeutung der nicht erneuerbaren Ressourcen in armen Ländern

Die mit der Sorge und dem Schutz für die Umwelt zusammenhängenden Fragen müssen heute der Energieproblematik entsprechende Beachtung schenken. Das Aufkaufen der nicht erneuerbaren Energiequellen durch einige Staaten, einflussreiche Gruppen und Unternehmen stellt nämlich ein schwerwiegendes Hindernis für die Entwicklung der armen Länder dar. Diese verfügen weder über die ökonomischen Mittel, um sich Zugang zu den bestehenden nicht erneuerbaren Energiequellen zu verschaffen, noch können sie die Suche nach neuen und alternativen Quellen finanzieren. Das Aufkaufen der natürlichen Ressourcen, die sich in vielen Fällen gerade in den armen Ländern befinden, führt zu Ausbeutung und häufigen Konflikten zwischen den Nationen und auch innerhalb der Länder selbst. Solche Konflikte werden häufig gerade auf dem Boden dieser Länder ausgetragen, mit einer bedrückenden Schlussbilanz von Tod, Zerstörung und weiterem Niedergang.

Die internationale Gemeinschaft hat die unumgängliche Aufgabe, die institutionellen Wege zu finden, um der Ausbeutung der nicht erneuerbaren Ressourcen Einhalt zu gebieten, und das auch unter Einbeziehung der armen Länder, um mit ihnen gemeinsam die Zukunft zu planen.

Dringende moralische Notwendigkeit einer erneuerten Solidarität

Auch an dieser Front besteht die dringende moralische Notwendigkeit einer erneuerten Solidarität, besonders in den Beziehungen zwischen den Entwicklungsländern und den hochindustrialisierten Ländern.[4] Die technologisch fortschrittlichen Gesellschaften können und müssen ihren Energieverbrauch verringern, weil die Produktion in der verarbeitenden Industrie sich weiter entwickelt, aber auch weil sich unter ihren Bürgern eine größere Sensibilität für die Umwelt verbreitet.

Man muss außerdem hinzufügen, dass heute eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Energie realisierbar und es gleichzeitig möglich ist, die Suche nach alternativen Energien voranzutreiben. Es ist jedoch auch eine weltweite Neuverteilung der Energiereserven notwendig, so dass auch die Länder, die über keine eigenen Quellen verfügen, dort Zugang erhalten können. Ihr Schicksal darf nicht den Händen des zuerst Angekommenen oder der Logik des Stärkeren überlassen werden. Es handelt sich um beachtliche Probleme, die, wenn sie in entsprechender Weise angegangen werden sollen, vonseiten aller die verantwortungsvolle Bewusstwerdung der Folgen verlangen, die über die neuen Generationen hereinbrechen werden, vor allem über die sehr vielen Jugendlichen in den armen Völkern, die „ihren Anteil am Aufbau einer besseren Welt fordern“.[5]

Verantwortungsvolle Nutzung der Natur für die ganze Menschheit

Diese Verantwortung ist global, weil sie nicht nur die Energie, sondern die ganze Schöpfung betrifft, die wir den neuen Generationen nicht ausgebeutet hinterlassen dürfen. Es ist dem Menschen gestattet, eine verantwortungsvolle Steuerung über die Natur auszuüben, um sie zu schützen, zu nutzen und auch in neuen Formen und mit fortschrittlichen Technologien zu kultivieren, so dass sie die Bevölkerung, die sie bewohnt, würdig aufnehmen und ernähren kann. Es gibt Platz für alle auf dieser unserer Erde: Auf ihr soll die ganze Menschheitsfamilie die notwendigen Ressourcen finden, um mit Hilfe der Natur selbst, dem Geschenk Gottes an seine Kinder, und mit dem Einsatz ihrer Arbeit und ihrer Erfindungsgabe würdig zu leben.

Wir müssen jedoch auf die sehr ernste Verpflichtung hinweisen, die Erde den neuen Generationen in einem Zustand zu übergeben, so dass auch sie würdig auf ihr leben und sie weiter kultivieren können. Das schließt ein, „es sich zur Pflicht zu machen, nach verantwortungsbewusster Abwägung gemeinsam zu entscheiden, welcher Weg einzuschlagen ist, mit dem Ziel, jenen Bund zwischen Mensch und Umwelt zu stärken, der ein Spiegel der Schöpferliebe Gottes sein soll – des Gottes, in dem wir unseren Ursprung haben und zu dem wir unterwegs sind“.[6]

Gemeinsames Handeln zum Schutz der Umwelt, der Ressourcen und des Klimas

Man kann nur wünschen, dass die internationale Gemeinschaft und die einzelnen Regierungen es wirksam verhindern können, dass die Umwelt zu ihrem Schaden ausgenutzt wird. Es ist ebenso erforderlich, dass die zuständigen Autoritäten alle nötigen Anstrengungen unternehmen, damit die wirtschaftlichen und sozialen Kosten für die Benutzung der allgemeinen Umweltressourcen offen dargelegt sowie von den Nutznießern voll getragen werden und nicht von anderen Völkern oder zukünftigen Generationen: Der Schutz der Umwelt, der Ressourcen und des Klimas erfordert, dass alle auf internationaler Ebene Verantwortlichen gemeinsam handeln und bereit sind, in gutem Glauben, dem Gesetz entsprechend und in Solidarität mit den schwächsten Regionen unseres Planeten zu arbeiten.[7] Eine der größten Aufgaben der Ökonomie ist gerade der äußerst effiziente Gebrauch der Ressourcen, nicht die Verschwendung, wobei man sich bewusst sein muss, dass der Begriff der Effizienz nicht wertneutral ist.

Notweniger Gesinnungswandel zur Überwindung von Hedonismus und Konsumismus

Die Verhaltensmuster, nach denen der Mensch die Umwelt behandelt, beeinflussen die Verhaltensmuster, nach denen er sich selbst behandelt, und umgekehrt. Das fordert die heutige Gesellschaft dazu heraus, ernsthaft ihren Lebensstil zu überprüfen, der in vielen Teilen der Welt zum Hedonismus und Konsumismus neigt und gegenüber den daraus entstehenden Schäden gleichgültig bleibt.[8] Notwendig ist ein tatsächlicher Gesinnungswandel, der uns dazu anhält, neue Lebensweisen anzunehmen, „in denen die Suche nach dem Wahren, Schönen und Guten und die Gemeinschaft mit den anderen Menschen für ein gemeinsames Wachstum die Elemente sein sollen, die die Entscheidungen für Konsum, Sparen und Investitionen bestimmen“.[9] Jede Verletzung der bürgerlichen Solidarität und Freundschaft ruft Umweltschäden hervor, so wie die Umweltschäden ihrerseits Unzufriedenheit in den sozialen Beziehungen auslösen.

Wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung schützt die Natur

Die Natur ist besonders in unserer Zeit so sehr in die Dynamik der sozialen und kulturellen Abläufe integriert, dass sie fast keine unabhängige Variable mehr darstellt. Die fortschreitende Wüstenbildung und die Verelendung mancher Agrargebiete sind auch Ergebnis der Verarmung der dort wohnenden Bevölkerungen und der Rückständigkeit. Durch die Förderung der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung jener Bevölkerungen schützt man auch die Natur. Wie viele natürliche Ressourcen werden zudem durch Kriege zerstört! Der Friede der Völker und zwischen den Völkern würde auch einen größeren Schutz der Natur erlauben. Das Aufkaufen der Ressourcen, besonders des Wassers, kann schwere Konflikte unter der betroffenen Bevölkerung hervorrufen. Ein friedliches Einvernehmen über die Nutzung der Ressourcen kann die Natur und zugleich das Wohlergehen der betroffenen Gesellschaften schützen.

Die Verantwortung der Kirche für die Schöpfung

Die Kirche hat eine Verantwortung für die Schöpfung und muss diese Verantwortung auch öffentlich geltend machen. Und wenn sie das tut, muss sie nicht nur die Erde, das Wasser und die Luft als Gaben der Schöpfung verteidigen, die allen gehören. Sie muss vor allem den Menschen gegen seine Selbstzerstörung schützen. Es muss so etwas wie eine richtig verstandene Ökologie des Menschen geben. Die Beschädigung der Natur hängt nämlich eng mit der Kultur zusammen, die das menschliche Zusammenleben gestaltet. Wenn in der Gesellschaft die „Humanökologie"[10] respektiert wird, profitiert davon auch die Umweltökologie. Wie die menschlichen Tugenden miteinander verbunden sind, so dass die Schwächung einer Tugend auch die anderen gefährdet, so stützt sich das ökologische System auf die Einhaltung eines Planes, der sowohl das gesunde Zusammenleben in der Gesellschaft wie das gute Verhältnis zur Natur betrifft.

Das Buch der Natur ist eines und unteilbar: Humanökologie und Umweltökologie

Um die Natur zu schützen, genügt es nicht, mit anspornenden oder einschränkenden Maßnahmen einzugreifen, und auch eine entsprechende Anleitung reicht nicht aus. Das sind wichtige Hilfsmittel, aber das entscheidende Problem ist das moralische Verhalten der Gesellschaft. Wenn das Recht auf Leben und auf einen natürlichen Tod nicht respektiert wird, wenn Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt des Menschen auf künstlichem Weg erfolgen, wenn Embryonen für die Forschung geopfert werden, verschwindet schließlich der Begriff Humanökologie und mit ihm der Begriff der Umweltökologie aus dem allgemeinen Bewusstsein. Es ist ein Widerspruch, von den neuen Generationen die Achtung der natürlichen Umwelt zu verlangen, wenn Erziehung und Gesetze ihnen nicht helfen, sich selbst zu achten. Das Buch der Natur ist eines und unteilbar sowohl bezüglich der Umwelt wie des Lebens und der Bereiche Sexualität, Ehe, Familie, soziale Beziehungen, kurz der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen. Unsere Pflichten gegenüber der Umwelt verbinden sich mit den Pflichten, die wir gegenüber dem Menschen an sich und in Beziehung zu den anderen haben. Man kann nicht die einen Pflichten fordern und die anderen unterdrücken. Das ist ein schwerwiegender Widerspruch der heutigen Mentalität und Praxis, der den Menschen demütigt, die Umwelt erschüttert und die Gesellschaft beschädigt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Johannes Paul II.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1990, 6: AAS 82 (1990), 150.
[2] Heraklit von Ephesus (ca. 535-475 v. Chr.), Fragment 22B124, in: H. Diehls/W. Kranz: Die Fragmente der Vorsokratiker, Weidmann, Berlin 19526.
[3] Vgl. Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden: Kompendium der Soziallehre der Kirche, Nrn. 451-487.
[4] Vgl. Johannes Paul II.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1990, 10: AAS 82 (1990), 152-153.
[5] Paul VI.: Enzyklika Populorum progressio, 65: a.a.O., 289.
[6] Benedikt XVI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 2008, 7: AAS 100 (2008), 41.
[7] Vgl. Benedikt XVI.: Ansprache an die Mitglieder der UN-Vollversammlung (18. April 2008): Insegnamenti IV, 1 (2008), 618-626.
[8] Vgl. Johannes Paul II.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1990, 13: a.a.O., 154-155.
[9] Ders.: Centesimus annus, 36: a.a.O., 838-840.
[10] Ebd.: 38: a.a.O., 840-841; Benedikt XVI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 2007, 8: a.a.O., 779.

 

 

Papst Franziskus in der Umwelt-Enzyklika „Laudato si“

Spirituelle Impulse zum Thema Schöpfung

In der Enzyklika „Laudato si‘, mi‘ Signore – Gelobt seist du, mein Herr“ finden sich nicht nur Appelle an Politik und Wirtschaft, an Kirche und Welt, sondern auch wunderbare spirituelle Impulse für den gläubigen Blick auf die Natur. Einige Perlen.

Von Papst Franziskus

Heute sagt die Kirche nicht einfach, dass die anderen Geschöpfe dem Wohl des Menschen völlig untergeordnet sind, als besäßen sie in sich selbst keinen Wert und wir könnten willkürlich über sie verfügen. Darum lehren die Bischöfe Deutschlands: Bei den anderen Geschöpfen „könnte man von einem Vorrang des Seins vor dem Nützlichsein sprechen."[1] Der Katechismus erörtert das, was ein fehlgeleiteter Anthropozentrismus wäre, auf sehr direkte und nachdrückliche Weise: „Jedes Geschöpf besitzt seine eigene Güte und Vollkommenheit. […] Die unterschiedlichen Geschöpfe spiegeln in ihrem gottgewollten Eigensein, jedes auf seine Art, einen Strahl der unendlichen Weisheit und Güte Gottes wider. Deswegen muss der Mensch die gute Natur eines jeden Geschöpfes achten und sich hüten, die Dinge gegen ihre Ordnung zu gebrauchen"[2] (Nr. 69).

Eine ganzheitliche Ökologie ist aus einfachen alltäglichen Gesten gemacht

Das Beispiel der hl. Therese von Lisieux lädt uns ein, den „kleinen Weg“ der Liebe zu beschreiten, keine Gelegenheit für ein freundliches Wort, für ein Lächeln, für irgendeine kleine Geste zu verpassen, die Frieden und Freundschaft verbreitet. Eine ganzheitliche Ökologie ist auch aus einfachen alltäglichen Gesten gemacht, die die Logik der Gewalt, der Ausnutzung, des Egoismus durchbrechen. Indessen ist die Welt des wütenden Konsums zugleich die Welt, in der das Leben in all seinen Formen schlecht behandelt wird.

Die Liebe voller kleiner Gesten gegenseitiger Achtsamkeit betrifft auch das bürgerliche und das politische Leben und zeigt sich bei allen Gelegenheiten, die zum Aufbau einer besseren Welt beitragen. Die Liebe zur Gesellschaft und das Engagement für das Gemeinwohl sind ein hervorragender Ausdruck der Nächstenliebe, die nicht nur die Beziehungen zwischen den einzelnen Menschen angeht, sondern auch die „Makro-Beziehungen – in gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen“.[3] Darum schlug die Kirche der Welt das Ideal der „Kultur der Liebe"[4] vor. Die Liebe im sozialen Bereich ist der Schlüssel zu einer authentischen Entwicklung: „Um die Gesellschaft menschlicher, der menschlichen Person würdiger zu machen, muss die Liebe im sozialen Leben – auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene – neu bewertet und zur beständigen obersten Norm des Handelns erhoben werden."[5] In diesem Rahmen bewegt uns die Liebe im gesellschaftlichen Bereich, neben der Bedeutung der kleinen täglichen Gesten an große Strategien zu denken, welche die Umweltzerstörung wirksam aufhalten und eine Kultur der Achtsamkeit fördern, die die gesamte Gesellschaft erfüllt. Wenn jemand den Ruf Gottes erkennt, gemeinsam mit den anderen in diese gesellschaftlichen Dynamiken einzugreifen, soll er sich daran erinnern, dass dies ein Teil seiner Spiritualität ist, dass es Ausübung der Nächstenliebe ist und dass er auf diese Weise reift und sich heiligt (Nr. 230f.).

Die Eucharistie umfasst und durchdringt die gesamte Schöpfung

In der Eucharistie findet die Schöpfung ihre größte Erhöhung. Die Gnade, die dazu neigt, sich spürbar zu zeigen, erreicht einen erstaunlichen Ausdruck, wenn der menschgewordene Gott selbst so weit geht, sich von seinem Geschöpf verzehren zu lassen. Auf dem Höhepunkt des Geheimnisses der Inkarnation wollte der Herr durch ein Stückchen Materie in unser Innerstes gelangen. Nicht von oben herab, sondern von innen her, damit wir ihm in unserer eigenen Welt begegnen könnten. In der Eucharistie ist die Fülle bereits verwirklicht, und sie ist das Lebenszentrum des Universums, der überquellende Ausgangspunkt von Liebe und unerschöpflichem Leben. Vereint mit dem in der Eucharistie gegenwärtigen inkarnierten Sohn sagt der gesamte Kosmos Gott Dank. Tatsächlich ist die Eucharistie von sich aus ein Akt der kosmischen Liebe: „Ja, kosmisch! Denn auch dann, wenn man die Eucharistie auf dem kleinen Altar einer Dorfkirche feiert, feiert man sie immer in einem gewissen Sinn auf dem Altar der Welt."[6] Die Eucharistie vereint Himmel und Erde, umfasst und durchdringt die gesamte Schöpfung. Die Welt, die aus den Händen Gottes hervorging, kehrt zu ihm zurück in seliger und vollkommener Anbetung: Im eucharistischen Brot „ist die Schöpfung auf die Vergöttlichung, auf die heilige Hochzeit, auf die Vereinigung mit dem Schöpfer selbst ausgerichtet“ [167].[7] Darum ist die Eucharistie auch eine Quelle des Lichts und der Motivation für unsere Sorgen um die Umwelt und richtet uns darauf aus, Hüter der gesamten Schöpfung zu sein (Nr. 236).

Die Königin der ganzen Schöpfung

Maria, die Mutter, die für Jesus sorgte, sorgt jetzt mit mütterlicher Liebe und mit Schmerz für diese verletzte Welt. Wie sie mit durchbohrtem Herzen den Tod Jesu beweinte, so fühlt sie jetzt Mitleid mit den Armen an ihren Kreuzen und mit den durch menschliche Macht zugrunde gerichteten Geschöpfen. Sie lebt mit Jesus in völliger Verklärung, und alle Geschöpfe besingen ihre Schönheit. Sie ist die Frau „mit der Sonne bekleidet; der Mond […] unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt“ (Offb 12,1). In den Himmel erhoben, ist sie Mutter und Königin der ganzen Schöpfung. In ihrem verherrlichten Leib, vereint mit dem auferstandenen Christus, hat ein Teil der Schöpfung die ganze Fülle ihrer Schönheit erreicht. Sie schaut in ihrem Herzen nicht nur auf das ganze Leben Jesu, das sie dort sorgsam bewahrte (vgl. Lk 2,19. 51), sondern versteht jetzt auch den Sinn von allem. Darum können wir sie bitten, dass sie uns hilft, diese Welt mit weiseren Augen zu betrachten (Nr. 241).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2019
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[1] Deutsche Bischofskonferenz: Zukunft der Schöpfung – Zukunft der Menschheit. Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zu Fragen der Umwelt und der Energieversorgung (1980), II, 2.
[2] Katechismus der Katholischen Kirche, 339.
[3] Benedikt XVI.: Enzyklika Caritas in veritate (29. Juni 2009), 2: AAS 101 (2009), 642.
[4] Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1977: in: L’Osservatore Romano (dt.) Jg. 6, Nr. 52/53, 4; AAS 68 (1976) 709.
[5] Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden: Kompendium der Soziallehre der Kirche, Freiburg 2006, 582.
[6] Johannes Paul II.: Enzyklika Ecclesia de Eucharistia (17. April 2003), 8: AAS 95 (2003), 438.
[7] Benedikt XVI.: Homilie in der Eucharistiefeier am Hochfest des Leibes und Blutes Christi (15. Juni 2006), in: L’Osservatore Romano (dt.) Jg. 36, Nr. 25 (23. Juni 2006), 7; AAS 98 (2006), 513. 

Afrika – ein ausgeplünderter Erdteil mit verschmutzter Umwelt

Die tieferen Ursachen der Umweltzerstörung

Der aus Afrika stammende Robert Kardinal Sarah nimmt in seinem neuen Buch „Herr, bleibe bei uns! Denn es will Abend werden"[1] kein Blatt vor den Mund. Schonungslos deckt er die tieferen Ursachen für die zerstörerische Ausbeutung unseres Planeten auf. Einerseits betont er: „Ich bedauere, dass viele Bischöfe und Priester ihre Hauptaufgabe vernachlässigen, nämlich ihre eigene Heiligung und die Verkündigung des Evangeliums Jesu. Stattdessen engagieren sie sich für sozialpolitische Fragen wie Umwelt, Migration oder Obdachlose. Sich an diesen Diskussionen zu beteiligen, mag löblich sein. Wenn sie dabei jedoch die Evangelisierung und ihre eigene Heiligung vergessen, ist ihr Tun umsonst“ (S. 34). Andererseits aber ruft er die Kirche als ganze, also alle Christen, dazu auf, sich die Sozialenzykliken zum Thema Umwelt zu Herzen zu nehmen und sich entschieden für Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen.

Von Robert Kardinal Sarah

Leider kennen die Afrikaner die Probleme der Umweltzerstörung nur zu gut. Die natürlichen Ressourcen wie etwa die Mineralien werden aus finanziellen Interessen oft schamlos ausgeplündert. Die reichen Länder interessieren sich kaum für die menschlichen und sozialen Konsequenzen bei der wehrlosen Bevölkerung.

Prophetische Enzyklika von Papst Franziskus

Papst Franziskus hat in seiner Enzyklika Laudato si‘ diese Fragen grundlegend behandelt. Mit prophetischen Worten ruft er uns in seiner Einleitung auf: „Die dringende Herausforderung, unser gemeinsames Haus zu schützen, schließt die Sorge ein, die gesamte Menschheitsfamilie in der Suche nach einer nachhaltigen und ganzheitlichen Entwicklung zu vereinen, denn wir wissen, dass sich die Dinge ändern können.

Der Schöpfer verlässt uns nicht, niemals macht er in seinem Plan der Liebe einen Rückzieher, noch reut es ihn, uns erschaffen zu haben. Die Menschheit besitzt noch die Fähigkeit zusammenzuarbeiten, um unser gemeinsames Haus aufzubauen. Ich möchte allen, die in den verschiedensten Bereichen menschlichen Handelns daran arbeiten, den Schutz des Hauses, das wir miteinander teilen, zu gewährleisten, meine Anerkennung, meine Ermutigung und meinen Dank aussprechen. Besonderen Dank verdienen die, welche mit Nachdruck darum ringen, die dramatischen Folgen der Umweltzerstörung im Leben der Ärmsten der Welt zu lösen. Die jungen Menschen verlangen von uns eine Veränderung. Sie fragen sich, wie es möglich ist, den Aufbau einer besseren Zukunft anzustreben, ohne an die Umweltkrise und an die Leiden der Ausgeschlossenen zu denken.

Ich lade dringlich zu einem neuen Dialog ein über die Art und Weise, wie wir die Zukunft unseres Planeten gestalten. Wir brauchen ein Gespräch, das uns alle zusammenführt, denn die Herausforderung der Umweltsituation, die wir erleben, und ihre menschlichen Wurzeln interessieren und betreffen uns alle.

Die weltweite ökologische Bewegung hat bereits einen langen und ereignisreichen Weg zurückgelegt und zahlreiche Bürgerverbände hervorgebracht, die der Sensibilisierung dienen. Leider pflegen viele Anstrengungen, konkrete Lösungen für die Umweltkrise zu suchen, vergeblich zu sein, nicht allein wegen der Ablehnung der Machthaber, sondern auch wegen der Interessenlosigkeit der anderen. Die Haltungen, welche – selbst unter den Gläubigen – die Lösungswege blockieren, reichen von der Leugnung des Problems bis zur Gleichgültigkeit, zur bequemen Resignation oder zum blinden Vertrauen auf die technischen Lösungen.

Wir brauchen eine neue universale Solidarität. Wie die Bischöfe Südafrikas sagten, ,bedarf es der Talente und des Engagements aller, um den durch den menschlichen Missbrauch der Schöpfung Gottes angerichteten Schaden wieder gutzumachen‘. Alle können wir als Werkzeuge Gottes an der Bewahrung der Schöpfung mitarbeiten, ein jeder von seiner Kultur, seiner Erfahrung, seinen Initiativen und seinen Fähigkeiten aus“ (Laudato si‘, Nr. 13-14).

Den Weg dazu hatte bereits Benedikt XVI. in seiner Enzyklika Caritas in veritate geebnet (vgl. Nr. 48 und 51).

Wahrer Respekt der Umwelt gegenüber entspringt einer kontemplativen Haltung. Er lässt sich nicht erzwingen, sondern verlangt eine gründliche Umkehr des Herzens, eine liebevolle Verehrung des Schöpfers. (Herr, bleibe bei uns!, S. 327-331).

Schamlose Politik und Wirtschaftsinteressen des Westens

Heute werden die moralischen Grundsätze und das Wohl der Völker durch den Zynismus vieler Regierungen und Finanz-unternehmen insgeheim niedergemacht. Ihre treuherzigen Mithelfer in dieser verhängnisvollen Kampagne sind die Medien.

Kriege und Wirtschaftskrisen sind oft Folgen einer schamlosen Politik, deren wahre Motive verschwiegen werden. Ich möchte nur ein Beispiel nennen: Woher stammen die Waffen, die von Kindersoldaten benutzt werden? Die armen Länder haben gar nicht die Mittel, solche Vernichtungswerkzeuge herzustellen. Ich verurteile diese Heuchelei. Die Herrscherhaltung und die Wirtschaftsinteressen des Westens haben die Länder des Nahen Ostens, Libyen, Syrien und insbesondere Afghanistan zerstört, ja sogar ihre innere Struktur aufgelöst. Tausende von Kindern kamen aufgrund schuldhafter und unvorstellbarer Gleichgültigkeit elendiglich um. Wenn hingegen ein italienischer oder französischer Soldat im Einsatz fällt, erhält er ein Staatsbegräbnis. Die Scheinheiligkeit einer europäischen Politik, die ihre Moral den Umständen entsprechend anpasst, ist ein Skandal.

Die Gier nach Bodenschätzen kennt keinerlei Rücksicht

Ich erinnere mich an die verzweifelten Aufrufe Johannes Pauls II., mit welchen er den Ersten Irak-Krieg verhindern wollte. Er hatte erkannt, dass dieser Überfall aus rein kommerziellen Interessen durchgeführt wurde, ohne dass diese Gründe von den beteiligten Staaten transparent gemacht wurden, die stattdessen ihren Feldzug mit heuchlerisch humanitären Formeln tarnten. Der Kampf ums Öl nahm keinerlei Rücksicht auf die Rechte der irakischen Bevölkerung. Der Rückblick bestätigt, dass der polnische Papst Recht gehabt hatte. Wir müssen dieses machiavellistische Treiben anprangern, mit dem der dekadente Westen seine anthropologische und moralische Geisteshaltung der ganzen Welt überzustülpen versucht.

Auch in Afrika mussten wir erfahren, wie die vermeintlichen Interessen der Armen als Deckmantel der Kriegsführung benutzt wurden. Die westliche Ideologie führt dazu, dass Massaker gänzlich ungestraft ausgeführt werden können.

Der große Reichtum meines Heimatkontinents sind die Familien. Doch die Regierungen der nördlichen Hemisphäre sind entschlossen, uns diesen besonderen Vorteil zu nehmen. Oft kommt mir der niederträchtige Satz des Präsidenten Emmanuel Macron in den Sinn, den er im Juli 2017 auf dem G20-Gipfel in Hamburg sagte: „In einem Land, wo Frauen immer noch sieben bis acht Kinder gebären, können Sie Milliarden Euro ausgeben, ohne dass sich damit irgendetwas stabilisiert.“ Wie kann jemand von einer Unabhängigkeit der afrikanischen Länder sprechen, der solche Worte in den Mund zu nehmen wagt?

Ein edler und gottgefälliger Kampf

Wir müssen den großen Handel mit den natürlichen Ressourcen Afrikas, der zum Nutzen fremder Länder unter Mittäterschaft unserer eigenen Politiker geschieht, anprangern. Afrika wurde von den multinationalen Konzernen und den westlichen Regierungen buchstäblich geplündert und ausgebeutet. Man zettelt Kriege an und jagt mit Waffen nach den Bodenschätzen. Während die Afrikaner sich gegenseitig niedermetzeln, plündert man ihre natürlichen Ressourcen. Die Umwelt wird verschmutzt und zurück bleibt ein ausgeplünderter Erdteil. Waffenhandel dezimiert in Afrika die Bevölkerungen, schafft fortwährende Instabilität und einen Hass, der die Völker in den Abgrund treibt.

Am 25. Juni 2017 meldeten sich die Bischöfe der Demokratischen Republik Kongo zu Wort: „Die Wirtschaftspolitik unseres Landes wird immer offener und besser organisiert. Doch dies geschieht zu Nutzen der ausländischen Wirtschaft und auf Kosten der Kongolesen. Unsere Bodenschätze werden geplündert, während unser Beamtenapparat sich an Geldern bereichert, welche der kongolesischen Wirtschaft entzogen werden. Dieser unlautere Wettbewerb wird von Mächten organisiert, die eigentlich unser Volk beschützen sollten! Dies führt zum Elend der kongolesischen Bevölkerung und fördert die Kriminalität.“

Wir müssen gegen jede Form von Korruption und Lüge kämpfen, gegen die Verachtung von Völkern, ihrer Kultur und ihres Glaubens. Das bonum commune (Gemeinwohl) sollte das eigentliche Ziel verantwortungsvoller Politik sein. Die Verteidigung des Lebens und der Sitten ist ein edler, gottgefälliger Kampf (Herr, bleibe bei uns!, S. 333ff.).  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2019
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[1] Robert Kardinal Sarah/Nicolas Diat: Herr bleibe bei uns! Denn es will Abend werden, 440 S., HC, ISBN 978-3-86357-242-6, Euro 19,80 – Bestellung: Tel. 07563-608998-0, Fax: 07563-608998-9, E-Mail: info@fe-medien.de – www.fe-medien.de

Wir brauchen eine ökologische Bekehrung

Der Klimawandel und die Kirche

Der Klimawandel macht den Menschen Angst. Die Frage nach unserem Umgang mit der Natur wird immer brisanter. Doch was bedeutet das für uns Christen? Gehört das Thema Umweltschutz überhaupt zur genuinen Agenda der Kirche? Lenkt sie nicht vom Glauben an Christus ab, wenn sie alle Menschen guten Willens zu einer ökologischen Bekehrung aufruft? Pfarrer Erich Maria Fink geht auf die Sorge um den Fortbestand der natürlichen Ressourcen unseres Planeten ein. Dabei betrachtet er die höchst aktuelle Umweltproblematik im Licht der christlichen Offenbarung. In der Sprache des Glaubens geht es um die „Bewahrung der Schöpfung“. Und hier sieht Pfarrer Fink die Kirche klar in die Pflicht genommen.

Von Erich Maria Fink

Der Klimawandel und seine Folgen

Der Klimawandel ist nicht zu leugnen. Und er hat schwerwiegende Folgen. Die Erderwärmung führt zur Ausweitung der Wüstengebiete, fruchtbares Land geht verloren, ganze Regionen werden unbewohnbar, das Gletschereis schmilzt in rasendem Tempo dahin, Küstenregionen sind durch die ansteigenden Wasserstände bedroht, Wirbelstürme, Hochwasser und Dürren nehmen katastrophale Ausmaße an, wichtige ökologische Systeme geraten aus dem Gleichgewicht und vermögen ihren unersetzbaren Beitrag zum natürlichen Haushalt unseres Planeten nicht mehr zu leisten.

Es gibt Stimmen in der Politik, aber auch unter Intellektuellen, Kulturschaffenden und Vertretern der Kirche, welche den Klimawandel nicht auf die vom Menschen verursachte Umweltzerstörung zurückführen. Sie geben zu bedenken, dass Verschiebungen der Magnetpole der Erde, Sonnenstürme oder andere nicht mit dem Menschen zusammenhängende Faktoren auf den Klimawandel Einfluss haben können. Allein mit dem weltweiten CO2-Ausstoß ließen sich die rasanten Veränderungen nicht erklären. So halten sie den Versuch, einen Zusammenhang zwischen Klimawandel und menschlichem Fehlverhalten herzustellen, für eine wissenschaftlich nicht bewiesene Ideologie.

Der Großteil der Bevölkerung ist von den Folgen des Klimawandels wachgerüttelt. Denn sie sind unmittelbarer zu spüren als andere Schäden, welche die Menschheit der Natur durch maßlose Ausbeutung und Verschmutzung zufügt. So ist die Klima-Katastrophe zum Auslöser für eine weltweite „grüne“ Neubesinnung geworden. Vom Grundsatz her können wir als Christen das vertiefte Bewusstsein für die Natur nur begrüßen.

Die Reaktionen auf den Klimawandel sind vielfältig. Es gibt besonnenes Vorgehen und echtes Bemühen um Lösungen. Meist aber fehlen fundierte Konzeptionen und Gesamtstrategien. Oft werden vorschnelle Beschlüsse gefasst, nur um die Wählergunst nicht zu verlieren. Dabei wirkt sich gerade der Zeitdruck ungesund aus. Dies ruft umgekehrt Formen der Verweigerung und Blockade hervor. Auf dem Hintergrund von Ungewissheit und Ratlosigkeit kann jeder neue Hitzerekord panische Reaktionen hervorrufen, Angst macht sich breit, welche die Gefahr in sich birgt, die Massen zu völlig irrationalem Handeln zu verleiten.

In einer solchen Atmosphäre bilden sich Heilslehren heraus, die in einer idealisiert verstandenen Natur die Rettung sehen. Dieser Ansatz führt logischerweise auch zu falschen Schlussfolgerungen und unangemessenen Forderungen. Fatal werden diese Vorstellungen, wenn sie die Lösung der Umweltproblematik letztlich darin sehen, den Menschen auf irgendeine Weise unschädlich zu machen. Es ist geradezu erschreckend, wie unverhohlen sich die grüne Welle inzwischen gegen den Menschen selbst wendet und zu einer menschenverachtenden Diktatur zu werden droht. Wer als umweltfreundlich gelten will, gibt in den Medien bekannt, dass er der Natur zuliebe auf Kinder verzichten wird. Kein Kind in die Welt zu setzen, gilt neuerdings als ehrenwerter Beitrag zur Rettung der Umwelt und des Klimas.

Der Mensch, der ohnehin meist nur als zufälliges Produkt der Evolution gesehen wird und angeblich an allem Elend in der Welt schuld ist, muss nach dieser Auffassung eliminiert oder zumindest dezimiert werden. Ohne dass ein öffentlicher Aufschrei erfolgen würde, publizieren sog. „Vordenker“ Überlegungen, nach denen die Weltbevölkerung idealerweise auf 600 Millionen Menschen reduziert werden sollte, um nur ein Beispiel zu nennen. Und es wird durchgespielt, wie eine Auslöschung von Milliarden von Menschen am umweltfreundlichsten erfolgen könnte. Im Namen der Wissenschaft verweisen sie darauf, die Natur hätte doch Tschernobyl überraschend gut verkraftet und sei sogar gestärkt daraus hervorgegangen.

Ist es da noch verwunderlich, dass an allen Ecken und Enden die atomare Aufrüstung vorangetrieben wird? Die Aufkündigung des INF-Abrüstungsvertrags durch die USA am 1. Februar 2019 folgt ebenfalls einer solchen Tendenz. Dieser Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme war am 8. Dezember 1987 von US-Präsident Reagan und dem sowjetischen Generalsekretär Gorbatschow unterzeichnet worden und hatte großen Segen gebracht. Nun wurde er am 2. August 2019 von den USA und Russland offiziell für beendet erklärt. Warum werden keine wirklichen Anstrengungen zur atomaren Abrüstung unternommen? Warum lassen sich die Europäer einreden, sie müssten vor Russland atomar geschützt werden?

Ich nenne diese Dinge bewusst beim Namen. Leider handelt es sich nicht um eine Verschwörungstheorie oder um eine übertriebene apokalyptische Hysterie, sondern um Diskussionen, die vor unser aller Augen geführt werden. Und wir sollten für dieses teuflische Spiel gewonnen werden. Aber genau diese Strategien der sog. „Denkfabriken“ (Think Tanks) zur öffentlichen Meinungsbildung und Politikberatung bringen die ganze Widersprüchlichkeit und Verlogenheit ans Licht. Anstatt der Menschheit durch ehrlichen Umweltschutz zu helfen, wird die Angst vor der Klima-Katastrophe von bestimmten Kräften schamlos für eine menschenfeindliche Politik ausgenützt.

Die Stunde der Kirche

In diesem Augenblick der Weltgeschichte kommt der Kirche eine historische Aufgabe zu. Denn gerade im Blick auf die Umweltproblematik kann sie der Menschheit Orientierung schenken. Im Licht der Offenbarung vermag sie die anstehenden Fragen richtig einzuordnen. Allen Beteiligten kann sie dadurch eine Hilfe an die Hand geben, damit sie die Weichen richtig stellen und die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen so treffen, wie es wirklich erforderlich ist. Ich möchte einige Anhaltspunkte wenigstens kurz skizzieren.

Wir sprechen nicht einfach von Umwelt, sondern von Schöpfung. Damit ist bereits die Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass sich hinter der Natur, in die der Mensch eingebettet ist, ein alles umfassender Plan verbirgt. Und damit weist die Offenbarung dem Menschen eine unbestreitbare Stellung in der Schöpfung zu. Wenn Gott den Kosmos und das Leben auf unserem Planeten um des Menschen willen ins Dasein gerufen hat, gilt es die ganze Frage des Umweltschutzes auf den Menschen hin auszurichten. Wie in allen anderen Fragen der katholischen Soziallehre muss die Kirche mit allem Nachdruck immer den Vorrang des Menschen und seiner Würde verteidigen. Auch wenn die Gesprächspartner nicht gläubig sind oder ein anderes Weltbild vertreten, kann die Kirche an diesem Grundsatz festhalten und muss in diesem Sinn ihren Einfluss geltend machen. Dies zeigen beispielsweise die Prinzipien, welche die Kirche vor über hundert Jahren für eine gerechte Ausgestaltung der Welt der Arbeit vorgelegt hat. Letztlich waren sie mit ihrem Primat der menschlichen Person plausibel und anwendbar. So haben sie sich bis zum heutigen Tag in Politik und Wirtschaft durchgesetzt.

Die Offenbarung zeigt uns, dass die Natur durch den Sündenfall der Menschen in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Auch sie ist der Vergänglichkeit unterworfen und vom Gesetz des Todes gezeichnet. Gleichzeitig ist uns verheißen, dass Gott die gesamte Schöpfung, die unter Geburtswehen seufzt, am Ende der Tage in die Vollendung einbeziehen wird und in verwandelter Gestalt in das Paradies aufnehmen wird (vgl. Röm 8,18-30). Diese Sicht bewahrt uns vor einer Idealisierung der Natur wie vor einer Verachtung der übrigen Geschöpfe. Papst Franziskus hat in seiner Umwelt-Enzyklika „Laudato si“ wunderbar aufgezeigt, dass auch die Natur in den Augen der Kirche einen Wert an sich darstellt und nicht nur dem Menschen untergeordnet ist.

Die biblische Lehre von der Erbsünde offenbart den geschichtlichen Menschen in seiner Gebrochenheit, die ihn einschränkt, aber nicht vollkommen unfähig zum Guten macht. Das irdische Leben ist darauf angewiesen, dass sich der Mensch über Gut und Böse Gedanken macht und sich für die Liebe entscheidet. So bewegt sich sein ganzes Leben zwischen der angeborenen Tendenz zum Egoismus und dem als richtig erkannten Einsatz für die Gemeinschaft. Die Überwindung der eigenen Leidenschaften aber erfordert eine freie Entscheidung. Die Kirche muss in die ökologische Frage diesen sittlichen Charakter des Umgangs mit der Natur einbringen. Umweltschutz verlangt die Einsicht in sündiges Verhalten, den Schritt der Bekehrung und die Bereitschaft, für die Rettung der Natur Opfer zu bringen. So spricht Papst Franziskus folgerichtig von einer ökologischen Bekehrung.

Die biblische Botschaft offenbart den Plan der Erlösung. Der Mensch ist aus eigener Kraft nicht in der Lage, sich aus der Sünde zu befreien. Dazu hat Gott den Erlöser, Jesus Christus, gesandt. So sieht die Kirche die Umweltproblematik immer auf dem Hintergrund der Erlösungsbedürftigkeit der Menschheit. Bei allem Bemühen um die Bewahrung der Schöpfung ist sie sich bewusst, dass es einerseits auf der Erde nie ein endgültiges Paradies geben wird. Es bleibt immer ein Ringen um Kompromisse auf die bestmöglichen Lösungen hin. Andererseits weiß sich die Kirche auf Gottes Beistand angewiesen. Sie vertraut bei ihrem Einsatz für die Natur auf die Erlösungsgnade und bringt von ihrer Seite sowohl das weltweite Gebet um die Hilfe von oben als auch die Heiligkeit ihrer Glieder, der Christen, ein.

Gott hat dem Menschen den klaren Auftrag erteilt, diesen Planeten für die Befriedigung seiner Bedürfnisse zu nutzen. Der Mensch muss den Ackerboden bebauen, damit ihm die gebrochene Natur die notwendige Nahrung gibt. Die Kultivierung muss mit der Verpflichtung in Einklang gebracht werden, die Erde mit ihren natürlichen Ressourcen auch für die nachfolgenden Generationen als Lebensraum zu erhalten. Darin sieht die Kirche eine Form der Erfüllung des Liebesgebotes.

Nach der biblischen Offenbarung nützt Gott besonders auch die natürliche Schöpfung, um dem Menschen sein eigenes Wesen kundzutun und sich ihm sogar auf sakramentale Weise mitzuteilen. Die Menschwerdung Gottes und die Erhebung der menschlichen Natur des Sohnes Gottes in die heiligste Dreifaltigkeit offenbaren auf unüberbietbare Weise die göttliche Bestimmung der sichtbaren Schöpfung. Die Kirche weiß sich dazu verpflichtet, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um diesen Offenbarungscharakter der Schöpfung zu erhalten. Denn die Natur ist dem Menschen dazu geschenkt, dass er durch sie den Schöpfer, seine Herrlichkeit und Schönheit, seine Zuwendung und Liebe erahnen und erkennen kann. Der Mensch aber hat begonnen, die Natur in einem Maß zu zerstören, dass sie diese Aufgabe immer weniger zu erfüllen vermag.

Wir stehen auf der Seite der Schöpfung

Wenn nun die Kirche im Umweltschutz Orientierung geben möchte, muss sie der verängstigen und verunsicherten Menschheit ihre uneingeschränkte Solidarität bekunden, sie begleiten und ihr vorangehen.

Dazu bedarf es einer Grundentscheidung, die ich ein wenig veranschaulichen möchte. Immer wieder ist zu hören, die Kirche dürfe sich nicht im innerweltlichen Engagement wie Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit verlieren. Ja, sie verrate ihren eigentlichen Missionsauftrag, wenn sie sich um diese irdischen Belange kümmere. Ihr müsse es um die Verkündigung des Evangeliums und die Hinführung der Menschen zu Christus gehen. Denn letztlich komme es nur auf die eine Frage an: Gelangt der Mensch einmal in den Himmel, oder verspielt er das ewige Leben!

Diese Warnungen haben ihre grundsätzliche Berechtigung. Dies gilt umso mehr, als sich heute bedauerlicherweise große Teile der Kirche so einseitig auf Wohltätigkeit eingerichtet haben, dass ihnen dabei der Blick für das Leben mit Gott verloren gegangen ist. Es gibt Befreiungstheologen und kirchliche Sozialarbeiter, die sich ohne jedes Vertrauen auf die erlösende Gnade für ihre Ziele einsetzen und im Horizont ihres eigenen Handelns aufgehen. Umso wichtiger ist es, im jetzigen Augenblick Zeugnis dafür abzulegen, dass ein leidenschaftliches Engagement für Umweltschutz nicht im Widerspruch zu einer glühenden Christusliebe stehen muss, sondern gerade um dieser Liebe willen geschehen und als die Erfüllung des von Jesus eingeforderten Samariterdienstes verstanden werden kann.

Man kann darüber diskutieren, welche Faktoren für den Klimawandel maßgeblich sind. Aber für uns als Kirche stellt sich die Frage viel grundsätzlicher: Sehen wir die großen Zusammenhänge von menschlicher Verantwortung für das „gemeinsame Haus“, unseren Planeten, und den gravierenden Fehlern, die in diesen Bereichen gemacht werden? Erkennen wir, dass dieses globale Fehlverhalten eine Frage von zutiefst moralischem Charakter darstellt? Die Kirche kann sich der Sorge um Natur und Umwelt aufgrund ihrer Verantwortung für die kommenden Generationen und das Wohlergehen der Menschheit nicht entziehen.

Wie bei allen großen Herausforderungen in der Geschichte, kann die Kirche die Probleme weder als Institution noch durch das Engagement ihrer Mitglieder lösen. Aber sie kann vor der ganzen Welt deutlich machen, auf welcher Seite sie steht. Und das ist ihre erste Pflicht. Durch das konkrete Engagement auf den unterschiedlichen Ebenen kann und muss sie schließlich die Ernsthaftigkeit ihrer Grundentscheidung unter Beweis stellen. Das ist eine Frage von Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit.

Zur Zeit der Industrialisierung stellte sich beispielsweise die Frage: Wie verhält sich die Kirche zur Not der verelendeten Arbeiterschaft? Steht sie eindeutig und vor aller Welt sichtbar auf der Seite der Arbeiter? Was kann sie dem Aufruf zum Klassenkampf entgegenhalten? Natürlich konnte sich nicht jeder Priester wie ein sel. Adolf Kolping oder ein hl. Don Bosco direkt um die Ausbildung und Förderung von Arbeitern kümmern. Aber im Großen hat die Kirche mit ihrer einzigartigen Soziallehre der Welt den Weg in die Zukunft gewiesen. Sie zeigte sich für die soziale Frage, die politischen und wirtschaftlichen Charakter hat, verantwortlich. Und durch ihren Eintritt in die Diskussion konnte sie ausgleichend wirken und atheistischen Heilslehren vom Paradies auf Erden den Wind aus den Segeln nehmen. Von allen Gläubigen aber konnte erwartet werden, dass sie diese Lehre mittragen.

Während des Dritten Reichs musste sich die Kirche positionieren. Steht sie wirklich auf der Seite der Juden? Sie konnte die Probleme nicht lösen, bestenfalls manches Leid verhindern oder lindern. Doch das Licht, das die Welt erwartete, war die klare Verurteilung des Holocausts.

Besonders in Mittel- und Südamerika musste sich die Kirche zur Option für die Armen durchringen, was bis zum heutigen Tag alles andere als selbstverständlich ist. Seine Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit hat der hl. Óscar Romero 1980 mit dem Leben bezahlt. Wir erleben gerade, wozu die sozialen Spannungen in Chile, Bolivien, Ecuador, Venezuela und anderen Ländern führen. Steht die Kirche sichtbar auf der Seite der Benachteiligten und Armen? Wie prophetisch sind in dieser Hinsicht die programmatischen Aufrufe von Papst Franziskus, der aus diesem Erdteil kommt!

In der Frage der Abtreibung verlangte der hl. Papst Johannes Paul II., dass das Zeugnis der Kirche eindeutig sein müsse, zuallererst durch ihre Positionierung. Sie dürfe keinerlei Zweifel aufkommen lassen, dass sie kompromisslos auf der Seite der Ungeborenen stehe. Deshalb könne die Kirche nicht mit dem Verweis auf eine mögliche positive Einflussnahme auf die Entscheidung der Mutter einen Beratungsschein ausstellen, so Johannes Paul II. Auch in seinen Aussagen zum Thema Abtreibung ist Papst Franziskus so eindeutig, dass es kaum noch zu überbieten ist.

Und vor einer neuen geschichtlichen Herausforderung stehen wir nun mit der Umweltproblematik. Erst wenn sich die Kirche eindeutig positioniert, kann sie damit beginnen, der Menschheit voranzuleuchten. Papst Franziskus hat diesen Schritt vollzogen und sich entschlossen auf die Seite der Umwelt gestellt. Die Welt versteht sein eindeutiges Plädoyer für die Schöpfung. Und wir können dem Papst dafür nur zutiefst dankbar sein.

Das Engagement von Papst Franziskus

Den Fanfarenstoß gab Papst Franziskus mit seiner Enzyklika „Laudato si“ über die Sorge für das gemeinsame Haus. Sie ist ein großartiges Dokument, in Stil und Nachdruck einzigartig. Schon jetzt ist ihre historische Bedeutung offenkundig. Gleich in seiner Hinführung bringt der Papst zum Ausdruck, wie umfassend er seine Initiative versteht. Er schreibt: „Angesichts der weltweiten Umweltschäden möchte ich mich jetzt an jeden Menschen wenden, der auf diesem Planeten wohnt“ (Nr. 3).

Aber Papst Franziskus maßt sich nicht an, überhaupt erst auf die Idee einer solchen Lehrverkündigung gekommen zu sein. Seine Vorgänger hätten schon vor Jahrzehnten erkannt, dass die Menschheit auf eine ökologische Katastrophe zugehe. Auch sie hätten sich an alle Menschen guten Willens gewandt und dazu aufgerufen, sich gemeinsam dieser Herausforderung zu stellen.

So schreibt Papst Franziskus: „Der selige Papst Paul VI. sprach 1971 die ökologische Problematik an, indem er sie als eine Krise vorstellte, die ‚eine dramatische Folge‘ der unkontrollierten Tätigkeit des Menschen ist. ‚Infolge einer rücksichtslosen Ausbeutung der Natur läuft er Gefahr, sie zu zerstören und selbst Opfer dieser Zerstörung zu werden‘ (Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens, 21)“ (Nr. 4). Schon ein Jahr zuvor habe Paul VI. vor der FAO die Möglichkeit einer „ökologischen Katastrophe als Konsequenz der Auswirkungen der Industriegesellschaft“ angemahnt und „die Dringlichkeit und die Notwendigkeit eines radikalen Wandels im Verhalten der Menschheit“ betont. Noch ausführlicher zitiert Papst Franziskus Johannes Paul II., der den Begriff der „ökologischen Umkehr“ geprägt habe, sowie Benedikt XVI., der uns nahelege „anzuerkennen, dass die natürliche Umwelt voller Wunden ist, die durch unser unverantwortliches Verhalten hervorgerufen sind“ (Nr. 5f.).

Auch schlägt Franziskus die Brücke zur Ostkirche. Der Ökumenische Patriarch Bartholomäus, mit dem er „die Hoffnung auf die volle kirchliche Einheit teile“, habe „sich wiederholt mit starken und anregenden Worten geäußert und uns aufgefordert, die Sünden gegen die Schöpfung einzugestehen: ‚Dass Menschen die biologische Vielfalt in der göttlichen Schöpfung zerstören; dass Menschen die Unversehrtheit der Erde zerstören, indem sie Klimawandel verursachen, indem sie die Erde von ihren natürlichen Wäldern entblößen oder ihre Feuchtgebiete zerstören; dass Menschen anderen Menschen Schaden zufügen und sie krank machen, indem sie die Gewässer der Erde, ihren Boden und ihre Luft mit giftigen Substanzen verschmutzen – all das sind Sünden.‘ Denn ‚ein Verbrechen gegen die Natur zu begehen, ist eine Sünde gegen uns selbst und eine Sünde gegen Gott‘“ (Nr. 8).

Die ganze Enzyklika atmet den Geist der biblischen Botschaft, ist zutiefst spirituell, beleuchtet alle Fragen im Licht Gottes, gerade auch, wenn sie konkrete Anforderungen an Naturwissenschaft, Technik, Wirtschaft und Politik stellt. Der Papst beginnt mit einem Blick auf den hl. Franz von Assisi: „Ich glaube, dass Franziskus das Beispiel schlechthin für die Achtsamkeit gegenüber dem Schwachen und für eine froh und authentisch gelebte ganzheitliche Ökologie ist“ (Nr. 10). Diesem Anfangsimpuls bleibt die Enzyklika bis zur letzten Seite treu.

Nach einer solchen Enzyklika hatte die Ankündigung einer Sondersynode für das Amazonasgebiet natürlich eine besondere Bedeutung. Dass die ökologische Bekehrung zu einem Schwerpunkt werden würde, war naheliegend. Der Zeitpunkt war angesichts des Klima-Hypes und der damit verbundenen Umwelt-Aktivitäten geradezu providentiell. Und Papst Franziskus versuchte die einzigartige Möglichkeit zu nutzen, um im Blick auf die indigenen Völker den Zusammenhang zwischen Umwelt und Mensch, zwischen Ausbeutung der Natur und Ausbeutung der Bevölkerung im Sinn einer ganzheitlichen Ökologie herauszustellen. Leider erlebte die Synode durch weltliche wie kirchliche Medien eine derartige Engführung, dass ihre historische Bedeutung für Evangelisierung und Bewahrung der Schöpfung fast völlig ausgeblendet wurde. Es bleibt zu hoffen, dass der Papst im Nachsynodalen Schreiben die Chance nützt und entsprechende Akzente setzt.

Eigentlich wäre ein interreligiöses Treffen für die Schöpfung in Assisi angesagt. Wie der hl. Johannes Paul II. vor aller Welt bezeugen wollte, dass der Friede letztlich von Gott kommt und bei allem Bemühen menschlich nicht gemacht werden kann, so könnte das Signal in die Welt ausgesandt werden, dass der Schutz der Natur zwar aller Anstrengung bedarf, dass aber eine Umweltkatastrophe letztlich nur mit Gottes Hilfe und durch die Versöhnung mit ihm verhindert werden kann.

Entscheidend aber wird es sein, dass sich die ganze Kirche das Anliegen von Papst Franziskus zueigen macht und mit ihm an einem Strang zieht – zum Segen für die Menschheit und für den Missionsauftrag der Kirche.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Aufblick zu Gott

Glanzvoller Abschluss der Enzyklika „Laudato si“

Von Papst Franziskus

Nach dieser langen, frohen und zugleich dramatischen Überlegung schlage ich zwei Gebete vor: eines, das wir mit allen teilen können, die an einen Gott glauben, der allmächtiger Schöpfer ist, und ein anderes, damit wir Christen die Verpflichtungen gegenüber der Schöpfung übernehmen können, die uns das Evangelium Jesu vorstellt.

Gebet für unsere Erde

Allmächtiger Gott, der du in der Weite des Alls gegenwärtig bist und im kleinsten deiner Geschöpfe, der du alles, was existiert, mit deiner Zärtlichkeit umschließt, gieße uns die Kraft deiner Liebe ein, damit wir das Leben und die Schönheit hüten.

Überflute uns mit Frieden, damit wir als Brüder und Schwestern leben und niemandem schaden.

Gott der Armen, hilf uns, die Verlassenen und Vergessenen dieser Erde, die so wertvoll sind in deinen Augen, zu retten. Heile unser Leben, damit wir Beschützer der Welt sind und nicht Räuber, damit wir Schönheit säen und nicht Verseuchung und Zerstörung.

Rühre die Herzen derer an, die nur Gewinn suchen auf Kosten der Armen und der Erde. Lehre uns, den Wert von allen Dingen zu entdecken und voll Bewunderung zu betrachten; zu erkennen, dass wir zutiefst verbunden sind mit allen Geschöpfen auf unserem Weg zu deinem unendlichen Licht.

Danke, dass du alle Tage bei uns bist. Ermutige uns bitte in unserem Kampf für Gerechtigkeit, Liebe und Frieden.

Christliches Gebet mit der Schöpfung

Wir preisen dich, Vater, mit allen Geschöpfen, die aus deiner machtvollen Hand hervorgegangen sind. Dein sind sie und erfüllt von deiner Gegenwart und Zärtlichkeit.

Gelobt seist du, Sohn Gottes, Jesus, durch dich wurde alles erschaffen. In Marias Mutterschoß nahmst du menschliche Gestalt an; du wurdest Teil dieser Erde und sahst diese Welt mit menschlichen Augen. Jetzt lebst du in jedem Geschöpf mit deiner Herrlichkeit als Auferstandener.

Gelobt seist du, Heiliger Geist, mit deinem Licht wendest du diese Welt der Liebe des Vaters zu und begleitest die Wehklage der Schöpfung; du lebst auch in unseren Herzen, um uns zum Guten anzutreiben.

Gelobt seist du, o Gott, dreifaltig Einer, du kostbare Gemeinschaft unendlicher Liebe, lehre uns, dich zu betrachten in der Schönheit des Universums, wo uns alles von dir spricht. Erwecke unseren Lobpreis und unseren Dank für jedes Wesen, das du erschaffen hast. Schenke uns die Gnade, uns innig vereint zu fühlen mit allem, was ist.

Gott der Liebe, zeige uns unseren Platz in dieser Welt als Werkzeuge deiner Liebe zu allen Wesen dieser Erde, denn keines von ihnen wird von dir vergessen. Erleuchte, die Macht und Reichtum besitzen, damit sie sich hüten vor der Sünde der Gleichgültigkeit, das Gemeinwohl lieben, die Schwachen fördern und für diese Welt sorgen, die wir bewohnen.

Die Armen und die Erde flehen. Herr, ergreife uns mit deiner Macht und deinem Licht, um alles Leben zu schützen, um eine bessere Zukunft vorzubereiten, damit dein Reich komme, das Reich der Gerechtigkeit, des Friedens, der Liebe und der Schönheit. Gelobt seist du. Amen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Bischof Stefan Oster zur Jugendpastoral in der heutigen Zeit

„Es braucht Angebote mit personalem Charakter“

Bischof Dr. Stefan Oster SDB (geb. 1965) leitet seit 2014 das Bistum Passau und ist seit 2016 auch Vorsitzender der Jugendkommission der Deutschen Bischofskonferenz. Vor kurzem brachte er ein Buch heraus, in dem er versucht, Jugendliche in die Wahrheiten des katholischen Glaubens einzuführen und ihnen den Weg zu einem christlichen Leben aufzuzeigen. Es trägt den Titel: „Das Credo – Eine Gebrauchsanweisung für das Leben"[1] und beruht auf Vorträgen, die er vor Jugendlichen und jungen Erwachsenen gehalten hat. Im nachfolgenden Interview geht Bischof Oster von seinem neuen Glaubensbuch aus und erläutert, worauf es seiner Meinung nach heute in der kirchlichen Jugendarbeit ankommt.

Interview mit Bischof Stefan Oster, Bistum Passau

Kirche heute: Exzellenz, Sie haben ein neues Glaubensbuch herausgebracht, das sich speziell auch an junge Menschen richtet. Eignet sich das Buch Ihrer Meinung nach als Geschenk für Jugendliche? Von welchem Alter an würden Sie es empfehlen?

Bischof Oster: Die im Buch verarbeiteten Vorträge habe ich vor Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 15 und 35 Jahren gehalten. Die meisten sind wohl um die 20 Jahre alt.

Kh: Worauf haben Sie geachtet, damit das Buch auch für junge Menschen zugänglich und verständlich wird?

Bischof Oster: Das Buch enthält viele Beispiele, eher wenig kirchenspezifische Sprache, ist hoffentlich leicht lesbar, weil es versucht, den Sprechstil beizubehalten. Und trotzdem hoffe ich, dass es auch existenzielle Tiefe hat.

Kh: Wie möchten Sie mit Ihrem neuen Glaubensbuch Jugendlichen helfen, ein christliches Leben zu gestalten?

Bischof Oster: Das erste ist: Ich möchte ihnen helfen zu verstehen, dass Jesus tatsächlich lebt und dass es möglich ist, Ihn zu „erfahren“ – oder wenigstens Ihm so zu vertrauen, dass wir allmählich merken: Er vertieft mein Leben, verändert es, schenkt Sinn und Freude. Dann hoffe ich, dass Jugendliche lernen, dass Glaube nicht einfach abstrakt ist, sondern wirklich etwas mit ihnen, mit ihren Entscheidungen, mit ihrem Denken und Fühlen zu tun hat. Und zudem hoffe ich, dass sie so den Weg in eine Gemeinschaft finden von anderen Menschen, die auch glauben, die diesen Glauben feiern und auch darüber sprechen können.

Kh: Sie sind Vorsitzender der Jugendkommission der Deutschen Bischofskonferenz. Wie kann man heute überhaupt noch das Evangelium Jugendlichen vermitteln? Wie kann man sie für Jesus Christus und die Kirche gewinnen?

Bischof Oster: Es braucht Räume, in denen geistliche Erfahrung möglich ist; gemeinschaftliche Räume und Atmosphäre, in denen Jugendliche merken: Hier ist es anders als beim Fußballverein oder bei der Feuerwehr. Es braucht die Bereitschaft zur Freundschaft bei den Einladenden, es braucht eine überzeugende Verkündigung des Evangeliums und es braucht im besten Fall auch noch Engagement für andere, am besten auch für benachteiligte Menschen.

Kh: Was können die Pfarrgemeinden konkret tun, um wieder an Jugendliche heranzukommen und für sie eine geistliche und menschliche Heimat zu bieten?

Bischof Oster: Das Wort „herankommen“ mag ich eigentlich gar nicht. Das klingt nach Rekrutierung. Echtes Interesse will nicht einfach „herankommen“, sondern ist im guten Sinn absichtslos. Wir brauchen die Bereitschaft, mit jungen Menschen Freundschaft zu leben, mit ihnen etwas vom Leben zu teilen, Zeit zu haben, Geduld zu haben, sie auszuhalten, sie gern zu haben… – so fängt es an. Wir evangelisieren durch die Qualität unserer Beziehungen!

Wenn ich in Pfarreien gefragt werde, wie ich Jugendliche wieder in die Kirche bringen will, stelle ich meistens die Gegenfrage: „Wollt Ihr, dass die Jugendlichen kommen, damit Euer Betrieb weitergeht – oder wollt Ihr ernsthaft, dass sie Christus kennenlernen? Wenn Ihr das erste wollt, werdet Ihr sie nicht erreichen. Wenn Ihr das zweite wirklich wollt, dann fangt an, für sie zu beten, euch für sie zu interessieren, geht Wege mit ihnen, lernt selbst Jesus besser kennen – und ladet sie schließlich in die Freundschaft mit Jesus ein.“

Standardisierte Sozialisationsformen von Gläubigwerden, wie wir sie gewohnt waren, funktionieren kaum noch. Wir brauchen deshalb neu: die eigene Leidenschaft für Gott und für die jungen Menschen – und dann gemeinsame Wege mit ihnen und gemeinsame Suchbewegungen.

Kh: Am Sonntagsgottesdienst nehmen immer weniger Jugendliche teil. In vielen Pfarreien gibt es so gut wie keine Jugendlichen mehr. Woran liegt es? Wo muss man Ihrer Meinung nach mit einer Erneuerung ansetzen?

Bischof Oster: Das hab ich eben versucht zu beantworten. Ganz ehrlich: Wenn ein normaler, nicht religiös sozialisierter junger Mensch heute Interesse an religiösen Fragen hat, findet er in einer normalen Pfarrei von heute Antworten, Anschluss, Angebote, die ihm helfen? In der Regel eher wenig, daher braucht es auch spezifische Angebote für solche Bedürfnisse – aber Angebote, die zuerst personalen Charakter haben!

Kh: Wie sollte die Kirche die digitalen Medien für die Jugendarbeit nützen? Wie könnte man bei Jugendlichen Interesse an bereits bestehenden Angeboten wecken?

Bischof Oster: Das ist schwer, denn die Jugendlichen sind selbst die Hauptakteure ihrer digitalen Kultur. Ich wäre sehr dafür, dass technisch fitte und zugleich im Glauben fitte Jugendliche diese Angebote selbst entwickeln – und wenn möglich unsere Unterstützung bekommen. Dann könnte es funktionieren.

Kh: Welche Bedeutung könnte der „Synodale Weg“ für die kirchliche Jugendarbeit haben? Sind Impulse in den Bereichen wie Sexualität, Berufung und Ehevorbereitung zu erwarten?

Bischof Oster: Da ich hoffen mag, dass der Synodale Weg vom Heiligen Geist bewegt wird, vermag ich das jetzt nicht vorweg zu nehmen. Aber klar ist für mich: Eine bloße Debatte um kirchenpolitische Reizthemen wird einen jungen Menschen nicht dazu bringen, tiefer über Christus nachzudenken oder nach ihm zu suchen.

Kh: Worauf sollte der „Synodale Weg“ im Blick auf den von Papst Franziskus angemahnten „Primat der Evangelisierung“ achten?

Bischof Oster: Na, dass die Evangelisierung stets im Blick bleibt und dass man sich danach ausrichtet. Das Problem ist freilich, dass das Verständnis von dem, was Evangelisierung bedeutet, bei den Akteuren des Synodalen Weges alles andere als homogen ist.

Kh: Welche Anliegen möchten Sie gerne in den „Synodalen Weg“ einbringen?

Bischof Oster: Ich möchte eine ehrliche Diskussion über Macht und Beteiligung, über Dienst und Demut und ich wünsche mir von mir selbst und anderen immer wieder das Bewusstsein, wie sehr jeder von uns immer neu Bekehrung nötig hat – und dass dazu auch konkrete Schritte nötig sind.

Kh: Was macht Ihnen Hoffnung für die katholische Kirche in Deutschland?

Bischof Oster: Zum Beispiel, dass sich beim Adoratio-Kongress in Altötting schon über 1500 TeilnehmerInnen angemeldet haben. Oder zum Beispiel, dass ich bei den Abenden, aus denen mein Credo-Buch hervorgegangen ist, immer wieder einzelne Bekehrungen erleben darf. Der Heilige Geist wirkt und das Evangelium ist wirklich wahr!

Kh: Exzellenz, wir danken Ihnen von Herzen für das wertvolle und offene Gespräch.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Bischof Stefan Oster: Das Credo, geb., 300 S., 13 x 20 cm, Katholisches Bibelwerk 2019, ISBN 978-3-460-25603-3, 22,95 Euro, Bestellannahme für Privatkunden: Telefon: +49 711 61920 26, Internet: www.bibelwerk. shop/produkte/das-credo-25603/ Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Silberburgstraße 121, 70176 Stuttgart

Der Heilige Abend 1898 – Tag der Verklärung für die Ewigkeit

Der heilige Charbel und sein „Bethlehem“

Der hl. Charbel Makhlouf (08.05.1828–24.12.1898) ist einer der geheimnisvollsten Heiligengestalten der Neuzeit. Lebenslang verborgen wurde der Einsiedlermönch vom Libanon erst bekannt, als sich nach seinem Tod zahlreiche Wunder ereigneten. Er gehörte der maronitischen Kirche an, einer Glaubensgemeinschaft mit ostkirchlichem Ritus, die auf den hl. Maron von Beit (gest. 410) zurückgeht und mit der römisch-katholischen Kirche uniert ist. Von Papst Paul VI. wurde er 1965 selig und 1977 heiliggesprochen. Sein Gedenktag wird am 24. Juli gefeiert, was an die Umbettung seines Leichnams am 24. Juli 1927 in die Klosterkapelle erinnert. Damals wurde sein Leichnam völlig unverwest vorgefunden. Mit 23 Jahren war Joussef Antoun, so sein Geburtsname, ins Kloster eingetreten, 1859 hatte er die Priesterweihe empfangen und seit 1875 lebte er in der Eremitage St. Peter und Paul oberhalb von Annaya – mit Christus in der Eucharistie.[1]

Von Gerhard Hermes (†)

Unwiderruflicher Abschied, völliges Schweigen, absolute Einsamkeit, regloses Begrabensein mit Christus in Seinen Tod (Röm 6,4) – das ist das Ideal der Heiligkeit, das P. Charbel in einzigartiger Weise gelebt hat, darin liegt auch sein Zeugnis, sein unüberhörbarer Anruf an unsere Zeit, an die Kirche unserer Zeit. Es gibt keinen bekannten Heiligen, der die Einsamkeit mit Gott in einer derartigen, kein Jota auslassenden Konsequenz gelebt hätte. Möglich, dass es unter den ersten Wüstenvätern ähnliche Gestalten gab – die Nachrichten sind zu dürftig, um dessen sicher zu sein. Im Allgemeinen hatten auch sie Freunde, Jünger, die ihr Wort aufnahmen und ihren Geist weitertrugen. Die meisten großen Heiligen pflegten enge, oft wunderbare Freundschaften. Teresa von Ávila, die den berühmten Ausspruch prägte: „Todo es na-da. Dios solo basta“ (Alles ist nichts; Gott allein genügt), hatte vertrautesten Umgang mit Johannes vom Kreuz und ihr Geist prägte ihren Orden, ihr ganzes Land. Charles de Foucauld, den man noch am ehesten an die Seite des Einsiedlers von Annaya stellen möchte, hielt auch in der Wüste Tamanrasset Verbindung mit seinen Freunden, wünschte sich sehnlichst einige Jünger, verfasste mehrere Regeln für diejenigen, die in seine Fußstapfen treten würden. Bei P. Charbel nichts dergleichen: Jedes Band mit der Welt ist zerschnitten, der Verkehr mit seinen Mitbrüdern auf äußere Begegnung beschränkt, es gibt keine Predigt, keine geschriebene Zeile von seiner Hand, keine Zukunft: begraben mit Christus in Seinen Tod. Auch die Tatsache, dass er im Verband des Ordens blieb und sich nicht etwa in die völlige Einöde zurückzog, diente letzten Endes dem Vergessenwerden, dem Begrabensein: Es gab auch andere, eine Anzahl von Einsiedlern, zwischen denen er ohne Aufsehen verschwand; es war die alle umfassende Regel, die eine schützende Decke über seine Demut breitete. Was tat er denn anderes, als nach der Regel zu leben, und niemals treu genug! Es bedurfte dann des sichtbaren Eingreifens Gottes, es bedurfte dieser hartnäckigen Auferstehung seines unverwesten Leibes in einer Explosion von Wundern, sonst wäre er, vielleicht der größte Heilige unserer Zeit, heute vergessen – und angerufen, namenlos, nur in der Schar „aller Heiligen“.

Aber diese Gestalt steht nun in ihrer ganzen Klarheit und Härte, gemeißelt von Gottes Hand, unübersehbar und unverstellbar vor einer Kirche, die am allerwenigsten den Sinn für das heilige Schweigen und das selbstvergessene Opfer zu besitzen scheint; vor einer Kirche, die viel lieber das Image als das Innere pflegt, einer Kirche, in der die Gemeinschaft – bis hin zu den Exzessen der „Gruppendynamik“ – mehr gilt als der Einzelne vor Gottes Angesicht und seine unsterbliche Seele; vor einer „kommunikativen“, „dialogischen“, redseligen, geschwätzigen Kirche, in der man Gottes heiliges Wort ohne Ende „hinterfragt“ und beutelt im Wind der Zeit, bis nur die Schalen übrig bleiben; vor einer Kirche, in der sich der opfernde Priester den Menschen zu- und von Gott abwendet und die Anbetung Gottes mehr und mehr der „Verzweckung“ Gottes weichen muss. Es gibt gewiss, Gott sei es gedankt, auch noch die andere Kirche, die der Betenden, Dienenden, Sühnenden, aber den Ton geben sie nicht an. An jene, die heute tonangebende Kirche, stellt der schweigende Mönch vom Libanon seine Frage und es ist eine Frage auf Leben und Tod, geschrieben an die Wände unseres babylonischen Turms:

Wollt ihr euch endlich wieder auf das „eine Notwendige“ besinnen? Wollt ihr endlich wieder die Anbetung vor die Ausbeutung stellen? Die Ehre Gottes über den Frieden der Menschen? Wollt ihr der Kontemplation wieder den Vorrang geben vor der Aktion, dem ersten Gebot vor dem zweiten, das ohne jenes sinn- und kraftlos wird? Die Frage geht nicht dahin, ob wir alle oder doch bestimmte Einzelne eine derart radikale Nachfolge Christi bis in Sein Schweigen am Kreuz verwirklichen sollen wie Pater Charbel, aber vor einem lässt sie uns keine Wahl: Wenn wir nicht aus allen Kräften uns bemühen, „Anbeter im Geist und in der Wahrheit“ zu werden, wie sie „der Vater sucht“, dann stößt uns dieser Anruf Gottes nur tiefer hinein in die Selbstzerfleischung der Menschheit.

Eine solche Wende zum echten Christentum aber verlangt, wir haben es schon oft gesagt, eine ungeheure Anstrengung und wird uns innewerden lassen, dass „unser Kampf nicht (vor allem) gegen Fleisch und Blut geht, sondern gegen die Mächte und Gewalten, gegen die Weltherrscher dieser Finsternis, die bösen Geister unter dem Himmel“ (Eph 6,12). In diesem Kampf werden wir immer weit hinter dem Heiligen von Annaya zurückbleiben, denn obschon auch diese Dinge in sein vollkommenes Schweigen eingegangen sind, dürfen wir mit Sicherheit annehmen, dass Pater Charbel auf seinem einsamen Gipfel, auf diesem äußersten Vorposten der Christenheit, ein furchtbares Ringen zu bestehen hatte, Kämpfe, deren Härte und Gefahren wir „normale“ Christen nicht einmal zu ahnen vermögen. Andere Heilige haben uns verraten, wie viel Herzblut die liebende Hand Gottes seinen bevorzugten Kindern auszupressen vermag, dass wir bei diesem einsamen Kämpfer unerhörte Belastungen und Prüfungen voraussetzen dürfen. Und doch las man, nach dem Zeugnis des Bruders Elias Ghosn, „jederzeit auf seinem Antlitz den Widerschein der Frömmigkeit und Gottesliebe, besonders aber, wenn er betete. Dann umfloss ein himmlisches Licht seine Gestalt. Der Herr war für ihn seine Wahrheit geworden, seine Kraft, sein Licht, sein Reichtum und seine unverlierbare Freude.“

Hier findet sich nochmals ausgesprochen, woher dieser einsame Kämpfer die Kraft schöpfte, in einer derart alle Maße des „Normal-Christlichen“ sprengenden Weise „sich selber abzusterben“: Er war wirklich, wie es sein Biograph im Buchtitel angibt, „ein Mensch, trunken von Gott“. Diese heilige Trunkenheit fand ihre tägliche Nahrung und Steigerung – wie könnte es bei einem heiligen Priester anders sein! – im Opferkelch Jesu Christi. Die heilige Messe, die er jeden Tag um 11 Uhr feierte, vereinigte ihn immer inniger mit dem geliebten Herrn und Meister, führte ihn immer näher an das Kreuz von Golgotha – auf diesem Weg gab es für ihn keinen End- und Schlusspunkt. Sein ganzer Tag war Vorbereitung auf die Feier des heiligen Opfers oder dann Danksagung für die wiederum gewährte Gnade. Sein bevorzugter, man kann fast sagen, sein ständiger Platz war vor dem Tabernakel – es hätte ihn im Tiefsten erschüttert, erleben zu müssen, wie der Herr im Geheimnis Seiner äußersten Liebe zu uns heute vernachlässigt, ja verachtet wird. Vor dem sakramental gegenwärtigen Herrn tauchte er ohne Unterbrechung in die Tiefen der Beschauung ein, immer tiefer in das Schweigen, in dem der Mensch vor dem unendlichen Gott zunichte wird. Wir können uns denken, wie viel gerade ihm jenes Wort aus der geliebten „Nachfolge Christi“ (3,21) zu sagen hatte: „O Jesus, Abglanz der ewigen Herrlichkeit, Trost meiner verbannten Seele, vor dir ist mein Mund ohne Stimme – es ist mein Schweigen, das zu dir redet.“ Wahrlich, „solche Anbeter sucht der Vater“!

Die maronitische Liturgie,[2] nach der Pater Charbel die heilige Messe feierte, hebt häufiger und stärker den Gedanken des Sühnopfers hervor als die lateinische und gerade darin wird, so könnte man sagen, der Nerv seines Lebens getroffen. Mit welchem Glauben und welcher Liebe muss er die der Konsekration folgende Anrufung gebetet haben, die um dieses Geheimnis kreist: „O ersehntes Opferlamm, das sich für uns hingibt! Gerecht machende Opfergabe, die sich selbst dem Vater darbringt! O Lamm, das der Priester seiner eigenen Hinopferung war! Möge unser Gebet, Herr Christe, durch deine Güte ein Brandopfer sein, das du dem Vater darbringst!“ Wie muss ihn das Gebet während der Elevation der heiligen Gestalten ergriffen haben: „O Vater der Wahrheit, siehe da deinen Sohn, das Opfer unserer Versöhnung! Nimm es gnädig an, denn er hat den Tod auf sich genommen, um mich zu entsühnen. Siehe hier die Opfergabe – nimm sie mit Wohlgefallen an aus meinen Händen und gedenke nicht der Fehler, mit denen ich deine Majestät beleidigt habe. – Siehe hier das Blut, das auf Golgotha für mein Heil vergossen wurde. Es schreit für mich empor zu dir. Im Blick auf sein Verdienst nimm mein Opfer gnädig an!“

Um das Sühnopfer der heiligen Messe kristallisiert sich das ganze Leben dieses Priesters, der sich in nie erlahmender Bereitschaft hingeopfert hat, in der Sühne für sich selbst, für den Orden, für sein Volk, für die ganze Welt. Und so erscheint es uns als eine besonders sinnreiche und liebevolle Fügung der Göttlichen Vorsehung, dass er mitten aus dem heiligen Messopfer zu Gott heimgerufen wurde, und zwar so, dass er in einem furchtbaren Todeskampf dem Herrn am Kreuze ganz ähnlich werden durfte.

Der 16. Dezember des Jahres 1898 ist ein besonders kalter Tag in diesem strengen Winter. Der Eremit liegt seit den frühen Morgenstunden, starr vor Frost, vor dem Tabernakel auf den Knien, ungeachtet der Schwäche, die ihm seit Monaten immer mehr zu schaffen macht. In immer neuen Windstößen dringt eisige Luft durch Tür und Fenster in den nie geheizten Raum. In seinem alten, zusammengeflickten Habit zittert der Mönch an allen Gliedern. Zur gewohnten Zeit, kurz vor 11 Uhr, legt er mit Hilfe von Pater Makarios die liturgischen Gewänder an und beginnt die heilige Messe, die seine letzte sein sollte. Unmittelbar vor der heiligen Wandlung bricht er zusammen; aber nach kurzem Ausruhen tritt er mit unendlicher Anstrengung, gestützt von seinem Mitbruder, nochmals an den Altar und führt die Konsekration zu Ende. Er kommt bis zu dem Gebet: „O Vater der Wahrheit…“ und stürzt dann wieder auf die Fliesen, diesmal, um nicht wieder aufzustehen.

Pater Makarios trägt die leichte Last in die ärmste Zelle, die diese Welt kennt, auf das Lager, das nicht weniger hart ist als das Kreuz, und liest dann die Messe zu Ende. P. Charbel aber liegt in der Agonie, nur halb bei Bewusstsein, und doch immerzu das Gebet murmelnd: „Abo dkuchto – O Vater der Wahrheit…!“ Man bettet ihn etwas besser, aber er fiebert ständig in der furchtbaren Winterkälte. An Heiligabend, ein paar Stunden vor seinem Tod noch, erweist er sich als Mann gänzlicher Entsagung, als wahrer „miles Christi“: Die Fleischbrühe, die man ihm vom Kloster heraufschickt, weist er zurück: „Es ist Advent – wir dürfen das Fasten nicht brechen!“ – Gegen Abend ist sein Advent endgültig gekommen, das Fest der himmlischen Geburt ist angebrochen.

Der sinnvolle „Zufall“ will es, dass im Augenblick seines Sterbens keiner seiner Mitbrüder bei ihm ist; nur der Pfarrer von Ehmej, Michel Abi-Ramia, ist da und gibt ihm die letzte Lossprechung. Die Mitbrüder, die sich auf seine Meldung hin einen Weg durch den hohen Schnee zum Gipfel hinaufbahnen und den Leichnam – fürs Erste – in der Kapelle der Einsiedelei betten, sind erschrocken: „Man muss es uns glauben, wir waren nicht imstande, bei der Kälte in diesem Raum auch nur für eine Minute stillzuhalten. Wie hatte es dann aber der Pater hier 25 Jahre aushalten können, auf den Knien, unbeweglich wie eine Statue!“

Der Hausobere, der in die Chronik des Klosters von Annaya das schöne Wort schrieb, dass Gott den Einsiedler „am 24. Dezember 1898 an sein gnadenreiches Herz genommen“ habe, stand am gleichen Tag am Sterbebett des maronitischen Patriarchen in Bkerke, der gewiss ein wichtiger Mann war – in den Augen der Menschen.

Gott hat andere Maßstäbe. Das geheimnisvolle Licht, das Bruder Elias nächtlicherweile vom Tabernakel auf die nun in der Hauskapelle aufgebahrte sterbliche Hülle P. Charbels niederstrahlen sah, ist inzwischen zu heller, mächtiger Flamme geworden, und wer nicht „die Finsternis lieber hat als das Licht“, muss von ihrem Leuchten getroffen, von ihrer Glut erwärmt werden. Gebe Gott, dass sich sein Volk in dieser tragischen Stunde seiner erinnert und mit der ganzen Kirche von ihm sich den Frieden vermitteln lässt, den der schweigende Mönch von Annaya im täglichen Sterben der Christenheit vorgelebt hat – exaltatus sicut cedrus Libani – aufrecht wie eine Zeder des Libanon.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Ernst Joseph Görlich: Der Wundermönch vom Libanon, Pb., 136 S., 8 ganzseitige Farbbilder, 9,95 Euro, ISBN: 978-3-7171-1314-0 – Bestell-Telefon: 07563-6089980, Fax: 07563-6089989, Mail: info@fe-medien.de – www.fe-medien.de
[2] Die maronitische Liturgie gehört zur antiochenischen, die unter dem Namen des Apostels Jakobus, des ersten Bischofs von Jerusalem, bekannt ist. Die liturgische Sprache ist das Syrische, im Wesentlichen noch die Sprache (Aramäisch), die von Jesus Christus gesprochen und bei der Einsetzung der hl. Messe benützt wurde.

Ikone des hl. Charbel

Auf der ganzen Welt ist die Ikone des hl. Charbel Makhlouf (1828-1898) bekannt. Im Libanon, wo der hl. Charbel als Nationalpatron verehrt wird, prägt sie das ganze gesellschaftliche Leben. Sie ist nahezu in jedem Taxi und jeder Gaststätte zu finden. Die Solidarité Liban-Suisse, die sich für den Frieden im Libanon engagiert, hat zur Herkunft der Ikone einen interessanten Hintergrund publiziert.

Von Solidarité Liban-Suisse

Pater Charbel wurde Zeit seines Lebens nie fotografiert oder gemalt. So lebt er nur in der Erinnerung jener fort, die ihn noch im Leben gekannt hatten. Aber am 8. Mai 1950 fuhr ein Autobus mit etwa 40 Maroniten-Mönchen nach Annaya. Nach langem Beten in der Klosterkapelle besuchten einige von ihnen die Einsiedelei, in der Pater Charbel so lange gelebt hatte. Nachher wollten sie eine Erinnerung mitnehmen. Einer von ihnen machte Foto-Aufnahmen. Eine davon zeigt die Pilger vor dem Eingang zur Einsiedelei. Als die Aufnahme entwickelt wurde, sah man zum größten Erstaunen mitten unter den Besuchern eine völlig fremde, bärtige Gestalt, die niemand gesehen hatte. Die Abzüge der Aufnahme und das Negativ wurden dem Generalabt der Maronitenmönche übergeben. Dieser zeigte sie neun Personen, die Pater Charbel noch gekannt hatten. Sie alle erkannten auf dem Bild den Diener Gottes. So hat der Heilige selbst nach seinem Tod noch dafür gesorgt, dass wir ein authentisches Bild von ihm haben. Gott sei Dank!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2019
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Die Frage nach der Wesensart der gerufenen Geister

Reiki – eine okkulte Praktik

Was ist Reiki? Eine Frage, die sich viele Christen stellen. Pater Joseph-Marie Verlinde geht dieser okkulten Praktik auf den Grund.[1] Er beschreibt die Legende von der Entdeckung des Reiki durch Mikao Usui sowie die drei Reiki-Einweihungsgrade. Reiki wird als alte japanische Heilswissenschaft propagiert, gehört jedoch in den Bereich der weißen Magie. Geboren 1947, arbeitete Pater Verlinde drei Jahre lang als Privatsekretär von Guru Maharishi Mahesh Yogi, dem Begründer der Transzendentalen Meditation. Anschließend begann er im Alter von 26 Jahren ein Studium der Theologie und Philosophie. Nach seiner Priesterweihe legte er 1991 seine ewigen Gelübde in der „Familie des Heiligen Joseph“ ab, deren Mitbegründer er ist. In seinem Buch über Reiki deckt er die verwirrende Vermischung von natürlichen und übernatürlichen „Energien“ auf. Schließlich weist er nach, dass diese Art von Praktiken ihre „Wirksamkeit“ aus der Zusammenarbeit mit „bösen Geistern“ bezieht. Nachfolgend das Vorwort zum Buch.

Von Joseph-Marie Verlinde

Heutzutage lässt die Anziehungskraft des Rationalismus nach. Wir erwarten weder von der Wissenschaft noch von der Technik das Heil, und der Mensch hat auf das Vorrecht verzichtet, das Zentrum des Universums zu sein. Seine Dekonstruktion durch die Postmoderne, die alle Bereiche unseres persönlichen und sozialen Lebens relativiert, hat zu einer Sinnkrise geführt, die Angst macht. Diese Angst versuchen unsere Zeitgenossen zu vertreiben, indem sie in einem Bereich Halt suchen, der „jenseits“ – oder „diesseits“ – der rationalen Denkweise liegt. So erklärt sich die Neugierde auf die Esoterik. In diesem Bereich ist es möglich, in der eigenen Imagination das okkulte Universum zu erforschen, während die Magie die Schlüssel dafür liefert, wie man in diesen Parallelwelten handeln kann. Man verspricht dem Eingeweihten, der Magier geworden ist, dass er die feinstofflichen Energien verwenden kann, um seine Pläne zu verwirklichen. Er kann sogar nach göttlicher Allwissenheit und Allmacht streben.

Esoterik und New Age führen zur neuen energetischen Medizin

Unter den „neuen therapeutischen Techniken“, welche taoistische Prinzipien zu Hilfe nehmen, ist eine der bekanntesten und weitverbreitetsten das Reiki. Nach seiner Selbstdefinition und Weltsicht ist Reiki „in der Lage, alle Ebenen des Seins zu heilen: die körperliche, mentale und spirituelle Ebene“ eines Menschen. Dies geschieht durch die Übermittlung einer Energie, die als universell und göttlich bezeichnet und die vom eingeweihten Meister empfangen wird, indem er sich „von jedem Gedanken“ frei macht und sich in „einen mediumistischen Zustand“ bringt. Man glaubt, dass „diese Energie selbst eine größere Intelligenz besitzt, als wir sie haben“ und dass sie „weiß, was ihr Empfänger braucht“.

Aber in Wirklichkeit wird der Adept durch die Einweihung mit einem „okkulten Geist“ in Kontakt gebracht, der ihm von da an seine Kräfte liefert. Aus christlicher Sicht ist Reiki eine okkulte Praktik, die sich auf die großen magischen Prinzipien stützt.

Leider vertrauen heutzutage viele Menschen eher den Erklärungen der Esoterik für die Wirkweise der energetischen Medizin und des Reiki, als dass sie die über Jahrhunderte gültige christliche Weisheit für glaubwürdig halten würden. Die katholische Kirche warnt vor magischen Praktiken, während die Esoterik sie für positiv und hilfreich, ja sogar göttlich hält. Der christliche Ansa nimmt auch die Schädigungen wahr, die sich hinter dem angenehmen Effekt einer Erfüllung rein menschlicher Wünsche verbergen. Die Schäden, die dadurch entstehen können, bleiben oft versteckt, weil sie sich möglicherweise von der körperlichen auf die seelische oder spirituelle Ebene verlagern.

Schon der hl. Thomas warnte vor dem Gebrauch von Prozeduren, die in sich nicht auf natürliche Weise wirksam sind und daher nur als Symbole für das angestrebte Resultat angesehen werden können. Ein Symbol kann nämlich nicht durch sich selbst wirken; sein mögliches Handeln muss daher von einer geistigen Wirkkraft kommen, dem Handeln einer Intelligenz. Der Unterschied liegt eher in der Frage, wie man die Wesensart der gerufenen Geister bezeichnet und interpretiert: als intelligente unsichtbare Geister, die in der christlichen Sichtweise gegen den Willen Gottes handeln, sogenannte Devas, das heißt „göttliche Geister“ für den esoterischen Okkultismus.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2019
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[1] Joseph-Marie Verlinde: Reiki – eine okkulte Praktik, geb., 64 S., 8,95 Euro (D), 9,30 Euro (A), ISBN: 978-3-9479310-7-1, Bestell-Tel.: 07303-952331-0, Fax: 07303-952331-5, Mail: buch@media-maria.de – www.media-maria.de

Kongress zur eucharistischen Anbetung und Erneuerung des Glaubens 15.-17. November 2019 in Altötting

„Adoratio“

Vom 15. bis 17. November 2019 fand in Altötting zum ersten Mal ein Kongress für die eucharistische Anbetung statt. Nach dem lateinischen Wort für Anbetung trug er die Bezeichnung „Adoratio“. Die Veranstaltung hat alle Erwartungen übertroffen und wird als richtungsweisendes Signal für die Bemühungen um die Neuevangelisierung in die Geschichte unserer deutschsprachigen Länder eingehen. Nicht nur die große Zahl von 2000 Teilnehmern, sondern die gesamte Dynamik, welche der Kongress entfaltete, ließ ihn zu einem so durchschlagenden geistlichen wie pastoralen Erfolg werden. Gastgeber und Initiator war Bischof Dr. Stefan Oster SDB. Er darf sich auf dem Weg, den er mit diesem mutigen Schritt eingeschlagen hat, von der Führung Gottes bestätigt sehen. Stefanie Hintermayr, TV- und Online-Redakteurin bei der Pressestelle des Bistums Passau, veröffentlichte am Tag nach dem Abschluss der Veranstaltung nachfolgenden Rückblick.

Von Stefanie Hintermayr

Ein großer Erfolg war der erste Adoratio-Kongress für eucharistische Anbetung in Altötting. Mehr als 2000 Gläubige haben vom 15. bis 17. November daran teilgenommen – sehr zur Freude von Gastgeber Bischof Stefan Oster SDB und dem Veranstaltungsteam. Es waren drei sehr intensive Tage in dem Marienwallfahrtsort. Das Referat für Neuevangelisierung im Bistum Passau hatte die große Veranstaltung in der Basilika St. Anna, dem Kultur- und Kongressforum und rund um den Kapellplatz organisiert. Den Teilnehmern wurde ein umfangreiches Programm mit namhaften Referentinnen und Referenten geboten.

Auftakt mit einem Abend der Barmherzigkeit

Es war ein stimmungsvoller Auftakt am Freitagabend in der Basilika St. Anna in Altötting. Der Augsburger Weihbischof Florian Wörner hat ihn mit Gastgeber Bischof Stefan Oster SDB mit einer hl. Messe feierlich eröffnet. Zu Beginn seiner Predigt richtete Wörner eine Frage an die Gläubigen: Was ist wirklich wichtig in meinem Leben und welchen Platz hat Gott darin? Seine Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Gott, du bist alles. Du hast den ersten Platz in meinem Leben.“

Den Eröffnungsvortrag nach der Messe hielt Bischof Stefan Oster mit einer Frage als Thema: „Anbetung  –  warum?“ Damit fanden die Kongressteilnehmer einen guten Einstieg in die Thematik der eucharistischen Anbetung. Eucharistische Anbetung erlebten die Gläubigen im Anschluss daran am Abend der Barmherzigkeit. Viele Hunderte hatten sich segnen lassen, das Sakrament der Versöhnung empfangen, eine Kerze angezündet, einen Bibelspruch gezogen oder ein Gebetsanliegen abgegeben.

Der zweite Tag mit vielen Workshops

„Anbetung –  wie geht das?“ Darum ging es im Vortrag von P. Hans Buob SAC nach dem gemeinsamen Morgenlob im Kultur- und Kongressforum am zweiten Tag. Seine zentrale Botschaft im bis auf den letzten Stuhl besetzten Forum: „Gott anerkennen heißt zuerst einmal, auf ihn hören.“

Aus Connecticut/USA angereist war David Craig, Begründer des Apostolats „Adoration for Vocations“. Vor den mehr als 120 Workshopteilnehmern betonte er: „Gott ist treu  –  er wird antworten.“ Anbetung und Gebet seien besonders im Hinblick auf Priesterberufungen zentral. Zeugnis darüber legte er am dritten und letzten Kongresstag in der Basilika ab.

„Werde, wer du bist!“ lautete die zentrale Botschaft von Bischof Stefan Oster an die Gläubigen in der hl. Messe am Samstagmittag. Inwiefern das mit Gottverbundenheit in unmittelbarem Zusammenhang steht, erklärte er genauer: „Ich glaube, es ist deutlich geworden, dass Evangelisierung mit Gebet einhergeht, dass sie Gebet voraussetzt und von Gebet getragen werden muss.“

Und schließlich gab es bei einem Podiumsgespräch noch viele Impulse für Gebetsabende: Nightfever, Nightfire, Holy Hour (Jugend 2000), Abend der Barmherzigkeit (Gemeinschaft Emmanuel), Adoray (Schweiz) und die Loretto-Gemeinschaft (Österreich) sind allesamt bewährte Modelle. Ein Gebetsabend für die Neuevangelisierung der deutschsprachigen Länder war Abschluss des zweiten Adoratio-Tages.

Abschluss mit der hl. Messe

Was „bringt“ Anbetung? Diese Frage beantwortete Pater Florian Racine (Frankreich) in seinem Vortrag „Die Früchte der ewigen Anbetung“ als Abschluss der Vortragsreihe. Er spannte damit den Bogen zum Eröffnungsvortrag von Bischof Stefan Oster „Anbetung – warum?“. Seine Botschaft: Alle profitieren von der eucharistischen Anbetung, jeder persönlich, die Pfarrgemeinde, die (Welt-)Kirche  –  und zwar in vielerlei Hinsicht. Eucharistie sei Nahrungsmittel, schenke Kraft, Trost, Stärke, Heilung, und sorge für Wachstum in Nächstenliebe. Die Zuhörer bestärkte er: „Gehen Sie zurück zur Quelle, zu Jesus!“ Und er schloss: „Möge es also kommen, das Reich der Eucharistie.“

Vor voller Basilika legte David Craig sein Zeugnis ab. Er ermutigte die Gläubigen, für (neue) Berufungen zu beten. Craig lud ein, das auch in der eucharistischen Anbetung in Stille danach zu tun. Beten um geistliche Berufungen können die Pfarreien im Bistum Passau auch über den Adoratio-Kongress hinaus. Eine „Berufungsmonstranz“ aus Holz wird in den kommenden Monaten „auf Reisen“ gehen. Sie wurde zum Abschluss des Kongresses überreicht.

Seinen feierlichen Abschluss fand der Kongress in der hl. Messe, die Bischof Stefan Oster zelebrierte. Vor ihrem Aufbruch gab er den Teilnehmern noch folgendes Bild mit auf den Weg: der von Sonnenlicht erstrahlte Himmel mit Gott: „Gehen wir zur Anbetung, damit die Sonne immer wieder durchkommt.“ Einen besonderen Dank richtete er abschließend an die Organisatoren rund um das Referat Neuevangelisierung des Bistums Passau und die mehr als 150 freiwilligen Helfer. Ohne sie wäre die Veranstaltung nicht möglich gewesen. „Sie haben einen großartigen Dienst geleistet“, so der Bischof. Überall habe er frohe Gesichter gesehen und er denke, dass sich alle immer gut aufgehoben gefühlt haben, sagte er. Man habe gemerkt, wie viel Herzblut darin stecke und wie viel Freude sie daran hätten. „Wir haben unheimlich viele dankbare Menschen getroffen“, sagte auch Ingrid Wagner, Leiterin des Referats für Neuevangelisierung im Bistum Passau und Mitorganisatorin des Kongresses. „Wir werden das Ganze wiederholen“, kündigte sie an, wann und wie, stehe noch nicht fest. „Den Rückmeldungen nach ist das Verlangen danach jedenfalls groß.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2019
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Ein adventliches Fenster im Dom zu Linköping

Maria im Nordlicht

Professor Dr. Wolfgang Koch und seine Frau Dorothea lassen uns an einem adventlichen Erlebnis besonderer Art teilhaben. Sie schildern ihre Eindrücke von einem Besuch des Doms im schwedischen Linköping. Dabei handelt es sich um eine evangelisch-lutherische Kathedrale aus dem Mittelalter, die ihre Schätze aus vorreformatorischer Zeit in einzigartiger Weise bewahrt hat. In der Domkyrka, wie das Gotteshaus auf Schwedisch heißt, befindet sich eine gotische Marienkapelle zu Ehren der Heimsuchung Elisabeths, die seit 1998 mit einem grandiosen Marienfenster geschmückt ist, einem Alterswerk der Glaskünstlerin Lisa Bauer (1920-2003). Für das Ehepaar Koch ist die Darstellung der Gottesmutter, welche vielfältige kunst- und geistesgeschichtliche Assoziationen weckt, ein Licht aus dem Norden – ein Zeichen der Hoffnung auf eine Erneuerung abendländischer Kunst.

Von Dorothea und Wolfgang Koch

Die Söhne des hl. Bernhard haben große Verdienste um das schwedische Christentum. Nach den Zerstörungen der Reformation erinnern zwar nur noch Ruinen an ihre Klöster. Zisterziensergeist atmet jedoch noch die Kathedrale von Linköping, das Zentrum einer alten Diözese. Zur gotischen Umgestaltung ermutigt eine päpstliche Bulle des Jahres 1248, in dem auch der Grundstein des Kölner Doms gelegt wird. Trotz aller Bilderstürme ist einiges gerettet.

Aus der Marienkapelle im Ostchor aber öffnen sich seit 1998 neue Fenster dem nordischen Himmel, ein Alterswerk der schwedischen Glaskünstlerin Lisa Bauer, und weckt vielfältige Assoziationen. Hat die Erneuerung der christlichen Kunst im hohen Norden Europas bereits begonnen? Vielleicht ist das bis in die Gegenwart reichende Leben der Domkyrka der hl. Birgitta von Schweden zu danken, seit 1999 eine der drei Patroninnen Europas.

Ein Gang durch die Domkyrka

Natürlich ist die Domkyrka protestantisiert mit ihren Bänken, in denen man nicht knien kann… Aber am Portal hängt ein Weihwasserkessel, gewiss ohne „Weih“-Wasser, das aber dennoch genutzt wird, und in zahlreichen Nischen brennen Kerzen vor anrührenden schwedisch-volkstümlichen Bildern der Gottesmutter und ihres Sohnes oder ostkirchlichen Ikonen. An einem der Marienbilder hängen viele Rosenkränze.

Wer den gotischen Dom an einem stillen Abend im Advent für sich entdeckt, bemerkt in den Bänken nicht wenige Menschen, mehr junge als alte, in besinnlichen Gedanken versunken, wenn sie nicht gar beten. Die spätbarocke Kanzel schmückt ein Relief der „Verkündigung Mariens“. Sie ist der „Heimsuchung Mariens“ und der „Anbetung der Heiligen Drei Könige“ flankiert. An den mächtigen Vierungspfeilern stehen zwei spätgotische Tabernakel, von Meistern der Kölner Dombauhütte geschaffen und bereit, das Allerheiligste wieder in sich aufzunehmen.

Im Vierungsbogen hängt ein bedeutendes Triumphkreuz des frühen 14. Jahrhunderts, kölnisch beeinflusst. Der Überlieferung nach sprach Christus durch dieses Kreuz zur jungen Birgitta. Auf ihre Frage, wer ihn so sehr misshandelt habe, erhielt sie die Antwort: „Die mich verachten und meine Liebe zurückweisen“.[1] Das Motiv der birgittinischen Ordenstracht mit seiner Krone aus Tuch und den an Rosenblüten erinnernden fünf Wunden Christi klingt hier bereits an.

In seiner Monumentalität erinnert Birgittas Kreuz an das Gerokreuz des Kölner Doms, benannt nach dem Kölner Erzbischof, der es nach den Maßen des Mandylion von Odessa schaffen ließ.[2] Gero sah dieses Tuch mit dem Antlitz Christi, das acheiropóietos, das von keines Menschen Hand gemacht sei, als er in Konstantinopel für den Sohn des Kaisers Otto um die Hand Theophanus warb. Indizien deuten an, dass jenes Vorbild mit dem Turiner Grabtuch identisch sei.

Es scheint, als schütze die hl. Birgitta auch die lutherisch gewordene Domkyrka zu Linköping. Magister Matthias, der gelehrte Domherr zu Linköping prägte Birgitta als Beichtvater. Bernardin von Siena und Nikolaus von Kues waren von der Theologie, Poesie und Musik des schwedischen Magisters beindruckt.[3]

Viele Eheleute verehren die hl. Birgitta von Schweden, auch eine heilige Ehefrau und Familienmutter, und lassen sich von ihren Gebeten prägen, an die sich für Familien so große Verheißungen knüpfen. Mit ihrem Ehemann Landvogt Ulf Gudmarsson, im Zisterzienserhabit im Kloster Alvasta gestorben, war Birgitta 28 Jahre lang glücklich verheiratet. Acht Kinder gebar sie ihm, von denen die Zweitgeborene, Karin, als Heilige verehrt wird.

Lisa Bauers Mariafönstret

Die drei Kapellen des gotischen Hochchores wurden von Meistern der Kölner Dombauhütte gebaut. Einst barg die Kapelle Visitatio Mariae in der Mitte den größten Schatz der Domkyrka, eine Locke der jungfräulichen Gottesmutter. Diese Reliquie war Ziel großer Wallfahrten aus allen Teilen Skandinaviens und dem Norden Deutschlands, bis diese Kostbarkeit durch die Reformation verschwand.

In dieser Marienkapelle öffnet sich das Mariafönstret, der neue Höhepunkt der Domkyrka, zur aufgehenden Sonne. Das spätgotische Maßwerk enthält seit 1998 großartige Glaskunst, das reife Alterswerk Lisa Bauers,[4] der großen Glaskünstlerin Schwedens. Fünf Jahre nach seiner Vollendung, im 700. Geburtsjahr der hl. Birgitta, starb Lisa Bauer und ist wie diese in Vadstena begraben, der kleinen Stadt am Vättarnsee, die durch Birgittas Orden zum „Rom des Nordens“ aufstieg. Als im 20. Jahrhundert das Verbot katholischer Orden aufgehoben wurde, kehrten die Birgittinenschwestern nach Vadstena zurück und führen seit 1963 unweit der Klosterruine ein Krankenhaus.

Lisa Bauers Mittelfenster in der Kapelle Visitatio Mariae zeigt die jungfräuliche Gottesmutter bald nach ihrer Begegnung mit dem Erzengel Gabriel, als in ihr der Entschluss reifte, zu ihrer Base Elisabeth aufzubrechen. Ihr junges, inniges, den Betrachter anrührendes Gesicht neigt sich anmutig nach unten. Unmittelbar steigen Erinnerungen an die Madonnen der Kölner Schule auf oder an Uta von Naumburg, von denen Lisa Bauers Kunst beeinflusst ist. Die Mariengestalt, mit der Andeutung einer Drehung, die die Zuwendung zum Betrachter unterstreicht, ist groß und nimmt etwa drei Viertel des schlanken Mittelfensters ein.

Zugleich erweckt die Künstlerin das alte Motiv der Schutzmantelmadonna. Denn der ausgebreitete Mantel Mariens erstreckt sich über beide Nachbarfenster auch nach rechts und links. Da die Seitenfenster des Chores nicht in der Ebene des Mittelfensters liegen, werden das Bergende und den Betrachter Einschließende des Mantels zum räumlichen Erlebnis. Mit ihrer Hand rafft die Gottesmutter ihren Mantel, dadurch vielleicht auch das in ihrem Schoße keimende göttliche Kind bergend, und hält ihn bis unter ihr Kinn, so dass von ihrer Gestalt nur das Gesicht sichtbar wird und sich dessen Liebreiz nur noch steigert. Die Haare Mariens verbirgt ein Schleier, der eine Krone trägt.

Dieses Fensterbild ist jedoch kein Glasgemälde oder aus bunten Glassorten zusammengesetzt. Der Eindruck entsteht allein durch allerfeinste Gravur auf Kristallglasscheiben und den sehr zurückhaltenden Einsatz grüner und goldener Farbnuancen. Dennoch entstehen die lebendigsten Schattierungen, wenn sich der Betrachter bewegt. Die reinste Jungfrau dieser Glasfenster erscheint also im durchsichtigsten Medium, das eine Künstlerin gestalten kann, das Linköpings Domkyrka nach Osten hin zugleich abschließt und geistlich öffnet.

Der Blumenmantel der Jungfrau

Und woraus sind Mantel und Schleier der Jungfrau gewirkt, woraus ihre Krone gebildet? Aus Blumen und Heilpflanzen, dem Schönsten und Tröstendsten, das die Erde hervorbringen kann. Mit präziser Liebe zum Detail und dem botanischen Sinn eines Carl von Linnè sind sie mit allen Details in der Art mittelalterlicher Tafelbilder in das Fensterglas graviert, geschnitten, gefräst, geätzt, mit feinstem Quarzsand in das klarste, reinste und doch zugleich härteste und sprödeste Material hineingestrahlt. Und sogleich erinnert sich der Betrachter an die Pflanzenwelt der Altenberger Glasfenster unweit von Köln. Die modernen Schwestern der mittelalterlichen Glaskunst atmen den gleichen Zisterziensergeist!

Und welche Pflanzen und Blumen sind dargestellt? Glücklicherweise hält der Schriftenstand Erläuterungen bereit. Ausschließlich Blumen und Pflanzen mit symbolischem Bezug zur Muttergottes seien dargestellt – insg. 90 verschiedene Arten. Auf Schwedisch, der Muttersprache Carl von Linnés, des Schöpfers der wissenschaftlichen Botanik, klingen die Pflanzennamen wie eine botanische Litanei zum Lobpreis der jungfräulichen Gottesmutter: Jungfru Marias hand, Jungfru Marias handskar, Jungfru Marias hår, kam, kängor, kåpa, nycklar, ögon, rock, sko, tårar… die Hände, die Handschuhe, die Haare, der Kamm, die Stiefel, das Gehäuse, die Schlüssel, die Augen, der Mantel, die Schuhe, die Tränen… der Jungfrau Maria.

Die duftenden Blumen machen alle Herrlichkeiten Mariens anschaulich, wohltätige Heilkräuter sind Symbole ihrer barmherzigen Zuneigung zu allen Nöten der Menschen: Liebfrauenmantel, Vergiss-mein-nicht, Veilchen, Frauenschuh, Erdbeere, Sternmiere, Maiglöckchen oder Akelei und Schwertlilie: „Liebet die Mutter der Barmherzigkeit“, heißt es in Birgittas Offenbarungen. „Sie ist gleich der Blume der Schwertlilie, deren Blatt zwei scharfe Kanten hat und in eine dünne Spitze ausläuft… Sie ist die Blume, die in Nazareth blühend, hoch über den Libanon sich ausbreitet… Wie das Blatt der Schwerlinie hatte auch Maria zwei sehr scharfe Schneiden, das ist der Schmerz des Herzens über das Leiden ihres Sohnes und die standhafte Abwehr gegen alle List und Gewalt des Teufels."[5]

„In ihrer rechten Hand hält meine Maria eine Akelei, die ‚Handschuhe unserer Lieben Frau‘, wie diese Blume auf Schwedisch heißt“, deutet Lisa Bauer selbst die Mariensymbolik dieser Blume. „Die fünf kegelförmigen Teile passen auf die fünf Finger einer Hand. Man kann sie auch mit fünf Tauben vergleichen, die ihre Köpfchen zusammenstecken. Die Taube wurde immer als heiliger Vogel angesehen. Ausgewachsen ist die Akelei voller Zahlensymbolik: Ihre Blätter sind dreifach und stehen in einem dreifachen Kranz um den Stängel. Und jedes bildet ein Dreieck, das die Heilige Dreifaltigkeit darstellt: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Diese Blume ist also voller Bedeutung. Beim Berühren heiliger Gegenstände muss man Handschuhe tragen – allein die reine Jungfrau Maria konnte das Jesuskind mit ihren bloßen Händen berühren."[6]

Über Mariens linke Hand schreibt sie: „Einige der alten Gemälde zeigen Maria mit dem Jesuskind mit einem Apfel in der Hand, der die Welt symbolisiert. Meine Maria in Linköping hat noch kein Kind. Der reife Apfel in ihrer linken Hand erinnert daran, dass sie durch ihren Gehorsam heilt, was Eva im Paradies durch ihren Ungehorsam verursacht.“

Und die Krone der hoffenden Gottesmutter, die zu ihrer Base Elisabeth aufbricht? Sie ist als Dornwald gebildet, aus dem Rosen erblühen – wie in dem anrührenden Eicksfelder Adventslied – „Als das Kindlein durch den Wald getragen, da haben die Dornen Rosen getragen. Jesus und Maria.“ Lisa Bauer stellt einen Bezug zur birgittinischen Frömmigkeit und Ordenstracht her: „Obwohl die scharfen Dornen schon auf ihr Leid hinweisen, stehen die fünf Blütenblätter der Heckenrose nach der Hl. Birgitta für Mariens fünf Tugenden der Bescheidenheit, Barmherzigkeit, Güte, Schönheit und göttlichen Freude“.

Und so wird das Mariafönstret zum Adventsbild und innigsten Ausdeutung der Communio vom zweiten Adventssonntag: „et terra nostra dabit fructum suum“ – „und unsere Erde gab ihre Frucht“. Vielleicht kommt ja bald wieder die Zeit, in der dieser uralte Gesang in Birgittas Domkyrka erklingt – vielleicht in den Weisen, die Magister Matthias aus dem Geiste des Gregorianischen Chorals ersann.

Erneuerung aus dem Norden?

„Kann denn aus dem Norden etwas Gutes kommen?“, soll Papst Bonifatius IX. gefragt haben, als man ihn 1390 um die Kanonisierung Birgittas bat. Er ließ sich überzeugen. „Kann denn aus dem Norden ein Impuls zur Erneuerung der christlichen Kultur kommen?“, mag sich auch der Leser fragen. Vielleicht hätte es jedoch einen unvermutet tiefen Sinn, wenn auch heute Birgittas geistige Welt und die mit ihr so vielfältig verflochtene Domkyrka unvermutet eine Bedeutung gewänne, die über Schweden hinausweist.

Birgitta prägte schon einmal die Entwicklung der abendländischen Kunst, etwa durch ihre detailreich geschilderte Vision der Geburt Christi. Unter ihrem Einfluss betonen die Weihnachtsdarstellungen seit dem 14. und 15. Jahrhundert bis hin zu Hans Memling und Albrecht Dürer immer tiefer das Übernatürliche im Geschehen der Menschwerdung zu Betlehem.[7] Die Kreuzigung des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald veranschaulicht Birgittas Visionen in allen Details.[8] Auch die Pflanzendarstellungen in Grünewalds Stuppacher Madonna sind unmittelbar von Birgittas Beschreibungen inspiriert, etwa die Lilien im Vordergrund unten rechts: „Sie glich einer gepflanzten Lilie, welche mit dreifacher Wurzel in das Erdreich dringt, dieses selbst noch fruchtbarer macht und drei lieblichste Blüten aus ihrem Stängel zur Freude aller Beschauer hervortreibt“.

Offensichtlich hat Lisa Bauer ihr Mariafönstret in der Tradition höchster christlicher Kultur geschaffen. Durch schwedisches Kristallglas und ihre neuartigen Verfahren es derart subtil zu bearbeiten, erschloss Lisa Bauer zugleich und unerwartet der christlichen Kunst ein völlig neues Medium. Und nicht zuletzt machte Lisa Bauers an Carl von Linnès geschultes Auge die Erkenntnisse der neuzeitlichen Naturwissenschaft auf eine sehr schwedische Weise für die christliche Kunst fruchtbar.

Wenn all dies im Jahre 1998 in der seit Jahrhunderten lutheranischen Domkyrka zu Linköping geschieht, was alles könnte noch geschehen, wenn auch andernorts die christliche Kunst nach so langer Winterszeit zu neuem Frühling erwachte?

Wer abends im Advent Lisa Bauers birgittinisch-zisterziensisches Mariafönstret auf sich wirken ließ, wird der adventlichen Jungfrau Maria noch lange im Zug nachsinnen, wenn vor dem Fenster die vom Vollmond versilberte Dezembernacht an ihm vorüberzieht mit ihren vom Reif verzauberten Hügeln und all den zahllosen Seen Schwedens und seinen Wäldern und Weiden mit den verstreuten roten Häusern darin im adventlich erwartungsvollen Lichterschmuck – auf schwedische Weise „eichendorfsch“. – Möge doch die jungfräuliche Maria im Nordlicht ganz Europa unter ihren mittsommernächtlichen Mantel aus wunderwirkenden Blumen und Kräutern bergen, die alle seine Verletzungen und Brüche der Reformation, Neuzeit und Moderne zu heilen vermögen!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] L. Bergquist (2011): Die hl. Birgitta im Spiegel der Offenbarungen, Lindenberg im Allgäu 2011, 22.
[2] W. Bulst et al. (1987): Das Turiner Grabtuch und das Christusbild, Bd. I, Frankfurt a.M. 1987, 115ff.
[3] G. Schiwy (2003): Birgitta von Schweden. Mystikerin und Visionärin des späten Mittelalters, München, 91ff.
[4] 1920 als Lisa Bohlin in Göteborg geboren, studierte sie von 1937-1938 an der Hochschule für Design und Kunsthandwerk in Göteborg und von 1938-1942 an der Konstfackskolan in Stockholm, der bedeutendsten Kunst- und Designschule Schwedens. Sie starb 2003.
[5] L. Behling (1956): Die Pflanze in der mittelalterlichen Tafelmalerei, Köln-Graz, 2. Aufl. 1967, 38.
[6] L. Bauer (1998): Lovsång till Maria, in: Mariafönstren i Linköpings Domkyrka, Stockholm 1998, 51ff.
[7] Vergl. Die hl. Birgitta im Spiegel der Offenbarungen, 99ff.
[8] Vergl. H. Feuerstein (2013): Zur Deutung des Bildgehaltes bei Grünewald, Salzwasser Verlag.

Petition an den Vorsitzenden der CDU-Bundestagsfraktion

„Kinderrechte“ ins Grundgesetz?

Der Bundesarbeitskreis Christlich-Demokratischer Juristen (BACDJ) hat ein Gutachten erstellt, in dem er sich sehr deutlich gegen das Vorhaben ausspricht, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Das Ergebnis wird einleitend vorangestellt: „Mit der Einführung von Kinderrechten wird ein rechtspolitisches Projekt diskutiert, dessen Langzeitfolgen unabsehbar sind. Ein Bedürfnis für seine Realisierung besteht nicht, weil das Grundgesetz Kindern bereits heute einen umfassenden Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Verfassungsgeber droht ohne Not, tradierte verfassungsrechtliche Pfade im Verhältnis von Eltern, Kindern und Staat zu verlassen und das Elternrecht einer schwächenden Neubewertung durch das Bundesverfassungsrecht preiszugeben.“

Von Hedwig von Beverfoerde

Die Bundesregierung will „Kinderrechte“ im Grundgesetz verankern, vorzugsweise noch in diesem Jahr. Was für Unkundige zunächst positiv klingt, stellt in Wirklichkeit eine große Gefahr für das Elternrecht dar und damit für die Kinder selbst.

Im Oktober hat die von der Regierung eingesetzte „Kinderrechte“-Arbeitsgruppe drei Formulierungen vorgelegt, aus denen Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) derzeit einen Gesetzentwurf entwickelt. Aber: Die eigentliche Entscheidung treffen am Ende die Bundestagsabgeordneten. Wenn von ihnen 1/3 gegen eine Grundgesetzänderung stimmt, können „Kinderrechte“ im Grundgesetz verhindert werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist in der Frage „Kinderrechte“ gespalten. Wir müssen sie deshalb davon überzeugen, gegen die geplante Grundgesetzänderung zu stimmen.

Warum sollten die Abgeordneten gegen „Kinderrechte“ im Grundgesetz stimmen? Weil „Kinderrechte“ im Grundgesetz nicht nur unnötig sind, sondern auch gefährlich.

1. Das Grundgesetz weist keine Schutzlücke für Kinder auf. Kinder sind bereits Träger aller Grundrechte. Und: Bereits heute muss dem Kindeswohl in allen Gesetzgebungsverfahren Vorrang gewährt werden.

2. Eine Grundgesetzänderung wäre vor allem symbolischer Natur und würde nichts Konkretes zur Verbesserung der Lebenssituation von Kindern beitragen oder sie vor Armut, Missbrauch oder mangelnder Bildung schützen. Diese Verbesserung kann nur über die Straf- oder Sozialgesetzgebung geschehen.

3. Die UN-Kinderrechtskonvention verlangt keine Aufnahme von „Kinderrechten“ in eine Verfassung. In Deutschland gilt die Konvention seit 1992 als Bundesgesetz, was für ihre Umsetzung vollkommen ausreicht.

4. Vor allem jedoch: „Kinderrechte“ würden das Erziehungsrecht der Eltern im Grundgesetz aushebeln. Das im Grundgesetz klug und ausgewogen formulierte Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und Staat würde gestört, wie bereits die juristischen Stellungnahmen von 2013 sowie 2016 und das brandneue CDU-interne Gutachten des Bundesarbeitskreises Christlich-Demokratischer Juristen (BACDJ) umfassend darlegen.

5. Mit „Kinderrechten“ im Grundgesetz könnte sich der Staat problemlos an Stelle der Eltern zum Anwalt der Kindesinteressen erheben, den Gesetzestext nach eigenem Belieben interpretieren und so auch gegen den Willen der Eltern in das Familienleben eingreifen. Unter dem Vorwand, Kindern zu helfen, könnten staatliche Stellen Kinder und Eltern gegeneinander ausspielen und die gefährliche „Lufthoheit über den Kinderbetten“ vollenden.

Diese große Gefahr wird durch die Textvorschläge der „Kinderrechte“-Arbeitsgruppe bestätigt. Bei allen drei Formulierungen fällt sofort auf: Die Eltern und die Familie kommen nicht vor! Die Kinder werden losgelöst von ihren Eltern und somit nicht als Teil der natürlichen Einheit Familie betrachtet. Es ist offensichtlich: Keine der drei Formulierungen der „Kinderrechte“-Arbeitsgruppe ist akzeptabel.

Fest steht: „Kinderrechte“ im Grundgesetz verbessern nicht das Leben von Kindern, hebeln das Elternrecht aus und senken die Hürde für staatliche Eingriffe in das Familienleben. Das Grundgesetz darf in dieser Frage nicht angetastet werden.

Das Aktionsbündnis für Ehe & Familie – DemoFürAlle fordert daher den Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ralph Brinkhaus, auf, gemeinsam mit den anderen Bundestagsabgeordneten der Union gegen eine Aufnahme von „Kinderrechten“ ins Grundgesetz zu stimmen und sich für den Schutz des Elternrechts einzusetzen.

Wenn Sie diese Forderung unterstützen, unterschreiben Sie bitte die Petition, die Sie finden unter

www.citizengo.org/de/fm/174970-haende-weg-vom-grundgesetz-kinderrechte-sind-gefaehrlich

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2019
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Die Zahl der getauften Ungläubigen wächst

Zur Spendung der Sakramente

 

Dr. Richard Kocher, Programmdirektor von Radio Horeb, schreibt sich im Programmheft zum Dezember 2019 von der Seele, was ihn zutiefst beunruhigt. Es ist der Verlust der Glaubenssubstanz bei der größten Zahl unserer getauften Kirchenmitglieder. Umgekehrt ist gerade diese ernste pastorale Situation in Deutschland für ihn der stärkste Antrieb, das Radio-Apostolat missionarisch zu gestalten.

Von Richard Kocher

Ich kenne niemand in der Leitung unserer Kirche, der die Notwendigkeit der Mission so deutlich erkannt hat wie unser Papst Franziskus. Über den Missionsmonat Oktober hinaus lege ich Ihnen seine Gedanken vor, die er schon als Kardinal so formuliert hat: „Die Zeit drängt. Wir haben kein Recht, im Streicheln unserer eigenen Seelen zu verharren. Kein Recht, uns einzuschließen in unsere eigenen Sächelchen, so winzig und eng. Wir haben kein Recht, still und ruhig uns gegenseitig gern zu haben… Wir müssen rausgehen und zu den Menschen der Stadt, die wir auf den Balkonen stehen sehen, reden.“

In seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ zitiert er in der Nr. 15 das Dokument von Aparecida: Es bestehe die Notwendigkeit, „von einer rein bewahrenden Pastoral zu einer entschieden missionarischen Pastoral überzugehen“. In einem Satz ist zusammengefasst, worum es geht.

Das gilt für ihn auch und gerade bei der Spendung der Sakramente. Bei der Generalaudienz am 24. Oktober 2018 führte Papst Franziskus aus: Es bedarf „vor dem Empfang des Ehesakramentes einer sorgfältigen Vorbereitung, ich würde sagen eines Katechumenats, denn in der Liebe steht das ganze Leben auf dem Spiel, und mit der Liebe scherzt man nicht. Man kann drei oder vier Vorträge in der Pfarrgemeinde nicht als ‚Ehevorbereitung‘ bezeichnen. Nein, das ist keine Vorbereitung: Das ist eine vorgetäuschte Vorbereitung. Und die Verantwortung dessen, der dies tut, fällt auf ihn selbst zurück: auf den Pfarrer, auf den Bischof, der diese Dinge gestattet. Die Vorbereitung muss reif sein, und sie braucht Zeit. Die Eheschließung ist kein offizieller Akt: Sie ist ein Sakrament. Sie muss jedoch mit einem wahren Katechumenat vorbereitet werden.“

Nach den beiden Synoden über Ehe und Familie habe ich von einigen wenigen Bischöfen unseres Landes gehört, dass sie die Ehevorbereitung intensivieren wollten. Nach meiner Beobachtung ist bisher aber nichts oder nur ganz wenig geschehen. Bei anderen Sakramenten wie etwa der Firmung ist es ähnlich. Für weit über 90% der Firmlinge ist es die endgültige Verabschiedung von der Kirche. Obwohl sie an einem heiligen Ort – in der Kirche – bei der Feier eines unserer wichtigsten Sakramente – der Firmung – genau das Gegenteil versprechen. Es ist, wie wenn man den Führerschein macht, sich ein Auto kauft und dann nicht damit fährt.

Für Pfarrer James Mallon war diese Erfahrung ein Wendepunkt in seinem geistlichen Leben. In seinem Buch „Wenn Gott sein Haus saniert“ bezieht er sich auf den Dialog zwischen dem Bischof und den Firmpaten. Der Bischof stellt die Frage: „Sind diese Firmbewerber gläubig der christlichen Gottesdienstgemeinschaft beigetreten?“, worauf die Paten antworten: „Ja, das sind sie!“ Mallon: „Ich wollte schreien: ‚Nein, das sind sie nicht, und wie wolltet ihr es wissen, ihr wart ja gar nicht hier!‘ Dann traf mich zutiefst die Erkenntnis, dass die Liturgie ein Anlass für die Leute war, hier öffentlich zu stehen und vor Gott und der Kirche zu lügen.“

Es ist wie bei einem Theaterstück: Man lernt seine Rolle brav und sagt, was der Bischof oder der Pfarrer hören will. Eine Relevanz für das Leben hat das aber nicht. Es ist letztlich die gleiche Situation wie zur Zeit der Propheten und bei Jesus. Beide übten eine heftige Kritik des Kultes, weil nur äußerlich ohne innere Beteiligung Riten vollzogen wurden.

Rolf Zerfaß, in den 80er Jahren Professor für Pastoraltheologie in Würzburg, schrieb schon damals: „Wir gewähren die kirchliche Eheschließung, drängen sogar darauf, auch wenn nur eine diffuse Religiosität vorhanden ist; wir spenden die Taufe der Kinder auf der Basis dieser kirchlichen Eheschließung und eines hauchdünnen Taufgesprächs; wir setzen darauf die Erstkommunion, auch wenn solche Kinder von zu Hause kaum das Kreuzzeichen mitbringen… So erzeugt unsere Sakramentenpastoral das Problem der Fernstehenden! Die leichtfertige Spendung der Sakramente ist ursächlich daran beteiligt, dass die Zahl der Kirchenfremden ständig wächst. [Wir haben es] in Wahrheit mit getauften Ungläubigen zu tun… Lassen wir das noch zwei Generationen laufen, und die Substanz des Glaubens ist dahin.“

Genau das, was er damals vorhersagte, ist mittlerweile eingetreten. Seriöse Prognosen von heute zeigen auf, dass in gut einer Generation die Zahl der Gottesdienstbesucher im Promille-Bereich angesiedelt sein wird. Es ist wie beim Klimaschutz: Wir müssen jetzt handeln, wenn wir das Ruder noch herumreißen wollen, denn jetzt haben wir noch Mittel und Möglichkeiten, die wir in 40 Jahren so nicht mehr haben werden.

Gelegentlich hört man die Meinung, dass die Spendung der Sakramente ja nicht schaden könne und diese aus sich selbst heraus wirken würden. Das Wort des Herrn weist in eine andere Richtung: „Gebt das Heilige nicht den Hunden und werft eure Perlen nicht den Schweinen vor, denn sie könnten sie mit ihren Füßen zertreten und sich umwenden und euch zerreißen!“ (Mt 7,6). Ganz gleich, wo immer im Leben dieses Wort Christi seinen Sitz gehabt hat, der Sinn ist unmissverständlich und drastisch: Man darf Menschen keinesfalls das Heilige reichen, wenn sie nicht entsprechend disponiert sind. Sie können es nicht verdauen, werden unwillig und aggressiv: Sie zerreißen euch! Die stark emotionalisierte Ablehnung der Kirche hat wesentlich auch damit zu tun.

Deshalb brauchen wir „Katechumenat und Sakrament – nicht aber Sakramentenspendung an Ungläubige“, so der Titel eines Aufsatzes von Thomas Kopp im Anzeiger für die katholische Geistlichkeit aus dem Jahr 1988, dem ich diese Impulse verdanke. Es sieht derzeit nicht danach aus, dass man dies in unserer Kirche erkannt hätte. Kardinal Kasper zeigte sich in einem Gespräch mit der Herder-Korrespondenz „gelinde gesagt erstaunt“ darüber, wie das Schreiben von Papst Franziskus an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland aufgenommen wurde: „In Deutschland hat man den Brief des Papstes zwar viel gelobt, ihn aber dann zur Seite gelegt und weitergemacht wie schon zuvor geplant.“ Alle noch so gut gemeinten strukturellen Reformen würden ohne Erneuerung aus dem Glauben ins Leere laufen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2019
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