Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Ist es heute noch angemessen, vom „christlichen Abendland“ zu sprechen? Dieser Frage gehen wir in unserer neuen Ausgabe von „KIRCHE heute“ nach.

Reinhard Kardinal Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, sagte vor kurzem in einem Fernsehinterview, er halte von diesem Ausdruck überhaupt nichts. Ja, eine solche Wortwahl sei in der heutigen Zeit „ausgrenzend“. Demgegenüber betonte der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer in einer ausführlichen Antwort, es sei auch in unseren Tagen „historisch exakt und verantwortbar, vom ‚christlichen Abendland‘ zu sprechen“. Beide Bischöfe haben für ihre jeweilige Position ihre Begründung genannt.

Doch wer die Argumente betrachtet, versteht sofort, dass es sich bei dieser Diskussion nicht um eine Frage der Fakten und deren Interpretation handelt, etwa nach der Art, als müssten wir einfach eingestehen, dass unser säkularisiertes Europa schon längst nicht mehr als christlich bezeichnet werden kann. Der große Philosoph Josef Pieper (1904-1997) gab schon vor 60 Jahren zu bedenken, es sei nachvollziehbar, wenn diese Ausdruckweise in Frage gestellt werde. Denn es gehe hier um etwas anderes, als um eine Definition oder um politische Postulate. Das „christliche Abendland“ sei von seiner Geschichte her eine Wirklichkeit, die ihre Identität immer wieder neu gefunden und bestimmt habe, ein Prozess ständiger Entwicklung und Veränderung. Alles hänge von den Kräften ab, die sich in die Gestaltung des europäischen Kontinents einbrächten. Gerade mit diesen Überlegungen hat Pieper einen wertvollen Beitrag für die derzeitige Diskussion geleistet.

Wir müssen uns dabei ehrlich die Frage stellen: Glauben wir noch an die Sendung Europas, wie sie beispielsweise der hl. Johannes Paul II. gesehen hat? Sind wir davon überzeugt, dass allein Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist? Nehmen wir den Missionsauftrag des Evangeliums ernst? Stellen wir uns der göttlichen Berufung, Sauerteig für die Welt zu sein? Wagen wir auch daran zu denken, dass Gott selbst Europa als Zentrum für die Weltkirche auserwählt hat und von ihr ein unerschrockenes Zeugnis für die christlichen Werte wie unantastbare Würde jedes Menschen oder Ehe und Familie erwartet? Oder haben wir bereits kapituliert? Fürchten wir uns bereits vor weltanschaulichen Auseinandersetzungen beispielsweise mit den Muslimen?

Weder eine vollkommen säkularisierte noch eine islamisierte Gesellschaft kann die Welt zum Frieden führen. Das Christentum kann durch keine anderen Welt-entwürfe ersetzt werden. Auch ein allgemein akzeptierter Humanismus reicht nicht aus. Wir sehen, wie schnell es beispielsweise dazu kommen kann, dass die Abtreibung als Menschrecht eingefordert wird. Wir sind vielmehr überzeugt, dass die Völkerfamilie Jesus Christus als Retter und Erlöser braucht. Christus ist auch heute stärker als der „Geist der Welt“ und er möchte sein Reich in dieser Welt errichten. Aber dafür braucht er unerschrockene Zeugen, die auf die Macht seiner Auferstehung und die verwandelnde Gnade von oben vertrauen.

Wenn wir den Vortrag von Bischof Voderholzer in voller Länge wiedergeben, wollen wir damit nicht für den Ausdruck „christliches Abendland“ kämpfen. Es kommt uns nicht auf Formulierungen an, sondern darauf, dass wir den Weg mit Christus mutig gehen und unseren Erlöser nie verleugnen. Liebe Leser, in diesem Sinn wünschen wir Ihnen auf die Fürbitte der Gottesmutter Maria eine gesegnete Fastenzeit und sagen Euch für Eure großherzige Unterstützung unseres Apostolats ein aufrichtiges Vergelt`s Gott.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2+3/Februar+März 2019
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Bischof Voderholzer verteidigt den Begriff „Christliches Abendland“

Das Christentum ist die Seele Europas

Bischof Dr. Rudolf Voderholzer hat sich in der Diskussion um den Begriff des „christlichen Abendlandes“ sehr deutlich zu Wort gemeldet. Einen Festvortrag beim Neujahrsempfang der Region Altmühl-Jura am 16. Januar 2019 in Mindelstetten nütze er dazu, die Ausdrucksweise auch für unsere heutige Zeit zu verteidigen und ausführlich zu begründen. Die Seele Europas sei das Christentum, so Voderholzer, und deshalb sei es auch „historisch exakt und verantwortbar, vom ‚christlichen Abendland‘ zu sprechen“. Der Regensburger Bischof antwortete direkt auf die Stellungnahme von Reinhard Kardinal Marx, der bei einer Diskussion mit dem Publizisten Michel Friedman im Theater „Berliner Ensemble“ den Begriff „christliches Abendland“ für unser modernes Europa zurückgewiesen und als „ausgrenzend“ bezeichnet hatte. Nachfolgend der Vortrag mit geringfügigen Kürzungen.  

Von Bischof Rudolf Voderholzer

Vom 23. bis 26. Mai 2019 sind die Wahlberechtigen der 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zur Direktwahl der Abgeordneten für das Europäische Parlament aufgerufen. Die politischen Parteien sind gerade dabei, ihre Strategien für den Wahlkampf zu entwerfen und ihre Kandidatinnen und Kandidaten in Stellung zu bringen.

Und so stellen sich allen, die tiefer nachdenken und den Dingen auf den Grund gehen wollen, wieder einmal mit Dringlichkeit die Fragen: Was ist eigentlich Europa? Welches sind seine Wurzeln? Welches ist seine Herkunft, an der jede Gestaltung seiner Zukunft wird anknüpfen müssen? Was macht Europa aus jenseits dessen, dass es effektiver Wirtschaftsraum ist (oder es noch mehr sein könnte) und – jedenfalls weitgehend – durch eine gemeinsame Währung verbunden ist, die bezeichnender Weise „Euro“ genannt wird?

Europa müsse seine „Seele“ wiederentdecken, forderte Papst Franziskus im Jahr 2014 bei seiner Rede in Straßburg. Er griff dabei auf einen vom langjährigen Kommissionspräsidenten Jacques Delors im Jahr 1992 geprägten Terminus zurück.

Auf drei Hügeln gegründet: Akropolis – Capitol – Golgotha

Was ist die „Seele“ Europas, worin besteht sie? Vom früheren deutschen Bundespräsidenten Theodor Heuss stammt ein schönes Bildwort über das Wesen Europas, das auch eine erste Antwort auf diese Frage zu geben vermag. Europa, so Theodor Heuss, sei gegründet auf drei Hügeln:

Da ist zunächst die Akropolis von Athen, dann zweitens der Capitolinische Hügel, das Capitol in Rom, und schließlich drittens der Golgotha-Hügel in Jerusalem.

Die Akropolis steht für die griechische Tradition von Philosophie, die Größe und Wahrheitsfähigkeit der menschlichen Vernunft, die nach den letzten Gründen (archai) der Welt fragt. Europa ist demgemäß auch der Hort und Ursprungsort der wissenschaftlichen Welterklärung mit den Mitteln der menschlichen Vernunft. Die Akropolis steht darüber hinaus auch für den Ursprung der Demokratie als der besten Form des organisierten Zusammenlebens der Menschen in einer Polis, einem bürgerlichen Stadtstaat.

Der Capitolinische Hügel in Rom steht für die zweite Säule, auf der Europa ruht: die Tradition des römischen Rechtes. Rechtsstaatlichkeit und damit verbunden auch Rechtssicherheit sind Ausdruck und Kennzeichen Europas! Wir alle kennen zahlreiche Rechtsgrundsätze, die aus dem römischen Recht Allgemeingültigkeit erlangt haben: „In dubio pro reo“ – „Im Zweifel für den Angeklagten“, lautet einer davon. Alle europäischen Rechtssysteme, auch das katholische Kirchenrecht, gründen formal in der römischen Rechtstradition. Das Fehlen von Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit ist eines der größten Entwicklungshemmnisse in vielen Problemzonen unserer Erde.

Kommen wir zum dritten Hügel: Zu Europa gehört der Golgotha-Hügel vor den Toren Jerusalems, auf dem unser Herr Jesus Christus gekreuzigt wurde. Das Kreuz, Zeichen der unendlichen Liebe Gottes zu seiner Schöpfung, Zeichen der Erlösung aus der Kraft der Liebe, Zeichen, das Himmel und Erde verbindet, Inbegriff des christlichen Glaubens.

Europa, das heißt also: wissenschaftliche Ergründung der Welt, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, und – vor allem – das große Vorzeichen, das Kreuz, das Plus, das große Ja Gottes zu den Menschen.

Im Schutz des vierten Berges – Sinai und der Dekalog

Bemerkenswert an dem zuletzt genannten Hügel ist, dass er sich außerhalb der heute mit Europa bezeichneten geographischen Größe, außerhalb des Kontinents Europa erhebt. „Kontinent“ heißt ja wörtlich „Festland-Zusammenhang“. Das Heilige Land wird heute aber Asien zugerechnet. Daran zeigt sich, dass es sich bei Europa tatsächlich nicht um eine geographische oder wirtschaftliche Größe handelt, sondern um eine geistige Größe, die nicht starr an geographische Grenzen gebunden ist, jedenfalls die eine oder andere örtliche Verschiebung erfahren hat.

Dies wird noch deutlicher, wenn wir weitere Gesichtspunkte hinzufügen. Denn mit Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. muss man Theodor Heuss noch ergänzen. Hinter den drei Hügeln, insbesondere hinter dem Golgotha-Hügel, erhebt sich der Berg Sinai, der Ort der Gottesoffenbarung im Dekalog, dem „Zehnwort“, den „Zehn Geboten“. Im Christentum, symbolisiert im Kreuz, ist auch die jüdische Tradition, die Geschichte des von Gott auserwählten Volkes, aufbewahrt. Es gibt kein Europa ohne die Zehn Gebote: Schutz der Unversehrtheit des Lebens, Schutz der Ehe und Schutz des Familienzusammenhangs, Schutz des Eigentums, Schutz des guten Rufes eines Menschen. Wo die Zehn Gebote nicht geachtet werden, ist die Menschlichkeit in Gefahr. Wo die Zehn Gebote nicht geachtet werden, ist auch Europa in Gefahr. Wer die Gebote Gottes nicht beachtet, beleidigt nicht den großen und heiligen Gott, sondern er schadet sich selbst.

Um es in einem Bild zu sagen: Wer zum Himmel spuckt, trifft sich selbst. Denn weit kommen wir nicht!

Vieles von den Zehn Geboten ist mittlerweile auch in die Charta der Grundrechte Europas eingegangen. Die Begründung der unzerstörbaren Würde eines jeden Menschen, des ungeborenen ebenso wie des altersschwachen, ist ohne den Rekurs auf die biblisch bezeugte Gottebenbildlichkeit des Menschen und den Glauben an die Menschwerdung Gottes nicht zu bewerkstelligen, wie vor allem die Erfahrungen mit Rechtsauffassungen außerchristlicher Kulturen (etwa in China) zeigen.

Die Kraftquelle des fünften Berges – Montecassino und der hl. Benedikt

Eine Zusammenfassung, eine Bündelung dieser großen Traditionsstränge ist schließlich mit einem weiteren und letzten Berg verbunden, den ich nennen möchte: Montecassino in Italien zwischen Rom und Neapel gelegen, wo der hl. Benedikt im Jahr 529 das erste Kloster gegründet hat. Es war dasselbe Jahr, in dem in Athen die platonische Akademie auf Geheiß Kaiser Justinians ihre Tore schließen musste. Die Mönchsklöster sind, wie Papst Benedikt XVI. es oft mit einem Bildwort ausgedrückt hat, „geistige Kraftwerke“, nicht nur Orte des Glaubens und der Gottesverehrung, sondern gerade deshalb auch Zentren der Bildung und Kultur. Gerade in den Europa bis heute prägenden Jahrhunderten waren es die Klöster, die Europa wie ein Netz überzogen und zusammenhielten und durch ihr Dasein und Wirken das antike und jüdisch-christliche Erbe an die Zukunft weitergaben. Zu jedem Kloster gehörte und gehört die Bibliothek, die das Wissen der Jahrhunderte bewahrt und zugänglich macht. Die Frauen und Männer des geweihten Lebens stellten dabei ihr Tun unter das Vorzeichen der Gottesverehrung. „Nichts soll dem Gottesdienst vorgezogen werden“, lautet eine wichtige Regel des hl. Benedikt, und es zeigte sich: Wo Gott die erste Stelle eingeräumt wird, da kommt auch der Mensch nicht zu kurz. Im Gegenteil: Erst im Aufblick zu Gott erfährt der Mensch seine wahre Größe. Nicht umsonst ist der hl. Benedikt zum Patron Europas erklärt worden.

Zusammenfassend hat Kardinal Ratzinger, der sich dann als Papst den Namen des Europa-Patrons gab, 1980 in folgender Weise formuliert: „Europa ist Europa geworden durch den christlichen Glauben, der das Erbe Israels in sich trägt, aber zugleich das Beste des griechischen und des römischen Geistes in sich aufgenommen hat.“

Und in der Regensburger Rede Papst Benedikts XVI. vom 12. September 2006 heißt es ähnlich: Das angedeutete innere Zugehen, das sich zwischen biblischem Glauben und griechischem philosophischem Fragen vollzogen hat, „ist ein nicht nur religionsgeschichtlich, sondern weltgeschichtlich entscheidender Vorgang, der uns auch heute in die Pflicht nimmt. Wenn man diese Begegnung sieht, ist es nicht verwunderlich, dass das Christentum trotz seines Ursprungs und wichtiger Entfaltungen im Orient schließlich seine geschichtlich entscheidende Prägung in Europa gefunden hat. Wir können auch umgekehrt sagen: Diese Begegnung, zu der dann noch das Erbe Roms hinzutritt, hat Europa geschaffen und bleibt die Grundlage dessen, was man mit Recht Europa nennen kann.“

Man kann diese grundlegenden Überlegungen zur Seele Europas nun noch veranschaulichen etwa durch die Heiligen und die Kunst.

Die Spuren christlicher Heiligen durchziehen Europa

Die ersten Missionare in unserer Heimat waren Angelsachsen; der größte unter ihnen der hl. Bonifatius, der nicht nur für die geistig-geistliche Stärkung, sondern auch für die kirchliche Organisation unserer Heimatdiözesen Sorge getragen hat und nicht etwa die Verbindung mit der Insel seiner Herkunft, sondern mit Rom gestärkt hat.

Mit Bonifatius sind auch die Bistumspatrone von Eichstätt – der hl. Willibald und der aus Frankreich stammende hl. Korbinian, Bistumspatron von Freising – zu nennen. Und der hl. Wolfgang, mein großer Vorgänger, war ein Schwabe, der in der Schweiz ausgebildet wurde, in Trier gelehrt hat, in Regensburg Bischof wurde und weit nach Osten hin missioniert hat. Einer wie der andere Europäer von Format!

Da ist weiter der hl. Martin, der Soldat aus Ungarn, der Bischof wurde in Frankreich und uns nicht nur ein Beispiel tätiger Nächstenliebe, sondern auch das Vorbild eines eifrigen Missionsbischofs gegeben hat.

Da ist der hl. Vitus, Märtyrer aus Sizilien, verehrt zusammen mit den 14 Nothelfern in ganz Europa, und Patron der Kathedralkirche in Prag.

Denken wir an den hl. Johannes Nepomuk, der nicht nur die Brücken beschützt, sondern auch eine Brücke ist zwischen Bayern und Böhmen und der in ganz Europa verehrt wird als Patron der Beichtväter.

Zu erinnern ist an die hl. Elisabeth. Aus Ungarn stammend wurde sie Landgräfin in Thüringen. In ganz Europa wird sie verehrt als Patronin der Nächstenliebe und der Caritas.

Da ist der hl. Nikolaus, ein weiterer europäischer Heiliger. In Myra in Kleinasien war er Bischof. Seine Gebeine wurden nach Bari in Süditalien gebracht. In ganz Europa und weit darüber hinaus genießt er Verehrung und Ansehen als Wohltäter und Kinderfreund. Und viele mehr wären zu nennen.

Ganz Europa und auch die von Europa geprägten Regionen der Erde sind dementsprechend überzogen mit Städtenamen, die sich auf Heilige beziehen: St. Gallen, St. Moritz, Saint Etienne, St. Wolfgang usw. Oft sind es biblische Namen, und sie werden in die verschiedenen Sprachen übersetzt. Sie transportieren ihrerseits eine im Glauben gründende Vorbildlichkeit und das Vertrauen auf ein himmlisches Patronat.

Ich beschränke mich nur noch auf den hl. Apostel Jakobus. Sein Grab wird seit dem Mittalter im äußersten Westen der spanischen Halbinsel verehrt. Und dieses sein Grab, gleichsam am „Ende der Welt“ – das Cap „finis terrae“ ist ja nur wenige Kilometer entfernt, der westlichste Punkt der Iberischen Halbinsel – wurde das Ziel ungezählter Pilger aus ganz Europa. Santiago de Compostella ist der größte Wallfahrtsort Europas, und gerade jetzt wird er wieder neu entdeckt. Jakobuswege durchziehen ganz Europa.

Die Pilgerwege, die ganz Europa durchziehen, sind die Pulsadern des auf christlichen Fundamenten aufgebauten Europa. Zu ihnen gehören natürlich auch die Pilgerwege nach Jerusalem und nach Rom als die großen internationalen Wallfahrten. Zu ihnen gesellen sich kleinere und doch auch völkerverbindende Beziehungen auf der Ebene des christlichen Glaubens.

Auch hier ein Beispiel: Gegenläufig zum wachsenden Nationalismus erfuhr etwa der Marienwallfahrtsort Lourdes im Süden Frankreichs vor dem Ersten Weltkrieg eine signifikante Zunahme von Pilgern gerade auch aus Deutschland und von deutschen Katholiken. Lourdes wurde als katholischer, internationaler Wallfahrtsort wahrgenommen und aufgesucht. Erst der Krieg, entfesselt von einem zutiefst unchristlichen Nationalismus, machte die Wallfahrt einfach technisch unmöglich. Das bald nach dem Ersten und auch nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgenommene Wallfahrtswesen trug nicht unwesentlich zur Begegnung der Völker und zur Versöhnung bei.

Beim hl. Liborius, Bischof von Le Mans und nun Diözesanpatron des Erzbistums Paderborn, ist es bekannt: Die Beziehungen zwischen den beiden Städten Le Mans und Paderborn konnten auch die deutsch-französischen Kriege nicht abbrechen. Liborius vermittelte die Erfahrung: Als Katholik hat man Freunde im (eigentlich) „verfeindeten“ Aus-Land.

Die Seele Europas erstrahlt in der Geschichte seiner Kunst

Der christliche Glaube als Seele Europas hat sich ausgedrückt vor allem auch in der Kunst. In der Architektur vor allem, aber auch in der Malerei und in der Musik, die bis weit herauf in unsere Zeit vom Glauben inspiriert ist.

Da ist die Romanik, deren Kirchen uns zeigen, dass Gott und der Glaube an ihn eine feste und schützende Burg sind. In ganz Europa, von Sizilien bis nach Skandinavien, gibt es romanische Kirchen.

In der Gotik lösen sich die Wände aus Stein immer mehr auf und lassen das Licht durch farbige Fenster mit Heiligengestalten und Szenen der Heilsgeschichte herein. Die hochragenden Hallen und die spitzen Türme reißen den Beter und den Betrachter nach oben und erinnern ihn daran, dass der Mensch das Wesen ist, das von der Sehnsucht nach Gott erfüllt ist. Auch gotische Kirchen prägen ganz Europa. Der Veitsdom in Prag, der Regensburger Dom, der Kölner Dom, die Kathedralen in Frankreich, von wo die Gotik ihren Ausgang nahm, usw.

In der Renaissance kommt das reiche Erbe der Antike herein. Hier ist Italien der Ausgangspunkt für eine ganz Europa erfassende Stilrichtung.

Und schließlich ist da der Barock, die letzte gesamteuropäische, alle Kunstarten umfassende Epoche. Gerade in unseren Ländern lieben wir sie, die barocken Festsäle unserer Kirchen.

In allen Kunstrichtungen war der Primat Gottes der Motor. Unsere Städte haben eine Seele, sie sind nicht nur eine Ansammlung von Gebäuden und Häusern, sondern bieten strukturierte Heimat, sind zumeist gruppiert um die Kirche, die ihrerseits nach Osten ausgerichtet ist und auf diese Weise „Orientierung“ gibt.

Überall in Europa wird man so auch am Sonntag in einer Kirche einen christlichen Gottesdienst mitfeiern können. – Und wo Kirchen gebaut wurden, dort wurden auch Krankenhäuser gebaut, dort gibt es die Sorge um die Armen, um die Behinderten, die Alten und Schwachen, die Flüchtlinge und Heimatlosen. Aus dem Glauben folgte und folgt immer auch das sozial-caritative Engagement!

Der christliche Geist integriert die nationalen Kulturen Europas

Das Christentum hat im Prozess der Entwicklung Europas gezeigt, dass es die Kraft hat, verschiedene Sprachen und Kulturen zu integrieren. Bei der Nordost-Erweiterung in die skandinavischen Länder hinein, ebenso wie bei der Ost-Erweiterung zu den slawischen Völkern. Vorausgesetzt ist dabei eine gelebte Identität. Allein sie hat die Kraft, andere Elemente zu integrieren.

Das Christentum ist die prägende, die öffentlich prägende Kraft der Kultur Europas. Es gibt kein Europa im geistigen Sinn vor dem Christentum. Das schließt nicht aus, sondern ein, dass es immer auch Nischen und Ghettos gab und geben wird. Im Falle des Judentums war dies zunächst kulturbedingt und daher selbstgewählt. Aber die öffentlich prägende Kraft für Europa – was Menschenbild, Festkultur, Kalender, Rechtskultur, Architektur, darstellende Kunst usw. betrifft – ist das Christentum.

Die Seele Europas ist das Christentum, und deshalb ist es auch historisch exakt und verantwortbar, vom „christlichen Abendland“ zu sprechen. Ich halte es nicht für vernünftig, diesen Begriff und die Deutungshoheit darüber anderen zu überlassen, die nationalistische Interessen damit verbinden, die zutiefst einer katholischen Universalität widersprechen. Lassen Sie mich das in einige konkrete Diskussionsfelder hinein übersetzen.

Gottesbezug in der Verfassung

Sowohl im Deutschen Grundgesetz wie auch in der Bayerischen Verfassung wird ausdrücklich ein Gottesbezug genannt. Die Europäische Verfassung dagegen nimmt nur Bezug auf „das kulturelle, religiöse und humanistische Erbe Europas“, aus dem sich die Menschenwürde und weitere Grundrechte und Verfassungselemente ergeben. Dies muss man respektieren. „Aber eines hätte meiner Überzeugung nach“, so Joseph Ratzinger, „nicht fehlen dürfen: die Ehrfurcht vor dem Heiligen überhaupt, vor Gott, die sehr wohl auch demjenigen zumutbar ist, der selbst nicht an Gott zu glauben bereit ist. Wo diese Ehrfurcht zerbrochen wird, geht in einer Gesellschaft Wesentliches zugrunde. In unserer gegenwärtigen Gesellschaft wird gottlob jemand bestraft, der den Glauben Israels, sein Gottesbild, seine großen Gestalten verhöhnt. Es wird auch jemand bestraft, der den Koran und die Grundüberzeugungen des Islam herabsetzt. Wo es dagegen um Christus und um das Heilige der Christen geht, erscheint die Meinungsfreiheit als das höchste Gut, das einzuschränken die Toleranz überhaupt gefährden oder gar zerstören würde. Meinungsfreiheit findet aber ihre Grenze darin, dass sie Ehre und Würde des anderen nicht zerstören darf; sie ist nicht Freiheit zur Lüge oder zur Zerstörung von Menschenrechten“ (J. Ratzinger: Gläubige Christen als schöpferische Minderheit). Die Ehrfurcht vor dem Heiligen ist somit auch ein Wesensmoment Europas. Sage mir, was Dir heilig ist, und ich sage Dir, wer Du bist – möchte man zu bedenken geben.

Und wenn von Seiten der Religionskritik auf Andersgläubige verwiesen wird zur Begründung einer Zurückhaltung in dieser Frage der Aufnahme eines Gottesbezuges, so muss man mit Papst Benedikt XVI. em. zurückfragen: Wessen Identität soll die Berufung auf Gott in den Verfassungstexten eigentlich bedrohen? „Die Moslems, auf die man gerne verweist, fühlen sich nicht durch unsere christlichen moralischen Grundlagen beleidigt, sondern durch den Zynismus einer säkularistischen Kultur, die ihre eigenen Grundlagen verleugnet. Und auch unsere jüdischen Mitbürger werden durch den Verweis auf die christlichen Wurzeln Europas nicht beleidigt, denn diese Wurzeln reichen zurück bis in den Sinai: Sie sind von der Stimme geprägt, die am Gottesberg erging, und verbinden uns in den großen Grundorientierungen, die der Dekalog der Menschheit geschenkt hat.

Dasselbe gilt vom Gottesbezug: Nicht die Nennung Gottes beleidigt die Angehörigen anderer Religionen, sondern vielmehr der Versuch, die menschliche Gemeinschaft gänzlich ohne Gott zu konstruieren.“ Ich kann diese Beobachtung mittlerweile von meinen pastoralen Erfahrungen her nur bestätigen. Es sind muslimische Jugendliche, die als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in den Einrichtungen der katholischen Jugendfürsorge bei uns aufgenommen worden sind und die täglich mehrmals beten und so unseren eigenen Jugendlichen wieder bewusst machen, dass das Gebet wesentlicher Bestandteil des Lebens ist. Und die Ehe- und Familienberater im Dienst der Caritas sagen mir, dass muslimische Ratsuchende bewusst zu ihnen kommen, weil sie davon ausgehen, dass ihnen die Verbindung von Mann und Frau heilig ist und sie unter dieser Voraussetzung beraten werden.

Kreuz im öffentlichen Raum

Deswegen habe ich auch für den Kreuz-Erlass des bayerischen Ministerpräsidenten vom April letzten Jahres meine Stimme erhoben zusammen mit dem evangelischen Regionalbischof Hans-Martin Weiss. Wir haben versucht, den ganzen Vorgang auf seine wesentliche Fragestellung hin zu vertiefen und im Sinne dessen, was ich Ihnen darzulegen versucht habe, den Kreuzerlass zu begründen:

„Das Kreuz ist ein kostbares Erinnerungszeichen. Es ruft in Erinnerung, dass das ‚Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen‘ zu den Grundwerten unseres Gemeinwesens und insbesondere unserer verfassungsmäßigen Ordnung gehört (vgl. die Präambel des Grundgesetzes). Die Väter und Mütter der Bayerischen Verfassung haben nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und unter dem Eindruck der Selbstvergötzung des Staates mit den bekannten verheerenden Folgen für Europa und die ganze Welt dem Verfassungstext eine ‚Invocatio Dei‘ (Anrufung Gottes) vorangestellt und darüber hinaus die Ehrfurcht vor Gott als Bildungsziel formuliert. Dies geschah in der Überzeugung, dass eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft von Voraussetzungen lebt und auf Fundamenten aufbaut, die sie selbst nicht garantieren kann, um es mit Ernst-Wolfgang Böckenförde zu formulieren. Historisch und sachlich betrachtet ist in unserer bayerischen Heimat die christliche Religion das Fundament der staatsbildenden Grundwerte. Das im christlichen Glauben gründende Wertesystem prägt und formt unsere Gesellschaft positiv, und zwar auch dort, wo ihr dies längst nicht mehr bewusst ist.“

Festzuhalten gilt damit auch: Zu den Grundlagen Europas, die ihm das Christentum vermittelt hat, gehört die grundsätzliche Unterscheidbarkeit von „weltlich“ und „sakral“, von dem, was dem Kaiser, und dem, was Gott gehört. Diese Unterscheidung darf sich aber nicht in eine strikte Trennung verirren. Denn, ich wiederhole es, gerade auch der säkulare Staat lebt von Grundlagen, die er selbst nicht garantieren und herstellen kann.

Sonntag als Ruhetag

Zu den kulturprägenden Elementen eines christlichen Europa gehört auch die Entscheidung Kaiser Konstantins, dass er im Jahr 321 die Sieben-Tage-Woche gesetzlich eingeführt und damit dem Abendland die vom jüdisch-christlichen Offenbarungsglauben her als göttlich begründete Zeitstruktur geschenkt hat. Eine Zeitstruktur, die, gleichermaßen am Rhythmus der Sonne und des Mondes Maß nehmend, der Ruhe und der Muße ihr Recht gibt und den Menschen schützt vor der Versklavung an die Arbeit. Und Kaiser Konstantin war es auch, der den Sonntag gesetzlich von Lohn-Arbeit und Gerichtsterminen befreit und ihn so positiv frei gemacht hat für die gottesdienstliche Versammlung am helllichten Tag und die Feier der Eucharistie nicht nur am Abend oder vor Sonnenaufgang. Der Sonntag als erster Tag der Woche, der Tag der Auferstehung Jesu Christi, der bereits in neutestamentlicher Zeit die Vorzüge und Würden des Sabbats an sich gezogen hatte, wird somit der Urfeiertag des Abendlandes.

Es gibt schon genügend Menschen, die für den Sonntag arbeiten. In der Gastronomie, im öffentlichen Nah- und Fernverkehr, auch in der Kirche, bei der Polizei, in den Krankenhäusern und sozialen Einrichtungen, etc. Auch der Bischof gehört zu denen, die am Sonntag für den Sonntag arbeiten.

Ich will mich jetzt gar nicht in die Einzelheiten der Diskussion vertiefen – man müsste hier auch den Verdrängungswettbewerb der großen Geschäfte gegen die kleinen zur Sprache bringen, auch einen Verdrängungswettbewerb der Stadt gegen das Land. Und das Argument, dass der Internethandel den Einzelhandel ausbootet, sticht auch nicht – dieses Problem ist auch durch die weitere Aushöhlung des Sonntags nicht zu lösen.

Ich verweise aber auf die unbestrittene „soziale“ Bedeutung des Sonntags: Wenn jeder einzelne sich die Rahmenbedingungen seiner Freizeitgestaltung selber schafft, gibt es bald keine gemeinsamen Aktionsmöglichkeiten mehr. Gerade auch als überindividuelle Institution ermöglicht der Sonntag als gemeinsamer Feiertag auch eine Fülle von gemeinschaftsstiftender, identitätsstiftender Aktivitäten. Deshalb ist er – noch weit über das kirchliche Anliegen hinaus – auch als Kulturgut höchsten Ranges, als soziale Einrichtung, über die Maßen schützenswert gegenüber allen ökonomischen Verrechnungs- und Vereinnahmungsversuchen.

Ausblick

Von mancher Seite wird heute die Gefährdung des christlichen Abendlandes beschworen. Und ich gehöre zu denen – Sie wissen es vielleicht –, die diese Sorgen nicht einfach von der Hand weisen. Ich wiederhole aber auch hier, was Peter Scholl-Latour, einer der besten Kenner des Orients und des Islam, schon vor etlichen Jahren gesagt hat: „Sorgen muss sich Europa nicht machen wegen der Stärke des Islam, sondern wegen seiner eigenen geistigen Schwäche.“ Ganz ähnlich hat Papst Franziskus etwa anlässlich der Verleihung des Karls-Preises eine gewisse „Müdigkeit“ und „Kraftlosigkeit“ Europas beklagt.

Nicht mit einer Klage aber will ich enden, sondern mit einem Wort der Ermutigung, und dazu einen kurzen Blick auf das einfache, überhaupt nicht spektakuläre Leben der inzwischen heiliggesprochenen Anna Schäffer hier in Mindelstetten werfen. Dass eine weit über die Hälfte ihres Lebens ans Bett gefesselte Frau, die dieses ihr Schicksal in einem bewundernswerten Glauben annehmen und meistern konnte, dass eine Frau, die eigentlich in die Mission nach Afrika gehen wollte und zum Schluss auf die vier Wände ihres Krankenzimmers eingeengt war, trotzdem zur Glaubensbotin und zum Vorbild gerade auch für so viele junge Menschen werden konnte, gerade auch heute, das gibt mir ungemein viel Zuversicht in die vorhandenen zukunftsprägenden und zutiefst menschlichen Kräfte des Christentums.

Europa hat eine Seele! Unsere Heimat hat eine Seele. Sie hat unsere Heimat so lebens- und so liebenswert gemacht. Es ist der christliche Glaube. Es kommt darauf an, diese Seele nicht verkümmern zu lassen, sondern frohgemut zu leben!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2+3/Februar+März 2019
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Ein Klärungsversuch zur aktuellen Debatte

Was heißt „Christliches Abendland“?

Das Ehepaar Koch, das sich intensiv mit christlicher Europapolitik beschäftigt, zeigt sich erfreut über die Rede des Regensburger Bischofs Dr. Rudolf Voderholzer zum Thema „Christliches Abendland“. Doch gehen Prof. Dr. Wolfgang Koch und seine Frau Dorothea über die geschichtliche Darstellung hinaus und behandeln die Frage in einem philosophischen Licht. Dabei greifen sie auf Überlegungen von Josef Pieper (1904-1997) zurück, der bereits 1957 eine kleine Schrift mit dem Titel „Was heißt ‚Christliches Abendland‘?“ veröffentlicht hat. Ein erhellender Beitrag zur aktuellen Debatte.  

Von Dorothea und Wolfgang Koch

Um das „christliche Abendland“ ist eine Debatte entbrannt. Reinhard Kardinal Marx wendet sich gegen diesen Begriff, berichtet das Internetportal der Deutschen Bischofskonferenz und zitiert ihren Vorsitzenden: „Davon halte ich nicht viel, weil der Begriff vor allem ausgrenzend ist“. Dies verkenne die „große Herausforderung, in Europa dafür zu sorgen, dass verschiedene Religionen mit jeweils eigenen Wahrheitsansprüchen friedlich zusammenleben“.[1]

Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer verteidigt dagegen die Rede vom „christlichen Abendland“. Angesichts der christlichen Prägung Europas sei es vernünftig, diesen Begriff zu verwenden. Die Deutungshoheit darüber dürfe nicht anderen überlassen werden, „die nationalistische Interessen damit verbinden, die zutiefst einer katholischen Universalität widersprechen“. Der christliche Glaube sei die „Seele Europas“.[2]

Aber was heißt denn nun eigentlich „Christliches Abendland“?

Eine vergessene Antwort

Josef Pieper (1904-1997), Professor für Philosophische Anthropologie an der Universität Münster, füllte noch lange nach seiner Emeritierung Vortragssäle der deutschen Städte. „Seine zahlreichen Bücher erzielten Auflagenhöhen, von denen die meisten seiner Fachkollegen nur träumen können“, heißt es in der Rezension seiner 2008 abgeschlossenen Werkausgabe. „Pieper gehört zweifellos zu den erfolgreichsten Philosophen in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. […] Es wird allerhöchste Zeit, sich mit dem Denken Piepers ernsthaft auseinanderzusetzen."[3]

Josef Pieper widmet der Frage „Was heißt ‚Christliches Abendland‘?“ eine kleine Schrift, die 1957 zuerst erschien.[4] Auch damals rechnet er mit Zweifeln, ob auf die Frage nach dem christlichen Abendland eine verbindliche, über bloß rhetorische Kulturprogrammatik hinausgreifende Antwort überhaupt zu erwarten sei. Wie ein Blick in die zeitgeschichtliche Literatur zeigt, wurde „Abendland“, genauso wie heute, auch in den 1950-er Jahren zunehmend zum ideologisch aufgeladenen „Kampfbegriff“, der in unterschiedlichsten Zusammenhängen nutzbar war. Unter dem „abendländischen Banner“ wurden offenbar auch fragwürdige Inhalte transportiert.[5]

Western Civilization

Die „Echtheits- und Schlichtheitsprobe einer Übertragung in die rücksichtslose Nüchternheit des Englischen“ ist für Pieper „zweifellos“ gesund. Denn sie verweise darauf, dass „Abend“ hier in der Tat schlichtweg die Himmelsrichtung des Sonnenuntergangs bedeute, also Westen. Der Westen, die westliche Geistesart sei es, wodurch der vielfältige Ausgangsbestand zu dem geworden sei, was heute „abendländische Kultur“ genannt werde. Der Westen: das sei freilich nicht das Lateinische, das West-Römische allein; mit gemeint seien auch die jungen Völker, die von Norden her in das Weströmische Reich eingedrungen seien und das Lateinische gelernt hätten.

Piepers Antwort auf die Frage nach dem christlichen Abendland ist zunächst überraschend: „Abendländische Kultur“ oder „Western Civilization“ sei „auf christliche Theologie gegründete Weltlichkeit“. Diese Fügung sei von Natur und von Anfang an gespannt. „Weltlichkeit“ habe natürlicherweise die Tendenz, sich von Theologie und Religion zu lösen, Religion sei immer in der Versuchung, „unweltlich“ zu werden. Beide Elemente zusammenzudenken und zusammenzuleben sei „christliches Abendland“.

„Christlich gegründete Weltlichkeit“

Mit diesem Richtbild wird für Pieper ein Ziel formuliert, von dem nicht zu erwarten sei, dass es in endgültiger Ausgewogenheit realisiert sein könnte. Das Abendländische sei daher nicht ein fester Bestand von Institutionen oder Errungenschaften, der unverändert weitervererbt werden könne, sondern ein geschichtlicher Entwurf, der unter stets sich verändernden Bedingungen immer neu in geschichtliche Wirklichkeit umgesetzt werden müsse. Unabendländisch wäre sowohl eine von keiner Weltverpflichtung beunruhigte Religiosität als auch eine von keinem überweltlichen Anruf beunruhigte Weltlichkeit.

Der Begriff der „theologisch gegründeten Weltlichkeit“ umfasst nach Pieper „bejahende Zuwendung zur Welt“. Erstens seien alle Dinge, auch die sichtbaren, auch die natürliche Vernunft gut, weil sie von Gott geschaffen seien. Der zweite Grund entstamme der Theologie der Sakramente: Wenn die sichtbaren Dinge zum Werkzeug und Vehikel des Heiles werden könnten, müssten sie Bejahung fordern. Theologisch sich begründende Bejahung der natürlichen Wirklichkeit bedeute, dass Eros, Technik, politische Macht, Wissenschaft, der ganze Bereich des Weltlichen trotz seiner Ambivalenz ausdrücklich als „zugehörig“, d.h. als integrierbar, deklariert seien.

Das benediktinische Europa

In diesem Sinn kann Benedikt von Nursia (um 480-547) als abendländischer „Gründungsheiliger“ gelten, der aus römischem Geist das orientalische Mönchstum der Wüstenheiligen und Anachoreten zu einer Gemeinschaft formte, die aus den Trümmern der Antike das Geistesleben neu erwachsen ließ. Das Gleichgewicht zwischen „ora et labora“, zwischen Dienst an Gott und Arbeit in und an der Schöpfung, die vernünftige Unterscheidung des Zuträglichen und des Übertriebenen, das Bild des Menschen als eines gleicherweise in Fleisch und Geist erschaffenen Wesens, kennzeichnet die benediktinische Lebensform.

Für Josef Pieper markiert Benedikt jedenfalls den Anfang des „Mittelalters“: „Im Jahre 529 schließt ein Erlass des christlichen Kaisers Justinian die platonische Akademie in Athen, die dort, unter dem gleichen Namen, durch neunhundert Jahre bestanden hat. In demselben Jahre aber geschieht noch etwas anderes: der heilige Benedikt gründet Monte Cassino; das heißt, es entsteht, zwischen Rom und Neapel, hoch über einer der Heerstraßen der Völkerwanderung, das erste Benediktinerkloster. – Hier also wird in der Tat so etwas wie eine Grenze sichtbar, an welcher zwei Zeitalter, ein abgelebtes und ein beginnendes, einander berühren."[6]

Wenige Tage nach seiner Amtseinführung erinnert Papst Benedikt XVI. in diesem Sinne „an die herausragende Gestalt des großen ‚Patriarchen des abendländischen Mönchtums‘, an den hl. Benedikt von Nursia, der zusammen mit den heiligen Cyrill und Methodius Patron von Europa ist."[7] Dieser Heilige sei ein grundlegender Bezugspunkt für die Einheit Europas und nachdrücklicher Hinweis auf die unverzichtbaren christlichen Wurzeln der europäischen Kultur und Zivilisation.

Adenauers Abendland

Die Begegnung mit dem benediktinischen Mönchstum prägt den bundesdeutschen Gründungskanzler entscheidend, als er sich in der Abtei Maria Laach in den nationalsozialistischen Verfolgungsjahren verbirgt. „Ich nahm auch häufig teil an den Gottesdiensten der Benediktiner. In einem solchen Kloster ist ja eine ganz besondere Atmosphäre, und namentlich bei diesen Benediktinern waren zum Teil hochgebildete Leute, und das Jahr hat mir sehr gut getan."[8] „Ein Gebetsstuhl trägt die Aufschrift ‚Maria Laach 1933-34‘“, beobachtet Rudolf Augstein bei seinem ersten Besuch Adenauers in dessen Rhöndorfer Wohnhaus.[9] Adenauers Sohn Georg erzählt, wie er seinen Vater dort beten gesehen habe. Der Gebetsstuhl wird in der neugestalteten Ausstellung des Adenauer-Hauses gezeigt.

Eine Statue im Eingangsbereich des Adenauer-Hauses ist ein weiteres Indiz. Dargestellt ist der hl. Sturmius (nach 700-779), Gründer und erster Abt des Benediktinerklosters Fulda, Schüler des hl. Bonifatius (um 672-754), des „Apostels der Deutschen“. Eine weitere Spur, die von Adenauer zu Benedikt führt, lässt sich auf dem Monte Cassino entdecken. Beim Wiederaufbau der 1944 völlig zerstörten Abtei, dem Mutterkloster aller Benediktiner, stößt man auf die Fundamente der Kapelle, die Benedikt dort errichtete. Adenauer stiftet für diesen Ort eine Gruppe von Bronzefiguren, die Benedikts Sterbeszene vergegenwärtigt.

Christliches Abendland und Politik

Auf politisches Handeln angewendet, besagt der Gedanke einer „auf christliche Theologie gegründeten Weltlichkeit“ insbesondere, dass Adenauers Ziele als Bundeskanzler und europäischer Politiker für ihn nicht nur pragmatisch zu erreichende, sondern letztlich im Sinne des „Christlichen Abendlandes“ religiös verankerte Ziele sind. Zu diesen Zielen gehörten der Wiederaufbau Deutschlands nach dem Krieg, die Wahrung des Friedens in Europa, die Aussöhnung mit dem jüdischen und französischen Volk, die Wiedergewinnung und der Erhalt des politischen Gewichts Deutschlands und Europas in der Welt, wirtschaftlicher Erfolg und Wohlstand sowie kultureller Austausch zwischen den europäischen Nationen.

Pieper und Adenauer wurzeln in einer noch ungebrochenen kirchlichen Tradition, in der gleichen, Denken und Handeln umfassenden „katholischen Lebenswelt“. Dieser Wurzelgrund lässt es plausibel erscheinen, dass der Philosoph differenziert formuliert, was den Staatsmann in seiner politischen Praxis leitet und Papst Benedikt XVI. Jahrzehnte später im Deutschen Bundestag bekräftigt.

Adenauers Äußerungen fügen sich im Licht von Piepers Antwort auf „Was heißt ‚Christliches Abendland‘?“ zu einem kohärenten Bild. „Theologisch sich begründende Bejahung der natürlichen Wirklichkeit“ ermöglicht dem gläubigen Katholiken Konrad Adenauer, sich weltzugewandt den unterschiedlichsten Aspekten der Wirklichkeit in unmittelbarer Anteilnahme zu widmen.

Nahum Goldmann, Gründer und langjähriger Präsident des Jüdischen Weltkongresses, spricht in diesem Sinne von Synthesen, die Adenauer charakterisierten: „eine Verbindung von großer politischer Gewandtheit und Begabung mit einer im tiefsten auf sittlichen und religiösen Prinzipien basierten Weltanschauung. Wie jeder erfolgreiche Politiker erscheint Adenauer manchmal nur Taktiker zu sein, nur auf Erfolg aus. […] Doch in der Tiefe seines Wesens, scheint es mir, ist er von hohen moralischen Überzeugungen beherrscht, die die Ziele seiner Politik fundamental bestimmen."[10] Dies habe ihm ermöglicht, in der entscheidenden formativen Periode des nachhitlerischen Deutschland, das deutsche Volk, jedenfalls den in der Bundesrepublik staatlich organisierten Teil, ohne Reservationen und bedingungslos in eine bewusste Integration innerhalb der freien Welt zu führen.

Die Aktualität des Abendlands

Aus Vorstellung des christlichen Abendlands entstand das moderne Europa. Seine großen Gründergestalten – Adenauer, De Gasperi und Schuman – wuchsen in dieser Tradition auf. Aus ihr lebten sie bis zum Tod und schöpften die Kraft ihres politischen Wirkens. Das christliche Abendland war eine politisch, gesellschaftlich, kulturell und für das Leben der Einzelnen hochwirksame Vorstellung. Nach totaler Zerstörung materieller, geistiger und moralischer Art half sie, etwas durchaus wieder „Lebbares“ neu aufzubauen. Auch heute kann das christliche Abendland ein Orientierungspunkt für verantwortungsbewusstes staatsbürgerliches Handeln sein und für waches geistiges Leben in allen Dimensionen. Wer sich davon verabschiedet, durchtrennt den lebendigen Strom, aus dem Europa lebt, und nimmt Christen die Kraft, auch in der Politik als Christen zu wirken.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2+3/Februar+März 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Kardinal Marx kritisiert Begriff „christliches Abendland“, 11.01.2019, www.katholisch.de
[2] Bischof Voderholzer verteidigt Begriff „christliches Abendland“, 17.01.2019, www.katholisch.de
[3] M. GERWING (2008): Der Ghostwriter des Papstes, in: F.A.Z., 19.9.2008.
[4] J. PIEPER (1957): Was heißt „Christliches Abendland“?, Werke, Bd. 8.1,2, Hamburg, 444ff.
[5] A. SCHILDT (1999): Zwischen Abendland und Amerika, Oldenbourg, 24ff.
[6] J. PIEPER (1960): Scholastik. Gestalten und Probleme der mittelalterlichen Philosophie, Werke, Bd. 2, 304.
[7] BENEDIKT XVI. (2005): Generalaudienz am 27. April 2005, www.vatican.va
[8] In: D. u. W. KOCH (2013): Konrad Adenauer – Der Katholik und sein Europa, Kißlegg 32018, 43.
[9] R. AUGSTEIN (1948): Es gibt nur einen Adenauer. Warum dann nicht ich?, in: Der Spiegel, 16.10. 1948.
[10] N. GOLDMANN (1963): Abschied vom Kanzler. Er gehört zu den Auserwählten, in: Der Spiegel, 9.10.1963. 

Keine Selektion von Embryonen auf Kosten der Versichertengemeinschaft!

Im Zusammenhang mit dem Entwurf der Bundesregierung zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nun unversehens eine Änderung eingebracht, die die volle Kostenübernahme der Präimplantationsdiagnostik (PID) durch die gesetzlichen Krankenkassen vorsieht. Hierzu nimmt die Vorsitzende der Christdemokraten für das Leben e.V. (CDL), Mechthild Löhr, wie folgt Stellung.  

Von Mechthild Löhr

Die CDL weist den Vorschlag des Bundesgesundheitsministers zur Übernahme der Kosten einer PID durch die gesetzliche Krankenversicherung entschieden zurück. Es kann nicht sein, dass die Selektion von Embryonen künftig durch die Solidargemeinschaft gesamtgesellschaftlich finanziert und damit staatlicherseits als unterstützungswürdig deklariert wird. Auch ein Embryo in der Petrischale hat ein Recht auf Leben (lt. EschG), selbst wenn dessen genetische Disposition nicht den gesundheitlichen Hoffnungen und Erwartungen der Eltern entspricht.

Bei einer vollständigen Kostenübernahme wird die PID mit Sicherheit demnächst als Regelleistung in Anspruch genommen. Schon jetzt steigen die Zahlen bei der PID-Nutzung jährlich stetig weiter an. Die Kostenübernahme durch Dritte würde eine zusätzliche starke Anreizstruktur schaffen, ein unter Umständen behindertes Kind auf jeden Fall genetisch auf bestimmte Indikationen testen zu lassen und dann gegebenenfalls zu „entsorgen“.

Der Gesetzgeber hat 2011 die PID nur unter bestimmten, wenn nicht präzisen Bedingungen zugelassen. Weil es nicht zu einer wahllosen Ausweitung der Indikationen kommen sollte und um zu verhindern, dass die PID zu einer „normalen Regelleistung“ würde, hatte der Gesetzgeber die PID bewusst nicht in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen.

Sollte der Änderungsantrag von Minister Spahn eine Mehrheit im Bundestag finden, wäre nicht nur der Ausweitung der Indikationen der Weg geebnet, sondern auch eine zusätzliche Hemmschwelle genommen, die PID als Selektionsinstrument kostenfrei durchzuführen. Die Selektion von Embryonen würde damit ein weiteres Mal staatlich legitimiert. Der Staat signalisierte damit deutlich, dass er die Geburt genetisch „unbedenklicher“ Kinder unterstützt und stigmatisiert damit gleichzeitig alle Eltern, die trotz potentieller genetischer Risiken ohne IVF und PID ihre Kinder auf natürlichem Wege zeugen und sie dann trotz eventueller Behinderungen auch annehmen.

Gerade vor dem Hintergrund der in Kürze stattfindenden Orientierungsdebatte im Deutschen Bundestag zum Umgang mit nicht-invasiven vorgeburtlichen Bluttests setzt der Bundesgesundheitsminister aus Sicht der CDL bedauerlicherweise ein weiteres völlig falsches und irritierendes Signal. Ganz offensichtlich ist dies weder Linie noch Beschlusslage der Unionsparteien. Im Gegenteil: Wie bereits bei der von ihm eingebrachten und favorisierten Widerspruchslösung bei der Organspende provoziert er hier in befremdlicher Weise mit einer ministerlichen Einzelaktion, die das Recht auf Leben und Unversehrtheit gerade in der besonders verletzlichen Situation am Lebensanfang und am Lebensende zur Disposition stellen will.

Nachdem Jens Spahn erst in der jüngsten Vergangenheit, gerade auch während seiner Kandidatur für den CDU-Parteivorsitz und in Gesprächen erfreulicherweise immer wieder darauf hingewiesen hatte, wie wichtig ihm das Lebensrecht ist, muss hier an seiner Glaubwürdigkeit ernsthaft gezweifelt werden.

Es ist höchste Zeit, dass die Partei und die neue Vorsitzende Annette Kramp-Karrenbauer jetzt ein klares Signal setzt, dass Minister Spahn nicht die Zukunftsposition der Union markiert! Denn die Union darf nach vielen falschen Entscheidungen in der Vergangenheit jetzt unter neuer Führung beim Schutz des Lebens nicht noch weiter an Glaubwürdigkeit verlieren. Im Gegenteil, dies muss vielmehr, wie derzeitig z.B. durch die erfreulich klare Ablehnung der Streichung des §219a StGB (Werbeverbot für Abtreibungen) durch die CDU/CSU-Fraktion, wieder neu als besonderes Anliegen der Unionsparteien erkannt und aufgebaut werden.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2+3/Februar+März 2019
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Fatima und die junge Bundesrepublik (Teil 14)

Adenauers politische Pädagogik

Im 14. Teil ihrer Artikelserie über den unerwarteten Aufstieg Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg bringen Professor Dr. Wolfgang Koch und seine Frau Dorothea eine Grundsatzrede Konrad Adenauers in Erinnerung, die er am 24. März 1946 gehalten hat. Sie sei heute so aktuell wie damals, meint das Ehepaar Koch und verweist auf ein Buch des Godesberger Pfarrers und Bonner Stadtdechanten Wolfgang Picken mit dem Titel „WIR. Die Zivilgesellschaft von morgen“. Hinter der „Neuen Zivilgesellschaft“ des integren und hochengagierten Priesters steht das sog. „community organizing“, das in Deutschland von dem Jesuiten Prof. Dr. Leo Joseph Penta propagiert wird. Dessen Gedanken wiederum gehen auf den US-amerikanischen Bürgerrechtler Saul David Alinsky (1909-1972) zurück, der neomarxistisches Denken mit katholischer Soziallehre in Einklang zu bringen versucht. Die Pädagogik Adenauers gebe darauf eine treffende Antwort, da sie die entscheidende Rolle der einzelnen Person in ihrer Rückbindung an ihr religiöses Fundament hervorhebe. Und darin stimme der Ansatz Adenauers genau mit den Schwerpunkten der Fatima-Botschaft überein. Dem Ehepaar Koch geht es nicht darum, die Bedeutung der „communio“ für die Kirche zu schmälern, sondern Einzelperson und Gemeinschaft im richtigen Verhältnis zueinander einzuordnen. Denn wenn es nicht christlich geprägt ist, bestehe die Gefahr, dass in Zukunftsentwürfe kirchlichen Lebens eine neue Gestalt jener Irrtümer einziehe, vor denen die Gottesmutter in Fatima gewarnt habe.  

Von Dorothea und Wolfgang Koch

Es stimmt etwas nicht!“ – Unsere Gesellschaft zeigt alarmierende Kollapssymptome, analysiert der Pfarrer von Godesberg.[1] Der promovierte Politikwissenschaftler steuert Organisationsabläufe wie in größeren mittelständischen Unternehmen und weiß wovon er spricht. Denn im größten Pastoralbezirk des Kölner Erzbistums zeigen sich die Probleme der bundesrepublikanischen Gesellschaft wie in einem Brennglas. – Was geschieht, wenn die Kirchen so schwach werden, dass ihr soziales Netz reißt, fragt er, und die Zahl der Kirchenmitglieder drastisch sinkt? Unter welchen Voraussetzungen wäre community organizing[2] eine Antwort für die „Zivilgesellschaft von morgen“?

Pilgerfahrt nach Fatima

Für den deutschen Papst sind die Ereignisse von Fatima „ein übernatürlicher Impuls, der nicht bloß der Vorstellungskraft einer Person entspringt, sondern tatsächlich von der Jungfrau Maria, vom Übernatürlichen herkommt“. In subjektiver Ausdrucksweise verberge sich ein Inhalt, „der darüber hinausgeht, der tiefer ist, und nur im Lauf der Zeit können wir die ganze Tiefe sehen“.[3]

Fatima hat „Realitäten der Zukunft der Kirche aufgezeigt, die sich nach und nach entfalten und zeigen“, deutet Benedikt das „Dritte Geheimnis“. Wir sähen die Notwendigkeit eines Leidens der Kirche „und daher werden Leiden der Kirche angekündigt. … Unter dem Neuen, das wir heute in dieser Botschaft entdecken können, ist auch die Tatsache, dass die Angriffe gegen den Papst und die Kirche nicht nur von außen kommen, sondern die Leiden der Kirche kommen gerade aus dem Inneren der Kirche, von der Sünde, die in der Kirche existiert. … Heute sehen wir es auf wahrhaft erschreckende Weise: Die größte Verfolgung der Kirche kommt nicht von den äußeren Feinden, sondern erwächst aus der Sünde in der Kirche.“ Daher müssten wir das Wesentliche neu lernen: „die Umkehr, das Gebet, die Buße und die göttlichen Tugenden“.

Auch dies meint Benedikt also, wenn er einschärft: „Wer glaubt, dass die prophetische Mission Fatimas beendet sei, der irrt sich."[4]

Worin besteht die Pädagogik Fatimas? Sie ist realistisch darauf gefasst, „dass das Böse immer angreift, von innen und von außen“, weiß aber auch: „die Muttergottes ist für uns eine sichtbare, mütterliche Garantie der Güte Gottes, die immer das letzte Wort in der Geschichte ist“. Wie so oft suche Gott nach Gerechten, um die Stadt der Menschen zu retten. „Ebendies tut er hier, in Fatima, wenn die Muttergottes die Frage stellt: ‚Wollt ihr euch Gott hingeben, um alle Leiden ertragen zu können, die er euch aufzubürden gedenkt, als Sühne für die Sünden, durch die er geschmäht wird, und als flehentliche Bitte um die Bekehrung der Sünder?‘“

Adenauers Pädagogik

Inmitten eines zerstörten Landes beginnt Adenauer den Neuanfang. Er fragt zuerst, wie „dieser Absturz des deutschen Volkes ins Bodenlose möglich“ gewesen sei und benennt eine Erziehungsaufgabe: „Wir nennen uns christliche Demokraten, weil wir der tiefen Überzeugung sind, dass nur eine Demokratie, die in der christlich-abendländischen Weltanschauung, in dem christlichen Naturrecht, in den Grundsätzen der christlichen Ethik wurzelt, die große erzieherische Aufgabe am deutschen Volk erfüllen und seinen Wiederaufstieg herbeiführen kann."[5]

Ein ganzes Volk müsse zu Verantwortungsbewusstsein und zu Selbstständigkeit erzogen werden, analysiert er am 24. März 1946 in der Aula der Kölner Universität und fordert: „Wir wollen Erziehung, aber nicht zu der Bereitwilligkeit, sich kontrollieren und führen zu lassen, sondern zu dem Willen und der Fähigkeit, sich als freier Mensch verantwortungsbewusst in das Ganze einzuordnen. Diese Erziehung soll in christlichem und demokratischem Geist geschehen, und sie soll insbesondere allen jüngeren Menschen den Zugang in ihnen bisher verschlossene, jedoch allgemeingültige menschliche Überzeugungen und Haltungen öffnen.“

„Die tiefsten Kräfte erwecken“

Ergreifend schildert er „die heimatlose, durcheinandergeschobene, atomisierte Masse“, als die sich 1946 das deutsche Volk darstelle. Jedes Einzelwesen müsse angesprochen und zu Selbstbewusstsein und Verantwortungsgefühl geführt werden: „Wie weit das gelingt, ist heute die Schicksalsfrage unseres Volkes.“

Dabei weiß Adenauer, dass jede Umkehr und Neuausrichtung wesentlich religiöse Dimensionen besitzt: „Das deutsche Volk ist zur Zeit in einem derartigen geistigen und seelischen Zustand, es ist derartig alles, schlechthin alles bei ihm zusammengebrochen, die Erziehung der jüngeren Generation ist so vernachlässigt, es ist in einer solchen materiellen Not, dass man schon die tiefsten Kräfte, die in jedes Menschen Seele schlummern, erwecken muss, das sind die religiösen, um es wieder der Gesundung entgegenzuführen. In erster Linie ist das Sache der Kirchen.“

In chaotischen Zeiten würden sich allerdings öffentliches Leben und religiöse Bereiche überschneiden: „Das deutsche Volk in seinem ganzen Denken und Fühlen muss umerzogen werden. Das ist auch eine wesentliche Aufgabe der politischen Parteien.“ Nur von einer weltanschaulich fundierten Partei könne diese Aufgabe gelöst werden. Seine Partei fuße auf dem Christentum.

„Weltanschauung des Marxismus“

Adenauers Analyse der geistigen Ursachen führt auf die „materialistische Weltanschauung des Marxismus“: „Der Nationalsozialismus war nichts anderes als eine bis ins Verbrecherische hinein vorgetriebene Konsequenz der sich aus der materialistischen Weltanschauung ergebenden Anbetung der Macht und der Missachtung, ja Verachtung des Wertes des Einzelmenschen.“ Die Führung Nachkriegsdeutschlands beanspruche für sich eine Partei, warnt er, die den Sozialismus als ihre Weltanschauung bezeichne, ein Faktum, das Adenauer durch öffentliche Bekenntnisse führender Politiker dieser Partei zum Marxismus und zur materialistischen Geschichtsauffassung belegt. Heute ist neomarxistisches social engineering kaum weniger präsent.

Die „Irrlehren Russlands“ benennt Adenauer also als Kern der Übel. Vor ihnen warnte die Gottesmutter am 13. Juli 1917: „Wenn man auf meine Wünsche hört, wird Russland sich bekehren und es wird Friede sein. Wenn nicht, wird es seine Irrlehren über die Welt verbreiten, wird Kriege und Kirchenverfolgungen heraufbeschwören.“ So wird verständlich, warum Fatima-Frömmigkeit für den Neuanfang der jungen Bundesrepublik so entscheidend war. Nicht nur ein Blick nach China zeigt, wie expansiv der Marxismus nach wie vor ist.

Der Weg zur Erziehung des Volkes gehe notwendigerweise über die Eltern: „Für die Erziehung der Kinder sind in erster Linie die Eltern verantwortlich, und nicht der Staat. Ihr Wille muss daher entscheidend sein, auch hinsichtlich der weltanschaulichen Art der Schule, auf die sie ihre Kinder schicken wollen.“

Daher fordert Adenauer, dass der Wille der Erziehungsberechtigten, der Eltern, über die weltanschauliche Gestaltung der Volksschule entscheiden solle: „Die Erziehung ist in der Volksschule wesentlicher als die Wissensvermittlung.“ Das vertrauensvolle Zusammenwirken von Staat und Kirchen sei eine Grundforderung seines Programms: „Die staatliche Erziehung soll Achtung vor den Kirchen, die kirchliche Erziehung Achtung vor dem Staat sorgfältig pflegen.“ Schulische Neomarxismen, auch in LGBT-Farben, belegen Adenauers Aktualität.

Christliche Zivilgesellschaft

„Es stimmt etwas nicht!“ – Zur christlichen Auskunft über den Menschen gehört die geoffenbarte Verletzung seiner Natur, seine Erlösung durch das Kreuzesopfer und die aus ihm fließenden Heilmittel, die Sakramente. In zeitgemäßer Form wird eine christliche Zivilgesellschaft wieder neu aufleben, wenn sie sich an der Pädagogik Fatimas orientiert, also an „der Umkehr, dem Gebet, der Buße und den göttlichen Tugenden“. Auch Adenauers politische Pädagogik bleibt zeitlos.

Es gilt aufzubauen, während andere noch einreißen. Die erste Sorge muss dem heiligen Messopfer gelten, der „unblutigen Erneuerung des Kreuzesopfers“. Es geht also um das Priesterliche der Priester, der „Ausspender der göttlichen Geheimnisse“. Politiker, die daraus ihre Kraft schöpfen und auch wochentags die Frühmesse besuchen, machen Mut.[6] Neu zu entdecken und zu verkünden ist die Sakramentalität der Ehe, aus der die Familien hervorgehen. Die Ehe ist nicht nur ein Beispiel für „Partnerschaft“ und kein „Subsystem von Staat und Gesellschaft“.

Ermutigend sind die „Vorsätze für kirchliche Jugendarbeit“, die Bischof Stefan Oster (Passau) darstellt.[7] Bauleute sind auch Unternehmer, die sich am Geist der kirchlichen Soziallehre orientieren. Wenn wir Christus, dem König, dienen, wird cooperate citizenship fruchtbar.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2+3/Februar+März 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] W. PICKEN (2018): WIR. Die Zivilgesellschaft von morgen, München.
[2] Community Organizing, in: Wikipedia.
[3] BENEDIKT XVI. (2010): Interview am 11. Mai 2010, www.vatican.va
[4] Ebd, Predigt am 13. Mai 2010.
[5] K. ADENAUER (1946): Grundsatzrede am 24 März 1946, in: Reden 1919-1967, Stuttgart 1975.
[6] Brinkhaus bekennt sich zum katholischen Glauben, in: DT, 18.12.2018.
[7] S. OSTER (2019): Begleitung von Jugendlichen, in: Kirche heute, 1/2019, 9. 

„Nachfolge Christi“ von Thomas v. Kempen ins Deutsche übertragen

Handbuch des inneren Lebens

Der erfolgreiche Buchautor Dr. Peter Dyckhoff hat schon zahlreiche Schätze aus der Tradition der Kirche für unsere Zeit neu zugänglich gemacht. Dabei beweist er ein hervorragendes Gespür für die modernen Bedürfnisse, um zu einem authentischen christlichen Glaubensleben gelangen zu können. Es gelingt ihm, in zeitgenössischer Sprache herauszuarbeiten, was der Mensch auf dem Weg des geistlichen Lebens zur inneren Heilung und Entwicklung seiner Persönlichkeit braucht. So hat er auch eine neue Übertragung der „Nachfolge Christi“ von Thomas von Kempen in modernes Deutsch vorgelegt,[1] die bereits in zehn Auflagen erschienen ist. Nun hat er seine Fassung anhand der „neuen Einheitsübersetzung“ der Bibel überarbeitet und neu herausgegeben.  

Von Peter Dyckhoff

Hätte es schon vor über 500 Jahren Bestsellerlisten gegeben: das Buch von Thomas von Kempen „Nachfolge Christi“ hätte in allen Charts auf Platz 2 – gleich nach der Bibel – gestanden!

Beweggrund für eine neue Übersetzung

Meine Großeltern schenkten mir dieses Buch kurz nach dem Zweiten Weltkrieg – und ich kann sagen, dass dieses Buch mein Leben nachhaltig prägte. Aber mit diesen wertvollen Erkenntnissen und Orientierungshilfen stehe ich nicht allein: Geben Sie im Internet die Suchworte „Nachfolge Christi“ ein – und Sie werden kaum glauben können, wie viel zu diesem Buch berichtet wird und wie viele verschiedene Ausgaben es in fast allen Sprachen gibt. Man zählt heute mehr als dreitausend Auflagen in ungefähr hundert Sprachen.

Um diese in „alter“ Sprache formulierten kostbaren christlichen Weisheiten und Hinweise zum Umgang mit sich, mit anderen und mit Gott auch heute leichter zugänglich und nachvollziehbar zu machen, habe ich versucht, die „Nachfolge Christi“ in das heutige Verständnis zu übertragen.

Thomas von Kempen schrieb die letzte Fassung seiner „Nachfolge Christi“ im Jahr 1441 in lateinischer Sprache. Danach wurde das Buch über dreißig Jahre 750-mal abgeschrieben. Kurz nach Erfindung der Buchdruckerkunst erschien im Todesjahr des Thomas von Kempen, 1471, die erste gedruckte Ausgabe. Nach der Bibel gilt die „Nachfolge Christi“ als das weltweit verbreitetste christliche Buch. Bereits im 16. Jahrhundert lag das Werk, dessen Text Allgemeingültigkeit hat, in allen europäischen Sprachen vor, auch in Arabisch, Armenisch, Chinesisch und Japanisch. Die wohl bekannteste deutsche Übersetzung gab Johann Michael Sailer, Bischof von Regensburg, im Jahr 1794 heraus.

„Gabe und Aufgabe – Geistlich leben nach Thomas von Kempen“ ist eine Übertragung der „Vier Bücher von der Nachfolge Christi“. Diese Übertragung soll nicht als wissenschaftlich genaue Übersetzung gelten. Sie versucht, in einer einfachen und heute verständlichen Sprache – ohne religiöse Überfrachtung – das so überaus kostbare Gedankengut und die Glaubenserfahrungen des Thomas von Kempen zu vermitteln.

Dieser Übertragung liegt der lateinische Text der Ausgabe zu Grunde: „Thomae A. Kempis: De Imitatione Christi. Libri quatuor. Apud Joannes Wilhelmum Friessem. Coloniae. Anno 1690.“ Neben diesem lateinischen Text waren die bekanntesten in deutscher Sprache erschienenen Übersetzungen und Übertragungen eine große Hilfe: zum Beispiel die von Johann Michael Sailer, Johann Arndt, Guido Görres, Johannes Gossner und Otto Karrer.

Wer war Thomas von Kempen?

Sein äußeres Leben – Thomas von Kempen wurde 91 Jahre alt – war nicht sehr ereignisreich. Seine innere Welt dagegen war erfüllt von tiefen Glaubenserfahrungen, die er in seinen Werken zum Ausdruck bringt.

Thomas wurde 1379 oder 1380 in Kempen am Niederrhein geboren. Er war der zweite Sohn des Handwerkers Johann Hemerken und seiner Frau Gertrud Kuyt, die Lehrerin war. In Kempen besuchte Thomas bis zu seinem zwölften Lebensjahr die Latein-Schule. Während seiner Schulzeit fiel die Entscheidung für sein Leben: Er wollte einen geistlichen Beruf ergreifen. Die Gemeinschaft der Windesheimer Augustiner-Chorherren hatte ihn schon als Kind stark beeindruckt. Durch Vermittlung seines Bruders Johannes kam er 1392 nach Deventer (Holland) zur Schule des Johann Boome.

Dort nahm er nach einiger Zeit Kontakt mit den „Brüdern vom Gemeinsamen Leben“ auf. Hier fand er einen Kreis von Männern, die unter dem geistlichen Einfluss des Erweckungspredigers Geert Groote von Deventer standen und durch ihn zu einer neuen Lebensführung gekommen waren. 1384 starb Groote im Alter von 44 Jahren an der Pest.

Thomas war so begeistert von den Ideen der „Devotio moderna“ und der entsprechenden Lebensweise, dass er 1398 in das Haus der „Brüder vom Gemeinsamen Leben“ zog, das unter der Leitung von Florentius Radewijns stand. Mit zwanzig anderen Brüdern lebte er in dessen Haus. Hier lernte Thomas das „Scribieren“, das schönbuchstabige Abschreiben von Texten, die Bibelexegese und vor allem die Kontemplation. Doch schon bald beschloss Thomas, das halbmönchische Haus der Fraterherren in Deventer zu verlassen, um mit Unterstützung seines Lehrers Radewijns in das vollmönchische Kloster der Augustiner-Chorherren von St. Agnetenberg bei Zwolle einzutreten.

Der Prior dieses Klosters war sein älterer Bruder Johannes. Thomas, der 1399 in die Klostergemeinschaft aufgenommen wurde, legte nach siebenjähriger Probezeit die Gelübde zur Einhaltung der Ordensregeln des heiligen Augustinus ab. 1414 wurde er mit 34 Jahren zum Priester geweiht. Über siebzig Jahre lebte Thomas in der Stille und Zurückgezogenheit dieses Klosters – mit einer kurzen Unterbrechung während des Utrechter Schismas, da die Augustiner-Mönche von 1429 bis 1432 nach Friesland ins Exil ausweichen mussten.

Die Sehnsucht nach innerer Ruhe war stark in Thomas ausgeprägt. Seine gesamte Lebenszeit war überschattet vom großen abendländischen Schisma, worunter er sehr litt. So ist es verständlich, dass in ihm der Wunsch laut wurde, das geistliche Leben wieder einfacher, unkomplizierter und echter zu gestalten. Für sich und in seinem Werk rückte er das eigentlich Christliche wieder in den Mittelpunkt. Sein Leben im Kloster war nicht ohne verantwortungsvolle Aktivitäten. Zweimal, 1425 und 1448, wurde Thomas zum Subprior des Klosters gewählt. Zwischenzeitlich war er Novizenmeister und Prokurator, was ihm weder Freude machte noch von Erfolg gekrönt war. Als verinnerlichter und vergeistigter Mönch liebte er vor allem die Stille, das Schweigen und den Gottesdienst.

Sehr viel Zeit verbrachte Thomas mit dem Abschreiben von Büchern – eine Haupteinnahme-Quelle für das Kloster. Die Bibel schrieb er viermal ab, wodurch er sie auswendig kannte. Auch ein Messbuch und die Werke von Bernhard von Clairvaux kopierte er. Sein Hauptwerk „Die Nachfolge Christi“ schrieb er mehrmals ab. Eine Abschrift aus eigener Hand ist die sogenannte Brüsseler Handschrift von 1441. Sie wird in der Königlichen Bibliothek in Brüssel aufbewahrt.

Die Heilige Schrift wurde für Thomas von Kempen zur Hauptquelle, aus der er schöpfte. Als weitere Quellen verarbeitete er Gedanken und Aussagen von Augustinus, Gregor dem Großen, Bernhard von Clairvaux, Franz v. Assisi, Thomas v. Aquin und Bonaventura. In all seinen Werken bietet Thomas eine geistlich nachvollziehbare, alltagspraktische Mystik als geistigen Weg an.

Seinem Hauptwerk, der „Nachfolge“, liegt kein einheitliches Konzept zu Grunde. Sein Stil besteht eher in der Variation sich wiederholender Themen; seine Sprache ist gewandt, rhythmisch und musikalisch geprägt.

Mit Begeisterung las Thomas von Kempen geistliche Bücher. Sein bekannter Wahlspruch lautete: „In allen Dingen habe ich Ruhe gesucht, doch fand ich solche nirgends, außer in einem Winkel mit einem Buch“, oder, wie es auf Niederländisch heißt: „In en Hoesken met en Boesken“. So lautet auch seine Grab-Inschrift.

Thomas von Kempen starb am 25. Juli des Jahres 1471 im Kloster St. Agnetenberg. Seine Gebeine ruhen seit 1897 in der St. Michaelis-Kirche in Zwolle. Sein Kloster existiert nicht mehr.

Geheimnis der Erfolgsgeschichte

Das Geheimnis der Schrift von Thomas von Kempen liegt in der bejahenden Welt- und Lebensauffassung. Die „Nachfolge Christi“ ist eine Antwort auf die Grundforderung des Menschen nach tiefer Ruhe, innerem Frieden sowie erhöhtem Aktivismus und größerer Leistung. Die Texte lehren, mit den vielen oft unverarbeiteten Eindrücken richtig umzugehen, bei sich selbst anzukommen und zwischenzeitlich immer wieder die Stille aufzusuchen, um den Anforderungen der Welt besser gerecht zu werden. Denn ein Mehr an Aktivität fordert auch ein Mehr an tiefer innerer Ruhe. Derjenige, der fähig ist, schöpferische Pausen einzulegen, ist auch in der Lage, in seinem Beruf kreativer zu sein und mehr zu leisten.

Es geht in der Schrift um die Bewusstwerdung größerer Zusammenhänge und um die Fähigkeit, diese verantwortungsvoll und zum Wohl aller in das aktive Leben umzusetzen. Es ist also nicht ein Buch zum schnellen Durchlesen, auch nicht zum lediglich oberflächlichen Ansehen, sondern es erfordert – um verstanden und gewinnbringend angewandt zu werden – eine rechte Vorgehensweise.

• Sie sollten das Buch regelmäßig zur Hand nehmen. Eine alte Anweisung zum rechten Gebrauch sagt: „Greife zu diesem Buch wie zum Brot: täglich.“

• Lesen Sie langsam und aufmerksam, denn das Buch möchte zu Ihnen sprechen.

• Verweilen Sie da, wo Sie sich besonders angesprochen fühlen. Lesen Sie nicht weiter, sondern legen Sie den Text aus der Hand. Es ist besser, das Gelesene in Ruhe zu überdenken als zu schnell fortzufahren.

• Lesen Sie jeweils nicht mehr als ein oder zwei Kapitel – selbst dann, wenn der Text Sie nicht berührt.

• Jedes Kapitel ist mehrfach unterteilt. Die großen Zahlen vor einem jeweils neuen Gedankengang sollen die für die Lektüre passenden Ruhepunkte schaffen.

• Nehmen Sie von Zeit zu Zeit einen Satz, der Sie besonders anspricht, als Richtschnur und versuchen diesen in die Praxis umzusetzen.

• Eine weitere wichtige Voraussetzung sowohl zum tieferen Verständnis der Texte als auch zur besseren Entfaltung des aktiven Lebens und des allgemeinen Wohlbefindens ist die Einübung in das „Gebet der Hingabe“. Dieses sollte täglich mindestens einmal praktiziert werden. Eine gute Hilfe für die Leserin und den Leser ist es, alle Anweisungen zu diesem einfachen Gebet, die über das Buch verteilt sind, zu unterstreichen oder zu markieren. Aufkommende Fragen kann dann der Text besser und schneller beantworten.

• Das Buch – es wird auch „Handbuch des inneren Lebens“ genannt – möchte Begleiter über einen längeren Zeitraum sein. Wenn Sie es sich einmal „erarbeitet“ haben, können Sie ein zweites Mal dort zu lesen beginnen, wo immer Sie möchten. Schlagen Sie es wahllos auf und lesen die Stelle, auf die Sie durch Ihre Finger hingewiesen werden (siehe Ignatius v. Loyola im Kapitel „Wertschätzungen“). Immer werden Sie zu der einen Mitte geführt: zur Liebe Gottes zu uns Menschen und zu unserer Liebe zu ihm.

Inhaltliche Gliederung der Schrift

Die „Nachfolge Christi“ des Thomas von Kempen besteht aus vier Büchern. In ihnen steht der lehrende und liebende Christus im Mittelpunkt. Er tritt mit dem lesenden, suchenden und fragenden Menschen in eine enge Beziehung. Das Wunderbare dieses Buches liegt darin, dass der Fragende sich von den Worten Christi in seinem persönlichen Leben und innersten Seelenleben verstanden und angenommen fühlt.

Das erste Buch vermittelt allgemeine Impulse für ein vertieftes geistliches Leben.

Das zweite Buch, das vom inneren Leben handelt, wird für den Leser zum geistlichen Begleiter.

Im dritten Buch führt Christus als Freund ein Gespräch mit dem fragenden und vieles in Frage stellenden Menschen.

Das vierte Buch ist ebenso wie das dritte dialogisch strukturiert. Christus spricht von der Liebe Gottes und der alles wandelnden Eucharistie.

Viele Menschen, die das Buch von der „Nachfolge Christi“ zu ihrem Lebensbegleiter gewählt haben, berichten von wesentlichen Veränderungen in ihrem Leben. Kurz zusammengefasst besteht der Wert des Buches im Folgenden:

• Es vermittelt praktische umsetzbare Weisheiten des Lebens.

• Es spricht den nach Wahrheit suchenden Menschen persönlich an, lässt ihn aufhorchen und gibt ihm Antwort auf viele Fragen.

• Es enthält Wegweisungen, um das Leben erfolgreich zu bestehen.

• Es spricht von seelischen Alltagserfahrungen, die jeder mehr oder weniger spürt.

• Es bahnt den Weg zu einem tiefen und festen Glauben.

• Es enthält eine Einführung in das „Gebet der Hingabe“.

• Es vermittelt Umgangsformen zum rechten christlichen Verhalten.

• Es ist ein Schlüssel zum Du des Mitmenschen und zum Du Gottes.

• Es trägt wesentlich dazu bei, eine lebendige Christus-Beziehung und ein Christus-Bewusstsein aufzubauen.

• Es regt zum persönlichen Beten an.

• Es gewährt Einblick in das tiefere Wesen und in die Kraft der Eucharistie.

„Eines ist sicher, sagt Pater Lothar Hardick OFM, der Herausgeber einer Ausgabe der ‚Nachfolge Christi‘, dieses Werk trifft die Mitte aller christlichen Anliegen in der unbedingten Ausrichtung auf Christus. Dieses Werk hätte nicht bis heute so viele, immer neue Ausgaben, Übersetzungen und Auflagen erlebt, wenn sich sein Kerngedanke nicht im Leben unzähliger Menschen bewährt hätte“ (Nachfolge, Vorwort, 24).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2+3/Februar+März 2019
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[1] Peter Dyckhoff: Nachfolge Christi – Geistlich leben nach Thomas von Kempen, St. Benno Verlag, Leipzig 2018, 400 Seiten, 13 x 20 cm, geb., 19,95 Euro (D), ISBN: 978-3-7462-5412-8, Hotline-Tel.: 0341-4677711 E-Mail: service@st-benno.de

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Nachfolgend ein Beispiel für die neue Übersetzung der „Nachfolge Christi“. Es handelt sich um das Kapitel LVII aus dem dritten Buch „Innerlichkeit leben“ (S. 313-315).  

Von Thomas von Kempen

1 Der Herr: Deine Geduld und deine Demut bei Schwierigkeiten gefallen mir weit mehr als deine mündlichen Gebete in guten Zeiten. Warum betrübt dich eine Kleinigkeit, die man dir vorwirft, oder ein hartes Wort? Wäre die Situation auch schwerwiegender, lasse dich nicht aufregen. Gehe darüber hinweg, denn du weißt, dass es dich nicht betrifft. Es ist nicht das erste Mal, dass dir so etwas begegnet, und es wird auch nicht das letzte Mal sein. Solange dir nichts Widriges begegnet, fühlst du dich stark. Du verstehst es, anderen Rat zu geben, ihnen Mut zuzusprechen und sie wieder aufzurichten.

Steht jedoch ein plötzliches Unglück vor deiner Tür, sind deine Klugheit und dein Mut, dein Rat und deine Stärke am Ende. Mache dir diese Schwäche bewusst, die sich bei dir häufig auch in kleinen Dingen zeigt. Bestimmtes muss in deinem Leben geschehen, damit du tiefere Einsicht gewinnst und letztlich Heil erfährst.

2 Wie du im Gebet der Hingabe übst, alles loszulassen, so lass auch außerhalb des Gebetes – so gut du es kannst – alles los, was dich getroffen hat und dich belastet. So soll zum Beispiel übles oder schlechtes Reden über deine Person dich nicht niederdrücken oder lange beunruhigen. Wenn du vieles noch nicht gelassen und heiter hinnehmen kannst, so trage es wenigstens in Geduld. Manches, was über dich gesagt wird, magst du verständlicherweise ungern hören – es regt dich auf.

Der beste Rat, den ich dir geben kann: Halte dich zurück und lass kein unpassendes oder anklagendes Wort über deine Lippen kommen. Es könnte zu einem erneuten Ärgernis werden. Die Aufregung wird schnell vorüber sein, und es tritt Ruhe ein, wenn die Gnade wiederkehrt. Dazu rufe mich im Gebet der Hingabe mit meinem Namen an, verlasse dich auf mich, und ich werde dir helfen. Schenke mir dein Vertrauen, und ich werde dich mehr als bisher trösten.

3 Bewahre in allem Gleichmut und versuche, dich in noch größerer Geduld zu üben. Glaube nicht, dass gleich alles verloren ist, wenn du in alte Fehler zurückfällst, wenn du unruhig wirst und dich in die Enge getrieben fühlst. Ein Mensch bist du, kein Gott; ein leiblich bestimmtes Wesen, und kein Engel. Denke nicht, dass du einen höheren Heils- oder Bewusstseinszustand, den du für eine kurze Zeit erfahren durftest, festhalten kannst. Das war nicht einmal den Engeln im Himmel noch den ersten Menschen im Paradies möglich. Vertraue dich mir an, denn ich bin es, der die Betrübten und Niedergeschlagenen aufrichtet und die, welche ihre Schwäche erkennen, in besonderer Weise liebt.

4 Der Mensch: Herr, ich danke dir für dieses Wort, das du an mich richtest. Es schenkt mir Trost und ist Nahrung für meine Seele. Was würde in Zeiten meiner Bedrängnis und Angst aus mir werden, wenn du mich nicht mit deinem heiligen Wort stärktest? Du wirst mir Heil in Fülle schenken – darauf vertraue ich. Ist diese Zeit gekommen, werde ich sicher nicht mehr an die Leiden zurückdenken, die ich ertragen musste.

Wenn du mich aus dieser Welt rufst, Herr, so lass mich wohlvorbereitet, ruhig und bei vollem Bewusstsein sterben. Gedenke meiner, mein Gott, und geleite mich auf dem rechten Weg in dein Reich. Amen.  

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Beeindruckende Zeichen des Himmels

„Nahtoderfahrungen“

Über Nahtoderfahrungen gibt es inzwischen eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen. Dr. Patrick Theillier, langjähriger Leiter des Medizinischen Büros von Lourdes, hält sie für ein Zeichen des Himmels, das uns an unsere letzte Bestimmung erinnern soll. Bischof Marc Aillet hat zu seinem neuen Buch ein anerkennendes Vorwort geschrieben. Nachfolgend eine gekürzte Fassung.[1]

Von Bischof Marc Aillet, Bistum Bayonne, Lescar und Oloron

Der Arzt Patrick Theillier kennt die übernatürlichen Phänomene gut. Zehn Jahre lang hat er mit der Unterstützung eines Ärzteteams, das nicht unbedingt gläubig war, den aus menschlicher Sicht unerklärlichen Charakter von Heilungen wissenschaftlich untersucht, die auf die Fürsprache Unserer Lieben Frau von Lourdes geschehen waren. Aufgrund der Ergebnisse dieser Untersuchungen hat die Kirche eine Anzahl von Wundern als echt anerkannt. Eine nicht erklärbare Heilung wird als Wunder bestätigt, wenn die zuständige kirchliche Autorität darin ein Zeichen der Allmacht Gottes und seiner Liebe erkennt, die im Leben der Menschen konkret offenkundig wird und dadurch der Glaube der Menschen gestärkt wird.

Im vorliegenden Werk befasst sich Dr. Theillier mit „Nahtoderfahrungen“. Seit Jahrzehnten gibt es reichlich Literatur zu diesem Thema. Die unterschiedlichsten Menschen aus den verschiedenen Kulturen, die darüber Zeugnis ablegten und die nicht unbedingt von vornherein von einem Weiterleben nach dem Tod überzeugt waren, berichten sehr genau über diese eigenartigen Phänomene, die sie beim Herannahen des Todes erlebt hatten, sodass man heute eine sachgerechte Typologie vorlegen kann, die nicht ohne gründliche Prüfung verworfen werden kann.

Als anerkannter Wissenschaftler überprüfte Dr. Theillier zunächst die Glaubwürdigkeit der ihm vorgelegten Zeugnisse. Danach nahm er auf der Basis der modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse eine Untersuchung vor, um deren wissenschaftliche Objektivität zu bestimmen. Auf der Basis der christlich-jüdischen Anthropologie konnte er diese Erfahrungen besser einordnen und ihre Vereinbarkeit mit dem Glauben feststellen. Wenn in der Heiligen Schrift steht, dass keiner vom Tod zurückkehren kann, außer durch ein Wunder wie bei der Auferweckung des Lazarus (vgl. Joh 11), bei dem die Seele vom Körper getrennt war – „Er riecht schon, denn es ist bereits der vierte Tag“ (Joh 11,39), kann man auf Erfahrungen schließen, die nicht vom metaphysischen Tod herrühren, sondern von Annäherungen an ein Jenseits des Todes.

Wer würde in diesem Werk nicht die Möglichkeit einer Apologetik für unsere Zeit erkennen? In einer säkularisierten Gesellschaft, in der man lebt, als ob Gott nicht existierte, und in der man sich lieber auf Wissenschaft und Technik beruft, die vorgeben, für alles eine Erklärung zu haben, stößt das Übernatürliche mehr und mehr auf Ablehnung. Und der theoretische und praktische Atheismus, der vom Laizismus umgeben ist und offen bekannt wird, bildet den Nährboden für das Irrationale in unseren sogenannten entwickelten Gesellschaften: Ausbrüche blinder Gewalt, Zunahme des radikalen Islam, Wuchern der Esoterik.

Wenn es sehr wohl etwas gibt, was man nicht bestreiten kann, so ist es der Tod und diese Nahtoderfahrungen, die wissenschaftlich und auf der Basis des Glaubens untersucht und geprüft worden sind. Diese können in der Tat den Verstand und das Herz unserer Zeitgenossen für die Existenz eines Lebens nach dem Tod öffnen und zugleich für die Verkündigung des Todes Jesu und seiner Auferstehung zugänglich machen.

Ganz sicher ist das Buch von Dr. Theillier wie eine Bresche der Hoffnung in einer Welt, die gegenüber der Transzendenz verschlossen ist. Möge dieses Werk viele unserer Zeitgenossen, die mit dem Rätsel des Todes und der Angst vor dem Tod ringen, erreichen, damit der auferstandene Jesus auch zu ihnen die einst an Thomas, den ungläubigen Apostel, gerichteten Worte spricht: „Streck deinen Finger aus – hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,27.29).

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[1] Patrick Theillier: Beeindruckende Nahtoderfahrungen – Zeichen des Himmels, geb., 224 S., 13,5 x 20,5 cm, Euro 18,95 (D), € 19,50 (A), ISBN 978-3-9479310-1-9, Verlag Media Maria, Illertissen 2018, Tel. 07303-9523310, Fax: 07303-9523315, E-Mail: buch@ media-maria.de

Opfer der grausamen Verfolgungen im kommunistischen Albanien

Zwei selige Missionspriester aus Deutschland

Papst Johannes Paul II. gab im Jahr 1994 den Anstoß, eine alle Kontinente umfassende Geschichte der ermordeten Katholiken des 20. Jahrhunderts auf den Weg zu bringen. In seinem Apostolischen Schreiben Tertio millennio adveniente vom 10. November 1994 heißt es: „In unserem Jahrhundert sind die Märtyrer zurückgekehrt, häufig unbekannt, gleichsam ‚unbekannte Soldaten‘ der großen Sache Gottes. Soweit als möglich dürfen ihre Zeugnisse in der Kirche nicht verloren gehen. Wie beim Konsistorium empfohlen wurde, muss von den Ortskirchen alles unternommen werden, um durch das Anlegen der notwendigen Dokumentation nicht die Erinnerung zu verlieren an diejenigen, die das Martyrium erlitten haben“ (Nr. 37). Prälat Dr. Helmut Moll stellt zwei Blutzeugen vor, die mit Deutschland und Österreich verbunden sind und im Jahr 1946 das Martyrium in Albanien erlitten haben.

Von Helmut Moll

Am 5. November 2016 wurden in der Kathedrale der nordalbanischen Stadt Scutari 38 Blutzeugen seliggesprochen. Der Feier stand der Präfekt der römischen Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, Angelo Kardinal Amato, vor. Im Auftrag von Papst Franziskus verlas er das Dekret zur Seligsprechung der Opfer des kommunistischen Enver-Hoxha-Regimes in Albanien, die zwischen 1945 und 1974 als Märtyrer gestorben sind. Unter ihnen befinden sich auch die beiden deutschen Priester Alfons Tracki und Josef Marxen.

Seliger Pfarrer Alfons Tracki (1896-1946)

Die historische Landschaft Schlesiens unterlag im 20. Jahrhundert tiefgreifenden politischen und sozialen Veränderungen, nicht zuletzt durch die beiden Weltkriege. Das oberschlesische Territorium war die Heimat von Alfons Tracki. Als Sohn des Josef Tracki und seiner Ehefrau Martha, geb. Schramm, erblickte er am 2. Dezember 1896 zu Bleischwitz (heute: Bliszczyce), einem kleinen Ort unweit der Grenze zur heutigen Tschechischen Republik, das Licht der Welt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bestand Bleischwitz aus etwa 950 Einwohnern, von denen fast alle katholisch waren. Sie arbeiteten als Bauern, Gärtner oder Häusler. Im Geburtsjahr des jungen Alfons fand eine Volksmission im Ort statt, die unter zahlreicher Beteiligung durchgeführt wurde. Das Sakrament der Taufe empfing er am 13. Dezember 1896, dem Gedenktag der hl. Märtyrerin Luzia von Syrakus, in der dortigen Pfarrkirche St. Katharina. Zusammen mit zwei Brüdern und einer Schwester wuchs Alfons im Kreis seiner Eltern auf. Wie jeder andere besuchte er die Volksschule, um sich das nötige Grundwissen anzueignen.

Wie aus den konsultierten Archiven hervorgeht, kam der begabte Junge in Kontakt mit der Kongregation der Christlichen Schulbrüder. Gründer der Kongregation war der in Frankreich geborene hl. Johann Baptist de La Salle (1651-1719). Er verfolgte die Idee, katholische Lehrer um sich zu scharen, um junge Menschen nach den Maßstäben des Evangeliums zu erziehen. Dabei wusste er sich von der göttlichen Vorsehung geleitet, wie er es viele Jahre später formulierte: „Gott, der alles mit Weisheit und Milde leitet, und dessen Art nicht darin besteht, die Neigungen der Menschen zu zwingen, wollte, dass ich mich ganz der Entwicklung der Schulen widme. Er tat dies in einer unmerklichen Weise und eine lange Zeit hindurch, so dass eine Verpflichtung zur anderen führte, was ich zu Beginn nicht vorhersehen konnte.“ Im Jahr 1911, also bereits mit 14 Jahren, entschloss sich Alfons, in der österreichischen Hauptstadt Wien bei dem zuständigen Provinzial vorzusprechen, um sich dieser Kongregation anzuschließen. Am 15. Juli 1911 trat er in das sog. kleine Noviziat ein. Nach Ablauf dieser ersten Probezeit folgte am 13. Juli 1912 das große Noviziat, das er ebenfalls mit Erfolg abschließen konnte. Bei der Einkleidung am 16. August 1913 wurden mehr als 20 junge Männer im Alter zwischen 14 und 17 Jahren in die Kongregation der Christlichen Schulbrüder aufgenommen. Alfons erhielt den Ordensnamen „Gebhardus“, nach dem hl. Bischof Gebhard II. von Konstanz, der von 979 bis 995 Oberhirte dieses süddeutschen Bistums war und in Vorarlberg eine außerordentliche Verehrung genießt. Seine Zeit in Wien sollte freilich nur von kurzer Dauer sein, insofern ihn der Provinzial bald nach Albanien entsandte, wo er als Lehrer der Brüder der Christlichen Schulen Unterricht am Kolleg des hl. Xaverius in Shkodrë gab. Dieses Kolleg beherbergte in einem Haus sowohl ein Kleines Seminar für die heranwachsenden Jungen, die sich auf die Matura vorbereiten, als auch das Priesterseminar, in dem die Abiturienten das Studium der Philosophie und Theologie absolvierten. Da Trackis Spezialgebiet die Leibeserziehung war, ist davon auszugehen, dass er als Lehrer am Kleinen Seminar tätig war. Als der Erste Weltkrieg im Jahre 1914 ausbrach, legte Br. Gebhard, wie er nun gerufen wurde, in Skutari die einjährigen Gelübde ab. Die Erneuerung der Gelübde erfolgte zunächst im Jahr 1916, dann im Jahr 1917. Während der Zeit des Ersten Weltkriegs verließ Br. Gebhard das Land Albanien, reiste in die niederschlesische Hauptstadt Breslau, um seinen Militärdienst abzuschließen, der zwei Jahre dauerte. In jenen Jahren reifte in ihm die Berufung zum Priestertum. Nach Skutari zurückgekehrt, folgte er seiner neuen Bestimmung.

Angesichts der neuen persönlichen Lage begann Br. Gebhard mit dem Studium der Philosophie und Theologie in Österreich, kehrte aber 1922 nach Albanien zurück. Nach erfolgreichem Abschluss seiner Studien empfing er im albanischen Shkodrë am 14. Juni 1925 das Sakrament der Priesterweihe. Der Diözesanbischof wies dem Neupriester als erste Stelle die Aufgabe eines Kaplans an der Kathedralkirche zu Shkodrë an, wo er seine ersten seelsorglichen Erfahrungen in einem Land machen konnte, in dem die sunnitischen Muslime mit etwa 70% die beherrschende Religion darstellten und nur etwa 10% katholisch waren. Darüber hinaus lebten in Albanien Anhänger der Bektaschi sowie orthodoxe Christen. Innerhalb dieser Voraussetzungen versuchte Tracki, dem christlichen Glauben einen Boden zu bereiten. Der erhalten gebliebenen Korrespondenz zufolge unterhielt Tracki weiter briefliche Kontakte zu seinen Eltern in Breslau. In jenen Jahren gründete er im Rahmen der katholischen Jugend die Gemeinschaft Viribus unitis (Mit vereinten Kräften), eine spirituelle Formation zur Vertiefung eines Lebens nach dem Evangelium. Nach seiner Aufgabe als Kathedralkaplan schickte ihn sein Oberhirte nach Pulaj (Velipojë) in den Süden seines Bistums, das von Sümpfen durchzogen war. Dort versah er seinen Dienst als Pfarrer und erbaute zusammen mit weiteren Priestern eine Kirche, um seinen Gläubigen eine würdige Stätte der Liturgie anbieten zu können, ferner eine Schule, in der Groß und Klein die nötige Grundausbildung erhielt. In dieser Zeit verstärkten sich bei Tracki die Neigungen, dem franziskanischen Ideal nachzufolgen, um sein priesterliches Leben im Sinne des Evangeliums zu heiligen. Als er seinem Oberhirten den Wunsch vortrug, in den Orden des hl. Franziskus einzutreten, war dieser nicht abgeneigt. Angesichts des anwachsenden Ansturms der Kommunisten in Albanien kam dieser Plan jedoch nicht zur Ausführung.

Der albanische Widerstandskampf gegen Italien unter der Führung der kommunistischen Partisanen ist mit dem Namen des Diktators Enver Hoxha (1908-1985) verbunden. Er fiel in die Jahre 1941-1944. Als die deutschen Truppen die albanische Hauptstadt Tirana räumten, zog dies die Auflösung aller Orden sowie die Enteignung aller kirchlichen Besitztümer nach sich. Im Dezember 1944 wurden die drei katholischen Druckereien beschlagnahmt, so dass die christliche Pressearbeit eingestellt werden musste. Aus Furcht vor den herandrängenden Kommunisten hatten sich zahlreiche Menschen in den Bergen verschanzt. Der 26-jährige Ndoc Jakova, ein katholischer Jugendlicher, wurde aus seinem Versteck herausgelockt und tödlich verwundet. Als Pfarrer Tracki von seinem Geschick hörte, eilte er ihm zu Hilfe, um ihn mit den Sterbesakramenten zu versehen. Während er ihm die Beichte abnahm und die Krankensalbung spendete, wurde er gefasst und gefangen genommen. Am 13. Februar 1946 folgte seine Inhaftierung in das Gefängnis zu Shkodrë. Am 17. Juli 1946 wurde er zum Tod verurteilt, weil er bei der Erfüllung seiner priesterlichen Dienste, die verboten waren, ertappt worden war. Die Exekution durch Erschießen erfolgte einen Tag später in Shkodrë hinter einem Friedhof. Seine Leiche wurde in eine mit Kalk gesättigte Grube geworfen, so dass sich die Knochen auflösten. Daher konnten keine sterblichen Überreste mehr identifiziert, geschweige denn aufbewahrt werden.

Die Albanische Bischofskonferenz hat unter dem Vorsitz des aus Italien stammenden Franziskaner-Erzbischofs Angelo Massafra von Shokdrë-Pult am 10. November 2002 ein Seligsprechungsverfahren für 38 Glaubenszeugen eröffnet, die unter dem grausam wütenden Kommunismus in Albanien eines gewaltsamen Todes gestorben sind. Es handelt sich um die Bischöfe Frano M. Gijni (1886-1948) und Vincent Prenushi (1885-1949), um 31 Diözesan- und Ordenspriester, vor allem Jesuiten und Franziskaner, vorwiegend albanischer, aber auch italienischer und deutscher Herkunft, ferner um den Seminaristen Mark Çuni (1919-1946) sowie schließlich um vier Laien, unter ihnen die Lehrerin Maria Tuci (1928-1949). Einer der Diözesanpriester ist Pfarrer Alfons Tracki aus dem albanischen Erzbistum Shkodrë. Mit diesem Kumulativprozess, der 2016 mit der Seligsprechung seinen Abschluss fand, wollte die Kirche in diesem Land stellvertretend für die vielen Unbekannten und Ungenannten ein weltweites Zeichen setzen.

Seliger Pfarrer Antonius Josef Marxen (1906-1946)

Antonius Josef Marxen wurde am 2. August 1906 als viertes Kind der Eheleute Nikolaus (1872-1934) und Maria Marxen (1878-1961), geb. Hahnen, in Worringen (heute Stadtteil von Köln) geboren und am folgenden 5. August in der Pfarrkirche St. Pankratius getauft. Die Familie, die neun Kinder hatte, zog im Frühjahr 1909 auf den Vronoverhof zwischen Rommerskirchen und Grevenbroich um, lebte ab dem 1. Oktober 1910 in Bermeshausen bei Speicher in der Südeifel und vom Oktober 1913 an auf dem Schönfelderhof bei Zemmer (Trierer Land).

Antonius besuchte nach Absolvierung der Volksschule das staatliche Gymnasium in Lohr am Main, wobei er vom 10. September 1920 bis 15. Juli 1921 als Internatsschüler im Aloysianum, dem Missionsstudienseminar der Mariannhiller Missionare, wohnte. Am 26. September 1921 kam er auf das Gymnasium im saarländischen St. Wendel, wo die Steyler Missionare seit geraumer Zeit eine Niederlassung unterhielten. Offenbar erfolgte die Hinwendung nach St. Wendel auch als Folge seiner immer klarer erkannten Berufung zum Priestertum. Warum der Oberschüler das Abitur erst im Jahre 1928 erreichte, ist unbekannt, hängt aber vielleicht mit dem weiteren häufigen Ortswechsel seiner Familie zusammen.

Seine priesterliche Berufung fand ihre konkrete Verwirklichung in dem Entschluss, in die Gesellschaft des Göttlichen Wortes (Steyler Missionare) einzutreten und Missionar zu werden. Im Alter von 21 Jahren trat er am 12. Mai 1928 in das Noviziat ein, das er in Sankt Augustin absolvierte, wo er an der ordenseigenen Hochschule mit dem Studium der Philosophie begann. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Philosophiestudiums folgte das der Theologie an der ordenseigenen Hochschule St. Gabriel in Mödling bei Wien. Dort war er 1933 noch verzeichnet, 1935 jedoch nicht mehr. Sein jüngster Bruder Alfons erinnerte sich, dass er eines Tages vor dem Hof in Lötsch bei Breyell (heute: Nettetal) am Niederrhein, wohin die Familie umgezogen war, stand, um mitzuteilen, dass er sein Studium abgebrochen habe. Den erhalten gebliebenen Quellen zufolge haben ihn die Verantwortlichen der Steyler Missionsgesellschaft abgewiesen; es hieß, er sei wenig umgänglich, zu wenig gemeinschaftsfähig gewesen. Gleichwohl wollte er seine missionarische Berufung nicht aufgeben. Diese führte ihn über München nach Albanien. Als er kurz vor Abschluss seines Theologiestudiums an der Universität München Ende 1935 einen Bittbrief an den Diözesanbischof von Durrës mit der Petition sandte, in dessen Bistum als Priester wirken zu dürfen, erhielt er im Januar 1936 eine positive Antwort.

Der Erzbischof von München und Freising, Michael Kardinal von Faulhaber (1869 -1952), spendete Marxen als „Kleriker der Erzdiözese Durazzo in Albanien“ am 7. März 1936 in der Münchener Benediktinerabtei St. Bonifaz die Subdiakonatsweihe und am folgenden Tag in der Münchener Pfarrkirche St. Anna die Diakonatsweihe. Seinem Sterbebild zufolge wurde er am „21. Juni 1936 […] im Orientalischen Colleg der Benediktiner in München zum Priester geweiht“. Weihespender war der Augsburger Weihbischof Dr. Franz Xaver Eberle (1874-1951). Seine Mutter nahm an der Zeremonie teil, die in der Kapelle des Herzoglichen Georgianums stattfand.

Zuvor hatte Marxen am St. Andreas-Kolleg für die Ostmission studiert, um als Missionar in Russland zu wirken. Doch bald stand fest, dass kein Missionar mehr nach Russland entsandt werden konnte. Seine Missionspläne mussten daher umdisponiert werden. Die Heimatprimiz zelebrierte der Neupriester am 5. Juli 1936 in der Pfarrkirche St. Lambertus zu Breyell. Sein Primizspruch zeigte marianische Züge: „Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter“ (Lk 1,46-47). Das Primizbild kann auf sein späteres Martyrium gedeutet werden: „Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für seine Schafe“ (Joh 10,11).

Da die beabsichtigte Russlandmission nicht verwirklicht werden konnte, folgte der Neupriester seiner Sendung nach Albanien. Bruder Alfons (1918-2011) erinnerte sich im Jahr 2008 lebhaft an dessen Zugreise nach Albanien: „Am Bahnhof fiel Josef gleich zweimal auf: Zum einen, weil er eine Fahrkarte nach Bari kaufte und der Bahnangestellte nachschauen musste, wo das überhaupt liegt. Zum anderen, weil sich mein Bruder mit ‚Guten Tag‘ statt ‚Heil Hitler‘ verabschiedete.“ Der Bahnbeamte hatte allerdings ein „Heil Hitler“ erwartet. Marxen lehnte die Ideologie des Nationalsozialismus rundweg ab. Von der süditalienischen Hafenstadt Bari ging sein Weg mit dem Schiff weiter in die albanische Stadt Durrës. Eine am 8. März 1939 an seine „Lieben“ nach „Lötsch über Kaldenkirchen“ (heute: Nettetal) an der deutsch-niederländischen Grenze geschriebene Postkarte gab ein Lebenszeichen von seiner geglückten Reise, obwohl er „noch an den Folgen der stürmischen See“ litt.

Der als fröhlich und bescheiden geschilderte Priester war jedenfalls der erste Missionar in der Pfarrgemeinde Perlat, das im nordalbanischen Gebirgszug Mirditë liegt. Dorthin hatte ihn sein Erzbischof Pjetër Gjura (1875-1939) entsandt. Da sein Oberhirte in Innsbruck Theologie studiert hatte, konnte er dem Neupriester in deutscher Sprache die ersten Kenntnisse über das noch fremde Land vermitteln. In den Jahren 1936 bis 1941 hatte „Dom Zef“, wie er bald genannt wurde, über die Sprache sogar Forschungen angestellt. Da er jedes Haus persönlich aufsuchte, war er auch den dort lebenden Menschen nahe, was die Erinnerungen der Alten bezeugen. Die Bevölkerung in Perlat war überwiegend katholisch, was Marxens Eingewöhnung erleichterte. Seine medizinischen Kenntnisse brachten ihm Respekt und Anerkennung ein.

Im Jahr 1941 wurde Marxen die Pfarrstelle in Jubë unweit der Hafenstadt Durrës zugewiesen, in dessen Erzbistum er seit seiner Diakonatsweihe inkardiniert war; hier kam er mit vielen Muslimen in Kontakt.

Durch die kommunistischen Übergriffe in Albanien, angeführt von Enver Hoxha (1908-1985), dem Generalsekretär der albanischen kommunistischen Partei, wurden zahlreiche Diözesanpriester, Ordensleute und Gläubige wegen ihres christlichen Glaubens eingeschüchtert, schikaniert, gefangen genommen und umgebracht. So auch Marxen. Nachdem die kommunistische Diktatur (1944-1991) im November 1944 die Macht an sich gerissen hatte, kam es zu mehreren Verfolgungswellen, so dass Schulen, Krankenhäuser, Waisenhäuser und Missionen geschlossen werden mussten. Deutsche Soldaten legten Marxen unter diesen Umständen nahe, nach Deutschland zurückzukehren, doch er lehnte ab. Die drohende Gefahr, in der er sich als deutscher Missionar befand, war ihm bewusst. Ihm stand freilich das Bild des guten Hirten vor Augen, der seine Schafe nicht im Stich lässt, „wenn er den Wolf kommen sieht“ (Joh 10,12).

Am 3. Februar 1945 wurde Marxen aufgrund seiner priesterlichen Tätigkeiten festgenommen und ins Gefängnis eingewiesen. Der gegen ihn erhobene Vorwurf lautete indes, er habe im Auftrag der Geheimen Staatspolizei gearbeitet, habe sein Wissen dazu benutzt, Personen bei dieser anzuzeigen, und habe sogar eine Freundschaft mit einer kriminellen Person unterhalten. Nach seiner Freilassung wurde Marxen im Juni 1945 erneut verhaftet und in ein Gefängnis in Tirana eingeliefert. Das Urteil lautete auf zwei Jahre Haft. Den gewaltsamen Tod fand er in einem Wald an der Nationalstraße bei Tirana auf dem Weg nach Kukës in Richtung Kosovo. Mit der nachweislich falschen Behauptung, dem Gefangenen zu Hilfe kommen zu wollen, damit er die Grenze in das nahe Ausland überqueren könne, brachten sie ihn am 16. November 1946 abends um. Dabei gaben sie vor, Marxen habe einen Fluchtversuch unternommen. Ein Zivilist, der Schüsse gehört hatte, vermutete, dass diese Marxen getötet hätten. Die sterblichen Überreste wurden im Wald verscharrt. Ein Mithäftling überlieferte folgende Abschiedsworte von Dom Zef: „Ich bin glücklich. Ich werde nun sterben, und man wird sich in Albanien daran erinnern, dass ich ein Zeuge für Christus war.“ Bei den Leuten von Jubë herrschte große Traurigkeit über seinen Tod.

In der Gedenkstätte für die Blut- und Glaubenszeugen des Erzbistums Köln im 20. Jahrhundert, die in der Kölner Basilika St. Ursula errichtet worden war, wurde auch Pfarrer Marxen eingetragen; die entsprechende biblische Sentenz lautet: „Ich (der Herr) werde in Israel siebentausend übrig lassen, alle, deren Knie sich vor dem Baal nicht gebeugt hat“ (1 Kön 19,18).

Eine Großnichte von Pfr. Marxen, Dr. Cäcilia Giebermann, die mehrfach Albanien besucht hatte, wagte sich an eine Biografie, der sie den Titel gab: „Josef Marxen, Missionar in Albanien. Eine Spurensuche“ (Trier 2016).

An der Feier der Seligsprechung am 5. November 2016 in Scutari nahm der Kölner Kardinal Woelki als Konzelebrant teil. Auch mir als dem Beauftragten für Selig- und Heiligsprechungsverfahren im Erzbistum Köln wurde die Ehre zuteil. Darüber hinaus waren dreizehn Verwandte von Pfarrer Marxen bei der Zeremonie anwesend; eine trug sogar eine Fürbitte in deutscher Sprache vor. Am Rande der Seligsprechung erhielten die deutschen Gäste konkreten Einblick in die Gefängniszellen aus damaliger Zeit sowie in die menschenverachtenden Methoden der kommunistischen Machthaber. Keiner zweifelte daran, dass die 38 Blutzeugen aus Hass auf den christlichen Glauben eines gewaltsamen Todes gestorben waren.

Beim Angelus-Gebet am 6. November 2016 kam Papst Franziskus auf die Seligsprechung der albanischen Blutzeugen zu sprechen. Er sagte: „Sie zogen es vor, die Haft, die Folterungen und letztendlich den Tod zu erleiden, um Christus und der Kirche treu zu bleiben. Ihr Beispiel helfe uns, im Herrn die Kraft zu finden, in schwierigen Momenten durchzuhalten und uns zu den Haltungen der Güte, des Verzeihens und des Friedens zu bewegen.“

Die Gedenktafel heiliger und seliger Beter im Kölner Dom, die sich in der Krypta befindet, ehrt den Worringer Seligen mit einem eigenen Schriftzug, die Pfarrkirche St. Pankratius mit einem Denkmal an der Kirche. Die Apostolische Schule der Legionäre Christi in Bad Münstereifel führte am 8. Juli 2017 ein Musical zu Ehren des seligen Pfarrers Marxen auf, dessen Familie vier Jahre an eben diesem Ort gewohnt hatte.

Pfarrer Marxen hat als neuer Seliger einen eigenen Platz unter den „Eigenfeiern des Erzbistums Köln“. Sein liturgisches Gedächtnis ist auf den 16. November, seinen Todestag, gelegt worden.

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Kerzen für den Frieden in Syrien

Von Tobias Lehner

Über 1000 hl. Messen haben katholische Gemeinden in Syrien, Ägypten, im Libanon und auf der Arabischen Halbinsel sowie zahlreiche orthodoxe Christen in der Advents- und Weihnachtszeit gefeiert, um Papst Franziskus für seine Teilnahme an der Adventsinitiative „Kerzen für den Frieden in Syrien“ zu danken. Die Päpstliche Stiftung „Kirche in Not“ hat sie ins Leben gerufen. Am 1. Adventssonntag 2018 hatte Papst Franziskus während des Angelus-Gebets eine Kerze entzündet und gebetet, dass „diese Flamme der Hoffnung die Schatten des Krieges zerstreuen mögen“. Die Kerze war von einem Kunsthandwerker aus dem Stadtviertel Bab Touma in der Altstadt von Damaskus hergestellt worden. An der Kampagne hatten sich mehr als 50.000 Kinder verschiedener Konfessionen und Religionen in syrischen Städten beteiligt, die besonders vom Krieg betroffen sind – u.a. in Aleppo, Damaskus und Homs. Am 1. Januar, dem Weltgebetstag für den Frieden, hatten sich auf Initiative des melkitisch-katholischen Erzbischofs von Zahlé und Forzol, Issam John Darwich, auch hunderte Gemeinden im Libanon an der Kampagne beteiligt. Sie haben in ihren Neujahrsgottesdiensten Kerzen entzündet und für den Frieden in Syrien und im gesamten Nahen Osten gebetet.

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Kinderbibel von „Kirche in Not“ feiert Jubiläum

Heimlicher Weltbestseller wird 40

Die Päpstliche Stiftung „Kirche in Not“ feiert in diesem Jahr den 40. Geburtstag ihrer Kinderbibel „Gott spricht zu seinen Kindern“. Über 51 Millionen Exemplare in 189 Sprachen wurden seither weltweit verteilt. „Es ist nach menschlichen Maßstäben nicht fassbar, wie vielen Kindern, aber auch Erwachsenen, die Kinderbibel den Weg zu Gott erschlossen hat“, erklärte der Geschäftsführende Präsident der Stiftung, Dr. Thomas Heine-Geldern, zum Jubiläum. In vielen Familien in armen Weltregionen sei die Kinderbibel oft das einzige Buch, das sie je besitzen.

Von Tobias Lehner

Kinderbibel stillt Sehnsucht nach Gott

 Die Briefe aus den vergangenen 40 Jahren, in denen Kinder, Familien, Bischöfe und Seelsorger für die Kinderbibel danken, zeugen von der tiefen Sehnsucht nach Gott, die dieses Buch nach wie vor stillt“, erklärte Heine-Geldern. „Gott spricht zu seinen Kindern“ ist in 99 Kurzkapitel gegliedert und enthält die wichtigsten Texte des Alten und Neuen Testamentes in kindgerechter Sprache. In der aktuellen Version der Kinderbibel stammen diese von der deutschen Theologin Elonore Beck (1926-2014). Die spanische Ordensfrau Miren-Sorne Gomez (*1937) malte die farbenprächtigen Illustrationen, die auch vielfach in Religionsunterricht und Katechese Eingang gefunden haben.

 „Vater“ der Kinderbibel war der niederländische Prämonstratenser Pater Werenfried van Straaten (1913-2003), der Gründer von „Kirche in Not“. Für 1979 hatten die Vereinten Nationen ein „Jahr des Kindes“ ausgerufen. Dies wurde zur Initialzündung für eine langgehegte Idee von Pater Werenfried: „Kinder brauchen so etwas wie eine Kinderbibel, damit das Bild von Jesus in ihren Herzen lebendig wird“, schrieb er damals. „Oft hat die Kirche keine Mittel, eine Kinderbibel in der Muttersprache zu besorgen. Oder die Kirche wird verfolgt und darf solche Schriften nicht herausgeben. Viele Kinder sind so arm, dass sie sich ein Buch nicht leisten können. So wollen wir ihnen eine Kinderbibel schenken.“

 Große Nachfrage von Anfang an

 Bei der Konferenz der lateinamerikanischen Bischöfe im mexikanischen Puebla Ende Januar 1979, an der auch Papst Johannes Paul II. auf seiner ersten Auslandsreise teilnahm, stellte „Kirche in Not“ die Kinderbibel vor. Der Erfolg war überwältigend: Die Bischöfe bestellten prompt 1,2 Millionen Exemplare in spanischer Sprache. Missionare, Bischöfe und Katecheten aus anderen Ländern erfuhren davon und machten weitere Übersetzungen nötig. Heute sind es 189 Sprachversionen – von Afar, das von rund eineinhalb Millionen Angehörigen des gleichnamigen Volkes in Äthopien, Eritrea und Dschibuti gesprochen wird, bis zu isiZulu, einer Bantu-Sprache im südlichen Afrika. Regelmäßig kommen neue Übersetzungen hinzu. Schließlich gibt es allein in Afrika über 2000 eigenständige Sprachen. Dort leistet die Kinderbibel bis heute einen wichtigen Beitrag bei der Alphabetisierung.

Von Anfang an stellt „Kirche in Not“ in bedürftigen Ländern die Kinderbibel kostenlos zur Verfügung. In wohlhabenderen Ländern deckt der erhobene Preis die Selbstkosten. Zu den am meisten verteilten Exemplaren gehören Ausgaben auf Spanisch (rd. 14 Millionen), Portugiesisch (10,3 Mio.), Englisch (2,5 Mio.), Französisch (1,2 Mio.) und dem ostafrikanischen Swahili (950.000). Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion machte ein christlicher Radiosender die Kinderbibel auf Russisch bekannt. „Kirche in Not“ erreichten daraufhin innerhalb kurzer Zeit eine halbe Million Bestellungen.

Auch die Päpste schätzen die Kinderbibel: So hat Papst Benedikt XVI. bei seinem Pastoralbesuch in Brasilien im Mai 2007 die zehnmillionste Ausgabe der Kinderbibel verteilt. Auf Deutsch wurden bis heute rd. 500.000 Exemplare verbreitet.

„Bekannteste Visitenkarte von ,Kirche in Not‘“

 „Die Kinderbibel ist sicher die bekannteste Visitenkarte von ,Kirche in Not‘“, sagt der Geschäftsführer der deutschen Sektion des Hilfswerks, Florian Ripka. Sie gehöre nach wie vor zu den am meisten nachgefragten Artikeln für die Glaubensverkündigung. „Als pastorales Hilfswerk ist uns natürlich die Weitergabe der Frohen Botschaft ein Herzensanliegen“, so Ripka. Aus diesem Grund sei in den zurückliegenden Jahren eine „Kinderbibelfamilie“ entstanden, eine Produktpalette rund um die Kinderbibel, „die Glaubensweitergabe spielerisch möglich macht“. Dazu zählen unter anderem ein Mal- und ein Bilderbuch, Bibelgeschichten im Mini-Format, ein Kinderbibelquiz, ein Memo-Spiel, ein Quartett und ein Bibelsti-ckeralbum zum Sammeln und Tauschen.

 „Kirche in Not Deutschland“ hat neben anderen internationalen Ausgaben auch Kinderbibeln auf Arabisch und Farsi auf Lager. Diese werden Flüchtlingsseelsorgern kostenlos zur Verfügung gestellt. Dies entspreche genau der Grundidee von „Kirche in Not“, findet Florian Ripka: „Die Frohe Botschaft muss die Herzen der Menschen erreichen. Die Kinderbibel leistet einen Beitrag, Sprachbarrieren zu überwinden und unterstützt die Neuevangelisierung. Gäbe es sie nicht, müsste man sie erfinden.“

Die Grundausgabe der Kinderbibel „Gott spricht zu seinen Kindern“ kostet 2,50 Euro zzgl. Versandkosten. Weitere Produkte zur Kinderbibel finden sie unter: shop. kirche-in-not.de/ – Bestellbar sind die Artikel entweder online oder bei: Kirche in Not, Lorenzonistr. 62, D-81545 München, Tel. 089/64248880, Fax: 089/642488850, E-Mail: kontakt@kirche-in-not.de  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2+3/Februar+März 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

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