Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Wie kann es uns gelingen, den christlichen Glauben auch heute noch an junge Menschen weiterzugeben? Dieser brennenden Frage widmete sich die Bischofssynode im Oktober 2018. Sie stand unter dem Thema „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsunterscheidung“. Nun geht die intensive Synodenarbeit von Bischöfen und Vertretern der Jugend aus der ganzen Welt unmittelbar in den Weltjugendtag über, der vom 22. bis 27. Januar 2019 in Panama stattfindet. Papst Franziskus betrachtet das Zusammentreffen als Zeichen der Vorsehung und sieht zwischen der Jugendsynode und dem Weltjugendtag eine enge Verbindung. Beide Ereignisse möchte er dazu nützen, den Jugendlichen zu zeigen, dass sie im Zentrum des Interesses der Kirche stehen.

Ähnlich hatte sich bereits der hl. Papst Johannes Paul II. ausgedrückt. Als er 1985 die Weltjugendtage begründete, rief er den Jugendlichen zu: „Christus braucht euch! Die Kirche braucht euch!“ Und er nützte die großen Treffen, um den jungen Menschen ein apostolisches Sendungsbewusstsein zu vermitteln. Unermüdlich spornte er sie an, sich für die Evangelisierung ihrer Gleichgesinnten einzusetzen. Für die Mission, die er ihnen übertrug, prägte er die Worte: „Ihr seid die Apostel der neuen Evangelisierung! Ihr seid die Baumeister einer neuen Zivilisation der Liebe! Ihr seid die Wächter eines neuen Morgens!“

Papst Franziskus geht nicht weniger ernsthaft auf die Jugendlichen zu. Aber er setzt einen neuen Akzent. Während Johannes Paul II. die jungen Menschen als Speerspitze der Evangelisierung vorausschickte, sieht Franziskus den Beitrag der Jugend zunächst innerhalb der Kirche. Er ist überzeugt, dass die Kirche die Jugend braucht, um selbst ihren Weg zu finden und zu verstehen, wie Neuevangelisierung in unserer modernen Welt gelingen kann. Wenn wir uns in aller Offenheit gemeinsam mit den jungen Menschen auf den Weg machen, werden wir lernen, was Gott von der Kirche in der gegenwärtigen Zeit erwartet. Der Papst hat dafür den Begriff der „Synodalität“ geprägt und die Kirche eingeladen, den Jugendlichen zunächst einmal zuzuhören, um dann zu begreifen, wie man sie begleiten und auf den Weg zur Begegnung mit Christus führen kann.

Die Jugendsynode war nichts Spektakuläres, doch die Teilnehmer sprachen von einer Erfahrung des Heiligen Geistes, die ihnen die Augen für das Wesen der Kirche neu geöffnet habe. Es gehe nicht um eine Liberalisierung oder Demokratisierung der Kirche, nicht um die Relativierung von lehramtlichen Überzeugungen, sondern um das Verständnis, wie Gott zu wirken beginnt, wenn wir wirklich aufeinander hören.

Jugendbischof Dr. Stefan Oster hob am Ende der Synode die Einsicht hervor, dass das Zuhören nicht nur eine pädagogische, sondern eine theologische Bedeutung habe: „Gott hört sein Volk – und wir lernen miteinander Ihn kennen und hören und verstehen untereinander. Das ist es auch, was ich mir im Blick auf unsere Kirche in Deutschland erhoffe: dass wir mehr aufeinander hören und miteinander weitergehen – alle zusammen und vor allem mit den jungen Menschen – und dass wir dabei miteinander auf den Herrn und sein Wort hören.“

Liebe Leser, wir gehen dankbar in ein neues Jahr. Vielleicht können Sie Ihren Bekanntenkreis auf unsere Zeitschrift aufmerksam machen. Eine gute Möglichkeit stellt auch das Geschenk-Abonnement dar. Schon jetzt sagen wir Ihnen ein aufrichtiges Vergelt’s Gott für jede Form der Unterstützung. Von Herzen wünschen wir Ihnen Gottes reichsten Segen für das Neue Jahr. Möge er Ihnen auf die Fürsprache unserer himmlischen Mutter Maria Zuversicht, Frieden und Gesundheit schenken, in allem aber Freude am Glauben und am Leben.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2019
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Zum Ergebnis der Jugendsynode

Freude am Leben

Die Jugendsynode im Oktober 2018 war intensiv vorbereitet worden. Eineinhalb Jahre lang wurde mit Hilfe von Beiträgen aus der ganzen Welt ein Grundlagenpapier erarbeitet, das den Ausgangspunkt für die Beratungen bildete. Davon unterscheidet sich jedoch ganz erheblich das Abschlussdokument, das bereits am Ende der Synode publiziert werden konnte. Schon darin zeigte sich die besondere Dynamik, welche sich im Lauf der dreiwöchigen Synodenarbeit entwickelt hatte. Für den Weg, den die Synodenväter miteinander eingeschlagen hatten, wurde der Ausdruck „Synodaliät“ geprägt. Neben den Inhalten wurde schließlich diese Art und Weise des Miteinanders als wesentliches Ergebnis der Bischofssynode vorgestellt. Pfarrer Erich Maria Fink, der dem Begriff der „Synodalität“ und seiner Bedeutung ein wenig nachgeht, sieht den Beitrag der Jugendsynode für das Leben der Kirche insgesamt in einem positiven Licht.

Von Erich Maria Fink

Vom 3. bis zum 28. Oktober 2018 tagte in Rom die XV. Ordentliche Generalversammlung der Bischofssynode, kurz „Jugendsynode“ genannt. Denn sie stand unter dem Thema „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsunterscheidung“.

„Synodalität“ – Erfahrung des synodalen Prozesses

Die meisten Teilnehmer kehrten von der dreiwöchigen Synode dankbar nachhause zurück. Sie hatten das Empfinden, an einem außerordentlichen Ereignis der Weltkirche teilgenommen zu haben. Der Grund bestand weniger in den Inhalten, auf die man sich im gemeinsamen Abschlussdokument mit großer Mehrheit geeinigt hatte. Vielmehr war es die Art und Weise, wie die Synodenarbeit von den Mitwirkenden erlebt wurde. Von Anfang an hatte man sich vorgenommen, aufeinander zu hören, sich unvoreingenommen auf die Erfahrungen der Jugendlichen einzulassen und gemeinsam danach zu suchen, was der Heilige Geist der Kirche von heute sagen möchte. Dieser Prozess führte in gewisser Weise zur Entdeckung einer neuen Idee von „Synode“, die man mit dem Begriff „Synodalität“ wiederzugeben versuchte. Auch wenn die Bedeutung des Begriffs noch nicht im Detail geklärt werden konnte, so wurde er doch zum Schlüssel der Jugendsynode und ihrer Botschaft an die Kirche.

Unter „Synodalität“ wird die Art und Weise verstanden, wie wir als gläubige Menschen in der Welt gemeinsam unterwegs sein müssen, um unsere christliche Berufung – und zwar als einzelne wie als Kirche – erkennen und verwirklichen zu können. Die Beschäftigung mit dem Thema Jugend war ein idealer Anschauungsunterricht, um zu verstehen, dass die Kirche den jungen Menschen von heute das Evangelium nur dann vermitteln kann, wenn sie sich zunächst auf die jungen Menschen einlässt, ihnen zuhört, die Herausforderungen ihres Lebens in der modernen Welt kennenlernt, ihre Fragen und Probleme zu verstehen versucht und gleichzeitig bereit ist, von den Jugendlichen und ihren Erfahrungen zu lernen. Nur so kann ein gemeinsames Schauen auf Jesus Christus gelingen, aus dem das Erkennen des göttlichen Willens hervorgeht.

Das Erleben des synodalen Prozesses sei für ihn die wichtigste Synodenerfahrung gewesen, so resümierte beispielsweise der Münsteraner Bischof Dr. Felix Genn, der auch Vorsitzender der Kommission für Geistliche Berufe und Kirchliche Dienste der Deutschen Bischofskonferenz ist. Von vornherein stellte er klar, dass „Synodalität“ etwas ganz anderes sei als ein demokratischer Entscheidungsprozess. Wörtlich sagte er: „Es geht um einen Weg, bei dem ich am Anfang nicht weiß, was sich am Ende zeigt. Dabei fühle ich mich bestätigt und herausgefordert zugleich: In der Kirche wachsen Entscheidungen zur Erkenntnis dadurch, was der Geist uns heute sagt, durch den gemeinsamen Prozess von Wahrnehmen der Situation, Deuten im Licht des Glaubens durch Unterscheidung, wählen, was sich gezeigt hat zu tun. Grundbedingung ist ein Hören, das aus sich herausgeht und mit Empathie den Anderen aufnimmt.“

Kirche und Jugend – eine Schicksalsgemeinschaft

Es geht nicht darum, die allgemein gültigen Gebote Gottes zu hinterfragen oder zu relativieren, sondern darum, den Ruf zu hören und zu verstehen, der heute an die jungen Menschen ergeht. Dies kann den Jugendlichen nicht gelingen, wenn sie sich selbst überlassen werden und auf sich allein gestellt sind, es kann aber auch den Hirten der Kirche nicht gelingen, wenn sie sich nicht in eine Weggemeinschaft mit den jungen Menschen begeben. Jugend und Kirche sind gleichsam eine Schicksalsgemeinschaft. Und dabei kommt es nicht nur darauf an, den jungen Menschen zu helfen, in einer sich rasant ändernden Welt ihre christliche Identität zu finden und aus dem Evangelium heraus diese Welt mitzugestalten. Auch die Kirche als Ganze findet durch diesen Dialog mit der Jugend ihren Weg der Neuevangelisierung.

Es sind neue Fragen, welche das Leben junger Menschen prägt, wie die weltweite Migration, die orientierungslose Sexualisierung der Gesellschaft oder die Digitalisierung, welche eine virtuelle Welt mit ihren sozialen Netzwerken und fast grenzenlos erscheinenden Möglichkeiten schafft. In all diese Bereiche kann ein helles Licht fallen, wenn die Beteiligten gemeinsam nach der Wahrheit der christlichen Botschaft fragen und sich für den Anruf Gottes öffnen. Dabei müssen die jungen Menschen von ihrem alltäglichen Leben ausgehen und von dieser Wirklichkeit aus auf Jesus Christus zugehen, sich also von dieser Lebenswirklichkeit aus – um hier bewusst diesen vielstrapazierten Begriff zu verwenden – das Wort Gottes, das Gebet und die Sakramente erschließen. Nur wenn es ihnen gelingt, eine lebendige Verbindung zwischen ihrem Leben und dem Auftrag der Kirche herzustellen, können sie ihr Leben als Berufung begreifen und den konkreten Ruf Gottes erkennen. In der Gegenwart des Schöpfers, mit der kraftvollen Vergebung des Erlösers, mit der Schönheit seiner Liebe können sich die Abgründe, welche sich heute vor den Jugendlichen auftun, in ungeahnte Chancen für das Reich Gottes verwandeln.   

Inhaltlich hat die Synode für entsprechende Überraschungen gesorgt. Obwohl sich das Abschlussdokument zum sexuellen Missbrauch in der Kirche mit einer Sprache äußert, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt, rührt es die Zölibatsverpflichtung für Priester nicht an. Die enttäuschten weltlichen Beobachter erwarten sich eine Lockerung nun von der nächsten Bischofssynode, die sich im Herbst 2019 mit der Seelsorge am Amazonas beschäftigen wird. Die Medien sind auch von den Aussagen über Homosexualität ernüchtert. Sie hatten eine lehramtliche Stellungnahme erwartet, welche gelebte Homosexualität endlich positiv bewertet. Doch gehen die Texte im Abschlussdokument nicht über die Aussagen hinaus, welche die Glaubenskongregation in ihren Dokumenten bereits unter Joseph Kardinal Ratzinger vorgelegt hat. Besonders bedauert wird die Tatsache, dass die Abkürzung LGBT, welche im „Instrumentum laboris“ der Jugendsynode und damit zum ersten Mal in einem vatikanischen Dokument (vgl. Nr. 197) Verwendung gefunden hatte, im Abschlussdokument nicht mehr auftauchte.    

Vorbild des hl. Benedikt

Die Weichen für den synodalen Weg hatte Papst Franziskus selbst gestellt. Er schwor die Synodenteilnehmer geradezu darauf ein, den Jugendlichen zunächst einmal zuzuhören. Am 13. Januar 2017 hatte er einen breitangelegten Prozess zur Vorbereitung der Bischofssynode eingeläutet. Er richtete ein persönliches Schreiben an die Jugendlichen und legte ein so genanntes „Vorbereitungsdokument“ mit Fragebogen zur kirchlichen Jugendarbeit vor, welches das Generalsekretariat der Bischofssynode ausgearbeitet hatte. Aus den Antworten sollte das Grundlagenpapier für die Synodenarbeit, das so genannte „Instrumentum laboris“, erstellt werden, das schließlich am 19. Juni 2018 publiziert wurde. Dass sich das Abschlussdokument, das unmittelbar nach seiner Abstimmung am 27. Oktober 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, von diesem Arbeitspapier doch wesentlich unterscheidet, kann bereits als Hinweis auf die fruchtbare Arbeit der Synode gedeutet werden.

In seinem kurzen Brief an die Jugendlichen vom 13. Januar 2017 hatte sich der Papst bei seiner Aufforderung zum Zuhören unter anderem auf den hl. Benedikt berufen. Er schreibt an die jungen Menschen: „Die Kirche möchte auf Eure Stimme hören, auf Eure Sensibilität, auf Euren Glauben, ja auch auf Eure Zweifel und Eure Kritik. Lasst Euren Schrei hören, lasst ihn in den Gemeinschaften erschallen und bis zu den Hirten gelangen. Der hl. Benedikt empfahl den Äbten, vor jeder wichtigen Entscheidung auch die jungen Mönche zu hören, ,weil der Herr oft einem Jüngeren offenbart, was das Bessere ist‘ (Regel des Hl. Benedikt III, 3).“

Folgerichtig ist dieser Appell in die Thematik der „Berufung“ eingebettet. Den zitierten Worten geht unmittelbar die Einladung voraus: „Eine bessere Welt wird auch Dank Euch, Dank Eures Willens zur Veränderung und Dank Eurer Großzügigkeit, aufgebaut. Habt keine Angst, auf den Geist zu hören, der Euch zu mutigen Entscheidungen drängt, bleibt nicht stehen, wenn das Gewissen Euch einlädt, ein Risiko einzugehen, um dem Herrn zu folgen.“

„Damit Eure Freude vollkommen wird“

In der Einleitung des Vorbereitungsdokuments wird die Zielrichtung angegeben, in der die Jugendsynode von Papst Franziskus gesehen wird. Sie beginnt mit den Worten: „,Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird‘ (Joh 15,11): das ist der Plan Gottes für die Frauen und Männer je-des Zeitalters und daher auch für alle Jugendlichen des III. Jahrtausends – ohne Ausnahme.“ Wie in den Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium (2013) und Amoris laetitia (2016) stelle der Papst nun die Freude am Evangelium als Plan für die Jugend im 21. Jahrhundert heraus. Die Kirche habe entschieden, „sich die Frage zu stellen, wie die Jugendlichen begleitet werden können, um die Berufung zur Liebe und zum Leben in Fülle zu erkennen und anzunehmen. Auch die Jugendlichen selbst sollen gebeten werden, ihr dabei zu helfen, die Art und Weise zu erkennen, die heute am wirksamsten ist, um die Frohe Botschaft zu verkünden. Durch die Jugendlichen kann die Kirche die Stimme des Herrn vernehmen, der auch heute noch spricht. Wie früher Samuel (vgl. 1 Sam 3,1-21) und Jeremia (vgl. Jer 1,4-10), so gibt es auch heute Jugendliche, die in der Lage sind, die Zeichen der Zeit zu erkennen, die der Geist unserer Zeit schenkt. Indem wir auf ihre Erwartungen hören, können wir die Welt von morgen erkennen, die auf uns zukommt, und die Wege entdecken, welche die Kirche zu beschreiten berufen ist.“

 Die Jugendsynode ist diesem hohen Anspruch durchaus gerecht geworden. Viele hatten befürchtet, die Synode werde für liberale Tendenzen in der Kirche instrumentalisiert und zu einem Dammbruch in der Glaubens- und Sittenlehre führen. Diese Befürchtungen sind nicht wahr geworden. Doch aus einer solchen Angst heraus wurde verschiedentlich die Erwartung geäußert, Papst Franziskus möge es mit dem Abschlusspapier bewenden lassen und kein Nachsynodales Schreiben verfassen. Ich persönlich kann im Rückblick auf die Jugendsynode im Gegenteil nur meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass uns Papst Franziskus ein solches Dokument schenkt, ganz im Geist der „Freude am Leben“, nach der sich jeder Mensch sehnt, in der aber gerade junge Menschen den Sinn ihres Glaubensweges in der Kirche entdecken müssen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2019
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Gedanken zum Abschlussdokument der Jugendsynode

Mit den Jugendlichen auf dem Weg

Vom 3. bis 28. Oktober 2018 fand in Rom die XV. Ordentliche Generalversammlung der Bischofssynode unter dem Thema „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsunterscheidung“ statt. Erzbischof Paul Pezzi, der aus Italien stammt und seit 2007 die Erzdiözese der Gottesmutter von Moskau leitet, hat als Vertreter der katholischen Kirche in Russland an der Jugendsynode teilgenommen. Er führte eine Art Tagebuch, das er jeweils auf der offiziellen Webseite seines Erzbistums veröffentlichte, um die Gläubigen in Russland unmittelbar am Synodengeschehen teilhaben zu lassen. Nachdem am 27. Oktober 2018 das Abschlussdokument veröffentlicht worden war, übermittelte er bereits einen Tag später stichpunktartig seine ersten Eindrücke von diesem Synoden-Ergebnis. Das Dokument liegt in italienischer Sprache vor, eine deutsche Übersetzung soll in Kürze publiziert werden. Nachfolgend der Tagebucheintrag vom 28. Oktober 2018 ins Deutsche übersetzt.

Von Erzbischof Paul Pezzi, Moskau

Zuhören ist eine Begegnung von Freiheiten, von zwei Freiheiten. Wenn die Kirche der Jugend zuhört, tritt sie in eine Bewegung des dreifaltigen Gottes ein, des Vaters, der den Sohn sendet. Die Kirche, die auf den Menschen zugeht, tut genau das, was Jesus von Nazareth getan hat. 

In der Kirche müssen die Erwachsenen mehr auf die jüngeren Generationen hören und ihnen ihre Aufmerksamkeit schenken. Das bedeutet, dass die Kirche zunächst auf die Fragen, auf die Rufe der Jugend hören muss, bevor sie ihr Antworten anbietet, die sie schon im Voraus formuliert hat. Wenn sie nicht zuerst auf die Fragen hört, wird sie sich sehr schwer tun, das Evangelium so zu verkünden, dass es die Herzen der fragenden Jugend erreicht.

Wenn wir dem Anderen nicht zuhören, ist es, als würden wir ihn vorher aus unserem Umfeld „hinauswerfen“: Es erinnert an die Kultur des „Wegwerfens“ oder sogar des „Mülls“. Sie ist in diesem Sinn tatsächlich nicht weit von uns entfernt.

Die Verkündigung des Evangeliums muss eng mit dem Zeugnis verbunden sein: Dann kann die Kirche auch eine echte Erziehung leisten, die zu einer umfassenden Entfaltung der Persönlichkeit führt. Wenn sich Professionalität verselbständigt, wenn sie das Gemeinwohl aus dem Blick verliert, und zwar sowohl für die einzelne Person in ihrer Gesamtheit als auch für die ganze Gesellschaft, kann sie keine freie Erziehung der Person gewährleisten.

Was ist pastorale Jugendarbeit? Sie darf nicht nur etwas für „Berufene“ sein, sondern muss für jeden Priester wieder zur Priorität werden. Außerdem muss die ganze Gemeinde in die Jugendarbeit einbezogen werden, andernfalls zerfällt sie in Gruppen, die untereinander nicht mehr in Verbindung stehen.

Die Pfarrei stellt für die Mehrheit der Gläubigen bereits keinen bedeutenden Ort mehr dar. Umso mehr gilt das für die Jugend. Deshalb ist es unerlässlich, die Wichtigkeit der Pfarrei unter unseren heutigen Bedingungen wieder neu zu definieren und ihre Bedeutung zum Ausdruck zu bringen. Außerdem müssen neue Zugänge zur Katechese gefunden werden, die sich besser für junge Menschen eignen, insbesondere für Jugendliche im Alter zwischen 14 und 21 Jahren.

Es ist notwendig, Bedingungen zu schaffen, dass Seminaristen, Novizen und Verlobte den Weg der Gemeinde fortsetzen können, auf dem sie ihre Berufung entdeckt haben, auf dem ihre Berufung gewachsen ist und sich entwickelt hat.

Der virtuelle Raum wird zu einer immer größeren „Plattform“, auf der die jungen Menschen, zumindest die meisten von ihnen, sehr viel Zeit verbringen. Für sie ist die virtuelle Welt zu einer Realität geworden, und zwar in dem Sinn, dass sie die sozialen Netzwerke als Orte der Begegnung betrachten. Es ist notwendig, von Online-Communities, von den virtuellen Gemeinschaften zu einer echten Kommunikation zurückzukehren.

Das Phänomen der Migranten und Flüchtlinge ist einer der wichtigsten Aspekte im heutigen globalen Raum, wenn nicht vielleicht sogar der wichtigste. Es ist unmöglich, diese Frage zu erörtern, ohne die Perspektive der Ewigkeit („Unsere Heimat ist im Himmel“, sagt der hl. Apostel Paulus, vgl. Phil 3,20) und das Beispiel des jüdischen Volkes in den Blick zu nehmen: Im Ergebnis kommen wir zu einem unausweichlichen Moment in der Geschichte jeder Person. Er dauert nicht unbedingt ein Leben lang, aber er ist notwendigerweise zumindest in einem bestimmten Teil des Lebens eines jedes Menschen und jeder Nation präsent.

Missbrauch ist heute das schwerste Hindernis für die kirchliche Jugendarbeit. Konkret bekommen die Geistlichen eine seltsame Angst davor, als Erzieher, als Vater im Glauben und als Gefährte junger Menschen zu wirken. Durch den Missbrauch hat das Geschwür des Klerikalismus eine tragische Ausweitung erfahren, denn beim Missbrauch verkehrt sich das Dienen in Macht.

Risse im familiären Leben können junge Menschen zwingen, vorzeitig „erwachsen“ zu werden. Und oft werden diese Menschen nie wirklich erwachsen. Sie ahmen das Leben der Erwachsenen nur nach und zeigen auf der „Bühne“ ihres Lebens die schlimmsten Seiten der Erwachsenen.

Kann ein „Selfie“ Ausdruck von Narzissmus oder Missbrauch seines Körpers sein?

Durch Arbeitslosigkeit verlieren junge Menschen den Bezug zur Realität, die Verwurzelung in der Wirklichkeit und die Beteiligung am realen Geschehen. Gleichzeitig geraten sie in die Gefahr, ausgebeutet zu werden.

Musik und Liturgie: Ist es heute unmöglich, beides zusammenzubringen, oder ist es ein Feld, auf dem man sich ständig um eine erneuerte Begegnung bemühen muss?

Ich denke, das, was die Jugend sucht, spiegelt sich gut in der Bitte der beiden Griechen wider, die an Philippus und Andreas herantraten und baten: „Wir möchten Jesus sehen!“ (vgl. Joh 12,21).

Die Kirche ist jung dank des Heiligen Geistes, der sie ständig erneuert. Sie ist tatsächlich „ewig jung“ – forever young. Wenn sie älter wird, liegt es nur daran, dass der Geist sie „verlassen“, oder besser gesagt, dass sie ihn „vergessen“ hat. Möglicherweise nehmen wir unser Leben kaum als Berufung wahr, weil der Heilige Geist in unserem Leben der große Unbekannte ist.

Ist jemand von uns bereit, auf die Freiheit der Jugend zu wetten? Wir müssen das gesamte Risiko der Freiheit auf uns nehmen, wenn wir auf die Hohe See hinausfahren wollen… (vgl. Lk 5,1-11). Freiheit bedeutet, die zu werden, die wir sind.

Wir müssen eine bestimmte Mission erfüllen, nicht weil wir eine Mission haben, sondern weil wir eine Mission sind. „Die Mission im Herzen des Volkes ist nicht ein Teil meines Lebens oder ein Schmuck, den ich auch wegnehmen kann; sie ist kein Anhang oder ein zusätzlicher Belang des Lebens. Sie ist etwas, das ich nicht aus meinem Sein ausreißen kann, außer ich will mich zerstören. Ich bin eine Mission auf dieser Erde, und ihretwegen bin ich auf dieser Welt“ (Evangelii Gaudium, Nr. 273).

In Evangelii Nuntiandi (Nr. 73) sprach Paul VI. auf wunderbare und prophetische Weise über das, was wir heute brauchen: „Ein Blick auf die Ursprünge der Kirche macht vieles klar und erlaubt, eine alte Erfahrung bei den Dienstämtern aufzugreifen. Diese Erfahrung ist umso wertvoller, weil sie es der Kirche erlaubte, zu wachsen, sich zu festigen und auszubreiten. Dieses Hinschauen auf die Quellen muss freilich durch eine andere Sicht ergänzt werden. Es braucht auch den Blick auf die heutigen Nöte der Menschheit und der Kirche. Aus diesen Quellen zu schöpfen, die immer Anregung vermitteln, nichts von diesen Werten zu opfern und es zu verstehen, sich den heutigen Bedürfnissen und Nöten anzupassen, diese Grundsätze führen dazu, dass man in kluger Einsicht diejenigen Dienste herausfindet und ins Licht rückt, die die Kirche braucht und die zugleich von vielen ihrer Mitglieder gern aufgenommen werden, damit die kirchliche Gemeinschaft möglichst große Lebendigkeit gewinnt.“

Das erste Wort ist die Verkündigung der Schönheit in Christus, alles andere geht daraus hervor. Der Ruf des Starzen Johannes in der „Kurzen Erzählung vom Antichrist“ von Solowjow bleibt aktuell: „Das Wichtigste für uns im Christentum ist Christus, Er selbst und alles, was von Ihm kommt.“

Tradition und Moderne treffen auf besondere Weise in der Liturgie zusammen. Die gesamte Geschichte der Kirche, ihre Überlieferung, fließt in die Liturgie ein, aber die Liturgie drückt auch die Gegenwart aus, in der sie gefeiert wird. Diese Ausdrucksformen können wiederum zu Traditionen werden, die von Zeit zu Zeit neu bedacht werden müssen. Liturgie ist Wachsein, Erwartung der Herabkunft des Heiligen Geistes.

Die Ausbildung in den Seminaren darf nicht vom alltäglichen Leben losgelöst sein. Es ist ein wirklicher Weg und er kann nicht vom vorausgehenden Leben des Seminaristen abgetrennt werden.

Können Migranten eine Ressource sein? Können sie Missionare sein? Kann ein Flüchtling Missionar werden? In der Geschichte der Kirche beispielsweise, ganz zu Beginn, wurden Priscilla und Aquila zu großen Missionaren, und sie waren Flüchtlinge.

„Synodalität“ – Es muss geklärt werden, was darunter wirklich zu verstehen ist.

Die Kirche gibt eine Antwort auf die Bedürfnisse der Jugend. Die Reform der Kirche ist eine Rückkehr zu den Ursprüngen, zu Pfingsten.

Eines der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils, die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, beginnt mit den Worten: „Freude und Hoffnung“. Aber unsere Dokumente beginnen oft mit „Traurigkeit und Enttäuschung…“

Eifer, Leidenschaft für Christus – so kann man wohl Maria Magdalena charakterisieren. Ja, es ist großartig, dass das Abschlussdokument über sie spricht; denn das Zentrum der Botschaft an die Jugend muss die Person Christi sein, Liebe, Barmherzigkeit, Eifer um Christi willen…

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2019
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Wortbeitrag im Plenum der Synode zur Begleitung von Jugendlichen

Die Freiheit, das Herz Don Boscos und das Herz Jesu

Sechs Teilnehmer der Jugendsynode kamen aus Deutschland, darunter Bischof Dr. Stefan Oster SDB (Passau), der Vorsitzende der Jugendkommission der Deutschen Bischofskonferenz. Insgesamt setzte sich die Synode aus 267 Bischöfen, 23 externen Fachleuten und 49 Gasthörern (dabei handelte es sich vor allem um junge Erwachsene unter 30 Jahren) zusammen. Sie wurde in 14 Sprachgruppen aufgeteilt, welche Beiträge (Relationes) für das Plenum erarbeiteten. Die deutschsprachige Gruppe, die aus zwölf Personen bestand, wurde von Bischof Genn moderiert, während Bischof Oster als Berichterstatter (Relator) die insgesamt drei Beiträge im Plenum vortrug. Unabhängig davon konnten Synodenteilnehmer jedoch auch persönliche Stellungnahmen vor der gesamten Versammlung abgeben. Davon machte Bischof Oster einmal Gebrauch. Am 10. Oktober 2018 sprach er zum Text im Instrumentum laboris (Nr. 120ff.), bei dem es um die Begleitung von Jugendlichen geht. Sein Wortbeitrag ist ganz unabhängig von der Synode ein wertvoller Impuls für die kirchliche Jugendarbeit.

Von Bischof Stefan Oster SDB, Passau

Heiliger Vater, liebe Schwestern und Brüder, junge Menschen suchen Freiheit, vor allem die Freiheit von Zwängen und die Freiheit wählen zu können, was ihnen Freude macht. Die Kirche dagegen verbinden viele Jugendliche in unserem Land mit einer Institution, die Freiheit einschränkt und die Verhaltensregeln hat, die beginnen mit „Du musst“, „Du sollst“, „Du darfst nicht“. Trotzdem spüren viele Jugendliche auch, dass eine Freiheit der vielen Möglichkeiten alleine noch nicht zu einem echten und authentischen Leben führt, sondern oft in die Beliebigkeit oder in die Sklaverei der Sucht.

Wann aber ist ein Mensch so authentisch, dass man spürt: Diese Person ist wirklich frei – selbst dann, wenn die Lebensbedingungen schwierig sind?

Gott nimmt Freiheit ernst

Die Nummer 121 des Instrumentum sagt uns: „Gott nimmt die Freiheit ernst, die er den Menschen geschenkt hat“. Ich möchte dazu einen relationalen Begriff von Freiheit vorschlagen, der die Jugendlichen in ihrer Sehnsucht nach Freiheit ernst nimmt und sie zugleich tiefer in eine existenzielle Dimension von Freiheit führt. Eine erste Bestimmung lautet: „Freiheit ist: im Herzen eines anderen ich selbst sein dürfen und ich selbst werden dürfen.“ Der biblische Begriff des Herzens bezeichnet die Mitte der Person. Und wir können diese Mitte auch „räumlich“ denken. Wir sagen, wir haben ein weites Herz und ein tiefes Herz. Und je weiter und tiefer ein menschliches Herz ist, desto mehr kann es einem anderen Menschen in sich Raum geben – einen Raum, in dem sich der andere Mensch bejaht und geliebt fühlen und wachsen kann. Und manche haben ein solches Herz für ganz viele: Die Jugendlichen zum Beispiel, die zu Don Bosco ins Oratorium kamen, die kamen nicht einfach in eine abstrakte Institution mit Regeln, sondern sie kamen an einen Ort, der von der Weite des Herzens Don Boscos erfüllt war. Sie waren bei Don Bosco zuhause und konnten dort sie selbst sein und lernen, mehr sie selbst zu werden. Don Bosco kannte jeden von ihnen – und hatte ihn im Herzen. Bei ihm waren sie frei. Und sie haben dann auch wie von selbst gelernt auch seine Regeln zu respektieren und Gemeinschaft zu leben: „Freiheit ist im Herzen eines anderen ich selbst sein und ich selbst werden dürfen.“

Die Enge des eigenen Herzens

Gleichzeitig wissen wir nun, dass wir Menschen alle in der Kapazität unseres eigenen Herzens Grenzen haben. Wir sind selbst oft gebrochen, verwundet, egoistisch. Unser Herz ist oft eng mit wenig Raum für andere. Oder wir benutzen andere für uns und halten sie fest und lassen sie nicht frei – damit sich unser eigenes Herz nicht so leer anfühlt. Junge Menschen spüren das und wünschen sich auch, wie es Nummer 132 sagt, dass sich die Begleiter ihrer eigenen Fehlbarkeit bewusst sein müssen. Auch unser Herz braucht immer neu Heilung und Befreiung.

Das Herz Jesu: Herz der Welt

Christen dürfen aber aus der Erfahrung leben, dass die eigentliche Tiefe unserer Freiheit das Herz Jesu ist. Seine ausgestreckten Arme am Kreuz und sein für uns durchbohrtes Herz sagen uns: „Hier ist der Ort deiner Freiheit, hier ist unendliche, absichtslose Liebe für Dich, hier ist Vergebung aller Sünden. Hier ist das Herz der Welt, hier bist Du wirklich zuhause.“ Wer im Glauben dorthin findet, der darf von innen her erkennen: Hier kann ich ich selbst sein – und tiefer ich selbst werden. Ohne mich verstellen zu müssen und ohne süchtig zu werden nach oberflächlichem Genuss. Tiefere, existenzielle Freiheit ist also: „Im Herzen Jesu ich selbst sein dürfen und ich selbst werden dürfen.“

Begleitung als Freigabe

Wir leben deshalb Freiheit mit den Jugendlichen und für sie nur dann authentisch, wenn wir selbst im Herzen Jesu zuhause sind. Und wenn wir selbst unser Herz von seinem Herzen heilen und weiten lassen. Dann können die Jugendlichen durch uns verstehen lernen, wo sie eigentlich zuhause sind. Und dann können auch wir sie auch frei lassen und frei geben – auf Jesus hin. Und dann müssen wir sie nicht benutzen oder gar missbrauchen für unseren eigenen Ruhm oder unsere eigene Befriedigung. Denn: „Wirkliche Freiheit ist, im Herzen Jesu ich selbst sein und ich selbst werden dürfen.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2019
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24 konkrete Vorsätze

Die zwölfköpfige deutschsprachige Synodengruppe hat den Bischöfen 24 konkrete Vorschläge für die kirchliche Jugendarbeit gemacht und sie als Relatio ins Plenum eingebracht. Als Konsequenz aus der Jugendsynode sollten die Bischöfe die Anregungen in ihren eigenen Bistümern umsetzen.

• Der Vorsatz, regelmäßig persönlich zu fasten, regelmäßig Novenen für Jugendliche zu beten, oder mit einem Teil des Privateinkommens junge Menschen zu unterstützen.

• Der konkrete Vorsatz, sich regelmäßig mit jungen Menschen zu treffen, besonders mit den weniger privilegierten Jugendlichen.

• Der Vorsatz, die Option für die Jugend im Bistum neu zu beschließen und dies auch durch konkrete pastorale Maßnahmen und finanzielle Umschichtungen sichtbar zu machen.

• Der Vorsatz, konkrete Jugendnot im Bistum aufzuspüren und sie lindern zu helfen (z.B. versteckte oder offene Armut, Drogensucht, Jugendkriminalität, jugendliche Migranten, Opfer von Missbrauch und Gewalt).

• Der Vorsatz, mit einem Team von Jugendlichen nach konkreten Möglichkeiten zu suchen, wie heute Evangelisierung und missionarisches Christsein gelingen können, z.B. auch in der digitalen Welt oder auf den verschiedenen Ebenen der Kirche (Bistum, Pfarrei etc.).

• Der Vorsatz, Jugendleiter auszubilden und Menschen zu fördern, die junge Menschen begleiten wollen und können.

• Der Vorsatz, Personal für junge Menschen und Jugendorganisationen zur Verfügung zu stellen und geistliche Begleiterinnen und Begleiter für sie zu qualifizieren.

• Der Vorsatz, schon gelingende Bewegungen, Verbände und andere Organisationen der Jugendarbeit verstärkt zu fördern und zu stärken.

• Der Vorsatz, zu einer Wallfahrt mit jungen Menschen einzuladen.

• Der Vorsatz, sich persönlich intensiver um die Begegnung und Ausbildung mit den Seminaristen zu kümmern.

• Der Vorsatz, junge Menschen zu ökologischen Projekten zu ermutigen oder zu politischem Engagement oder zum Einsatz gegen Gewalt etwa im Internet – und sie dabei konkret zu unterstützen.

• Der Vorsatz, nach „best practice“ Beispielen von jugendlichem Engagement anderswo Ausschau zu halten und sie im eigenen Bistum zu etablieren (z.B. 72 Stunden Aktion o.Ä.).

• Der Vorsatz, regelmäßig zu ansprechenden liturgischen Feiern einzuladen oder zu Gebetstreffen oder zu katechetischen Treffen mit dem Bischof.

• Der Vorsatz, eine Jugendkirche einzurichten.

• Der Vorsatz, persönlich den jungen Menschen Exerzitien zu predigen.

• Der Vorsatz, mindestens einen geistlichen „Event“ pro Jahr für junge Menschen zu veranstalten (z.B. den regionalen Weltjugendtag).

• Der Vorsatz, mit jungen Menschen die Vorbereitung auf die Kar- und Ostertage gemeinsam zu erleben oder ein Wochenende im Advent.

• Der Vorsatz, ein Forum zu schaffen, bei dem ohne Angst und offen über Fragen der Sexualität gesprochen werden kann.

• Der Vorsatz, mit jungen Menschen gemeinsam zu überlegen, wie neue Räu-me für junge Menschen in der Kirche entstehen können.

• Der Vorsatz, mit ihnen zusammen Zeiten der Anbetung zu feiern, Nachtwachen, 24/7-Gebetszeiten o.Ä. zu gestalten.

• Der Vorsatz, selbst eine Gruppe junger Menschen einzuladen, um mit ihr regelmäßig die Bibel zu teilen.

• Der Vorsatz, eine Schule der Jüngerschaft im Bistum einzurichten.

• Der Vorsatz, Beratungs- oder Anlaufstellen für junge Menschen zu schaffen, wo sie konkret über persönliche, familiäre, schulische, gesundheitliche oder andere Probleme sprechen können.

• Der Vorsatz, Orden oder geistliche Gemeinschaften ins Bistum einzuladen, die sich besonders um junge Menschen sorgen.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2019
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Mutiges und großzügiges „Ja“ nach dem Vorbild Mariens

Weltjugendtag in Panama

Von der Jugendsynode im Oktober 2018 lässt sich wunderbar der Bogen zum bevorstehenden Weltjugendtag spannen, der vom 22. bis 27. Januar in Panama stattfinden wird. Die Jugendlichen der Welt sollten spüren, dass sie im Zentrum des Interesses der Kirche stehen. So hatte Papst Franziskus in seinem Brief an die Jugend vom 13. Januar 2017 geschrieben. Er schloss diesen Brief mit den Worten: „Ich vertraue Euch Maria von Nazareth an, einer Jugendlichen wie Ihr, auf die Gott seinen liebevollen Blick gerichtet hat. Er nehme Euch an der Hand und geleite Euch zu einem vollen und großzügigen ,Ich bin bereit‘ (vgl. Lk 1,38).“ Damit ist der Papst auch schon beim Thema von Panama, in das uns Richard Sohler, der Mitbegründer der JUGEND 2000 in Deutschland, mit ersten Informationen einführen möchte.

Von Richard Sohler

Aus Deutschland werden etwa 1000 junge Menschen am Weltjugendtag in Panama teilnehmen. Eine Gruppe von 160 Jugendlichen wird sich unter der Trägerschaft der beiden Diözesen Augsburg und Eichstätt sowie der JUGEND 2000 Deutschland auf den Weg machen. Begleitet wird die Pilgergruppe von Weihbischof Florian Wörner und weiteren zehn Priestern. Die jungen Teilnehmer kommen dank der Verbindung zur JUGEND 2000 aus 20 verschiedenen Diözesen.

Revolution des „Dienstes“

Das Thema des Weltjugendtags lautet: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Damit führt der Papst den marianischen Zyklus weiter, den er 2017 mit dem Thema „Denn der Mächtige hat Großes an mir getan“ (Lk 1,49) begann, im Jahr 2018 mit dem Thema „Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden“ (Lk 1,30) weitergeführt wurde und nun in das mutige und großzügige „Ja“ der Gottesmutter einmündet.

Über dieses Ja sagt Papst Franziskus im Blick auf Panama: „Das Ja desjenigen, der das Geheimnis der Berufung verstanden hat: Aus sich selbst herauszugehen und sich in den Dienst der anderen zu stellen. Unser Leben findet seinen Sinn nur im Dienst an Gott und an dem Nächsten. … Das ist die Kraft der Jugend, die Kraft von allen, die Kraft, die die Welt verändern kann! Die Revolution, die die großen Kräfte dieser Welt zerstören kann: die ,Revolution‘ des Dienstes.“ Der Papst ermutigte die Jugendlichen, den Herrn wie Maria zu ihnen sprechen zu lassen; sie würden sehen, wie sich ihr Leben verändert und folglich mit Freude erfüllt.

Unter dem Schutz Unserer Lieben Frau von Fatima

 

Bereits am 21. Februar 2017 hatte der Erzbischof von Panama, Monsignore José Domingo Ulloa, die Vorbereitung und Durchführung des Weltjugendtags in Panama 2019 unter den Schutz der Jungfrau von Fatima gestellt. Er vollzog die Weihe vor der Pilgermadonna in der Erscheinungskapelle von Fatima bei einer Feier zum 100-jährigen Jubiläum der Marienerscheinungen. Nun wird sich dieses Original, die ursprüngliche Pilgerstatue von Fatima, mit den Jugendlichen aus der ganzen Welt auf den Weg nach Panama begeben und während des Weltjugendtags die Begegnungen des Papstes mit den Teilnehmern begleiten.

Dass auch Portugals Präsident Rebelo de Sousa zum Weltjugendtag nach Panama reisen wird, kann als Zeichen dafür gewertet werden, dass sich das Land auf ein großes Jugendereignis vorbereitet. Man nimmt an, dass sich Portugal gegen einen angeblichen asiatischen Mitbewerber durchgesetzt hat und Lissabon/Fatima Austragungsort des nächsten Weltjugendtags im Jahr 2022 sein werden.

Dies wäre ein gewaltiges Zeichen, ein Triumph des Unbefleckten Herzens Mariens, zumal Fatima die Zeit von 2018 bis 2020 ganz besonders unter das Zeichen der Gnade und Barmherzigkeit gestellt und auch die Jugend in dieses geistliche Programm eingeschlossen hat. Beim Angelus nach der großen Abschlussmesse in Panama am 27. Januar 2019 wird die Wahl des Ortes bekanntgegeben.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2019
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Persönliche Erinnerungen an Robert Spaemann

Mensch und Philosoph

Pater Engelbert Recktenwald ist Priester der Petrusbruderschaft und wirkt als Seelsorger in Hannover. Zum Tod des bekannten Philosophen Robert Spaemann (geb. am 5. Mai 1927 in Berlin – gest. am 10. Dezember 2018 in Stuttgart) verfasste er einen eindrucksvollen Nachruf, der auch von CNA Deutsch veröffentlicht wurde. Die persönliche Verbundenheit Recktenwalds mit Spaemann vermittelt einen tieferen Eindruck, als es viele biografische Daten wiederzugeben vermögen.

Von Engelbert Recktenwald FSSP

Ich begegnete Robert Spaemann zum ersten Mal am 15. August 1988. Ich war damals Seelsorger eines kleinen, aufkeimenden Pflänzchens, nämlich der Stuttgarter Gemeinde der Petrusbruderschaft, die wir, zwölf Priester und ein Diakon, erst einen Monat zuvor gegründet hatten. Spaemann hatte von dieser Gründung gehört und wollte uns kennenlernen. Über einige Umwege gelang es ihm, den Kontakt zu mir herzustellen. Er und seine Frau luden mich mit einigen Gemeindemitgliedern zu sich nach Hause ein. Frau Spaemann fragte mich im Laufe des Gesprächs, wo ich eigentlich wohne. Ich hatte am 9. Juli aus dem Priorat der Priesterbruderschaft St. Pius X., wo ich bis zu den Bischofsweihen am 30. Juni als Priester gelebt hatte, meine Sachen abgeholt und war nacheinander notdürftig in zwei Familien untergekommen. Ich antwortete, dass heute der letzte Tag sei, wo ich bei Familie X in Oberstenfeld wohnen könne. Wie es weitergehe, wisse ich nicht. Daraufhin bot mir das Ehepaar Spaemann sofort seine Wohnung an, in der ich dann für drei Monate bis zur Eröffnung unseres Wigratzbader Priesterseminars im November leben konnte. Zwischendurch fuhr es für drei Wochen in Urlaub, währenddessen es mir das Haus ganz allein überließ. Was für ein Vertrauensbeweis! Wegen einer Erkrankung wurden aus den drei Wochen sogar noch sechs Wochen.

So lernte ich Robert Spaemann kennen und schätzen. Wenn ich mit einem einzigen Wort seine Persönlichkeit beschreiben sollte, so würde ich sagen: lauter. Er war wie ein Nathanael, dem der Herr selber das Zeugnis ausstellte: „Seht, ein wahrer Israelit, in dem kein Falsch ist“ (Joh 1,47). Dabei war er zupackend und konsequent. Er entschied und handelte aus einer großen inneren Sicherheit heraus, mit klarem Blick und ohne ängstliches Zaudern.

Diese Begegnung und die Bücher seiner philosophischen Bibliothek, die mir in seiner Wohnung zur Verfügung stand, entfachten von neuem meine alte Leidenschaft für die Philosophie, und so entschloss ich mich, im Wintersemester 1988 in München bei ihm nochmals das Philosophie-Studium aufzunehmen. Die erste Vorlesung, die ich bei ihm hörte, ging über Platon. Aber bald merkte ich: Spaemann ist in der ganzen Philosophie-Geschichte zu Hause. Antike, mittelalterliche und neuzeitliche Philosophie sind ihm gleichermaßen vertraut. Es war, wie wenn er mit den Großen der Philosophie aus allen Jahrhunderten wie mit Freunden verkehrt, um ihre Einsichten in der ihm eigenen, originellen Weise von neuem zum Leuchten zu bringen und weiterzuentwickeln. Das exakte Gegenbild dazu ist etwa ein Richard Rorty. Dessen Belesenheit und Kenntnis der Philosophie-Geschichte kann sich mit der Spaemanns messen lassen. Aber in ihm kulminiert die dekonstruktive Traditionslinie der Philosophie. Denn die Geschichte der Philosophie ist ja nicht nur eine der Einsichten, sondern auch der Irrtümer. Rorty sammelt die Letzteren wie die Löcher im Schweizer Käse, um zum Schluss nichts mehr in der Hand zu haben und die Philosophie zu verabschieden. Sie bringt nichts fürs Leben. Sein Leben muss sich Rorty außerhalb dessen einrichten, was als Ertrag aus der philosophischen Anstrengung herauskommt. Bei Spaemann ist es umgekehrt: Das Haus seiner Philosophie ist gleichzeitig auch dasjenige, in dem er tatsächlich lebt. Er lebte, was er lehrte. Seine Lehre, seine Erkenntnisse über Gut und Böse, über Glück und Wohlwollen, über Gott und die Welt haben die harte Probe der Lebenspraxis bestanden. Spaemann als Mensch zu kennen und als Philosoph zu hören, war deshalb für mich eine der größten Bereicherungen meines Lebens.

Die Kongruenz von Lehre und Leben bei Spaemann war ihrerseits wiederum ein gelebter Beweis für die Kongruenz zwischen Vernunft und Wirklichkeit, die Spaemann so sehr am Herzen lag. In einem Interview meinte er einmal: Wenn heutzutage noch jemand die Vernunft verteidigt, kann man fast sicher sein, dass es ein Katholik sei. Auch die Vernunft ist ja nichts anderes mehr als eine Ruine auf dem Trümmerfeld, das jene Löchersammler wie Rorty zurücklassen, wenn sie einmal damit anfangen, Vernunft und Realität aus ihrer sie vereinigenden Verankerung herauszureißen, die Gott heißt. Deshalb konnte Spaemann im Umkehrschluss aus der Nietzscheanischen Zerstörung der Vernunft einen Gottesbeweis machen.

Ich bin Spaemann zeit seines Lebens in Freundschaft verbunden geblieben. Immer wieder hat er mich zu einem Besuch eingeladen, und etwa alle ein bis zwei Jahre ist es auch dazu gekommen. Mit wachem Geist hat er alle Entwicklungen in Philosophie, Gesellschaft und Kirche verfolgt. Er war kein Freund der Schönfärberei, aber gleichzeitig von einer so heiteren Gelassenheit, dass man merkte: Die schlimmen Zeitläufte können dem Frieden seiner Seele nichts anhaben. Dieser hatte seine Quellen woanders. Davon zeugen seine Psalmen-Meditationen, die er über Jahrzehnte hinweg niedergeschrieben hatte und schließlich nach Abschluss seiner philosophischen Editionen auch publizierte. Er hatte keine Angst vor dem Tod. Er war sich der ewigen Heimat sicher. Jetzt darf er schauen, was er als Philosoph gedacht und als Christ geglaubt und erhofft hatte.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2019
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Fatima und die junge Bundesrepublik (Teil 13)

Vom weihnachtlichen Beginn des Wiederaufbaus

Im 13. Beitrag ihrer Artikelserie über den Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg lassen Professor Dr. Wolfgang Koch und seine Ehefrau Dorothea Papst Pius XII. in die weihnachtliche Zeit hinein sprechen. Sie haben dazu seine Weihnachtsbotschaft vom Kriegsjahr 1944 aufgenommen und deren Kernaussagen herausgearbeitet. Diese Radioansprache, die heute natürlich nicht mehr im Bewusstsein präsent ist, kann als wahre Entdeckung bezeichnet werden. Auf dem Hintergrund der damaligen Situation ist sie ein weitsichtiges, ja prophetisches Wort über die künftigen Herausforderungen an die freiheitliche Demokratie. Sie spiegelt eine einzigartige Klarheit wider, welche sowohl die Prinzipien der christlichen Soziallehre als auch die Persönlichkeit Papst Pius‘ XII. zum Leuchten bringt. Das Ehepaar Koch zeigt die Aktualität der mahnenden Worte dieses großen Papstes gerade für unser Zeitalter der Digitalisierung auf.  

Von Dorothea und Wolfgang Koch

Ein ‚christliches Deutschland‘ gibt es nicht mehr“, diagnostiziert der Zeithistoriker Thomas Großbölting (*1969).[1] Viele vormals enge Bande zum Christentum seien gekappt, das doch gerade in der deutschen Kultur und Gesellschaft in höchstem Maße „inkulturiert“ gewesen sei. Weite Teile des Alltagslebens und der kulturellen, politischen und sozialen Vorstellungen würden nicht mehr vom Christlichen berührt.

„Wir verlieren unsere Wurzeln – warum löst der gigantische Niedergang noch immer keinen Aufschrei aus?“, fragt der Journalist Peter Seewald (*1954) den Passauer Bischof Stefan Oster (*1965). „Das Salz ist schal geworden“, antwortet dieser illusionslos.[2] Und Yvonne Hofstetter (*1966), Trägerin des Theodor-Heuss-Preises 2018, fragt im Sturm der Digitalisierung besorgt nach dem „Ende der Demokratie“.[3]

Wie so oft in der Geschichte der heiligen Kirche, die selbst Erkrankungssymptome zeigt, stehen Christen vor einem Wiederaufbau. Wissend, dass sich Geschichte nicht wiederholt, suchen sie nach Orientierung. Welcher Stern zeigte gerade uns Deutschen nach einer verbrecherischen Diktatur, die auch alles Christliche auszurotten versuchte, den Weg in eine christliche Demokratie?

Die Weihnachtsbotschaft Pius‘ XII.

Am Heiligen Abend der letzten Kriegsweihnacht gibt Papst Pius XII. (1876-1958) der ganzen Welt Orientierung für den Wiederaufbau.[4] „Aus den Klageseufzern des Schmerzes, aus der Tiefe herzzerreißender Angst der einzelnen wie der unterdrückten Länder“ erhebt sich für ihn „eine hoffnungsvolle Morgenröte“. Denn in einer wachsenden Schar edler Geister erwache der Entschluss für eine tiefgehende Erneuerung und durchgreifende Neuordnung der Welt: „Durch bittere Erfahrung belehrt, fordern die Völker ein Regierungssystem, das mehr im Einklang stehe mit der Würde und Freiheit der Bürger“. Seine Radiobotschaft formuliert die Leitlinien einer „wahren und echten Demokratie“ und wendet sich an den Menschen als solchen, der kein „passives Element des sozialen Lebens“ sei, sondern „dessen Träger, Grundlage und Ziel“. Inmitten aller Not der Schlachtfelder, Städte, Konzentrations- und Gefangenenlager und Flüchtlingstrecks steht also ein Weihnachtsfest am Anfang des Wiederaufbaus.

Für Pius XII. verkündet das Weihnachtsgeheimnis „feierlich die unverletzliche Würde des Menschen mit einer Kraft und Autorität, gegen die es keine Berufung gibt und die unendlich hinausragt über jene Autorität, zu der alle nur möglichen Erklärungen der Menschenrechte gelangen könnten“. Denn Weihnachten ist das Fest „des wunderbaren Tausches“, zitiert er die erste Antiphon der ersten Vesper am Feste der Beschneidung des Herrn, „bei dem der Schöpfer des Menschengeschlechts durch Annahme eines lebendigen Leibes sich gewürdigt hat, aus einer Jungfrau geboren zu werden, und uns mit seinem Kommen seine Gottheit geschenkt hat“. „Die Wiege des Erlösers der Welt, des Wiederherstellers der menschlichen Würde in ihrer ganzen Fülle, ist der Treffpunkt aller Menschen, die eines guten Willens sind. Hier soll der armen Welt … die Liebe zurückgegeben und die Möglichkeit geboten werden, … die Heilung ihrer Wunden im Frieden Christi zu finden.“

Prinzipien christlicher Demokratie

Die päpstlichen Gedanken gelten weniger der äußeren Organisation demokratisch verfasster Staaten, die von der Eigentümlichkeit jedes Volkes abhängt, sondern beantworten zwei Grundfragen: Welche Eigenschaften sollen die Menschen in einer Demokratie besitzen? Menschen welcher Art sollen darin die öffentliche Gewalt innehaben?

Eine Demokratie ermöglicht Staatsbürgern, sich eigene persönliche Ansichten zu bilden, sie auszudrücken und im Sinne des Gemeinwohls zur Geltung zu bringen. Demnach vereinigt ein demokratisch verfasster Staat keine „formlose Anhäufung von Einzelpersonen“, sondern ist „eine gegliederte und gliedernde Einheit eines wirklichen Volkes und muss es sein. … Das Volk lebt aus der Lebensfülle der Menschen, aus denen es sich zusammensetzt und deren jeder einzelne – an seinem Posten und in der ihm eigenen Art – eine der eigenen Verantwortung und der eigenen Überzeugung sich bewusste Person ist.“

Diese Vorstellung wendet sich gegen das Phänomen der in sich trägen „Masse“, die äußeren Antrieb erwarte und leicht zum Spielball in der Hand eines jeden werde, der ihre Naturtriebe oder Beeindruckbarkeit auszunützen verstehe: „Die Masse … ist der Hauptfeind der wahren Demokratie und ihres Ideals von Freiheit und Gleichheit“. Durch die digitalen Medien ist dieses Phänomen brennend aktuell.

Der demokratische Staat müsse allerdings auch „mit wahrer und wirksamer Autorität“ ausgestattet sein, ohne die er weder bestehen noch leben könne: „Wenn die Menschen im Hochgefühl ihrer persönlichen Freiheit jegliche Abhängigkeit von einer übergeordneten, mit Zwangsgewalt ausgestatteten Autorität leugnen wollten, würden sie allein schon dadurch die Grundlage ihrer eigenen Würde und Freiheit … untergraben.“ Auf der gleichen Grundlage fußend, seien die Persönlichkeit, der Staat und die öffentliche Gewalt mit ihren zugehörigen Rechten und Pflichten derart eng verbunden und verwoben, dass sie miteinander stehen oder fallen.

Ordnung des Seins und der Zwecke

Was kennzeichnet die Ordnung, die sowohl „den Menschen als autonome Persönlichkeit ausweist, das heißt als Träger von unverletzlichen Pflichten und Rechten, als Ursprung und Ziel seines gesellschaftlichen Lebens“, als auch „den Staat als eine notwendige Gesellschaft“ umfasst?

Für Pius XII. ist es die „unbedingt gültige Ordnung des Seins und der Zwecke“. Im Lichte der gesunden Vernunft, besonders aber im Lichte des christlichen Glaubens, könne sie keinen andern Ursprung haben als den persönlichen Gott, unseren Schöpfer. Daher sei klar, „dass die Würde des Staates, die Würde der von Gott gewollten sittlichen Gemeinschaft, die Würde der öffentlichen Gewalt, die Würde ihrer Teilnahme an der Autorität Gottes ist.“ Weniger noch als jede andere Staatsform dürfe die Demokratie diese „innige und unauflösliche Verknüpfung“ außer Acht lassen. Sonst entstünde die Gefahr, „dass Herrschsucht oder Eigennutz die wesentlichen Forderungen der politischen und gesellschaftlichen Sittlichkeit übermannen und oft der leere Schein rein formaler Demokratie nur als Maske für etwas ganz Undemokratisches dient“. Diese Ordnung sei vom Schöpfer grundgelegt und durch die Offenbarung der Frohbotschaft in ein neues Licht gerückt worden. Eine gesunde Demokratie und „die Hoheit des positiven menschlichen Gesetzes“ können also nur dann unanfechtbar sein, wenn sie sich den „unveränderlichen Grundsätzen des Naturgesetzes und der geoffenbarten Wahrheiten“ angleichen – oder wenigstens nicht widersetzen“.

Heutige Leser denken an die Rede Benedikts XVI. (*1927) im Bundestag 2011 und sein Gespräch mit Jürgen Habermas (*1929) über Voraussetzungen, die der „freiheitliche, säkularisierte Staat“ selbst nicht garantieren kann.[5] Die Gedanken der Kriegsweihnacht 1944 sind offenbar zeitlos aktuell. Nachdenklich spricht Habermas von einer „entgleisenden Modernisierung“, die sehr wohl das demokratische Band mürbe machen könne.

Hohelied der christlichen Politiker

Pius XII. singt das „Hohelied“ der Politiker, „ohne die eine demokratische Regierung schwerlich die Achtung, das Vertrauen und die Zustimmung des bessern Teils des Volkes gewinnen könnte. Eine Auswahl von Persönlichkeiten „muss es sein, die nicht gebunden sein darf an irgendeinen Beruf oder eine Schicht, die vielmehr das vielfältige Leben des gesamten Volkes widerspiegelt. Diese Auslese „mit tiefer christlicher Gesinnung und Überzeugung, mit gerechtem und sicherem Urteil, mit praktischem und ausgeglichenem Wesen“ müsse sich selbst treu sein in allen Lagen.

Es seien „Menschen klarer und gesunder Weltanschauung, beharrlich und gradlinig in ihren Zielen, … vor allem fähig, kraft des Ansehens, das aus ihrem lauteren Gewissen entspringt und sich weithin um sie verbreitet, Führer zu sein, besonders in Zeiten, in denen die drängende Not die Beeindruckbarkeit des Volkes übermächtig erregt und es leichter der Verführung und Verirrung zugänglich macht“.

Solche Politiker fühlten sich „in gemeinhin aufgewühlten, durch Leidenschaften, Meinungsverschiedenheiten, einander bekämpfende Programme verwirrten Übergangszeiten sich doppelt verpflichtet, … in den von tausend Fiebern glühenden Adern des Volks- und Staatskörpers das seelische Gegengift klarer Schau, zuvorkommender Güte, einer allen gleich gewogenen Gerechtigkeit und eines auf Einigung, auf Eintracht des Volkes im Geiste aufrichtiger Brüderlichkeit gerichteten Willens in Umlauf zu bringen“.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Th. GROSSBÖLTING (2013): Der verlorene Himmel, Göttingen.
[2] S. OSTER/P. SEEWALD (2016): Gott ohne Volk?, München.
[3] Y. HOFSTETTER (2016): Das Ende der Demokratie, Bertelsmann.
[4] PIUS XII. (1944): Grundlehren über die wahre Demokratie, in: Soziale Summe Pius’ XII., Freiburg 21954, Bd. II.
[5] J. HABERMAS, J. RATZINGER (2004): Dialektik der Säkularisierung, Freiburg i.B.

Hans Scholl und die Weiße Rose

„Ich schweige nicht“

Ein neues Buch über Hans Scholl,[1] den „charismatischen und politischen Kopf der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, stammt aus der Feder von Jakob Knab,[2] einem erfahrenen Pädagogen mit fundierter theologischer Kenntnis. Sein Anliegen ist es, der heutigen Jugend ein richtungsweisendes Beispiel vor Augen zu führen. Es waren typisch jugendliche Charismen, die sich in Hans Scholl mit einem christlichen Fundament verbanden. Sein Drang nach etwas Großem, nach Gerechtigkeit und Freiheit, sein Mut und seine Gewissenhaftigkeit machten ihn fähig, der „Apathie und Passivität der Mehrheit der damaligen Deutschen“ zu entfliehen und der „Diktatur des Bösen“ zu widerstehen. Gleichzeitig ist es Knab wichtig, den Lebensweg von Hans Scholl nicht zu idealisieren, sondern sein langsames Wachsen und Reifen aufzuzeigen.

Von Jakob Knab

Hans Scholl war der charismatische und politische Kopf der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, ein waghalsiger junger Mensch voller Vitalität und überbordender Energie. Auch Ehrgeiz und Gewissenhaftigkeit, Mut und Aufrichtigkeit gehörten zu seiner Wesensart. Er war ein neugieriger, vielseitig interessierter und kluger Kopf, aufgeschlossen für Kunst und Literatur, Theologie und Naturwissenschaften. Auch besaß er Feinfühligkeit und Einfühlsamkeit, und bei all den genannten Eigenschaften zeichneten ihn, der phasenweise gegen Wehmut und Weltschmerz zu kämpfen hatte, jugendliche Lebensfreude – gepaart mit einem gewissen Leichtsinn – aus.

Nach anfänglicher Begeisterung für Hitler fand er seinen eigenen Weg. Hatte er auf dem „Reichsparteitag der Freiheit“, der Anfang September 1935 in Nürnberg stattfand, noch eine Hakenkreuzfahne getragen, so stieß ihn doch bald diese namen- und gesichtslose Masse ab. Dass er wegen homosexueller Handlungen vor Gericht gestellt wurde, hatte eine tiefe Krise in ihm ausgelöst. Doch schon früh war sein noch vages Sendungsbewusstsein erwacht. Er wolle „etwas Großes werden für die Menschheit“, schrieb der knapp Zwanzigjährige Ende 1937 aus dem Untersuchungsgefängnis in Stuttgart an seine Eltern. Er fühlte sich einer geistigen Elite zugehörig.

An Weihnachten des Kriegsjahres 1941 schließlich fand Hans Scholl Halt und Orientierung in einer existenziellen, christlich fundierten Gläubigkeit. Konfrontiert mit den Leiden der Namenlosen im Krieg suchte er mehr und mehr nach dem verborgenen Sinn in diesem Elend. Er lehnte sich auf gegen Unrecht und Unterdrückung. In seinem impulsiven Drang nach Freiheit wagte er den Aufstand des Gewissens, der ihn bis in den lebensgefährlichen Widerstand gegen die NS-Gewaltherrschaft führte, und so konnte er der „Diktatur des Bösen“, wie es im dritten Flugblatt der Weißen Rose heißt, widersagen.

Sein Leben verlief auf einem abenteuerlichen Weg. Es nahm seinen Ausgangspunkt in einer jugendlich-fanatischen Verirrung, die ihn zwar zunächst in eine Sinnkrise stürzte, aber schließlich zur Umkehr und zu einem Neubeginn führte. „La vie, c’est une grande aventure vers la lumière“ – diesen Satz von Paul Claudel zitierte Scholl jedenfalls ahnungsvoll in einem Brief, den er zwei Tage vor seiner Verhaftung an eine Weggefährtin schrieb – und er bezog diese Einsicht auf sich selbst: Das Leben ist ein großes Abenteuer hin zum Licht.

Jeder Mensch ist mehr als ein bloßes Produkt aus biologischem Erbe, psychischer Disposition und Beeinflussung sowie sozialer Herkunft und Prägung. Um die Freiheit und die Personalität jedes einzelnen Menschen ernst zu nehmen und um ihm wahrhaft menschlich zu begegnen, muss er in seiner einzigartigen Würde geachtet werden. Indes: Eine derart mannigfaltige und vielseitige Lebensgeschichte wie die von Hans Scholl ist ohnehin nicht zwischen zwei Buchdeckel zu pressen.

Lange Zeit galt die Geschichte der Weißen Rose als leuchtendes Beispiel mutigen Eintretens gegen das NS-Unrecht und wurde kaum kritisch hinterfragt. Die Geschichte der Mitglieder der Weißen Rose war und ist Projektionsfläche verschiedener Erwartungen, Befindlichkeiten, Sehnsüchte, Idealisierungen und Illusionen. Denn jeder Mensch orientiert sich bei seiner Suche nach personaler Identität auch an Vorbildern. Und wie Geschichte erst dann existenzielle Bedeutung gewinnt, wenn sie gedeutet wird, so ist Geschichtsschreibung selbst in gewissem Maß auch vom Selbstverständnis und den Erkenntnisinteressen des jeweiligen Historikers beeinflusst.

Das Bild, das Inge Scholl von ihrem Bruder Hans als heroischen Widerstandskämpfer zeichnete, ist inzwischen nicht mehr unumstritten. Auf seine NS-Vergangenheit, seine zeitweiligen homosexuellen Aktivitäten und seinen mutmaßlichen Drogenkonsum ist in einigen Veröffentlichungen deutlich hingewiesen worden. Der vorliegenden Biografie ist an weiteren Enthüllungen nicht gelegen. Sie will und wird keinen Stoff für neue sensationelle Entdeckungen liefern. Intellektuelle Redlichkeit ist angesagt.

Was die Biografie freilich anstrebt, ist die Freilegung von bislang verhüllten Spuren, die Hans Scholl auf seinem Weg leiteten. Denkt man bei dem Begriff der „Enthüllung“ auch an die Apokalypse, so bekanntlich der Titel des letzten Buchs der Bibel, dann gerät eine Dimension ins Blickfeld, die sein Handeln stark beeinflusste. Hans Scholl liebte geradezu die visionär-endzeitliche Metaphorik der Bibel. Und dass er im vierten Flugblatt der Weißen Rose implizit Bezug auf die Geheime Offenbarung des Johannes nahm, deutet an: Er wandelte auf den Spuren des Sehers von Patmos.

Die vorliegende Biografie will Hans Scholl also nicht auf einen ganz normalen Deutschen verkürzen, der dank seiner inneren Autonomie zum Widerstandskämpfer wurde. In seiner Lebensgeschichte entfaltet sich vielmehr die große Erzählung von Einsicht und Umkehr, vom Durchleben extremer Standpunkte, von der Verwandlung des ehemaligen HJ-Führers in den überzeugten Widerstandskämpfer und den charismatischen Kopf der Weißen Rose. Als Leitmotiv dient die Gestalt des Johannes des Täufers, des einsamen Rufers in der Wüste. „Kehret um! Ändert euren Sinn!“ – das war letztlich auch Hans Scholls Botschaft. „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt!“, schrieb er im fünften Flugblatt und verband damit seine eindringliche Mahnung: „Entscheidet Euch, eh’ es zu spät ist!“

Die NS-Gewaltherrschaft betrieb erfolgreich die Einschüchterung der deutschen Bevölkerung. Angst und Anpassung waren die Folge. Widerstand gegen das totalitäre Regime konnte also nur im Untergrund stattfinden. Angesichts der Apathie und Passivität der Mehrheit der damaligen Deutschen bleibt Hans Scholl mit seinem Mut und seinem Freiheitsdrang bis zum heutigen Tag ein bewundernswertes Vorbild. Er durchschaute nach und nach die NS-Propaganda, wurde so zunehmend geistig unabhängig und trotzte schließlich der totalitären Gleichschaltung.

Die Geschichte hat wiederholt gezeigt: Freiheit verdankt sich vor allem der schöpferischen Kraft einer Minderheit herausragender Einzelpersönlichkeiten. Denn das gewissenhafte geistige Ringen um Wahrheit gerät zwangsläufig mit den Ansprüchen einer totalitären Herrschaft in Konflikt. Dieser Uniformierung durch den Rassismus und Militarismus des NS-Regimes hielt Sophie Scholl im Oktober 1942 entgegen: „Ja, wir glauben auch an den Sieg der Stärkeren, aber der Stärkeren im Geiste.“ 

Die Geschichte des Widerstandes gegen das NS-Regime bleibt eine Herausforderung für nachkommende Generationen. Es erfordert ein hohes Maß an historischer Kenntnis, politischer Bildung und ethischer Urteilskraft, diese Herausforderung zu bestehen. Wer sich mit dem Widerstand gegen Hitler befasst, sucht auch Antworten auf Fragen wie: Weshalb waren Menschen wie sie – im Unterschied zu den zahllosen angepassten Mitläufern und willigen Tätern – willens und in der Lage, standzuhalten und dieser „Diktatur des Bösen“ zu widerstehen? Aus welchen Quellen schöpften sie ihre innere Kraft? An welchen Werten, Traditionen und Visionen fanden sie Orientierung? Was machte sie gegenüber den Nationalsozialisten zu den geistig und moralisch Stärkeren?

Bei Hans Scholl waren es vorrangig diese Beweggründe: Als wissbegieriger junger Mensch war er stets offen und empfänglich für alles Wahre, Gute und Schöne. Als Medizinstudent, Sanitätsfeldwebel und angehender Arzt ließ er sich vom namenlosen Leid der Opfer, vom Elend und Grauen des Krieges anrühren. In seiner Suche nach Sinn entdeckte er die christliche Gläubigkeit. So entwickelte er klarsichtige Vorstellungen über das wahrhaft Gute und das radikal Böse. Seine energiegeladene Persönlichkeit indes suchte individuelle und politische Freiräume. Er riskierte sein junges Leben im Widerstand gegen Hitlers Gewaltherrschaft, denn er kämpfte bis zur letzten Konsequenz für die Würde des Menschen und für die Freiheit des Gewissens.

Hans und Sophie Scholl gelten heute als Ikonen des Widerstands gegen das NS-Regime. An die beiden Geschwister denkt man als Erstes, wenn von der Weißen Rose die Rede ist. Hans Scholls letzter Aufschrei „Es lebe die Freiheit!“ war zunächst vergeblich – sinnlos war er nicht.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Jakob Knab: Ich schweige nicht. Hans Scholl und die Weiße Rose, Hardcover mit Schutzumschlag, 272 S., mit 31 s/w-Fotos, Verlag wbg Theiss, Juli 2018, ISBN 978-3-8062-3748-1, 24,95 Euro (D).
[2] Jakob Knab war lange Jahre im höheren Schuldienst tätig, zuletzt als Studiendirektor. Er studierte Katholische Theologie und Anglistik in München sowie Sprachwissenschaft in Edinburgh. Postgraduiertenstudium der Religionsphilosophie in Oxford (Christ Church). Zahlreiche Vorträge und Veröffentlichungen zu Geschichtspolitik, Traditionspflege und Erinnerungskultur.

Betrachtungen zum Lukas-Evangelium im Lesejahr C

Der dramatische Prolog

Der Jesuitenpater Richard Gutzwiller (1896-1958) war 30 Jahre lang Studenten- und Akademikerseelsorger in Zürich. 1952 wurde er dort Direktor des Apologetischen Instituts des Schweizer Katholischen Volksvereins und Honorarprofessor für bibeltheologische Fragen an der Universität Innsbruck. Seine „Meditationen über Lukas“,[1] die 448 Seiten umfassen und im Jahr 2018 neu aufgelegt worden sind, haben an Aktualität nichts verloren. Mit leidenschaftlichem Eifer für das Wort Gottes und die Bedürfnisse der Menschen hat Gutzwiller die überzeitlichen Wahrheiten der christlichen Offenbarung in seine Zeit hineingesprochen. In den Betrachtungen spiegeln sich sowohl seine theologische Bildung als auch seine pastorale Erfahrung wider. Sie sind eine wunderbare Anregung für das Lesejahr C, in das wir mit der Advents- und Weihnachtszeit eingetreten sind. Im Blick auf das Fest der Taufe des Herrn und den Beginn der Fastenzeit nachfolgend seine Gedanken zum „gewaltigen dramatischen Prolog“, wie er im Lukas-Evangelium das öffentliche Wirken Jesu einläutet (vgl. S. 92-101).

Von Richard Gutzwiller (†)

Taufe des Herrn: Gottessohn und Menschensohn (Lk 3,21-38)

„Es geschah aber, als alle getauft wurden, und auch Jesus sich taufen ließ und betete, da öffnete sich der Himmel und der Heilige Geist kam in körperlicher Gestalt wie eine Taube auf ihn hernieder, und eine Stimme war vom Himmel zu hören: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.“

Jesus war, als er mit seinem Auftreten begann, etwa dreißig Jahre alt. Er galt als Sohn Josephs. Von ihm geht der Stammbaum weiter zu Eli, Mattat, Levi, Melchi, Jannai, Joseph, Mattitja, Amos, Nahum, Hesli, Naggai, Mahat, Mattitja, Schimi, Josech, Joda, Johanan, Resa, Serubbabel, Schealtiël, Neri, Melchi, Addi, Kosam, Elmadam, Er, Joschua, Eliëser, Jorim, Mattat, Levi, Simeon, Juda, Joseph, Jonam, Eliakim, Melea, Menna, Mathatha, Nathan, David, Jesse, Obed, Booz, Salmon, Naasson, Aminadab, Admin, Arni, Esron, Phares, Juda, Jakob, lsaak, Abraham, Thara, Nachor, Sarug, Regu, Peleg, Eber, Schelach, Kainan, Arphaxad, Sem, Noach, Larnech, Metuschelach, Henoch, Jered, Mahalalel, Kainan, Enosch, Set, Adam; der von Gott stammt.

Nach der Vorbereitung durch den Täufer erfolgt die Vorbereitung Jesu selbst. Von oben wird er durch den Vater als Gottessohn und Menschensohn ausgewiesen. Von unten wird er durch Satan versucht.

1. Sohn Gottes

Das Geschehen am Jordan durch das Sichtbarwerden des Heiligen Geistes und das Hörbarwerden der Stimme des Vaters hat eine doppelte Bedeutung.

Zuerst für Jesus selbst. Es ist wieder eines der großen Erlebnisse wie beim Zwölfjährigen im Tempel. Wenn der Himmel sich öffnet, ist das nicht nur eine äußerliche Sache, sondern es ist vor allem etwas Innerlich-Religiöses. Von der göttlichen Natur strömt die Fülle des Lichtes in die menschliche Natur Jesu. Die Stimme des Vaters spricht zu ihm, und der Geist wird im Symbol sichtbar, Jesus steht gewissermaßen in der Mitte. So ist die ganze Heiligste Dreifaltigkeit hier als die Dreieinheit genannt: Vater, Sohn und Geist. Ja, der Vater nennt ihn ausdrücklich „Mein geliebter Sohn“ und der Geist lässt das in besonderer Weise deutlich werden. Jesus ist einer der heiligen drei, und er weiß und erfährt es hier wieder in besonderer Weise, dass er auch als Mensch in den Feuerstrom dieses dreifaltigen Lebens hineingenommen ist. Er ist ganz anders als alle übrigen Menschen. Er ist der einmalige Sohn in einmaliger und besonderer Liebe des Vaters und in einmaliger und besonderer Fülle des Geistes. So ist es nicht verwunderlich, dass dieses Einmalige ihn so überwältigt, dieses Unerhörte ihn in der Ekstase so über sich hinausreißt, dass er in der Fülle dieses Geistes wie außer sich in die Wüste getrieben wird, als hielte es den Sohn Gottes nicht mehr zurück unter den Menschen, den Einen nicht mehr unter den vielen.

Die Theophanie am Jordan ist aber auch für die anderen gegeben. Darum wird die Stimme hörbar. Es sollen alle wissen, dass er vom Vater im Himmel feierlich bezeugt und beglaubigt ist. Dass somit alles, was der Sohn sagen wird, als Worte Gottes, des Vaters, aufzunehmen ist, und dass alles, was der Sohn tun wird, vom Geist Gottes erfüllt und durchglüht ist. Und der Geist wird sichtbar in Gestalt der schwebenden Taube, jener Geist, der über der Urflut befruchtend schwebte, und über dem Schoß der Jungfrau Maria ist der fruchtbare Geist, der nun auf Jesus kommt, um mit schöpferischer Gewalt aus seinen menschlichen Worten und menschlichen Taten eine neue Welt, ein neues Leben, eine Neuschöpfung zu machen: die Welt des Übernatürlichen, die Welt des Göttlichen mitten im Menschlichen.

Dieses Außergewöhnliche geschieht in der Stunde, da Jesus in gewöhnlicher Gestalt den gewöhnlichen Weg der anderen wählt und sich unter die Sünder reiht. Diese Erhöhung über alles Menschliche hinaus in die Reinheit des Göttlichen vollzieht sich in dem Augenblick, da Jesus sich erniedrigt, um unter den Sündern die Bußtaufe für Sünder zu empfangen. Aller Welt soll sichtbar gemacht sein, dass der erhöht wird, der sich erniedrigt, und dass er der Reine und Heilige ist, der hier als Sündenbeladener in die Flut steigt, um die Wasser der Sünde über sich hinwegspülen zu lassen. Das erste Auftreten Jesu in der Öffentlichkeit vollzieht sich äußerlich in völliger Unscheinbarkeit, unauffällig, unbeachtet. Aber gerade da geschieht das Ungewöhnliche, Auffallende, sodass ihn alle nun beachten müssen. Gott selbst hat diese Einführung und Beglaubigung vorgenommen.

2. Menschensohn

Unmittelbar daran zählt Lukas die menschlichen Ahnen Jesu auf.

Schon die formalen Elemente dieses menschlichen Stammbaumes sind eigenartig, besonders im Vergleich zum Stammbaum bei Matthäus. Die Ahnenreihe bei Matthäus ist gegliedert in dreimal vierzehn Generationen, geht von oben nach unten und beginnt erst bei Abraham. Der Stammbaum bei Lukas ist anders. Er reiht einfach 77 Namen aneinander; die heilige Zahl mit der zweimaligen Sieben ist nicht zufällig gewählt. Lukas führt den Stammbaum von unten nach oben und lässt ihn über Abraham hinausgehen bis auf Adam und über Adam hinaus bis auf Gott. Der Gottessohn wird als Menschensohn aufgezeigt. Er ist bluthaft durch Maria tief in die Menschheit hineingesenkt. Sein Stammbaum reicht mit den Wurzelästen und Wurzelfasern tief hinein ins menschliche Erdreich. Neben dem Formalen ist aber noch etwas besonders Inhaltsreiches hervorgehoben. Das Evangelium sagt: „Er galt, wie man annahm, als Sohn des Joseph.“ Wichtiger als das Bluthafte ist für den Evangelisten das Rechtliche. Der Stammbaum ist nicht der blutmäßige seiner Mutter, sondern der gesetzmäßige desjenigen, der bluthaft gar nicht sein Vater war. Jesus ist rechtlich Menschensohn, rechtlich in der Menschheit verwurzelt und nimmt nun von Rechts wegen alle Schuld und alle Last der Menschheit auf sich. Und zwar die Schuld und die Last bis hinauf zu Adam, dem ersten Menschen, durch den Schuld und Last als Erbmasse in die Menschheit hineingekommen sind. Jesus, der de facto („tatsächlich“) diese Erbmasse der Schuld nicht in sich trägt, nimmt sie de jure („von Rechts wegen“) auf sich. Er will alle Gerechtigkeit erfüllen. Er will die sündige Menschheit in seinem eigenen Ich vor das Gericht des Vaters stellen und will das Todesurteil auf sich nehmen, es vollstrecken lassen und so durch seine blutige Sühne die Rechtsordnung der Gerechtigkeit wiederherstellen. Weil er aber nicht nur Menschensohn, sondern auch Gottessohn ist, wird er durch die Auferstehung Tod und Todesurteil überwinden, um der todgeweihten Menschheit das Leben zu bringen. Bis auf Adam geht der Stammbaum zurück, denn nun schließt sich der Kreis. Jesus als der neue Adam ist nicht nur Abschluss, sondern Anfang. Es beginnt eine neue Menschheit mit einem neuen Leben, das vom Vater durch den Sohn im Heiligen Geist ihr geschenkt ist. Es ist ein innerer Zusammenhang zwischen der Dreifaltigkeits-Offenbarung am Jordan und dem Aufzeigen der Menschennatur Jesu.

Lukas, der immer wieder den engen jüdischen Rahmen sprengt, um als Grieche die Universalität des Heiles aufzuzeigen, redet darum hier nicht nur von Abraham und seinen Nachkommen, sondern von Adam und allen Adamssöhnen, also von der gesamten Menschheit. Denn nun werden alle durch den Sohn Gottes in die Sohnschaft berufen. Die Menschenkinder werden Gotteskinder, weil Gott selbst ein Menschenkind geworden ist.

So ist Jesus als Gott und als Mensch in seiner doppelten Beziehung und Verwurzelung aufgezeigt und eingeführt. Nur weil er beides ist, Sohn Gottes und Menschensohn, kann er Gott ins Menschengeschlecht herabbringen und die Menschheit zu Gott hinaufführen. Darum wird auch der Stammbaum über Adam hinaus bis auf Gott geführt. Denn Gott ist Anfang und Ende der Schöpfung und darum auch des Menschengeschlechts. Der Gottmensch wird die Menschheit, die von Gott weggegangen ist, zu Gott zurückführen, sodass Gott nicht mehr bloß Anfang und Ende, sondern wieder Mitte der Menschheit wird, jene Mitte, die Jesus als Mittler aufzeigt und herstellt.

Die Versuchung Jesu in der Wüste (Lk 4,1-13)

Jesus kehrte voll des Heiligen Geistes vom Jordan zurück und wurde vom Heiligen Geist in die Wüste geführt. Vierzig Tage war er dort und wurde vom Teufel versucht. In jenen Tagen aß er nichts. Als sie vorüber waren, hungerte ihn. Der Teufel sprach zu ihm: „Wenn du der Sohn Gottes bist, so gebiete diesem Stein, dass er zu Brot werde.“ Jesus antwortete: „Es steht geschrieben: ,Nicht vom Brote allein lebt der Mensch.‘“ Der Teufel führte ihn hinauf und zeigte ihm in einem Augenblick alle Reiche der Welt, und der Teufel sprach zu ihm: „Dir will ich diese ganze Macht und ihre Herrlichkeit geben. Denn mir ist sie gegeben, und so gebe ich sie, wem ich will. Dir soll sie ganz gehören, wenn du mich anbetest.“ Jesus antwortete ihm: „Es steht geschrieben: ,Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen.‘“ Darauf führte er ihn nach Jerusalem, stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: „Wenn du der Sohn Gottes bist, so stürze dich da hinab. Es steht ja geschrieben: ,Seinen Engeln hat er befohlen, dich zu schützen. Auf ihren Händen sollen sie dich tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.‘“ Jesus antwortete ihm: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“ Als der Teufel alle diese Versuchungen vollendet hatte, ließ er von ihm ab bis zu einer günstigen Zeit.

Vom Geist Gottes getrieben geht Jesus in die Wüste. Er ist von der Fülle dieses Geistes und von der geheimnisvollen Zwiesprache mit dem Vater so hingerissen, dass er an Essen und Trinken nicht mehr denkt und, wie über sich hinausgehoben, völlig in der anderen Welt lebt. Nach vierzig Tagen tritt der ekstatische Zustand zurück, und nun melden sich die menschlichen Bedürfnisse umso stärker. Nach dem Licht von oben geistern nun die Schatten von unten herum, nach der Fülle Gottes, die ihn durchströmt hat, nun die Versuchung Satans, die ihn umwittert. Niemand ist der Versuchung so ausgesetzt wie der Mystiker und der Heilige. Sie leben in besonderer Höhe und darum auch in der Gefahr eines besonderen Sturzes in die Tiefe. Von allen Mystikern und Heiligen ist aber niemand so hocherhoben wie Jesus, aber auch niemand von Satan so verfolgt wie er. In einem dreifachen Ansturm sucht der Feind diese Stellung zu nehmen.

Erste Versuchung – Materialismus

Die erste Versuchung besagt Missbrauch der Macht Gottes zu materiellem Vorteil. Jesus soll durch ein Wunder Steine in Brot verwandeln und damit seinen Hunger stillen. Seine Antwort lautet: „Nicht vom Brot allein lebt der Mensch.“ Immer wieder wird der Mensch vor die Entscheidung gestellt, ob ihm das Brot wichtiger ist oder der Geist, der Körper wichtiger oder die Seele. Die meisten wollen zwar beides, aber in der falschen Rangordnung. Sie wollen zuerst Körperlichkeit, Sättigung, materiellen Wohlstand und dann nachher oder nebenher auch das Geistige und Seelische zur Geltung bringen. Wieder andere sind völlig dem Materialismus verfallen. Sie kümmern sich überhaupt nicht um Geist und Seele. Körperliches Wohlbehagen ist ihr einziges Ziel. Panem et circenses! („Brot und Spiele“) – Der Materialismus ist heute von besonderem Gewicht, weil der Marxismus das Wirtschaftliche als den entscheidenden Faktor hinstellt und alles andere nur als Überbau betrachtet. Im Gegensatz dazu betont Jesus bedingungslos den Primat des Geistigen, denn Gott ist wichtiger als die Welt. Darum soll man das Reich Gottes zuerst suchen und dann erst das andere. Der Himmel ist wichtiger als die Erde. Giftmischer sind darum alle, die nur von der Erde reden. Die Ewigkeit ist wichtiger als die Zeit. Wer darum sein eigenes Leben an diese vergängliche Zeit verliert, hat alles auf die falsche Karte gesetzt.

Das Wort, das Jesus zitiert, stammt aus dem achten Kapitel des fünften Buches Mose und erinnert an das Brot, das Gott dem Volk in der Wüste gegeben hat, betont aber, dass Gottes schöpferisches Wort und Gottes Geist wichtiger sind. Also sie sind wichtiger als ein wunderbar gottgegebenes Brot und erst recht wichtiger als das gewöhnliche Brot des Alltags. Christus ist kein Verächter des Körpers und seiner Forderungen. Er wird die Kranken heilen, wird das Wunder der Brotvermehrung wirken, wird Tote wieder zum Leben erwecken. Er ist also kein einseitiger Intellektueller, der nur um die geistigen Dinge weiß, kein Fanatiker, der nur Gott kennt. Aber er will, dass Gottes Geist und Gottes Wort den Platz einnehmen, der ihnen gebührt. Denn auch der Körper kommt nur dann zu seiner richtigen Bedeutung, die körperlichen Bedürfnisse kommen nur dann zur richtigen Erfüllung, wenn alles in der rechten Ordnung Gottes steht und dem Willen Gottes entspricht. Jesus wird seine Wundermacht gebrauchen nach dem Wort und Willen Gottes, nicht nach eigener Willkür und erst recht nicht nach körperlicher Lust oder Unlust. Das Reich Gottes zu verkünden ist seine Sendung. Er wird ihr bedingungslos entsprechen. Materialismus hat im Christentum keinen Platz.

Zweite Versuchung – Wille zur Macht

Die zweite Versuchung besagt: Wille zur Macht. Satan zeigt dem Herrn „alle Reiche der Welt“ und betont: „Mir ist diese Macht und Herrlichkeit gegeben, und so gebe ich sie, wem ich will.“ Ein seltsamer Satz. Aber Jesus selbst nennt Satan den „Fürsten dieser Welt“. Nicht die Macht an sich ist böse. Aber es gibt eine Dämonie der Macht. Der Mensch wird von ihr berauscht und von der Herrlichkeit des Herrschens besessen. Er fragt dann nicht mehr nach dem Allmächtigen, in dessen Dienst die Macht stehen soll, und gebraucht die Macht nicht mehr nach dem Willen des allein souveränen Gottes, sondern die eigene Macht ist ihm das Höchste, und er gebraucht sie nach eigener Willkür. Überhebung ist die notwendige Folge, maßloser Stolz die selbstverständliche Begleiterscheinung. Die Apokalypse nennt die Macht das Tier aus dem Abgrund. Die Versuchung zur Macht ist gerade für große Menschen gefährlicher als die immerhin plumpe Versuchung des Materialismus. Und die Versuchung tarnt sich religiös, denn sie legt den Gedanken nahe, mit den Mitteln äußerer Macht der Politik, des Militärs, der Organisation, des Geldes usw. das Reich Gottes zu fördern, wo in Wirklichkeit, selbst wenn es in guter Absicht beginnt, fast notwendig ein allmähliches Abgleiten in die Bewunderung der Macht als solcher, ins bedingungslose Festhalten an ihr und damit schließlich ins Dämonische erfolgt. „Dir soll sie ganz gehören, wenn du mich anbetest.“ Anbetung der Macht ist Anbetung Satans. Bewunderung der Macht und ihrer Erfolge ist Gefolgschaft Satans. Darum die Antwort Jesu: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen.“ Nur einer ist der Höchste, dem alles untertan sein soll. Nur der Allmächtige hat und vergibt richtige Macht. Jede Macht, die nicht Gott dient, ist missbrauchte Macht und dient Satan. Mag sie noch so schimmernd und prunkvoll dastehen. Bedingungsloser Wille zur Macht ist bedingungslose Auslieferung an Satan. Jesus ist aber gekommen, das Reich Gottes aufzurichten, und darum wird er das Reich Satans zerstören. Im Tode Jesu wird die Macht Satans ihren größten Triumph feiern, in Wirklichkeit aber gerade dann und gerade dadurch gebrochen und als Ohnmacht sichtbar werden. Das Leben Jesu ist Gottesdienst, nicht Satansdienst. „Du sollst Gott allein anbeten.“ Wer etwas anderes anbetet, was immer es sei, hat Gott verraten.

Dritte Versuchung – Wunder als Sensation

Die dritte Versuchung ist Missbrauch des Wunders zur Sensation. Satan stellt Jesus im Geist auf die Zinne des Tempels. „Wenn du der Sohn Gottes bist, so stürze dich da hinab.“ Und er beruft sich dabei auf die Schrift. „Es steht ja geschrieben: ,Seinen Engeln hat er befohlen, dich zu schützen. Auf ihren Händen sollen sie dich tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.‘“

Jesus hat sein öffentliches Leben schlicht und unscheinbar begonnen, denn er hat sich unter das Volk gemischt und in die Sünder am Jordan gereiht. Die Versuchung möchte es anders. Er soll vor allem Volk das Wunder eines Kommens vom Himmel bewirken, das Außergewöhnliche in Erscheinung treten lassen. Das Volk will Sensationen. Es will ihn auf den Wolken des Himmels kommen sehen. Von Engeln getragen soll er erscheinen, nicht einfach als Mensch unter Menschen stehen. Immer wieder lockt im Religiösen das auffällige Wunder. Die Menschen wollen Gott nicht im harten Alltag dienen und wollen Gottes Willen nicht im gewöhnlichen Leben erfüllen. Sie wollen ein wunderbares Erlebnis, entweder das äußerlich Wunderbare oder das innerlich Mystische außergewöhnlicher Gebetserfahrungen. Muttergotteserscheinungen, Stigmatisierte usw. locken sie auf weite Reisen und sind für sie wichtiger als das verborgene, schlichte Jasagen zu Gottes Wort und Willen im Opfer der Berufsarbeit, in der Sorge für die Familie und im täglichen Kreuztragen, das von niemandem beachtet und bewundert wird. Jesus wird das Wunder nicht verschmähen, sondern selbst Wunder wirken. Aber nicht um den Sensationshunger der Massen zu befriedigen, nicht um der Religion den Charakter des Außergewöhnlichen zu geben, sondern nur nach dem Willen seines Vaters im Himmel, nur als Erweis seiner Sendung vom Vater. Alles andere heißt Gott versuchen, d.h. Gott veranlassen wollen, Wunder zu wirken, wo das Wunder nicht nötig und nicht der Ordnung und dem Willen Gottes entsprechend ist. Darum die Antwort Jesu: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“

Antwort Jesu: Hinkehr zu Gott

So steht als Antwort gegen alle drei Versuchungen die Größe Gottes, seines Geistes, seiner Macht und seines Willens. Jesus überwindet Satan durch Gott und verscheucht die Versuchung durch Berufung auf Gott. Der Mensch wird nicht aus eigener Kraft mit der Versuchung fertig. Er steht zwischen Gott und dem Teufel und wird den Teufel nur überwinden mit der Hilfe Gottes. Es gibt hier keine Neutralität und kein Ausweichen. Die Abkehr von Satan ist nur möglich durch die Hinkehr zu Gott. Die Wendung zu Gott ist aber auch zugleich Abwendung satanischer Versuchung.

Damit ist die Vorbereitung zum öffentlichen Auftreten Jesu vollendet. Er ist von Gott beglaubigt und steht doch mitten in der Menschheit. Er ist aus Gott geboren und doch ein Menschenkind. Er ist vom Geiste Gottes erfüllt und wird den Geist Satans bekämpfen. Gottes Wille ist sein Gesetz, Gottes Reich ist seine Aufgabe, alles Satanische sein Feind. Gottes Reich wird er aufrichten, Satans Reich zerstören. Nach diesem gewaltigen dramatischen Prolog und diesem Stehen zwischen den Mächten von oben und von unten beginnt nun sein Wirken im Volk.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2019
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[1] Richard Gutzwiller: Meditationen über Lukas, geb. mit Lesebändchen, 448 Seiten, 19,95 Euro (D), 20,50 Euro (A), ISBN: 978-3-9454019-1-0, Verlag Media Maria, Illertissen 2018, Tel. 07303-9523310, Fax: 07303-9523315, E-Mail: buch@ media-maria.de, Internet: www.media-maria.de

70 Jahre Menschenrechte – jedoch nicht für alle

Der hl. Johannes Paul II. hat die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 als Meilenstein in der Geschichte der Menschheit hervorgehoben. Doch diese Errungenschaft wird durch die UNO immer weiter ausgehöhlt, sei es durch die Proklamierung der Abtreibung als Menschenrecht oder durch die billigende Hinnahme von Einschränkungen durch die Scharia.

Aktion Lebensrecht für Alle e.V., Augsburg

Jahrestag der UN-Menschenrechtserklärung, am 30. Oktober 2018, verabschiedete das UNHCR einen Kommentar zum Recht auf Leben (General comment No. 36 on article 6 of the International Covenant on Civil and Political Rights, on the right to life).

Darin heißt es unter anderem, dass es keine neuen Hürden für den sicheren und legalen Zugang für Frauen und Mädchen zu Abtreibung geben dürfe und dass bestehende Hürden abgebaut werden sollten, inklusive solcher, die Ergebnis der Ausübung des Weigerungsrechts aus Gewissensgründen sind.

„Im Klartext bedeutet das folgendes“, kommentiert Alexandra Linder, Bundesvorsitzende der ALfA e.V., „Menschen vor der Geburt sollen dem Selbstbestimmungsrecht anderer Menschen untergeordnet und damit faktisch entmenschlicht werden. Kinder werden durch Abtreibung beseitigt, nach produkthaften Kriterien hergestellt, bei nicht gewünschten Mehrlingsschwangerschaften mit einer Spritze im Mutterleib getötet. Sie dürfen häufig nur auf die Welt kommen, wenn sie bestimmten Kriterien entsprechen und zum passenden Zeitpunkt erscheinen.“ Außerdem, so Linder, sollen gemäß diesem Kommentar Berufstätige, die Menschenwürde und Menschenrechte ernstnehmen und sich nicht an Handlungen beteiligen möchten, die diese verletzen, gezwungen werden, ihre Gewissensfreiheit aufzugeben: „Auch bei uns werden ihrem Gewissen folgende Medizinerinnen, Mediziner und Hebammen entlassen oder beruflich diskriminiert. Die verbrieften Rechte auf Leben, Unversehrtheit und Gewissensfreiheit jedes Menschen werden dadurch untergraben.“

Sobald aber eine Gruppe von Menschen aus dem Menschsein ausgeschlossen und der Willkür anderer überlassen werde, seien Dokumente wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte nicht mehr das Papier wert, auf dem sie verfasst wurden.

„Menschenrechte haben nur dann einen Sinn, wenn der Begriff Mensch nicht willkürlich definiert wird“, fasst Alexandra Linder, Bundesvorsitzende der ALfA, zusammen. „Sie müssen für jeden Menschen gelten, von der Zeugung bis zum Tod.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2019
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Junge CDL entsetzt über JuSo-Beschluss

Wer sich den Beschluss des JuSo-Bundeskongresses vom 30. November bis 2. Dezember 2018 unter dem Titel „Für ein Recht auf reproduktive Selbstbestimmung: Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen“ zu Gemüte führt, kann über die dahinterstehende politische Unverfrorenheit nur erschrecken. Gott sei Dank gibt es einige wenige wie die CDL, die dagegen ihre Stimme erheben.

Christdemokraten für das Leben e.V., Nordwalde/Münster

Die jungen Christdemokraten für das Leben nehmen den Beschluss des Juso-Bundeskongresses, Abtreibung bis zum 9. Monat zu legalisieren, mit Entsetzen zur Kenntnis. Wer sich für ein vermeintliches Recht auf Abtreibung eines voll ausgewachsenen Babys einsetzt, dem muss klar sein, dass hier ein Mensch getötet wird. Es ist verstörend, dass die Jusos als Jugendorganisation der SPD offenbar keine Hemmungen haben, menschliches Leid in Kauf zu nehmen.

Als überzeugte Lebensschützer setzen wir uns für den Schutz eines jeden menschlichen Lebens, von der Geburt bis zum natürlichen Tod, ein. Unser Ziel ist es, Abtreibung überflüssig zu machen. Es kann nicht sein, dass Frauen in einem der reichsten Länder der Welt, bei einer ungewollten Schwangerschaft keine andere Möglichkeit als eine Abtreibung sehen. Staat und Gesellschaft sind gefordert, eine Willkommenskultur für das Leben zu schaffen und Frauen in Notsituationen mit allen Möglichkeiten zu unterstützen.

Forderungen nach einer Abschaffung von §219a oder einer Ausweitung der Möglichkeiten für Abtreibungen sind absolut kontraproduktiv. Daher fordern wir die SPD als Mutterpartei der Jusos auf, sich in aller Deutlichkeit von diesem unglaublichen Beschluss zu distanzieren. Die Union ist aufgerufen, beim Schutz des menschlichen Lebens standhaft zu bleiben und beim Werbeverbot für Abtreibungen keine Kompromisse einzugehen. Vielmehr müssen sich CDU und CSU mit aller Kraft dafür einsetzen, die Zahl der Abtreibungen im Land deutlich zu verringern und neben einer umfassenden Beratung auch ein komplexes Hilfsangebot für Frauen im Schwangerschaftskonflikt bereitzustellen.

Im Bildungswesen bedarf es stärkerer Aufklärung über die embryonale Entwicklung im Mutterleib, um den Wert und die Einzigartigkeit des menschlichen Lebens zu verdeutlichen. Wir brauchen eine Willkommenskultur für die Ungeborenen.

Die jungen Christdemokraten für das Leben fordern deshalb die Mitglieder der Jusos in der SPD auf, sich genau zu überlegen, ob sie mit reinem Gewissen hinter dieser Entscheidung stehen können. Es drängt sich der Eindruck auf, dass einmal mehr das Selbstbestimmungsrecht der Frau gegen das Lebensrecht des Kindes ausgespielt und diesem gegenüber in inakzeptabler Weise vorgezogen wird.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2019
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Religionsfreiheit – eine Frage auf Leben und Tod

Dialog als letzte Verteidigung

Das päpstliche Hilfswerk „Kirche in Not“ Deutschland hat am 28. November 2018 bei einer Pressekonferenz in Frankfurt am Main den Bericht „Religionsfreiheit weltweit 2018“ vorgestellt.[1] Er erschien bereits zum 14. Mal. Maria Lozano, die Pressereferentin von Kirche in Not International, erklärte: „Insgesamt lässt sich auf Grundlage des Berichts davon ausgehen, dass etwa 327 Millionen Christen in Ländern mit religiöser Verfolgung leben und 178 Millionen in Ländern, in denen es zu Diskriminierungen kommt.“

Von Tobias Lehner

„Sie hielten mir ein Messer an die Kehle und eine Pistole an den Kopf. Sie nannten mich einen Ungläubigen. Sie sagten, sie würden mich töten. Ich kam in Einzelhaft.“ – So berichtete der dreifache Familienvater Antoine in einem Interview mit der Päpstlichen Stiftung „Kirche in Not“, wie er im nordsyrischen Aleppo von islamistischen Extremisten gefangen genommen wurde. Als die Kämpfer herausfanden, dass er Christ war, forderten sie ihn auf zu konvertieren – anderenfalls sollte er sterben. Antoine wurde eingesperrt, gefoltert und bekam nichts zu essen. Jeden Tag wachte er mit der Angst auf, dass es sein letzter sein könnte.

Einsatz für Religionsfreiheit ist Einsatz für Menschenrechte

Das war der Preis, den Antoine zahlen musste – weil die Religionsfreiheit in seinem Land nicht geachtet wurde. Und doch hat er großes Glück gehabt: Eines Tages nutzte er die Gelegenheit zur Flucht. Als sich seine Geiselnehmer zum Gebet versammelt hatten, schlich er sich zum Haupttor seines Gefängnisses und stellte fest, dass es nur unzureichend mit einer Kette gesichert war. Er schlüpfte hinaus, kletterte über eine hohe Mauer und rannte um sein Leben. Noch am selben Tag war er wieder mit seiner Frau und seinen drei kleinen Töchtern vereint.

Für viele andere Menschen jedoch nimmt die Geschichte ihrer Verfolgung keinen so glücklichen Ausgang: Unzählige Menschen mussten ihr Leben lassen, nur weil sie der vermeintlich „falschen“ Religion angehörten; viele andere werden vermisst, und noch mehr sitzen auf ungewisse Zeit im Gefängnis.

Erzählungen wie die von Antoine aus Aleppo und die Berichte der Projektpartner aus 149 Ländern weltweit sind Motivation und Anlass für den Bericht „Religionsfreiheit weltweit“, den „Kirche in Not“ jetzt bereits zum 14. Mal herausgegeben hat.

In 38 Ländern schwere Verletzungen der Religionsfreiheit

Der Bericht, an dem über 40 internationale Experten mitgearbeitet haben, analysiert für 196 Länder der Welt und alle religiösen Gruppen die geltende Rechtslage, Verstöße gegen die Religionsfreiheit, aber auch Hoffnungssignale und Verbesserungen. So konnten zum Beispiel im Irak bereits über die Hälfte der vertriebenen Christen nach dem Sieg über die Truppen des sog. „Islamischen Staates“ in ihre Städte und Dörfer in der Ninive-Ebene zurückkehren und dort ihr religiöses Leben wiederaufnehmen.

Freilich überwiegen auch im aktuellen Bericht die besorgniserregenden Befunde: In 38 Ländern kommt es zu schwerwiegenden Verletzungen der Religionsfreiheit und in 18 dieser Länder hat sich die Lage seit 2016 verschlechtert. Zu diesen Ländern gehören zum Beispiel Indien, China, der Iran und die Türkei.

Beim Grad der Verletzungen des Rechts auf Religionsfreiheit unterscheidet der Bericht zwischen Diskriminierung religiöser Minderheiten (17 Länder wie Ägypten, Kasachstan, Vietnam und Russland, das erstmals zu dieser Kategorie gezählt wird) und offener Verfolgung (21 Länder, zum Beispiel Myanmar, Eritrea, Sudan und Usbekistan).

Der Bericht identifiziert drei Hauptursachen religiöser Diskriminierung und Verfolgung: islamischen Radikalismus, autoritäre Regierungen und einen extremen Nationalismus. Dieser nimmt international zu und mit ihm auch die Ausgrenzung dessen, was die nationale Identität infrage stellen könnte. Leidtragende sind häufig religiöse Minderheiten.

Dass die Frage des Umgangs mit diesen Minderheiten auch schwere Konflikte mit sich bringen kann, zeigt der Anstieg des „Nachbarschaftsfundamentalismus“. Damit beschreibt der Bericht die zunehmende Radikalisierung und religiös motivierte Attentate in der westlichen Welt, zum Beispiel den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016.

Genaue Zahl der verfolgten Christen nicht seriös zu ermitteln

Zurückhaltend zeigt sich die Studie „Religionsfreiheit weltweit 2018“, was die Zahl der tatsächlich verfolgten Christen angeht. Diese lässt sich seriös nicht ermitteln. Zu stark gehen bei Übergriffen religiöse und politische Gründe ineinander über. Eine globale Statistik, die getötete oder verfolgte Christen zählt, existiert nicht und ist wohl auch unmöglich zu erstellen.

So viel lässt sich sagen: Etwa 61 Prozent der Weltbevölkerung – also Angehörige aller Religionen – leben in Ländern, in denen die Religionsfreiheit eingeschränkt oder nicht geachtet wird. Auf die Zahl der Christen angewandt bedeutet das: Einer von fünf Christen lebt in einem Land, in dem es zu Verfolgung und Diskriminierung kommt.

Wie sehr die Motive für Verfolgung und Diskriminierung von Christen ineinandergreifen, macht auch Dieudonné Kardinal Nzapalainga aus Bangui in der Zentralafrikanischen Republik deutlich, der das Vorwort zum Bericht „Religionsfreiheit weltweit 2018“ geschrieben hat. In seinem Land tobt seit 2012 ein Bürgerkrieg zwischen Rebellengruppen der muslimischen Minderheit und Gruppen, die sich aus Christen und Anhängern indigener Religionen zusammensetzen. Bei einem Attentat muslimischer Rebellen auf ein kirchliches Flüchtlingscamp Mitte November 2018 in Alindao im Süden der Zentralafrikanischen Republik verloren über 42 Menschen ihr Leben, unter ihnen auch der Generalvikar der Diözese.

„Frieden kann nur auf religiösem Frieden gründen“

Dennoch, oder gerade deshalb, führt für Kardinal Nzapalainga am Dialog kein Weg vorbei. Er schreibt an „Kirche in Not“:

„Für uns in der Zentralafrikanischen Republik ist Religionsfreiheit nicht einfach ein Konzept, sondern eine Frage auf Leben und Tod. Dabei geht es nicht darum, ob man sich mit den ideologischen Grundlagen, auf denen Religionsfreiheit aufbaut, mehr oder weniger anfreunden kann: Die Frage lautet vor allem, wie sich ein Blutbad verhindern lässt!

Wir haben keine Wahl: Entweder gelingt es uns, den Frieden wiederherzustellen, oder wir werden zugrunde gehen. Und in diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass ein solcher Frieden nur auf einem echten religiösen Frieden gründen kann. Dieser wiederum ist in einem multireligiösen Kontext nur möglich, wenn Religionsfreiheit verstanden, akzeptiert und aufrechterhalten wird.

Es ist unsinnig zu unterstellen, dass die religiöse Dimension einzig und allein für das Chaos verantwortlich ist. Die Realität ist komplex, und die Krisen unserer Zeit sind meist die Folge mehrerer ineinandergreifender Faktoren. Freilich bedeutet dies nicht, dass Religion niemals die Ursache für Spannungen oder auch ernsthafte Konflikte ist; doch wir brauchen ein unverfälschtes Urteilsvermögen.

In unserer Zusammenarbeit mit anderen religiösen Führern scheuen wir keine Mühen, um – im Rahmen unserer Möglichkeiten – Lösungen für diese religiösen Spannungen und Konflikte zu finden. Dabei gehen wir Risiken ein und setzen uns einem hohen Maß an Kritik aus. Trotzdem ist das beständige Streben nach interreligiösem Dialog und Versöhnung ohne Frage die letzte Verteidigung, die uns bleibt, um eine endgültige Implosion unseres Landes zu verhindern. Vor diesem Hintergrund erscheint der Bericht von „Kirche in Not“ zu einem Zeitpunkt, da er dringend benötigt wird.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Den gesamten Bericht „Religionsfreiheit weltweit 2018“ mit 196 Länderberichten finden Sie unter: www.religionsfreiheit-weltweit.de – Die Kurzfassung des Berichts können Sie zum Selbstkostenpreis von 1 Euro (zzgl. Versandkosten) bestellen unter: shop.kirche-in-not.de oder bei: Kirche in Not, Lorenzonistraße 62, 81545 München, Tel.: 089/64248880, Fax: 089/642488850, E-Mail: kontakt@kirche-in-not.de

Kapelle „Maria Mutter Europas“ in der katholischen Kathedrale von Charkiw

Europa-Heiligtum für die Ukraine

Auf Vorschlag von Pfarrer Franz Pitzal wurde am 4. November 2018 in der katholischen Kathedrale der Stadt Charkiw (Charkov) von Bischof Stanislaus Szyrokoradiukin eine Ikone zu Ehren Mariens als „Mutter Europas“ gesegnet. Gleichzeitig wurde dem Anliegen eines christlichen Europas die Seitenkapelle links vom Chorraum gewidmet, in der die Armenisch-Katholische Kirche ihren Platz hat. Damit ist nun auch die Ukraine mit einem Heiligtum in der Gebetsgemeinschaft „Maria Mutter Europas“ vertreten. Die Initiative, die von Pater Notker Hiegl OSB ins Leben gerufenen wurde, setzt sich für die Erhaltung der christlichen Grundlagen des europäischen Kontinents ein und verbindet Heiligtümer in verschiedenen Ländern Europas in einer Partnerschaft. Ziel ist es, nach dem Bild der sternengekrönten Frau aus der Offenbarung des Johannes zwölf Heiligtümer zu einer spirituellen Gemeinschaft zusammenzuschließen. Charkiw ist so gesehen bereits der zehnte Stern im Reigen der europäischen Marienheiligtümer.

Von Notker Hiegl OSB

Eindrücke von der Stadt Charkiw

Vom 3. bis 6. November 2018 durfte ich auf Einladung von Bischof Stanislaus Szyrokoradiukin in der Ukraine weilen, näherhin in seiner Bischofsstadt Charkiw. Diese Stadt wurde im 17. Jahrhundert zur Festigung der Südgrenze des russischen Reiches gegründet. Im 18. Jahrhundert wurde sie Verwaltungszentrum eines Gouvernements. Durch den Bau von Eisenbahnen und den Abbau von Eisenerz und Kohle wuchs Charkiw zu einem Industriezentrum heran. Das 1895 zum Bau von Lokomotiven gegründete Werk Malyshev produzierte später den legendären Kampfpanzer T34 (mit dem Stalin Großdeutschland besiegte). Von den Panzern stehen einige imposant als Siegesdenkmäler in der Stadt.

Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wurde Charkiw ob ihrer strategischen Lage heftig umkämpft. Rund 50.000 deutsche Soldaten liegen auf dem Friedhof vor der Stadt, betreut durch die Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Die Zusammenlegung der im ganzen Land zerstreuten Soldatengräber an diesem würdig gestalteten Ort ist vorwiegend das Werk von Bundeskanzler Helmut Kohl. Pfarrer Franz Pitzal, mein Begleiter aus Renningen, und ich gingen betend durch die Reihen der Stein-Stelen mit den Namen der überwiegend jungen Soldaten, die hier weit der Heimat sinnlos ihr Leben verloren haben.

Seit dem Zerfall der Sowjetunion gehört Charkiw zur Ukraine. Ein Großteil der Einwohner ist jedoch russischer Abstammung. Auf zwei Rundfahrten durch die heute Zwei-Millionen-Stadt mit ihren 500.000 Studenten (unvorstellbare Zahl) kamen wir immer wieder zum Freiheitsplatz mit seinen elf Hektar Fläche, doppelt so groß wie der Petersplatz in Rom. Erst vor drei Jahren wurde hier unter dem Jubel der Jugendlichen die Lenin-Statue gestürzt.

In der Nähe befindet sich die Mariä-Verkündigung-Kirche, erbaut um 1900, die Hauptkirche der Orthodoxen Kirche der Ukraine. Daneben liegt ein Männerkloster. In der mit zahllosen goldenen Kuppeln leuchtenden Kirche ist vor der Ikonostase ein Metropolit in seinen liturgischen Gewandungen beigesetzt. Die Krone ist etwas über sein Angesicht gezogen. Mit geheimem Schauer berührte ich den tot Dasitzenden. In einer anderen orthodoxen Kirche weilten wir einige Minuten der Liturgie bei. Die Atmosphäre macht einen frommen Eindruck, wobei die vielen Kreuzzeichen, das Kerzenanzünden und das Hin- und Herlaufen den stundenlangen Gottesdienst zu erleichtern scheinen.

Daneben gibt es auch Spuren einer schlimmen Vergangenheit wie das KGB-Gebäude, in dem bis zu 20.000 Menschen gefoltert und umgebracht worden sein sollen.

Die katholische Kathedrale im Zentrum der Stadt

Vom Charkiwer Flughafen brachte uns der Fahrer des Bischofs ins Bischöfliche Palais, einen neugotischen Backsteinbau aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert, der gleichzeitig mit der Kathedrale erbaut worden war. Nach der kommunistischen Machtübernahme wurde die Kirche in einen dreistöckigen Kinosaal umgewandelt, 1992 aber der katholischen Kirche zurückgegeben. Die Kirchturmhaube wurde erst vor wenigen Jahren wieder aufgesetzt.

Das Innere der Kirche ist modern, fast ikonenhaft ausgemalt, kommt jedoch an die Pracht der orthodoxen Heiligtümer bei weitem nicht heran. Am rechten Bogenende vor dem Presbyterium war eine große himmelblaue Seidenwand ausgespannt, darauf eine Ikone, 120 auf 100 cm groß, und um das Bild herum die kyrillische Inschrift: „Maria, Mutter Europas, bitte für uns!“ Rechts vom Altarraum befindet sich die Sakristei, links davon die sog. „Armenisch-Katholische Kapelle“. Es gibt in Charkiw viele Armenier, welche auch einen eigenen Bischof haben. Er trägt ostkirchliche Kleidung, bei der Liturgie aber eine „lateinische Mitra“.

Im Anschluss an den Rosenkranz feierte Bischof Stanislaus die Samstagvorabendmesse. Zur hl. Kommunion waren die Hostien in einer am Rand hochstehenden Patene im Kreis aufgestellt. Sie wurden in ein kleines Gefäß mit dem kostbaren Blut in der Mitte der Patene eingetaucht und den Gläubigen in den Mund gelegt – langsam, würdevoll. – Es folgte das Abendessen mit rund zehn Priestern und einigen wenigen Hausangestellten. Pfarrer Pitzal und der Bischof sind durch mehrere gemeinsame soziale Projekte verbunden und konnten die Gelegenheit nützen, um anstehende Fragen zu besprechen.

Festgottesdienst mit Marienweihe

Am Sonntag, 4. November 2018, hatten vormittags bereits vier hl. Messen für verschiedene Sprachgruppen stattgefunden. Um 12 Uhr begann unser Festgottesdienst, dem Bischof Stanislaus vorstand. Außer Pfr. Pitzal und mir konzelebrierte auch der Armenisch-Katholische Bischof. Beide Bischöfe hatten ihren Kathedralsitz, der eine am Chorbogen, der andere im Presbyterium. Über dem Hauptaltar der armenisch-katholischen Kapelle links vorne im Heiligtum wird das Gnadenbild „Maria Mutter Europas“ seinen Platz finden. Jetzt befand es sich an einem Ehrenplatz am Chorbogen, überreich geschmückt.

Nach der Predigt des Bischofs durfte ich die Geschichte der Gebetsgemeinschaft „Maria Mutter Europas“ schildern und die Ehrentafel „Maria Mater Europae“ übergeben. Pfr. Pitzal sprach ein selbstverfasstes Weihegebet, in dem es heißt:

„Mit Jesus, dem Sohn Mariens, kam eine neue Welt auf den europäischen Kontinent. Die Menschen erhielten eine Neuausrichtung für ihr Leben. Die Würde jedes Einzelnen wurde zum Grundgesetz der Völker Europas. Dies wurde zur Voraussetzung für den Frieden. Maria wurde so zur Mutter Europas, damit Frieden werde bis in den letzten Schlupfwinkel dieser Welt.“

Bischof Stanislaus segnete die Marien-Ikone und besprengte auch das ganze Volk mit Weihwasser, besonders die Kinder, die im Mittelgang ihren Platz gefunden hatten. Erwähnt sei auch, dass vor dem Altar sieben Kerzen vor sieben Kreuzen für die in der Ost-Ukraine gefallenen Soldaten brannten, deren Angehörige hierher nach Charkiw geflohen sind. – Nach der hl. Messe gab es ein eineinhalbstündiges Programm im Pfarrsaal. Sieben Kinder im Alter von vier bis vierzehn Jahren führten ein Theater auf. Als „Heilige“ verkleidet (Theresia von Lisieux, Teresa von Avila, Martin von Tours …) stellten sie deren Leben dar, während der Bischof eine kleine Katechese anfügte.

Besuch der sozialen Einrichtungen

Nach dem Mittagessen besuchten wir das zweistöckige Armenasyl auf der gegenüberliegenden Seite der Kathedrale. Dort bereiten Ordensschwestern täglich für rund 100 Personen ein Essen zu. Neben der Armentafel gibt es ein Kleiderdepot, eine Sanitätsabteilung und einen Kinderspielraum mit Unterrichtsmaterial. All dies richtete Bischof Stanislaus in den letzten vier Jahren ein. Das Armenasyl war stark frequentiert. Wattejacken und Mäntel fanden guten Absatz, weil die Kälte in diesen Tagen hereingebrochen war. Und jeder wollte vom deutschen Benediktinerpater gesegnet werden.

Seit 2012 sind in Charkiw auch die Orionistinnen, Missionarinnen der Barmherzigkeit, tätig. Sie widmen sich hier im Elend der Großstadt alleinstehenden Müttern. Die drei Ordensschwestern haben eine Zufluchtsstätte für junge Frauen mit Kindern eingerichtet und wohnen mit ihnen zusammen. Hier sind derzeit vier Frauen mit sechs Kindern untergebracht. Bald musste ein zweites Haus eröffnet werden, wo inzwischen neun Frauen mit ihren sechzehn Kindern wohnen. Nachbarn, die das soziale Engagement der Schwestern beobachtet hatten, boten schließlich auch ihr Haus zum Kauf an. Dieses dritte Haus, das die Schwestern im Juni 2018 erworben haben, wird zurzeit innen und außen renoviert und für den neuen Zweck umgebaut. Ziel des Projektes ist die Resozialisierung der alleinstehenden Mütter. Jede Frau hat ihr eigenes Schicksal, von der Bordelldame bis zur Studentin. Die jüngste Mutter ist gerade sechzehn Jahre alt. Für ihre Arbeit ziehen die Schwestern Volontäre, Psychologen und Juristen hinzu. Jede Mutter hat ihr eigenes Zimmer und auf jedem Stockwerk gibt es Küche, WC, Wäscherei u.a. Das Territorium um die Häuser ist zum Teil schon mit Spiel- und Sportplätzen für die Kinder ausgerüstet. Dort verbringen sie ihre Zeit mit Erzieherinnen, während ihre Mütter beim Studium oder bei der Arbeit sind. Schwester Renate, die Oberin dieser drei Häuser, bat uns um eine finanzielle Unterstützung von 8.500 Euro für Sport- und Spielausrüstung. Pfr. Pitzal will mit der Martinus-Aktion und den Sternsinger-Geldern seiner Pfarrei helfen. Außerdem hat er gute Beziehungen zu einem Kinderwerk in Deutschland.

Ausblick

Während unseres Aufenthalts in Charkiw kam zweimal der orthodoxe Bischof der Stadt ins katholische Bischofshaus zu Besuch. Wir erlebten zwar, wie die Ablösung der Orthodoxen Kirche in der Ukraine vom Moskauer Patriarchat und das Hinübergehen zum Patriarchen Bartholomaios I. von Konstantinopel gefeiert wird, uns wurde aber auch klar, wie zerspalten die Kirchen der Orthodoxie heute sind und nach „Ut unum sint“ rufen. Die Friedenskapelle „Maria Mutter Europas“ ist angesichts der Kriegssituation in der Ost-Ukraine und der Zerrissenheit der christlichen Kirchen hier in Charkiw sicherlich ein wichtiges Zeichen. Dem orthodoxen Bischof habe ich nach einer brüderlichen Umarmung meinen letzten „Europa-Rosenkranz“ geschenkt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2019
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Erster internationaler Kongress der Wallfahrtsdirektoren und -mitarbeiter

Wallfahrtsorte sind unersetzlich

Am 29. November 2018 empfing Papst Franziskus etwa 600 Leiter und Mitarbeiter von Pilgerstätten. Sie waren zum ersten Kongress dieser Art aus der ganzen Welt nach Rom gekommen. Organisiert wurde die dreitägige Veranstaltung vom Rat für Neuevangelisierung. Sie stand unter dem Titel „Wallfahrtsorte als offene Tür für die Neuevangelisierung“ und versuchte, Wege zu erörtern, wie man an traditionellen Wallfahrtsorten moderne Menschen auf neue Weise für den Glauben ansprechen kann. Nachfolgend die leicht gekürzte Ansprache des Papstes.

Von Papst Franziskus

Ich habe diesen Augenblick erwartet, der mir erlaubt, den vielen Vertretern der zahllosen Wallfahrtsorte in allen Regionen der Welt zu begegnen. Wie sehr brauchen wir doch Wallfahrtsorte auf dem täglichen Weg, den die Kirche zurücklegt!

Volksfrömmigkeit – ein Juwel

Sie sind der Ort, wo unser Volk sich gerne sammelt, um seinen Glauben zum Ausdruck zu bringen, in aller Einfachheit und den verschiedenen Traditionen entsprechend, die man von Kindheit an erlernt hat. In vielerlei Hinsicht sind unsere Wallfahrtskirchen unersetzlich, denn sie halten die Volksfrömmigkeit lebendig, bereichern sie um eine katechetische Ausbildung, die den Glauben unterstützt und stärkt, und fördern zugleich das Zeugnis der Liebe. Das ist sehr wichtig: die Volksfrömmigkeit lebendig erhalten und jenes Schmuckstück der Nummer 48 aus Evangelii nuntiandi nicht vergessen, wo der heilige Paul VI. den Begriff „Volksreligiosität“ in „Volksfrömmigkeit“ geändert hat. Das ist ein Juwel. Das ist die Inspiration der Volksfrömmigkeit, die, wie es ein italienischer Bischof einmal ausgedrückt hat, „das Immunsystem der Kirche“ ist. Sie bewahrt uns vor vielen Dingen.

Orte der Gastfreundschaft

Ich denke zuerst an die Bedeutung der Gastfreundschaft, das heißt die Aufnahme der Pilger. Wir wissen, dass unsere Wallfahrtsorte immer häufiger Ziel für Einzelpilger oder kleine selbstständige Gruppen sind, die sich auf den Weg machen, um an diese heiligen Orte zu kommen, und nicht so sehr für organisierte Gruppen. Es ist traurig, wenn es vorkommt, dass bei ihrer Ankunft niemand da ist, der ihnen ein Wort des Willkommens sagt und sie als Pilger aufnimmt, die häufig eine lange Reise zurückgelegt haben, um den Wallfahrtsort zu erreichen. Und noch schlimmer ist es, wenn sie vor verschlossenen Türen stehen! Es kann nicht sein, dass man den materiellen und finanziellen Bedürfnissen größere Aufmerksamkeit widmet und dabei die wichtigste Wirklichkeit vergisst: die Pilger. Sie sind es, die zählen. Das Brot kommt anschließend, aber sie kommen zuerst. Einem jeden von ihnen gegenüber müssen wir aufmerksam dafür sorgen, dass er sich so „zu Hause“ fühlt wie ein seit langer Zeit erwartetes Familienmitglied, das endlich angekommen ist.

Man muss auch bedenken, dass viele den Wallfahrtsort besuchen, weil es Teil der lokalen Tradition ist, zuweilen weil seine Kunstwerke ein Anziehungspunkt sind oder weil er in einer sehr schönen und eindrucksvollen Naturlandschaft liegt. Werden diese Menschen aufgenommen, öffnen sie leichter ihr Herz und lassen sich von der Gnade formen. Eine freundschaftliche Atmosphäre ist ein fruchtbarer Same, den unsere Wallfahrtsorte in das Herz der Pilger legen können. Das erlaubt ihnen, jenes Vertrauen in die Kirche wiederzugewinnen, das manchmal durch die ihnen entgegengebrachte Gleichgültigkeit enttäuscht worden sein mag.

Stätten des Gebets

Der Wallfahrtsort ist – zweitens – vor allem ein Ort des Gebets. Der größte Teil unserer Wallfahrtskirchen ist der marianischen Frömmigkeit gewidmet. Hier breitet die Jungfrau Maria die Arme ihrer mütterlichen Liebe aus, um das Gebet eines jeden zu hören und zu erhören. Jeder Pilger empfindet im Tiefsten seines Herzens das, was er auch bei der Muttergottes findet. Hier lächelt sie und spendet Trost. Hier vergießt sie Tränen zusammen mit dem, der weint. Hier zeigt sie jedem den Sohn Gottes, den sie auf den Armen hält als wertvollstes Gut, das jede Mutter besitzt. Hier wird Maria Weggefährtin jedes Menschen, der den Blick zu ihr erhebt und eine Gnade erbittet in der Gewissheit, erhört zu werden. Die Jungfrau antwortet allen mit der Intensität ihres Blickes, den die Künstler zu malen verstanden, oftmals selbst vom Himmel her geleitet in der Kontemplation.

In Bezug auf das Gebet in den Wallfahrtskirchen möchte ich zwei Dinge unterstreichen, die notwendig sind. Vor allem muss das Gebet der Kirche gefördert werden, das mit der Feier der Sakramente das Heil wirksam vergegenwärtigt. Das erlaubt einem jeden der am Wallfahrtsort Anwesenden, sich als Teil einer größeren Gemeinschaft zu fühlen, die in allen Teilen der Welt den einen Glauben bekennt, dieselbe Liebe bezeugt und in derselben Hoffnung lebt. Viele Wallfahrtsorte sind aufgrund der Bitte um Gebet entstanden, die die Jungfrau Maria an den Seher gerichtet hat, damit die Kirche niemals die Worte des Herrn vergesse, allezeit zu beten (vgl. Lk 18,1) und stets wachsam zu bleiben in der Erwartung seiner Wiederkehr (vgl. Mk 14,28).

Darüber hinaus sollen die Wallfahrtsorte das Gebet des einzelnen Pilgers in der Stille seines Herzens fördern. Mit den Worten des Herzens, mit der Stille, mit den Formeln, die er als Kind auswendig gelernt hat, mit seinen Gesten der Frömmigkeit… Jedem muss geholfen werden können, sein persönliches Gebet zum Ausdruck zu bringen. Sehr viele kommen an einen Wallfahrtsort, weil sie eine Gnade brauchen, und dann kommen sie wieder, um zu danken, dass sie sie erfahren haben, oft weil sie Kraft und Frieden in der Prüfung empfangen haben. Dieses Gebet macht die Wallfahrtsorte zu fruchtbaren Orten, wo die Volksfrömmigkeit beständig genährt werden und in der Kenntnis der Liebe Gottes wachsen soll.

Anlaufstellen zur Sündenvergebung

Niemand sollte sich an unseren Wallfahrtsorten als Fremder fühlen, besonders wenn er mit der Last seiner Sünde kommt. Und hier möchte ich eine weitere Überlegung anstellen: Der Wallfahrtsort ist ein privilegierter Ort, um die Barmherzigkeit zu erfahren, die keine Grenzen kennt. Das ist einer der Gründe, der mich veranlasst hat zu wünschen, dass es beim Außerordentlichen Jubiläum die „Pforte der Barmherzigkeit“ auch in den Wallfahrtskirchen geben soll. Wenn die Barmherzigkeit gelebt wird, dann wird sie zu einer Form wirklicher Evangelisierung, denn sie verwandelt diejenigen, die Barmherzigkeit empfangen, in Zeugen der Barmherzigkeit. An erster Stelle braucht das Sakrament der Versöhnung, das an den Wallfahrtsorten so oft gespendet wird, gut ausgebildete, heilige, barmherzige Priester, die in der Lage sind, die wahre Begegnung mit dem vergebenden Herrn zu vermitteln.

Ich wünsche, dass vor allem in den Wallfahrtskirchen die Gestalt des „Missionars der Barmherzigkeit“ niemals fehlen möge – und wenn es ihn an irgendeinem Wallfahrtsort nicht gibt, dann soll man beim Dikasterium darum bitten – als treuer Zeuge der Liebe des Vaters, der allen seine Arme öffnet und ihnen glücklich entgegengeht, weil er den findet, der sich entfernt hatte (vgl. Lk 15,11-32). Die Werke der Barmherzigkeit schließlich wollen insbesondere an unseren Wallfahrtsorten gelebt werden, insofern in ihnen Großherzigkeit und Liebe auf natürliche und spontane Weise als Akte des Gehorsams und der Liebe zu Jesus, dem Herrn, und zur Jungfrau Maria verwirklicht werden.

Wallfahrtsstätten sind nicht nur Orte der Begegnung mit Gott und Pilgern, sondern auch der Priester mit dem Gottesvolk. Wenn Priester vor Ort nicht in der Lage sind, in Kontakt mit Gläubigen zu treten, ist es besser, sie nicht an Pilgerorten einzusetzen.

Danke für alles, was ihr tut. Ich bitte die Muttergottes, euch zu stützen und zu begleiten bei dieser großen pastoralen Verantwortung, die euch anvertraut worden ist. Ich segne euch und bete für euch. Und bitte vergesst auch ihr nicht, für mich zu beten und in euren Wallfahrtskirchen für mich beten zu lassen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2019
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