Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

„Als Mann und Frau schuf er sie“, so lautet der Titel eines neuen Dokumentes der Kongregation für das Katholische Bildungswesen, das sich sehr kritisch mit der sog. „Gender-Theorie“ auseinandersetzt. Veröffentlicht wurde es am Pfingstmontag, dem von Papst Franziskus neu eingeführten Gedenktag „Maria, Mutter der Kirche“. Doch trägt das umfangreiche Schreiben das Datum vom 2. Februar 2019, dem Fest der Darstellung des Herrn im Tempel. Unterzeichnet wurde es von Kardinal Giuseppe Versaldi, dem Präfekten der Bildungskongregation.

Das Dokument war lang erwartet worden. Und es sollen weitere Stellungnahmen des Vatikans zur Gender-Ideologie folgen, beispielsweise eine theologische Erklärung der Glaubenskongregation. Den Anfang sollte jedoch bewusst die Kongregation machen, die sich mit Erziehungsfragen befasst. Denn für die Kirche besteht der größte Skandal in der Einführung des Gender-Mainstreams in die Lehrpläne von Schulen und in die Erziehungskonzepte von Kindergärten und Kinderkrippen.

Papst Franziskus sieht darin eine Bedrohung der Menschheit, der die Kirche mit allen Mitteln entgegentreten müsse. Wie ein roter Faden zieht sich die Ablehnung der Gender-Theorie durch sein ganzes Pontifikat. Auch das neue Dokument trägt eindeutig seine Handschrift, die besonders deutlich zutage tritt, wenn er auf Pressekonferenzen oder anderen Begegnungen frei auf Fragen antwortet. So spricht er von „Gemeinheit“ und „Boshaftigkeit“, wenn der Versuch unternommen wird, Kindern einzureden, sie müssten ihr Geschlecht erst entdecken und könnten es frei wählen. Besonders seine Auslandsreisen nützt Franziskus regelmäßig dazu, die Ausbreitung der Gender-Ideologie anzuprangern und mit dieser familienfeindlichen „Kolonialisierung“ hart ins Gericht zu gehen.

So erzählte er auf dem Rückflug von seiner Apostolischen Reise nach Georgien und Aserbaidschan am 2. Oktober 2016 das Beispiel einer katholischen Familie in Frankreich. Der Vater habe seinen zehnjährigen Sohn gefragt, was er später einmal werden wolle. Dieser habe geantwortet: „Ein Mädchen!“ Der Vater habe bemerkt, dass in den Schulbüchern seines Sohnes die Gender-Theorie gelehrt werde. „Und das ist gegen die Natur!“, stellte der Papst fest. Wenn man diese Dinge in der Schule gezielt unterrichte, um die Mentalität zu ändern, so nenne er dies „ideologische Kolonialisierung“.

Für Papst Franziskus steht mit der Gender-Ideologie die Herzmitte der christlichen Offenbarung auf dem Spiel. In der Erschaffung des Menschen als Mann und Frau spiegle sich das Wesen Gottes selbst wider, der lebendige Liebe im Austausch unter den drei göttlichen Personen sei. Der Unterschied von Mann und Frau sei das Meisterwerk des Schöpfers, in dem die Berufung des Menschen zur Liebe und Fruchtbarkeit aufstrahle. Werde dieser Unterschied geleugnet und ausgemerzt, gerate die gesamte Weltordnung aus den Fugen. Papst Franziskus ist sich bewusst, wie allergisch und aggressiv die heutige Öffentlichkeit mit ihrer politischen und medialen Macht auf jede Infragestellung der Gender-Theorie reagiert. Doch angesichts der Gefahren, die mit dieser globalen Verirrung verbunden sind, scheut er vor dem zu erwartenden Konflikt nicht zurück.

Liebe Leser, in dieser historischen Stunde, in der die Kirche vor der Welt ihr Zeugnis gibt, gilt es, sich mit ganzer Kraft hinter Papst Franziskus zu stellen und ihn vor allem im Gebet zu unterstützen. Mit einem aufrichtigen Vergelt’s Gott für Ihre Spenden wünschen wir Ihnen auf die Fürsprache Mariens, der Mutter der Kirche, Gottes reichen Segen.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Vatikan verurteilt Gender-Ideologie

„Kulturelle und ideologische Revolution“

In einem ausführlichen neuen Schreiben verurteilt die Bildungskongregation des Vatikans die Gender-Ideologie und bekräftigt die Grundlagen menschlicher Würde, der Unterschiedlichkeit der Geschlechter und der christlichen Freiheit. Es trägt den Titel „Als Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1,26-27) und plädiert für einen „Weg des Dialogs zur Genderfrage in der Bildung“. CNA Deutsch stellt das Dokument vor, das auf den 2. Februar 2019 datiert ist, aber erst Anfang Juni veröffentlicht wurde.

Von Anian Christoph Wimmer

Der Vatikan erteilt jedem ideologischen Ansatz, „der die Unterschiedlichkeit und die Komplementarität von Mann und Frau leugnet“, eine deutliche Absage und warnt erneut vor deren Einführung in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Die Einführung von Gender im Klassenzimmer führe unter anderem zu einem Bildungsnotstand beim Thema Gefühlsleben und Sexualität.

„Der Effekt dieses Schrittes ist vor allem die Schaffung einer kulturellen und ideologischen Revolution, die vom Relativismus angetrieben wird, und zweitens einer juristischen Revolution, da solche Überzeugungen spezifische Rechte für den Einzelnen und die gesamte Gesellschaft beanspruchen.“

Das Schreiben der Bildungskongregation erinnert an die Gottes-Ebenbildlichkeit des Menschen ebenso wie die biologische Realität der Geschlechter. Es unterstreicht die wechselseitige Entsprechung von Mann und Frau, wie sie im Naturrecht beschrieben ist. Und es betont, dass diese Komplementarität auch Voraussetzung für Ehe und Familie ist, und damit Grundlage jeder Gesellschaft. Dabei unterscheidet das Dokument zwischen der Ideologie und der Erforschung gesellschaftlicher Rollen. Die Forschung sei sinnvoll, wo sie etwa die „Werte des Weiblichen“ besser herausarbeite oder dazu einen Beitrag leiste, „gegen jede ungerechte Diskriminierung zu helfen“.

Gleichzeitig beschreibt die Bildungskongregation die intellektuelle Verkürzung dieser Forschung, die zum Aufkommen einer Ideologie geführt habe, und konstatiert ein falsches Verständnis von Freiheit – etwa die „Wahl“ eines Geschlechts – was auch in Klassenzimmern junge Menschen bedrohe.

„Es ist notwendig, die metaphysischen Wurzeln der sexuellen Differenz zu bekräftigen, als anthropologische Widerlegung von Versuchen, die männlich-weibliche Dualität der menschlichen Natur, aus der die Familie hervorgeht, zu negieren.“ – „Die Leugnung dieser Dualität löscht nicht nur die Vision des Menschen als Frucht eines Schöpfungsaktes, sondern schafft auch die Idee des Menschen als eine Art Abstraktion, der selbst entscheidet, was seine Natur sein soll.“

Die Kongregation erklärt, dass ab Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts eine Reihe von Studien veröffentlicht wurden, die vorschlugen, dass die äußere Konditionierung den primären und entscheidenden Einfluss auf die Persönlichkeit eines Menschen habe. Solche Studien wurden auch auf die menschliche Sexualität angewendet, mit dem Ziel, zu behaupten – so das Dokument – dass die Identität der Sexualität eher ein soziales Konstrukt als eine natürliche oder biologische Tatsache sei.

„Im Laufe der Zeit hat die Gender-Theorie ihr Anwendungsgebiet erweitert. Anfang der 1990er Jahre lag der Schwerpunkt auf der Möglichkeit, dass der Einzelne seine eigenen sexuellen Tendenzen bestimmt, ohne die Gegenseitigkeit und Komplementarität der männlich-weiblichen Beziehungen oder das reproduktive Ende der Sexualität berücksichtigen zu müssen.“ Mit der „fiktiven Konstruktion eines neutralen oder dritten Geschlechts“ werde mittlerweile bei manchen jungen Menschen die Entwicklung einer reifen Persönlichkeit gehemmt.

Auch die für Ideologien typische Tendenz, nicht der eigenen Haltung konforme Sichtweisen anzugreifen und auszugrenzen, beschreibt die Bildungskongregation.

„Das gängige Konzept der ,Nichtdiskriminierung‘ verbirgt oft eine Ideologie, welche die Differenz sowie die natürliche Gegenseitigkeit, die zwischen Männern und Frauen besteht, leugnet.“ Zudem führten Intersexualität und Transgender „zu einer männlich-weiblichen Zweideutigkeit, die auf widersprüchliche Weise diesen sexuellen Unterschied voraussetzt, den sie zu leugnen oder zu überwinden trachtet“. „Dieses Oszillieren zwischen männlich und weiblich endet als bloße Provokation gegen die sogenannten traditionellen Vorstellungen“, heißt es in dem Schreiben. Für Betroffene empfiehlt die Bildungskongregation „therapeutische Maßnahmen“.

Unter Bezugnahme der klassischen Philosophie, der unveränderbaren Lehre der Kirche, Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils sowie der Schriften mehrerer Päpste erklärt das Dokument das Verständnis der Kirche von einer christlichen Anthropologie und betont, dass sie im Mittelpunkt der menschlichen Bildung stehe: Ohne christliches Menschenbild keine christlichen Werte.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2019
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Die Grammatik der heilsgeschichtlichen Offenbarung

„Als Mann und Frau schuf er sie“

Am 14. Juni 2019 feierte der Regensburger Bischof Dr. Rudolf Voderholzer (Bild aus 2017) in der Münsterkirche in Ingolstadt ein Pontifikalamt zur Eröffnung des 19. Kongresses „Freude am Glauben“, der jedes Jahr vom „Forum Deutscher Katholiken“ veranstaltet wird. Sein Motto lautete heuer „Ohne Gott – keine Zukunft!“ Ausgehend von der Verkündigungsszene stellte Voderholzer in seiner Predigt eine Verbindung zwischen der „Tochter Zion“ im Alten Testament und Maria, der Mutter des Erlösers, her. Auf diesem Hintergrund ging er auf die Themen Ehe, Weiheamt und Gender-Ideologie ein. Nachfolgend der zweite Teil seiner Predigt.

Von Bischof Rudolf Voderholzer

Nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift zeichnet sich die Offenbarung Gottes ein in die geschöpfliche Beziehung des Gegenübers von Mann und Frau. Das Hohelied der Liebe ist nur der Höhepunkt der Glaubensüberzeugung, dass in der ehelichen Gemeinschaft von Mann und Frau die angemessenste Analogie für das Verhältnis Gottes zu seinem Volk Israel gegeben ist. Die natürliche und unvertauschbare Zuordnung und Komplementarität von Mann und Frau wird im Zusammenhang des Glaubens gnadenhaft überhöht und zur Darstellung der Heilswirklichkeit erhoben. Jesus stellt sich in diese aus dem Glauben Israels herkommende Tradition und offenbart sich selbst als der Bräutigam des Volkes, bei dessen Anwesenheit doch nicht gefastet werden darf (vgl. Mk 2,19).

Die Theologie des Ehesakramentes beruht auf dieser Glaubenseinsicht, ist doch die Ehe von einem getauften Mann und einer getauften Frau Sakrament, heiliges Zeichen, Darstellung der Liebe Christi zu seiner Kirche (vgl. Eph 4,24). Und auch die Zuordnung des Weihesakramentes zum männlichen Geschlecht beruht auf dieser ins Licht des Glaubens erhobenen natürlichen Zeichenhaftigkeit. Der Priester repräsentiert in seiner ganzen Person Christus als „Bräutigam“ der Kirche. Hier geht es nicht um die Darstellung der naturalen Fruchtbarkeit der stetig sich abwechselnden Jahreszeiten. Jesus hat bewusst nur Männer als Apostel berufen, als Stammväter des neuen Israel, die ihn dann zu vergegenwärtigen hatten auch im christlichen Kult.

Das hat nichts zu tun damit, dass man sich in der Antike weibliches Priestertum nicht vorstellen konnte. Im Gegenteil: Die Religionen und Kulte Griechenlands und Roms kannten vor allem ein weibliches Priestertum. Ihr Dienst war oft verbunden mit der Tempelprostitution als Darstellung der Fruchtbarkeit der Erde im ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen.

Davon setzt sich gerade die in der Bibel bezeugte Offenbarung ab mit ihrem Verweis auf die Geschichtsmächtigkeit Gottes, der nicht durch die naturale Fruchtbarkeit wirkt, sondern durch Menschen, die auf ihn hören, durch ein Volk, das er sich als Eigentum erwählt hat und das in der gesamten biblischen Überlieferung weiblich konnotiert ist, als Tochter Zion, die in Maria eine individuelle, von Gott in besonderer Weise begnadete Person wird.

Die Glaubensüberzeugung von der Schöpfung des Menschen im Gegenüber von Mann und Frau, Geschlechterpolarität und ihre Positivität, ist somit so etwas wie die Grammatik der heilsgeschichtlichen Offenbarung. Sie ist nicht nur Ausdruck des Wesens des Menschen, sondern auch die Bildseite der Sakramentalität der Kirche. Das schließt selbstverständlich nicht aus, dass die Kirche und alle ihre Glieder jedem Menschen mit Hochachtung begegnen, ganz gleich, welche biologischen oder psychischen Besonderheiten er hinsichtlich seines Geschlechtes aufweist. Jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes.

Die grundsätzliche Infragestellung der in der Schöpfung gegebenen Bezogenheit von Mann und Frau aufeinander hat aber nicht nur erhebliche anthropologische Folgen, sondern auch theologische, insbesondere sakramenten-theologische. Deshalb ist das letzte Woche veröffentlichte Schreiben der römischen Bildungskongregation mit dem Titel „Als Mann und Frau schuf er sie. Für einen Weg des Dialogs über die Genderfrage“ so außerordentlich wichtig. Es war ja seit langem angekündigt gewesen und fasst die wichtigsten Lehraussagen von Papst Franziskus zu dieser für das Menschenbild wichtigen Frage zusammen. Ich hoffe, dass es bald auch in deutscher Übersetzung vorliegt.

Dass es die Bildungskongregation ist, die das erste der angekündigten Dokumente zu dieser Frage veröffentlicht, hängt mit der von Papst Franziskus schon oft kritisierten „ideologischen Kolonisierung“ zusammen, durch die gerade über den Weg der Erziehung der Kinder und Jugendlichen die Schöpfungswirklichkeit untergraben wird.

Wörtlich heißt es in diesem Dokument mit Papst Franziskus: Die Gender-Ideologie „fördert Erziehungspläne und eine Ausrichtung der Gesetzgebung, welche eine persönliche Identität und affektive Intimität fördern, die von der biologischen Verschiedenheit zwischen Mann und Frau radikal abgekoppelt sind. Die menschliche Identität wird einer individualistischen Wahlfreiheit ausgeliefert, die sich im Laufe der Zeit auch ändern kann.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2019
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Kampf um den kostbarsten Schatz Europas

Die Familie im Würgegriff der EU

Professor Dr. Werner Münch, Politikwissenschaftler und ehemaliger Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, bietet eine umfassende Analyse des gesellschaftspolitischen Kampfes um Ehe und Familie in Europa. Von 1984 bis 1990 war er auch Mitglied des Europäischen Parlaments. Schonungslos deckt er auf, wie die Politik der Europäischen Union das christliche Menschenbild systematisch demontiert und durch pseudo-wissenschaftliche Ideologien ersetzt. Der Gender-Mainstream konnte sich in rasender Geschwindigkeit auf allen Ebenen durchsetzen und rüttelt inzwischen an den sozialen Fundamenten der europäischen Gesellschaft. Zerstörte Ehen und Familien, psychisch gestörte Kinder und eine völlig unkontrollierte Biotechnologie ohne Achtung vor der Würde des menschlichen Lebens sind die Folge. Für Werner Münch hat die Stunde des Zeugnisses geschlagen. Jeder ist gerufen, aufzuklären und zu handeln – mit Gebet und Gottvertrauen.

Von Werner Münch

1. Historische und theoretische Grundlagen

Der Feminismus

Neue Überlegungen zu Ehe und Familie begannen zunächst mit dem Feminismus. Er entstand aus dem Kampf der Frauen für Gleichberechtigung. Aufgrund der früher vorhandenen Ungleichheiten zwischen Mann und Frau, die noch bis ins 20. Jahrhundert hinein Realität waren – z.B. Verweigerung des Wahlrechts, des Besuchs von höheren Schulen und Hochschulen, beruflicher Tätigkeiten in Führungspositionen und sozialer Absicherung der Frauen – war dieser Kampf berechtigt. Inzwischen sind diese Forderungen aber bei uns und in vielen anderen Ländern, wenngleich noch nicht in allen, längst erfüllt, zumindest zum größten Teil.

Die Frauenfrage als Klassenfrage

Schon im 19. Jahrhundert hatten Marx und Engels die Frauenfrage als Klassenfrage umgedeutet. Engels beschrieb in seinem Werk „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ die Unterdrückung des weiblichen Geschlechts durch das männliche und forderte die Abschaffung der Familie, eine gleichwertige Eingliederung von Mann und Frau in den Arbeitsprozess und die öffentliche Kindererziehung. Diese radikalen Forderungen aus einer kommunistischen Ideologie fanden vor allem im Laufe des 20. Jahrhunderts in verschiedenen Strömungen und unterschiedlichen Ansätzen immer wieder neue Nahrung.

Der Radikalfeminismus

Wesentlich für das Aufkommen des Radikalfeminismus war die feministische Leitidee der französischen Philosophin Simone de Beauvoir aus dem Jahre 1947 mit der Aussage: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird dazu gemacht.“ Dies bedeutete, dass nicht mehr, wie bisher „Gender“ – im Lateinischen „genus“ – ein Begriff ist, der definiert, ob ein Wort männlich, weiblich oder sächlich ist, sondern bei jedem Menschen statt des biologischen Status das Bewusstsein eines Individuums als Mann oder Frau umschreibt. Die Gender-Identität einer Person hänge wesentlich davon ab, wie sie als Kind erzogen wurde. Das Geschlecht sei nicht biologisch vorbestimmt, sondern soziologisch und deshalb individuell selbst zu bestimmen. Der Begriff „Gender“, der das Wort „sex“ bzw. „Geschlecht“ ersetzt, soll als Beweis dafür stehen, dass die Erziehung und nicht die Biologie maßgebend für die Ausprägung der Geschlechterrolle ist. Das biologische Geschlecht stelle nämlich eine „Diktatur der Natur“ über die freie Selbstdefinition des Menschen dar, und aus dieser Diktatur müsse er sich befreien.

„Gender“ war also als Begriff mit klaren Inhalten verbunden und wurde so auch in die öffentliche Diskussion eingebracht.

Gender Mainstreaming

„Gender Mainstreaming“, also das Bemühen, Gender-Denken in der Gesellschaft zu verankern, hat überhaupt nichts mehr mit der Gleichstellung von Mann und Frau zu tun, wie es ihre Vertreter immer wieder behaupten, sondern ist ein viel weitergehenderes Konzept, das die Bestimmung der eigenen geschlechtlichen Identität zur freien Wahl stellt. Die Theorie, dass es „objektive biologische Definitionsmerkmale der Geschlechter erkenntnistheoretisch nicht gibt“, wird einfach behauptet, ohne einen einzigen wissenschaftlichen Beweis dafür zu liefern.

Zusätzlich wird die Zeugung als natürliche Weitergabe des Lebens oder, anders ausgedrückt, die ontologische Zusammengehörigkeit von Geschlechtlichkeit und Fortpflanzungsfähigkeit, radikal in Frage gestellt, weshalb der Ruf der Gender-Ideologen, für LGBT-Paare (Lesbian – Gay – Bisexual – Trans), oft auch LGBTI (I für Intersex), nach ihrem Recht auf Adoption von Kindern und die künstliche Fortpflanzung (also Leihmutterschaft) zu öffnen, immer lauter wurde. Allein die Tatsache, dass die Bundesfamilienministerin vor kurzem ein Forschungsprojekt vorgeschlagen hat mit dem Ziel zu untersuchen, ob Kinder in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften die gleichen Entwicklungschancen wie Kinder aus heterosexuellen Ehen haben, löste bei den Homosexuellen und ihren Lobbyisten einen Sturm der Entrüstung aus.

Der Begriff „Gender Mainstreaming“ wurde erstmals auf der 3. UN-Weltkonferenz in Nairobi 1985 diskutiert und 10 Jahre später auf der Folgekonferenz 1995 in Peking weiterentwickelt und durchgesetzt sowie zum Leitprinzip der UN erklärt. Die Konferenz, die von Radikalfeministinnen dominiert wurde, hatte sich drei Ziele gesetzt, die sie auch – zumindest auf dem Papier – erreichte, nämlich die „substantielle Gleichheit“ von Mann und Frau, die Aufhebung der Heterosexualität als Norm und die Dekonstruktion der Geschlechteridentität von Mann und Frau. Von 189 Staaten wurde eine „Aktionsplattform“ unterzeichnet, in der Geschlechtergerechtigkeit zum konstituierenden Element von Demokratie erklärt wurde. Damit hatte sich die Gender-Ideologie festgesetzt und war nicht mehr aufzuhalten.

Weitere Inhalte und Ziele

Neben den drei soeben genannten Zielen hatte diese Konferenz in Peking 1995 folgende fünf Punkte deutlich gemacht:

1. „In der Welt braucht es weniger Menschen und mehr sexuelle Vergnügungen. Es braucht die Abschaffung der Unterschiede zwischen Männern und Frauen sowie die Abschaffung der Vollzeit-Mütter.

2. Da mehr sexuelles Vergnügen zu mehr Kindern führen kann, braucht es freien Zugang zu Verhütung und Abtreibung für alle und Förderung homosexuellen Verhaltens, da es dabei nicht zur Empfängnis kommt.

3. In der Welt braucht es einen Sexualkundeunterricht für Kinder und Jugendliche, der zu sexuellem Experimentieren ermutigt; es braucht die Abschaffung der Rechte der Eltern über ihre Kinder.

4. Die Welt braucht eine 50/50-Männer/ Frauen-Quotenregelung für alle Arbeits- und Lebensbereiche. Alle Frauen müssen zu möglichst allen Zeiten einer Erwerbsarbeit nachgehen.

5. Religionen, die diese Agenda nicht mitmachen, müssen der Lächerlichkeit preisgegeben werden.“ (Dale O‘ Leary: „The Gender Agenda“; sie war selbst Teilnehmerin der Konferenz in Peking).

Insgesamt sind das Ergebnis dieser Konferenz und die Arbeit danach kurz so zusammenzufassen: Die Dekonstruktion der Geschlechteridentitäten und die Beseitigung jeder moralischen Bewertung und Begrenzung sexueller Handlungen, das heißt also Abschaffung aller Normen und Grenzen der Sexualität wurden in den Vordergrund gerückt, versehen mit dem Zauberwort „Geschlechtervielfalt“. Ihre Anhänger festigten ihre Position durch eine Fülle von Gleichstellungs- oder Frauenbeauftragten, besonders in den Verwaltungen der Kommunen, Länder und des Bundes mit Zutrittsrecht zu den Sitzungen von Gremien, Einsicht in die Personalakten sowie Mitsprache bei Ausschreibungen und Stellenbesetzungen.

An den deutschen Hochschulen gibt es zur Zeit ca. 200 Stellen für Gender-Forschung, was immer das heißen mag, dominant besetzt von Frauen.

Methoden zur Durchsetzung

Die erste Methode ist, dass alle genannten Inhalte, Ziele und Strategien nicht öffentlich diskutiert werden, weder im Parlament noch in den Medien. Obwohl diese Strategien die Lebensbedingungen der Menschen massiv verändern, werden sie in den Konferenzen der UN und in ihren Unterorganisationen, auf zahlreichen Ebenen der EU, unterstützt von einer Fülle von Lobby-Gruppen mit hohen Finanzmitteln, und durch Beschlüsse und Aktionspläne der Regierungen entschieden und in den Nationalstaaten umgesetzt ohne parlamentarische Mitbeteiligung. Das heißt also: Die strategische Durchsetzung erfolgt im Verborgenen.

Die zweite Methode ist der sog. „generische Sprachfeminismus“, also die „Genderung“ der Sprache, angefangen von der Ausrottung männerdominierter Begriffe (z.B. neu: Lehrperson, Arbeitnehmende, Rentenempfangende. Zufussgehende, Elter 1 und 2, Herr Professorin…) über die Ausrottung vermeintlich diskriminierender oder sog. rassistischer Begriffe (z.B. Schwarzer, Negerkuss, Roma, Zigeunerschnitzel…) bis zur „Genderung“ von Märchenfiguren in Kinder- und Märchenbüchern (s. Heinz Buschkowsky: „Die andere Gesellschaft“, S. 205f.). Darüber hinaus werden Frauen in der Sprache bewusst sichtbarer gemacht (z.B. Bischöfin, Soldatin, Christinnen, Wählerinnen…), oder es werden Begriffe mit neuem Inhalt gefüllt („sexuelle Vielfalt“) oder als Waffe zur Diffamierung der Gegner benutzt (Homophobie, Islamophobie, Rassist, Faschist…). Die Sprache ist, wie die Gender-Ideologen sagen, „geschlechtergerecht“ geworden. Seit 2006 gibt es sogar eine Bibelübersetzung, die der „massiv patriarchalischen Welt“ der Bibel die Stirn bieten möchte und diese Bibel eine „Bibel in gerechter Sprache“ nennt. Hochschulen und die Duden-Kommission führen über die Frage der Verbindlichkeit der Einführung dieser Neuerungen und ihrer Schreibform ebenfalls einen erbitterten Streit.

Die dritte Methode, kontinuierlich von politischer und medialer Propaganda begleitet, ist der ständige Versuch, neue, sehr fragwürdige Gesetze, sog. „Antidiskriminierungs- oder Hass-Gesetze zu schaffen, die eine strafrechtliche Verfolgung aller Kritiker und Gegner des Gender Mainstreaming erlauben. Wer z.B. einen Homosexuellen nur toleriert, aber nicht akzeptiert, dass er in jeder Beziehung den Heterosexuellen gleichgestellt wird, der diskriminiert, ist homophob, damit rassistisch und muss deshalb strafrechtlich verfolgt werden.

Die vierte Methode besteht darin, sich der Betreuungs- und Bildungs-Einrichtungen zu bemächtigen, um Kinder und Jugendliche so früh wie möglich im Sinne von Gender zu manipulieren.

Die Kindertagesstätten (Kitas) werden benutzt, um die Voraussetzungen zur Befreiung der Frau aus den „Herrschaftsverhältnissen“ einer Ehe zu schaffen. Deshalb erhalten sie dann, wenn sie im Arbeitsprozess stehen, vom Staat viel höhere Finanzmittel für die Betreuung ihrer Kinder als solche Frauen, die es vorziehen, ihre Kinder zu Hause zu erziehen.

Für die Schulen haben sich die Gender-Ideologen als Verkaufsschlager die „sexuelle Vielfalt“ ausgedacht. In den dafür konzipierten Projekten sollen z.B. 10-15-Jährige ihrer Schulklasse über ihre Sexualerfahrungen berichten, „dirty talks“ und Stöhnen üben, Analsex in einem Theaterstück darstellen, über das Thema „ein neuer Puff“ diskutieren und „galaktische Sexualpraktiken“ erfinden, die auf der Erde verboten sind. Und im Projekt „Gänsehaut“ üben 10-Jährige Massagen, wobei es in den Anweisungen dazu heißt, dass „dünne Kleidung genügt, damit der unterschiedliche Druck und die verschiedenen Streichrichtungen auch erspürt werden können“. Es wird alles für korrekt und gut erklärt, was von der Norm abweicht und Spaß macht.

Und schließlich die Hochschulen, bei denen ich bereits darauf hingewiesen hatte, dass in Deutschland inzwischen ca. 200 Stellen für „Gender-Forschung“ zur Verfügung stehen. Die neuen Türschilder in den Universitäten lauten: Gender Studies, Frauen- und Geschlechter-Forschung, transdisziplinäre Geschlechterstudien, Queer-Studies u.ä.

„Das hohe Ideal der Verpflichtung der Wissenschaft auf Objektivität und Wahrheit wird aufgegeben und der Anspruch der Wissenschaftlichkeit missbraucht, um die Akzeptanz von queeren Sexualpraktiken der Gesellschaft durchzusetzen (Gabriele Kuby: „Die globale sexuelle Revolution“, S. 160-163, bes. S. 162).

Die Folgen

Die Gender-Ideologie ist eine Pseudo-Wissenschaft mit verhängnisvollen Folgen für die Gesellschaft. Sie verheißt dem Individuum eine grenzenlose Freiheit und verschweigt, dass sie ihn zum Sklaven von Begierden und zum Objekt von Manipulationen macht: „Die Macht des Menschen, aus sich zu machen, was ihm beliebt, bedeutet … die Macht einiger weniger, aus anderen zu machen, was ihnen beliebt“ (so schreibt es treffend C. S. Lewis, Professor für englische Literatur des Mittelalters, gestorben 1963, in seinem Essay „Die Abschaffung des Menschen“, S. 62).

Und da dieser anthropologischen Revolution vor allem die biblische Schöpfungsordnung, die christliche Religion und die herkömmliche Familie im Wege stehen, werden diese besonders aggressiv bekämpft. Gender zerstört Ehe und Familie, die Wür-de des Menschen, schadet der Frau, weil diese nur nach ihrem Einsatz an einem Arbeitsplatz außerhalb der eigenen Familie bewertet wird, sie schadet dem Mann, weil er als „Täter“ verunglimpft wird, der die Frau zum „Opfer“ macht, und sie schadet dem Kind, weil es bei ihm vermehrt psychische Störungen verursacht. Durch den Abbau moralischer Orientierungen zerstört sie Ehe und Familie, weil sie insbesondere den Sinn der Ehe zur Weitergabe des Lebens verneint und Sexualität ausschließlich als Lustgewinn versteht, weshalb alle sexuellen Tabus Unsinn sind und verschwinden müssen. Sog. „Familien“-Politik wird mit höchster Priorität für die Belange sexueller Minderheiten (LGBTI-Gruppen) konzipiert, weil sie sich selbst nicht fortpflanzen können, und Empfängnisverhütung und Abtreibung werden weiter massiv gefördert.

Beim Ad Limina-Besuch der österreichischen Bischöfe Ende 2014 in Rom hat Papst Franziskus gesagt: „Die Gender-Ideologie ist dämonisch.“

2. Exkurs über unsere nationale Familienpolitik

1. Die Ergebnisse von Nairobi 1985 und Peking 1995 wurden im Deutschen Bundestag nicht diskutiert und abgestimmt.

2. 1999 wurde durch Kabinettsbeschluss Gender Mainstreaming „zum Leitprinzip und zur Querschnittsaufgabe der Politik“ erklärt.

3 Das Partnerschaftsgesetz von 2001 hat gleichgeschlechtlichen Verbindungen einen eheähnlichen Status verliehen.

4 Der 7. Familienbericht der Deutschen Bundesregierung 2006 unter Federführung der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen war eine revolutionäre Total-Abwendung der bis dahin gültigen Familien-Politik der CDU/CSU, z.B. wurden Geschlechter-Rolle als gesellschaftliche Konstruktionen bezeichnet, es wurde die staatliche Förderung des Krippenausbaus verlangt, und eine Erziehung zu Hause in der Familie wurde diffamiert und später öffentlich als „Herdprämie“ verunglimpft und – ich überspringe einige andere Gesetze – wurde

5. die in einer langen Kultur-Tradition stehende Ehe und Familie, die bis 2017 als eine Gemeinschaft zwischen einem Mann, einer Frau und Kindern verstanden wurde, im Schnellverfahren von nur ca. 1/10 der Bundestags-Abgeordneten in eine „Verantwortungsgemeinschaft“ dekonstruiert, in der einer für den anderen oder für mehrere andere Verantwortung übernimmt. Mit dieser sog. „Ehe für alle“ hat die staatliche Gewalt die menschliche Natur neu definiert, Ungleiches gleich gemacht und sich von Art. 6 unseres Grundgesetzes entfernt, der für Ehe und Familie den „besonderen Schutz durch die staatliche Ordnung“ fordert.

Noch ein abschließendes Wort zum Thema „Abtreibung“: Ihre Normalisierung und ihr Verständnis des Gesetzgebers und weiter Teile der Gesellschaft als selbstverständliches Freiheitsrecht der Frauen gehen jetzt noch weiter durch die Änderung des Gesetzes über das Werbeverbot für Abtreibung. Danach soll zwar weiterhin nicht für eine Abtreibung „geworben“, aber weitergehend als im bisher gültigen Gesetz durch Ärzte „informiert“ werden dürfen. Außerdem wird jungen Frauen jetzt die Verhütungspille zwei Jahre länger als bisher bis zum 22. Geburtstag von der Krankenkasse kostenlos gewährt.

3. Die EU-Politik zu Ehe und Familie

Allgemeines

Ich werde dies Problem an zwei Punkten erläutern:

1. Beispiel: Die Europäische Union (EU) hat im Amsterdamer Vertrag 1977, der 1999 in Kraft trat, Gender Mainstreaming zu einer verbindlichen Aufgabe für alle ihre Mitgliedstaaten erklärt und diese Ideologie im selben Jahr auch in ihren beschäftigungspolitischen Leitlinien verankert.

2. Beispiel: Martin Lohmann weist auf einen Brief des Instituts für Demographie, Allgemeinwohl und Familie (idaf) hin, „dass die EU Familie ganz neu definiert und im Rahmen der Migrationspolitik eine weitere Abwertung von Ehe und Familie betreibt. ‚Demnach gilt: Clan statt Familie.‘ Das alles geschieht im Rahmen der Überarbeitung der Dublin-Richtlinie im Blick auf Familiennachzug und der Frage, wer wann zuwandern darf. Die klassische Familie mit Vater, Mutter und Kindern wird weiter de facto einfach mal so ausgehöhlt; untergraben, entkernt. Nicht zufällig. Die CSU-Dame und Strauß-Tochter Monika Hohlmeier stimmte ebenso für einen Brüsseler Rechtsakt, der quasi unbegrenzte Zuwanderung von Familien-Clans mittels fiktiver Genealogie ermöglicht, und im Handumdrehen die Definition von Ehe und Familie aushöhlt‘ (idaf), wie der CSU-Partei-Vize Manfred Weber, der gerne Jean-Claude Juncker beerben würde“ (Martin Lohmann: „Die Alchemie der Unfreiheit“, in: Die Tagespost, 25.10.2018).

Die EU-Kommission

Nur zwei Beispiele aus dem Jahr 2018:

1. Beispiel: Am 15. Mai 2018 wurde offiziell der „Internationale Tag der Familie“ begangen. Die EU-Institutionen haben diesen Familientag totgeschwiegen. Zwei Tage später wurde der „Internationale Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie“ mit viel Aufwand gefeiert, wobei der Innen-Kommissar Timmermans – Spitzenkandidat der Sozialisten für die Wahlen zum Europäischen Parlament am 26. Mai d.J. – die EU-Kommission beim Christopher Street-Day offiziell vertrat. Gleichzeitig beging die schwul-lesbische Eurokrate-Gewerkschaft Egalite – eine eigene Gewerkschaft der EU-Institutionen für schwule und lesbische EU-Beamte – ihr 25-jähriges Bestehen in Anwesenheit des deutschen Kommissars Oettinger (s. idaf-Bericht von Mai 2018).

2. Beispiel: Dass das Lebensrecht für das ungeborene Leben der EU nichts wert ist, konnten wir z.B. noch 2018 erleben, als die EU-Kommission eine europäische Bürgerinitiative zum verbesserten Tierschutz mit 1,1 Mio. Unterschriften angenommen und sie sehr schnell in konkrete Maßnahmen umgesetzt hat, die Initiative von „One of Us“ mit 1,9 Mio. Unterschriften zur Streichung von Finanzmitteln für Forschungsprojekte zum Töten menschlicher Embryonen aber verworfen hat.

Das Europäische Parlament

Das Europäische Parlament hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder mit Fragen zur „Gleichstellung von Frauen und Männern in der EU“, zur sexuellen Vielfalt in Kitas, Schulen und Hochschulen sowie Abtreibung bis zur „Förderung der Geschlechter in den Bereichen psychische Gesundheit und klinische Forschung“ beschäftigt (Berichterstatter waren u.a. 2013 die portugiesische Sozialistin Edita Estrela und die österreichische Grüne Ulrike Lunacek, 2015 der belgische Sozialist Marc Tarabella und die bayerische Sozialistin Maria Noichl so-wie die spanische Liberale Beatriz Becerra Basterrechea). Dabei interessiert die Abgeordneten weder, dass die EU in diesen Fragen keinerlei Kompetenzen hat, noch die Tatsache, dass nationale Gesetze von EU-Mitgliedstaaten ihren Forderungen entgegenstehen. Die zentralen Forderungen in allen genannten Berichten des Europäischen Parlaments waren immer wieder:  Durchsetzung der Gender-Ideologie, Verbreitung einer neomarxistischen Agenda in Politik und Gesellschaft, gesetzliche Verankerung der Abtreibung in allen nationalen Gesetzen der EU-Staaten als Menschenrecht, wobei die Abtreibung häufig mit dem harmloser erscheinenden Begriff „sexuelle und reproduktive Gesundheit“ verschleiert wird, ebenfalls die Vergabe von Finanzmitteln der EU an Entwicklungsländer nur in Verbindung mit deren Zusicherung der generellen Freigabe der Abtreibung in ihren Ländern. Kolonialismus pur im neuen Kleid! „Abtreibung als Menschenrecht“ soll auch auf Minderjährige ohne Zustimmung der Eltern ausgedehnt und Ärzten, Krankenschwestern und Pflegern die Verweigerung der Beteiligung an Abtreibungen aus Gewissensgründen nicht erlaubt werden. In verschiedenen EU-Ländern haben es einige trotzdem getan und sind mit Geldbußen und/ oder Entlassungen bestraft worden Außerdem fordern diese Berichte, die alle mit Mehrheit angenommen worden sind, einen verpflichtenden Sexualkunde-Unterricht in der Schule ab der 1. Klasse, Werbung bei Jugendlichen für Homosexualität sowie eine Bestandsgarantie und nachhaltige Sicherung der Finanzierung aus Steuermitteln für Abtreibungsorganisationen.

Es geht also bei allen Berichten zu diesem Thema im Europäischen Parlament um das Aushebeln alter Kulturtraditionen, vor allem im christlich-jüdischen Kulturkreis. Für uns Christen geht es demnach um den Schutz der Menschenrechte und um die Würde der Person als Ebenbild Gottes. Es geht um die Zukunftsfähigkeit Europas, um den Schutz der Kinder und Familien. Es geht darum, den Vormarsch der Gender-Ideologie, diese Expansion des Irrsinns, aufzuhalten, was vor allem christdemokratische Abgeordnete und ihre Wähler vor Augen haben sollten. Gerade wir Christen tragen eine große Verantwortung bei diesem brutalen Kulturkampf des 21. Jahrhunderts, der keine Kompromisse duldet, denn sonst endet er im Totalitarismus.

Der Europäische Gerichtshof

Und zur Abrundung des Themas „EU und Ehe und Familie“ noch ein Hinweis auf den Europäischen Gerichtshof:

• Am 31. Mai 2001 entschied der Europäische Gerichtshof in einem Urteil: „Die Ehe ist eine „Lebensgemeinschaft zweier Personen verschiedenen Geschlechts“ (Rechtssache C-122/99 P und C-125/99 P),

• während es in einem späteren Urteil desselben Gerichts vom 15. Juni 2018 heißt: Der Begriff „Ehegatte“ ist geschlechtsneutral, und deshalb muss die Homo-Ehe der Ehe zwischen Mann und Frau gleichgestellt werden (Rechtssache C-673/16).

Damit hat sich auch der EuGH Kompetenzen angemaßt, für die er kein Mandat hat.

4. Schluss

Kommen wir zum Schluss: In den beiden letzten Jahrzehnten ist Gender eine Ideologie geworden mit einem totalen Herrschaftsanspruch. Sie hat sich als Pseudo-Wissenschaft mit verhängnisvollen Folgen für Ehe, Familie und Gesellschaft entwickelt. Familien zerfallen, psychische Störungen, insbesondere auch bei Kindern, nehmen zu, es gibt kein Lebensrecht für Ungeborene, die oft als „Schwangerschaftsgewebe“ oder „Zellgewebe“ bewusst abschätzig beschrieben werden. Die Abneigung gegen Behinderte ist noch größer, weil unsere ach so fortschrittliche Gesellschaft meint, dass sie nicht mehr in diese „moderne Zeit“ passen. Durch die Präimplantationsdiagnostik (PID) müssen die Ungeborenen, wie es der Medizin-Ethiker Prof. Giovanni Maio aus Freiburg sagt, einen Test bestehen, bevor entschieden wird, ob sie das Licht der Welt erblicken dürfen. 90% derjenigen, bei denen ein Down-Syndrom diagnostiziert wird, werden in Deutschland abgetrieben. Und insgesamt hat sich bei vielen, denen es gut geht, die Auffassung durchgesetzt, dass das Lebensrecht der Frau über dem des ungeborenen Kindes steht.

Die nicht mehr zu überbietende sog. „Begründung“ für die Forderung der Legalisierung von Abtreibungen bis zum Ende der Schwangerschaft, die die Jungsozialisten auf ihrem Bundeskongress im Dezember 2018 forderten, war von einem Delegierten folgende: „Menschenrechte gelten erst einmal für die Frau, und dann für alles andere. Die Jusos müssten für die Frauen und nicht für ‚irgendwelche Ungeborenen‘ eintreten.“ (Fabiola Kaminski: „Entlarvender Beschluss“, in: Die Tagespost, 13.12.2018).

Auch in der Frage der Assistenz eines Suizidalen lieg der Schleier der Ausgrenzung und Beseitigung von kranken und alten Menschen, weil sie für die Gesellschaft ja viel zu teuer sind und stören oder die Aussicht auf ein Erbe verzögern. Nicht nur die Religionsfreiheit wird beschnitten, sondern auch unsere Meinungsfreiheit und die Freiheit der Sprache durch die sog. „political correctness“. Der Werteverfall und ein Verlust des Kulturniveaus in der europäischen Gesellschaft der Gottesferne sind längst Realität und spürbar. Sogar ein Gottesbezug in der Präambel des sog. EU-„Grundlagenvertrages“, des Lissabon-Vertrages, ist abgelehnt worden.

Ein christlich-jüdischer Grundsatz lautet, dass Mann und Frau die gleiche Menschlichkeit besitzen, weil beider Würde in Gott und nicht in einer Naturkraft oder Sippe begründet ist. Nach christlichem Verständnis gibt es keine formale Gleichheit zwischen Mann und Frau – das ist sozialistisch –, sondern eine Gleichwertigkeit. Die Hl. Schrift sagt uns, dass Gott den Menschen „nach seinem Bild und Gleichnis, als Mann und Frau (Gen 1,27) erschaffen hat. Leben und Leben geben bleiben Folge biologischer Geschlechtlichkeit und nicht eines sozialen Geschlechts und künstlicher Fertilisation. Die Gender-Ideologen aber sehen, wie wir nachgewiesen haben, das Individuum ‚nur als sexus, nicht aber als Person‘, doch jeder Mann und jede Frau sind mehr als nur Geschlecht, jeder ist vorrangig Personalität, mehr als biologisch Frau und biologisch Mann“ (Hanna-Barbara Gerl-Falkowitz: „Frau – Männin – Menschin“, bes. S. 192-209).

Und in Bezug auf das heutige Europa formuliert Jürgen Liminski scharsinnig, „Derzeit bejubelt die politische Klasse den Vertrag von Aachen und meint sich selbst. Trunken von Worten klammert sie sich an ein Europa der Krämerseelen, an Münzen und Scheine, an Trugbilder gemeinsamer Armeen und harmonisierter Sozialsysteme. Und vergisst doch, dass die Herausforderung der Europäer heute sich nicht in kleiner Münze misst, nicht in scheinbaren Gegensätzen zwischen Nation und Vision, dass wir nicht mehr in einer Epoche der Weltanschauungen leben, sondern der Menschenanschauungen. Die bioethischen Fragen, der Kampf um das Lebensrecht, um eine Kultur des Lebens, um Identität und Würde des Menschen von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod, das sind die größten Herausforderungen unserer Zeit“ (Jürgen Liminski: „Die fünf Gerechten von Ninive“, in: Die Tagespost, 24.01.2019). Auch ich stelle fest, dass wir nicht nur im Würgegriff der EU sind, wie es in unserem heutigen Thema hieß, sondern auf der ethischen Verliererstraße.

Und Gabriele Kuby schließlich beendet ihr lesenswertes Buch „Die globale sexuelle Revolution – Zerstörung der Freiheit im Namen der Freiheit“ mit folgendem Satz (S. 422): „Es ist höchste Zeit, die Schweigespirale zu durchbrechen. Je länger wir warten, umso höher wird der Preis. Wir können etwas verändern! Es gibt Tausende von Initiativen, die sich für die Würde des Menschen einsetzen. Es lohnt sich, sich für die geistige und moralische Erneuerung zu engagieren, welche auf unser europäisches Erbe aufbaut – die wahre Quelle individueller und politischer Freiheit. Die Triumphe des Bösen sind immer nur Vorstufen für den Sieg des Guten.“ – Hoffen wir, dass der letzte Satz auch noch für die heutige Zeit gilt! Aber wenn er zutrifft, dann müssen wir für den Sieg des Guten kämpfen, denn dies fällt uns nicht einfach zu.

Ich habe versucht, Sie aufzurütteln in der Hoffnung, in Ihnen neue mutige Mitstreiter gefunden zu haben. Denn wie lautete ein bekanntes Papst-Wort: „Wo Gott ist, da ist Zukunft.“ Wir müssen aber daran glauben und danach handeln, auch im Gebet!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2019
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Hochschätzung der Familie

Auf seiner Apostolischen Reise in die Vereinigten Arabischen Emirate hat Papst Franziskus am 4. Februar 2019 in Abu Dhabi zusammen mit dem Großimam von Al-Azhar, Ahmad Al-Tayyeb, ein „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“ unterzeichnet. Diese gemeinsame Erklärung kann als historisches Ereignis bezeichnet werden, dessen Bedeutung für Frieden und Gewissensfreiheit sowie für die Möglichkeiten christlicher Mission noch gar nicht abzusehen ist. Darin findet auch die Wertschätzung der Familie ihren Ausdruck, auch wenn unterschiedliche Vorstellungen dahinterstehen mögen. Einige kurze Auszüge.

 

Im Namen Gottes, der alle Menschen mit gleichen Rechten, gleichen Pflichten und gleicher Würde geschaffen hat und der sie dazu berufen hat, als Brüder und Schwestern miteinander zusammenzuleben, die Erde zu bevölkern und auf ihr die Werte des Guten, der Liebe und des Friedens zu verbreiten.

Im Namen der unschuldigen menschlichen Seele, die zu töten Gott verboten hat, wenn er sagt, dass jeder, der einen Menschen ermordet, so ist, als hätte er die ganze Menschheit getötet, und dass jeder, der einen Menschen rettet, so ist, als hätte er die ganze Menschheit gerettet.

Daher muss man alle unmenschlichen Praktiken und volkstümlichen Bräuche, welche die Würde der Frau erniedrigen, einstellen und dafür arbeiten, dass die Gesetze geändert werden, welche die Frauen daran hindern, ihre Rechte voll zu genießen.

In diesem Zusammenhang wird deutlich, wie wichtig die Familie als grundlegender Kern der Gesellschaft und der Menschheit ist, um Kinder zur Welt zu bringen, aufzuziehen, heranzubilden und ihnen eine solide Moral und familiären Schutz zu bieten. Die Institution der Familie anzugreifen, sie zu verachten oder an der Bedeutung ihrer Rolle zu zweifeln, ist eines der gefährlichsten Übel unserer Zeit.

Wir bestätigen auch die Wichtigkeit des Wiedererwachens des Sinns für das Religiöse und der Notwendigkeit, ihn in den Herzen der neuen Generationen durch die gesunde Erziehung und die Annahme der moralischen Werte und der rechten religiösen Lehren wiederzubeleben, um den individualistischen, egoistischen, konfliktbeladenen Tendenzen, dem Radikalismus und dem blinden Extremismus in all seinen Formen und Erscheinungen entgegenzutreten.

Das erste und wichtigste Ziel der Religionen ist es, an Gott zu glauben, ihn zu ehren und alle Menschen dazu aufzurufen, zu glauben, dass dieses Universum von einem Gott abhängig ist, der es führt, der der Schöpfer ist, der uns mit seiner göttlichen Weisheit geformt hat und uns die Gabe des Lebens geschenkt hat, um sie zu behüten. Niemand hat das Recht, diese Gabe wegzunehmen, zu bedrohen oder nach seinem Gutdünken zu manipulieren. Im Gegenteil müssen alle diese Gabe des Lebens von ihrem Anfang bis zu ihrem natürlichen Tod bewahren. Deshalb verurteilen wir alle Praktiken, die das Leben bedrohen, wie die Genozide, die terroristischen Akte, die Zwangsumsiedlungen, den Handel mit menschlichen Organen, die Abtreibung und die Euthanasie sowie die politischen Handlungsweisen, die all dies unterstützen.

Deshalb bitten wir alle, aufzuhören, die Religionen zu instrumentalisieren, um Hass, Gewalt, Extremismus und blinden Fanatismus zu entfachen. Wir bitten, es zu unterlassen, den Namen Gottes zu benutzen, um Mord, Exil, Terrorismus und Unterdrückung zu rechtfertigen. Wir bitten darum aufgrund unseres gemeinsamen Glaubens an Gott, der die Menschen nicht erschaffen hat, damit sie getötet werden oder sich gegenseitig bekämpfen, und auch nicht, damit sie in ihrem Leben und in ihrer Existenz gequält und gedemütigt zu werden. Denn Gott, der Allmächtige, hat es nicht nötig, von jemandem verteidigt zu werden; und er will auch nicht, dass sein Name benutzt wird, um die Menschen zu terrorisieren.

   Seine Heiligkeit                   Großimam von Al-Azhar

   Papst Franziskus                Ahmad Al-Tayyeb

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2019
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Himmelschreiender Skandal

Das Töten wird hofiert

Kristina Hänel (Gießen) hat bereits mehr als 10.000 Tötungen von Kindern im Mutterleib durchgeführt. Da sie auf ihrer Homepage für Abtreibungen warb, wurde sie vom Landgericht Gießen zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen und führte letztlich dazu, dass die Bundesregierung eine Reform des Paragraphen 219a einleitete und das Werbeverbot aufweichte. Friedrich Andreas Stapf (München), der an der Einführung der Fristenlösung im Jahr 1993 beteiligt war, hat in seiner Praxis schon über 140.000 Abtreibungen vorgenommen, jährlich rund 3000. Er hatte 1968 seine schwangere Freundin zu einer illegalen Abtreibung ihres Sohnes begleitet und war „fasziniert von diesem Handwerk“. 1998 erklärte er: „Abtreibungsarzt war immer mein Traumberuf“. Beide wurden am 8. März 2019, dem Weltfrauentag, von der SPD im Ostallgäu und der „Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen“ mit dem Preis „Rote ASF-Rose“ ausgezeichnet. Damit sollte ihr Engagement für die Gleichstellung von Mann und Frau gewürdigt werden. Am 7. Juni waren die beiden nun zu einer Podiumsdiskussion an den Münchener Kammerspielen eingeladen. Cornelia Kaminski, die Bundesvorsitzende der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA), gab dazu eine Stellungnahme ab.

Von Cornelia Kaminski

Deutschlands bekannteste Abtreibungsärzte haben am 7. Juni 2019 ein Podium in den Münchener Kammerspielen bekommen, um über § 219a StGB zu sprechen und ihre bekannten Positionen zu inszenieren. Dem Bildungsauftrag eines Theaters kommt ein solches Podiumsgespräch ganz sicher nicht nach. Im Ankündigungstext hieß es: „Gemeinsam sprechen sie mit der Autorin und Aktivistin Sarah Diehl über die reproduktiven Rechte von Frauen und Menschen mit Uterus.“ 

Frau Hänel und Herr Stapf verdienen ihr Geld nach eigener Aussage mit Töten: „Auch wenn ich persönlich denke, dass der Begriff Töten zum Thema Abtreiben dazugehört. Ein Embryo, eine Leibesfrucht, ist für mich etwas Lebendiges, und nach der Abtreibung lebt es nicht mehr“, so Kristina Hänel in ihrem Buch „Die Höhle der Löwin“. Auf ihrer Homepage sagt sie dagegen, bei einer Abtreibung würde „Schwangerschaftsgewebe“ abgesaugt. Wer sagt, er möchte Frauen sachlich informieren, sollte stets die wissenschaftlich korrekten Fachbegriffe wie „Embryo“ oder einfach „Mensch“ verwenden, keine sachlich falschen Formulierungen. Er sollte Frauen darüber informieren, dass bei einer Abtreibung ein kleiner Mensch mit Herzschlag, voll ausgebildeten Gliedmaßen und Organen stirbt – und kein „Gewebe“. Hier gäbe es jede Menge Möglichkeiten, Frauen zu informieren. Er sollte Frauen die Wahrheit sagen.

Weder Frau Hänel noch Herr Stapf haben einen Doktortitel oder eine Facharztausbildung zum Gynäkologen. Dennoch sollten sie als Ärzte über diese wissenschaftlichen Fakten informiert sein und sie weder den Frauen, die sich in ihre Praxen begeben, noch der Öffentlichkeit vorenthalten. Wer Frauen wirklich helfen will, sagt ihnen die Wahrheit über Abtreibungen. Wer Frauen wirklich helfen will, tötet nicht ihre Kinder, sondern reicht ihnen die Hand.

Die Verantwortlichen der Münchener Kammerspiele haben so viel Respekt vor Menschen mit Uterus, dass sie ihnen sogar eine extra Anrede widmen, für den Fall, dass diese sich nicht als Frau fühlen. Aber sie haben keinerlei Respekt, Achtung oder auch nur Mitleid mit den Menschen, die sich in einem Uterus befinden. „Die Frauen, die in Frau Hänels oder Herrn Stapfs Praxis gehen, kommen mit denselben Problemen wie vorher wieder heraus, nur ohne ihre Kinder: Laut Frau Hänels eigener Beschreibung in „Die Höhle der Löwin“ sind es Frauen, deren Männer verschwunden sind oder die einen Seitensprung vertuschen wollen (das Problem ist also die Partnerschaft, nicht das Kind), oder auch Frauen, deren Familie keine Mädchen haben will (das Problem ist die frauenfeindliche Einstellung, nicht das ungeborene Mädchen). Zunächst spricht man Menschen ihr Menschsein ab – entgegen allen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Und dann nimmt man sich das Recht heraus, sie zu töten. Mit Kultur hat das sehr wenig zu tun. Warum ein aus Steuermitteln finanzierter Kulturbetrieb der verfassungs- und grundgesetzwidrigen Einstellung von Stapf und Hänel ein Podium bietet, bleibt das Geheimnis des Münchener Kulturreferats.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2019
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Symbol wiedergewonnenen Glaubens?

Sühnekirche Sagrada Família in Barcelona

Zum 100. Todestag des Architekten Antoni Gaudí soll die Kirche „La Sagrada Família“ in Barcelona vollendet werden. Dieses Ziel haben sich die Beteiligten nun gesetzt. Zu seinen Lebzeiten wussten die Fachleute nicht, ob sie Gaudí für einen Verrückten oder für ein Genie halten sollten. Im Jahr 2000 leitete die Kirche unter Papst Johannes Paul II. jedenfalls das Seligsprechungsverfahren ein und Benedikt XVI. verlieh dem Gotteshaus anlässlich der Einweihung am 7. November 2010 den Titel einer päpstlichen Basilika. Seit 2005 zählt die Kirche auch zum UNESCO-Weltkulturerbe. 1882 hatte Gaudi ohne jede Bewilligung mit dem Bau begonnen und auf einen entsprechenden Antrag drei Jahre später keine Antwort erhalten. Dennoch setzte er seine Arbeit fort, bis er am 10. Juni 1926 starb, nachdem er wenige Tage zuvor von einer Straßenbahn erfasst worden war. Am 7. Juni 2019, also 137 Jahre nach Baubeginn, erteilte nun Barcelonas Stadtverwaltung eine offizielle Baugenehmigung.

Von Dorothea und Wolfgang Koch

Zu den Schätzen der Kirche, die wir zum Heil unserer Familien und der Gesellschaft wiedergewinnen müssen, gehört das Ehesakrament. Ist es heute deshalb verdunkelt, weil wir diesen vergessenen Edelstein unter den Sakramenten nicht mehr strahlen lassen? Hoffnung weckt das wohl unwahrscheinlichste Phänomen unserer Zeit, die Sagrada Família, die Sühnekirche der Heiligen Familie in Barcelona, die vor allem Eheleuten und Familien Mut macht.

Wiedergewonnenes Christentum

Wer offenen Herzens Spanien bereist, spürt, wie dieses Land vom Wiedergewinnen des verlorenen Christentums geprägt ist. Selbst die herben Landschaften der Meseta und Extremadura, auch die kühnen Sierras und wilden Costas, scheinen vom Ethos der Reconquistadores durchdrungen. Mit seinen Kathedralen und Burgen ist Spanien ein gotisches Land, doch nicht der Westgoten wegen, die zwar zum Christentum fanden, es sich aber von den Mauren rauben ließen. – Wenn sich eine Spanienreise in Katalonien zu ihrem Ende neigt, verdichtet sich dieses Erleben und stößt wie mit den Lanzen eines Ritterheeres ins Herz der Gegenwart. Der Temple Expiatori de la Sagrada Família Antoni Gaudís, seit 1882 in Bau und wohl bis 2026 vollendet, zum 100. Todestag Gaudís, kann auch uns zum Hoffnungszeichen des wiedergewonnenen Glaubens werden, dessen schlanke, hohe Türme, noch von Baukränen umgeben, neu und jung in den Himmel wachsen.

Annäherung an die Sagrada Família

Für Besucher, die Barcelona spät am Nachmittag erreichen, ragen die schlanken Türme wie Tropfsteine zwischen den Häusern hervor. Raumgreifend in die Breite, Tiefe und Höhe ist diese Kirche von Grund auf neu konzipiert und gebaut, nicht nur zu Ende geführt. – Rotgoldenes Licht offenbart bereits etwas von Gaudís Bauidee: Es sind die Felsen des Montserrat, des heiligen Berges Kataloniens und seiner mütterlichen Herrin, die Gaudís Türme in der Großstadt darstellen. An ihrer Spitze schimmert Rötlich-Weißes, auch Buntes. In der modernen Häuserwüste erscheint diese merkwürdige Gotik außerweltlich, wie ja der Montserrat auch außerweltlich und naturhaft gotisch wirkt, so gotisch wie die spanische Kunst, auch wo sie Formen der Renaissance oder des Barock aufgreift.

Je näher wir kommen, zeigen sich die schon fertigen Turmspitzen mit bunten Mosaiken in pflanzenhaften Formen geschmückt. Erst überrascht, leuchtet uns auch dieser Gedanke ein: Warum sollen Kreuzblumen nicht blühen und Früchte bringen? Sind nicht die Sakramente Früchte des Kreuzesbaumes, Kreuzblumen also? Zu einer zisterziensisch gedachten Architektur passt dieser Einfall. Bauhaus-Modernismus wie im postkonziliaren Kirchenbau oder ein krasser Traditionsbruch ist dieser katalanische Modernisme offenbar nicht.

Passion: Quelle der Sakramente

Als sich der Weg durch den Park vor der Sagrada Família wendet, zeigt die Fassade unvermittelt eine Passion, von vier blühenden „Gaudímonserrattürme“ überragt. „Die in den späten 1980er Jahren begonnene Passionsfassade versucht, in kristallin-metallisch scharf geschnittenen Formen der Moderne das Passionsgeschehen auf neuartige Weise zu deuten“, steht im Baedeker. Was beim Lesen Ablehnung zu wecken vermag, überzeugt beim Anblick. Denn es ist tatsächlich die Passion, die sich architektonisch und figural entfaltet; es ist der leidende Christus am Kreuz, der Christus der gotischen Pestkreuze; es sind die Figuren der Schnitzaltäre, wie Veronika, die der Welt im Schweißtuch das Antlitz ihres leidenden Herrn darbietet; es sind die Szenen am Ölberg, die schlafenden Jünger, der Verrat, die auch die Meister der Gotik den Christen nahe brachten.

Das Schroffe dieser Passion inmitten der Vorstadt zeigt das Überzeitliche in nüchterner Sachlichkeit, der Tradition verbunden, ohne „konservativ“ zu sein. Die ergreifende Passion der Sagrada Família überwindet die Moderne in ihrer eigenen Kunstsprache, entlarvt den alles relativierenden, alles psychologisierenden „Modernismus“ durch die Passion des Herrn und besingt die Früchte seines Leidens wie die Karfreitagsliturgie: Crux fidelis, inter omnes / Arbor una nobilis:/ Nulla silva talem profert / Fronde, flore, germine (Treues Holz, vor allen Bäumen / Einzig du an Ehren reich; / Denn an Zweigen, Blüten Früchten / Ist im Wald kein Baum dir gleich).

Die neue Gotik der Chorkapellen

War die Passionsfassade die Überwindung der Moderne in strengem Ernst, so zeigt der Weg um den noch nicht völlig fertigen Chor eine aus schlanken Stämmen wachsende, heiter blühende, rankende, ihre Blätter treibende, zisterziensisch empfindende, mit ihren Grundformen spielende Gotik – eine Überwindung der Moderne im klar klingenden Lachen der Engel, einer Heiterkeit wie auf den Gesichtern der musizierenden Engel auf van Eycks Genter Altar. Auch dieser gotische Künstler war ja in Spanien – Isabella, die Katholische, liebte seine Kunst. Aber dennoch entsteht keine Neugotik, sondern eine neue Gotik, die gotische Baugedanken aufnimmt und fortführt. Schließlich wird klar, was diesen Chor vom Chor des Kölner Domes unterscheidet: Es fehlen die Strebepfeiler, die seitliche Schubkräfte aufnehmen. Trotzdem ist alles schlank und hochstrebend. Unmittelbar leuchtet ein weiterer Baugedanke Gaudís ein: Das Pflanzenhafte des Chores ist primär statisch und nicht ornamental gedacht. Oder besser gesagt: Gaudís Schönheit folgt aus der Wahrheit der Statik – pulchritudo splendor veritatis – Schönheit ist der Glanz der Wahrheit.

Antoni Gaudís Weihnachtsfassade

Schließlich veranschaulicht die von Gaudí selbst vollendete Weihnachtsfassade, der viel neueren Passionsfassade gegenüber, das Geheimnis der Inkarnation, das jede Ehe und aus ihnen erwachsenden Familien zu heiligen vermag. Phantasievoll zeigen grottenhafte Räume das heilige Geschehen, die an die Stalaktitendecken der märchenhaft orientalischen Räume der Alhambra erinnern oder die Tropfsteinsäle der Sierra-Höhlen. Orientalisch war ja das Geschehen in der Geburtsgrotte von Bethlehem. Auch diese Fassade spricht im Innersten an, inniger noch, zarter, rührender, bereitet sie zur Anbetung vor, vereint mit den Hirten und den weisen Königen Gaudís. – Der grüne Lebensbaum, eine Tanne, die mit weißen Paradiesvögeln die Fassade krönt, weckt die Sehnsucht nach dem Himmel, den uns die Menschwerdung und Passion eröffnen. Alle uns vertrauten Einzelheiten vergegenwärtigt diese Fassade, die Ruhe auf der Flucht, den Kindermord, Jesus bei der Arbeit mit Josef, dem Zimmermann, und lehrend im Tempel. Darüber aber zeigt Gaudí die Krönung Mariens im Himmel, das fünfte Rosenkranzgeheimnis. – 2014 wurde das erste der drei Tore angebracht. Der japanische Künstler Etsuro So-too, der durch seine Beschäftigung mit Gaudí katholisch wurde, zeigt Efeu, Blütenblätter, Kürbisse und Lilien, Maikäfer, Bienen, Fliegen, Grashüpfer, Schmetterlinge, Tausendfüßler, Grillen, Marienkäfer, Raupen und Ameisen. Die dem Chor gegenüberliegende „Fassade der Herrlichkeit“ ist noch im Bau. Was wohl entstehen mag? – Im Bürgerkrieg schänden Anarchisten Gaudís Grab, verwüsten sein Atelier, verbrennen seine Pläne und Notizen, zerschlagen die Gipsmodelle. Dennoch entfaltet sich sein Werk. In den 1950er Jahren versuchen u.a. Le Corbusier und Walter Gropius den Bau aufzuhalten. Auch in den 1990er Jahren entbrennt heftiger Streit. Noch 2008 fordern 400 Architekten, Schauspieler, Regisseure und Galeristen einen Baustopp. Auch dieser Versuch, den Bau einer rein spendenfinanzierten Kirche verbieten zu lassen, scheitert.

Liturgie im heiligen Kathedralwald

Schließlich erwarten wir gespannt das Innere der Sagrada Família. Wer durch die japanische Tür Etsuro Sotoos mit den Besuchermassen eintritt, erwartet, die touristische Zerstörung eines Sakralraumes beklagen zu müssen. Aber wir betreten überrascht einen heiligen Kathedralwald, in dem sich die Besucher verlaufen. Es ist nicht laut, eher ein Gesumme; der hohe Raum tilgt den Lärm. Die farbigen Fenster sind fast fertig, das Licht der Außenwelt ist gedämpft. – Sofort spüren wir, wie sehr der Innenraum liturgisch erdacht ist, so konsequent wie vielleicht sonst nur der Kölner Dom. Gaudís Kirche ist funktional auf den Altar hin orientiert. Mit seinem Baldachin erinnert er an den Altar in Maria Laach oder in der Peterskirche. Sofort könnte in Gaudís Kirche ein Hochamt im außerordentlichen Ritus beginnen. Die hohen Emporen bieten Raum für den Gregorianischen Choral oder mehrchörige Polyphonie. Wie es wohl klänge in der Sagrada Família? – Die Fenster im Hauptschiff verherrlichen Maria unter verschiedenen Titeln, indem sie die Farben der Gotik und abstrakt empfundene Formen der Glaskunst mit Zitaten aus der Heiligen Schrift und der Liturgie verbinden und das Dargestellte veranschaulichen. Ein großes Fenster von der Decke bis zum Boden gilt der Gottesmutter von Fatima, ihm gegenüber zeigt ein gleichgroßes Fenster die Ereignisse von Lourdes. Wie groß ist die Überraschung, als ein kleineres Fenster auf die Marienweihe Deutschlands im Jahre 1954 hinweist!

Geistliche Räume der Sagrada Família

Im Kapellenkranz um den Chor steht in jeder Kapelle ein Beichtstuhl, jeweils genau für diese eine Kapelle konzipiert. Über allem wölbt sich ein zisterziensisch empfundenes Laubdach aus pflanzenhaft-abstrakten Formen, bergend und zugleich nach oben weisend. Die Gewölbe sind hoch: Die Seitenschiffe mit einer Höhe von 30 Metern, Haupt- u. Hauptquerschiff 45 Meter, die Vierung 60 Meter und das Gewölbe über der Apsis 75 Meter. Getragen werden sie von steinernen Säulen, an denen Gaudí das Prinzip der gotischen Säule neu erfindet. Seine Säulen können so schlank sein, weil sie unmittelbar die wirkenden Schubkräfte aufnehmen und ableiten. Ihre pflanzliche Form, leicht schräg gestellt, mit Knoten wie bei Gräsern, an denen sie sich verzweigen, zeigt wie an der Fassade des Chores die Wahrheit der Statik und ist deshalb schön. Funktionalität und Ornament werden im geistlichen Blätterdach eins.

Die Krypta ist der Wurzelraum der Sagrada Família, so wie die Familie ein Wurzelraum der Kirche ist. Dieser älteste Bauteil wird intensiv für persönliches Gebet und die Feier des hl. Messopfers genutzt. Alle Beichtstühle, die auch hier unten in den Seitenkapellen standen, sind voll. Eine Kapelle ist der Moreneta, dem Gnadenbild des Montserrat, geweiht. In der Kapelle der Muttergottes vom Berge Karmel befindet sich Gaudís Grab. Ein Seligsprechungsprozess für ihn sei eingeleitet, ist dort zu erfahren, ein Gebet in diesem Anliegen wird erbeten.

„Was bedeutet es, diese Kirche zu weihen?“

Papst Benedikt XVI. weiht den Hauptaltar am 7. November 2010 und erhebt die Sagrada Família in den Rang einer päpstlichen Basilika. „Und wir denken vor allem an jenen Mann“, erinnert der Papst in seiner Predigt an Gaudí, „der die Seele und der Urheber dieses Projekts war: Antoni Gaudí, ein genialer Architekt und konsequenter Christ, dessen Fackel des Glaubens bis zum Ende seines Lebens brannte, das er in Würde und völliger Schlichtheit führte.“ – „Was bedeutet es, diese Kirche zu weihen?“, fragt der Papst und spricht aus, wie sehr die Sagrada Família zur Hoffnung auf das Wiedergewinnen des Glaubens wird. – „Mitten in der Welt, im Angesicht Gottes und der Menschen, haben wir in einem demütigen und freudigen Glaubensakt ein immenses Bauwerk errichtet, Frucht der Natur und unermesslicher Anstrengungen der menschlichen Intelligenz, der Erbauerin dieses Kunstwerks. Es ist ein sichtbares Zeichen des unsichtbaren Gottes, zu dessen Ehre diese Türme emporragen: Wie Pfeile verweisen sie auf das Absolute des Lichts und dessen, der das Licht, die Erhabenheit und die Schönheit selbst ist. In diesem Raum wollte Gaudí die Eingebung zusammenfassen, die er aus den drei großen Büchern erhielt, aus denen er als Mensch, als Gläubiger und als Architekt Nahrung zog: das Buch der Natur, das Buch der Heiligen Schrift und das Buch der Liturgie. So vereinte er die Wirklichkeit der Welt und die Heilsgeschichte, wie sie uns durch die Bibel berichtet und in der Liturgie vergegenwärtigt wird.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2019
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Frustration und Resignation

Bereits bei der Generalaudienz am 15. April 2015 nannte Papst Franziskus die „Gender-Theorie“ beim Namen.  Sie sei Ausdruck von Frustration und Resignation. Denn der Versuch, den Unterschied von Mann und Frau auszulöschen, stelle nicht die Lösung, sondern vielmehr das eigentliche Problem dar. Im Unterschied und der wechselseitigen Ergänzung von Mann und Frau zeige sich der Höhepunkt der göttlichen Schöpfung. Nachfolgend eine gekürzte Fassung der Katechese.

Von Papst Franziskus

Im ersten Schöpfungsbericht, im Buch Genesis, lesen wir, dass Gott, nachdem er das Universum und alle Lebewesen erschaffen hatte, das Meisterwerk erschuf, also den Menschen, den er als sein Abbild machte: „Als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie“, heißt es im Buch Genesis (1,27).

Und wie wir alle wissen, gibt es den Unterschied der Geschlechter in vielen Lebensformen in der langen Reihe der Lebewesen. Aber nur im Mann und in der Frau trägt er das Abbild und die Ebenbildlichkeit Gottes in sich: Der biblische Text wiederholt es dreimal in zwei Versen (26-27): Mann und Frau sind das Abbild Gottes, ihm ähnlich. Dem entnehmen wir, dass nicht nur der Mann als Einzelner betrachtet das Abbild Gottes ist, dass nicht nur die Frau als Einzelne betrachtet das Abbild Gottes ist, sondern dass auch Mann und Frau als Paar Abbild Gottes sind. Der Unterschied zwischen Mann und Frau dient nicht dem Gegensatz oder der Unterordnung, sondern der Gemeinschaft und der Fortpflanzung, stets als Abbild Gottes, ihm ähnlich.

Die Erfahrung lehrt uns: Um einander gut kennenzulernen und harmonisch zu wachsen, braucht der Mensch die Gegenseitigkeit von Mann und Frau. Wo das nicht geschieht, sieht man die Folgen. Wir sind dazu erschaffen, einander zuzuhören und uns gegenseitig zu helfen. Wir können sagen, dass ohne die wechselseitige Bereicherung in dieser Beziehung – im Denken und im Handeln, in der Affektivität und in der Arbeit, auch im Glauben – die beiden nicht einmal bis ins Letzte verstehen können, was es bedeutet, Mann und Frau zu sein. Die moderne, zeitgenössische Kultur hat neue Räume, neue Freiheiten und neue Tiefen eröffnet, um das Verständnis dieses Unterschieds zu bereichern. Aber sie hat auch viele Zweifel und viel Skepsis eingeführt. Ich frage mich zum Beispiel, ob die sogenannte Gender-Theorie nicht auch Ausdruck von Frustration und Resignation ist, die darauf abzielt, den Unterschied zwischen den Geschlechtern auszulöschen, weil sie sich nicht mehr damit auseinanderzusetzen versteht.

Ja, wir laufen Gefahr, einen Rückschritt zu machen. Denn die Beseitigung des Unterschieds ist das Problem, nicht die Lösung.

Gott hat die Erde dem Bund von Mann und Frau anvertraut: Dessen Scheitern lässt die Welt der Liebe verarmen und verdunkelt den Himmel der Hoffnung. Die Zeichen sind bereits besorgniserregend, und wir sehen sie.

Ich frage mich, ob die allgemeine Krise des Gottvertrauens, die sich so schlecht auf uns auswirkt, die uns an resignierender Ungläubigkeit und Zynismus erkranken lässt, nicht auch mit der Krise des Bundes von Mann und Frau zusammenhängt. Denn der biblische Bericht mit der großen symbolischen Beschreibung des irdischen Paradieses und der Erbsünde, sagt uns, dass die Gemeinschaft mit Gott sich in der Gemeinschaft des menschlichen Paares widerspiegelt und dass der Verlust des Vertrauens in den himmlischen Vater Spaltung und Konflikt zwischen Mann und Frau schafft.

Daraus ergibt sich die große Verantwortung der Kirche, aller Gläubigen und vor allem der gläubigen Familien, die Schönheit des Schöpfungsplans, der das Abbild Gottes auch in den Bund von Mann und Frau einschreibt, wiederzuentdecken. Die Erde wird mit Harmonie und Vertrauen erfüllt, wenn der Bund von Mann und Frau im Guten gelebt wird. Und wenn Mann und Frau diesen Bund miteinander und mit Gott suchen, dann finden sie ihn zweifellos. Jesus ermutigt uns ausdrücklich zum Zeugnis dieser Schönheit, die das Abbild Gottes ist.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2019
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Neuer UN-Gedenktag am Fest Maria Königin

Für Opfer religiöser Verfolgung

Das weltweite päpstliche Hilfswerk „Kirche in Not“ begrüßt die Entscheidung der Vollversammlung der Vereinten Nationen, wonach der 22. August als neuer „Internationaler Gedenktag für Opfer von Gewalt wegen ihrer Religion oder ihres Glaubens“ begangen werden soll. „Diese Entscheidung ist eine klare Botschaft und ein klarer Auftrag, dass die Vereinten Nationen, ihre Mitgliedsstaaten und die Zivilgesellschaft religiös motivierte Gewalt nicht tolerieren können und werden“, sagte Mark von Riedemann, Direktor für Öffentlichkeitsarbeit und Belange der Religionsfreiheit in der internationalen Zentrale von „Kirche in Not“ in Königstein im Taunus.

Zunehmende Gewalt bis hin zum Völkermord an religiösen Minderheiten

Die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft auf Meldungen über religiöse Gewalt seien bislang zu spärlich und zu spät erfolgt. „Die Entscheidung für den Gedenktag ist ein erster Schritt, um mehr Aufmerksamkeit auf religiöse Verfolgung zu lenken“, erklärte von Riedemann. Internationale Berichte wie die Untersuchung des US-Außenministeriums oder die Studie „Religionsfreiheit weltweit“ von „Kirche in Not“ verzeichneten eine „dramatische Zunahme der Gewalt gegen Gläubige praktisch aller Glaubensrichtungen auf allen Kontinenten, wobei Christen am stärksten verfolgt werden“, führte von Riedemann aus.

Allein in den vergangenen fünf Jahren sei es zweimal zu einem Völkermord an religiösen Minderheiten gekommen, „wie er in Syrien und im Irak vom ,Islamischen Staat‘ an Christen und anderen religiösen Gruppen sowie von Militäreinheiten an muslimischen Rohingyas in Myanmar verübt wurde“, so von Riedemann. Hinzukämen die anhaltenden „organisierten Gräueltaten“, die sich vermehrt gegen Christen auf dem afrikanischen Kontinent richten.

Auftakt für Prozess zu internationalem Aktionsplan gegen religiöse Gewalt

Der neue Gedenktag könne deshalb nur ein erster symbolischer Schritt sein, so Riedemann. „Kirche in Not“ setzt sich zusammen mit anderen Organisationen und politischen Akteuren für die Einrichtung einer UN-Plattform ein, auf der Informationen zu antireligiöser Gewalt schneller verbreitet werden können.

Am Ende müsse ein internationaler Aktionsplan stehen, um religiöse Verfolgung einzudämmen „oder um zu verhindern, dass sie zu noch größeren Gräueltaten wie Völkermord eskalieren“, erklärte von Riedemann. Bislang fehle es dazu an politischen wie organisatorischen Möglichkeiten. „Unser Schweigen zur religiösen Verfolgung ist unsere Schande.“

Der neue „Internationale Gedenktag für Opfer von Gewalt wegen ihrer Religion oder ihres Glaubens“ wurde bei der UN-Vollversammlung am 28. Mai verabschiedet. Der Vorschlag war von Polen eingebracht worden. Die USA, Kanada, Brasilien, Ägypten, Irak, Jordanien, Nigeria und Pakistan hatten die Initiative unterstützt.

Die Idee zum neuen Gedenktag geht auf die polnische Anwältin Ewelina Ochab zurück, einer international anerkannten Expertin für Religionsfreiheit. Bei einer im Herbst 2017 von „Kirche in Not“ veranstalteten Konferenz in Rom zur Lage der Christen im Irak stellte Ochab ihre Idee vor, durch einen UN-Gedenktag die weltweite Aufmerksamkeit auf Verletzungen der Religionsfreiheit zu lenken. „Kirche in Not“ hatte sie auf diesem Weg ermutigt.

Der Bericht von „Kirche in Not“ über die Situation der Religionsfreiheit in 196 Ländern findet sich unter: www.religionsfreiheit-weltweit.de

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2019
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Friedenskuss von Religion und Recht

Die Würde des Menschen

Erzbischof Georg Gänswein hielt am 4. Juni 2019 beim Jahresempfang des Foyers „Kirche und Recht“ in Karlsruhe einen richtungweisenden Vortrag über „das Alpha und Omega der Menschenwürde“. Zum 70. Jahrestag des Grundgesetzes betonte er, dass der Schlüsselbegriff dieser rechtlichen und politischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, nämlich die unantastbare Würde des Menschen, nur im Licht der christlichen Offenbarung wirklich verstanden werden könne. Nachfolgend einige Auszüge aus der Rede, welche zwar nicht die gesamte Spannung, jedoch entscheidende Inhalte wiedergeben können.

Von Erzbischof Georg Gänswein

Als Deutscher und katholischer Priester, der an der römischen Kurie seinen Dienst tut, komme auch ich an dem Begriff der Menschenwürde nicht vorbei. Denn in diesem aus zwei Worten zusammengesetzten Begriff geben sich Religion und Recht gewissermaßen den Friedenskuss. Und wie könnte ich diesen wundersamsten Begriff unserer deutschen Verfassung gerade in dem Jahr übergehen, in dem das Grundgesetz seinen 70. Geburtstag feiert.

Die katholische Antwort zur Frage nach der Würde des Menschen ist diese: Menschenwürde hat man nicht so, wie man ein Bein oder ein Hirn hat. Der Mensch erwirbt seine Würde nicht. Er kann sie deshalb auch nicht verlieren. Sie ist jedem einzelnen Menschen schon vor Beginn der Schöpfung gegeben und liegt in dem Willen Gottes, den Menschen nach seinem Abbild, nach dem Abbild Gottes zu schaffen. Diese Würde ist darum allen Menschen zuteil und eigen, gleich woher sie stammen, welche Sprache sie sprechen, welche Hautfarbe sie haben, ob sie politisch uninteressiert oder besonders radikal sind, ob gesetzestreu oder Gesetzesbrecher. Sie steht – obwohl wir es alle wissen, sei es an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betont – natürlich auch allen Nicht-Christen zu. Alle Menschen sind nach dem Abbild Gottes geschaffen.

Die Würde des Menschen hängt also nicht ab von dem, was er tut, was er denkt oder sagt, sondern an dem, was er ist. Was also ist der Mensch? Was bedeutet es, dass er Abbild Gottes ist?

Eine besonders schöne Antwort darauf habe ich vor Jahren in Chartres gefunden, wo unbekannte Bildhauer den biblischen Bericht der Genesis über die Erschaffung der Welt mit einem Halbkreis von Skulpturen über dem Nordportal der Kathedrale aus dem 13. Jahrhundert in Szene gesetzt haben, an denen wir gleichsam ablesen können, wie Gott am fünften Schöpfungstag –  in dem Moment, als er  gerade die Vögel erschaffen hat und als er ihnen liebevoll nachschaut, wie sie seinem Blick enteilen und frei weg in den Himmel fliegen! –  erstmals auf den Gedanken verfällt: „Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich!“ (Gen 1,26).  Ausgerechnet beim Anblick der Freiheit der Vögel verfällt Gott hier also auf den Gedanken, als Krönung der Schöpfung auch den Menschen zu erschaffen, als freies Wesen, auch ihm selbst gegenüber. Gott sieht hier aus wie sein Sohn, wie Jesus, dem just im Moment dieses Einfalls, bei seiner ersten Idee und Vorstellung des Menschen, der junge Adam – als Gedanke, doch leibhaftig – über die rechte Schulter schaut, ihm ähnlich wie ein Zwilling, mit seinen Gesichtszügen, nur ohne Bart.

Der Ort dieser Darstellung an der Kathedrale „Unserer Lieben Frau von Chartres“ zeigt auch, dass dieses Menschenbild ein Sondergut ist, das nicht einfach der Natur entstammt und auf Bäumen gewachsen ist. Und so ist es auch mit der Menschenwürde. Sie ist ein Kulturgut. Sie entstammt auf genuine Weise unserer Kultur; sie kommt nicht aus China oder Japan, nicht aus Indien, auch nicht aus dem „Haus des Islam“. Sie entstammt allein unserer Geschichte, und hier ganz besonders der Selbstoffenbarung Gottes, und zwar so, wie sie in den Heiligen Schriften des Judentums und des Christentums auf uns gekommen ist.

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass sich in den letzten Jahren vor allem in Deutschland die Erkenntnis durchgesetzt hat – in Äußerungen solch nüchterner Denker wie Jürgen Habermas und Ludger Honnefelder –, dass vor allem vor dem Hintergrund jüdisch-christlicher Überlieferung die  Gottesebenbildlichkeit des Menschen zur Matrix des Begriffs der „Menschenwürde“ wurde, wo das schöne Wort nicht nur Verfassungsrang bekam, sondern wo es seit dem 8. Mai 1949 eben den zentralen Platz des neuen deutschen Grundgesetzes einnimmt, wo es im allerersten Satz des ersten Artikels lakonisch heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Der Satz ist quasi die Seele unserer Verfassung geworden, zu dem die gesetzgeberische Elite der neuen Bundesrepublik nur vier Jahre nach Weltkriegsende und der unfassbaren Katastrophe der Deutschen unter den Nationalsozialisten gottlob zurückgefunden hatte. Das war nicht zufällig. Denn es war ja auch ein beispielloser Zivilisationsbruch der Justiz durch die willkürliche Rechtsetzung, die Europa unter den Nazis in Deutschland erlebt und erlitten hat. Mit diesem Schritt und diesem Satz ist Deutschland vor 70 Jahren wieder in die Zivilisation Europas und zu ihrem jüdisch-christlichen Erbe zurückgekehrt. Es war ein Glücksfall, fast ein Wunder. Und es war eine Heimkehr.

Und hier gelangen wir nun mit unserer kurzen Reflexion im Kern an jenen Punkt, den der Staatsrechtler und Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde schon im Jahr 1964 in sein berühmtes und oft zitiertes Diktum gegossen hat: „Der freiheitliche säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“

Wenn nun also der Staat die notwendigen, lebenspendenden Voraussetzungen nicht garantieren kann, sind andere aufgerufen, sie so gut wie möglich zu gewährleisten und zu schützen oder zumindest immer wieder an sie zu erinnern. Das können in diesem Land aber nicht zuerst die Parlamente und andere Kammern des souveränen Volkes sein. Das ist vorrangig Sache der Kirchen und Synagogen, auch und gerade in einer radikal pluralisierten Welt. Darauf machte auch Papst Benedikt XVI. am 22. September 2011 aufmerksam, als er vor dem deutschen Parlament im Berliner Reichstag Folgendes ausführte: „Von der Überzeugung eines Schöpfergottes her ist die Idee der Menschenrechte, die Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht, die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem einzelnen Menschen und das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr Handeln entwickelt worden. Diese Erkenntnisse der Vernunft bilden unser kulturelles Gedächtnis. Es zu ignorieren oder als bloße Vergangenheit zu betrachten, wäre eine Amputation unserer Kultur insgesamt und würde sie ihrer Ganzheit berauben.“

Als Abbild Gottes ist der Mensch berufen, mit seiner Seele sein Urbild, den wahren und ewigen Gott, zu suchen und zu erkennen, über seinen Tod hinaus – auch wenn sein Körper schon zerfallen ist und nicht mehr existiert. Seine Würde liegt in dieser Freiheit, Gott zu suchen und Gott zu erkennen, gleich wo und wie sich der einzelne Mensch gerade befindet, welche materiellen Zwänge ihn bedrängen oder welche körperlichen Gebrechen ihn behindern und belasten. Seine Seele ist frei geschaffen und sie bleibt es in alle Ewigkeit.

Das Grundgesetz ist von seinem Ursprung offen für das Naturrecht, das der Schöpfer in sein Geschöpf und in seine Schöpfung eingeprägt hat. Das zeigt der Begriff der Menschenwürde auf eindeutige Weise. Ist das auch heute noch in der Allgemeinheit, im Alltag der Bundesrepublik so? Ist die gezeichnete Auffassung alltagstauglich?

Natürlich kann nicht übersehen werden, dass Sie, sehr geehrte Damen und Herren, im vornehmen Forum des Verfassungsgerichts, mit Ihrer Rechtsprechung so etwas wie ein Gesetzesnavigator für ganz Deutschland sind, der in den letzten Jahren bemerkenswerte Entwicklungen durchgemacht hat. Sie haben beispielsweise gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zwischen Männern oder Frauen den Weg geöffnet, ihre Verbindung eine „Ehe“ zu nennen – und hinsichtlich der Rechtsprechung in Bezug auf das kirchliche Arbeitsrecht haben die Damen und Herren Richter vom Bundesarbeitsgericht ja mächtig zugelangt.

Die Kirche möchte und darf nicht nur die diesseitigen materiellen Bedürfnisse des Menschen befriedigen. Sie ist nicht nur Caritas, auch wenn diese und viele weitere hervorragende katholische Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitswesen selbstverständlich zur Kirche gehören. Die Kirche an sich, als Ganzes, ist aber für mehr verantwortlich, zuerst und zuletzt für die Seelen und deren Frieden mit sich und Gott. Die materiellen Belange sind dagegen relativ und ändern sich beständig.

Die homosexuellen Partner sind – Ehe hin, Ehe her – auch einmal alt und stehen vor dem letzten Schritt des Lebens – und dann kommt es auf die sexuelle Orientierung nicht mehr an. Alle Homosexuellen, Geschiedenen, Atheisten und so weiter werden einmal vor Gott stehen und vor seinem Gericht.

Im Letzten Gericht kommt es auf ihr Menschsein an, nicht auf Akzidenzien wie sexuelle Orientierung, Dauer einer Partnerschaft, Weltanschauung et cetera. Die von mir soeben ins Visier genommene Gesetzgebung und Rechtsprechung in Deutschland beschäftigt sich aber lediglich – darf ich das einmal so ungeschützt vor Ihnen aussprechen? –  mit diesen Akzidenzien, die freilich einer notwendigen Regelung bedürfen, um das Gemeinwohl aufrecht zu erhalten.

Lassen Sie mich weiter deutlich bleiben: Die Bundesrepublik ist dabei, sich auf ihrem Weg durch die Geschichte, siebzig Jahre nach ihrer Gründung, von der Grundierung ihres ursprünglichen christlich-humanistischen Weltbildes und vom Naturrecht zu verabschieden. An dieser Weggabelung gehen Kirche und Staat nunmehr getrennte und eigene Wege. Es ist ein Scheideweg. Das hat die katholische Kirche verstanden. Dass sie dabei nicht anders kann, als am Naturrecht und an ihrer christlichen Sicht auf den Menschen festzuhalten, liegt auf der Hand. Wir dürfen und können die Differenzen nicht schönreden. Doch sollte ich nun vielleicht den Finger in diese Wunde legen und von katholischer Seite eine alternative, naturrechtlich begründete Auffassung von Rechtsprechung und Rechtsschöpfung vorstellen, um noch einmal um Verständnis zu werben und Augen, Ohren, Herz und Verstand zu öffnen für klassische katholische Positionen, die doch wesentlich im Fundament auch der modernen und grosso modo glücklichen Bundesrepublik ruhen, die nach den apokalyptischen Jahren des „Dritten Reiches“ und den von Hitler angezettelten Kriegen und seinem Vernichtungsfeldzug gegen das jüdische Volk einen Rechtsfrieden erlebt hat, der beispiellos ist in der Geschichte Europas.

Vor dieser Versöhnung kann keiner die Augen verschließen. Wer hätte dieses Wunder vor 80 oder 70 Jahren erahnen können? Und fast könnte ich es ja auch schon als ein kleines Wunder begreifen, dass Sie nun mich als Angehörigen jenes Berufstandes, dessen Leumund zuletzt so grauenhaft unter die Räder gekommen ist, überhaupt eingeladen haben, heute an dieser Stelle das Wort zu ergreifen. Wir müssen beim Wesentlichen bleiben und wir hoffen auf diese Weise als Christen unserem Vaterland hilfreich zu sein, in dem wir nur dann mit der Mehrheit sprechen, wenn es die Wahrheit ist, und ansonsten die Wahrheit auch im Widerspruch bekennen. Das hat die Kirche über die Jahrhunderte immer geboten.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2019
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Ein Besuch bei der Philosophin Alice von Hildebrand

Das Erbe eines großen Denkers

Der Philosoph Dietrich von Hildebrand (1889-1977) hinterließ ein wertvolles Erbe. Sein ganzes Denken beruhte auf der Erkenntnis, dass die menschliche Person den höchsten Wert darstellt, auf den alles menschliche und politische Handeln ausgerichtet sein muss. Mit der Personalität des Menschen aber sind die sittlichen Werte verbunden, mit denen sich Dietrich von Hildebrand zeitlebens auseinandergesetzt hat. Aus einer protestantischen Familie stammend konvertierte er nach seiner Promotion bei Edmund Husserl im Alter von 25 Jahren zum katholischen Glauben. Auf der Flucht vor nationalsozialistischer Verfolgung fand er schließlich in New York eine neue Heimat. Dort heiratete er im Jahr 1959 nach dem Tod seiner Frau Margarete die um 34 Jahre jüngere Alice Jourdain, die bei ihm an der Jesuiten-Hochschule studiert hatte. Pater Dr. Daniel Eichhorn FSSP berichtet von einer persönlichen Begegnung mit Alice von Hildebrand in New York.

Von Daniel Eichhorn FSSP

Hoch oben im sechsten Stock eines älteren, ehrwürdig anmutenden New Yorker Condominiums wohnt Dr. Alice von Hildebrand. Deren junge Betreuerin mit asiatischen Gesichtszügen öffnet und geleitet mich zur Philosophin ins Wohnzimmer. Trotz des grauen Wintertages hat man einen herrlichen Blick auf die umliegenden, bürgerlichen Häuser im nördlichen Stadtteil New Rochelle. Hier hat sie mit ihrem 1977 verstorbenen Mann Dietrich gelebt. Gebrechlich ist sie und – dem Gehör einer 96-Jährigen entsprechend – muss ich laut sprechen. Auf ihre Bitte hin serviert ihre Betreuerin frisch gebrühten Kaffee.

Die aus Brüssel stammende Familie von Alice Jourdain (geb. 1923) zog im Juni 1940 wegen des Zweiten Weltkrieges in die USA. An der Fordham University in New York studierte sie bei Dietrich von Hildebrand Philosophie und promovierte zum Doktor der Philosophie (PhD). 1959 heiratete sie ihren früheren akademischen Lehrer, dessen erste Frau Margarete 1957 verstorben war. Leider sind die Werke der beiden Hildebrands auch für viele Akademiker noch immer eine terra incognita (ein unbekanntes Land). Dabei lägen hier zentrale Botschaften bereit, derer die postmoderne Gesellschaft zu ihrer Genesung dringend bedürfte.

Sorge um den Verlust sittlicher Werte

Mehrfach erkundigt sich Alice von Hildebrand im Lauf des Gesprächs nach der Situation in Deutschland und äußert ihre ernste Sorge über den Verlust rechter Sittlichkeit. Das kleine Werk „Sittliche Grundhaltungen“ aus der Feder ihres Gemahls hält sie weiterhin für höchst aktuell. Tatsächlich erstaunt Dietrich von Hildebrands unbestechliches Fragen nach Sein, Bedeutung und objektiver Fundierung sittlicher Werte sowie nach dem ethisch Richtigen.

Er ist überzeugt: „Die sittlichen Werte sind unter allen natürlichen Werten die höchsten. Höher als Genialität, Gescheitheit, blühendes Leben, als die Schönheit der Natur und Kunst, als die Wohlgeordnetheit und Kraft eines Staates stehen Güte, Reinheit, Wahrhaftigkeit und Demut des Menschen. Was in einem Akt echten Verzeihens, in einem großmütigen Verzicht, in einer glühenden selbstlosen Liebe wirklich wird und uns aufleuchtet, das ist bedeutsamer und größer, wichtiger und ewiger als alle Kulturwerte. Die sittlichen Werte sind die Brennpunkte der Welt, sittliche Unwerte das größte Übel, schlimmer als Leiden, Krankheit, Tod, als das Zugrundegehen blühender Kulturen. Dies erkannten alle großen Geister, so schon ein Sokrates und Plato, die immer wiederholen, dass es besser ist, Unrecht zu erleiden, als Unrecht zu tun. Diese Vorstellung des Sittlichen ist vor allem eine Grundauffassung des Christentums.“

Tiefe Verwurzelung im katholischen Glauben

Wieder und wieder bedankt sich Frau von Hildebrand für meinen Besuch. Ich nippe an der Kaffeetasse und blicke in dem geräumigen Wohnzimmer umher. Besonders sticht mir das Dokument mit dem „Apostolischen Segen“ von Papst Franziskus ins Auge. Auch bei den beiden Hildebrands zeichnet sich als zentraler Hintergrund ihrer unbestechlichen geistigen und sittlichen Haltungen die tiefe Verwurzelung im katholischen Glauben ab. Nicht ohne Grund hat der von der Zimmerwand her segnende Jesuitenpapst die Philosophin als „Dame“ in den „Päpstlichen Ritterorden vom Heiligen Gregor des Großen“ aufgenommen. Auf meine Frage hin berichtet sie, dass ihrem Mann jene Haltungen keineswegs in die Wiege gelegt wurden: Als Sohn eines Bildhauers im amönen Florenz geboren, entstammte er einem rundweg liberalen Milieu, in dem Glaube und Kirche, Wahrheit und Sittlichkeit keine Themen waren – zweifellos aber Kunst und Schönheit. Den Weg zu seinen Überzeugungen musste sich der junge Hildebrand selber bahnen, im geheimnisvollen Zusammenspiel von göttlicher Erwählungsgnade und menschlichem Ringen. Er betrieb Studien in München und Göttingen und promovierte bei dem Phänomenologen Edmund Husserl. 1914, mit 25 Jahren, konvertierte er zum katholischen Glauben – neun Jahre vor der jüdischen Philosophin und Husserl-Schülerin Edith Stein, die wie von Hildebrand für eine Erneuerung der Philosophie arbeitete, später als Opfer des Nationalsozialismus ermordet und schließlich von ihrer Kirche heiliggesprochen wurde.

Verteidiger der unveräußerlichen Menschenrechte

Hildebrands konsequentes Fragen nach Ethos und Werten gründet letztlich in seinem Wahrheitsbegriff, in seiner Überzeugung von der Objektivität und Erkennbarkeit der Wahrheit. Wahrheit ist hier kein gedankliches Konstrukt des Bewusstseins von Einzelmensch oder Gesellschaft. Wahrheit ist etwas, das in den Dingen angelegt und deshalb von der Vernunft gefunden und erkannt werden kann. Damit gehört von Hildebrand zu den neuen Begründern der Lehre vom Naturrecht – jener bereits von den klassischen griechischen Philosophen vertretenen Position, wonach das Wesen des Seins und der Dinge aus sich selbst heraus einen Kosmos von Werten, Rechten und Pflichten begründet. Er steht gegen den modernen Rechtspositivismus in der Tradition von Rechtsphilosophen wie Herbert L. A. Hart und Hans Kelsen, dem Hauptautor der österreichischen Staatsverfassung. Kelsens Hauptwerk „Reine Rechtslehre“ versteht Recht als letztlich rein positivistische Setzung des Gesetzgebers, als bloßes Konstrukt jurisprudenten Expertentums. Entgegen dieser bis heute dominierenden juristischen und staatstheoretischen Auffassung wurde Dietrich von Hildebrand auf der Grundlage seines naturrechtlichen Zugangs zu einem Verteidiger der unveräußerlichen menschlichen Rechte und zu einem der profiliertesten Kritiker nationaler und internationaler Sozialismen.

Kampf gegen totalitaristische, kollektivistische Regime

Die braunen Augen der Denkerin ziehen mich in Bann, offenbaren ein gütiges und liebevolles Herz. Sie berichtet, dass Dietrich von Hildebrand bereits kurz nach Hitlers Beauftragung durch Hindenburg am 30. Januar 1933 von München nach Wien emigrierte. Grund der Abwendung von seinem Heimatland war mitnichten Angst. Vielmehr war ihm das Leben in einem Land, „das von einem Verbrecher regiert wird“, schlechterdings unmöglich. Statt dem breiten Weg akademischer Karriere und vergänglichen irdischen Ruhms nahm von Hildebrand drückende Armut auf sich, um seinem Kampf gegen die modernen, totalitaristischen, kollektivistischen Regime zu führen. Eng verbunden mit dem österreichischen Kanzler Engelbert Dollfuß gründete er die Wochenzeitung „Der christliche Ständestaat“, die Nationalismus und Bolschewismus gleichermaßen als Ideologien ohne jeden Begriff der Person entlarvte. Mit Adolf Hitler verband von Hildebrand nicht nur das Geburtsjahr 1889 – Hitler erklärte ihn auch zu seinem Feind Nr. 1. Wurde Dollfuß bereits 1934 ermordet, warnten Freunde bald auch von Hildebrand eindringlich vor dem Damoklesschwert von Folter und Liquidierung. Dennoch harrten er und seine erste Frau Margarete bis 1938 aus – buchstäblich bis zum letzten vertretbaren Moment: Fünf Stunden nach ihrer Flucht stürmte die Gestapo ihre Wiener Wohnung. Schließlich nahm er in Toulouse einen Lehrauftrag an. Aufgrund der deutschen Besetzung Frankreichs flüchtete das Ehepaar 1940 weiter nach New York. Als Professor wirkte er an der von Jesuiten privat geführten Fordham University in der Bronx. 1960 wurde er im Alter von 71 Jahren emeritiert. Die Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) zeigten ihn als Verteidiger des katholischen Glaubens und der klassischen Identität der Kirche und ihrer Liturgie. Alice von Hildebrand betont seine Liebe für alles wahrhaft Schöne, was auch in seinen Texten über die großen klassischen Komponisten deutlich werde.

Überwindung philosophischer und theologischer Engführung

Als ich mich nach der damaligen Situation ihres Mannes in Fordham erkundige, wird sie recht ernst. Der amerikanische Katholizismus vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil sei wie der belgische teilweise von einer gewissen geistigen Enge und Starrheit geprägt gewesen. Auch in Fordham herrschte eine Form „thomistischer“ Philosophie und Theologie, die sich mehr oder weniger auf den genialen Denker Thomas von Aquin († 1274) stützte. Zweifellos war die Ausbildung hier grundsolide, in akademischer wie pastoraler Hinsicht höchst tragfähig und weitaus besser als jene zersetzende Liberalität, die heutige Fakultäten häufig prägt. Angesichts der Fragestellung des hl. Thomas nach der Wahrheit aber wird Hildebrands Situation verständlich: Stellten Thomas und von Hildebrand die inhaltlich bestimmte Frage nach „wahr“ und „falsch“, so war in Fordham die rein formale Frage „Ist das thomistisch?“ leitend, was keineswegs einfach auf dasselbe hinausläuft. Da von Hildebrands Wertphilosophie nicht „typisch thomistischen“ Mustern folgte, sondern mit Augustinus von Hippo († 430) und eben jenem Thomas nach der „Wahrheit“ fragte, hatte von Hildebrand keinen leichten Stand.

Einsatz für die unverletzliche Würde der Frau

Eindringlich berichtet die betagte Dame, wie sie mit ihrem Mann ein ähnliches akademisches und finanzielles Schicksal verband: Trotz ihres „PhD“ fand sie jahrelang keine adäquate Anstellung. Grund war auch hier nicht die auf die Inhalte zielende Frage nach ihrer philosophischen und pädagogischen Qualifikation, sondern wiederum eine rein formale Frage: In den 1950er-Jahren kam eine Frau als Dozentin für Philosophie schlichtweg nicht in Frage… Erst nachdem ein Professor am säkularen Hunter College ausgefallen war, endete die zermürbende Arbeitssuche: Ihr wurde die ein Semester befristete Vertretung angeboten. Es folgten 14 Verlängerungen um je ein Jahr, bis sie schließlich doch auf Lebenszeit angestellt wurde. Die Erfahrung der unverschuldeten Arbeitslosigkeit konnte die junge Akademikerin indes nicht brechen, sondern trug zu einer vertieften Reflexion über die unverletzliche Würde der Frau bei. Ihr Einsatz für Würde und Rechte von Frauen erfolgte in klarer Abgrenzung zu jener Form des Feminismus, für die der Name Simone de Beauvoir steht. Satres Partnerin habe einen Hass auf ihren weiblichen Körper bekannt – eine offensichtlich untaugliche Grundlage, um Werte wie Weiblichkeit und Mütterlichkeit zu erkennen und zu begründen. Alices femininer Charme hingegen und ihre entwaffnende Schlagfertigkeit machten sie über Jahrzehnte zu einer gefragten Referentin und Interviewpartnerin. 2002 erschien ihr bedeutendes Werk „The Privilege of Being a Woman“. Auch nach Dietrichs Tod 1977 führt sie dessen geistiges Erbe weiter. Besonders freue ich mich, als sie mir dessen von ihr verfasste Biografie schenkt: das 2000 veröffentlichte Werk „The Soul of a Lion“.

Geheimnis der menschlichen Person im Zentrum von Leben und Denken

In der Mitte des Denkens der beiden von Hildebrands steht das Geheimnis der menschlichen Person. Sie stellt den eigentlichen Träger von Gedächtnis, Verstand und Wille, das heißt das Zentrum des ethisch handelnden menschlichen Subjekts dar. Deshalb überragt der Wert der Person auch jede andere Wertkategorie, und zwar nicht quantitativ, sondern qualitativ:

„Sittliche Werte sind stets Personwerte. Sie können allein am Menschen haften, von Menschen realisiert werden. Ein materielles Ding, etwa ein Stein, ein Haus, kann nicht sittlich gut oder schlecht sein, ebenso wenig ein bloßes Lebewesen, etwa ein Baum oder ein Hund. Auch Werke des menschlichen Geistes, Erfindungen, wissenschaftliche Bücher, Kunstwerke, können nicht wirkliche Träger sittlicher Werte sein. Sie können höchstens als Niederschlag des menschlichen Geistes diese Werte indirekt widerspiegeln. Nur der Mensch als freies Wesen, verantwortlich in seinem Tun und Handeln, in seinem Wollen und Streben, in seinem Lieben und Hassen, in seiner Freude und Trauer und in seinen dauernden Grundhaltungen, kann sittlich gut oder schlecht sein. Wichtiger als alles Schaffen von Kulturgütern ist darum das Sein des Menschen selbst, ist die von sittlichen Werten durchleuchtete Persönlichkeit, ist der demütige, reine, wahrhaftige, treue, gerechte, liebende Mensch.“

Diesen Überzeugungen ist Dietrich von Hildebrand zeitlebens treu geblieben. Das schlichte, altehrwürdige Holzbett in seinem kleinen, kargen Sterbezimmer gibt mir unmittelbar Zeugnis von Dietrichs bleibend bescheidener, stets auf Wahrheit, Weisheit und Transzendenz ausgerichteter Lebensweise. Lehre und Leben, Wort und Wirklichkeit bildeten im Hause von Hildebrand eine offensichtlich glückliche Einheit. Im Gespräch mit Alice wird dies spürbar.

Längst ist der Kaffee getrunken, es wird Zeit zum Aufbruch. Eine unvergessliche Begegnung mit einer beeindruckenden Zeitzeugin neigt sich ihrem Ende. Nicht zuletzt hat sie mich tiefer verstehen lassen, was ihr Gemahl einst formuliert hatte:

„Der Bereich der Tugend ist der eigentliche Kern der Wirklichkeit.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2019
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Zweifache Heilung durch Unsere Liebe Frau von Lourdes

Anni Angele aus Leutkirch

Anni Angele stammte aus Leutkirch im württembergischen Allgäu. Sie wurde am 20. November 1929 geboren und starb im 88. Lebensjahr am 16. Januar 2017. Ihr Leben birgt ein Geheimnis. Mit sieben Jahren war sie an Tuberkulose erkrankt. Es begann ein jahrzehntelanger Leidensweg, der auch zur Erblindung führte. 1978 pilgerte sie nach Lourdes und wurde dort von ihrer Krankheit geheilt. Ohne Beschwerden kehrte sie nachhause zurück, doch ohne das Augenlicht erlangt zu haben. Am Sonntag, den 11. Februar 1979, dem Gedenktag Unserer Lieben Frau von Lourdes, erfuhr sie eine zweite Heilung. Sie konnte wieder sehen, doch war sie bis zum Tod ein lebendiges Wunder. Denn für ihre Sehkraft fanden die Ärzte keine Grundlage.[1]

Von Alina Rafaela Oehler

Lourdes-Wallfahrt

Über diesen Moment sprach Anni Angele nicht gerne und nur ganz selten, obwohl das die Menschen am meisten interessierte. Geheilt – von einer Minute auf die andere – ein Wunder! Zunächst fühlte sich das für die Außenstehenden jedoch ganz anders an. Die kranke Frau war – zum Schrecken ihrer Begleitung – bewusstlos geworden. Sie wirkte wie tot. Eilig wurde ein Priester geholt, der ihr die Krankensalbung spenden sollte. Doch er stellte erstaunt einen ganz normalen Puls fest und nahm wahr, dass sie atmete. Anni Angele war während dieser Zeit in einer anderen Welt. Für sie dauerte die gnadenhafte Erfahrung nur einen Augenblick, in Wirklichkeit aber war sie eine halbe Stunde weggetreten.

2015 sprach sie darüber: „So viel möchte ich verraten, Sie wissen, dass der HERR in der Hl. Hostie wirklich gegenwärtig ist und wenn Sie das jetzt erleben dürfen, dass der HERR ganz lebendig da ist, mich anschaut und – wo Christus ist, ist der ganze Himmel gegenwärtig – es war ein unsagbares Gnadengeschenk. Wir sehen ja sonst nur die Hostie. Dass er dort lebendig gegenwärtig ist, das war das ganz große Geschenk von Lourdes. IHN so erleben zu dürfen.“ Doch sie hatte nicht nur eine Begegnung mit Jesus Christus, auch Maria, die Mutter Gottes, war ihr erschienen.

Als sie wieder zu sich kam, spürte sie keine Schmerzen mehr. „Ich konnte mich bewegen, aber ich konnte noch nicht sehen. Mir das Augenlicht zu schenken, hat sich die Mutter Gottes selbst vorbehalten. Das andere hat der HERR direkt geschenkt, die Tuberkulose war weg, auch in den Augen, aber diese erloschenen Sehnerven kann man bis heute nicht ersetzen.“

Die Blindheit war ihr also geblieben, doch die Mutter Gottes hatte ihr zugesagt, dass sie auch wieder sehen sollte. Diese Zusage muss für Anni Angele eine unglaubliche Erleichterung gewesen sein.

Später erfuhr sie, dass die Menschen während dieser halben Stunde um den Wagen standen, in dem sie bewusstlos lag, und die ganze Zeit über gebetet hatten. Als sie wieder zu Bewusstsein kam, sagte sie fröhlich: „Denken Sie, mir geht’s gut. Ich kann sogar essen. Sie hat es mir gesagt.“ Es braucht nicht viel Fantasie, um sich die ungläubigen Blicke ihrer Begleiter vorzustellen. Noch einige Zeit blieben sie in der Grotte und dankten.

Als die Gruppe unter diesem Eindruck in das Hotel zurückkehrte, stellten sich viele Fragen. Was soll man einer Frau servieren, die 15 Jahre lang nur Tee getrunken hat? Die Frau, die sie begleitete, fragte: „Sie können nun ja wohl im Speisesaal sitzen, aber was muss man wohl für sie bestellen?“ Anni Angele antwortete mit ihrem typischen Sinn für Humor, schlicht wie unglaublich: „Ich ess, was auf dem Tisch steht, von Diät hat sie nichts gesagt.“ Und Anni Angele aß ein ganzes Menü. Die Suppe, das Fleisch, das Gemüse, die Beilagen, den Nachtisch. Nach Jahrzehnten ohne feste Nahrung. Die Mitreisenden konnten nicht anders, als ihr beim Essen zuzuschauen. Sie werden später erzählen, dass ihnen auch am Tisch noch Hände und Füße gezittert hätten von der Wucht dieses Erlebnisses.

Wieder zu Hause in Leutkirch angekommen wartete Anni Angeles Vater gespannt. „Heimlich hat er doch gehofft, ob sie nicht geheilt wird“, erzählte sie. Und siehe da – die Tochter konnte laufen! Doch schnell bemerkte er, dass sie weiter blind war. „Das war dann schon noch so ein Zipfelchen Enttäuschung, ja, das Wichtigste fehlt.“ Doch das Erstaunen über ihre Heilung war groß. Der Hausarzt konnte es gar nicht fassen. Als Anni Angele ihm erzählte, dass sie nun wieder essen könne, fragte er spöttisch: „Essen können Sie. So, haben Sie ne Mücke verschluckt?“ Als sie ihm daraufhin sagte, dass sie seit mehreren Tagen wieder ganz normal esse, habe er die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. „Sie sind verrückt! Sie können doch jetzt nicht so drauflos essen, da platzt doch alles.“ Doch es war nichts geplatzt. Der Arzt war außer sich, er konnte es sich nicht erklären. Die folgenden Monate dankten die Angeles Gott für das Wunder und freuten sich an der großen Gnade, die Anni zuteil geworden war. Doch das Geschehen war noch nicht zu Ende.

Befreiung von der Blindheit

In einer Nacht von Samstag auf Sonntag im Februar 1979 konnte Anni Angele nicht einschlafen. „Es war ein solches Erinnern an Lourdes und das Ganze und ich hätte gewünscht, ich hätte Flügel und könnte zur Grotte“, erzählte sie. Irgendwann wurde es Sonntag, der 11. Februar, es war der Gedenktag der ersten Erscheinung in Lourdes 1858. Gegen vier Uhr morgens tastete Anni Angele das letzte Mal nach der Zeit. Sie hatte schon kein Zeitgefühl mehr durch die ständige Dunkelheit, doch die Blindenschrift gab ihr ein wenig Orientierung. Dann geschah das Unglaubliche: „Ich wache auf, so 20 Minuten vor sechs Uhr etwa, und stell’ fest: Ich kann ja sehen! Es war dämmrig, aber ich konnte alles unterscheiden – die Tapeten, die Bilder – ich bin aufgesprungen, an den Lichtschalter gerannt, habe zum Fenster rausgeschaut und konnte die Nachbarhäuser sehen. Ich weiß heute noch, wie der Schnee gelegen ist“, erzählt sie später. Eilig rannte sie durch das ganze Haus, um zu sehen, wie die Umgebung aussah, in der sie lebte. „Ich konnt’s nicht fassen.“ Anni Angele konnte wieder sehen und war überglücklich.

Am liebsten hätte sie ihrem Vater sofort davon erzählt – schnell rannte sie die Treppe nach oben, wo er schlief. Doch sie hielt inne: „Plötzlich fällt mir ein, der Mann hat doch vorher Grippe gehabt und es ging ihm nicht gut. Wenn ich den aus dem Schlaf reiß, der kriegt direkt einen Schlag.“ Und sie ging die Treppe ganz leise wieder nach unten. Wie jeden Tag wollte sie ihn später wecken, ihm nach unten helfen, ihn waschen und ihn anziehen. Der zu dem Zeitpunkt über 80-Jährige hatte in seinem Leben zahlreiche Hüftoperationen, Stürze und Oberschenkelhalsbrüche erlebt und Schrauben in den Knochen, vom Knie bis zur Hüfte. Er konnte sich nicht mehr bücken und war auf Hilfe angewiesen. Bisher tastete sie sich blind entlang, um ihm zu helfen. Nach dem gemeinsamen Frühstück beteten sie immer den Rosenkranz und gingen dann gemeinsam zur Heiligen Messe. Dieser Morgen sollte anders beginnen.

„Zu dem Festtag, jetzt wo ich sehe, werde ich erst einen guten Kaffee machen, schön frühstücken und dann können wir unseren Rosenkranz beten“, dachte sich Anni Angele und ging um 6 Uhr in das Zimmer ihres Vaters, um ihn zu wecken. „Papa, wie geht’s Dir? Guten Morgen!“, begrüßte sie ihn. „Du, ich hab so ein Geschenk bekommen zum Lourdestag, ich hab heute Nacht so gut geschlafen, mir ist nicht schwindelig, kannst mich gleich waschen und anziehen, dass wir zum Rosenkranzbeten kommen“, antwortete er. Da schaute Anni Angele ihren Vater an und sah ihm das erste Mal seit fünf Jahren wieder ins Gesicht. „Bist du aber schmal geworden!“, entfuhr es ihr. Dem Vater fiel zunächst nichts auf. „Ja, das kannst schon greifen, weil alles inzwischen schon sehr weit geworden ist.“ Da sagte sie: „Papa, ich brauch’s nimmer greifen, Papa, denk, ich kann sehen! Die Mutter Gottes hat mir heute morgen das Augenlicht geschenkt. Ich kann alles sehen!“ Ihr Vater schaute sie entgeistert von oben bis unten an. Immer noch bewegt von diesem schönen Moment erzählte Anni Angele Jahrzehnte später: „Dann war’s feierlich, wie wenn am zweiten Februar das Evangelium verkündet wird, wie Simeon das Kind auf die Arme nimmt. Genau das hat mein Vater mit 83 Jahren auswendig gebetet. ,Nun lässt du, HERR, deinen Knecht in Frieden scheiden, denn meine Augen haben das Heil geschaut.‘ Es war feierlich, es war wunderschön, mir waren die Tränen nahe, wir haben uns umarmt. Es ist eine der schönsten Erinnerungen an meinen Vater.“

Ein Jahr sollte er darauf noch leben, dann starb er. „Im Rosenkranzmonat hat ihn der Himmel heimgeholt.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2019
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Alina Rafaela Oehler: Anni Angele – Ein Leben für Gott und die Menschen, Pb., 42 S., 13 Farbfotos, 5,00 Euro, ISBN: 978-3-86357-225-9, fe-Verlag, Kisslegg 2019, Tel. 07563-6089980, www.fe-medien.de

Papst Franziskus leistet der Welt von heute einen prophetischen Dienst

Wir brauchen eine heilende Kirche

Der aus Rom stammende Kamillianerpater Pietro Magliozzi M.I. ist Nationaldirektor für die Krankenpastoral der katholischen Kirche in Chile. Er ist tagtäglich mit der Not der Menschen konfrontiert, aber auch mit der erschreckenden Krise der katholischen Kirche in Chile, insbesondere aufgrund der Missbrauchsskandale und des Mangels an Berufungen. Für den Dienst, den Papst Franziskus der Kirche in der heutigen Zeit erweist, ist er unendlich dankbar. Er sieht im Papst einen prophetischen Hirten, der mit seinem Bemühen an den entscheidenden Stellen ansetzt. Vor allem schätzt er ihn als Erbauer einer Kirche, die versucht, zunächst selbst eine gesunde Gemeinschaft zu werden, um dann auch heilend in die Welt hineinwirken zu können. Mit tiefem Schmerz beobachtet er, wie Franziskus dabei missverstanden und angegriffen wird.

Von Pietro Magliozzi M.I.

Die Globalisierung macht krank

Die globalisierte Welt von heute, welche der französische Philosoph Gilles Lipovetsky (geb. 1944) schon im Jahr 1989 als „hypermoderne Kultur“ oder als „neues Babel“ definiert hat, ist krank. Die psychische Gesundheit des heutigen Menschen wird von Jahr zu Jahr schwächer und bei zahlreichen Formen von Erkrankungen ist die Schwelle von 15% der Bevölkerung bereits überschritten. Ab diesem Anteil spricht man gewöhnlich von einer „Epidemie“. Was die körperliche Gesundheit betrifft, so tauchen neue Krankheitsbilder auf und verschlimmern die bereits bestehenden. Krebs tritt bei immer jüngeren Patienten in Erscheinung und Allergien sowie Autoimmunerkrankungen breiten sich in schwindelerregendem Maß aus. Das Thema der Polypathologie älterer Menschen, wenn also mehrere Faktoren für das Leiden eines Patienten ausschlaggebend sind, ist in sehr vielen Ländern bereits zu einem sozialen Problem geworden.

Folgen geistlicher Verarmung

Doch das schlimmste Gesundheitsproblem des 21. Jahrhunderts ist geistlicher Art. Die Menschen verlieren den inneren Frieden, den Sinn des Lebens, die Freude zu leben und mit anderen (nicht virtuell) in Beziehung zu treten. Es handelt sich um den Verlust der eigenen Mitte (Psyche und Geist), um den Verlust der Synthese und Authentizität des eigenen Wesens. Und so verlieren die Menschen ihr geistliches Auffassungsvermögen und in Folge davon die Freiheit, zu lieben, zu dienen und sich auf gesunde Weise mitzuteilen, sowie sehr viele andere menschliche und spirituelle Fähigkeiten. Es ist allen offenkundig: Ein Mensch, der seine Beziehung zu Gott, zu den anderen, zu sich selbst und zur Schöpfung schlecht lebt, ist ein kranker Mensch.

Wie Verwundete auf einem Schlachtfeld

An diese kranken Menschen, an „Verwundete auf einem Schlachtfeld“, wendet sich Papst Franziskus. In seinen Dokumenten, seinen Worten und Beispielen schlägt er einen Weg der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung vor. So heißt die neue vatikanische Behörde „Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen“. „Entwicklung“: denn der Mensch ist in seine psychophysischen Bedürfnisse nach Wohlbefinden eingeschlossen; „Mensch“: denn wir befinden uns in einer Welt, die versucht, ihn anthropologisch zu verstümmeln, ihm seine ureigenen menschlichen Eigenschaften zu rauben (die realen Beziehungen, die Ganzheitlichkeit seiner verschiedenen Dimensionen, die Bedeutung seiner Biografie, die Einzigartigkeit seiner Würde), und schließlich „ganzheitlich“: denn das Wachsen als Heilungsprozess ist ein integraler Prozess (physisch-psychisch-sozial-symbolisch-anthropologisch-ethisch-spirituell-religiös); es ist nicht möglich, auf einem Niveau zu wachsen und gleichzeitig auf den anderen wie gelähmt stehenzubleiben.

Jedes Dokument des Papstes nimmt – wie ein Christus als himmlischer Arzt – diese verschiedenen Dimensionen in den Blick.

Im Licht des heilenden Christus

Es geht nicht darum, die verschiedenen ethischen Wahrheiten zu bekräftigen, wie es Johannes Paul II. bereits getan hat, oder die Wahrheit an sich zu verteidigen, den Glauben, die Hoffnung und die Liebe, wie es Benedikt XVI. getan hat. Franziskus geht vielmehr vom kranken Menschen aus und bietet ihm eine Heilung an, die allein daher kommen kann, dass wir „Abbild Christi“ sind. Franziskus ist ein prophetischer Papst, der das Übel entlarvt, das den Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche krank macht. Und wie alle Propheten ruft er heftige Reaktionen hervor, innerhalb wie außerhalb der Kirche, bei allen Arten von Pharisäertum und Ideologien der heutigen Zeit. Aber was ist heute und zu jeder Zeit wichtige: Heilung oder eine pharisäerhafte Ideologie? Niemand kann bestreiten, dass der heilende Einsatz des Papstes für die Menschheit und für die Kirche, sein Beitrag zur Auferbauung der Kirche als einer gesunden und heilenden Gemeinschaft für die Heilung ihrer selbst und die Heilung anderer das Allernotwendigste ist, das man sich für diese Jahre der Verwirrung, der Skandale und der chaotischen Zeiten der hypermodernen Epoche denken kann.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2019
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50 Kirchen in Rom

Spiritueller Rundgang

Josef Fink hat in seinem Kunstverlag einen neuen Romführer herausgebracht.[1] Am 22. Mai dieses Jahres konnte er Papst Franziskus ein Exemplar überreichen. Es handelt sich um einen spirituellen „Begleiter“, der helfen kann, dass ein Besuch der Heiligen Stadt zu einer echten Wallfahrt im Geist des Gebetes und der geistlichen Betrachtung wird. Den Text verfasste Dr. Cornelius Roth (geb. 1968), renommierter Professor für Liturgiewissenschaft und Spiritualität an der Theologischen Fakultät Fulda, die eindrücklichen Fotos stammen von Carlo Böttger. Nachfolgend das Geleitwort von Kurt Kardinal Koch.

Von Kurt Kardinal Koch

Nach Rom zu reisen ist heute einfach. In Rom selbst bieten die Tourismusunternehmen zahlreiche Möglichkeiten, viel von der Ewigen Stadt zu sehen. Zu bewundern gibt es in der Tat sehr viel: neben den Monumenten des antiken Rom und der großen Kunst in den verschiedenen Jahrhunderten auch die vielen Basiliken und Kirchen, die das christliche Rom in seiner langen Geschichte und Gegenwart repräsentieren. Gerade in Rom braucht der Tourismus aber auch seine gleichsam ältere Schwester, nämlich die Wallfahrt. Denn die Wallfahrt ist viel älter als ihr jüngerer profaner Bruder, der Tourismus. So weit wir in die Geschichte der Menschheit zurückblicken können, zeigt sich die Wallfahrt als eine ihrer Ungebärden. Die Wallfahrt ist deshalb mehr als Tourismus. Sie muss das auch im Tourismus Ersehnte und Gewollte noch besser verwirklichen, nämlich die Ursehnsucht des Menschen befriedigen, vom Gewöhnlichen des Alltags Abstand zu gewinnen, aus ihm heraus zu finden und frei zu werden. Während der Tourismus hilft, die Wege in der Geographie der Stadt zu finden, zeigt uns die Wallfahrt auch den inneren Weg, gleichsam die Geographie des Glaubens. Ihr geht es in erster Linie nicht um die Sehenswürdigkeiten, sondern um den inneren Weg zum lebendigen Gott. Als Pilger suchen wir Heiligtümer und Stätten der Heilsgeschichte auf, um uns im Glauben zu stärken und Wegweisung für unser weiteres Leben zu erhalten.

Bei einer Wallfahrt betrachten wir nicht nur die äußeren Gebäude, sondern erspüren auch ihre innere Atmosphäre. Diese Erfahrung können wir freilich bereits bei profanen Gebäuden machen: Man kann eine Eiskunsthalle nur wirklich erfahren, wenn sie nicht menschenleer, sondern von Künstlern auf dem Eis belebt ist. Und man kann eine Konzerthalle nur dann wirklich betrachten, wenn in ihr Musik ertönt. Erst recht ein Kirchengebäude kommt erst dann zu seiner Geltung, wenn wir in ihm das vollziehen, was eine Kirche zur Kirche macht, und dies ist das Gebet. Das deutsche Wort „Kirche“ leitet sich vom griechischen Wort „kyriake“ her, das von den Goten in den germanischen Wortschatz vermittelt worden ist und „Haus des Herrn“ bedeutet. Eine Kirche kann man deshalb nur erfahren, wenn man dabei auch ihrem „Hausherrn“ begegnet. Denn ein Kirchengebäude ist dazu bestimmt, als Audienzhalle für das Kommen Gottes in die Versammlung der Gemeinschaft der Glaubenden zu Gebet und Gottesdienst zu dienen. Das Gebet ist der adäquate Empfang bei dieser Audienz.

Darin besteht der Sinn des spirituellen Begleiters durch 50 Kirchen Roms, den Sie, liebe Pilger, in Händen halten. Er will helfen, das touristische Tun und das Vergnügen an der Kunst zu verbinden mit dem inneren Weg der Wallfahrt und die 50 Kirchen, die präsentiert werden, von innen her und damit von ihrer Zielbestimmung her zu erfahren. Dazu dienen die Gebete, Meditationen und geistlichen Impulse, die im Führer enthalten und auf die Eigenarten der verschiedenen Kirchen zugeschnitten sind, so dass die Kirchengebäude von ihrer großen Geschichte, von ihrer reichen Kunst und von ihrem spirituellen Schatz zu sprechen beginnen.

Ich bin Professor Cornelius Roth in Fulda dankbar, dass er als Fachmann für Liturgie und Spiritualität das Projekt eines spirituellen Reiseführers für Rom gewagt und verwirklicht hat. Allen, die diesen Führer in die Hand nehmen, wünsche ich, dass er hilft, sich in die innere Geographie des christlichen Glaubens zu vertiefen, die uns in den Basiliken und Kirchen Roms begegnet, und uns neu bewusst zu werden, dass wir Menschen in dieser Welt immer Pilger sind, unterwegs zur wahren Heimat, für die die Kirchen irdische Abbilder sind, und damit unterwegs zur endgültigen Audienz mit dem lebendigen Gott in der „Ewigen Stadt“ des Reiches Gottes, und wir ihn sehen werden „bis in alle Ewigkeit“.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2019
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[1] Cornelius Roth: 50 Kirchen in Rom – Ein spiritueller Rundgang. Mit Aufnahmen von Carlo Böttger, 200 S., ca. 100 Abb., Format 14,8 x 21 cm, ISBN 978-3-95976-138-3, Euro 18,50, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg 2019 –  www.kunstverlag-fink.de

Polnisches Heiligtum unter dem Zeichen „Maria – Mutter Europas“

Marienkapelle im Dom von Oppeln

Pater Notker Hiegl OSB, der die Gebetsgemeinschaft „Maria – Mutter Europas“ ins Leben gerufen hat, setzt sich seit Jahren dafür ein, dass in verschiedenen europäischen Ländern für eine christliche Zukunft des Kontinents gebetet wird. Nun ist es ihm gelungen, ein polnisches Heiligtum in die „Sternenkrone“ der Gottesmutter einzufügen.

Von Notker Hiegl OSB

Ein großes Zeichen erschien am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt ein Kranz von zwölf Sternen“ (Offb 12,1). Von dieser Bibelstelle inspiriert versuche ich seit dem Jahr 2007, zwölf Marienheiligtümer in zwölf verschiedenen europäischen Ländern unter dem Zeichen „Maria – Mutter Europas“ zu vereinen. Das Ziel ist eine Gebetsgemeinschaft, die sich dem Anliegen widmet, dass Europa unter dem Schutz der Gottesmutter Maria seine „christliche Seele“ nicht verliert. Möge die Re-Evangelisierung unseres Kontinents voranschreiten und die Kirche zu Ehren Jesu und Mariens neu erblühen!

Heiligtum in Polen

Am 2. Mai 2019 wurde die Marienkapelle in der Heilig Kreuz-Kathedrale von Oppeln (poln. Opole) offiziell als elfter „Stern“ unter das Zeichen „Maria – Mutter Europas“ gestellt. Den Kontakt zur Dompfarrei hatte Bürgermeister Roland Ströbele (fr. MdL) aus Bärenthal hergestellt, wo sich die Wiege der Gebetsgemeinschaft befindet, nämlich die Kapelle „Maria – Mutter Europas“ in Gnadenweiler.

Zunächst streckte Ströbele seine Fühler nach Ujazd aus, einem Dorf, mit dem Nusplingen, die Nachbargemeinde von Bärenthal, eine Partnerschaft unterhält. Der dortige Pfarrer, Prälat Werner Schygulla, konnte Bischof Andrzej Czaja von Oppeln für die Idee gewinnen. Bereits am 4. Januar 2019 versprach mir der Bischof in einem persönlichen Telefonat, sich für unser Anliegen einzusetzen.

Aus der Diözese Oppeln erhielten wir zunächst das Signal, dass eine Umbenennung der Marienkapelle im Dom nicht in Frage käme. Daraufhin schrieb ich den Verantwortlichen, dass es nicht um die Umbenennung einer bestehenden Kapelle gehe, sondern darum, eine Stätte zu benennen, an der auch in Polen um die Erhaltung des Christentums in Europa gebetet werde.

Überreichung der Ehren-Plakette

So konnte ich mich im Mai mit Stefan Blanz, einem Oblaten der Erzabtei St. Martin, Beuron, auf den Weg nach Polen machen, um der Dompfarrei die „Ehren-Plakette“ für die ausgewählte Kapelle zu überreichen.

Domprobst Waldemar Klinger befand sich gerade auf einer Beerdigung. So wurde er von seinem Diakon Michal Ludwig vertreten, der kurz vor seiner Priesterweihe stand. Wie es im Vorfeld genehmigt worden war, durfte er alle Bescheinigungen ausstellen, welche zur Gründung der elften Station „Maria Mater Europae“ notwendig waren. Meinerseits schenkte ich eine große Anzahl von Rosenkränzen in den Farben der Europaflagge, welche von den Karmelitinnen in Aufkirchen am Starnberger See geknüpft werden. Das Wichtigste aber waren die Kopien der 14 Urkunden, die von den zehn Bischöfen der bereits bestehenden Heiligtümer ausgestellt worden waren, sowie das Empfehlungsschreiben von Walter Kardinal Kasper für die Gebetsgemeinschaft.

In der Gründungsurkunde der Dompfarrei heißt es: „An die zehn Orte, wo bis jetzt vor dem Antlitz der Gottesmutter Maria gebetet wird und die zur Gebetsgemeinschaft dazugehören, schließt sich zu unserer Freude auch die Kapelle der Muttergottes von Opole/Oppeln an. Wir werden in Zukunft für ein Vereintes Europa auf dem Fundament unseres christlichen Glaubens beten, in Einheit mit den restlichen Gliedern der Gemeinschaft.“

Von Papst Johannes Paul II. gekröntes Marienbild

Die Kathedrale von Oppeln ist ein gewaltiges Gotteshaus, das auf das 11./12. Jahrhundert zurückgeht. Im Turm sind noch romanische Zierelemente erhalten, die Fenster weisen bereits eine gotische Form auf. Alle Stilrichtungen haben im Gotteshaus ihr Schönstes manifestiert, über den Barock bis zur Moderne. Das Gnadenbild der Marienkapelle stammt aus dem 15. Jahrhundert und wurde 1983 von Papst Johannes Paul II. bei einem seiner Polen-Besuche gekrönt: Mutter und Kind mit Strahlenkrone und Edelsteinen. Derzeit wird die Kathedrale renoviert und es werden wohl noch fünf Jahre ins Land gehen, bis sie wieder in neuem Glanz erstrahlt. Aber „de jure“ ist nun seit dem 2. Mai 2019 die Marienkapelle des Doms von Oppeln in den Sternenkranz Mariens aufgenommen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2019
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Nachlese zum Jubiläumsjahr „600 Jahre Niklaus v. Flüe“ (4)

Zwei Friedensstifter: Niklaus von Flüe und Charbel Makhlouf

Dr. Roland Gröbli (geb. 1960) ist Historiker und hat 2017 den Wissenschaftlichen Beirat zum Gedenkjahr „600 Jahre Niklaus von Flüe“ geleitet. Er macht auf eine Friedensinitiative aufmerksam, welche ihren entscheidenden Impuls aus der Spiritualität der beiden Heiligen Niklaus von Flüe und Charbel Makhlouf aus dem Libanon schöpft. Die katholische Kirche feiert das Fest des hl. Charbel am 24. Juli. Dieses Datum hängt nicht mit seinem Lebenslauf zusammen – er wurde am 8. Mai 1828 geboren und starb am Heiligen Abend, dem 24. Dezember 1898. Vielmehr erinnert der Gedenktag an die Umbettung seines Leichnams am 24. Juli 1927. Charbel war zunächst im Gemeinschaftsgrab seines Klosters bestattet worden. Aufgrund der zahlreichen Gebetserhörungen, die sich auf seine Fürsprache ereignet hatten, entschied sich die maronitische Kirche für eine Beisetzung in der Klosterkapelle. Bei der Öffnung des Sarges wurde sein Leichnam völlig unverwest vorgefunden. Auch sein Mönchsgewand war unbeschädigt, aber von einer geheimnisvollen Flüssigkeit getränkt, die aus seinem Körper austrat. Von diesem Tag an hatten Verehrung und wunderbare Heilungen sprunghaft zugenommen.

Von Roland Gröbli

Der geheimnisvolle Mönch aus dem Libanon

Charbel Makhlouf (1828-1898) ist in unseren Landen kaum bekannt. Er wuchs als jüngstes Kind einer einfachen Bauernfamilie im Libanon auf. Nach vielen Jahren als ordinierter Mönch lebte er die letzten 23 Jahre seines Lebens als Eremit oberhalb von Annaya (Libanon). 1977 wurde er als erster Maronit von der römisch-katholischen Kirche heiliggesprochen. Menschen aller Konfessionen verehren ihn heute als Heiler und Wohltäter.

Zwei Nationalheilige ihres Landes

Charbel Makhlouf und Niklaus von Flüe haben viel gemeinsam: Berühmt wurden sie als Eremiten, dennoch hatten beide stets ein offenes Ohr für notleidende Menschen und waren für viele ein wichtiger Rat- und Trostgeber. Beide wurden als „lebende Heilige“ verehrt und sind Nationalheilige ihres Landes, Niklaus von Flüe in der Schweiz und Charbel Makhlouf im Libanon.

Weltweite spirituelle Friedensallianz

Auf Initiative des Vereins „Solidarität Libanon Schweiz (SLS)“ haben Freunde aus der Schweiz, aus Frankreich und aus dem Libanon 2006 eine Reliquie von Niklaus von Flüe ins Kloster St. Maroun in Annaya (Libanon) gebracht und umgekehrt eine Reliquie des heiligen Charbel in der Pfarrkirche in Sachseln (Schweiz) installiert. Daraus entstand eine weltweite spirituelle Friedensallianz. An über 50 Orten auf vier verschiedenen Kontinenten werden heute Reliquien der beiden Nationalheiligen aufbewahrt und verehrt. Viele dieser Orte weisen eine besondere spirituelle Beziehung zur eremitischen Spiritualität und laden zum friedlichen Zusammenleben ein und pflegen seit langem oder neu regelmäßig das Friedensgebet. Auf Einladung des Bischofs von Hiroshima (Japan) werden demnächst auch an diesem einzigartigen Gedächtnisort des Atombombenabwurfs diese beiden Friedensheiligen zur Versöhnung beitragen.

Aktueller denn je

Seele und unermüdlicher Initiant dieser Friedensallianz ist der gebürtige Libanese Nabih Yammine, der seit vielen Jahren in der Schweiz lebt. Er sagt heute über sein eigenes Friedensprojekt:

„Am Anfang ging es mir und meinen Freunden darum, den Menschen im Libanon zu helfen. Heute weiß ich und darf es täglich erfahren, dass die Spiritualität des heiligen Charbel Makhlouf und des heiligen Niklaus von Flüe aktueller denn je ist.“

 

Literaturhinweis: Gröbli (2016), Nabih Yammine: Die Friedensmission der heiligen Niklaus von Flüe und Charbel Makhlouf, in: Gröbli (2016), 156-160.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2019
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