Aus Hiroshima und Nagasaki hat Papst Franziskus einen eindringlichen Appell an die ganze Welt gerichtet. Er lautet: Unser Ziel ist eine atomwaffenfreie Welt!
Dieses Signal wollen wir aufnehmen und uns zu eigen machen. Ein guter Anlass, sich dem Anliegen der atomaren Bedrohung zu widmen, ist der bevorstehende Weltfriedenstag, den die katholische Kirche seit 1968 jedes Jahr am 1. Januar begeht. Eingeführt hat ihn der heilige Papst Paul VI. nach seinem Besuch bei den Vereinten Nationen in New York am 4. Oktober 1965. In seiner Rede vor der UN-Vollversammlung hatte er „über den Frieden als das heißersehnte Gut“ gesprochen und alle Verantwortlichen in der Politik dazu aufgerufen, sich nicht mit Waffen zu bekämpfen, sondern „sich gemeinsam für die Festigung des Friedens einzusetzen“.
Es ist zu einer festen Tradition geworden, dass der Papst zum Weltfriedenstag jeweils eine Botschaft an alle Regierenden der Welt richtet. Jedes Mal wird ein konkretes Thema ausgewählt und erörtert. Die Botschaft geht auf aktuelle Probleme und Konflikte ein, welche der Gerechtigkeit im Weg stehen und den Frieden gefährden. So geht es neben dem Thema Krieg beispielsweise auch um Vertreibung auch Umweltzerstörung.
Dass dieser Tag in der Liturgie zugleich als Hochfest der Gottesmutter gefeiert wird, hat eine tiefe Bedeutung. Papst Paul VI. hat unterstrichen, dass die Christen keinen besseren Beitrag zum Frieden in der Welt leisten können, als sich mit der ganzen Kraft des Gebets an Maria, die „Königin des Friedens“ zu wenden. Denn Paul VI. sah nicht nur die Politiker in die Pflicht genommen, sondern alle Gläubigen. In diesem Sinn verstand er den „Weltfriedenstag“ in erster Linie als Weltgebetstag für den Frieden. Auch wenn der Friede unter den Völkern den Einsatz aller menschlichen Kräfte erfordert, so bleibt er doch ein Geschenk Gottes, das von ihm erhofft und erbetet werden muss.
In seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2020 knüpft Papst Franziskus unmittelbar an seinen Japanbesuch an. Er lädt uns ein, die Gefahren, die mit dem nuklearen Wettrüsten verbunden sind, zu erkennen und in unser Gebet einzuschließen.
Für den Papst ist das neuentfachte nukleare Wettrüsten ein Wahnsinn. Mit Atomwaffen oder atomarer Abschreckung dem Frieden dienen zu wollen, ist seiner Ansicht nach geradezu pervers. Das unvorstellbare menschliche Leid und die immensen Zerstörungen, welche durch atomare Massenvernichtungswaffen hervorgerufen werden, sind nicht nur eine theoretische Fiktion. Seit den Atombombenabwürfen 1945 stehen uns die schrecklichen Auswirkungen ganz konkret vor Augen. Deshalb wählte Franziskus diese beiden Städte, um von dort aus der Welt zuzurufen: Jeglicher Einsatz von Atomwaffen ist ein himmelschreiendes Verbrechen. Schon der Besitz von nuklearen Waffen ist unmoralisch. Diese Art von Waffen müssen international geächtet werden. Kein Land hat das Recht, durch den Besitz von Atomwaffen politische Macht auszuüben. Es muss ein Prozess in Gang gesetzt werden, der zur vollständigen atomaren Abrüstung führt.
Liebe Leser, wir müssen Papst Franziskus für seinen mutigen Vorstoß zutiefst dankbar sein. Die Geschichte wird seiner eindeutigen Stellungnahme im Namen der katholischen Kirche Recht geben. Beten wir dafür, dass das Engagement der Kirche für den Frieden fruchtbar wird und der Menschheit zum Segen gereicht. Mit großer Dankbarkeit für ihre Unterstützung wünschen wir Ihnen auf die Fürsprache der „Königin des Friedens“ ein gottbehütetes und erfolgreiches Neues Jahr 2020.
Botschaft von Hiroshima: Schon der Besitz von Atomwaffen ist unmoralisch
„In dir sei Friede!“
Vom 19. bis 26. November 2019 besuchte Papst Franziskus Thailand und Japan. Die Visite führte ihn auch nach Hiroshima und Nagasaki, wo durch die Atombombenabwürfe 1945 über hunderttausend Menschen auf der Stelle getötet wurden. Eine weit größere Zahl von Opfern starb in der Folgezeit an den Auswirkungen der Explosionen. Von diesen beiden Orten aus richtete der Papst eine Botschaft an die ganze Menschheit, in der er eine nuklearwaffenfreie Welt forderte. Aus dem Appell des Papstes am Friedensdenkmal in Hiroshima.
Von Papst Franziskus
Aus tiefer Überzeugung möchte ich bekräftigen, dass der Einsatz von Atomenergie zu Kriegszwecken heute mehr denn je ein Verbrechen ist, nicht nur gegen den Menschen und seine Würde, sondern auch gegen jede Zukunftsmöglichkeit in unserem gemeinsamen Haus. Der Einsatz von Atomenergie zu Kriegszwecken ist unmoralisch, wie ebenso der Besitz von Atomwaffen unmoralisch ist, wie ich schon vor zwei Jahren gesagt habe.
Wir werden darüber gerichtet werden. Die neuen Generationen werden unser Scheitern verurteilen, wenn wir zwar über Frieden geredet, ihn aber nicht mit unserem Handeln unter den Völkern der Erde umgesetzt haben.
Wie können wir von Frieden sprechen, während wir an neuen, furchtbaren Kriegswaffen bauen? Wie können wir über Frieden sprechen, während wir bestimmte illegale Handlungen mit diskriminierenden und hasserfüllten Reden rechtfertigen?
Ich bin überzeugt, dass der Friede nur „Schall und Rauch“ ist, wenn er nicht auf der Wahrheit gründet und mit Gerechtigkeit erbaut wird, wenn er nicht durch die Liebe beseelt und vervollständigt und nicht in der Freiheit verwirklicht wird (vgl. hl. Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris, 18).
Der Aufbau des Friedens in Wahrheit und Gerechtigkeit bedeutet anzuerkennen, „dass die Menschen sehr häufig und auch in hohem Maße voneinander verschieden sind an Wissen, Tugend, Geisteskraft und an Besitz äußerer Güter“ (ebd., 49). Das kann aber niemals das Bestreben rechtfertigen, anderen die eigenen Sonderinteressen aufzuzwängen. Im Gegenteil, all dies kann Grund zu größerer Verantwortung und Respekt sein. Desgleichen sind die Nationen, die gerechterweise ein unterschiedliches Kulturniveau und verschiedene wirtschaftliche Entwicklungen aufweisen, gerufen, sich für den „gemeinsamen Fortschritt“, für das Wohl aller einzusetzen (vgl. ebd., 49-50).
Wenn wir tatsächlich eine gerechtere und sicherere Gesellschaft aufbauen wollen, müssen wir die Waffen aus unseren Händen legen: „Man kann nicht lieben mit Angriffswaffen in den Händen“ (hl. Paul VI., Ansprache an die Vereinten Nationen, 4. Oktober 1965, 5). Wenn wir der Logik der Waffen nachgeben und uns von der Praxis des Dialogs entfernen, vergessen wir tragischerweise, dass die Waffen, noch bevor sie Opfer fordern und Zerstörung bewirken, böse Szenarien hervorrufen können; „sie erfordern maßlose Kosten; sie vereiteln Projekte der Solidarität und der nützlichen Arbeit; sie verstören das Seelenleben der Völker“ (ebd., 5). Wie können wir Frieden anbieten, wenn wir beständig die Drohung eines Atomkrieges als legitimes Mittel zur Konfliktlösung einsetzen? Möge dieser Abgrund des Schmerzes an die Grenzen erinnern, die niemals überschritten werden dürfen. Der wahre Friede kann nur ein waffenloser Friede sein. Darüber hinaus besteht der Friede „nicht darin, dass kein Krieg ist; […], sondern [er ist eine] immer wieder neu zu erfüllende Aufgabe“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 78). Er ist die Frucht von Gerechtigkeit, von Entwicklung, Solidarität, vom Interesse für unser gemeinsames Haus und der Förderung des Gemeinwohls, indem man aus den Lehren der Geschichte lernt.
Erinnern, gemeinsam gehen, schützen. Dies sind drei moralische Imperative, die gerade hier in Hiroshima eine noch größere und universalere Bedeutung erlangen und einen Weg des Friedens eröffnen können. Deshalb dürfen wir nicht zulassen, dass die gegenwärtigen und künftigen Generationen die Erinnerung an das Geschehene verlieren; jene Erinnerung, die Garantie und Ansporn ist, um eine gerechtere und brüderlichere Welt zu erbauen; ein Gedächtnis, das sich verbreitet, um die Gewissen aller Männer und Frauen aufzurütteln, insbesondere der heutigen Verantwortungsträger der Nationen; eine lebendige Erinnerung, die helfen möge, von Generation zu Generation zu sagen: Nie wieder!
Forderung des hl. Papstes Johannes XXIII. im Jahr 1963
Atomwaffen müssen verboten werden
Bereits im Jahr 1963 forderte der hl. Papst Johannes XXIII. das Verbot von Atomwaffen, und zwar in der Enzyklika „Pacem in terris“ (Friede auf Erden), die er zwei Monate vor seinem Tod veröffentlichte. Sie ist gleichsam sein Vermächtnis. Während des Kalten Krieges hatten sich neue Spannungen und Gefahren angedeutet. Zwei Jahre zuvor war die Berliner Mauer errichtet worden und nur wenige Monate waren seit der Kubakrise vergangen. Papst Franziskus nahm nun auf dieses Schreiben Bezug. Der folgende Auszug steht unter der Überschrift „Abrüstung“ (Nr. 59-62).
Von Papst Johannes XXIII.
Atomares Wettrüsten zur Abschreckung birgt schwere Gefahren
Wir sehen nicht ohne großen Schmerz, dass in den wirtschaftlich gut entwickelten Staaten ungeheure Kriegsrüstungen geschaffen wurden und noch geschaffen werden und dass dafür die größten geistigen und materiellen Güter aufgewendet werden. So kommt es, dass die Bürger dieser Nationen keine geringen Lasten zu tragen haben und andere Staaten, die sich wirtschaftlich und sozial entwickeln sollten, der notwendigen Hilfeleistungen entbehren.
Als rechtfertigenden Grund für diese militärische Rüstung pflegt man anzugeben, dass unter den gegenwärtigen Umständen der Friede nur durch das Gleichgewicht der Rüstungen gesichert werden kann. Die militärische Rüstungssteigerung an einer Stelle hat also zur Folge, dass auch anderswo das Bestreben aufzurüsten zunimmt.
Und wenn eine Nation mit Atomwaffen ausgerüstet ist, gibt dies anderen Nationen Anlass, dass auch sie sich solche Waffen mit gleicher Zerstörungskraft zu verschaffen suchen.
Infolgedessen befinden sich die Völker beständig in Furcht, wie vor einem Sturm, der jeden Augenblick mit erschreckender Gewalt losbrechen kann. Und das nicht ohne Grund, denn an Waffen fehlt es tatsächlich nicht. Wenn es auch kaum glaublich ist, dass es Menschen gibt, die es wagen möchten, die Verantwortung für die Vernichtung und das Leid auf sich zu nehmen, die ein Krieg im Gefolge hat, so kann man doch nicht leugnen, dass unversehens und unerwartet ein Kriegsbrand entstehen kann. Und wenn auch die ungeheure militärische Rüstung heute die Menschen davon abschrecken dürfte, einen Krieg zu beginnen, so besteht dennoch Grund zur Befürchtung, dass die schon für Kriegszwecke unternommenen Kernwaffenexperimente, wenn sie nicht aufhören, die verschiedenen Arten des Lebens auf Erden in schwere Gefahr bringen können.
Verbot von Atomwaffen ist eine Forderung der Gerechtigkeit
Deshalb fordern Gerechtigkeit, gesunde Vernunft und Rücksicht auf die Menschenwürde dringend, dass der allgemeine Rüstungswettlauf aufhört; dass ferner die in verschiedenen Staaten bereits zur Verfügung stehenden Waffen auf beiden Seiten und gleichzeitig vermindert werden; dass Atomwaffen verboten werden; und dass endlich alle auf Grund von Vereinbarungen zu einer entsprechenden Abrüstung mit wirksamer gegenseitiger Kontrolle gelangen. „Es darf nicht gestattet werden“, mahnte unser Vorgänger seligen Andenkens Pius XII., „dass das Grauen eines Weltkrieges mit seiner wirtschaftlichen Not, seinem sozialen Elend und seinen sittlichen Verirrungen zum dritten Mal über die Menschheit komme“ (Pius XII., Weihnachtsbotschaft1941).
Allerdings müssen alle davon überzeugt sein, dass das Ablassen von der Rüstungssteigerung, die wirksame Abrüstung oder – erst recht – die völlige Beseitigung der Waffen so gut wie unmöglich sind, wenn dieser Abschied von den Waffen nicht allseitig ist und auch die Gesinnung erfasst, das heißt, wenn sich nicht alle einmütig und aufrichtig Mühe geben, dass die Furcht und die angstvolle Erwartung eines Krieges aus den Herzen gebannt werden. Dies setzt aber voraus, dass an die Stelle des obersten Gesetzes, worauf der Friede sich heute stützt, ein ganz anderes Gesetz trete, wonach der wahre Friede unter den Völkern nicht durch die Gleichheit der militärischen Rüstung, sondern nur durch gegenseitiges Vertrauen fest und sicher bestehen kann. Wir sind entschieden der Meinung, dass dies geschehen kann, da es sich um eine Sache handelt, die nicht nur von den Gesetzen der gesunden Vernunft befohlen wird, sondern auch höchst wünschenswert und überaus segensreich ist.
Mit seiner Verurteilung jeglicher Nutzung von Kernenergie für militärische Zwecke möchte Papst Franziskus die Welt wachrütteln. Seine eindeutige Positionierung gegen Atomwaffen ist im Grunde genommen nicht neu. Seit Jahrzehnten haben sich die Päpste für eine vollständige nukleare Abrüstung ausgesprochen. Doch Franziskus packt dieses Thema mit einer ganz neuen Entschiedenheit an. Er will einen Prozess in Gang bringen, an dessen Ende tatsächlich eine atomwaffenfreie Welt steht. Pfarrer Erich Maria Fink zeigt auf, dass sich Papst Franziskus der Schwierigkeiten klar bewusst ist. Die Hürden scheinen unüberwindlich zu sein. Doch gebe der Papst das Projekt deshalb nicht einfach auf. Stattdessen versuche er, Türen zu einer neuen internationalen Zusammenarbeit aufzustoßen und Schritt für Schritt die Grundlage für einen wahren Frieden zu schaffen.
Von Erich Maria Fink
Papst Franziskus hat das Thema Atomwaffen auf seine Agenda gesetzt. Die Bedrohung, die von ihnen ausgehe, dürfe nicht länger verdrängt werden. Die Welt stehe „am Rand des nuklearen Abgrunds“. Und die Kirche habe die Pflicht, mit all ihren Möglichkeiten auf eine vollständige atomare Abrüstung hinzuwirken.
Verurteilung von Atomwaffen
Der erste und wichtigste Schritt besteht für Papst Franziskus darin, eindeutig Stellung zu beziehen. Auf seiner Reise nach Thailand und Japan nützte er die Gelegenheit, von Hiroshima und Nagasaki aus eine Botschaft an die ganze Welt zu richten. In seinen beiden Ansprachen am Sonntag, 24. November 2019, erklärte er, dass der Einsatz von Atomwaffen ein Verbrechen darstelle und bereits der Besitz von nuklearen Waffen unmoralisch sei. Gegenseitige Bedrohung mit Atomwaffen diene definitiv nicht dem Frieden. Atomare Abschreckung könne nie ein stabiles Gleichgewicht herstellen und nie zu einem wahren Frieden führen.
Um zu unterstreichen, dass es sich bei diesem Urteil nicht um seine persönliche Einschätzung handelt, wolle er das Verbot von Atomwaffen in den Katechismus der Katholischen Kirche aufnehmen. So erklärte er auf dem Rückflug von Japan. Und zwar ginge es dabei dezidiert um das Verbot, Kernwaffen zu produzieren, sie zu besitzen, mit ihrem Einsatz zu drohen und sie tatsächlich anzuwenden. Die Kirche, so Papst Franziskus, lehne die Anwendung von Kernenergie für militärische Zwecke kategorisch ab.
Die Überzeugung, dass es keine Rechtfertigung für den Einsatz von Atomwaffen gebe, sei aber nicht neu. Papst Franziskus zitiert in seinen Ansprachen von Hiroshima und Nagasaki sowie auch in der neuen Botschaft zum Weltfriedenstag am 1. Januar 2020 seine Vorgänger. Außerdem sieht er sich durch die Aussagen des II. Vatikanischen Konzils bestätigt.
Schon der hl. Papst Johannes XXIII. sei in der Enzyklika „Pacem in terris“ (Friede auf Erden) vom 11. April 1963 zu dem Urteil gelangt, dass Atomwaffen verboten werden müssten. Er hatte das Dokument ganz unter dem Eindruck der Kuba-Krise im Oktober 1962 verfasst.
Vom hl. Papst Paul VI. wissen wir, dass er am 24. Juni 1968 vor dem Kardinalskollegium die „totale Ächtung der Kernwaffen“ und die „vollständige Abrüstung“ gefordert hat. Später nahm er auf die Verurteilung von Massenvernichtungswaffen durch das II. Vatikanische Konzil Bezug, in der es heißt: „Darum erklärt diese Synode, indem sie sich die schon von den letzten Päpsten ausgesprochene Verdammung des totalen Krieges zu eigen macht: Jede Kriegshandlung, die unterschiedslos auf die Zerstörung ganzer Städte oder weiter Gebiete und ihrer Einwohner ausgerichtet ist, ist ein Verbrechen gegen Gott und die Menschen, das eindeutig und ohne Zögern zu verwerfen ist.“ (Gaudium et spes, Nr. 80) In einer Stellungnahme an die Vereinten Nationen im Jahr 1976 wandte Paul VI. diese Konzilsaussage direkt auf Atomwaffen an und ließ erklären: „Das Konzil ist in diesem Punkt kategorisch. Es verurteilt rückhaltlos die Verwendung der alles zerstörenden Mordwaffen und hat diese Verurteilung als einzige ausgesprochen.“ Mit den letzten Worten erinnerte Paul VI. daran, dass es sich hierbei um die einzige feierliche Verurteilung handelt, die das II. Vatikanum im Zusammenhang mit dem Thema Krieg vorgenommen hat.
Johannes Paul II.: „Ein notwendiges Übel“
Nach dem Paukenschlag von Papst Franziskus in Hiroshima und Nagasaki meldeten zahlreiche weltliche Medien, die katholische Kirche habe eine Richtungsänderung vorgenommen. Franziskus sei von seinen Vorgängern abgerückt. Durchgehend wird dabei auf Papst Johannes Paul II. verwiesen, der noch in den 80er Jahren atomare Abschreckung als „notwendiges Übel“ bezeichnet habe.
Diese Berichterstattung ist auf dem Hintergrund eines ausführlichen Beitrags zu verstehen, den Vatican News am 23. November 2019 um 13:08 Uhr, also am Tag vor dem Eintreffen des Papstes in Nagasaki und Hiroshima, veröffentlicht hat. Unter der Überschrift „Papst Franziskus und die katholische Atombombe“ geht Stefan von Kempis auch auf die Haltung Johannes Pauls II. ein. Er schreibt: „Johannes Paul II. nannte nukleare Abschreckung ‚moralisch akzeptabel‘“. Dazu führt er aus: „Schon bisher haben sich die Päpste vehement für nukleare Abrüstung eingesetzt. Allerdings nannte Johannes Paul II. 1982, also mitten im Kalten Krieg, eine ‚auf Gleichgewicht beruhende Abschreckung‘, wie Ost- und Westblock sie damals praktizierten, ‚unter den derzeitigen Umständen moralisch akzeptabel‘.“ Und im Blick auf die Botschaft, die Papst Franziskus einen Tag später von Nagasaki und Hiroshima aus an die Weltöffentlichkeit richten würde, schlussfolgert er, Franziskus nehme nun eine „neue, verschärfte Haltung“ ein.
Stefan von Kempis zitiert am Ende den französischen Militärbischof Antoine de Romanet. Dieser fordere, die Konfessionen und Religionen müssten sich nun in ihrer Haltung zu Atomwaffen unbedingt untereinander abstimmen. Denn, so der Militärbischof, „die großen religiösen Traditionen sind mehrheitlich in den neun Staaten vertreten, die über Atomwaffen verfügen: Katholiken in Frankreich, Anglikaner in Großbritannien, Evangelikale in den USA, Orthodoxe in Russland, Juden in Israel, Hindus in Indien, sunnitische Muslime in Pakistan, Konfuzianer in China und Nordkorea. Aber die meisten Religionsführer vertreten in Sachen Atom die Position ihrer jeweiligen politischen Führung.“ Und Stefan von Kempis fügt hinzu: „Aus diesem Reigen schert Papst Franziskus jetzt aus.“
Der Vatikan hat diese Informationen bewusst lanciert, um den Effekt der neuesten Atomwaffen-Botschaft von Papst Franziskus zu verstärken. Das Bild aber, das dadurch in den Medien von Johannes Paul II. entstanden ist, wird dem Papst aus Polen nicht ganz gerecht. Denn Karol Wojtyła hatte den Kalten Krieg selbst erlebt. So hielt er zwar am Beginn seines Pontifikats „den bloßen Besitz von Kernwaffen zur Abschreckung für moralisch annehmbar“, doch nur „unter der Voraussetzung konkreter Abrüstungsschritte“ und eben nur „befristet“. Später wehrte er sich energisch gegen jede kriegerische Auseinandersetzung zur Lösung politischer Probleme. Umso mehr lehnte er Massenvernichtungswaffen ab und forderte eine radikale Abrüstung.
Selbst Peter Bürger (geb. 1961), der 2005 das kritische Buch „Hiroshima, der Krieg und die Christen“ herausgegeben hat und sich selbst als Pazifisten bezeichnet, war vom Friedenswerk Johannes Pauls II. so beeindruckt, dass er 2002 wieder in die katholische Kirche eintrat.
Das Zeugnis der Überlebenden
Um die Menschheit davon zu überzeugen, dass Atomwaffen international geächtet werden müssen, verweist Papst Franziskus auf das unsägliche Leid und die unvorstellbaren Zerstörungen, welche durch sie hervorgerufen werden. Es handle sich eben nicht nur um Theorie, vielmehr habe die Menschheit am eigenen Leib bereits erfahren, was nukleare Vernichtung bedeutet.
In seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2020 geht Papst Franziskus ausdrücklich auf seine Reise nach Japan ein und erneuert seinen Appell von Hiroshima und Nagasaki. Gleich zu Beginn schreibt er: „Unsere menschliche Gemeinschaft trägt im Gedächtnis und am eigenen Fleisch die Zeichen der Kriege und Konflikte, die mit wachsender Zerstörungskraft aufeinander gefolgt sind und die nicht aufhören, vor allem die Ärmsten und die Schwächsten zu treffen.“
Am Friedensdenkmal von Hiroshima, wo am 6. August 1945 die erste Atombombe explodiert war, ließ der Papst zunächst zwei Überlebende der Katastrophe zu Wort kommen. Im Licht dieser Zeugnisse blickte er auf den „lauten Schrei“ und den „heftigsten körperlichen Schmerzen“ der Opfer zurück. „Inmitten von Blitz und Feuer“ sei „nichts als Schatten und Stille zurückgeblieben“. „In einem Augenblick wurde alles von einem schwarzen Loch aus Zerstörung und Tod verschlungen“, so Franziskus. Nun sei er als „Pilger des Friedens“ gekommen und wolle sich „in Demut zur Stimme all derer machen, deren Stimme nicht gehört wird und die mit Beunruhigung und Angst die wachsenden Spannungen beobachten, die unsere Zeit durchziehen, die unannehmbaren Gegensätze und Ungerechtigkeiten, die das menschliche Zusammenleben bedrohen, die schwerwiegende Unfähigkeit zur Sorge um unser gemeinsames Haus, den andauernden, krampfhaften Rückgriff auf Waffen, als ob diese eine friedliche Zukunft gewährleisten könnten“.
Papst Franziskus ist überzeugt, dass wir zu keiner vernunftgemäßen Haltung gegenüber Atomwaffen gelangen werden, solange wir das Schicksal der Opfer ausblenden. In Kauf genommen wird die Vernichtung von Massen unschuldiger Menschen, die auf grausamste Weise verschmoren und dahinsiechen. Erst wenn wir uns eine klare Vorstellung davon machen, was nukleare Waffen anrichten, wird uns die Unbegreiflichkeit der atomaren Aufrüstung bewusst.
Das neue nukleare Wettrüsten
Der Kalte Krieg hatte zu einem nuklearen Wettrüsten zwischen den USA und der Sowjetunion geführt. Ende der 80er Jahre besaßen beide Seiten etwa 70.000 Atomsprengköpfe, was einer Vernichtungskraft von mehr als 800.000 Hiroshima-Bomben gleichkommt. Nach offiziellen Angaben besitzen die neun Staaten, die als Atommächte gelten, heute rund 15.000 Atomwaffen. Über 90 Prozent lagern zu etwa gleichen Teilen in den USA und in Russland. Die Sprengkraft reicht aus, um die ganze Menschheit mehrfach auszulöschen. Man nennt dieses in Betracht gezogene Szenarium einen „Overkill“.
2019 wird in die Geschichte als das verhängnisvolle Jahr eingehen, in dem ein neues nukleares Wettrüsten begonnen hat. Gegen jede menschliche Vernunft versuchen moderne Kriegstreiber diese Entwicklung salonfähig zu machen und zu rechtfertigen.
Stefan von Kempis zeigt dies am Beispiel Frankreichs auf. Es befinde sich in einem Dilemma. Einerseits wolle es unbedingt an seiner Atom-Strategie festhalten, spüre aber die Bedenken in der Bevölkerung. „Bemühungen, in der Öffentlichkeit eine atomfreundliche Stimmung zu erhalten, sind längst im Gang. In ein entsprechendes Seminar an der Elite-Hochschule ENS hat jetzt aber auch Duffé eine Einladung erhalten; er soll die neue, verschärfte Haltung von Papst Franziskus erklären“, so schreibt Stefan von Kempis. Der französische Geistliche Prof. Dr. Bruno-Marie Duffé ist seit 16. Juni 2017 Sekretär des neuen „Dikasteriums für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen“ im Vatikan.
Papst Franziskus möchte der Welt die Augen öffnen, dass das nukleare Wettrüsten unserer Tage einem globalen Kamikaze-Unternehmen gleichkommt. Vollkommen blind gehe sie einer Katastrophe entgegen, deren Ausmaß jede Vorstellung übersteigt. Die Zukunft der gesamten Menschheitsfamilie stehe auf dem Spiel. Dazu dürfe die Kirche nicht schweigen. Sie sei es der Menschheit schuldig, öffentlich kundzutun, dass es für nukleare Waffen keinerlei moralische Rechtfertigung mehr gebe. Zu diesem Zeugnis weiß sich Papst Franziskus gerade in seiner letzten Verantwortung vor Gott verpflichtet.
Auf Kosten der Armen
Papst Franziskus begründet sein Engagement aber auch damit, dass die atomare Rüstung ungeheure Summen verschlingt, welche für das Wohl der Menschheitsfamilie und besonders für den Aufbau der unterentwickelten Länder notwendig wären.
Wörtlich sagte er in Nagasaki: „Das Wettrüsten vergeudet nämlich wertvolle Ressourcen, die doch zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung der Völker und des Umweltschutzes verwendet werden könnten. In der Welt von heute, wo Millionen von Kindern und Familien unter menschenunwürdigen Bedingungen leben, ist es ein himmelschreiender Anschlag, wenn für die Herstellung, die Modernisierung, den Erhalt und den Verkauf von Waffen mit immer stärkerer Zerstörungskraft Gelder ausgegeben und damit Vermögen erzielt werden.“
Schon der hl. Papst Paul VI. habe sehr deutlich auf diesen Zusammenhang hingewiesen: „Die gegenwärtige Lage unseres Planeten wiederum erfordert eine Reihe von Überlegungen, wie alle diese Mittel verwendet werden können – auch in Bezug auf die komplexe und schwierige Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung – und so Ziele wie die ganzheitliche Entwicklung des Menschen erreicht werden können. So hat dies schon im Jahr 1964 der hl. Paul VI. vertreten, als er den Vorschlag machte, den notleidenden Völkern durch einen Weltfonds zu helfen, der zum Teil aus den Ausgaben für Rüstungszwecke gespeist wird (vgl. Ansprache an die Journalisten, Bombay, 4. Dezember 1964; Enzyklika Populorum progressio, 26. März 1967, 51).“
Ein Blick auf die allgemeinen Rüstungsausgaben zeigt, wie notwendig eine vollkommene Neuausrichtung der gesamten Weltgesellschaft wäre. Allein im Jahr 2018 hat die Welt 1,8 Billionen Dollar für Rüstung ausgegeben. Es war so viel wie seit 30 Jahren nicht mehr. Die USA stehen mit 649 Milliarden US-Dollar an der Spitze, China mit 250 Milliarden US-Dollar an zweiter Stelle. Im Vergleich dazu waren es in Russland 61,4 Milliarden US-Dollar. Spricht man nur von nuklearer Aufrüstung, so haben die USA zwischen 1945 und 2005 in ihr Atomwaffenarsenal 4000 Milliarden Dollar investiert.
Wie nötig hätte die Menschheit dieses Geld für Ernährung, Gesundheit, Bildung, Entwicklung? Weniger als ein Prozent im Vergleich zu den Militärausgaben werden von den reichen Ländern für die Entwicklung bedürftiger Länder investiert. Papst Franziskus spricht von einem „himmelschreienden Anschlag“. Und er ruft aus: „Ich bitte euch, dass wir uns jeden Tag im Gebet verbinden für die Bekehrung der Gewissen und für den Triumph einer Kultur des Lebens, der Versöhnung und der Brüderlichkeit.“
Die trügerische Sicherheit der Abschreckung
„Wir dürfen uns nicht einbilden“, so schreibt Papst Franziskus in seiner neuesten Weltfriedensbotschaft, „dass wir die Stabilität in der Welt durch die Angst vor der Vernichtung aufrechterhalten können.“ Und er fügt hinzu: „Auch die nukleare Abschreckung kann nur eine trügerische Sicherheit schaffen.“ Die Abschreckung sei ein Teufelskreis, der Vertrauen und Dialog zerstöre und dazu führe, „dass Mensch und Schöpfung dramatisch herabgewürdigt werden“.
Wörtlich zitiert er, was er zu diesem Thema bereits in Nagasaki sagte: „Unsere Welt lebt in der abartigen Dichotomie, Stabilität und Frieden auf der Basis einer falschen, von einer Logik der Angst und des Misstrauens gestützten Sicherheit verteidigen und sichern zu wollen. Am Ende vergiftet sie die Beziehungen zwischen den Völkern und verhindert jeden möglichen Dialog. Der Frieden und die internationale Stabilität sind unvereinbar mit jedwedem Versuch, sie auf der Angst gegenseitiger Zerstörung oder auf der Bedrohung einer gänzlichen Auslöschung aufzubauen; sie sind nur möglich im Anschluss an eine globale Ethik der Solidarität und Zusammenarbeit im Dienst an einer Zukunft, die von der Interdependenz und Mitverantwortlichkeit innerhalb der ganzen Menschheitsfamilie von heute und morgen gestaltet wird.“
Wenn wir den Weg zum Frieden finden möchten, müssen wir „die krankhafte Logik von Drohung und Angst durchbrechen“, so der Papst.
Vorwurf der Utopie und des politischen Moralismus
Papst Franziskus sieht sich mit seinem Vorstoß vielfacher Kritik ausgesetzt. Ich möchte einige Punkte nur kurz andeuten.
Der Hauptvorwurf lautet, seine Forderungen seien wenig hilfreich, da sie vollkommen utopisch seien. Sein Ziel könnte nur realisiert werden, wenn sich alle Nationen einig wären. Eine atomare Abrüstung würde insbesondere die Zustimmung der Atommächte erfordern. Doch sei heute keine einzige Atommacht zu einem ernsthaften Gespräch über den Verzicht auf ihr Atomwaffenarsenal bereit.
Auch bräuchte man nur auf China zu blicken, um sofort die Aussichtslosigkeit dieses Unternehmens zu begreifen. Vor allem dürfe sich die freie, christlich geprägte Welt nicht einer kommunistischen Macht ausliefern, die gerade dabei sei, mit den Möglichkeiten des digitalen Zeitalters die totalitärsten Züge ihrer ganzen Geschichte anzunehmen. Ähnliches gelte für das Verhältnis des Westens zum fundamentalistisch geprägten Islam. Und schließlich wird die Unberechenbarkeit Russlands als Argument gegen die Forderungen des Papstes vorgebracht.
In diesem Zusammenhang wird geltend gemacht, Papst Franziskus verkenne die von der Erbsünde gezeichnete Situation des Menschen in dieser Welt. Es werde nie ein Paradies auf Erden geben, vielmehr befinde sich der Mensch, wie die Offenbarung des Johannes zeige, bis ans Ende der Geschichte in der Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse, also in einem konkreten Kampf. Deshalb könne man auch nie erwarten, dass sich alle Staaten auf Dauer an Abrüstungsvereinbarungen halten würden.
Papst Franziskus predige einen „politischen Moralismus“. Außerdem sei er einem verführerischen „Pazifismus“ verfallen. Mit seiner Haltung arbeite er letztlich dem Anarchismus und dem Terrorismus zu. Der Papst stelle sein Engagement für einen Weltfrieden oh-ne Waffen über die christliche Botschaft und lasse das Reich Gottes völlig außer Acht. Und gerade deshalb sei es so verhängnisvoll, dass er für seine Sicht der Dinge schon wieder den Katechismus ändern wolle wie bei der Frage der Todesstrafe.
Notwendigkeit der Hoffnung
Aber ist Papst Franziskus wirklich ein „Pazifist“? Dem Pazifismus im negativen Sinn wirft man vor, dass er keine Werte zu verteidigen hat und dass ihm letztlich gleichgültig ist, wer das Sagen hat? Beim Papst sehe ich genau das Gegenteil. Ihm ist das drohende Unheil nicht gleichgültig. Er sieht die göttliche Würde des Menschen, die es zu verteidigen gilt.
Ist Papst Franziskus ein „Moralist“, der in die Politik abgeglitten ist und nicht auf Christus und seine verwandelnde, verzeihende und rettende Gnade baut? Franziskus schöpft allein aus dem Vertrauen auf Christus die Hoffnung auf den Erfolg seiner Bemühungen und auf Frieden.
Ist Papst Franziskus blind für den Kampf zwischen Gut und Böse, der das irdische Leben prägt? Im Gegenteil, er stellt sich dem Kampf und kapituliert nicht vor den teuflischen Machenschaften, welche die göttliche Bestimmung der Menschheit bedrohen.
Wenn wir von vornherein davon überzeugt sind, dass eine atomwaffenfreie Welt eine Utopie darstellt, werden wir nie die Kraft für die notwenigen Schritte in diese Richtung aufbringen. Und genau in diesem Sinn stellte Papst Franziskus die Weltfriedensbotschaft 2020 unter das Thema Hoffnung. Nur wenn uns die Hoffnung erfüllt, dass Frieden möglich ist, können wir einen Schritt nach dem anderen tun und dem Ziel entgegengehen, kann die Kirche die Menschheit inspirieren und ihr helfen, die notwendigen Prozesse in Gang zu bringen.
Grundlage für einen wahren Frieden
Für Papst Franziskus ist klar: „Eine Welt in Frieden und frei von Atomwaffen ist das Bestreben von Millionen von Männern und Frauen überall auf der Erde. Dieses Ideal Wirklichkeit werden zu lassen erfordert die Beteiligung aller: Einzelne, Religionsgemeinschaften, die Zivilgesellschaft, die Staaten im Besitz von Atomwaffen und atomwaffenfreie Staaten, private und militärische Bereiche sowie die internationalen Organisationen. Unsere Antwort auf die Bedrohung durch Nuklearwaffen muss gemeinsam und konzertiert sein und auf dem mühsamen, aber beständigen Aufbau gegenseitigen Vertrauens beruhen, das die Dynamik des gegenwärtig vorherrschenden Misstrauens durchbricht.“
Das Projekt einer atomwaffenfreien Welt gelingt nur – und das sieht der Papst mit ungetrübtem Realismus, wenn alle dafür gewonnen werden. Es wäre ein langer Prozess, aber Franziskus will ihn mit anstoßen und dafür das ganze Gewicht seiner päpstlichen Autorität in Waagschale werfen.
Es gibt den Atomwaffensperrvertrag aus dem Jahr 1968, doch Papst Franziskus kritisiert, dass die Atommächte zwar sehr genau auf die „Nichtverbreitung von Atomwaffen“ achten, jedoch keinerlei Anstrengungen unternehmen, um über die „allgemeine und vollständige Abrüstung“ zu verhandeln, wie es darin heißt.
So unterstützt der Papst den Anti-Atom-Waffen-Vertrag, den 122 Staaten im Sommer 2017 der UNO vorgelegt haben. Der Vatikan war einer der ersten Staaten, der diesen Vertrag ratifiziert hat. Bisher sind ihm 32 weitere Staaten gefolgt, jedoch keine der offiziellen Atommächte. Dem Vatikan gehe es nun darum, wie Stefan von Kempis schreibt, „moralischen Druck auszuüben, um den nuklearen Rüstungswettlauf rund um den Globus zu beenden und die Dynamik umzukehren.“
Dies erinnert an eine Aussage von Giovanni Cheli, dem ständigen Vertreter des hl. Papstes Paul VI. bei der UNO, aus dem Jahr 1976: „Nur der Druck und der gesunde Menschenverstand der öffentlichen Meinung können einen doppelgleisigen Ablauf der Weltgeschichte verhindern: hier die Geschichte der Kulturen, dort die Geschichte der militärischen oder zivilen menschenfeindlichen Technik.“
Um einen Durchbruch zu erzielen, stellt Papst Franziskus die Position sowie das Vetorecht der Atommächte grundsätzlich in Frage, werden deren Ansprüche doch von der übrigen Welt als unakzeptable Arroganz betrachtet. Frieden verlangt nach Papst Franziskus Brüderlichkeit, ohne „hegemoniale Ambitionen“ und „Machtmissbrauch“.
Papst Franziskus ist ein realer Bote des Friedens. Wir können ihm für seinen historischen Vorstoß nur dankbar sein.
Bevor Papst Franziskus am Sonntag, 24. November 2019, nach Hiroshima kam, besuchte er vormittags Nagasaki. Im dortigen Atombombenpark unterstrich er, dass die Abschaffung aller Atomwaffen möglich und notwendig ist. Doch dazu benötige es Gebet und Umkehr. Seine Botschaft schloss er mit dem Gebet „Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens“, das dem hl. Franz von Assisi zugeschrieben wird. Nachfolgend aus dem zweiten Teil der Papstansprache.
Von Papst Franziskus
Eine Welt in Frieden und frei von Atomwaffen ist das Bestreben von Millionen von Männern und Frauen überall auf der Erde. Dieses Ideal Wirklichkeit werden zu lassen erfordert die Beteiligung aller: Einzelne, Religionsgemeinschaften, die Zivilgesellschaft, die Staaten im Besitz von Atomwaffen und atomwaffenfreie Staaten, private und militärische Bereiche sowie die internationalen Organisationen. Unsere Antwort auf die Bedrohung durch Nuklearwaffen muss gemeinsam und konzertiert sein und auf dem mühsamen, aber beständigen Aufbau gegenseitigen Vertrauens beruhen, das die Dynamik des gegenwärtig vorherrschenden Misstrauens durchbricht. Im Jahr 1963 sagte der hl. Johannes XXIII. in der Enzyklika Pacem in terris, in der er auch ein Verbot der Atomwaffen forderte (vgl. Nr. 60), dass der „wahre Friede unter den Völkern nicht durch die Gleichheit der militärischen Rüstung, sondern nur durch gegenseitiges Vertrauen fest und sicher bestehen kann“ (Nr. 61).
Es ist notwendig, die Dynamik des Misstrauens zu durchbrechen, die derzeit vorherrscht und das Risiko eingehen lässt, zur Demontage des internationalen Systems der Waffenkontrolle zu gelangen. Wir erleben gerade eine Erosion des Multilateralismus, was noch schwerer wiegt angesichts der Entwicklung neuer Waffentechnologien; dieser Ansatz scheint zum gegenwärtigen, von Vernetzung geprägten Kontext ziemlich im Widerspruch zu stehen und stellt eine Situation dar, welche dringliche Aufmerksamkeit seitens aller Verantwortungsträger als auch Einsatz verlangt.
Die katholische Kirche ihrerseits ist unwiderruflich engagiert im Entschluss, den Frieden zwischen den Völkern und Nationen zu fördern: es ist eine Aufgabe, zu der sie sich vor Gott und vor allen Männern und Frauen dieser Erde verpflichtet fühlt. Wir dürfen nie müde werden, unverzüglich dafür zu arbeiten und darauf Nachdruck zu legen, die wichtigsten internationalen Rechtsmittel für die Abrüstung und Nichtverbreitung von Kernwaffen, einschließlich des Atomwaffenverbotsvertrags, zu unterstützen. Im vergangenen Juli starteten die Bischöfe Japans einen Appell zur Abschaffung der Kernwaffen, und jeden August begeht die Kirche in Japan ein zehntägiges Gebetstreffen für den Frieden. Mögen das Gebet, die unermüdliche Suche zur Förderung von Abkommen sowie der Nachdruck auf den Dialog die „Waffen“ sein, auf die wir unser Vertrauen setzen, und ebenso die Inspirationsquelle für die Bemühungen, eine gerechte, solidarische Welt aufzubauen, die echte Garantien für den Frieden bietet.
In der Überzeugung, dass eine Welt ohne Atomwaffen möglich und vonnöten ist, bitte ich die politischen Verantwortungsträger, nicht zu vergessen, dass Nuklearwaffen uns nicht vor den Bedrohungen für die nationale und internationale Sicherheit in unserer Zeit schützen. Man muss die katastrophalen Auswirkungen ihres Einsatzes unter humanitärem Gesichtspunkt und im Hinblick auf die Umwelt bedenken und davon ablassen, ein Klima der Angst, des Misstrauens und der Feindseligkeit zu schüren, das von den Nukleardoktrinen befeuert wird. Die gegenwärtige Lage unseres Planeten wiederum erfordert eine Reihe von Überlegungen, wie alle diese Mittel verwendet werden können – auch in Bezug auf die komplexe und schwierige Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung – und so Ziele wie die ganzheitliche Entwicklung des Menschen erreicht werden können. …
Diese Aufgabe wiederum schließt uns alle ein und betrifft alle. Niemand kann gleichgültig bleiben angesichts des Schmerzes von Millionen von Männern und Frauen, der heute weiter an unsere Gewissen klopft; niemand kann taub sein für den Ruf des Mitmenschen, der aus seiner Verletzung aufschreit; niemand kann blind sein für die Trümmer einer dialogunfähigen Kultur.
Ich bitte euch, dass wir uns jeden Tag im Gebet verbinden für die Bekehrung der Gewissen und für den Triumph einer Kultur des Lebens, der Versöhnung und der Brüderlichkeit; einer Brüderlichkeit, welche die Unterschiede bei der Suche nach einer gemeinsamen Bestimmung anzuerkennen und zu gewährleisten weiß.
Mit der Zerstörung Nagasakis durch den Atombombenabwurf am 9. August 1945 war das „Herz“ der katholischen Kirche in Japan ausgelöscht worden. Im Atombombenpark von Nagasaki begann Papst Franziskus seine Ansprache mit einem Hinweis auf „das zerbombte Kreuz und die kürzlich in der Kathedrale von Nagasaki entdeckte Marienstatue“. Sie „erinnern uns noch einmal an das unsagbare Grauen, das die Opfer und ihre Familien am eigenen Leib erlitten haben“, so der Papst. Erst im August dieses Jahres war das Kreuz, das die Atombombe von Nagasaki überlebt hatte, an die katholische Kathedrale zurückgegeben worden. CNA Deutsch berichtete von dem Weg der Versöhnung, das dieses Kreuz über die USA genommen hatte.
Von Anian Christoph Wimmer
Als die Atombombe auf Nagasaki fiel, feierten Katholiken in der Urakami-Kathedrale der Stadt gerade die heilige Messe. Der Sprengsatz explodierte etwa 500 Meter von ihnen entfernt. Die Beter wurden sofort getötet – sowie mindestens 40.000 weitere Menschen – und die Kathedrale Unserer Lieben Frau von der Unbefleckten Empfängnis völlig zerstört. Nur wenige Sakramentalien und andere Gegenstände überlebten. Eines davon, ein hölzernes Kreuz, ist nun als Zeichen der Versöhnung und des guten Willens für den Frieden zurückgegeben worden: Ein College im US-Bundesstaat Ohio hat das Kreuz der Kathedrale Unserer Lieben Frau zurückzugeben. Das teilte Dr. Tanya Maus mit, Leiterin des Peace Resource Center vom Wilmington College, einer Hochschule der Freien Künste, die den Quäkern nahesteht. „Nur sehr wenige Artefakte aus der Kathedrale wurden erhalten, und deshalb ist es wichtig, dieses Kreuz zurückzugeben, das so tief mit dessen Identität verknüpft ist“, sagte Maus am 7. August 2019 und fuhr fort: „Das ist etwas, was wir einfach tun müssen. Das sind Beziehungen, die helfen, eine friedlichere Welt aufzubauen.“
Das Kreuz habe Walter Hooke, ein katholischer US-Marineinfanterist, aus den Ruinen der Urakami-Kathedrale geborgen und seiner Mutter in die USA geschickt, so Maus. 1982 übergab Hooke das Kreuz dem Peace Resource Center, in dem Referenzmaterial und Unterlagen zu den Atombombenangriffen auf Hiroshima und Nagasaki aufbewahrt werden. Als Maus erfuhr, dass eine Gruppe aus Nagasaki das Kreuz suche, entschied sie sich dazu, es zurückzugeben.
Das Holzkreuz wird in der heutigen Kathedrale des Erzbistums Nagasaki aufgehängt werden: Der 1959 errichtete Mariendom steht direkt neben der als Mahnmal verbliebenen Ruine. „Es waren Katholiken in der Kathedrale beim Gottesdienst, als die Bombe fiel“, sagte Professorin Maryann Cusimano Love von der Catholic University of America gegenüber CNA im Jahr 2015.
Nagasaki ist seit der Ankunft des hl. Franz Xaver im 16. Jahrhundert ein Zentrum des Katholizismus in Japan. Der Glaube wurde in ganz Japan jahrhundertelang unterdrückt, Christen brutal verfolgt und umgebracht. Dennoch überlebte der Katholizismus. Als 1895 wieder Religionsfreiheit gewährt wurde, begannen die mehrheitlich katholisch gebliebenen Einwohner von Urakami mit dem Dombau.
Diese Urakami-Kathedrale sollte nur 20 Jahre nach ihrer Fertigstellung im Jahr 1925 von den amerikanischen Bombenangriffen vernichtet werden: Beim ersten – und bislang einzigen – kriegerischen Einsatz von Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 starben rund 100.000 Menschen sofort, die meisten davon Zivilisten. An den Folgeschäden starben mindestens 130.000 weitere Personen.
Konrad Adenauer (1876-1967) war von 1949 bis 1963 erster Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Wenig bekannt ist sein Schicksal, das er während des Dritten Reichs erlitten hat. Seit 1917 war er Oberbürgermeister der Stadt Köln. Doch als er sich den Nationalsozialisten öffentlich widersetzte, wurde er von ihnen im März 1933 aus seinem Amt verjagt. Er musste um sein Leben fürchten und fand Zuflucht im abgeschiedenen Benediktinerkloster Maria Laach. Während er sich dort ein ganzes Jahr versteckt hielt, wurde er an Weihnachten 1933 von seiner Familie besucht. Professor Dr. Wolfgang Koch und seine Ehefrau Dorothea haben aus den erhaltenen Dokumenten eindrucksvolle Erinnerungen an dieses einzigartige Familienfest zusammengestellt. Der Beitrag fügt sich hervorragend zum Apostolischen Schreiben Admirabile signum (Das wunderbare Zeichen) „über die Bedeutung und den Wert der Weihnachtskrippe“. Papst Franziskus unterzeichnete es am 1. Adventssonntag 2019 in Greccio, wo der hl. Franziskus 1223 zum ersten Mal in der Geschichte eine Krippe nachgebildet hat. Der Papst fordert die Familien auf, diese Tradition hochzuhalten.
Von Dorothea und Wolfgang Koch
Die Weihnachtszeit beginnt mit dem Weihnachtsfest, sie hört aber nicht damit auf! Man könnte ja fast denken, es sei so, wenn schon vor Sylvester aller weihnachtlicher Schmuck aus den Städten wieder verschwindet. Das Fest der Geburt unseres Erlösers führt vielmehr in das jeweils kommende Jahr hinein. Ein Hinweis darauf ist das uralte Fest Mariä Reinigung (Purificatio Beatae Mariae Virginis) am 2. Februar, das gemäß jüdischer Tradition 40 Tage nach der Geburt des Kindes gefeiert wird. Das Fest, das heute Darstellung des Herrn im Tempel (Praesentatio Jesu in Templo) genannt wird und volkstümlich als Fest Mariä Lichtmess bekannt ist, beschließt die Weihnachtszeit im weiteren Sinne. Daher steht Weihnachten immer wieder am Anfang jeden Neubeginns christlichen Lebens, gerade auch und vor allem nach Phasen katastrophalen Niedergangs.
In der deutschen Weihnachtskirche schlechthin, im Aachener Dom, beginnt weihnachtlich das ‚Christliche Abendland‘. Am Dreikönigsfest des Jahres 805 wurde sie von Papst Leo III. in Anwesenheit des Kaisers und zahlreicher Bischöfe geweiht. Durch die Windeln Jesu[1] und das Kleid Mariens, das die heilige Jungfrau nach der Legende in der Heiligen Nacht getragen habe,[2] veranschaulicht Karls des Großen Aachener Mariendom wie keine andere Kirche Deutschlands die Menschwerdung Christi. Daher ist es nur passend, dass sich Aachen auch des ältesten deutschen Weihnachtsliedes rühmen kann: Syt willekomen, heire Krist / want du unser alre here bis. / Syt willekomen / lieve heire / her intertriche also schone / Kirieleys.[3]
Zuflucht im Kloster Maria Laach
So ist es auch ein stilles Weihnachtsfest gewesen, das geheimnisvoll über die große Not einer trostlosen Zeit hinauswies. Es gab Mut und Kraft, auch Schlimmstes durchzustehen, bis endlich ein kaum noch erhoffter Neuanfang die christliche Morgenröte nach langer Nacht doch wieder leuchten ließ.
Als die Nationalsozialisten Konrad Adenauer im März 1933 aus seinem Amt als Kölner Oberbürgermeister verjagen und er um sein Leben fürchten muss, verbirgt ihn sein alter Schulfreund, Abt Ildefons Herwegen, im abgeschiedenen Benediktinerkloster Maria Laach in der Vulkaneifel, hoch auf der linken Seite des Rheines. Auf diese Weise lebt Adenauer ein Jahr lang mit den Mönchen und begegnet dem benediktinischen Geist, auf dessen Bedeutung für Europa Papst Benedikt XVI. immer wieder hinwies.
Die uralte Liturgie der Benediktiner und der gregorianische Choral prägen Adenauer und seine Familie in der Not des Nationalsozialismus und der Verfolgung. Sein Sohn Paul, später Priester der Erzdiözese Köln, wollte ursprünglich Mönch in Maria Laach werden. Einige seiner Kinder heiraten dort, Adenauers älteste Tochter Ria bereits im Jahr 1937. Inmitten einer schwierigen Regierungsbildung bekennt der erste deutsche Bundeskanzler einem der befreundeten Mönche: In dem Wirrwarr, der mich umgibt, denke ich manchmal mit Sehnsucht an Maria Laach. Während seiner Kanzlerzeit stiftet er ein Fenster im Westchor der Abteikirche, das seinen Namen trägt. Es zeigt Johannes den Täufer, der auf das Lamm Gottes weist, ECCE AG-NUS DEI ECCE QUI TOLLIT PECCATA MUNDI (Seht, das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt! – Joh 1,29) mit den Aposteln Andreas und Johannes, von denen es auf dem Fenster heißt: ET SECUTI SUNT JESUM (und sie folgten Jesus – Joh 1,37), während sich im Hintergrund die Schlange im Paradiesbaume windet. Regelmäßig empfängt Adenauer Besuche der Mönche in seinem Rhöndorfer Wohnhaus, die der Familie jährlich zur Weihnachtszeit den größten Karpfen aus dem Laacher See bringen.
Erinnerung an Weihnachten 1933
Lange nach Adenauers Tod denkt sein Sohn Paul über die schwere Verfolgungszeit nach, die sein Vater seit 1933 durchleben musste: Woher holte er seine Kraft und Geduld, seine Zuversicht?, fragt er sich. Eine Antwort leuchtet mir auf in der Erinnerung an Weihnachten 1933, wie er sie in seiner Weihnachtsansprache 1951 schildert.[4]
Die Stelle, die Paul daraus zitiert, öffnet jedoch nicht nur seiner Familie, sondern der bundesdeutschen Öffentlichkeit einen Blick in Adenauers persönlichstes Empfinden: Ein Weihnachtsfest wie in der nationalsozialistischen Zeit, als ich aus meiner Heimatstadt vertrieben und verjagt und von einem Jugendfreud, dem Abt des Klosters Maria Laach, aufgenommen war. Ich weiß nicht, ob das nicht das schönste meiner Weihnachtsfeste war. Meine Frau und meine Kinder waren gekommen. Der Christbaum war klein, in einem Hotelzimmer aufgebaut. Es gab nur wenige Geschenke, aber wir, die wir getrennt waren, freuten uns des Zusammenseins, und der Gottesdienst war so ergreifend schön. Er begann am Heiligen Abend um 10.00 Uhr in der herrlichen Basilika. Er dauerte bis 02.00 Uhr nachts. Die alten Metten und Lesungen wurden gesungen und unsere schönen deutschen Weihnachtslieder. Die Kirche war übervoll und aus dem fernen Industriegebiet waren die Menschen gekommen. Alle waren hingegeben an das große Geheimnis, das gefeiert wurde. Draußen lag Schnee. Es funkelten die Sterne. Eine große wunderbare Stille lag auf Berg und See.
Im Spiegel Gussie Adenauers
Wie Adenauers Frau Gussie die Vorbereitungen auf das Wiedersehen der Familie nach langer Trennung empfand, schreibt sie kurz vor dem Fest ihrem Mann: Die Nerven werden wirklich auf die Folter gespannt. Zum Glück sind die Kinder so reizend in ihrer Weihnachtsvorfreude, das gibt immer etwas Entspannung. Gestern Nachmittag hörten wir von Pater Hilarius liturgische Lieder durchs Radio. Wir alle, besonders aber Paul, lauschten in tiefer Andacht. Paul erkannte die einzelnen Stimmen genau. Wir freuen uns so sehr auf die Christnacht.
Ihre persönlichen Erinnerungen an das Weihnachtsfest 1933 hält sie später fest: Die Fahrt in dem überfüllten Wagen durch die Dunkelheit war ermüdend lang. Endlich hielt der Autobus vor dem hellerleuchteten Hotel am Laacher See. … Die Kinder hatten den Vater seit Monaten nicht gesehen, sie stürzten auf ihn zu, hingen lachend und weinend an seinem Halse und die Kleinen fingen gleich an, ihre Gedichte aufzusagen. Ich glaube, am liebsten hätten sie sofort mit der Feier begonnen. Doch der Vater hielt auch bei aller Festfreude auf Ordnung. …
Die Glocken begannen zu läuten, in der Kirche wurden die Kerzen angezündet, Hunderte von Kerzen, die das hohe Gewölbe mit einem warmen, honigfarbenen Licht erfüllten. Dann begann die Feierstunde. Der Abt und seine Mönche in der schwarzen Kukulle des hl. Benedikt zogen in den Chor ein. Ihnen folgten die Priester, die den Altardienst hatten, in prächtigen Gewändern aus weißer Seide. Die Orgel brauste auf, und unter dem Gesang der heiligen Texte nach der uralten Weise des gregorianischen Chorals vollzog sich am Altar das Geheimnis der Menschwerdung Gottes. Noch nie war mir der Sinn der Heiligen Weihnacht so nahegebracht worden wie in diesen Stunden. Alle Bitterkeit über die erfahrenen Kränkungen, das traurige Gefühl, ausgestoßen und verfemt zu sein, waren von mir abgefallen, ich fühlte mich eins mit allen, die hier versammelt waren, und zugleich schicksalhaft mit Gott verbunden. Auch Konrad muss ähnlich empfunden haben. Denn als er uns nach der Feierstunde durch die sternenklare Nacht zum Hotel hinüberbegleitete, fasste er meine Hand und sagte ein Wort, das mir immer im Gedächtnis bleiben wird: „Mit Gott ist der Verfolgte stärker als ohne Gott selbst der mächtigste Verfolger.“
Weihnachten als Familienfest
Endlich ertönte hell das Glöckchen, fährt Gussie fort, die Tür des Weihnachtszimmers öffnete sich. Wie Orgelpfeifen standen die Kinder: Paul, Lotte, Libet und Schorsch, hinter ihnen die drei Großen und wir Eltern. … Doch zuerst las der Vater das Weihnachtsevangelium vor. Mit gefalteten Händen lauschten Erwachsene und Kinder. Dann knieten Lotte und Libet an der Krippe und boten dem Christkind einen Willkommensgruß. Alle sangen ‚Ihr Kinderlein kommet‘, Paul blies auf der Blockflöte eine alte Hirtenweise. Eine gute Weile wechselten Lieder und Gedichtvorträge mit Geigenspiel. Danach knieten wir alle zum gemeinsamen Gebet vor der Krippe nieder. Erst dann begann die Bescherung. Es waren nur wenige, meist praktische Sachen, die wir in diesem Jahr den Kindern schenken konnten, aber die Freude war um nichts geringer. Sie spürten, dass alles mit Liebe gegeben war. Als wir nachher am festlich gedeckten Tisch zusammensaßen, hörte ich, wie Paul seinen Schwestern Lotte und Libet erklärte, die nicht müde wurden, ihre Geschenke aufzuzählen: „Das schönste Geschenk ist doch, dass wir mit Vater zusammen Weihnacht gefeiert haben.“ Adenauer wird später schreiben: Die christliche Familie ist das Fundament für die Rettung und die Wiedererstehung Europas.
Die Liturgie als Kraftquelle
Kurz vor seinem eigenen Tod im Jahre 2007 schreibt Paul Adenauer über seinen Vater: So erlebte er den traditionellen Glauben seines bisherigen Lebens durch die Liturgie der Mönche und den Kontakt mit ihnen in ganz neuer Weise als alte Quelle neuer Kraft und auch ich entdeckte mit ihm in meiner Weise eine neue Welt des Friedens inmitten des Chaos. Später, als er das Sterben spürte, bat er mich, ihm die lateinischen Messgesänge vorzusingen.
Über seine in Maria Laach gefundene Liebe zur überlieferten Liturgie der Kirche schreibt Konrad Adenauer selbst: Ich habe das früher nicht verstanden, vielleicht geringschätzig darüber gedacht, und geglaubt, dass manche andere Dinge, auch politische Dinge, wichtiger seien. Ich habe die Unrichtigkeit meiner Meinung eingesehen: ohne die richtige, lebendige seelische Haltung wird alles andere nicht richtig; nichts ist aber so sehr geeignet, auf die seelische Haltung einzuwirken als die richtig verstandene Pflege des liturgischen Gedankens. Seine daraus schöpfende Frömmigkeit erschließt sich auch durch einen Brief während seiner Zeit als Bundeskanzler, in dem er für die Übersendung eines Laien-Breviers dankt: Das Chorgebet schätze ich besonders seit der Zeit, als ich mich in Maria Laach verborgen halten musste – 1933/34. … Ich erhoffe mir davon eine tiefgreifende Belebung des Chorgebetes, das in der großen Not unserer Zeit soviel Licht und Kraft auf der Erde bedeuten kann.
Kraftvolles Wirken aus dem Glauben
Offenbar erwächst Adenauer aus diesen Wurzeln die Kraft für den Wiederaufbau unseres Landes und seinen Schutz gegen tödliche Bedrohungen: Liebt der den Frieden, fragt Adenauer in seiner Weihnachtsansprache des Jahres 1952, der passiv alles hinnimmt, der sich rein passiv verhält gegenüber jeder Unterminierung, des Sichlähmens durch Furcht, durch Verlust der Freiheit, Vernichtung der Familie, Vernichtung religiösen Lebens? Liebt ein Volk den Frieden, das sich durch ein anderes unterwerfen lässt? Ist Frieden nichts anderes als der Gegensatz von Krieg? Wäre dem so, dann würde Sklaverei und Kirchhofsruhe auch Frieden sein. Aber dagegen bäumt sich das Beste in unserem Inneren auf. Unser inneres Gefühl sagt uns: Friede ohne Freiheit ist kein Friede! Einen solchen Kirchhofsfrieden, einen solchen Frieden der Sklaverei können die himmlischen Heerscharen nicht gemeint haben, als sie in der Heiligen Nacht den Hirten auf dem Felde die Geburt des Heilands verkündigten.
Lassen wir in dieser Weihnachtszeit Adenauers Kraftquellen auch in unseren Verstand, unseren Willen und in unser Herz strömen – sie stehen auch heute jedem getauften Katholiken offen, auch wenn er vielleicht länger nach ihnen suchen muss. Wie in Adenauers Zeit geht es auch in unserer Gegenwart um fundamentale Richtungsentscheidungen: Jeder von uns und namentlich jeder von uns katholischen Christen ist verpflichtet, mitzutun und mitzuhandeln, denn, glauben Sie, – mahnt Adenauer die „Gemeinschaft Katholischer Männer Deutschlands“ im Jahre 1952 – es geht darum, ob Europa christlich bleibt, oder ob Europa heidnisch wird.
An den weihnachtlichen Neubeginn Karls des Großen erinnert Adenauer im Marianischen Jahr 1954, zugleich des 1200. Todesjahrs des heiligen Benediktiners Bonifatius, als ihm selbst in Aachen der Karlspreis verliehen wird: In dieser Stadt, die ja der Hauptsitz Karls des Großen gewesen ist und die die Krönungsstadt der deutschen Könige war, stehen wir im Herzen Europas, im Herzen des christlichen Abendlandes.
[1] Nach Nikephorus Callisti habe die oströmische Kaiserin Pulcheria diese Reliquie in Jerusalem vom Patriarchen Juvenal erworben und sie in die neuerbaute Kirche in Chalcoprateion bei Konstantinopel gebracht. Unter Papst Theodor I. (642-649) gelangten sie in die Basilika St. Maria Maggiore nach Rom. Nach alter Überlieferung handelt es sich um Kleidungsstücke des hl. Josef, die in der Not als Windeln Jesu benutzt wurden. Vergl. A. LÄPPLE (1990): Reliquien. Verehrung – Geschichte – Kunst, Augsburg, 61. [2] Das Marienkleid ist aus orientalischer, gelblich-weißer Baumwolle gewebt und zeigt durch Längs- und Querstreifen eine kleinkarierte Musterung. Die Halseinfassung wie auch die Seitenschlitze sind mit einer feinen, mäanderförmigen Stickerei versehen. Über die Herkunft berichtet Nicephorus Callisti im 5. Jahrhundert, das Kleid sei 451 in Galiläa von zwei namentlich genannten Pilgern aufgefunden worden. Ab 613 ist es in der Schatzkammer der Hagia Sophia nachweisbar und wurde 799 Karl dem Großen geschenkt. Vgl. LÄPPLE, 60. [3] „Sei uns willkommen, Herre Christ, / weil du unser aller Herre bist! / Sei uns willkommen, lieber Herre / hier auf der Erden also schöne! / Kyrie-leis.“ Das Lied findet sich als spätere Eintragung im viel älteren Ottonischen Evangeliar der Aachener Domschatzkammer. Seine Verwendung in der Aachener Liturgie ist seit 1339 nachweisbar. L. FELBICK (1993): Daten der Aachener Musikgeschichte, Aachen. [4] Für dieses und die nachfolgenden Zitate siehe: D. u. W. KOCH (2013): Konrad Adenauer. Der Katholik und sein Europa, Kißlegg 32018.
Die ökologische Umkehr muss ganzheitlich sein
Blick auf den Schöpfer
Auch in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2020 spricht Papst Franziskus von der „ökologischen Umkehr“. Er knüpft ausdrücklich an die Amazonien-Synode an und stellt den Abschnitt unter die Überschrift: „Der Frieden als Weg der ökologischen Umkehr“. In diesem vierten Kapitel betont der Papst, dass der Blick auf die Natur immer im Licht Gottes und um des Gemeinwohls erfolgen muss. Nur so gelangen wir zu einer gottgewollten Gestaltung und Verwandlung der Welt. Mit Christus können wir unser Leben in der Beziehung zur Welt, die uns umgibt, „zur Blüte bringen“. Das versteht Papst Franziskus unter „ganzheitlicher ökologischer Umkehr“.
Von Papst Franziskus
Wenn ein falsches Verständnis unserer eigenen Grundsätze uns auch manchmal dazu geführt hat, die schlechte Behandlung der Natur oder die despotische Herrschaft des Menschen über die Schöpfung oder die Kriege, die Ungerechtigkeit und die Gewalt zu rechtfertigen, können wir Glaubenden erkennen, dass wir auf diese Weise dem Schatz an Weisheit, den wir hätten hüten müssen, untreu gewesen sind“ (Enzyklika Laudato si‘, 24. Mai 2015, 200).
Angesichts der Folgen unserer Feindseligkeit den anderen gegenüber und der Auswirkungen der fehlenden Achtung für das gemeinsame Haus und der missbräuchlichen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen – einzig als Mittel für schnellen Profit heute gesehen, ohne auf die Gemeinschaften vor Ort, das Gemeinwohl und die Natur zu achten – brauchen wir eine ökologische Umkehr.
Die kürzlich stattgefundene Amazonien-Synode drängt uns, wieder neu zu einer friedlichen Beziehung zwischen den Gemeinschaften und der Erde, zwischen der Gegenwart und dem Gedächtnis, zwischen Erfahrungen und Hoffnungen aufzurufen.
Dieser Weg der Versöhnung bedeutet auch, die Welt zu hören und zu betrachten, die uns von Gott geschenkt wurde, damit wir sie zu unserem gemeinsamen Haus machen. Die natürlichen Ressourcen, die vielen Formen des Lebens und die Erde selbst wurden uns nämlich anvertraut, damit sie unter verantwortlicher und tätiger Mitwirkung eines jeden auch für die künftigen Generationen „bearbeitet und gehütet“ würden (vgl. Gen 2,15). Ferner brauchen wir einen Wandel der Überzeugungen und des Blicks, der uns offener macht für die Begegnung mit dem anderen und für die Annahme des Geschenks der Schöpfung, die die Schönheit und Weisheit ihres Schöpfers widerspiegelt.
Daraus entspringen insbesondere solide Beweggründe und eine neue Art und Weise, wie wir das gemeinsame Haus bewohnen und in unserer Verschiedenheit füreinander da sein sollen, wie wir das empfangene und gemeinsame Leben führen und achten sollen, wie wir uns um die Voraussetzungen und Modelle einer Gesellschaft, welche die Blüte und den Verbleib des Lebens in der Zukunft sichern, kümmern sollen und wie wir das Gemeinwohl der ganzen Menschheitsfamilie fördern sollen.
Die ökologische Umkehr, zu der wir aufrufen, führt uns also zu einem neuen Blick auf das Leben. Dabei betrachten wir die Freigebigkeit des Schöpfers, der uns die Erde geschenkt hat und zur frohen Genügsamkeit des Teilens mahnt. Eine solche Umkehr ist ganzheitlich zu verstehen, als eine Veränderung unserer Beziehungen zu unseren Schwestern und Brüdern, zu den anderen Lebewesen, zur Schöpfung in ihrer so reichen Vielfalt und zum Schöpfer, dem Urgrund allen Lebens. Für Christen heißt dies, dass sie verlangt, „alles, was ihnen aus ihrer Begegnung mit Jesus Christus erwachsen ist, in ihren Beziehungen zu der Welt, die sie umgibt, zur Blüte zu bringen“ (Enzyklika Laudato si‘, 217).
Romano Guardini hat einer ganzen Generation von jungen Menschen Orientierung gegeben. Er formte sie in einem Geist, der Sinn vermittelte und auf Zukunft ausgerichtet war. Dass er in jungen Jahren selbst eine schwere Glaubenskrise durchgemacht hatte, kam ihm bei seinem Dienst an der heranwachsenden Jugend zugute. Er brachte Verständnis für ihre Probleme mit und konnte ihr Ringen nachvollziehen. Den Schlüssel, mit dem er selbst einen Ausweg gefunden und die Tür zu einem erfüllten Leben geöffnet hatte, gab er nun seinen Zeitgenossen an die Hand. Für Guardini war dies, wie der slowenische Theologe Prof. Dr. Anton Štrukelj in seinem Beitrag aufzeigt, die Entdeckung der Kirche.
Von Anton Štrukelj
Romano Guardini (1885-1968) wurde von Abt Hugo Lang „Erzieher Deutschlands“ (Praeceptor Germaniae) genannt. Papst Benedikt XVI. würdigte ihn als „Jahrhundertgeschenk“.[1] Am 16. Dezember 2017 wurde für ihn in München das Seligsprechungsverfahren eröffnet. Seitdem trägt er den Titel „Diener Gottes“.
Seine Kindheit verbrachte Romano Guardini in Mainz-Gonsenheim. Dorthin war seine Familie 1886 aus Verona umgezogen, als er ein Jahr alt war. Während daheim italienisch gesprochen wurde, wuchs er an der Schule in die deutsche Sprache und Kultur hinein. Im August 1903 schloss er das Humanistische Gymnasium in Mainz mit der Reifeprüfung ab.
Schwere Glaubenskrise
Zu dieser Zeit befand sich Guardini in einer schweren Glaubens- und Lebenskrise. Nach dem Abitur 1903 studierte er zunächst zwei Semester Chemie in Tübingen, drei Semester Nationalökonomie in München (1904) und Berlin, um dann im Sommersemester 1906 mit dem Theologiestudium in Freiburg i. Br. zu beginnen, das er vom Wintersemester 1906/07 ab in Tübingen fortsetzte. Im Oktober 1908 trat er ins Mainzer Priesterseminar ein und empfing am 28. Mai 1910 die Priesterweihe.
Wie kam Romano Guardini zur Entscheidung für das Priestertum? Im Buch „Berichte über mein Leben“ erzählt er von seiner Glaubenskrise:
„Damals ist mir der ganze Glaube zerronnen; richtiger gesagt, ich habe gemerkt, dass ich keinen mehr habe. Das war im Sommer 1905. … Dann kam aber eine Wendung. … Ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen, der Stunde, in welcher diese Erkenntnis zur Entscheidung wurde. Es war in meinem Dachkämmerchen im elterlichen Haus in der Gonsenheimer Straße. Karl Neundörfer und ich hatten über die Fragen, die uns beide beschäftigten, gesprochen und mein letztes Wort hatte gelautet: ,Es wird wohl auf den Satz hinauskommen: Wer sei-ne Seele festhält, wird sie verlieren; wer sie aber hergibt, wird sie gewinnen.‘ … Ich saß vor meinem Tisch, und der Gedanke ging weiter: ,Meine Seele hergeben – aber an wen? Wer ist im Stande, sie mir abzufordern? So abzufordern, dass darin nicht doch wieder ich es bin, der sie in die Hand nimmt? Nicht einfachhin Gott, denn wenn der Mensch es nur mit Gott zu tun haben will, dann sagt er: Gott und meint sich selbst. Es muss also eine objektive Instanz sein, die meine Antwort aus jeglichem Schlupfwinkel der Selbstbehauptung herausziehen kann. Das aber ist nur eine einzige: die katholische Kirche in ihrer Autorität und Präzision. Die Frage des Behaltens oder Hergebens der Seele entscheidet sich letztlich nicht vor Gott, sondern vor der Kirche‘."[2]
Entdeckung der Kirche
Diese Erkenntnis wurde für das ganze weitere Leben Guardinis entscheidend. Offenbarung und Kirche waren ihm dabei Ausgangspunkte und Grundworte. An Papst Paul VI., der am 14. Oktober 2018 während der Jugendsynode von Papst Franziskus heiliggesprochen wurde, schrieb er 1965: „Noch zur Zeit meiner ersten theologischen Studien wurde mir etwas klar, das von da ab meine ganze Arbeit bestimmt hat: Was den modernen Menschen überzeugen kann, ist nicht ein historisch oder psychologisch oder wie auch immer modernisiertes Christentum, sondern nur die uneingeschränkte und ungebrochene Botschaft der Offenbarung."[3]
Bereits 1952 hatte er an den damaligen Mailänder Kardinal Giovanni Battista Montini, den späteren Papst Paul VI., geschrieben: „Als ich noch Student der Staatswissenschaften war, wurde mir klar, dass die eigentliche christliche Entscheidung nicht vor dem Gottesbegriff, auch nicht vor der Gestalt Christi, sondern vor der Kirche fällt. Von da ab wusste ich auch, dass eine echte Wirksamkeit nur in der Einheit mit ihr möglich ist."[4]
Auf Burg Rothenfels begann Guardini als gelehrter Quickborn-Jugendpädagoge in die Breite zu wirken. In einem Hochland-Beitrag formulierte er 1922 den berühmten Satz: „Ein religiöser Vorgang von unabsehbarer Tragweite hat eingesetzt: die Kirche erwacht in den Seelen."[5] Im parallelen Essay „Vom Sinn der Kirche“ erläuterte er dazu: „Uns hilft nur klare Einsicht in Wesen und Sinn. Uns muss aufgehen: In dem Maß bin ich christliche Persönlichkeit, als ich Glied der Kirche bin, und die Kirche in mir lebendig ist. Spreche ich zu ihr, dann sage ich in einem ganz tiefen Verstande nicht ‚Du‘, sondern ‚Ich‘. […] Wir werden mit der Kirche nicht eher fertig, als bis wir so weit sind, sie lieben zu können. Nicht eher."[6] Dies war ein existentielles Christsein in der Gemeinschaft von Gebet, Liturgie und Leben.[7]
Erfahrung als Grundlage
Joseph Ratzinger, der als Glaubenspräfekt selbst ein „Der Geist der Liturgie“ genanntes Werk veröffentlichte (Freiburg 2000), sieht einen „theologischen Grundentscheid“ Guardinis eben in dem genannten Erlebnis: „Die eigentliche Grundlage seiner Theologie […] war das Erlebnis der Bekehrung, das ihm zugleich Überwindung des durch Kant repräsentierten Geistes der Neuzeit wurde. Am Anfang steht nicht Reflexion, sondern Erfahrung."[8] Mit Bezug auf ein 1923 veröffentlichtes sehr lehrreiches „Gespräch vom Reichtum Christi“ zwischen einem Caritas-Sekretär, einem Gelehrten und einem volkstümlichen Kaplan[9] sieht Ratzinger Guardinis theologische Genialität in der Verbindung von Caritas, Liturgie, Christologie und Volksfrömmigkeit bis hin zur Herz-Jesu-Verehrung:
„Es war die Gnade Guardinis, das Große einfach sagen zu können. Der Mensch ist auf Wahrheit hin geöffnet, aber die Wahrheit ist nicht im Irgendwo, sondern im Lebendig-Konkreten, in der Gestalt Jesu Christi… Nur im Ganzen ist die Wahrheit."[10]
Romano Guardini ist nicht nur ein großer Lehrer der Kirche, sondern auch ein großer Lehrer der Welt. Er hatte mit allem Ernst und aller Redlichkeit danach gefragt, was wahr ist und was nottut, bemerkt Joseph Ratzinger.[11] Guardini zeigt uns den Weg zur Wahrheit und Freiheit, wie Joseph Ratzinger an einer anderen Stelle erklärt: „Im Weg seines Studiums allerdings, in dem ihm auch die großen Glaubenszweifel gekommen sind, hat Guardini schließlich in der Liturgie die eigentliche Kirche zu Gesicht bekommen. … Er fand, dass im Grunde die Kirche die einzig wirklich kritische Macht in dieser Geschichte ist. Und dass das Gehen mit ihr, das Hineingehen in sie, das Sichanvertrauen an ihren Glauben – das angeblich nur Infantilität und Abhängigkeit ist –, in Wirklichkeit die größte Unabhängigkeit vom Zeitgeist darstellt und eine größere Kühnheit bedeutet, als es jede andere Position verkörpern könnte.
Guardini gehört zu den Pionieren, die den liberalen Trend in der Theologie abgelöst haben. Sie haben damit für eine ganze Periode, die etwa von 1920 bis 1960 reicht, eine große Freude an der Kirche, am Mit-Denken, Mit-Gehen in ihr geweckt. Bei Guardini persönlich kommt dies eben aus der Erfahrung heraus, dass ihm die Binde von den Augen genommen war und er plötzlich sehen konnte: Das ist ja ganz anders. Das ist nicht infantile Abhängigkeit, das ist Mut zum Widerspruch und die Freiheit, sich den herrschenden Meinungen zu widersetzen – die uns zugleich einen festen Grund gibt, den sich nicht die Kirche selber ausgedacht hat."[12]
Deutung der lebendigen Wirklichkeit der Welt
Kehren wir zum Lebensweg von Romano Guardini zurück. Nach der Promotion zum Dr. theol. in Freiburg (1915) und der Habilitation in Bonn (1922) wurde er im April 1923 auf den neu errichteten Lehrstuhl für „Religionsphilosophie und Katholische Weltanschauung“ an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin berufen.[13] Über die enormen Schwierigkeiten, mit denen er an der Universität, von der er mehr oder weniger ignoriert wurde, zu kämpfen hatte, berichtet er in seinen autobiografischen Aufzeichnungen. Sie sind während des kriegsbedingten Interims (1943-1945) in Mooshausen im Pfarrhaus seines Freundes Josef Weiger (1882-1966) verfasst worden.
Den entscheidenden Rat erhielt Guardini vom einflussreichen Phänomenologen Max Scheler (1874-1928), der damals in Köln lebte. „Was die Vorlesungen selbst angeht, so bestand eine große Schwierigkeit darin, dass es sich bei ihnen um kein eigentliches Fach handelte. Daher konnte ich sie nicht, wie jeder Ordinarius sonst, ausarbeiten, auf dem Laufenden halten und in gegebenen Abständen wiederholen. Was ich hatte, war im Grunde nur ein prinzipieller Ausgangspunkt, ein Standort und Maßstab für das ‚Anschauen‘; zu suchen, was von ihm aus angeschaut werden sollte, den Blick zu vollziehen und ins Theoretische zu übersetzen, war Sache einer immer neuen Bemühung. …
Der einzige Mann, der mir einen brauchbaren Rat gab, war Max Scheler. Im ersten Semester las ich über die Grundformen der Erlösungslehre. Das war natürlich ein Verlegenheitsthema; ich musste aber anfangen und dazu nehmen, was ich hatte. Er sagte, so gehe es nicht; ich solle die grundsätzlichen Gesichtspunkte an konkreten Gegenständen entwickeln – zum Beispiel an einer Analyse der Gestalten Dostojewskijs, der damals sehr aktuell war. – So habe ich viel herumgesucht und experimentiert. …
Mit der Zeit bildete ich mir einige Typen von Vorlesungen heraus, die sich bewährt haben. Das waren zunächst solche von systematischem Charakter, welche Probleme der Daseinsdeutung im Zusammenhang behandelten. … Eine zweite Gruppe waren Vorlesungen über das Neue Testament; Versuche also, den Inhalt der Offenbarung gleichsam aus ihrem Urlaut heraus zu erfassen. … Eine dritte endlich waren Interpretationen religiöser, philosophischer oder dichterischer Texte und Gestalten. Ich erkannte die Bedeutung, welche echte Interpretation für eine geistig verwaschene Zeit hat, immer besser, und bildete mir allmählich eine Methode heraus, von der genauen Deutung des Textes zum Ganzen des Gedankens und der Persönlichkeit vorzudringen und damit grundsätzliche Fragestellungen zu verbinden."[14]
Beim Rückblick anlässlich seines 70. Geburtstages hat Guardini geschrieben: „Innerhalb meiner geistigen Arbeit hat sich so wiederholt, was in meiner persönlichen Lebensgeschichte geschehen war: dass ich Eines verließ, um zu etwas Anderem zu gehen; das Erste aber nicht aufgeben konnte und daher gezwungen war, eine Einheit zu suchen, in der beides verbunden war. Was ich hier verließ, war die systematische Theologie; was ich suchte, war die ,Welt‘. Das Erste durfte aber nicht verlassen werden; so entstand die Einheit jenes Blickes, der vom Glauben hier die lebendige Wirklichkeit der Welt erfasst."[15]
Hinkehr zum Ursprung
Mit dem um 20 Jahre jüngeren Hans Urs von Balthasar (1905-1988) verband Romano Guardini eine tiefe geistige Verwandtschaft. Die Freundschaft und die gegenseitige Hochschätzung der beiden Gelehrten fanden vielfältigen Ausdruck. In seiner Monografie „Romano Guardini. Reform aus dem Ursprung“ schrieb Hans Urs von Balthasar: „,Reform‘ heißt: Wiederhinkehr zur ursprünglichen Form. ,Ursprung‘ aber scheint Leugnung jeder Form, rein urspringender Quell, rasch-lebendiges Strömen, Quick-Born. … Die Ursprünge sind auch die Urformen. Aber diese beiden Plurale bleiben ein Unterwegs; Guardini wollte immer schon und immer ausschließlicher das Ziel: den einzigen Ursprung und die einzige Form. … Guardinis geschultes Auge sah das schlichthin Unvergleichliche, das hier alles durchwaltet; dieser Ursprung war ihm das Gegenwärtigste, er kannte keine Flucht ins Vergangene und keine nach vorn, obschon ihm das Immerquellende auch jede Zeit aufschloss. Er wollte im Ereignis ausharren, staunend, redlich und treu. Er trank am Brunnenmund, und er lehrte viele, daran zu trinken und den Ursprung zu schmecken, ein halbes Jahrhundert lang."[16]
Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz schrieb in ihrem Buch über Leben und Werk Romano Guardinis: „Wenn Johannes Paul II. 1980 in Altötting nach bahnbrechenden deutschen Theologen Albertus Magnus, Nikolaus von Cues, Johann Adam Möhler, Matthias Scheeben und Erich Przywara auch Romano Guardini nannte, so ist das eines der Anzeichen für die erst noch zu leistende geistige Befruchtung der Theologie durch ihn. Ob er deswegen schon in den Rang eines ,zeitgenössischen Kirchenvaters‘ einzurücken ist, wird sich in diesem noch ausstehenden nachhaltigen Erkennen und Anerkennen durch die künftige Theologie und durch die künftige Leserschaft erweisen."[17]
[1] Vgl. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: Gottes Unbegreiflichkeit trifft das Herz. Guardinis Theologie des Herzens – Zum 50. Todestag am 1. Oktober 2018, in: IkaZ Communio 47 (2018) 514-523. [2] Guardini: Berichte über mein Leben. Autobiographische Aufzeichnungen, aus dem Nachlass hrsg. von Franz Heinrich, Düsseldorf 31985, 69-72. Das Buch ist posthum ediert worden. [3] Zitiert nach Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: Durchblick aufs Ganze, in: Joseph Cardinal Ratzinger (Hrsg.): Wege zur Wahrheit. Die bleibende Bedeutung von Romano Guardini, Düsseldorf 1985, 32-69, 35. Der ganze Aufsatz ist eine ausgezeichnete Deutung der Anliegen Guardinis. [4] Ebd., 34; vgl. dazu Manfred Lochbrunner: Papst Paul VI. und Romano Guardini, in: Forum Kath. Theologie 14 (1998), 161-188. [5] Nun in: Romano Guardini: Vom Sinn der Kirche. Die Kirche des Herrn, Mainz/Paderborn 1990, 19. [6] Ebd. 46. [7] Vgl. Stefan Hartmann: Romano Guardini als „Wächter“ der Theologie. „Wächter, wie weit ist die Nacht?“, in: Forum Katholische Theologie, 34. Jhg. Heft 3 (2018), 214-226, hier 216. (Guardini selbst hat seinen Namen als „Wächter“ übersetzt, 215). [8] Joseph Cardinal Ratzinger: Von der Liturgie zur Christologie. Romano Guardinis theologischer Grundansatz und seine Aussagekraft, in: Ders. (Hrsg.): Wege zur Wahrheit. Die bleibende Bedeutung von Romano Guardini, Düsseldorf 1985, 121-144, hier 133. [9] Jetzt in: Guardini: Wurzeln eines großen Lebenswerkes. Aufsätze und kleine Schriften, Band 1, Mainz-Paderborn 2000, 259-274. [10] Joseph Cardinal Ratzinger: Von der Liturgie zur Christologie, 141. [11] Joseph Cardinal Ratzinger: Vorwort, in: Wege zur Wahrheit, 7. [12] Joseph Ratzinger: Im Gespräch mit der Zeit, Gesammelte Schriften 13/2, Herder, Freiburg 2016, 755. [13] Zu den biografischen Daten siehe bei Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: Romano Guardini 1885-1968, Leben und Werk, Mainz 41995. [14] Guardini: Berichte über mein Leben, in: Ders.: Stationen und Rückblicke. Berichte über mein Leben, Mainz/Paderborn 1995, 44-45. [15] Ebd., 20-21. [16] Hans Urs von Balthasar: Romano Guardini. Reform aus dem Ursprung, Kösel-Verlag München 1970, Neuausgabe: Johannes Verlag Einsiedeln, Freiburg 21995, 7. [17] Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: Romano Guardini (1885-1968). Leben und Werk, 16.
Slowakische Bischöfe geben Zeugnis
Die Gender-Ideologie
In seinem Buch „Gegen den Zeitgeist"[1] erinnert Weihbischof Dr. Andreas Laun an einen Hirtenbrief, den die slowakischen Bischöfe gemeinsam herausgegeben haben. Darin finden sich sehr deutliche Worte gegen die Gender-Ideologie und rufen zur Teilnahme an einem „Marsch für das Leben“ auf, der am 22. September 2013 mit 70.000 Teilnehmern in Košice stattgefunden hat. Zwei Jahre später, am 20. September 2015, waren es bereits 85.000, die in der slowakischen Hauptstadt Bratislava mit bischöflicher Unterstützung für das Leben demonstrierten.
Von Weihbischof em. Andreas Laun
Die neue Bedrohung heißt „Gender-Mainstreaming“! Hoffnung und Sehnsucht sind, dass sich in der Kirche mehr und mehr Stimmen zu Wort melden und Nein sagen als Zeugen und Nein sagen als denkende Menschen, die die höchst gefährliche Lüge entlarven. So etwa haben sowohl Christoph Kardinal Schönborn, der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, als auch der frühere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof em. Robert Zollitsch, gegen den sogenannten „Estrela“-Antrag im Europaparlament mit seiner Forderung nach noch weitergehender Freigabe der Abtreibung, nach Homo-Ehe, nach Durchsetzung der Gender-Ideologie klar und unmissverständlich Stellung bezogen. Besonders klar und deutlich tat dies in der Schweiz auch der Bischof von Chur, Vitus Huonder. Und ein besonders kostbares, weil ausführliches und prägnantes Dokument zur Bedrohung durch die Gender-Ideologie verdankt Europa den slowakischen Bischöfen. Denn auch diese Ideologie schaffe, so die Bischöfe, jene „Kultur des Todes“, vor der Papst Johannes Paul II. gewarnt hatte, ohne dass er den Begriff „Gender“ schon kannte. Es ist hilfreich, die slowakischen Bischöfe im Volltext zu Wort kommen zu lassen:
„Liebe Brüder und Schwestern! Die Adventzeit, in die wir heute eingetreten sind, ist eine Zeit der Vorbereitung auf Weihnachten. Diese Feiertage erinnern uns an das Kommen des Sohnes Gottes in unsere Welt. Wie er selbst sagt, ist er gekommen, damit wir das Leben haben und es in Fülle haben (vgl. Joh 10,10). Das Wertvollste, das Gott der Welt und dem Menschen schenkte, ist gerade das Leben. Er hat hier dafür Bedingungen geschaffen und Gesetze festgelegt. Wenn wir sie respektieren, wird das Leben erblühen. Wenn der Mensch sich gegen Gottes Gesetze stellt, erschafft er die Kultur des Todes.
Ein besonderes Augenmerk wird auf den Menschen gerichtet. Bevor Gott ihn erschaffen hatte, bereitete er ihm einen wunderbaren und fruchtbaren Boden, damit er zur Quelle seiner körperlichen Kräfte werde. Und für sein Glück schenkte er ihm neben der Natur eine Familie. Gott will, dass jeder Mensch auf dieser Welt in diese liebevoll geordnete Familiengemeinschaft kommt. Wenn es nicht so ist, ist die Ursache entweder ein Unglück oder menschliches Versagen. Während des ganzen Lebens soll der Mensch in der Familie viele Formen des menschlichen Glücks erleben. Es beginnt mit dem Glück des Kindes, das sich in den Armen des Vaters und der Mutter sehr sicher und dabei sorgenlos fühlt. Durch das Wachsen und Reifen verändert es sich in das Glück eines verliebten Ehepartners oder einer Ehepartnerin und später in das Glück des Vaters und der Mutter. Schließlich ist es das Glück der Großeltern, wenn es ihnen geschenkt ist, freudig auf die gut erzogenen Nachkommen zu schauen, wie sie verantwortungsvoll handeln. Jede Etappe des menschlichen Glücks sichert eine geordnete Familie.
Die Familie ist eine Institution Gottes. Deshalb liegt es nicht in der Macht des Menschen, sie zu vernichten. Die Kirche betet über den Jungvermählten: Gott, du hast die Frau neben den Mann gestellt und diese Gemeinschaft schon bei der Schöpfung so gesegnet, dass sie weder durch die Erbsünde noch durch eine Sintflut zerstört werden kann. Durch dieses Gebet bekennt die Kirche auch den Glauben an die Familie als eine Institution Gottes, die die Welt überdauert. Sie muss aber nicht in Europa überleben. Auch wenn der Mensch sie nicht vernichten kann, so kann er sie verstümmeln und dies geschieht in der heutigen Welt. Durch die Zerrüttung der Familie wird das menschliche Glück, das in ihr die irdische Vollkommenheit erlangt, entwertet. Es bringt das Leben in Gefahr und fördert die Kultur des Todes.
Die Akteure der Todeskultur nutzen für ihre Durchsetzung ziemlich kalkulierte Methoden. Sie legen in sehr edle Begriffe einen komplett neuen und entgegengesetzten, also abwertenden Sinn. Sie sprechen von den ,Menschenrechten‘ und von den ,Kinderrechten‘, aber auch bei diesen Rechten wollen sie durchsetzen, was denen schadet, denen es nützen soll. Unter dem Mantel der Rechte, die sie durchdrücken, verlieren Vater und Mutter die Möglichkeit, ihre Kinder verantwortungsvoll zu erziehen. Dabei hat das Kind ein natürliches, von Gott gegebenes Recht auf Erziehung.
Vertreter der Todeskultur kommen mit einer neuen ,Gender-Ideologie‘. In ihrem Namen wollen sie die sogenannte ,Geschlechtergleichstellung‘ durchsetzen. Ein Mensch, der diesen Begriff zum ersten Mal hört, meint, es gehe darum, dass Mann und Frau gleiche Rechte und die gleiche Würde zuerkannt werden. Aber diese Gruppen zielen durch die sogenannte ,Geschlechtergleichstellung‘ auf etwas ganz anderes. Sie wollen uns überzeugen, dass keiner von uns von Natur aus als Mann oder als Frau existiert, sie wollen also dem Mann das Recht und die Identität des Mannes nehmen und der Frau das Recht und die Identität der Frau und der Familie das Recht und die Identität der Familie, damit sich Mann nicht mehr als Mann und Frau nicht mehr als Frau fühlen und damit die Ehe nicht mehr die einzige von Gott gesegnete Gemeinschaft von Mann und Frau ist, sondern sie wollen auf die Ebene der Ehe auch die Gemeinschaft zweier Männer oder Frauen stellen. So entsteht irgendein Sodomer Pasquill (Schmähschrift), das dem Willen Gottes widerspricht und die Strafe Gottes vorbereitet.
Durch edle Parolen wird im Leben der Gemeinschaft die Zersetzung des Familienlebens, das heilig sein sollte, erwirkt. Es ist eine lästernde Revolte des Menschen gegen Gott. Er hat uns nach seinem Abbild geschaffen. Der Mann bekam vom Schöpfer die Würde des Mannes, die Frau die Würde der Frau und die Familie die Würde der Familie. Davon wird auch die Würde eines Volkes abgeleitet. Dies wollen die Akteure der Todeskultur und Vertreter der Gender-Ideologie im Namen edler Leitsätze zerstören. Der Begriff Mann, Ehemann, Vater, Ritter, Gentleman ist für sie inakzeptabel. Das Gleiche gilt für die Begriffe Frau, Ehefrau, Mutter. Das Volk, bei dem es ihnen gelingt, dieses Volk verliert seine würdevolle Stellung vor Gott und auch vor der Welt.
Vertreter vieler Länder schmeicheln aus unerklärlichen Gründen diesen Akteuren der Todeskultur und kommen ihnen durch die Gesetzgebung, die manchmal gegen den gesunden Menschenverstand ist, entgegen. Diese haben keinen moralischen Stolz und bringen ihr Volk nicht nur um seine Würde, sondern geben es durch Gesetze dem Untergang preis. Es ist ein Verlust des wesentlichen Lebenssinnes – Verlust des Überlebenssinnes. Die ersten Gefahren werden auch bei uns schon sichtbar.
Wir wollen eine große Wertschätzung und einen Dank jenen Institutionen und Einzelpersonen aussprechen, die sich dieser nahenden Gefahr bewusst sind und zum Schutz der Familie und der Kultur des Lebens den „Marsch für das Leben“ in Košice (Kaschau) organisiert haben. Wir wollen Wertschätzung und Dank allen Menschen aussprechen, die diesen Marsch unterstützt und so zum Ausdruck gebracht haben, dass sie darauf Wert legen, die Institution der Familie zu retten.
Der „Marsch für das Leben“ sollte ein Appell, eine Ermutigung und moralische Unterstützung für unsere Vertreter des Staates sein, damit sie sich nicht fürchten, die Würde und Lebensfähigkeit unseres Volkes zu schützen. Wahrlich, sie haben zu diesem Appell ziemlich gleichgültig Stellung bezogen, was zeigt, dass sie die Kultur des Todes bereits verinnerlicht haben, da sie deren Akteuren nach wie vor einen großen Raum und eine beachtliche Unterstützung einräumen. Aktivisten der ,Geschlechtergleichstellung‘ geben nicht auf, sie warten auf eine passende Gelegenheit, um durch die Gesetzgebung die Erziehungs- und Bildungsprozesse zu beherrschen und diese ,Sodomer Ideologie‘ der Erziehung in der Vorschule und Schule aufzuzwingen. Es würde sich um einen Erziehungsprozess handeln, der dem Kind nicht nur seine Würde rauben, sondern es moralisch und psychisch grundlegend gefährden würde. Es würde dem Kind die Möglichkeit genommen, in jedem Bereich zu einem reifen Mann und einer reifen Frau heranzuwachsen. Für diese schreckliche Devastierung würde man den Beruf der Lehrer missbrauchen. Früher wurde der Lehrer missbraucht, um gegen den Willen der Eltern den Kindern den Atheismus aufzuzwingen, heute droht ihm noch etwas Schlimmeres. Die Akteure der Todeskultur werden auch stark von den Medien unterstützt: Lassen wir uns nicht belügen und auch nicht beeinflussen.
Die Kultur des Todes bedroht wirklich die Existenz eines Volkes. Bei so einer Bedrohung haben vorige Generationen nicht gezögert, für den Schutz des Vaterlandes zu sterben. Von uns wird ein solch großes Opfer noch nicht verlangt, aber es wird verlangt, dass wir uns in Acht nehmen. Zur Wachsamkeit rufen wir alle Machtträger auf allen Ebenen auf, Eltern, Schulverwaltungen und alle Menschen guten Willens, um die Ausdrücke der Todeskultur schon in ihrem Keim abzulehnen. Unsere Stimme bei beliebigen Wahlen kann nur jener Kandidat erhalten, der die Todeskultur ablehnt. Durch eine entgegengesetzte Haltung würden wir unsere Vorfahren verachten, die ihr Leben für das Wohl des Landes eingesetzt haben.
In dieser Advent- und Weihnachtszeit gibt Gott uns deutlich zu spüren, was in seinen Augen Familie bedeutet. Als er seinen Sohn zur Welt sandte, sorgte er nicht dafür, dass sein Sohn in einem prunkvollen Schloss geboren wurde, dass er ausgewählte Speisen bekam, sondern er sorgte dafür, dass sein Sohn auf der Welt in einer geordneten Familie aufwachsen konnte. Der Blick auf die Familie von Nazareth möge uns wachrütteln, damit wir für den Erhalt der Familie alles tun, was in unseren Kräften liegt. So wie die Familie von Nazareth durch die Flucht nach Ägypten das Kind schützte, so sind auch wir verpflichtet, um jeden Preis für die gesunde Entwicklung der Kinder zu sorgen und sie vor der gefährlichen ,Gender-Ideologie‘ zu schützen.
In fester Hoffnung, dass Sie zu diesen ernsthaften Fragen des Lebens und der Familie die richtige Stellung nehmen, erteilen wir Ihnen unseren Segen.“
[1] Andreas Laun: Gegen den Zeitgeist, geb., 140 S., 14,95 Euro (D), 15,40 Euro (A), ISBN: 978-3-9479311-0-1 – Bestell-Telefon: 07303-952331-0, Fax: 07303-952331-5, Mail: buch @media-maria.de – www.media-maria.de
Ein schwerwiegendes Missverständnis:
„Gender light“ auf katholisch?
Zum vierten Mal erscheint nun Ambo, das Jahrbuch der Hochschule Heiligenkreuz. Für viele ist es zu einem festen Begleiter durch das Jahr geworden. Es enthält Beiträge der großen Tagungen, Artikel der Professoren, Rezensionen wichtiger Bücher und Aktuelles aus dem Leben der Hochschule. Schwerpunktmäßig widmet sich der diesjährige Band von Ambo der Esoterik.[1] Wie kann die Theologie auf die aktuellen Herausforderungen reagieren? Was hat es mit Yoga und New-Age auf sich? Und wie ist das christliche Verständnis von Erlösung? Unter den renommierten Autoren finden sich Paul Josef Kardinal Cordes, Abt Maximilian Heim OCist, Wolfgang Buchmüller OCist, Karl Wallner OCist, Peter Bruns und Helmut Zander. Der nachfolgende Beitrag von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, welcher dem neuen Jahrbuch entnommen ist, zeigt, welche Hilfe die Impulse aus Heiligkreuz für die gegenwärtige Diskussion bieten. Sie sind ein Licht in unserer orientierungslosen Zeit.
Von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz
Durch die Gender-Theorie werden seit etwa 25 Jahren drängende anthropologische Fragen aufgeworfen. Ist es noch sinnvoll, zwischen Mann und Frau zu unterscheiden? Oder sind wir am Ende einer geschichtlichen Entfaltung angelangt, wo diese Unterscheidung abzulösen ist und nur das gemeinsam Menschliche betont werden soll? Können so nicht endlich bekannte, über das Geschlecht tradierte Unter- und Überordnungen verschwinden? Sind auch bisher randständige Formen geschlechtlicher Praxis, so die Homosexualität, zugunsten sexueller Vielfalt gesellschaftlich und christlich zuzulassen, ja gutzuheißen? Kann man sich durch „fließende Identität“ nach eigener Wahl in „Freiheit“ setzen? Welche Lösungen hat das Christentum?
Gleichberechtigung als verwirrendes Etikett
„Gender und Mainstreaming zusammengenommen bedeutet, soziale Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern („Gender“) in allen Bereichen immer bewusster wahrzunehmen und zu berücksichtigen („Mainstreaming“). Alle Vorhaben (in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Bildung…) werden auf ihre möglichen geschlechtsspezifischen Auswirkungen überprüft und so gestaltet, dass sie auch einen Beitrag zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern leisten. Mit dem Begriff „Gender“ werden beide Geschlechter in den Blickpunkt gerückt – Gleichstellung ist nicht nur ein „Frauenproblem“, sondern geht Frauen und Männer gleichermaßen an.“ So formuliert das Buch für den katholischen Religionsunterricht „Leben – Glauben – Lernen“ 2, 218.
Mittlerweile wird der Begriff „Gender“ „auf katholisch“ so übersetzt, dass dabei die gefährlichen Inhalte umschifft werden (so meint man – auch in der Broschüre der DBK, die offenbar von den Bischöfen vorher gar nicht eingesehen wurde). Auch viele konfessionelle Frauenverbände, so der KDFB, haben Gender auf der Agenda. Und „Gender light“ klingt ganz annehmlich – offenbar versteht man/frau darunter nur eine weitere Steigerung von „Gleichberechtigung“. Das eben ist der Irrtum – oder eine U-Boot-Strategie?
Denn: Ausgespart bleibt in dem freundlichen Zitat der harte Kern von Gender. Er lautet:
Geschlecht ist konstruiert und deswegen wählbar oder austauschbar.
Sexualpraxis ist subjektiv und nicht normativ einzuschränken.
Geschlecht: nur eine sprachliche Konstruktion
Judith Butler (*1956, Rhetorikprofessorin in Berkeley) hat mit ihrem Buch „Gender Trouble“ von 1991 eine Lawine losgetreten: „Geschlechtsidentität ist eine kulturelle Konstruktion."[2] Nicht das biologische Geschlecht sei entscheidend, sondern das soziale Geschlecht. Sozial heißt dabei nicht nur das von anderen zugewiesene, sondern das selbst gewünschte, gefühlte, auch wechselnd konstruierbare Geschlecht, verbunden mit einer offenen geschlechtlichen Praxis.
„Wie kann man am besten die Geschlechter-Kategorien stören, die die Geschlechter-Hierarchie (gender hierarchy) und die Zwangsheterosexualität stützen?"[3]
Butlers Ansatz ist erkenntnistheoretisch: Alles Wirkliche muss durch Erkennen/Sprechen vermittelt sein, auch der (eigene) Körper. Normativität könne niemals aus der Natur, immer nur aus Kultur stammen; die Rede von Mann und Frau, ausgehend vom Geschlechtsunterschied, sei in ihrer verborgenen, durchwegs unbewussten Normativität aufzudecken. Allein der bisherige Imperativ der heterosexuellen Norm führe zu einer binären Geschlechtswahrnehmung – und werde daher als einzige Wahrnehmung eingeblendet. Andere geschlechtliche Möglichkeiten gerieten damit von vornherein aus dem Blick, seien unerlaubt und sinnlos. Wenn aber Geschlecht als Konstruktion einer latenten, nicht begründeten Norm durchschaut sei, verfalle damit auch die Auffassung von einem „anderen“ Geschlecht. „Die Begriffe Mann und männlich können dann ebenso einfach einen männlichen und einen weiblichen Körper bezeichnen wie umgekehrt die Kategorien Frau und weiblich."[4]
Staat und Recht werden in Bezug auf Geschlechtsverhalten unnötig; Frauenpolitik oder Männerpolitik werden damit hinfällig. Als einzige nicht-repressive Kategorie bleibt „Mensch“ (human being) zurück, denn jede geschlechtliche Polarität stütze unterschwellig oder offen die Repression einer Seite. Dabei verschwindet „Biologie“ im „Rollenspiel“, im virtuellen, immer nur vorläufigen Selbstentwurf. Geschlecht polarisiert sich nicht mehr, sondern unterläuft den Gegensatz von männlich/weiblich.
Der Körper gilt als leer, als tabula rasa des jeweiligen Selbstentwurfes. Im Entwurf des neuen Mutterschutzgesetzes 2016 durch Ministerin Schwesig heißt es: „Als Frau im Sinne des Gesetzes gilt, wer schwanger ist, ein Kind geboren hat oder stillt, unabhängig von dem Geschlecht, das im Personalausweis eingetragen ist.“
„Unabhängig vom Geschlecht“ kann (soll?) der Körper mehrfach und immer wieder überschrieben werden. Nicht Identität ist das Ziel, sondern fließende Identität (flowing identity). „Das Geschlecht ist nie, sondern bleibt ein permanentes Werden! In diesem Sinne ist die Geschlechtsidentität ein Tun."[5] Gendergerecht wird empfohlen, für Kinder einen geschlechtsneutralen Vornamen zu wählen, im Englischen etwa „Storm“.
Sprachzerstörung
Dieser Vorschlag geht folgerichtig an die Grenzen der Sprache, sofern sie unterschwellige Normen oder eben binäre geschlechtliche Zuweisungen tradiert. Tatsächlich ist die Umformung von Sprache ebenfalls ein politisches Ziel dieser Art von Konstruktivismus.[6] Auch Grammatik wird aufgebrochen: In englischsprachigen Ländern, vor allem in den USA und Australien, wird anstelle von he/she oder her/his tendenziell das „gender-neutrale“ they oder their im Sinne eines Singulars (!) propagiert, auch wenn es grammatisch missverständlich wird. („This person carries their bag under their arm.“) In Spanien ist es unter der sozialistischen Regierung bereits Gesetz, anstelle von Vater und Mutter in den Geburtsurkunden nur noch „Progenitor A“ und „Progenitor B“ einzutragen, um Geschlechtsangaben zu vermeiden. Dass es damit sprachlich nur noch „Erzeuger“, nicht aber mehr „Gebärende“ gibt, ist offensichtlich gegen eine sperrige Sprache, die noch „prämodernen“ Mustern verhaftet bleibt, in Kauf zu nehmen. Bereits 2001 hatte die damalige PDS (heute: Die Linke) in den Deutschen Bundestag den Antrag eingebracht, Geschlechtsbezeichnungen als diskriminierend aus dem Personalausweis zu tilgen. Mittlerweile gibt es die Angabe „Intersex“ als dritte Geschlechtsbezeichnung im Personalausweis.
Plurale und polymorphe Geschlechtsbeziehungen
Konkret und offen zielt die Gender-Theorie auf eine neue Praxis und Gegennormierung: Homosexualität, sogar inzestuöse Verbindungen (so in der Antigone-Auslegung Butlers[7]), werden nicht nur als individuelle Möglichkeiten, sondern auch als politisches Mittel vorgeschlagen, um die staatliche Gesetzgebung zur Aufhebung bisheriger Normen zu zwingen und die individuelle Wahl variabler Geschlechtsbetätigung zu ermöglichen. Staat und Recht werden im Blick auf Geschlecht unnötig; Staat wird in Individuen atomisiert, deren Geschlecht als (vorläufige) Geschlechtsorientierung nicht mehr abgefragt werden darf.
In der heutigen Konsequenz der Richtlinien zur Sexualerziehung in Schulen bedeutet das, wie mittlerweile bekannt: Vom Kindergarten an soll daher Akzeptanz = Billigung (nicht mehr nur Toleranz = Duldung) verschiedener geschlechtlicher Praktiken als „Normalität“ gelernt werden. Im Internet ist eine entsprechende Liste von 60 Geschlechtern bzw. sexuellen Praxen abzurufen.
„Liebe, wen immer du willst und wie du willst“: homo-, hetero-, bi-, trans- oder queer in jeder der 60 Varianten. Für Butler, die selbst lesbisch lebt, gilt es, damit „rivalisierende, subversive Matrixen der Geschlechter-Unordnung (gender disorder) zu eröffnen."[8]
Kritik der Gender-Theorie: Decarnation statt Incarnation
Postmoderne Entleiblichung: Gibt es einen vorgeschlechtlichen Körper?
Das Gender-Konzept hat den hohen Preis der Leibvergessenheit. Es wiederholt damit in anderer Absicht einen (deutlich maskulinen) Dualismus, der den Leib als mechanischen Körper sah und ihn vom Ich abspaltete. In der Behauptung vom konstruierten Geschlecht lässt sich diese tief problematische Ausblendung, fast überscharf, erkennen: Aus dem lebendigen Leib wird instrumenteller, werkzeuglicher, stummer Körper. Seine natürliche Symbolik wird nicht fruchtbar, die phänomenale Selbstaussage kastriert.[9]
Das Ich kennt keine Fleischwerdung. So gesehen liefert Butler eine erneute Variante einer hartnäckigen Körper-Geist-Spaltung, anstatt ihn aufzuheben, wie sie behauptet.[10] Von woher der Wunsch zur „autonomen“ Beschriftung des Körpers genommen wird, bleibt unklar – gibt es nicht wenigstens vage reale Vorgaben für diesen Wunsch? Die Dekonstruktion des Leibes gerinnt zur Geste des Imperators, der in fremdes, unkultiviertes Gebiet eindringt und es besetzt – obwohl er dies doch selbst „ist“. Widerstandslos, ja nichtig bietet sich der Leib als „vorgeschlechtlicher Körper“ an.
Die Gender-Theorie hätte niemals Erfolg gehabt, schon wegen ihrer Ferne zur Lebenswelt, wenn sie nicht zugleich auf einer anderen Dynamik aufbaute: einer neuen distanzierten Sachlichkeit gegenüber dem eigenen Körper. Utopien der fließenden Identität im Sinne des totalen Selbstentwurfes setzen sich zunehmend durch. Einige Beispiele: Der Popstar Michael Jackson ließ sich mithilfe mehrerer Operationen ein transsexuell-synthetisches Gesicht komponieren. Berichte über berühmte Transsexuelle bestärken diese Tendenz. So schwelgte Roberta Klose, geboren in Brasilien als Luiz Roberto Gambine Moreira, über die Möglichkeiten der Medizin in der Schweiz: Mit einem Züricher verheiratet, wollte sie/er ein Kind „mit eigenem Samen, der in einem Schweizer Laboratorium lagert. Vor der Geschlechtsumwandlung 1989 im Londoner Charing-Hospital hatte Roberta Klose vorgesorgt, ein gute Freundin wird die Leihmutter spielen“.[12] „Ich“ und „mein Körper“ werden zu angeblich virtuellen Größen: Decarnation statt Incarnation.
Grenzen zwischen Fleisch und Plastik, Körper und Computer werden dabei verwischt. Festzustellen sind mannigfaltige, auch künstlerische Ansätze zur Auflösung und Neuinstallation des Körpers im Sinne einer fortlaufend zu inszenierenden Identität, die sowohl die bisherige angebliche Starre des Körperbegriffs als auch seine Abgrenzung von der Maschine aufheben – zumindest fiktiv in spielerischer Virtualität, teils bereits real mithilfe operativer Veränderung.[12] Nicht weniger exotisch wirkt die postmoderne Folgerung, den Begriff Körper überhaupt durch den Begriff „Cyborg“ = „Cyber Organismus“ abzulösen, so die amerikanische Feministin Donna Haraway.[13] Als Cyborg gilt die symbiotische Beziehung zu einer Maschine (z.B. bei der Dialyse), aber auch zu in den Körper eingebauten Chips, die den Körper steuern und ihn selbst nahe an eine Maschine heranrücken.
So wird der Mensch seine eigene Software mit der entsprechenden Pflicht zur (Dauer-) Veränderung – diese Vision kennzeichnet eine Zerstörung, zumindest die Vernachlässigung eines umfassenden Leibbegriffs. „Gender nauting“ ist angesagt: das Navigieren zwischen den Geschlechtern. Die Gender-Theorie steht im Bann einer Ferne zum lebendigen Leib, der ja gegeben und genauer noch: vorgegeben ist. Geschlechtsunterschiede sind leibhaft eingezeichnet und nicht hintergehbar. Das belegen „harte“ Naturwissenschaften wie die Genetik, Hirnforschung, Andrologie und Gynäkologie, Psychologie, überhaupt die Neurowissenschaften.[14]
Die Sprache des Leibes: mehr als Körper
Das deutsche Wort Leib verbindet in seiner Wortwurzel lb- Leben und Liebe. Mit Leib ist daher kein naiver Naturbegriff mehr verbunden, sondern an ihm zeigt sich die schöpferische Überführung von Natur in kultivierte, angenommene, endliche Natur. Gerade deswegen ist Leibsein nicht in einem flachen Materialismus zu verstehen. Das Geheimnisvolle, dass nur Frau und Mann „ein Fleisch“ werden und dabei neues Leben im Fleisch hervorbringen, ist das Phänomen, um das es im Leib geht. Diese „Fleischwerdung“ miteinander enthält bereits die Aussage, dass in der gegenseitigen Hingabe kein beliebiges und austauschbares Spiel steckt, sondern dass der Geschlechtsakt und die in ihm unerhört aufklingende emotionale und geistige, sich im Kind unmittelbar verkörpernde Erfahrung einzigartig sind. Einzigartiges aber ist von sich aus tiefe Wirklichkeit, ja, als die sonst (vielleicht gerne) verdeckte Tiefe der Wirklichkeit zu erfahren, die nicht beliebig abrufbar oder manipulativ zu „haben“ ist.
Daher ist die Sprache des Leibes „von selbst“ auf Dauer hingeordnet gegenüber dem, der sich ganz schenkt, weil sich im Schenken neue, alles verändernde Wirklichkeit auftut: Sie gelingt nur gemeinsam. Dauer meint Treue, und Treue meint wegen der Wucht und Einzigartigkeit des Vorgangs Ausschließlichkeit: „Du für immer“. Sie meint weiterführend auch Unauflöslichkeit, der die Zeit nichts anhaben kann – so wie auch die gemeinsame Zeugung eines Kindes nicht zurückzunehmen ist. Die Sprache des Leibes kann aber nicht mehr gelingen, wenn sie nicht mehr durchpulst ist von Leben und Liebe und Ausschließlichkeit – von sich aus enthält der Leib jedoch jederzeit eine große gegenseitige Beseligung. Das führt zur Frage einer umfassenden „Erziehung“ zur Geschlechtlichkeit, nicht aber zur Leugnung der Leibsprache als solcher.
Der Charakter der Hingabe kann freilich durch unreine und vordergründige geschlechtliche Akte verfälscht werden und wird beständig verfälscht. Der Leib kann nicht mehr „sprechen“, wenn er sich an einschränkende Bedingungen halten muss: „Gib dich mir nur für den Augenblick; ich will meine Befriedigung, nicht deine Liebe; auf keinen Fall ein Kind…“ Wo Sexualität von Anfang an auf mehrere Partner ausgerichtet ist, zeitgeistig oder aus eigener Beschränkung heraus, gelangt die Sprache des Leibes gar nicht zu ihrer ganzen Selbstaussage: Sie versackt einfach im Selbstgenuss. Wie wenig das von dem Partner „verziehen“ wird, zeigen die Erzählungen aller Kulturen, die die dramatische Rache der Betrogenen ausmalen. Alltäglicher zeigen es die Entfremdungen und Einsamkeiten inmitten einer überbordenden Sexpraxis.
Die Fruchtbarkeit
Ebenso eindeutig gehört zur Sprache des Leibes die Fruchtbarkeit. Sie auf Dauer oder aus egozentrischen Gründen zu unterdrücken, chemisch zu nivellieren oder umgekehrt technisch zu stimulieren, macht aus dem Leib den „Körper“, der eben als Werkzeug zum Lustgewinn gesehen wird. Stattdessen gilt der Satz von Helmuth Plessner: „Ich habe einen Körper, aber ich bin mein Leib.“ Eros und Fruchtbarkeit lassen sich nicht auf Dauer trennen, denn der Eros selbst übersteigt sich in die Fruchtbarkeit, und die Fruchtbarkeit bindet wiederum zusammen. Der Mann wird nur an der Frau zum Vater, die Frau nur am Mann zur Mutter, das Kind nur an den Eltern zum Menschen. Wo der Geschlechtsgenuss das Kind grundsätzlich verweigert,[15] wird im Umkehrschluss der andere, die andere verweigert.
Abweichungen von der Norm?
In jeder Bevölkerung gibt es einen Prozentsatz, der sich geschlechtlich anders einordnet. Vier Varianten werden häufig genannt:
Intersexe: Geschlecht ist anatomisch, chromosomal, hormonell uneindeutig, unter 0,001%. Auf hunderttausend Neugeborene kommt ein intersexuelles Kind.
Transsexuelle: fühlen sich im „falschen Körper“ und wünschen oder veranlassen eine Geschlechtsumwandlung.
Transgender: sind biologisch eindeutig, nehmen aber äußerlich und habituell das andere Geschlecht an, ohne operativen Eingriff.
Homosexuelle: leben in gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Nach Umfragen 2014 in den USA sind dies 1,7%, Großbritannien 2,7%; in Deutschland sind keine Umfragewerte bekannt. Die Zahlen sind weit entfernt von den „gefühlten“ 10% Homosexuellen.
Dass die genannten Gruppen um volle politische und juristische Anerkennung kämpfen (so die Intersexe um ein drittes Geschlecht in Formularen), ist nachvollziehbar. Doch liegen die Zahlen, soweit erhärtet, im unteren einstelligen Drittel und drängen keineswegs auf eine Umstellung geschlechtlicher Kategorien. Von 60 Geschlechtern zu sprechen, wie erwähnt, entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage. Bedenkenswert ist: Alle genannten Abweichungen realisieren ihre Sexualität, „als ob“ Mann oder Frau agierten – die Polarität ist nicht zu unterlaufen.
Zum Glück verschieden: das andere Geschlecht als Gegenspannung
Das Hinausgehen aus sich ist unvergleichlich fordernder, wenn es nicht nur auf ein anderes Ich, sondern auf das andere Geschlecht trifft – auf unergründliche Entzogenheit, bis ins Leibliche, Psychische, Geistige hinein. Diese Differenz auszuhalten, vielmehr sich in sie hineinzubegeben und hineinzuverlieren, erfordert Mut. Vielleicht ist wirklich nur die Liebe im Sinn von Tollkühnheit fähig, sich überhaupt einzulassen auf das schlechthin andere und sich nicht nur selbst zurückzuspiegeln: Frau ist bleibendes Geheimnis für den Mann und umgekehrt. Wer diesem zutiefst anderen antwortet, begegnet dem eigenen Leben: der eigenen Kraft zum elterlichen Dasein, zum älteren Du. Noch weiter gedacht: Man begegnet dem zukünftigen Leben als solchem, denn tatsächlich entsteht die neue Generation nur aus Mann und Frau. Wer den Leib zu einer „Zuschreibung“, zum konstruierten Geschlecht, zum beliebigen Selbstentwurf macht, unterbestimmt das Leben.
Natürlich kann auch der Schritt in die Differenz missglücken. Es macht die Not der Existenz aus, dass sie alle Lebensvollzüge degradieren kann. Es gibt die Zweckgemeinschaft Ehe, den Selbstgenuss im Sex, den frustrierten, leer gewordenen Zölibat, das erzwungene, lähmende Alleinsein, den Egoismus zu zweit. Aber das hindert nicht anzuerkennen, dass die Polarität der Geschlechter ein optimum virtutis, ein Äußerstes an Kraft herausfordert.
Die Frau ist weder Männin noch Menschin, den Mann ohne Eigenschaften gibt es nicht. Die Natur arbeitet grundsätzlich mit dem Schloss-Schlüssel-Prinzip: der gegenseitigen Ergänzung zweier genau abgestimmter Geschlechter. Zwei Schlüssel schließen nichts auf, zwei Schlösser schließen nichts zu. Auch Butler muss zugeben, dass Homosexualität die Heterosexualität „nachbauen“ muss; allerdings versucht sie, dies zu entwerten: „Die Reproduktion heterosexueller Konstrukte in nicht-heterosexuellen Zusammenhängen hebt den durch und durch konstruierten Status des sogenannten heterosexuellen ‚Originals‘ hervor. Denn Schwulsein verhält sich zum Normalen nicht wie die Kopie zum Original, sondern eher wie die Kopie zur Kopie."[16] Damit gibt es offenbar überhaupt keinen ursprünglichen Geschlechtsakt?
Fleischwerdung mithilfe des Göttlichen
Wie spielt das Göttliche hinein in die eigene und die gemeinsame „Fleischwerdung“? Nie wird nur primitive Natur durch das Christentum verherrlicht: Sie ist vielmehr in den Raum des Göttlichen zu heben und heilend zu bearbeiten. Als ursprünglich paradiesische Gaben (Gen 1,27f.) bedürfen Eros und Fruchtbarkeit „nach dem Fall“ ausdrücklich des Sakraments: Wegen ihrer Gefährdung werden sie in den Bereich des Heiligen gestellt.
Das Glücken einer endlichen und daher schwierigen Begegnung kann durch die Anrufung des Heiligen nicht „garantiert“ werden, aber in seinem Schutz stehen die Elemente, unter denen die schwierige Balance gelingen kann:
zum Ersten das Doppelgeschlecht als leibhafte Vorgabe anzuerkennen,
zum Zweiten sich das Kind durch den anderen geben zu lassen,
zum Dritten die Ehe unauflöslich, auf Dauer als „ein Fleisch“ zu wollen.
Der tiefste anthropologische wie theologische Gedanke des Schöpfungsberichts ist wohl jener, dass die Liebesgemeinschaft von Mann und Frau eine Ahnung von der Liebesgemeinschaft in Gott selbst verleiht – ja, dass sich gerade an der Geschlechtlichkeit des Menschen, so geheimnisvoll sie für sich selbst schon ist, das eigentliche Geheimnis, nämlich das unerhörte, unvorstellbare schöpferische Füreinander und Ineinander des göttlichen Lebens ausdrückt. Anders: Die Geschlechtlichkeit von Mann und Frau lässt bereits die Wahrheit anschaulich werden, dass Gott in sich selbst Liebe ist (vgl. 1 Joh 4,16). Schon von der zweifachen Gestalt des Menschen her wäre klar, dass Gott nicht selbstgenügsam, schweigsam, verschlossen ist, vielmehr Hingabe, Gespräch, Beziehung – eben Liebe. Geschlechtliche Gemeinschaft als Abglanz der göttlichen Gemeinschaft – damit wäre der griechischen Trauer über die Zweiheit des Menschen eine unglaubliche Antwort gegeben: statt Trauer die Seligkeit, ihn in der Liebe „abzubilden“.
Diese Wahrheit ist lebensbestimmend: Wie tief in Ihm der Ursprung alles Lebendigen, alles Menschlichen, des Eros zwischen den Geschlechtern, ja der unbeschreiblichen Freude der Mutterschaft und Vaterschaft zu verehren ist. Deswegen ja auch die Fassung der Ehe als Sakrament: Gott als Weg von mir zu dir. Geschlechtlichkeit als Fenster und Durchsicht auf seine Gegenwart. Das letzte Konzil hat dankenswerterweise die Ehezwecke umgestellt und die gegenseitige Liebe in die erste Bedeutung gehoben. Nach wie vor freilich ermangeln Alltag wie Lehre einer christlichen Erotik, die auf der Genesis sowie der paulinischen und johanneischen Theologie gründet und als Schatz aus dem Acker gehoben gehört.
Der Leib: Lieblingsweg der Gnade
Leib ist immer schon Vorgabe meiner Lebendigkeit – aber nicht im Festhalten als „meine“, für andere unzugängliche Habe, sondern im Weitergeben, sogar im Entäußern meines Inneren an einen anderen. Aber auch nicht – wie bei Gender – im Verwerfen der Gabe und in ihrem Umschreiben zur Selbstbemächtigung, in der Sterilität der Verweigerung: Ich will mir nicht gegeben sein, ich will mich selbst „schaffen“. Mein Leib ist Gabe statt Habe – und damit tut sich zwingend die Frage nach dem Geber auf. Leib ist sogar der Lieblingsweg der Gnade. Im Christentum sind alle Sakramente, die gesamte Liturgie, die Hoffnung auf endgültige Auferstehung leib-gebunden. Die Gender-Theorie führt dagegen einen völlig areligiösen Diskurs.
Die Denk-Wege Papst em. Benedikts XVI. sind nach wie vor hilfreich, um im Ansturm solcher Fragen Erprobtes und Neues sinnvoll zu vereinen. Ohne dass er unmittelbar auf Gender eingeht, heißt es in seiner Berliner Rede von 2011: „Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann. Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur hört, sie achtet und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit."[17]
[1] Wolfgang Buchmüller/Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (Hg.): Ambo/Jahrbuch der Hochschule Heiligenkreuz 2019 (4. Jg.): Esoterik versus Erlösung, 576 S., HC, ISBN 978-3-903118-86-7, 24,90 Euro; Tel.: +43(2258)8703-400, Mail: bestellung@bebeverlag.at – www.klosterladen-heiligenkreuz.at [2] Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a. M. 1991, 22. [3] Ebd., 8. [4] Ebd., 23. [5] Ebd., 49. [6] Vgl. Ann Pauwels: Gender Inclusive Language: Gender-Aspekte der Globalisierung der englischen Sprache, Vortrag im Gender-Kompetenz-Zentrum der HU Berlin vom 16. April 2004. [7] Judith Butler: Antigones Verlangen: Verwandtschaft zwischen Leben und Tod, Frankfurt a. M. 2001. [8] Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, 39. [9] Vgl. Edith Steins Phänomenologie der Leiblichkeit, in: Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: Zwischen Somatismus und Leibferne. Zur Kritik der Gender-Forschung, in: IKAZ Communio 3 (2001) 225-237. [10] Vgl. die scharfen, auch feministischen Kritiken in: Eva Waniek/Silvia Stoller (Hg.): Verhandlungen des Geschlechts. Zur Konstruktivismusdebatte in der Gender-Theorie, Wien 2001. [11]„Das schönste Fotomodell wird endlich eine Frau“, in: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 63 vom 17.3.1997, 28. [12] Vgl. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: Frau – Männin – Menschin. Zwischen Feminismus und Gender, Kevelaer 2015. [13] Donna Haraway: Woman, Simian and Cyborgs. The Reinvention of Nature, London 1991. [14] Vgl. Doris Bischof-Köhler: Von Natur aus anders. Die Psychologie der Geschlechtsunterschiede, Stuttgart 42011; Louann Brizendine: Das weibliche Gehirn. Warum Frauen anders sind als Männer, München 2008; dies.: Das männliche Gehirn. Warum Männer anders sind als Frauen, Hamburg 2010. [15] Davon unabhängig gibt es tiefreichende Gründe, keine Kinder zu haben oder ihre Zahl zu beschränken. Aber die Beschränkung darf sich nicht unterschwellig gegen den Partner oder auf den Egoismus richten. [16] Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, 58. [17]www.btg-bestellservice.de/pdf/ 20099810.pdf
„Kirche in Not“ dokumentiert zunehmende Christenverfolgung
Verfolgt und vergessen?
„Sie schlugen und vergewaltigten uns. Am schlimmsten war es, dass neunjährige Mädchen vergewaltigt wurden.“ Dies sind die Worte von Rita Habib, einer Christin, die in der irakischen Ninive-Ebene lebt. Extremisten des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) hatten sie verschleppt und als Sklavin verkauft. Ihr Bericht ist einer von vielen, die dem weltweiten päpstlichen Hilfswerk „Kirche in Not“ vorliegen. Als Organisation, die in 140 Ländern der Welt pastorale und Notfall-Hilfe anbietet, hat „Kirche in Not“ es sich zur Aufgabe gemacht, Menschenrechtsverletzungen gegen Christen zu dokumentieren. Dazu dient der aktuelle Bericht „Verfolgt und vergessen?“, der den Zeitraum von 2017 bis 2019 umfasst.
Von KIRCHE IN NOT
Asien: Neuer Brennpunkt der Christenverfolgung
Im Süden und Osten Asiens hat sich die Lage der Christen am meisten verschlechtert. Die Länder dort sind aktuell der weltweite Brennpunkt der Christenverfolgung.
Seit Jahrzehnten ist Nordkorea das wohl schlimmste Land für Christen. Die Lage dort stellt sich weiterhin so schlecht dar, dass sie sich kaum noch verschlechtern kann. Berichten zufolge befinden sich bis zu 70.000 Christen in Lagern.
Zwei der schwersten Angriffe islamistischer Milizen auf Christen ereigneten sich im asiatischen Raum. Am 27. Januar 2019 explodierten während des Sonntagsgottesdiensts zwei Bomben in der Kathedrale von Jolo im Süden der Philippinen. 20 Menschen kamen ums Leben, es gab mehr als 100 Verletzte. Die islamistische Gruppierung Abu Sajaf war an den Anschlägen beteiligt, der IS reklamierte die Tat für sich.
Der IS bekannte sich außerdem zu den Anschlägen in Sri Lanka am Ostersonntag 2019. Bei Bombenattacken auf drei Kirchen wurden 258 Menschen getötet und mehr als 500 Menschen verletzt. Schon zuvor hatten in Sri Lanka Extremisten Gewaltakte verübt, die sich gegen Christen wie Muslime richteten.
Neben islamistischer Gewalt sind zunehmender nationalistischer Populismus und autoritäre Regime Hauptantriebsfedern für die Verfolgung von Christen im asiatischen Raum. In Pakistan werden Christen und andere Minderheiten sowohl von staatlicher Seite als auch durch zivile Akteure bedroht.
In Indien geht die größte Bedrohung vom Nationalismus der Hindutva-Bewegung aus. Von Anfang 2017 bis Ende März 2019 waren mehr als 1000 Angriffe auf Christen zu verzeichnen. Die militanten Hindutva-Anhänger beschuldigten Christen missionierender Handlungen unter Missachtung der in neun Bundesstaaten geltenden Antibekehrungsgesetze.
In China hat sich die Lage für Christen und andere Minderheiten verschlechtert. Die am 1. Februar 2018 in Kraft getretenen neuen Vorschriften für religiöse Angelegenheiten erklären „nicht genehmigte“ religiöse Aktivitäten für illegal. Obgleich der Vatikan ein vorläufiges Abkommen mit China unterzeichnet hat, nahmen die Repressionen gegen die katholische Kirche zu.
Afrika: Islamisten und autoritäre Regime bedrohen religiöse Minderheiten
Auf dem gesamten afrikanischen Kontinent bleibt das Ausmaß der Gewalt gegen Christen unverändert kritisch. Im Juli 2019 berichtete Bischof Laurent Birfuoré Dabiré aus Burkina Faso von Islamisten, die vier Christen getötet hatten und mit der Ermordung weiterer Christen drohten, wenn diese sich weigerten zu konvertieren.
In vielen Ländern ist zu beobachten, dass Extremisten konzertiert vorgehen und dabei auf materielle wie ideologische Unterstützung aus dem Ausland zurückgreifen können. In Madagaskar, einem mehrheitlich christlichen Land, warnte Désiré Kardinal Tzarahazana im Juni 2018 vor radikalen missionierenden Islamisten, die „Menschen kaufen“, und wies auf Pläne hin, 2600 Moscheen im Land zu errichten.
In Nigeria setzen militante Gruppen im Norden und im sogenannten „Middle Belt“ ihre Schreckensherrschaft gegen Christen und Muslime fort. Nigeria ist das Land, in dem die meisten Christen getötet werden. Berichten zufolge waren es 3731 Todesopfer im Jahr 2018. – Im April 2018 stürmten in der Morgendämmerung ungefähr 30 Bewaffnete im Ort Mbalom die Kirche St. Ignatius, in der gerade der Gottesdienst begann. Sie massakrierten 19 Menschen. Alle verfügbaren Indizien deuteten darauf hin, dass militante islamistische Fulani-Hirten für den Überfall verantwortlich waren. Dies wiederlegt die Behauptung, Religion spiele keine Rolle bei der von den Nomaden verübten Gewalt. – Währenddessen setzt Bo-ko Haram im Norden Nigerias seine Angriffe auf Christen, Muslime und andere Bevölkerungsgruppen fort. Die islamistische Miliz scheint immun gegen staatliche Sicherheitsmaßnahmen zu sein.
In der Zentralafrikanischen Republik geraten infolge bewaffneter Konflikte Christen und andere religiöse Gruppen ins Visier. Mindestens 112 Menschen wurden im November 2018 in einem Flüchtlingslager der katholischen Kirche in Alindao niedergemetzelt.
In Eritrea wandte sich der Staat mit voller Wucht gegen die Kirche. Im Juni 2019 berichteten „Kirche in Not“ nahestehende Quellen, die Regierung habe innerhalb einer Woche die letzten verbliebenen 21 von der katholischen Kirche geführten Krankenhäuser, Gesundheitszentren und Kliniken konfisziert und geschlossen.
Naher Osten: Rückgang der Gewalt – Exodus der Christen hält an
Es gibt auch gute Nachrichten zu vermelden: Im Nahen Osten hat die Christenverfolgung nachgelassen. Hauptgrund ist die militärische Niederlage des IS. Dennoch leben Ideologie und Anhänger weiter: Der IS zeichnet weiterhin für einzelne Anschläge verantwortlich.
Die Folgen des Genozids an Christen und anderen Minderheiten durch die IS-Truppen sind auch weiterhin spürbar – psychisch, wirtschaftlich, aber vor allem durch die anhaltende Abwanderung von Christen aus der Region. Beispiel Irak: Vor 2003 waren es noch 1,5 Millionen Christen, im Sommer 2019 lag die Zahl der Christen deutlich unter 150 000. Dies bedeutet, dass innerhalb einer Generation die christliche Bevölkerung im Irak um mehr als 90 Prozent geschrumpft ist. Das Überleben des Christentums im Irak ist zunehmend von Erbil und der Ninive-Ebene abhängig, wo „Kirche in Not“ christliche Binnenflüchtlinge dabei unterstützt, nach der Niederlage des IS in ihre alte Heimat zurückzukommen. Bis Juni 2019 waren 46 Prozent der christlichen Bewohner zurückgekehrt.
In Syrien wurde die Zahl der Christen Mitte 2017 auf weniger als 500.000 geschätzt – zu Beginn des Krieges waren es 1,5 Millionen. Laut dem maronitischen Erzbischof Joseph Tobji aus Aleppo handelt es sich bei 40 Prozent der verbliebenen Christen in seiner Stadt um ältere Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Junge Männer verlassen das Land, um dem Militärdienst zu entgehen.
Die zehn Millionen Christen in Ägypten haben den Stürmen islamistischer Gewalt besser standhalten können. Die Schwere der Angriffe nahm ab, auch wenn die Lage weiterhin angespannt ist. Im November 2018 wurden sieben Menschen getötet und neunzehn Menschen verletzt, als Islamisten drei Busse mit christlichen Pilgern überfielen.
Keine guten Aussichten
In einigen Teilen der Welt ging die Gewalt gegen Christen zwar zurück, doch gelang in den vergangenen zwei Jahren kein Durchbruch in Sachen Religionsfreiheit. Es ist auch nicht wahrscheinlich, dass es in absehbarer Zeit so sein wird.
„Kirche in Not“ wird die bedrängten Christen dabei unterstützen, die Verfolgung zu überleben und Zeugnis für ihren Glauben abzulegen. Ihr Zeugnis der Hoffnung gegen alle Widerstände ist die größte Quelle der Inspiration für alle, die ihnen helfen.
Dr. Peter Dyckhoff führt in sein neues Buch ein, in dem er das Wort Gottes als tragende Kraft für unser Leben erschließt.[1] Anhand von authentischen Lebensgeschichten zeigt er auf, wie wir als Christen mit Schicksalsschlägen, schwierigen Entscheidungen und ungelösten Problemen fertig werden können. Ein herrliches Buch, einfühlsam und ausgewogen – Frucht einer langen pastoralen Erfahrung.
Von Peter Dyckhoff
Als katholischer Priester und Gemeindepfarrer habe ich es allzu häufig erlebt und erlebe es ständig wieder, dass es vielen Gläubigen schwerfällt, die Worte aus der Heiligen Schrift, vornehmlich die Worte Jesu selbst, auf ihre gegenwärtige Lebenssituation zu beziehen. Zu den wichtigen Aufgaben eines Geistlichen gehört es, eine Brücke zu schlagen zwischen der Situation, in der sich ein Mensch gerade befindet, und dem Wort Gottes, das der Herr immer neu in unsere Gegenwart spricht.
Dieses Buch möchte dabei ein Begleiter und eventuell auch Türöffner sein, um den Ratsuchenden in neue Räume, das heißt, Denk- und Betrachtungsweisen zu führen, die ihm Lösungen für sein Problem anbieten. Der Leser bekommt den Impuls, sich mit Unterstützung des göttlichen Wortes und der göttlichen Gnade auf einen neuen Weg zu begeben. Wenn man sich in Begleitung des göttlichen Wortes aus der Heiligen Schrift vertrauensvoll neu orientiert, darf man sicher sein, auf seinem weiteren Weg gut beraten und gut geführt zu werden.
Diese Situation habe ich versucht aufzugreifen, indem ich zunächst eine Begebenheit schildere, in der Menschen sich verfangen haben und nach einer Befreiung suchen. Es können aber auch Lebenssituationen sein, in denen Menschen großartig gehandelt haben und durch die Heilige Schrift Bestätigung bekommen. Am Anfang eines jeden geschilderten Erlebnisses steht ein Bibelzitat; ebenso klingt die Begebenheit mit einem oder mehreren Worten aus der Bibel aus.
Die ausgewählten Worte nehmen nicht für sich in Anspruch, eine konkrete Lösung der angesprochenen Lebenssituation zu sein. Mit Hilfe göttlicher Unterstützung müssen wir – und das jeder für sich – unseren individuellen Weg finden und ihn auch gehen. Die Texte dieses Buches möchten uns in unserem Individuationsprozess zu größerer Klarheit und Entschiedenheit führen, uns die Frage nach dem Sinn des Lebens näher bringen und vor allem bewusst machen, dass die Weltgeschichte seit der Geburt Jesu Christi zur Heilsgeschichte geworden ist.
Wer sich mit diesem Buch beschäftigt, darf nicht erwarten, fertige Lösungen für sein Problem zu finden. Das wäre zu einfach und ist auch kaum vorstellbar, da wir alle in einem Prozess stehen, der uns reif für den „Himmel“ machen möchte. Wenn wir versuchen, uns guten Willens dem Herrn zu nähern, wird uns eine größere Offenbarung seiner Geheimnisse zuteil. Dies kann nicht durch reines Denken geschehen, sondern muss von praktischer Erfahrung begleitet sein. Damit ist gesagt, dass wir manches Mal mit einem uns auferlegten Kreuz eine längere Zeit leben müssen, ohne den Herrn aus unseren Augen und unserem Herzen zu verlieren; auch dürfen wir der Hoffnung auf Gottes Liebe und unsere Erlösung durch ihn nicht verlustig werden.
Durch die Bibelzitate soll zwar eine mögliche Lösung des beschriebenen Problems angedeutet werden, doch in erster Linie soll eine Verbindung zum Schöpfer hergestellt werden, aus der der zu Gott Aufschauende neue Hoffnung und Lebensmut schöpft, durch, mit und in Christus sein Leben zu meistern.
„Herr, sprich nur ein Wort…“ Der Titel dieses Buches, spiegelt diese Situation wider: Der Mensch richtet sich in jeder Lebenslage betend auf den Herrn aus und ist bereit, mit Geduld, in Hingabe und mit Gottesliebe den Herrn zu empfangen. In der Heiligen Schrift heißt es: „Als er nach Kafarnaum kam, trat ein Hauptmann an ihn heran und bat ihn: Herr, mein Diener liegt gelähmt zu Hause und hat große Schmerzen. Jesus sagte zu ihm: Ich will kommen und ihn heilen. Und der Hauptmann antwortete: Herr, ich bin es nicht wert, dass du unter mein Dach einkehrst; aber sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund“ (Matthäus 8,5-8).
In der hl. Messe betet der Priester zur Kommunion gemeinsam mit der Gemeinde: „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“ Dieses Buch möchte diese Haltung des Gläubigen aufgreifen, dass Gott zu jeder Zeit uns Erlösung und Einsicht schenken kann, wir uns dazu aber bereiten müssen und aus Eigenwillen keine Lösung unserer Lebenssituation erzwingen können.
Bevor ich Priester wurde, machte ich die grundlegende Erfahrung, dass ich durch die Psychologie allein in meinem Leben nicht weiter kam, sondern die Lösung eines Problems allein in Gottes Händen liegt. Diese Haltung möchte auch dieses Buch wiedergeben, indem es auf die geschilderte Lebenssituation Worte aus der Heiligen Schrift anbietet, die den Menschen auf seinem Entwicklungsweg zu Gott weiterführen können. Oft bedarf es einer Wartezeit und größeren Sensibilisierung, bis wir die leise Sprache Gottes verstehen und die Zeichen wahrnehmen, die er uns auf unserem Lebensweg stellt.
Dieses Buch, in dem die Heilige Schrift Antworten auf Fragen des Lebens gibt, möchte Menschen jeden Alters ansprechen. Es ist ein persönliches Buch, das aus eigener Lebenserfahrung geschrieben wurde.
Wie oft haben Sie sich schon gefragt, warum ein Schicksalsschlag gerade Sie trifft? Der Grund vieler Ereignisse im menschlichen Leben bleibt uns vorerst verschlossen. Wir versuchen, ihren Sinn zu ergründen. Auf der anderen Seite stehen wir betroffen und fragend vor der Wirklichkeit von Leid und Tod. Manchmal geraten wir in Lebenssituationen, die uns an eine Grenze führen – besonders, wenn uns die eigene Vergänglichkeit schmerzhaft bewusst wird. In solchen Situationen haben wir den Wunsch, bleibende geistliche Werte zu erfahren. Diese können letztlich nur in der Wirklichkeit Gottes gründen. Sein Wort, das uns die Bibel überliefert, kann zur tragenden Kraft des Lebens werden.
Die Voraussetzung, um auf diesem geistlichen Weg weiterzukommen, besteht darin, sich erst einmal selbst zu begegnen und die eigene Wirklichkeit aufzudecken. Dazu gehört es, die in jeder Versuchung steckende Leidenschaft nicht zu bekämpfen, sondern diese Kraft anzunehmen, damit sie von der Mitte unseres Christseins her verwandelt werden kann. Diese Erfahrung lehrt uns zu erkennen, was Menschsein bedeutet, und die Wege zu unterscheiden, die zu Gott führen und die von Gott trennen.
Das göttliche Wort, das jeder Geschichte zugeordnet ist, möchte trösten, aufrichten und heilen. Die Not des Einzelnen, die individuell geschildert wird, spiegelt die Nöte vieler Menschen wider. So ist auch das göttliche Wort in der Lage, in den unterschiedlichsten Lebenssituationen Wegweisung zu sein und Heil zu spenden.
Das Wort Gottes, das jedem Menschen individuell zugesprochen wird, möchte • uns an den eigentlichen Sinn des Lebens heranführen; • unseren Glauben vertiefen; • uns die Heilige Schrift näher bringen; • uns auf eigene Füße stellen; • uns dazu bewegen, Unabwendbares anzunehmen; • uns lehren, mit Grenzsituationen besser umzugehen; • in uns den Geist der Unterscheidung schärfen; • bei uns Verständnis für andere Menschen entwickeln; • Lebenshilfe geben.
Erlebnis meiner Mutter
Mensch unter Menschen sein – Menschlichkeit und Liebe: „Schweigen“ (Beispiel aus dem Buch von Peter Dyckhoff)
Der Mund des Gerechten ist ein Lebensquell, im Mund der Frevler versteckt sich Gewalttat. Hass weckt Streit, Liebe deckt alle Vergehen zu (Sprichwörter 10,11-12)
Meine Mutter sah in ihrem Alter leidenschaftlich gern Kriminalfilme im Fernsehen. Sie lebte allein in einem Haus mit Zimmern zu ebener Erde. In ihrem Schlafzimmer hatte sie ein Fernsehgerät, das sie von ihrem Bett aus bediente. An Abenden mit einem Programm, das sie interessierte, ging sie schon sehr früh zu Bett, um die Sendung in aller Gemütlichkeit genießen zu können. Als an einem Freitagabend die Sendung „XY ungelöst“ mit Eduard Zimmermann lief, hörte Mutter unter ihrem Schlafzimmerfenster seltsame Geräusche. Es war Sommer. Sie hatte das Fenster weit geöffnet, die beiden Blendläden vor dem Fenster jedoch geschlossen. Plötzlich sah sie, wie Hände mit weißen Handschuhen die Blendläden aus den Angeln hoben, und starrte wie gebannt auf das offene Fenster.
Nacheinander, jedoch sehr schnell, stiegen fünf vermummte Männer in ihr Schlafzimmer. Zwei rissen ihren Kleiderschrank auf und warfen ihre Blusen auf den Boden, während ein anderer die zehn Meter lange Telefonschnur aus der Wand riss. In Windeseile wurden die Ärmel aus einigen Blusen gerissen und fest aneinander geknotet. Dann wurde Mutter mit diesem „Strick“ gefesselt und mit der Telefonschnur wurden ihre Beine aneinander gebunden. Einer der Einbrecher blieb zu Bewachung auf ihrem Bettrand sitzen, während die anderen das Haus nach Wertsachen durchsuchten. Mutter, die niemals in ihrem Leben Angst zeigte, begann ein Gespräch und machte ihrem Bewacher die schlimmen Folgen eines solchen Einbruchs deutlich. Der junge Mann sagte, er sei zum ersten Mal dabei, und er habe starkes Herzklopfen. Er warnte Mutter davor, zu schreien und um Hilfe zu rufen. Dann nahm er ihr vorsichtig ihren Armreif und ihre Ringe ab und versteckte sie mit der Geldbörse, die auf dem Nachttisch lag, weit hinten in der Nachttischschublade. „Damit meine Leute Ihnen nicht auch das noch wegnehmen“, sagte er leise. Was ihnen wertvoll erschien, hatten sie in Kissenbezüge gestopft, und genauso schnell, wie sie gekommen waren, verschwanden alle wieder.
Außer einer kleinen Verletzung am Fuß und einem tiefsitzenden Schock ist Mutter zum Glück nicht weiter zu Schaden gekommen. Sie konnte sich von ihren Fesseln befreien und die Polizei rufen. Gefasst wurde niemand. Nach mehr als einem Jahr sollte Mutter bei der Kriminalpolizei einen Mann identifizieren, der möglicherweise an dem Einbruch beteiligt war. Mutter erkannte ihn. Es war der Mann, der auf ihrer Bettkante gesessen hatte. Sie drückte ihm ein Auge zu und sagte: „Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen.“
Ich fragte Mutter, warum sie den Einbrecher geschützt habe. Sie war fest davon überzeugt, dass der junge Mann ohne die gerichtliche Strafverfolgung eher wieder zu einem „geordneten“ Leben zurückfände als durch ein Strafverfahren und eine Gefängnisstrafe.
Wer einen Sünder, der auf einem Irrweg ist, zur Umkehr bewegt, rettet ihn vor dem Tod und deckt viele Sünden zu (Jakobusbrief 5,20)
[1] Peter Dyckhoff: Herr, sprich nur ein Wort… – Kraft und Lebensmut aus der Bibel, St. Benno Verlag, Leipzig 2019, geb., 192 S., ISBN 978-3-7462-5445-6, Euro 12,95 (D/A) – Tel.: 0341/4677711 – E-Mail: service@vivat.de
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