Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

In der heißumstrittenen Frage des Frauendiakonats lenkt Papst Franziskus den Blick auf die Jungfrau und Gottesmutter Maria. Dabei bietet er eine interessante Perspektive für die Zukunft an und spricht von einem „offiziellen Dienst“ der Frau in der Kirche mit bischöflicher Beauftragung. Diesem Ansatz möchten wir nachgehen. So haben wir als Titelthema für diese Ausgabe den Arbeitsbegriff „Marianischer Diakonat“ gewählt.

Aktueller Anlass für unsere Überlegungen ist die Meldung des Vatikans vom 8. April 2020, Papst Franziskus habe eine neue Studienkommission zur Untersuchung des Frauendiakonats eingerichtet.

Aufschlussreich ist der Zusammenhang mit der Amazonien-Synode (6.-27. Oktober 2019), von der viele Befürworter des Frauenpriestertums einen Durchbruch in Richtung Diakonenweihe für Frauen erwartet hatten. Die Enttäuschung war groß, als das Nachsynodale Apostolische Schreiben „Querida Amazonia“ vom 2. Februar 2020 die bisherige Linie bekräftigte und das Thema ausklammerte. Allerdings unterstrich der Papst in seinem Schreiben, er habe nicht vor, das sog. „Schlussdokument“ der Amazonien-Synode vom 26. Oktober 2019 „hiermit zu ersetzen“ (Nr. 2). Ja, er empfiehlt ausdrücklich, „es ganz zu lesen“ (Nr. 3). In diesem Schlussdokument aber wird darum gebeten, „dass man ein Dienstamt für die ,Leiterin einer Gemeinde‘ einrichte und institutionell anerkenne“ (Nr. 102). Darüber hinaus heißt es: „Eine große Anzahl von Konsultationen forderte, den ständigen Diakonat für Frauen einzurichten“ (Nr. 103).

Eine vatikanische Studienkommission hatte sich bereits von 2016 bis Anfang 2019 mit dem Thema beschäftigt. „Die Kommission formulierte jedoch ein einseitiges Ergebnis über das Frauendiakonat in den ersten Jahrhunderten der Kirche und dessen Auswirkungen heute.“ So lautet die Bewertung im Schlussdokument der Amazonien-Synode. Wie der Vatikan berichtet, ist die Entscheidung für eine neue Kommission bereits am 6. Februar 2020 bei einer Audienz des Präfekten der Glaubenskongregation, Luis Francisco Kardinal Ladaria Ferrer SJ, mit Papst Franziskus getroffen worden. Dies heißt, es war eine Woche vor der Veröffentlichung des Nachsynodalen Schreibens des Papstes am 12. Februar. Es sollten also die Weichen dafür gestellt werden, die Diskussion speziell um dieses Thema, nämlich das Frauendiakonat, aufzufangen.

Betrachtet man die Zusammensetzung der neuen Kommission, zu der z.B. Professor Dr. Manfred Hauke zählt, so wird klar, dass Papst Franziskus nicht vorpreschen möchte, um den Frauen einen Zugang zu den „heiligen Weihen“ zu eröffnen, sondern im Gegenteil. Er sieht offensichtlich mit Sorge, wie undifferenziert auch von Bischöfen der Frauendiakonat eingefordert und dadurch Spaltung in die Kirche hineingetragen wird. Beispielsweise hat der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, auf dem Hintergrund der Forderungen des „Synodalen Weges“ nach einem vollen Zugang der Frauen zum Priesteramt wissen lassen, er halte das Frauendiakonat für „möglich“.

Demgegenüber mahnt Papst Franziskus ausdrücklich, auf dem Boden „der Offenbarung und des Dogmas“ zu bleiben und keine „andere Kirche“ anzustreben. Dem können wir umso fruchtbarer dienen, je aufrichtiger und nachdrücklicher wir seine Anregungen für einen marianisch geprägten Dienst der Frau in der Kirche aufgreifen.

Liebe Leser, mit einem herzlichen Vergelt’s Gott wünschen wir Ihnen eine gesegnete und gottbehütete Osterzeit und zum Pfingstfest eine reiche Ausgießung des Heiligen Geistes.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2020
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In Maria wird die spezifische Sendung der Frau in der Kirche sichtbar

Die Kraft und die Gabe der Frauen

Im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Querida Amazonia“ vom 2. Februar 2020 spricht sich Papst Franziskus eindeutig gegen eine Zulassung von Frauen zu den „heiligen Weihen“ aus. Die Frauen hätten in der Kirche einen „unverzichtbaren Beitrag“ zu leisten, doch eine Klerikalisierung würde den großen Wert ihres Dienstes schmälern. Der Papst fordert für den Dienst der Frauen in der Kirche „Dauerhaftigkeit, öffentliche Anerkennung und eine Beauftragung durch den Bischof“. Gleichzeitig hebt er hervor: „Die Frauen leisten ihren Beitrag zur Kirche auf ihre eigene Weise und indem sie die Kraft und Zärtlichkeit der Mutter Maria weitergeben.“ Der nachfolgende Auszug trägt auch im Dokument die Überschrift: „Die Kraft und die Gabe der Frauen“ (Nr. 99-103).  

Von Papst Franziskus

In Amazonien gibt es Gemeinschaften, die lange Zeit hindurch sich gehalten und den Glauben weitergegeben haben, ohne dass dort – manchmal jahrzehntelang – ein Priester vorbeigekommen wäre. Dies ist der Präsenz von starken und engagierten Frauen zu verdanken, die, gewiss berufen und angetrieben vom Heiligen Geist, tauften, Katechesen hielten, den Menschen das Beten beibrachten und missionarisch wirkten. Jahrhundertelang hielten die Frauen die Kirche an diesen Orten mit bewundernswerter Hingabe und leidenschaftlichem Glauben aufrecht. Mit ihrem Zeugnis haben sie uns alle bei der Synode angerührt.

Dies ist eine Einladung an uns, unseren Blick zu weiten, damit unser Verständnis von Kirche nicht auf funktionale Strukturen reduziert wird. Ein solcher Reduktionismus würde uns zu der Annahme veranlassen, dass den Frauen nur dann ein Status in der Kirche und eine größere Beteiligung eingeräumt würden, wenn sie zu den heiligen Weihen zugelassen würden. Aber eine solche Sichtweise wäre in Wirklichkeit eine Begrenzung der Perspektiven: Sie würde uns auf eine Klerikalisierung der Frauen hinlenken und den großen Wert dessen, was sie schon gegeben haben, schmälern als auch auf subtile Weise zu einer Verarmung ihres unverzichtbaren Beitrags führen.

Jesus Christus zeigt sich als der Bräutigam der Eucharistie feiernden Gemeinschaft in der Gestalt eines Mannes, der ihr vorsteht als Zeichen des einen Priesters. Dieser Dialog zwischen Bräutigam und Braut, der sich in der Anbetung vollzieht und die Gemeinschaft heiligt, sollte nicht auf einseitige Fragestellungen hinsichtlich der Macht in der Kirche verengt werden. Denn der Herr wollte seine Macht und seine Liebe in zwei menschlichen Gesichtern kundtun: das seines göttlichen menschgewordenen Sohnes und das eines weiblichen Geschöpfes, Maria. Die Frauen leisten ihren Beitrag zur Kirche auf ihre eigene Weise und indem sie die Kraft und Zärtlichkeit der Mutter Maria weitergeben. Auf diese Weise bleiben wir nicht bei einem funktionalen Ansatz stehen, sondern treten ein in die innere Struktur der Kirche. So verstehen wir in der Tiefe, warum sie ohne die Frauen zusammenbricht, so wie viele Gemeinschaften in Amazonien auseinandergefallen wären, wenn es dort keine Frauen gegeben hätte, die sie aufrechterhalten, bewahrt und sich ihrer angenommen hätten. Hier wird sichtbar, was ihre spezifische Macht ist.

Wir müssen die vom Volk geschätzten Fähigkeiten, welche die Frauen im Amazonasgebiet so in den Mittelpunkt gerückt haben, weiterhin fördern, auch wenn die Gemeinden heute neuen Gefahren ausgesetzt sind, die es zu anderen Zeiten nicht gab. Die gegenwärtige Situation verlangt, dass wir das Entstehen anderer spezifisch weiblicher Dienste und Charismen anregen, die auf die besonderen Bedürfnisse der Amazonasvölker in diesem Moment der Geschichte reagieren.

In einer synodalen Kirche sollten die Frauen, die in der Tat eine zentrale Rolle in den Amazonasgemeinden spielen, Zugang zu Aufgaben und auch kirchlichen Diensten haben, die nicht die heiligen Weihen erfordern und es ihnen ermöglichen, ihren eigenen Platz besser zum Ausdruck zu bringen. Es sei daran erinnert, dass ein solcher Dienst Dauerhaftigkeit, öffentliche Anerkennung und eine Beauftragung durch den Bischof voraussetzt. Das bedeutet auch, dass Frauen einen echten und effektiven Einfluss in der Organisation, bei den wichtigsten Entscheidungen und bei der Leitung von Gemeinschaften haben, ohne dabei jedoch ihren eigenen weiblichen Stil aufzugeben.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2020
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Zwei unumgängliche Dimensionen der Kirche

Das Priestertum und die Rolle der Frau

Im Vorfeld der IV. Weltfrauenkonferenz, welche im September 1995 von den Vereinten Nationen in Peking ausgerichtet wurde, veröffentlichte Papst Johannes Paul II. am 29. Juni einen „Brief an die Frauen“. Darin knüpfte er an das 1988 veröffentlichte Apostolische Schreiben „Mulieris dignitatem“ an, in dem er ausführlich auf die „Würde und Berufung der Frau“ eingegangen war, und brachte den Wunsch zum Ausdruck, dass in Peking „die volle Wahrheit über die Frau zutage treten möge“. Johannes Paul II. erklärte bei dieser Gelegenheit erneut, warum Frauen keinen Zugang zum Weihepriestertum haben, dass die Kirche in Zukunft aber neue Ausdrucksformen des „Genius der Frau“ feststellen werde. Auszüge aus Nr. 11.  

Von Papst Johannes Paul II.

Vor dem Horizont des „Dienstes“ – der, wenn er in Freiheit, Gegenseitigkeit und Liebe erbracht wird, das wahre „Königtum“ des Menschen zum Ausdruck bringt – ist es möglich, ohne nachteilige Folgen für die Frau auch einen gewissen Rollenunterschied anzunehmen, insofern dieser Unterschied nicht das Ergebnis willkürlicher Auflagen ist, sondern sich aus der besonderen Eigenart des Mann- und Frauseins ergibt. Es handelt sich hier um eine Thematik mit einer spezifischen Anwendung auch auf den innerkirchlichen Bereich. Wenn Christus – in freier und souveräner Entscheidung, die im Evangelium und in der ständigen kirchlichen Überlieferung gut bezeugt ist – nur den Männern die Aufgabe übertragen hat, durch die Ausübung des Amtspriestertums „Ikone“ seines Wesens als „Hirt“ und als „Bräutigam“ der Kirche zu sein, so tut das der Rolle der Frauen keinen Abbruch, wie übrigens auch nicht jener der anderen Mitglieder der Kirche, die nicht das Priesteramt innehaben, sind doch alle in gleicher Weise mit der Würde des „gemeinsamen Priestertums“ ausgestattet, das in der Taufe seine Wurzeln hat. Diese Rollenunterscheidungen dürfen nämlich nicht im Lichte der funktionellen Regelungen der menschlichen Gesellschaften ausgelegt werden, sondern mit den spezifischen Kriterien der sakramentalen Ordnung, das heißt jener Ordnung von „Zeichen“, die von Gott frei gewählt wurden, um sein Gegenwärtigsein unter den Menschen sichtbar zu machen.

Im Übrigen kommt gerade im Rahmen dieser Ordnung von Zeichen, wenn auch außerhalb des sakramentalen Bereiches, dem nach dem erhabenen Vorbild Mariens gelebten „Frausein“ keine geringe Bedeutung zu. Denn im „Frausein“ der gläubigen und ganz besonders der „gottgeweihten“ Frau gibt es eine Art immanentes „Prophetentum“ (vgl. Mulieris dignitatem, 29), einen sehr beschwörenden Symbolismus, man könnte sagen, eine bedeutungsträchtige „Abbildhaftigkeit“, die sich in Maria voll verwirklicht und mit der Absolutheit eines „jungfräulichen“ Herzens, um „Braut“ Christi und „Mutter“ der Gläubigen zu sein, das Wesen der Kirche als heilige Gemeinschaft treffend zum Ausdruck bringt. In dieser Sicht „abbildhafter“ gegenseitiger Ergänzung der Rollen des Mannes und der Frau werden zwei unumgängliche Dimensionen der Kirche besser herausgestellt: das „marianische“ und das „apostolisch-petrinische“ Prinzip (vgl. ebd., 27).

Andererseits ist das Amtspriestertum im Plan Christi „nicht Ausdruck von Herrschaft, sondern von Dienst“ (Nr. 7). Es ist die dringende Aufgabe der Kirche bei ihrer täglichen Erneuerung im Lichte des Wortes Gottes, dies immer klarer zu machen, sei es bei der Entwicklung des Gemeinschaftsgeistes und bei der sorgfältigen Förderung aller typisch kirchlichen Mittel der Teilnahme, sei es durch die Achtung und Aufwertung der unzähligen persönlichen und gemeinschaftlichen Charismen, die der Geist Gottes zum Aufbau der christlichen Gemeinschaft und zum Dienst an den Menschen weckt.

In diesem weiten Raum des Dienstes hat die Geschichte der Kirche in diesen zweitausend Jahren trotz vieler Konditionierungen wahrhaftig den „Genius der Frau“ kennengelernt, wenn sie aus ihrer Mitte Frauen von erstrangiger Größe hervorgehen sah, die in der Zeit ihre tiefe und heilsame Prägung hinterlassen haben. Ich denke an die lange Reihe von Märtyrerinnen, von Heiligen, von außergewöhnlichen Mystikerinnnen. Ich denke in besonderer Weise an die hl. Katharina von Siena und die hl. Teresa von Avila, der Papst Paul VI. seligen Angedenkens den Titel einer Kirchenlehrerin zugesprochen hat. Und wie wäre hier sodann nicht an zahlreiche Frauen zu erinnern, die auf Antrieb ihres Glaubens Initiativen ins Werk gesetzt haben von außerordentlicher sozialer Bedeutung im Dienst vor allem der Ärmsten? Die Zukunft der Kirche im dritten Jahrtausend wird es gewiss nicht versäumen, neue und wunderbare Äußerungen des „Genius der Frau“ festzustellen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2020
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Botschaft über die Stellung der Frau in der Kirche aus dem 9. Jahrhundert

Kreuz des hl. Papstes Paschalis I.

Hans-Dieter Braun sieht in einem Kreuzreliquiar aus der Zeit des hl. Papstes Paschalis I. (817-824 n. Chr.) eine Botschaft ausgedrückt, welcher er eine höchstaktuelle Bedeutung beimisst. Er ist davon überzeugt, dass die lebhaften Reliefbilder das Ergebnis einer tiefen Reflexion über die Stellung der Frau in der Kirche wiedergeben. Angelpunkt ist für ihn die Darstellung der Sendung der Gottesmutter für die Erlösung der Menschheit und ihrer daraus resultierenden Rolle im Leben der Kirche. Braun spricht dabei von einem „marianischen Diakonat“, den man aus dieser Botschaft ableiten und in der Kirche von heute als Dienstamt für die Frau ausformen könnte.  

Von Hans-Dieter Braun

Gegenstand meiner Betrachtung ist nicht das berühmte „gemmierte Kreuz“ des hl. Papstes Paschalis I. (817-824), sondern ein Reliefbild auf der Kassette, in welcher dieses Kreuz aufbewahrt wurde. Das Reliquiar ist kreuzförmig und besteht aus einem Holzkorpus, der mit einem versilberten und vergoldeten Kupferblech beschlagen ist. Das kostbare und aufwändig gearbeitete Kreuzrelief mit Szenen aus dem Leben Christi wurde erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts zusammen mit anderen Gegenständen in einem Zypressenholz-Kasten gefunden, der im Hauptaltar der San Lorenzo-Kapelle im Lateran verborgen war. Die Reliefbilder auf der Außenseite der Kassette lassen sich eindeutig den drei Reliquiaren zuordnen, welche Paschalis I. dem Schatz des „Sancta Sanctorum“, der Reliquienkapelle oberhalb der Heiligen Stiege, geschenkt hat.

So stammt das Kreuz aus der Zeit Karls des Großen und spiegelt die Spiritualität des Papstes Paschalis I. wider, der ein großer Marienverehrer war. Im Apsis-Mosaik der römischen Basilika Santa Maria in Domnica auf dem Monte Celio kniet er vor der „Theotokos“ (Gottesgebärerin), der „Sedes sapientiae“ (Sitz der Weisheit), und hält ehrfurchtsvoll mit beiden Händen ihren rechten Fuß umfangen.

Sowohl das Kreuz, das also ursprünglich den Deckel des genannten Behälters geschmückt hat, als auch das „gemmierte Kreuz“, für das die Kassette geschaffen worden war, befinden sich heute in den Vatikanischen Museen.

Die bildlichen Darstellungen des Kreuzreliefs zeigen die Episoden „Jesus unter den Schriftgelehrten im Tempel“ (oben), „das Wunder der Hochzeit zu Kana“ (links, vom Betrachter aus gesehen), „Jesus mit Maria, dem hl. Petrus und den Aposteln zwischen Weinreben“ (rechts), „den Auferstandenen mit Maria und den Aposteln“ (unten) sowie „Christus als Offiziant am Altar zwischen der Gottesmutter und dem hl. Petrus“ (Mitte).

Die Stellung Mariens am Altar

Das Kreuz auf dem Altar gleicht einem „karolingischen Kreuz“ und ist ein Hinweis auf die „Karolingische Renaissance“, in der das Behältnis entstanden ist. Gleichzeitig zeigt das Bildprogramm byzantinische Züge und ist als Reaktion auf den damaligen Bilderstreit zu deuten. Es greift also in die leidenschaftlich geführte theologische Auseinandersetzung des 8. und 9. Jahrhunderts ein, in der es um den richtigen Gebrauch von Bildern bzw. um die Verehrung von Ikonen ging.

Die Darstellungen auf dem Kreuz werfen einen aufmerksamen Blick auf Maria und weisen ihr eine besondere Stellung zu. Damit machen sie einen Vorschlag, wie die Stellung der Frau in der Kirche überhaupt verstanden werden kann. Damit wird eine Frage berührt, die für die Erneuerung der Kirche in unserer Zeit eine vorrangige Bedeutung hat.

Das zentrale Bild im Mittelfeld des Kreuzes zeigt Maria in einer anbetenden Haltung. Sie steht an der rechten Seite des Altars, und zwar in der Position, wie sie auch unter dem Kreuz abgebildet wird. Hinter ihr erscheinen viele weitere Frauen. Die Apostel stehen links neben dem Herrn in empfangender Haltung, die Hände ehrfurchtsvoll unter dem Gewand haltend. Ihnen werden von Christus mit einem deutlichen Gestus, der Maria ausgrenzt, die Brote sowie der Wein in einem Messkelch zugewiesen.

Vor Maria steht ebenfalls ein Kelch, aber ein andersartiger, ein Henkelkelch. Als die Mutter der Zebedäus-Söhne Christus vor seinem Leiden darum bat, dass ihre zwei Söhne in seinem Reich neben ihm sitzen dürften, einer zur Rechten und einer zur Linken, verwies er sie auf den Kelch des Leidens, den zu trinken ihm bevorstand (Mt 20,20-23). Hier steht er vor Maria, die ihn, Jesus bis unter das Kreuz begleitend, getrunken hat. Es ist das Gefäß ihrer Tränen.

Paulus schreibt (Kol 1,24): „Jetzt freue ich mich in den Leiden, die ich für euch ertrage. Ich ergänze in meinem irdischen Leben, was an den Bedrängnissen Christi noch fehlt an seinem Leib, der die Kirche ist.“ Zuvor schreibt er: „Jetzt aber hat er euch durch den Tod seines sterblichen Leibes versöhnt, um euch heilig, untadelig und schuldlos vor sich hintreten zu lassen“ (22).

Wie bei der Hochzeit von Kana hat Maria, die Frau, auch unter dem Kreuz eine Sonderstellung. Sie ist dazu erwählt, nicht nur Mutter Christi zu sein, sondern durch ihr Leiden auch das Werk der Erlösung mitzuvollziehen. So hat sie einen wesentlichen Anteil an der Sendung Christi und wird für uns Mutter, „Mater divinae gratiae“, Mutter der göttlichen Gnade, oder, wie es das II. Vatikanische Konzil ausgedrückt hat, „Mutter in der Ordnung der Gnade“ (Lumen gentium, 61). Als „großmütige Gefährtin“ des Erlösers und „die demütige Magd des Herrn“ ist sie in diesem Sinn zur Miterlöserin, „corredemtrix“, geworden. Indem sie „mit ihrem am Kreuz sterbenden Sohn litt, hat sie beim Werk des Erlösers in durchaus einzigartiger Weise in Gehorsam, Glaube, Hoffnung und brennender Liebe mitgewirkt zur Wiederherstellung des übernatürlichen Lebens der Seelen“, so das Konzil.

Maria ist als Typos der Kirche auf einer Linie mit Abraham zu sehen. Abraham wurde zum „Segen“ und „Vater vieler Völker“ nicht nur durch seinen Glauben und seine Treue, sondern auch durch das Opfer, durch seinen Beitrag an Leid, den er durch seine Entscheidung geleistet hat, das verlangte Opfer seines Sohnes zu bringen. Der steinerne Altar im Zentrum des Bildes – mit seiner quadratischen Form und dem Kreuz – ist Sinnbild des Berges Moriah wie des Berges Golgatha, ein Verweis auf das innerste Wesen der Liturgie und den Opfercharakter der hl. Messe.

Christus steht auch als Pantokrator vor dem Altar. Maria zu seiner Seite stellt als Typos sowohl die maternale (mütterliche) Seite Gottes als auch die innere Verbindung zum Volk Israel dar. Als Mutter und bräutliches Gegenüber zu Jesus Christus, ihrem Sohn, wird sie zum Weg zu ihm, zur „Mater ecclesiae“, zur Mutter der Kirche und ihrer Kinder. Als die Frau mit den zwölf Sternen (Offb 12,1) hat sie zugleich Anteil an der kosmischen Bedeutung des Herrn.

Die Gefährtin des Erlösers

Im oberen Bild auf dem Kreuz wird Christus als der zwölfjährige Jesus inmitten der Lehrer Israels auf dem Lehrstuhl mit einer Buchrolle des Gesetzes in der Hand gezeigt. Maria steht als einfache, sehr besorgte, fast aufgebrachte Mutter menschlich klein am Fuße der Kathedra ihres übergroßen Sohnes.

Das zweite Bild zeigt Maria bei der Hochzeit von Kana. Hier steht sie, zwar in einer bittenden Haltung, doch gleich groß vor bzw. neben Christus. Christus schaut sie an und weist mit einem Stab auf die Gefäße, in denen Wasser zu Wein gewandelt wird. Der Diener bei der Arbeit im Bild erinnert an die Worte Marias: „Was Er euch sagt, das tut!“ Auf dem Berg der Verklärung werden die Apostel die Worte des Vaters vernehmen: „Auf Ihn sollt ihr hören!“

Das untere Bild zeigt den auferstandenen Christus mit einer Buchrolle in der Hand. Maria steht an oberster Stelle in Anbetung herausgehoben aus den geneigten Zeugen der Auferstehung und wird mit einem Segensgestus bedacht. Am Fuß des Bildes ist in einer Mauer ein geöffnetes Tor zu sehen. Es weist auf das geöffnete Grab wie auf das Tor zum Paradies bzw. Himmel, die „porta coeli“, hin.

Beim vierten Bild, der Aussendung der Jünger, ist Christus wieder mit einer Buchrolle zu sehen. Er steht leicht erhöht, was auf die Himmelfahrt hinweist. Seine Hand zeigt hier eine über den Kopf Mariens hinausweisende Geste, die zugleich Segen einschließt. Der einen Frau stehen andere zur Seite. Ihr gegenüber stehen Petrus und die anderen Apostel. Diese Kombination erinnert auch an die Sendung der Frauen zu den Aposteln am Ostermorgen.

Die Sendung der Frau in der Kirche

Die Umschrift des Hauptbildes in der Mitte lautet: „Pascalis Episcopus Plebi Dei fieri iussit.“ – „Bischof Paschalis lies es für das Volk Gottes anfertigen.“ Das macht deutlich, dass es sich bei dieser Darstellung nicht einfach nur um ein künstlerisches Werk handelt, sondern um den bewussten Ausdruck einer bestimmten Lehrmeinung. Es ist die veröffentlichte Stellungnahme des Bischofs von Rom, eines Papstes, der heute als Heiliger verehrt wird, zu Glaubensfragen seiner Zeit. Damit könnte man dem Bild quasi den Charakter eines päpstlichen Lehrschreibens zuerkennen.

Was können wir diesem Lehrschreiben entnehmen? Auf allen Bildern wird Christus als Gesetzgeber und Lehrer der Weisheit mit übernatürlicher Vollmacht dargestellt. Der Pantokrator ist als Gründer der Kirche auch ihr Gesetzgeber. Er ist der Stifter des Altarssakramentes und das Haupt der Kirche als seines mystischen Leibes. Er ist die innere Kraft der Kirche durch alle Zeit. Und wie der Pantokrator hat auch die Kirche eine kosmische Bedeutung.

In Demut und Gehorsam ist Maria Vorbild für die Kirche in allen ihren Gliedern. In der Ämterfrage steht sie klar getrennt von den Aposteln als den Nachfolgern Christi und Spendern der heiligen Eucharistie. Doch gleichzeitig hat sie einen sichtbaren Platz am Altar.

Im Streit um die Stellung der Frau in der Kirche könnte man auf ähnliche Streitfragen schon in Israel verweisen. In Numeri 12,2ff heißt es: „Mirjam und Aaron sagten: Hat der Herr etwa nur durch Mose gesprochen? Hat er nicht auch durch uns gesprochen? Das hörte der Herr.“ Gott reagierte erbost und Mirjam bekam Aussatz. Nur Mose konnte sie davon befreien. Denn ihm hatte „Jahwe sein ganzes Haus anvertraut“.

Ähnlich ist in Numeri 16,1ff von einer erneuten Auflehnung gegen Mose und Aaron zu lesen: Korach und sein Anhang protestieren: „Ihr nehmt euch zu viel heraus. Alle sind heilig, die ganze Gemeinde, und der Herr ist mitten unter ihnen. Warum erhebt ihr euch über die Gemeinde des Herrn?“ Doch Mose erwiderte: „Ist es euch noch zu wenig, dass euch der Gott Israels aus der Gemeinde Israels herausgehoben hat, um euch in seine Nähe zu holen, damit ihr an der Wohnstätte des Herrn Dienst tut, vor die Gemeinde tretet und für sie euren Dienst verrichtet? … Doch nun wollt ihr auch noch das Priesteramt. … Über den Herrn, nicht über Aaron murrt ihr.“ Und Gott griff ein: „Da spaltete sich der Boden unter ihnen, die Erde öffnete ihren Rachen und verschlang sie samt ihrem Haus mit allen Menschen, die zu Korach gehörten, und mit ihrem ganzen Besitz.“ Denn sie hatten den Herrn beleidigt, wie Mose erklärte.

Grundvoraussetzung, um ein Format für ein Diakonat der Frau in der Kirche nach dem Vorbild Mariens finden zu können, ist die demütige und eindeutige Abgrenzung gegenüber dem Weihesakrament, gegenüber dem apostolischen Priestertum. Gleichzeitig aber muss die Ablehnung der katholischen Mariologie überwunden und eine vollkommene Offenheit gegenüber der Stellung Mariens im Heilsplan Gottes entwickelt werden. In ihrer Rolle als Stellvertreterin der ganzen Kirche und Braut Christi können die Aufgaben der Frau in der Kirche gefunden werden. Ein „marianischer Diakonat“ könnte sich an den verschiedenen Aufgaben orientieren, wie sie in den fünf Darstellungen auf dem Paschalis-Kreuz aufscheinen: die intensive Beschäftigung mit der Lehre der Kirche, die Anleitung zur Nachfolge Christi, die Weitergabe seiner Osterbotschaft, die Hinführung zur Taufe und zu den übrigen Sakramenten, die spirituelle und existentielle Teilnahme am sakramentalen Opferakt Christi.

Papst Paschalis war in Bezug auf das Weihepriestertum eindeutig. In der Diskussion um das Priestertum der Frau wird immer wieder auf ein Detail eines Mosaiks in der Zeno-Kapelle der Kirche Santa Prassede verwiesen. Diese Kapelle ließ Paschalis für seine noch lebende Mutter Theodora als Grabkapelle erbauen. Dort ist die Bischofs-Mutter mit einem viereckigen Nimbus und dem Schriftzug „Theodora episcopa“ dargestellt. Verfechter des Frauenpriestertums können sich jedenfalls nicht darauf berufen, Papst Paschalis hätte hier seiner Mutter eine Amtsgnade als Bischöfin zugeschrieben. Vielmehr sollte man nach dem Vorbild des hl. Papstes Paschalis zur Gottesmutter und ihrem mitwirkenden Dienst an der Erlösung der Menschheit aufblicken.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2020
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Stellungnahme zum „Diakonat“ unter Papst Johannes Paul II.

Entwicklung und Perspektive

Die „Internationale Theologische Kommission“ hat im Jahr 2003 unter Vorsitz von Joseph Kardinal Ratzinger und mit einem Geleitwort von Bischof Gerhard Ludwig Müller ein etwa 100-seitiges Dokument zum Thema „Diakonat“ veröffentlicht. Nachfolgend das zusammenfassende Ergebnis, das auch die Frage des Diakonats der Frau berührt.  

Internationale Theologische Kommission

Der Diakonat ist geschaffen worden als Hilfe für die Apostel und deren Nachfolger, die sich selbst als Diener in der Nachfolge Christi verstanden haben. Der Diakonat wurde durch das II. Vatikanische Konzil als ständiges Dienstamt wiederhergestellt vor allem als Antwort auf konkrete Bedürfnisse (vgl. Lumen gentium 29b) beziehungsweise um denen die sakramentale Gnade zu übertragen, die schon diakonale Aufgaben ausführen (vgl. Ad gentes 16f). Aber die genauere Bestimmung dieser Bedürfnisse und der Aufgaben, die die Diakone in den christlichen Gemeinden ausüben sollen, bleibt ein Desiderat, auch wenn schon eine reiche Erfahrung von Teilkirchen vorliegt, die nach dem Konzil den ständigen Dienst des Diakonats in ihre Pastoral aufgenommen haben.

Im aktuellen Bewusstsein der Kirche gibt es nur ein Sakrament der Weihe. Das II. Vatikanum greift die Lehre von Pius XII.[1] auf und bekräftigt diese Einheit, und es sieht darin den Episkopat, den Presbyterat und den Diakonat eingeschlossen. Gemäß der Festlegung von Paul VI. bilden nur diese drei Weiheämter den Klerus.[2] Allerdings spricht das Konzil mit Bezug auf den Diakonat zurückhaltend nur von der „sakramentalen Gnade“. Nach dem II. Vatikanum lehren Paul VI.[3] und der Katechismus der Katholischen Kirche (Nr. 1570), dass der Diakon durch die Ordination das Prägemal des Sakraments der Weihe empfängt. Der can. 1008 des CIC (Gesetzbuch des Kirchenrechts der römisch-katholischen Kirche) sagt aus, dass die drei Weihestufen ausgeübt werden in persona Christi Capitis. Entsprechend Lumen gentium 29, wo den Diakonen die feierliche Verwaltung der Taufe zugeteilt wird (vgl. SC 68), nennt Canon 861,1 jedes der drei Weiheämter als ordentliche Spender dieses Sakraments; Canon 129 spricht allen, die die heilige Weihe empfangen haben, die potestas regiminis zu.

Andererseits wird aber auch der Unterschied zwischen den priesterlichen Ämtern und dem diakonalen Amt betont. Die Konzilsaussage, wonach der Diakon nicht zum Priestertum, sondern zum Dienst geweiht wird, wurde durch mehrere Dokumente des nachkonziliaren Lehramts aufgegriffen. Auf sehr klare Weise unterscheidet das Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen (Nr. 1554) innerhalb derselben ordinatio den gradus participationis sacerdotalis des Episkopats und des Presbyterats und den gradus servitii des Diakonats. Der Diakonat, und ebenso seine Art der Teilhabe an der einen Sendung Christi, verwirklicht nämlich diese Sendung sakramental in der Weise eines Hilfsdienstes. Der Diakonat ist „icona vivens Christi servi in Ecclesia“, aber er bewahrt eben damit eine konstitutive Verbindung zum priesterlichen Dienst, dem er seine Hilfe leistet (Lumen gentium 41). Das ist nicht irgendein Dienst, der dem Diakon in der Kirche aufgetragen ist: Sein Dienst gehört zum Sakrament der Weihe, insofern er enge Mitarbeit mit dem Bischof und den Presbytern ist, in der Einheit der gleichen dienstamtlichen Aktualisierung der Sendung Christi. Der Katechismus der Katholischen Kirche (Nr. 1554) zitiert Ignatius von Antiochien: „Alle sollen die Diakone achten wie Jesus Christus, ebenso den Bischof als Abbild des Vaters, die Presbyter aber wie eine Ratsversammlung Gottes und wie eine Vereinigung von Aposteln. Ohne diese ist von Kirche nicht die Rede."[4]

Was die Ordination von Frauen zum Diakonat betrifft, sei angemerkt, dass sich aus dem bisher Dargelegten zwei wichtige Hinweise ergeben: 1. Die Diakonissen, die in der Überlieferung der frühen Kirche erwähnt werden, sind – entsprechend dem, was der Ritus der Einsetzung und die ausgeübten Funktionen nahe legen – nicht schlicht und einfach mit den Diakonen gleich zu setzen; 2. die Einheit des Weihesakraments, in der klaren Unterscheidung zwischen den Dienstämtern des Bischofs und der Presbyter auf der einen und dem diakonalen Dienstamt auf der anderen Seite, wird durch die kirchliche Tradition stark betont, vor allem durch die Lehre des II. Vatikanum und die nachkonziliare Lehre des Lehramts. Im Licht dieser Momente, die in der vorliegenden historisch-theologischen Untersuchung herausgestellt wurden, kommt es dem Amt der Unterscheidung, das der Herr in seiner Kirche eingerichtet hat, zu, sich mit Autorität zu dieser Frage zu äußern.

Jenseits aller Fragen, die der Diakonat aufwirft, darf daran erinnert werden, dass die aktive Präsenz dieses Dienstamtes seit dem II. Vatikanum im Leben der Kirche, in Erinnerung an das Beispiel Christi, ein lebendiges Bewusstsein des Wertes des Dienstes für das christliche Leben erweckt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2020
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[1] Apostolische Konstitution Sacramentum ordinis, 4-5.
[2] Paul VI., Ministeria quaedam (1972)
[3] Paul VI., Sacrum diaconatus (1967).
[4] Ignatius von Antiochien, Ad Trall. 3, 1.

Eine Antwort der Kirche auf die Zeichen der Zeit

Marianischer Diakonat

Pfr. Erich Maria Fink stellt Überlegungen an, wie die Grundzüge eines „marianischen Diakonats“ der Frau in der Kirche aussehen könnten. Er geht der Anregung von Papst Franziskus nach, sich über ein Dienstamt der Frau Gedanken zu machen, das sich an der Sendung der „Mutter Maria“ im göttlichen Heilsplan orientiert. Pfr. Fink ist überzeugt, dass die Schaffung eines „offiziellen Dienstes“ von Frauen als Pendent zum priesterlichen Weiheamt für Männer auch ein Gegengewicht zur gesellschaftlichen Entwicklung des Gender-Mainstreams bilden könnte, der die Geschlechterdifferenz zu leugnen versucht und einen Gegenentwurf zum christlichen Menschenbild darstellt.  

Von Erich Maria Fink

Immer schon haben Frauen im Leben der Kirche einen unersetzbaren Beitrag geleistet. Das vielfältige Engagement von Frauen, wie es sich heute in allen Bereichen des kirchlichen Lebens entwickelt, erfordert jedoch eine neue theologische Reflexion und Vertiefung. Papst Johannes Paul II. sprach von der Entdeckung des „Genius der Frau“, den es für das Reich Gottes fruchtbar zu machen gelte. Eine schlichte Abwehrhaltung gegenüber dem modernen „Feminismus“ wäre seiner Ansicht nach zu wenig. Vielmehr müssten die berechtigten Anliegen des Feminismus im christlichen Sinn gefördert werden. Der Einsatz von Frauen in der Pastoral sei nicht nur Ausdruck des vom II. Vatikanischen Konzil herausgestellten „Laien-Apostolats“, sondern ein „Zeichen der Zeit“, auf das die Kirche eine Antwort finden müsse.

Das Weihepriestertum

Im weltlichen Leben geht mit dem Bemühen um Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau meist ein Streben nach Macht einher. Dieser Geist hat auch in die Kirche Einzug gehalten. Oft verbirgt er sich hinter der Forderung, Frauen den Zugang zu allen Ämtern zu ermöglichen, ausdrücklich auch zum Priesteramt. Aber genau darin liegt meines Erachtens der Grund, warum das Bemühen, ein adäquates Format für einen „offiziellen Dienst“ der Frau in der Kirche zu finden, in eine Sackgasse geraten ist. Den Ausweg sehe ich darin, dass wir die von Gott geoffenbarte Ordnung seiner Kirche anerkennen und auf dieser Grundlage in die Zukunft blicken.

Papst Johannes Paul II. hat in seinem Apostolischen Schreiben „Ordinatio sacerdotalis“ „über die nur Männern vorbehaltene Priesterweihe“ vom 22. Mai 1994 deutlich dargelegt: „Damit also jeder Zweifel bezüglich der bedeutenden Angelegenheit, die die göttliche Verfassung der Kirche selbst betrifft, beseitigt wird, erkläre ich kraft meines Amtes, die Brüder zu stärken (vgl. Lk 22,32), dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten ha-ben.“ Wie auch Papst Franziskus bestätigt hat, handelt es sich hierbei um eine definitive Lehre der Kirche, an der nicht gerüttelt werden kann.

Auf diesem Hintergrund ist es bedeutsam, was das II. Vatikanische Konzil über die Einheit des Weihesakraments lehrt (z.B. in Lumen gentium 29). Danach gibt es nur ein Sakrament der Weihe, das sich in den drei Stufen des Diakonats, Presbyterats und Episkopats entfaltet. Im Anschluss an das Konzil wurde die Lehre von der Sakramentalität des Diakonats vertieft und mehrfach bekräftigt, so in zahlreichen päpstlichen Lehrschreiben, im Kodex des kanonischen Rechts (CIC 1983), im Katechismus der Katholischen Kirche (1992) und ebenso in den Grundnormen für die Ausbildung der ständigen Diakone (1998). Nach diesen Dokumenten vermitteln alle drei Weihestufen jeweils eine sakramentale Gnade und ein untilgbares Prägemal im Sinn einer seinsmäßigen Gleichförmigkeit mit Christus. Durch die Weihe werden die Amtsträger aller drei Stufen in den „Klerus“ eingegliedert.

Bislang hieß es in den Texten außerdem, dass alle drei Weiheämter in persona Christi Capitis (in der Person Christi des Hauptes) ausgeübt würden. Durch das Motu Proprio „Omnium in mentem“ vom 15. Dezember 2009 ließ Papst Benedikt XVI. allerdings sowohl im kirchlichen Gesetzbuch (cann. 1008 und 1009) als auch im Katechismus der Katholischen Kirche (Art. 875) Änderungen vornehmen. Danach wird die Formel „in der Person Christi des Hauptes“ nur noch für die Priester und Bischöfe verwendet, während von den Diakonen – im Rückgriff auf den grundlegenden Text des II. Vatikanischen Konzils in Lumen gentium 29 – gesagt wird, dass sie durch die Weihe „die Kraft“ bzw. „die Vollmacht“ empfangen, „in Gemeinschaft mit dem Bischof und seinem Presbyterium dem Volke Gottes in der ‚Diakonie‘ der Liturgie, des Wortes und der Liebe zu dienen“. Diese Differenzierung aber tut der Lehre von der Einheit des Weihesakraments keinen Abbruch.

Ich bin überzeugt, dass damit die Frage nach der Möglichkeit eines „ständigen Diakonats“ der Frau eindeutig zu beantworten ist: Nach der definitiven Erklärung Johannes Pauls II. ist es nicht möglich, Frauen die Diakonen-Weihe zu spenden, insofern sie der ersten Stufe des Weihsakraments entsprechen würde.

Die „Internationale Theologische Kommission“, die der Glaubenskongregation zugeordnet ist, hat in den Jahren 1998 bis 2003 unter Leitung von Bischof Gerhard Ludwig Müller ein umfangreiches Dokument mit dem Titel „Der Diakonat: Entwicklung und Perspektiven“ ausgearbeitet. Hinsichtlich des „ständigen Diakonats“, wie er durch das Konzil von Trient angeregt und vom II. Vatikanischen Konzil nach dem Vorbild der frühen Kirche wieder eingeführt worden ist, seien noch viele theologische wie juristische Fragen offen.

Im Blick auf einen Diakonat der Frau drückt sich das Dokument sehr vorsichtig aus. Es erklärt: „Die Einheit des Weihesakraments, in der klaren Unterscheidung zwischen den Dienstämtern des Bischofs und der Presbyter auf der einen und dem diakonalen Dienstamt auf der anderen Seite, wird durch die kirchliche Tradition stark betont, vor allem durch die Lehre des II. Vatikanums und die nachkonziliare Lehre des Lehramts. Im Licht dieser Momente, die in der vorliegenden historisch-theologischen Untersuchung herausgestellt wurden, kommt es dem Amt der Unterscheidung, das der Herr in seiner Kirche eingerichtet hat, zu, sich mit Autorität zu dieser Frage zu äußern.“ Offensichtlich wollte das Dokument die Tür zu einem diakonalen Dienstamt der Frau nicht endgültig schließen.

Frauendiakonat in der Geschichte der Kirche

Historisch gesehen ist das Thema eines Dienstamtes von Frauen in der Kirche höchst spannend. In den biblischen und kirchengeschichtlichen Quellen finden sich zahlreiche Anhaltspunkte, welche das Ringen der Kirche in dieser Frage durch die Jahrhunderte hindurch widerspiegeln.

Aufgrund ihrer Untersuchungen hält die „Internationale Theologische Kommission“ in dem besagten Dokument fest: „Die Diakonissen, die in der Überlieferung der frühen Kirche erwähnt werden, sind – entsprechend dem, was der Ritus der Einsetzung und die ausgeübten Funktionen nahelegen – nicht schlicht und einfach mit den Diakonen gleich zu setzen.“ Andererseits zeige der Blick in die Vergangenheit (vgl. 2. Kapitel: 4. Der Dienst der Diakonissen), dass es in der Kirche tatsächlich unterschiedliche Dienstämter gab, welche von Frauen ausgeübt wurden. Sie waren den Erfordernissen der jeweiligen Zeit angepasst, institutionell und juristisch im Leben der Kirche verankert, an die Hierarchie angebunden und durch den Segen der Kirche mit einer besonderen Standesgnade ausgestattet.

Die Kommission spricht davon, dass es für Diakonissen in den ersten Jahrhunderten eine „Ordination“ mit Handauflegung und Anrufung des Heiligen Geistes gab, also eine sog. „Epiklese“, wie sie eigentlich für Sakramente typisch ist. Dabei zitiert die Kommission aus den Apostolischen Konstitutionen, einer Sammlung von Abhandlungen über Kirchenordnung, Liturgie und Lehre der frühen Kirche aus dem späten vierten Jahrhundert. Sie gibt sogar ein vollständiges Weihegebet wieder, das der Bischof bei einer solchen Ordination gesprochen hat:

„Ewiger Gott, Vater unseres Herrn Jesus Christus, Schöpfer des Mannes und der Frau. Du hast Miriam, Deborah, Hanna und Hulda mit Geist erfüllt, du hast es nicht für unwürdig erachtet, dass dein eingeborener Sohn aus einer Frau geboren werde, und im Zelt des Zeugnisses und im Tempel hast du Wächterinnen der heiligen Tore aufgestellt. Siehe auch jetzt selbst auf diese deine Dienerin, die zu deinem Dienst gewählt worden ist, und gib ihr den Heiligen Geist und reinige sie von aller Befleckung des Fleisches und Geistes, dass sie das ihr anvertraute Werk würdig verrichte zu deiner Ehre und zum Lobe deines Christus, mit welchem dir und dem Heiligen Geiste Ehre und Anbetung sei in Ewigkeit. Amen.“

Diakonat der Frau in der heutigen Zeit

Ich halte es für einen Fehler, dass die innerkirchliche Diskussion um den Diakonat der Frau noch immer auf die sakramentale Weihe fixiert ist. Dadurch blockieren wir uns selbst. Wenn wir ein neues Kapitel in der Frage des Frauendiakonats aufschlagen möchten, müssen wir uns vom Gedanken des Frauenpriestertums verabschieden und klarstellen, dass ein Diakonat der Frau nichts mit dem Weihepriestertum zu tun hätte und nicht mit dem ständigen Diakonat identisch wäre, wie er ehelosen oder verheirateten Männern offensteht. Vielmehr müsste der Frauendiakonat ein völlig eigenständiges Dienstamt darstellen, ähnlich, wie es die frü-he Kirche für Frauen geschaffen und entsprechend pastoraler Bedürfnisse gestaltet hat.

Wenn die Kirche in diesem Sinn Klarheit schaffen würde, wäre eine völlig neue Ausgansposition gegeben. Die unseligen Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern einer Diakonenweihe für Frauen, die enorme Kräfte verzehren, könnten überwunden werden. Der Kirche könnte es gelingen, die Beteiligten ins Boot zurückzuholen und die Kräfte für einen gemeinsamen Weg in die Zukunft zu bündeln. Entspannt und zielstrebig zugleich könnte man sich der Aufgabe widmen, einen Frauendiakonat auszuformen, wie er zur Situation der Kirche in unserer Zeit passen würde.

Ich bin überzeugt, dass ein solcher Schritt eine angemessene Antwort auf die „Zeichen der Zeit“ wäre. Angesichts der missionarischen Herausforderungen an die Kirche von heute könnte ein „Diakonat der Frau“ dem Aufbau des Reiches Gottes zum Segen gereichen. Genau in diese Richtung weist uns Papst Franziskus den Weg. Im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Querida Amazonia“ vom 2. Februar 2020 heißt es: „Die gegenwärtige Situation verlangt, dass wir das Entstehen anderer spezifisch weiblicher Dienste und Charismen anregen, die auf die besonderen Bedürfnisse der Amazonasvölker in diesem Moment der Geschichte reagieren.“ Dabei betont der Papst, dass das Schreiben nicht nur für die Völker Amazoniens gelte, sondern für die ganze Weltkirche.

Frauen sollten „Zugang zu Aufgaben und auch kirchlichen Diensten haben, die nicht die heiligen Weihen erfordern und es ihnen ermöglichen, ihren eigenen Platz besser zum Ausdruck zu bringen“, so Papst Franziskus. Und er erinnert daran, „dass ein solcher Dienst Dauerhaftigkeit, öffentliche Anerkennung und eine Beauftragung durch den Bischof voraussetzt“. Er möchte „dass Frauen einen echten und effektiven Einfluss in der Organisation, bei den wichtigsten Entscheidungen und bei der Leitung von Gemeinschaften haben, ohne dabei jedoch ihren eigenen weiblichen Stil aufzugeben“.

Papst Franziskus hat sich in diesem Plädoyer für besondere Dienste der Frauen in der Kirche deutlich vom Weihesakrament abgegrenzt. Aus meiner Sicht hat er damit der Einführung eines Frauendiakonats den Weg geebnet. Seine Weichenstellung gibt einen unverfänglichen Rahmen vor, in dem die Schaffung eines diakonalen Dienstamtes der Frau möglich wäre.

Die Frage der „Ordination“ von Frauen

Papst Franziskus spricht in „Querida Amazonia“ noch nicht von einem „Diakonat“ oder einer „Ordination“ der Frau. Ich würde aber dafür plädieren, für solche „offiziellen Dienste“ der Frau ganz bewusst die Bezeichnung „Diakonat“ heranzuziehen. Selbstverständlich müsste noch ein klareres Bild der Aufgaben von Diakoninnen entwickelt werden, die bislang nur angedeutet sind. Doch der Ausdruck „Diakonat“, der nichts anderes als „Dienst“ bedeutet, sollte bewusst an das priesterliche Dienstamt von Männern erinnern und eine innere Verbindung beider Wirklichkeiten zum Ausdruck bringen.

In diesem Zusammenhang meine ich auch, dass sich die Kirche bewusst für eine „Ordination“ mit Handauflegung und Epiklese entscheiden sollte. Denn von einem „Frauendiakonat“ zu sprechen, hätte nur dann einen Sinn, wenn die Einsetzung in einen solchen Dienst über eine reine „Beauftragung“ durch den Bischof hinausginge. Die Frauen, die sich für einen entsprechenden Dienst in der Kirche bereitstellen, sollten dazu mit einer spezifischen Amtsgnade ausgestattet werden.

Sicherlich kann die Kirche kein zusätzliches Sakrament erfinden. Sie kann nicht über die Sakramente verfügen, die Jesus Christus selbst eingesetzt hat. So würde eine Ordination von Diakoninnen keine sakramentale Gnade vermitteln. Doch die Geschichte der Kirche zeigt, dass sie im Bereich des Segens neue Formen schaffen und Trägern von Ämtern durch Benediktionen die Gnade der Kirche mit auf den Weg geben kann. So wäre es kein Problem, auf Diakoninnen den Segen der Kirche herabzurufen und sie mit entsprechenden Gnaden zu „bekleiden“. Ein Frauendiakonat würde auf den sakramentalen Gnaden von Taufe und Firmung aufbauen und eine besondere Verwirklichung des „gemeinsamen Priestertums“ darstellen.

Dabei sollte ein Diakonat der Frau wohl ehelosen wie verheirateten Frauen offenstehen. Hier könnte die Entscheidung des II. Vatikanischen Konzils, nach welcher nun auch verheiratete Männer zu „ständigen Diakonen“ geweiht werden können, als richtungsweisendes Zeichen gedeutet werden.

Die Sendung Mariens als theologische und spirituelle Grundlage

Die Anregung, den Frauendiakonat als „Marianischen Diakonat“ zu verstehen, finde ich äußerst bedenkenswert. Tatsächlich müsste ein Diakonat der Frau seine Identität in der Sendung der Gottesmutter im göttlichen Heilsplan finden.

Papst Franziskus betont, der Priester vertrete „Jesus Christus“, der sich „als der Bräutigam der Eucharistie feiernden Gemeinschaft in der Gestalt eines Mannes“ zeige. Im „Dialog zwischen Bräutigam und Braut“ stehe er der Gemeinschaft „als Zeichen des einen Priesters“ vor. Und hinsichtlich der Frau schreibt er weiter: „Denn der Herr wollte seine Macht und seine Liebe in zwei menschlichen Gesichtern kundtun: das seines göttlichen menschgewordenen Sohnes und das eines weiblichen Geschöpfes, Maria. Die Frauen leisten ihren Beitrag zur Kirche auf ihre eigene Weise und indem sie die Kraft und Zärtlichkeit der Mutter Maria weitergeben.“ Dem Papst geht es dabei aber um mehr als nur um ein „mütterliches Gesicht“ oder einen „weiblichen Stil“ der kirchlichen Pastoral, er spricht von der „inneren Struktur der Kirche“, welche die „spezifische Macht“ der Frauen offenbare.

Der Papst lenkt unseren Blick auf die Stellung Mariens im Erlösungswerk. Sie hat ihr „Jawort“ stellvertretend für die ganze Menschheit gesprochen. Bei der Verkündigung hängt von ihrer Bereitschaft die Menschwerdung Gottes ab. Unter dem Kreuz bejaht sie das Leiden ihres Sohnes und nimmt die Fülle der Erlösungsgnade in ihr Herz auf. Auf der Hochzeit von Kana wird sie von Jesus selbst als die „Frau“ eingesetzt, welche von nun an den Erlöser nicht mehr nur als Mutter, sondern als Gefährtin, als Braut bzw. Frau begleitet. So repräsentiert sie in ihrer Person künftig die ganze Kirche, und zwar als die „Braut Christi“, die „Frau des Lammes“ (vgl. Offb 21,9). Bezeichnenderweise wird in den Texten des II. Vatikanischen Konzils für die Kirche der Titel „Braut Christi“ am häufigsten verwendet.

Ein Frauendiakonat in der katholischen Kirche müsste aus diesem Gedanken der Stellvertretung leben. Wie der Priester bei der Ausübung seines Dienstes „in der Person Christi als dem Haupt der Kirche“ handelt, müsste die Diakonin die gesamte Kirche als „Braut Christi“ vertreten und repräsentieren.

Ursakrament der Erlösung

Das II. Vatikanum hat sich Gedanken über das „Ursakrament“ gemacht, also über die Quelle, aus der letztlich die ganze Erlösungsgnade fließt. Es konnte sich aber nicht entscheiden, ob man das Ursakrament im „fleischgewordenen Wort“, also im Gottmenschen Jesus Christus, oder in seinem mystischen Leib, der sichtbaren Kirche, sehen muss. Die Inkarnation ist zwar Quelle der Neuschöpfung, doch der Menschensohn ist in dieser Welt nicht mehr sichtbar. Ein Wesenselement der Sakramente ist jedoch das wahrnehmbare Zeichen, durch das die unsichtbare Gnade vermittelt wird. So ist eher an die Kirche als „Ursakrament“ zu denken, denn die Gemeinschaft der Gläubigen ist durch die Geschichte hindurch sichtbar. In Lumen gentium bezeichnet das II. Vatikanische Konzil zunächst Christus als das „Licht der Völker“, wendet diese Wesensbeschreibung aber unmittelbar danach auf die Kirche an und sagt: „Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1).

Dieser berühmte Satz war für Papst Johannes Paul II. der entscheidende Ausdruck für das neue Selbstverständnis der Kirche. Zugleich bildete er einen Schlüssel für seine Erlösungstheologie. Johannes Paul II. betont, dass die Gläubigen nicht in erster Linie um ihres persönlichen Heiles willen Glieder des geheimnisvollen Leibes Christi sind, sondern für die Rettung der Welt. Denn durch die Kirche als Werkzeug in der Hand Gottes fließt die Erlösungsgnade zu allen Menschen. Für Johannes Paul II. heißt dies nicht, dass zwangsläufig alle gerettet werden, vielmehr stellt sich für ihn umso drängender die Frage, wovon die Fruchtbarkeit der Kirche als Sakrament des Heils für die Menschheit abhängt.

Die Antwort fand Papst Johannes Paul II. in einer Verbindung der beiden Ansätze, welche auf dem II. Vatikanum zur Sprache gekommen waren. Das Ursakrament ist für ihn nicht „Jesus Christus“ oder „die Kirche“, sondern das bräutliche Verhältnis, das Christus mit der Kirche verbindet. Je sichtbarer die Kirche ihre bräutliche Liebe zu ihrem Bräutigam in dieser Welt lebt, umso fruchtbarer entfaltet sie ihre sakramentale Wirkung für das Heil der Menschen, also für den Frieden untereinander und die endgültige Versöhnung mit Gott (vgl. LG 1).

Ein Diakonat der Frau müsste hier angesiedelt werden. Diakoninnen wären beauftragt, die Kirche nicht nur als „Braut Christi“ zu repräsentieren, sondern sich dafür einzusetzen, dass sie als „Braut des Lammes“ ihre Liebe zu Christus in der Welt sichtbar werden lässt. 

Die drei Grunddienste der Kirche

An dieser Stelle können wir auf die drei Grunddienste zurückkommen, die im Zusammenhang mit dem Diakonat als Weiheamt genannt werden (vgl. LG 29, CIC can. 1009 §3, KKK Art. 875). Während den Priestern und Bischöfen die „Ämter“ des Lehrens, des Heiligens und des Leitens (lat. munera docendi, sanctificandi et regendi) zugeschrieben werden, ist bei den Diakonen die Rede vom „Dienst“ der Liturgie, des Wortes und der Liebe (lat. diaconia liturgiae, verbi et caritatis).

Dabei handelt es sich aber nicht nur um Aufgaben, welche die Diakone „für das Volk“ erfüllen sollen, sondern um Grunddienste, mit denen die ganze Kirche ihre Sendung in der Welt verwirklicht. In Anlehnung an die Beschreibung der Urkirche in der Apostelgeschichte (Apg 2,42-44) wird manchmal zu den drei Diensten (Gottes-Dienst – griech. Liturgia; Dienst am Wort – Martyria; Dienst am Nächten – Diakonia oder lat. Caritas) noch die Gemeinschaft (Koinonia) als eigene Aufgabe genannt.

In unserem Zusammenhang ist nun entscheidend, dass eben diese Grunddienste den klassischen Weg darstellen, wie die Kirche als Braut ihrem Bräutigam Christus ihre Liebe erweisen kann. Im Gottesdienst begegnet die Gemeinde ihrem Bräutigam und schenkt ihm ihre Liebe und Hingabe, in der Verkündigung bezeugt sie, wofür ihr Herz brennt, und sie hilft Nächsten, als wäre es Christus selbst.

Wenn es zur Fruchtbarkeit des „Ursakraments“ nun darauf ankommt, dass die bräutliche Liebe der Kirche zu Christus in der Welt sichtbar wird, so ist es die Aufgabe der Kirche, in diese Grunddienste möglichst viele Gläubige einzubeziehen, ja alle Gläubigen zu einer aktiven Teilnahme zu befähigen. In diese Richtung hat die weltweite Pastoral der Kirche seit dem II. Vatikanischen Konzil bereits große Fortschritte gemacht.

Und genau an dieser entscheidenden Stelle ließe sich ein Frauendiakonat verankern. Hier könnte man seinen Sitz im Leben der Kirche auch lehrmäßig festschreiben. Frauen würden durch den Diakonat beauftragt, die Gläubigen zu schulen und zu befähigen, die Grunddienste auszuüben und darin Verantwortung zu übernehmen, beispielsweise in der Katechese, in Gebetsgruppen oder sozialen Projekten. Ein solcher diakonaler Dienst müsste auf der Grundlage einer soliden Ausbildung geschehen, er würde aber auch die Übertragung einer offiziellen kirchlichen Kompetenz verlangen.

 Zeugnis für das christliche Menschenbild

Das christliche Menschenbild baut auf der Schöpfungsordnung auf. Gott hat die Menschen als Mann und Frau erschaffen, damit sie sich in ihrer unterschiedlichen Veranlagung gegenseitig ergänzen, aber auch aneinander wachsen. Die Beziehung von Mann und Frau bildet das Fundament für Ehe und Familie, gleichsam das Herz des Reiches Gottes, den Raum, in dem die göttlichen Gaben der Liebe und des Lebens Gestalt annehmen, in dem die Würde des Menschen ihre Verankerung und ihren Schutz findet.

Alles was über Mann und Frau gesagt werden kann, muss sich auch im Leben der Kirche widerspiegeln. Immer schon hat ein Miteinander von männlichen und weiblichen Berufungen die Kirche als Familie Gottes geprägt. Doch könnte gerade die Kombination von geschlechtsspezifischen Amtsträgern ein Bollwerk gegen die Leugnung des Unterschieds der Geschlechter in der heutigen Zeit sein. Mit der Einrichtung eines Frauendiakonats, das sich bewusst an Maria ausrichtet, könnte die Kirche Zeugnis dafür ablegen, dass sie sich nicht dem Gender-Mainstream unterwirft, sondern im Gegenteil die unterschiedlichen Berufungen von Mann und Frau auch institutionell sichtbar macht und lebt. Gerade die „Theologie des Leibes“ von Papst Johannes Paul II., in der er die „Sprache des Leibes“ sowie die „marianisch-petrinische“ Struktur der Kirche entfaltet, könnte für die Ausgestaltung eines marianischen Diakonats der Frau wertvolle Anhaltspunkte bieten.

In Wirklichkeit erfüllen schon heute Frauen in der Kirche fast alle Dienste, die einem Frauendiakonat zukämen. Doch wäre es eine substantielle Bereicherung, wenn Dienst und Charisma der Frau mit der Amtsgnade eines Diakonats erfüllt und gestärkt würden. Ich bin überzeugt, dass die Kirche durch die Einführung eines „Marianischen Diakonats“ der Frau einen nachhaltigen theologischen, spirituellen und pastoralen Impuls erhalten und eine neue Dynamik in der Evangelisierung erleben würde.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2020
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Zum 100. Geburtstag des hl. Papstes Johannes Paul II.

Ein Pontifikat im Zeichen Mariens

Zum 100. Geburtstag des hl. Papstes Johannes Paul II. am 18. Mai 2020 veröffentlichen wir einen Beitrag, den der Theologe Hans Urs von Balthasar bereits 1988 verfasst hat. Anlass war das 10-jährige Jubiläum des Amtsantritts von Johannes Paul II., dessen Pontifikat schließlich 26 Jahre und fünfeinhalb Monate gedauert hat, nämlich vom 16. Oktober 1978 bis zu seinem Tod am 2. April 2005. Wie Hans Urs von Balthasar schon damals das Wirken des Papstes aus Polen bewertet hat, könnte treffender nicht sein und behält bis heute seine Gültigkeit. Der Rückblick hebt neben der tiefen marianischen Prägung vor allem die Verkündigung dieses großen Papstes hervor, der die Offenbarung Jesu Christi auf ganz neue Weise in die Welt gebracht habe. Dieser Akzent entspricht dem Anliegen der polnischen Bischofskonferenz, Johannes Paul II. zum „Kirchenlehrer“ und „Patron Euro-pas“ zu erheben, wie sie am 22. Oktober 2019 bekannt gegeben hat. Dabei wurde der Vorsitzende, Erzbischof Stanisław Gądecki, mit den Worten zitiert: „Das Pontifikat des Papstes aus Polen war voller bahnbrechender Entscheidungen und bedeutender Ereignisse, die das Erscheinungsbild des Papsttums verändert und den Lauf der Geschichte Europas und der Welt beeinflusst haben.“  

Von Hans Urs von Balthasar

Die geistliche Tiefe seiner charismatischen Persönlichkeit

Es würde nicht genügen, alle die verschiedensten Wirkungsfelder, in denen unser Heiliger Vater, Papst Johannes Paul II., in den nun erfüllten zehn Jahren seines Pontifikats aufs Segensreichste befruchtet hat, zu beschreiben, wenn man nicht als ersten und wichtigsten, alles Wirken bestimmenden Gesichtspunkt ins Licht stellte: die geistliche Tiefe seiner Persönlichkeit. Einzig aus ihr erfließt aller Segen, der seine unermüdliche Tätigkeit und für menschliches Ermessen unbegreifliche Schaffenskraft begleitet. Vieles von diesem Segen ist an der Oberfläche sichtbar, mehr davon wohl nur indirekt und statistisch gar nicht fassbar, obschon man weiß, dass Millionen von Herzen davon berührt und verwandelt worden sind. Die Presse kann zuweilen von der „charismatischen Ausstrahlungskraft“ seiner Persönlichkeit sprechen, als ob damit etwas psychologisch Greifbares ausgesagt wäre, aber solche Epitheta können die wahren Quellen, woraus diese Kräfte hervorsprudeln, auch nicht annähern.

Ebenso wenig würde es genügen, vom starken „Sendungsbewusstsein“ des Papstes zu sprechen, das ihn etwa zu seinen so häufigen Reisen drängen würde: auch dies bliebe wenigstens für die meisten ein rein-menschliches Motiv, das ihn zu einem so ungewöhnlichen Einsatz bewegen würde. Erst recht würde ein Hinweis auf seine „Vitalität“ am Wesentlichen vorbeizielen, zumal wenn man bedenkt, wie körperlich geschwächt er dem beinah tödlichen Attentat entronnen ist. Und dass die sicherlich steigende Ermüdung ihn nicht abhält, immer noch neue Länder zu besuchen oder schon besuchte erneut zu bereisen, beweist deutlich genug, dass weder Wanderlust noch das Bedürfnis, sich unter neue Menschenmassen zu mischen, sondern einzig ein drängender Auftrag ihn bewegt, sich Strapazen auszusetzen, die, wie berichtet wird, von seinen Begleitern nur mit Mühe ertragen werden, während ihn selbst eine unbegreifliche Kraft beflügelt, die ihn jeweils die höchste Müdigkeit überwinden lässt.

Die schöpferische Macht seines demütigen Gebets

Diese geheimnisvolle Kraft hat einen ganz schlichten Namen: sie heißt Gebet. Ohne Zweifel waren alle großen Päpste auch große Beter, von denen unseres Jahrhunderts ist es unbezweifelbar. Im Himmel werden wir in das Geheimnis ihrer Seelen blicken dürfen, wie jeder von ihnen auf seine ihm persönlich eigene Weise im verschlossenen Kämmerlein der Bergpredigt sich die Kräfte für das Tragen seiner schweren Bürde geholt hat. Aber beim jetzigen Heiligen Vater scheinen die Wände dieser Kammer gleichsam durchsichtig geworden zu sein, so dass jeder halbwegs Gutwillige wahrnehmen kann, aus welcher Fülle schlichten und demütigen Gebets die Kräfte für sein Wirken ausströmen. Niemand hat Zutritt zum geheimen Gespräch zwischen Gott und ihm, aber wer das Glück hatte, eine heilige Messe mit ihm zusammen zu feiern oder einer sonstigen Andacht – wie etwa dem Kreuzweg am Karfreitag – beizuwohnen, muss etwas von der schöpferischen Macht dieses Gebetes gespürt haben. Seine unzählbaren Predigten, Homilien, Ansprachen sind davon durchtränkt, auch wenn er menschliche Fragen der Ethik, der Soziologie, der Menschenrechte, des Friedens oder der Wissenschaft behandelt.

Ohne im Geringsten die Leistungen seiner großen Vorgänger in den Schatten zu stellen – Leistungen, die er selber immer wieder rühmend hervorhebt –, so darf doch auf einen bestimmten neuen Klang seiner großen Sendschreiben an die Kirche hingewiesen werden: Gewiss sind sie Lehrschreiben, aber von einer so fühlbaren persönlichen Herzenswärme dargelegt, so wenig der objektiven kurialen Diktion verhaftet, sosehr in der Themenwahl und im Ausdruck der unmittelbaren Kontemplation entströmend, dass man das schlagende Herz des Redenden spürt und deshalb auch unmittelbar im Herzen betroffen wird. Dies gilt von der ersten Enzyklika „Redemptor Hominis“ an, die keine abstrakte Soziallehre entfaltet, sondern der Menschheit von heute unmittelbar ins konkrete Bewusstsein spricht, für alle folgenden, wobei man bei dem Schreiben über „Das Erbarmen Gottes“ besonders aufhorchen müsste, weil hier die Themenwahl und der Sprechstil in außergewöhnlicher Intensität aus der innersten Mitte des Gebetes gewählt und formuliert zu sein scheinen.

Seine zündende Heilsbotschaft an den konkreten Menschen

Jeder, der ein Weniges vom Werk Wojtyłas kennt, weiß, dass er aufgrund seiner philosophisch-anthropologischen Studien und Schriften zentral den Menschen im Blick hat, den konkreten und geistig wirkenden Menschen, um dessentwillen es all die ethischen, soziologischen und politischen Wissenschaften gibt. Der Papst kennt sie und sucht mit ihren Veränderungen Schritt zu halten, aber sie interessieren ihn nur, sofern sie sich mit dem wirklichen Menschen befassen und ihm zu reinerer Menschlichkeit verhelfen. Denn der Kirche, die als Ganze die Konkretheit Jesu Christi in Welt und Geschichte ist, in der es nur konkrete Sendungen, aber keine abstrakten „Funktionen“ und „Ämter“ gibt (wie im Staat), liegt immer nur der konkrete Mensch als wirkliches oder mögliches Glied am Leibe Christi vor Augen und am Herzen, und alles, was sie an Heil zu verkünden hat, gilt immer einzig diesem leibhaftigen Menschen. Sehr viel intensiver als bei Marx geht es ihr um den „konkreten Humanismus“, gerade auch dann, wenn sie Aug in Auge zum „Kapital“ von der menschlichen Arbeit redet. Nichts in den Reden dieses Papstes ist bloße „Theorie über…“, alles zielt (wie sein Hauptwerk es im Titel sagt) auf Person und Tat. Aber weil nach der christlichen Heilsbotschaft der Mensch als Person und deshalb auch als Wirkender seine wahre Befreiung nur in der Tat Gottes in Jesus Christus und ihrer Rezeption durch den Menschen findet, deshalb kann der Papst, wenn er von sozialer Gerechtigkeit, von Frieden und Menschenrechten spricht, den Menschen und seine Belange nie anders als im Licht der Heilsbotschaft sehen. Und dies ist keine einseitige Sicht, weil ja auch das ganze Evangelium Gottes, einschließlich der kirchlichen Mysterien und Sakramente, ja einschließlich der Offenbarung über das dreieinige Liebeswesen Gottes ganz und gar auf den Menschen zu gesprochen ist. Nichts in der Theologie, wenn sie wahrhaft ist, was sie sein soll, kann auch nur einen Augenblick ihre Abzielung auf den Menschen vergessen. Für alles, was der Papst spricht und schreibt, ist dies selbstverständlich, deshalb steht es dem Evangelium so nahe, ja ist nichts als seine Auswortung für heute.

Welche Menschen spricht der Papst an? Vor allem jene, denen er hofft, vertrauen zu können, jene, bei denen er ein offenes Ohr vermutet. Sicher in erster Linie die Bischöfe, ohne die er auf seinen Reisen nie etwas unternimmt, in deren Vertrauen und Einverständnis er alles tut. Dann die Priester (etwa im Schreiben über den „Dienst aus der größeren Liebe zu Christus“), von denen er mit Recht so vieles erhofft und zu Unrecht so viel Misstrauen und Abwendung zu erleben hat. Und dann die Jugend, die noch nicht von den zersetzenden Wirkungen von Presse und Medien verwirrt ist und in großen Scharen ihm zuhört. Die Kranken, denen er so besondere Sorge zuwendet, die Armen aller Länder, deren Rechte er unermüdlich verteidigt, die Arbeiter, denen er schon als Erzbischof seine Hirtensorge zuwandte und deren Lebensbedingungen er aus Erfahrung kennt, schließlich allen, die auf der Suche nach wahrem Heil sind, mögen sie an einen persönlichen Gott glauben oder nicht: In Christus, der für alle gelebt und gelitten hat, sind sie Brüder. Was hindert, dass wir gemeinsam nach einem Heil, das wir uns nicht selber geben können, suchend aufblicken?

Sein Aufblick zu Maria als Vorbild und Herzmitte der Kirche

Man verstünde aber die Spiritualität unseres Heiligen Vaters nie wirklich, wenn man sein Verhältnis zur Mutter des Herrn außer Acht ließe. Diese Andacht ist weiß Gott, wenn man auf die ganze Tradition der katholischen Kirche zurückblickt, nichts spezifisch Polnisches. In seinem durchaus persönlichen und originellen Schreiben über Maria, die „Mutter des Erlösers“, einen sich in besonderer Weise das Gebet des Papstes mit seiner Anthropologie und Ekklesiologie.

Maria selbst ist die vollkommene Beterin: als die Jasagende bei der Menschwerdung, als die Fürbittende in Kana, die durch ihre Indifferenz – „Tut, was Er euch sagt“ – Erhörung findet, als die mit Johannes, ihrem Sohn, als Mutter in die Kirche hinein Verfügte, in deren gemeinsames Gebet sie eingeht, dem sie aber auch (wie der Papst eindringlich zeigt) durch ihre ganze Existenz im glaubenden Gebet den Weg weist. So wird sie Vorbild und Herzmitte der Kirche zugleich. In der Apokalypse wird sie aus der Mutter des Messias (Kp. 12) zu dessen endzeitlicher Braut (Kp. 19), sie stellt die im Alten Bund begonnene weibliche Rolle des Volkes Gottes im Neuen Bund endgültig dar und wird so zur wahren Antwort an eine feministische Lesung der Schrift, ja zum Leitfaden für eine solche.

Der Nachfolger Petri, der als Bischof von Rom für die Einheit der sichtbaren Kirche zu sorgen hat, ist innerlich auf dieses marianische Einheitsprinzip der Kirche als Braut Christi verwiesen; beide kirchlichen Prinzipien – beide ausdrücklich durch Christus selbst in ihre Rolle eingewiesen – sind voneinander untrennbar und werden nur zum größten Schaden der organischen kirchlichen Einheit voneinander geschieden. Sowenig sich Maria als Mutter und Urbild der Kirche dienstamtliche Funktionen aneignen will, sowenig kann das päpstliche und jedes andere Dienstamt seine Aufgabe ohne Aufblick zur Fraulichkeit und Mütterlichkeit der Kirche ausüben.

Seine Orientierung am glaubensstarken Dienst der Immaculata

Papsttum und Mariologie galten seit je als besondere Kennzeichen der katholischen Kirche, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass die Kirchen der Reform sie gleichzeitig verwarfen. Aber der Zusammenhang zwischen beiden ist auch in den hohen Zeiten marianischer Frömmigkeit, etwa im Mittelalter oder wieder zur Zeit der Pius-Päpste wenig erkannt worden, obschon Maria im westlichen Raum – mehr als im östlichen – doch immer als das Urbild der Kirche gesehen wurde. Aber sie stand dabei, auch im Zeichen der neuen Formulierungen marianischer Dogmen, doch stark als einzelne, begnadete Person im Blick: ihre Privilegien waren der Gegenstand der Bewunderung. Johannes Paul II. sieht sie anders, den einfachen Gläubigen viel näher. Er betont ihren Glauben, der ihr ganzes irdisches Leben ausgezeichnet hat: einen nichtsehenden, ja oft (wie beim Zwölfjährigen) nichtverstehenden Glauben. Damit rückt er sie nicht nur den zahllosen Pilgern zu marianischen Wallfahrtsorten näher – es sind ja oft gerade die demütigsten, unscheinbarsten Christen, die bei der „Mutter der Kirche“ Hilfe und Geborgenheit suchen –, sondern auch seinem eigenen Dienstamt, das er mit den Bischöfen und Priestern teilt: Ist er der Knecht der Knechte Gottes, so ist Maria die Magd der Mägde; beide verweisen auf den einen Herrn der Kirche: „Weide meine Schafe“, „tut, was Er euch sagt“. Nur in dieser schlichten katholischen Sicht, in deren Tiefe man freilich eindringen muss, werden die feministischen Ansprüche befriedigt und in ihrer Einseitigkeit überwunden. Befriedigt, sofern die Immaculata hoch über Petrus steht, die Kirche als Braut Christi in all ihren Gliedern wesenhaft weiblich ist; überwunden, da vom Kreuz her Jesus seine Mutter in die Kirche einweist, und zwar durch Johannes in die ganz konkrete, von Petrus geleitete Kirche.

Sein flammendes Zeugnis für das Geheimnis des dreieinigen Gottes

Diese Hinweise auf die organische Struktur der Kirche – communio hierarchica ist das bekannte Kennwort des Konzils – sollen in keiner Weise nahelegen, hier liege das Zentrum der Spiritualität unseres Papstes. Es liegt natürlich dort, wo sich die Offenbarung des dreieinigen Gottes im menschgewordenen Sohn entfaltet, Beweis dafür ist die gewaltige Trilogie der Enzykliken über den Sohn, den Vater und den Heiligen Geist. Wie notwendig war es, dieses alles begründende Mysterium den Gläubigen in Erinnerung zu rufen, das so vielen als eine unfassbare, ihnen unverständliche Wahrheit ferngerückt ist! Dabei ist es doch das, was jedem das Vertrauteste sein sollte: dass Gott, wie Johannes sagt, die Liebe ist, und es nicht anders sein kann, als indem er dreieinig ist und uns in dieses sein ewiges Liebesleben durch Menschwerdung, Kreuz, Eucharistie und Geistverleihung einbeziehen will.

Die Spiritualität unseres Heiligen Vaters ist eine einzige Widerlegung der müden Resignation vieler heutigen Christen, die meinen, die Wahrheiten der Offenbarung seien zu alt, um „noch wahr zu sein“, zu verbraucht, um die Welt von heute noch zu beeinflussen und von innen her zu verwandeln. Die ungeheure geistliche Lebendigkeit unseres Papstes zeigt vielmehr, dass gerade diese zentralen christlichen Wahrheiten und sie allein imstande sind, all die Probleme, die das vorliegende Werk nun der Reihe nach entfalten wird, zu durchsäuern und aus scheinbar Ausweglosem eine weiterweisende Straße zu öffnen.

Anmerkung:

Die vorliegende Würdigung verfasste Hans Urs von Balthasar zum 10jährigen Jubiläum des Pontifikats Johannes Pauls II. in deutscher Sprache. Der Text wird hier erstmals auf Deutsch publiziert. Bisher war er nur in italienischer Übersetzung als Einleitung zu einer Festgabe erschienen, welche Sergio Trasatti, der Chefredakteur des „L'Osservatore Romano“, herausgebracht hatte: Giovanni Paolo II. 10 Anni di Pontificato. Testimonianze e Riflessioni. Raccolte da Sergio Trasatti, Edizione Aquila Bianca, Roma 1988, 11-17.

Von Balthasar datierte sein Manuskript auf den 17. April 1988. Dies ist umso erstaunlicher, als man man bedenkt, dass er bereits am 28. Juni 1988 gestorben ist. Der Text ist also unmittelbar vor seinem Tod entstanden und stellt ein einzigartiges Vermächtnis dar.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2020
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Zwei Leuchter vor dem Herrn

Von Anton Strukelj

Karol Józef Wojtyła, Papst Johannes Paul II., wurde am 18. Mai 1920 in Wadowice geboren. Anlässlich seines 100. Geburtstages im Jahr 2020 blicken wir auf die Zusammenarbeit und die „geistige Verwandtschaft“ von zwei großen Gestalten. Der hl. Papst Johannes Paul II. und Hans Urs Kardinal von Balthasar sind wie „die zwei Ölbäume und die zwei Leuchter, die vor dem Herrn der Erde stehen“ (Offb 11,4). Beide waren nicht nur Zeitgenossen und enge Mitarbeiter, sondern auch echte Freunde und große Glaubenszeugen. Beide, vom Herrn mit zahlreichen Talenten gesegnet, haben ihre mannigfaltige Begabung selbstlos in den Dienst an Gott und die Mitmenschen gestellt. Im Geist der evangelischen Armut haben beide nur das eine Notwendige gesucht. Papst Johannes Paul II. – ganz marianisch (Totus tuus) – wollte auf die Frage Jesu an Petrus: „Liebst du mich?“ nur eine grundsätzliche und wesentliche Antwort geben, und zwar: „Die einzige Ausrichtung des Geistes, die einzige Zielsetzung des Intellektes, des Willens und des Herzens ist für uns dieses: hin zu Christus, dem Erlöser des Menschen, zu Christus, dem Erlöser der Welt. Auf ihn wollen wir schauen, denn nur in ihm, dem Sohne Gottes, ist Heil; wir wollen den Ausruf des Petrus wiederholen: ,Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens‘“ (Redemptor hominis, Nr. 7).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2020
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Der Genius der Frau

Am 29. Juni 1995 richtete Papst Johannes Paul II. einen „Brief an die Frauen“, in dem er Gott „für das ,Geheimnis der Frau‘ und für jede Frau, für das, was das ewige Maß ihrer weiblichen Würde ausmacht“, dankt. Er zeigt die Sendung der Frau für Kirche und Welt auf und verweist dabei insbesondere auf die Gottesmutter Maria. In ihr leuchte der „Genius der Frau“ als Braut und Mutter am vollkommensten auf, den sie durch die Hingabe ihrer selbst verwirklicht habe. Nachfolgend ein Auszug aus Nr. 10.

Von Papst Johannes Paul II.

Die Kirche sieht in Maria den erhabensten Ausdruck des „Genius der Frau“ und findet in ihr eine Quelle nicht versiegender Inspiration. Maria hat sich als „Magd des Herrn“ bezeichnet (Lk 1, 38). Aus Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes hat sie ihre bevorzugte, aber alles andere als leichte Berufung einer Braut und Mutter der Familie von Nazareth angenommen. Dadurch, dass sie sich in den Dienst Gottes stellte, stellte sie sich auch in den Dienst der Menschen: ein Liebesdienst. Dieser Dienst hat es ihr ermöglicht, in ihrem Leben die Erfahrung einer geheimnisvollen, aber echten „Herrschaft“ zu verwirklichen. Nicht zufällig wird sie als „Königin des Himmels und der Erde“ angerufen. So ruft sie die ganze Gemeinschaft der Gläubigen an, viele Nationen und Völker rufen sie als „Königin“ an. Ihre „Herrschaft“ ist Dienst! Ihr Dienst ist „Herrschaft“!

So sollte die Autorität sowohl in der Familie wie in der Gesellschaft und in der Kirche verstanden werden. Das „Herrschen“ offenbart die wesentliche Berufung des Menschen, der geschaffen ist nach dem „Bild“ dessen, der Herr des Himmels und der Erde ist, und dazu berufen, in Christus Gottes Adoptivkind zu sein. Der Mensch ist auf Erden die einzige „von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur“, wie das II. Vatikanische Konzil lehrt, das bezeichnenderweise hinzufügt, dass der Mensch „sich selbst nur durch die aufrichtige Hingabe seiner selbst vollkommen finden kann“ (Gaudium et spes, 24).

Darin besteht die mütterliche „Herrschaft“ Mariens. Da sie mit ihrem ganzen Sein Hingabe für den Sohn gewesen war, wird sie auch zur Hingabe für die Söhne und Töchter des ganzen Menschengeschlechts, indem sie das tiefe Vertrauen dessen weckt, der sich an sie wendet, um sich auf den schwierigen Pfaden des Lebens zu seiner endgültigen, transzendenten Bestimmung geleiten zu lassen. Dieses Endziel erreicht ein jeder über die Etappen seiner Berufung, ein Ziel, das dem zeitlich-irdischen Einsatz sowohl des Mannes wie der Frau die Richtung weist.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2020
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Vom Hirtenmädchen und dem Künstlermönch (1)

Das Unbefleckte Herz für die Welt

Corona lehrt uns, wie sich plötzlich alles verändern kann, wie heute in Frage steht, was gestern fraglos galt! Aber was auch immer an Unabsehbarem werden mag, welche Prüfungen auf uns noch warten: In Vielen weckt das Virus den Sinn für Wesentliches, bringt zu Tage, was jeder wirklich wert ist, im Guten wie im Bösen.

Am Glockenturm zu Fatima spricht seit 1958 eine eindrucksvolle Statue vom Unbefleckten Herzen Mariens. Gerade heute ist es unsere Zuflucht und der Weg, der uns zu Gott führt. Denn uns bewegt, dass Francisco und Jacinta Marto, die heiligen Hirtenkinder, an der Spanischen Grippe starben, wie es Maria vorhersagte. In einzigartiger Weise prägte Lúcia dos Santos, die überlebende Seherin, die Gestaltung dieses Kunstwerks, das ein dominikanischer Priestermönch ausführte. Wir sehen in der Statue also, wie Lúcia Unsere Liebe Frau sah.

Mit dieser Ausgabe beginnen wir eine fünfteilige Folge über die Entstehungsgeschichte dieser Statue. Prof. Dr. Wolfgang Koch und seine Frau Dorothea sehen darin eine bei uns kaum bekannte Quelle für die Ereignisse von Fatima. Sie erzählen nach, wie sich P. Thomas McGlynn O.P. auf diese Aufgabe einließ. Das Hirtenmädchen Lucía ermutigte selbst den Künstlermönch, über die Entstehung ihres Gemeinschaftswerks zu schreiben: „Bitte stellen Sie die geistliche Bedeutung der Dinge heraus, um die Seelen, die heute so materialistisch gesinnt sind, zu Übernatürlichem zu erheben, so dass sie die wahre Bedeutung der Absicht verstehen, um derentwegen Unsere Liebe Frau auf die Erde kam. Sie ist, sie zu Gott zu führen.“  

Von Dorothea und Wolfgang Koch

Längst schon ist der weiße Glockenturm mit seiner weithin golden leuchtenden Krone ein Symbol Fatimas. Wie mit weit ausgebreiteten Armen öffnen sich von ihm aus großartige Kolonnaden mit Kreuzwegaltären zur Cova da Iria den Pilgern aus aller Welt. Vom 13. Mai bis zum 13. Oktober erschien dort Unsere Liebe Frau vom Rosenkranz drei Hirtenkindern. Die beiden jüngsten, Jacinta (1910-1920) und Francisco Marto (1908-1919), sprach Papst Franziskus am 13. Mai 2017 in Fatima heilig.

„Betet täglich den Rosenkranz, um den Frieden der Welt und um das Ende des Krieges zu erlangen!“, bat Maria, „bevor Sie sich ruhig erhob, in Richtung des Sonnenaufgangs aufstieg und in der Unendlichkeit der Ferne verschwand“, beschreibt Lúcia dos Santos (1907-2005), das älteste der Kinder, das Ende der ersten Erscheinung am 13. Mai. „Das Licht, das Sie umgab, schien einen Weg durch die Himmelswölbung zu öffnen."[1] Zuvor hatte Maria ihre Hände ausgebreitet und die Kinder in ein Licht gehüllt, in dem sie sich selbst in Gott schauten, die Heiligste Dreifaltigkeit anbeteten und bekannten: „Mein Gott, mein Gott, ich liebe Dich im heiligsten Sakrament.“

Rosenkranzgeheimnisse

Alle Geheimnisse des heiligen Rosenkranzes veranschaulicht die Basilika des Santuario de Fátima den Pilgern durch die golden schimmernden Reliefs ihrer zweimal sieben Seitenaltäre und das eindrucksvolle Apsisrelief aus leuchtend weißem Stuck über dem Hauptaltar. Am Rosenkranzfest des Marianischen Jahres 1954 wurde die große Wallfahrtskirche Fatimas als Rosenkranzbasilika geweiht, nachdem ihr Grundstein schon am 13. Mai 1928 in Gegenwart des portugiesischen Staatspräsidenten, des Ministerpräsidenten und von rund 300.000 Pilgern gelegt worden war.

Das letzte der Rosenkranzgeheimnisse, die Krönung Mariens im Himmel, nimmt der golden bekrönte Turm der Basilika kraftvoll auf und lässt es triumphieren. Über dem Hauptportal zeigt er die Marienkrönung als kostbares Mosaik der vatikanischen Werkstätten, das der Fatima-Papst Pius XII. (1876-1958) segnete. Und durch alle Stunden des Tages singt der Turm mit dem Geläut seiner Glocken das Fatima-Lied: Doch spricht aus den freundlichen Zügen ein Schmerz: / Die Sünden der Menschen betrüben ihr Herz.

Seit dem 13. Mai 1958 ziert den bekrönten Glockenturm in einer großen Nische das Geschenk der US-amerikanischen Katholiken an Fatima, eine eindrucksvolle, mehr als fünf Meter hohe Statue des Unbefleckten Herzens Mariens, geschaffen von dem dominikanischen Priestermönch und Skulpteur Father Thomas McGlynn O.P. (1906-1977). Sie beherrscht das Panorama des Santuario de Fátima.

Die Statue des 13. Juni 1917

Auch flüchtige Betrachter erkennen sie sofort als Fatima-Statue. Der genauere Blick lässt jedoch aufmerken. Dieses Bild Unserer Lieben Frau, die von sich sagte: „Ich bin vom Himmel“, hat einen besonderen Charakter. Wem es durch wiederholtes Betrachten vertraut wird, geht es vielleicht tiefer zu Herzen als die weltberühmte Statue am Erscheinungsort selbst, ja mehr noch als die anrührende Skulptur an der Weide Valinhos, die an Mariens Erscheinung vom 19. August erinnert und ihren Wunsch: „Betet, betet viel und bringt Opfer für die Sünder, denn viele Seelen kommen in die Hölle, weil sich niemand für sie opfert und für sie betet."[2]

Die amerikanische Statue am Glockenturm vergegenwärtigt die viele besonders bewegende Erscheinung Mariens am 13. Juni 1917, als sie zuerst ihr Unbeflecktes Herz offenbarte. Als Lúcia bittet, sie in den Himmel mitzunehmen, sagt Maria, sie werde zwar Jacinta und Francisco bald holen, was uns gerade heute berührt. Aber Jesus wolle sich Lúcias bedienen, „damit die Menschen mich erkennen und lieben. Er möchte auf Erden die Verehrung meines Unbefleckten Herzens begründen."[3] „Wer sie annimmt, dem verspreche ich das Heil, und diese Seelen werden von Gott geliebt wie Blumen, die von mir hingestellt sind, um Seinen Thron zu schmücken."[4] Als Lúcia traurig wird, tröstet Maria: „Lass dich nicht entmutigen. Niemals werde ich dich verlassen, mein Unbeflecktes Herz wird deine Zuflucht sein und der Weg, der dich zu Gott führen wird.“

Herz, umgeben von Dornen

„In dem Augenblick, als Sie diese letzten Worte sagte“, erinnert sich Lúcia, „öffnete Sie die Hände und übermittelte uns zum zweiten Male den Widerschein dieses unermesslichen Lichtes. Darin sahen wir uns wie in Gott versenkt. Jacinta und Francisco schienen in dem Teil des Lichtes zu stehen, der sich zum Himmel erhob, und ich in dem Teil, der sich über die Erde ergoss. Über der rechten Handfläche Unserer Lieben Frau befand sich ein Herz, umgeben von Dornen, die es zu durchbohren schienen. Wir verstanden, dass dies das Unbefleckte Herz Mariens war, verletzt durch die Sünden der Menschheit, das Sühne wünscht.“

Wer nach 103 Jahren Mariens Schmerz und ihre Warnung vor der Hölle erwägt, denkt nicht nur an Sünde als böses Tun im Wissen um die Bosheit solchen Tuns. Sie ist schlimm genug. Akte staatlicher Gesetzgebung unserer Zeit erinnern zudem an die erste Sünde. Für Thomas von Aquin besteht sie im Willen, aus eigenem Vermögen für sich zu bestimmen, was gutes und böses Tun ist, in diesem Sinne also Ähnlichkeit mit Gott zu begehren, im Wissen um Gutes und Böses nämlich, ja aus sich heraus vorherzusehen, welches Gut und Übel dem Menschen zufalle.[5] Ist dies das Wesen des Liberalismus, Missbrauch der Freiheit schlechthin, Verstoß gegen die „Ökologie des Menschen“, vor der Benedikt XVI. (geb. 1927) im Deutschen Bundestag warnte?[6]

Es ist also das von den Sünden der Menschen verletzte Unbefleckte Herz Mariens, das die Statue am Glockenturm von Fatima vergegenwärtigt. Wie besonders ein Blick von der Seite zeigt, beugt sich Maria aus der Nische heraus, den Hirtenkindern, aber auch uns Gläubigen zugewandt. Ihre Hände öffnen sich, wie von Lúcia beschrieben.

Teilnehmende Miterlöserschaft

Während sie mit der Linken eine aufrichtende, ermutigende Geste andeutet, wirkt ihre rechte Hand, von der ihr Rosenkranz frei und lang herabhängt, mütterlich segnend, ja tröstend. Mariens zartes Gesicht umrahmt ein Schleier, der ihr Haar ganz bedeckt und in die Falten eines Mantels übergeht. Aus ihm spricht ergreifender Ernst. Hinter ihrem Haupt bezeichnet ein schmaler Goldreif einen Heiligenschein. Den Saum ihres schlichten Gewandes ziert ein fünfzackiger Stern, auf den in der späten Nachmittagssonne der Schatten des Kreuzes an ihrem weißen Rosenkranz fällt.

Vom Nacken herab hängt über den Falten ihrer Tunika eine kleine Kugel an einem Band knapp über der Taille. Vor der linken Seite ihrer Brust zeigt Maria ihr Unbeflecktes Herz, von einer Dornenkrone umgeben. Ist es diese schmerzhafte, schmachvolle und doch zugleich glorreiche Krone ihres Sohnes, an der Maria durch ihre Krönung Anteil hat, die das letzte Rosenkranzgeheimnis betrachtet und die Fatimas Turm verkündet? Unter Jesu Kreuz durchdrang schon unsagbares Leid ihr Herz wie ein Schwert, „damit die Gedanken vieler Herzen offenbar werden“, wie ihr der greise Simeon im Tempel vorhergesagt hatte.[7] Verweist das von Dornen umschlossene Herz Mariens auf das Geheimnis ihrer „teilnehmenden Miterlöserschaft?"[8]

Umrahmt ist die Nische von klassizistischen Pilastern, überwölbt von geschwungenem Gesims, unter dem sich als goldenes Mosaikmedaillon Buchstaben ihres Titels Nossa Senhora de Fátima ornamental umschlingen.

Ein Mönch erinnert sich

Seit 2017 sind die Erinnerungen Father McGynns wieder greifbar, in denen er 70 Jahre zuvor die Entstehung jener Statue beschrieb, leider nur auf Englisch.[9] Staunend erfährt der Leser, dass er am Glockenturm eigentlich Lúcias Statue sieht, des Hirtenmädchens, das Unsere Liebe Frau sah und mit ihr sprach. Während einer in der Kunstgeschichte wohl einmaligen Koproduktion wird der Priestermönch, der schon als Vierjähriger seine erste Skulptur schuf, vom 8. bis zum 14. Februar 1947 zum Werkzeug in der Hand von Irmã Dores. Dies war der Ordensname Lúcias im Haus der Dorotheenschwestern in Vila Nova de Gaia am Südufer des Douro gegenüber von Porto.

„Die Komposition war ganz und gar nicht mehr die meine“, schreibt er, „sondern in jeder Hinsicht die von Irmã Dores. Allein die Ausführung, und zwar unter allen ihren Vorgaben und Korrekturen, könnte als mein Beitrag gelten. Ich werde sie immer als ‚unsere Statue‘ ansehen. Ihr Erfolg erklärt sich nicht durch mein künstlerisches Geschick, sondern ist vielmehr dem geistlichen Geschick eines Kindes zu danken, das Unsere Liebe Frau von Fatima sah.“ Lúcias Statue selbst, die Gespräche des Künstlermönchs mit dem Hirtenmädchen und Begegnungen mit Zeugen der Erscheinungen und Wunder werden zur authentischen, das Verständnis Fatimas vertiefenden Quelle.

Wer war Fr. McGlynn O.P?

Mit einer Empfehlung Francis Kardinal Spellmans (1889-1967), des Erzbischofs von New York, reist McGlynn, Sohn des Juristen und erfolgreichen Bühnen- und Filmschauspielers Frank McGlynn (1866-1951), 1947 nach Portugal, um sein Skulpturenmodell Lúcia vorzustellen. Sein Auftraggeber, die Daprato Statuary Company in Chicago, der Pius X. 1909 den Titel Pontifical Institute of Christian Art verliehen hatte, war hochzufrieden mit der Arbeit des bekannten Skulpteurs, dessen römisches Studio Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli (1876-1958) bereits 1935 mit seinem Besuch beehrt hatte. Die Zustimmung für eine vergrößerte Ausführung in edlen Materialien lag vor. Die Statue sollte die erste einer Reihe sein, die zu entwerfen McGlynn versprochen hatte. Aber er wollte sicher sein, ob sein Modell zu den Beschreibungen Lúcias passte und ob sie seiner Gestaltung und Symbolik zustimmte.

Bereits mit 19 Jahren in den Dominikanerorden eingetreten, empfing McGlynn 1932 die Priesterweihe. 45 Jahre seines Priestertums hindurch begreift er sich in erster Linie als Priester und Seelsorger, gerade auch in „sozialen Brennpunkten“. Der Orden fördert sein künstlerisches Talent. 1934 schließt McGlynn ein Studium im Fach Skulptur an der britischen Royal Academy of Fine Arts in Rom ab. Es folgen Studien an der Cranbrook Academy of Art bei Detroit. Sein wichtigster Lehrer wird Carl Milles (1875-1955), einer der bedeutendsten schwedischen Skulpteure, der dort nach Jahren an der Kunsthochschule in Stockholm von 1932 bis 1951 wirkt.[10]

Neben Werken religiöser Kunst entstehen Büsten der Päpste Pius XII., Johannes XXIII. und Paul VI. McGlynn setzt sein künstlerisches Können unter anderem auch für den Entwurf von Prothesen für Behinderte ein. 1944 erscheint sein Theaterstück Caukey, das am New Yorker Broadway uraufgeführt wird und gute Kritiken erhält. Es setzt sich kritisch mit der Lage armer, bildungsferner Schwarzamerikaner auseinander.

Aufbruch nach Tui

Der flugreisende Dominikaner mit dem unförmigen Kasten, der sein Modell schützt, erregt Aufsehen, so dass er überall über den Zweck seiner Reise und die Erscheinungen von Fatima berichten muss, deren Glaubwürdigkeit 1930 nach einem siebenjährigen kirchlichen Prozess bestätigt worden war. Fatima müsse in der ganzen Welt bekannt werden, sagt er den überraschten Passagieren und Mitgliedern der Crew über den Wolken. Dies sei der Grund, warum er mit so merkwürdigem Gepäck nach Portugal reise. „Und Lúcia lebt also noch und ist erst vierzig Jahre alt?“, lauten überraschte Nachfragen.

Vier Jahre nach den Erscheinungen war Lúcia auf Anraten des Bischofs von Leiria einem Kinderheim der Dorotheenschwestern anvertraut worden, um sie vor dem Besucheransturm zu schützen. Sie erhielt den Namen Maria das Dores und niemand, auch nicht ihre Freundinnen, wussten von ihrer Verbindung zu Fatima. Mit dem Ordensnamen Irmã Dores, Schwester von den Schmerzen Mariens, trat sie 1925 in der spanischen Grenzstadt Tui in die Congregatio Sororum a Sancta Dorothea SSD ein, die sich ärmsten Kindern und Jugendlichen widmet.[11] Erst 1946 kehrt sie nach Portugal zurück. Zum Silberjubiläum der Erscheinungen 1942 werden Schriften von Irmã Dores veröffentlicht. Ein Teil stammt aus dem Jahr 1927; die meisten dieser Schriften zeichnete sie im Gehorsam gegenüber dem Bischof ab 1935 auf.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2020
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Schwester Lúcia spricht über Fatima, Bd. I, Fátima 92007, Vierte Erinnerung, 187.
[2] Vierte Erinnerung, 192.
[3] Vierte Erinnerung, 188.
[4] Anhang I, 206.
[5] STh, IIa-IIae q. 163 a. 2 co.
[6] Benedikt XVI. im Bundestag am 21.09.2011.
[7] Lk 2,35.
[8] Vergl. M. Hauke (2017): Der heilige Johannes Paul II. und Fatima, in: Fatima – 100 Jahre danach, Regensburg 2017, 269ff.
[9] Th. McGlynn (1948): Vision of Fatima, Sophia Institute Press 2017.
[10] Heute ist der Millesgården ein vielbesuchtes Museum mit Skulpturengarten in Stockholm.
[11] Gegründet von der Italienerin Paula Frassinetti (1809-1882), 1930 selig- und 1984 heilig gesprochen.

„Die Ehre Gottes im Himmel wirkt den Frieden der Menschen auf Erden“

Kehrt um zum Herrn, eurem Gott!

Pfarrer Dr. Richard Kocher vergleicht die derzeitige Situation mit den Herausforderungen, denen das Volk Israel zur Zeit des Propheten Joel ausgesetzt war. Das Buch Joel legt ein eindrückliches Zeugnis dafür ab, dass Gott sein Volk durch Heimsuchungen zur Umkehr und Buße führen möchte. Allein in der vertrauensvollen Hinwendung zu seinem Schöpfer kann der Mensch Heil und Frieden finden. Auch die Corona-Krise darf als Ruf zur Neubesinnung verstanden werden. Die Probleme der Menschheit können nicht rein praktisch gelöst werden, sondern mit Vertrauen auf die Liebe Gottes.  

Von Richard Kocher

Am Aschermittwoch haben wir eine Lesung aus dem Buch Joel (2, 12-18) gehört. Das Volk sah sich im 4. Jahrhundert vor Christus mit gleich drei Herausforderungen konfrontiert: einer Heuschreckenplage apokalyptischen Ausmaßes, einer großen Dürre und der militärischen Bedrohung der heiligen Stadt Jerusalem. Sogar die täglichen Opfer im Tempel mussten eingestellt werden. Wer denkt da nicht an das eucharistische Fasten, das uns derzeit auferlegt ist?

In dieser katastrophalen Situation ergeht an den Propheten Joel ein Wort des Herrn: „Auch jetzt noch – Spruch des Herrn: Kehrt um zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, Weinen und Klagen! Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider, und kehrt um zum Herrn, eurem Gott! Denn er ist gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Huld und es reut ihn das Unheil“ (Joel 2,12f.). Die Judäer leisten der Aufforderung des Propheten Folge. Auf dem Zion wird in das Horn gestoßen, ein heiliges Fasten angeordnet und ein Gottesdienst ausgerufen (vgl. Joel 2,15). Nur eine wirkliche Bekehrung, eine Hinwendung des ganzen Menschen zu Gott, und nicht nur eine äußerlich vollzogene Bußfeier können jetzt noch eine Wendung zum Besseren herbeiführen.

Und siehe da: Das Wunder geschieht. Auf das flehentliche Gebet und das Fasten reagiert Gott: „Da erwachte im Herrn die Leidenschaft für sein Land und er hatte Erbarmen mit seinem Volk“ (Joel 2,18).

Wenn wir die Katastrophen unserer Tage bedenken, fühlen wir uns an die Zeit des Propheten Joel erinnert. Monatelange Brände und Feuer wüten in Australien. Kurze Zeit später das Gegenteil: sintflutartige Regenfälle, der nicht aufhören wollende Krieg in Syrien, das Elend der Flüchtlinge, die globale Erderwärmung mit ihren desaströsen Folgen, Heuschreckenplagen und Hungersnöte in Afrika und schließlich das Coronavirus mit seinen furchtbaren Auswirkungen. Technische und pragmatische Hilfen und Lösungen sind gefragt – aber nicht nur. Wir leben in einer Zeit großer Gottvergessenheit, einer „Gottes-Demenz“, wie es ein Mitbruder formuliert hat. Alle Umfragen belegen dies in erschreckender Weise.

Die Verkündigung des Engels auf den Fluren von Bethlehem ist vielen, auch wenn sie kirchlich nicht gebunden sind, bekannt: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens“ (Lk 2,14).

Weniger im Bewusstsein ist aber, was damit ausgesagt werden soll, denn beides gehört zusammen: Gott die Ehre zu geben, ihm einen Stellenwert in unserem Leben einzuräumen, und das friedliche Zusammenleben der Menschen. Thomas Söding schreibt in seinem Buch „Der Gottessohn aus Nazareth“ treffend dazu: „Die Ehre Gottes im Himmel wirkt den Frieden der Menschen auf Erden… Frieden gibt es auf Erden als Ausstrahlung des himmlischen Glanzes.“ Der Unfrieden und das Durcheinander, das wir in der Schöpfung und im sozialen Miteinander erleben, ist in dieser Sicht eine Konsequenz der Gottlosigkeit.

Im dritten Band seiner Reihe „Jesus von Nazareth“ schreibt Papst Benedikt: „Der Mensch ist ein Wesen in Beziehungen. Und wenn die erste, die grundlegende Beziehung des Menschen gestört ist – die Beziehung zu Gott –, dann kann nichts Weiteres mehr wirklich in Ordnung sein. Um diese Priorität geht es in Jesu Botschaft und Wirken: Er will den Menschen zuallererst auf den Kern seines Unheils hinweisen und ihm zeigen: Wenn du da nicht geheilt wirst, dann wirst du trotz aller guten Dinge, die du findest, nicht wirklich geheilt.“

Die Auswirkungen der Gottesfinsternis erleben wir in immer größerem Ausmaß. Beim Propheten Joel geht es darum, Gott wieder Gott sein zu lassen: „Dann werdet ihr erkennen…, dass ich der Herr, euer Gott, bin, ich und sonst niemand“ (Joel 2,27). Dieser Satz, vor zweieinhalb tausend Jahren gesprochen, ist heute noch aktuell. Zum Herrn-Sein Gottes gehört wesentlich, dass er das Leben gibt und nimmt. Es darf unter keinen Umständen sein, dass wir uns dieses Privileg anmaßen und menschliches Leben – sei es am Anfang oder am Ende – eigenmächtig beenden. Wir befinden uns in der Situation des verlorenen Sohnes, der fern vom Vaterhaus lebt. Der Weg zur Umkehr steht ihm und jedem von uns offen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2020
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Die Hilflosigkeit der „modernen“ Theologie

Worin besteht unsere Antwort auf die Corona-Krise?

Die gegenwärtige Krise ist eine Steilvorlage für die Kirche, um einer verunsicherten und bangenden Gesellschaft ihr Licht anzubieten. Davon ist Prof. Dr. Ralph Weimann überzeugt. Die Menschen brauchen die Antwort des Evangeliums auf die Fragen, die sich aus der Konfrontation mit dem Thema Tod ergeben, sie brauchen unsere Botschaft der Hoffnung, Worte des ewigen Lebens, aber sie brauchen auch unser Zeugnis für den auferstandenen Herrn, der wahrhaft in unserer Mitte lebt und uns in der Eucharistie die Quelle des wahren Lebens anbietet. Was wir jedoch in unserem Leid weithin erleben, ist, wie Weimann es ausdrückt, der Abgesang der „modernen“ Theologie, die der Kirche ihr Fundament entzogen hat.[1]

Von Ralph Weimann

Die Corona-Pandemie zieht alle in den Bann und bringt teilweise drastische Auswirkungen mit sich, von denen auch die katholische Kirche nicht verschont bleibt. In dieser Situation tritt etwas zu Tage, was sich schon seit Jahrzehnten anbahnte, nun aber mit aller Deutlichkeit zum Vorschein kommt: der Abgesang der „modernen“ Theologie.

Die durch die Ausbreitung des Virus verursachte Krise zwingt einen jeden, auf das Wesentliche zu schauen. Aber was ist eigentlich das Wesentliche in der Kirche? Lange schon ist ein Weg beschritten worden, der dem der Gesellschaft ähnelt. Dabei wurde der Zeitgeist oft zum Kriterium erhoben, der sich durch den Fortschritt an Technik und Wohlstand anmaßte, besser zu sein als alles Frühere. Davon blieb auch die katholische Identität nicht verschont. Der in Gesellschaft und Kirche sich ausbreitende Fortschrittsglaube brachte eine Hermeneutik des Bruches mit der Vergangenheit hervor und der Wohlstand führte zu einer Anpassung der Kirche an die in der Gesellschaft geltenden Kriterien. Als Konsequenz verblasste die christliche, besonders die katholische Identität. Vielerorts machte sich die irrige Auffassung breit, den Menschen die Lehre von Kreuz, Sünde, Gericht, Purgatorium, Hölle und anderen wichtigen Themen nicht mehr zumuten zu können. Ganz im Gegenteil wurde eine „Wohlfühltheologie“ geschaffen, die sich als „modern“ präsentiert, sich aber doch nur an dem orientiert, was dem „modernen Menschen“ entspricht.

Schon der zweite Brief an Timotheus hatte beschrieben, dass eine Zeit kommen werde, „in der man die gesunde Lehre nicht erträgt, sondern sich nach eigenen Begierden Lehrer sucht, um sich die Ohren zu kitzeln“ (2 Tim 4,3). In diesem Sinn wird nun in der Kirche Mitbestimmung gefordert, werden Rechte eingeklagt und vor allem sollen jene Dinge (siehe „katholische Morallehre“) geändert werden, die für den modernen Menschen unbequem sind. Auf Otto von Habsburg geht die Aussage zurück, dass, wer sich mit dem Zeitgeist verheirate, morgen schon verwitwet sei. Die Wahrheit dieser Aussage scheint sich in der gegenwärtigen Krise zu verdeutlichen.

Auf einmal steht die Gesellschaft vor dem Ernstfall, der Tod klopft an die Tür. Nicht, dass es den Tod vor dem Corona-Virus nicht gegeben hätte, wohl aber wurde er verdrängt und dessen Konsequenzen ausgeklammert. Nun fühlt jeder Mensch, ob jung oder alt – auch wenn alte Menschen vermutlich mehr gefährdet sind – die Bedrohung ganz akut. Die Medien stellen den Tod tag-täglich mit plastischen Bildern vor Augen und die Menschheit entdeckt neu, wie verwundbar und begrenzt sie ist. Eigentlich wäre eine solche Situation wie für die Kirche gemacht, zumal es hier um das Proprium dessen geht, was Kirche ausmacht, nämlich die Verkündigung der Botschaft der Hoffnung und des Ewigen Lebens. Doch mancherorts scheint genau das Gegenteil zu passieren.

1. Ratlosigkeit angesichts der gegenwärtigen Herausforderung

In einem Artikel mit der Überschrift „Verschlossene Kirchen, Pfarrer auf Tauchstation: Die Kirchen geben in der Coronakrise kein gutes Bild ab“ deckt Uli Fricker die unzureichende Reaktion der Kirche schonungslos auf.[2] Nachdem die Behörden auf die neue Bedrohung reagiert haben, wurde auch die Kirche zum Handeln gezwungen. Doch anstelle den Blick nach „Oben“ zu richten und den Menschen Hoffnung zuzusprechen, die aus dem Glauben und der Begegnung mit Gott kommt, werden öffentliche Gottesdienste abgesagt, der Zugang zu den Sakramenten bleibt den meisten Menschen versperrt. Fricker geht noch einen Schritt weiter, wenn er feststellt, dass die Kirche und die kirchlichen Gemeinschaften die Segel gestrichen zu haben scheinen. „Sie betrachten sich offenbar nicht mehr als systemrelevant, arbeiten also nicht in dem Bereich, der unverzichtbar ist. Eine Tankstelle darf öffnen, ein Bäcker, ein Zeitungsverkäufer. Sie garantieren nach verbreiteter Ansicht, dass die Grundbedürfnisse gestillt werden. Die Dienste der religiösen Gemeinschaften zählen dazu nicht."[3] Die Eucharistie darf öffentlich nicht mehr gefeiert werden. Selbst die Kirchen, Orte der Zuflucht und des Gebetes in schwierigen Zeiten, bleiben in vielen Ländern geschlossen; davon betroffen sind selbst Heilungsorte wie Lourdes. Gläubige sind irritiert. Sie organisieren Petitionen, den Wallfahrtsort Lourdes wieder zu öffnen[4] und das Verbot von Gottesdiensten in großen Kirchen zu lockern[5] – bisher ohne Erfolg, obwohl das Osterfest vor der Tür steht.

In der Vergangenheit war es so, dass in Zeiten der Not mehr gebetet und Gelübde abgelegt wurden. Nun hingegen kommt es zu einer bis dahin noch nie dagewesenen Reaktion. Die Deutsche Bischofskonferenz – und mit ihr viele Bischofskonferenzen weltweit – entbindet von der Sonntagspflicht.[6] Anstatt die Gebete zu verdoppeln – auch wenn es nur eine „gestreamte Messfeier“ wäre –, wird von der Sonntagspflicht dispensiert! Deutlicher kann man nicht zeigen, um es mit den Worten von Fricker zu sagen, dass die Kirche nicht mehr systemrelevant sein will.

Im radikalen Kontrast dazu haben die Christen am Anfang des vierten Jahrhunderts unter einer der blutigsten Christenverfolgungen an der Devise festgehalten: Sine Dominico non possumus – Ohne die sonntägliche Eucharistie können wir nicht leben. Papst Benedikt XVI. hat dargelegt, dass der Messbesuch auch dann gerechtfertigt sei, wenn dafür Folter und Martyrium in Kauf genommen werde, denn ohne die Eucharistie, fehlt die wahre Kraft für das Leben.[7]

Spätestens nach zwei Wochen der Corona-Krise macht sich Ratlosigkeit breit. Wie soll es nun weitergehen? Wenn die Gläubigen so leicht von der Sonntagspflicht zu dispensieren sind, werden sie dann später wiederkommen? Diese Frage wird umso akuter, zumal der schwindende Kirchbesuch – mit Kirchbesuchern die, um es mit einer neuen Kategorie auszudrücken, vornehmlich zur „Risikogruppe“ gehören – immer deutlicher zu Tage tritt? Aber mehr noch, was hat die Kirche zu bieten in dieser Situation? Wie kann sie den Menschen Hoffnung geben? Reicht etwas „Telefonseelsorge“, um zu zeigen, dass man „bei den Menschen ist“? An Kreativität fehlt es nicht: einige raten dazu, Kerzen in den Fenstern aufzustellen, geweihte Palmzweige zu verschicken oder die Kirchenglocken zu läuten. Aber kann das genügen?

2. Die Krise der modernen Theologie

Gerade in einer Notsituation erwarten diejenigen, die dem Glauben verbunden sind, Zeichen der Hoffnung. Sie erhoffen, dass die Kirche das tut, wofür sie da ist: die Menschen zu Gott zu führen, ihnen zu helfen, den Weg zum Ewigen Leben zu finden. Doch darum ist nun ein erbitterter Kampf entbrannt, der einmal mehr offenlegt, dass Teile einer sich als „modern“ gebenden Theologie nicht mehr in der Lage sind, existentielle Antworten zu geben.

Die Zeichen, die zu erwarten wären, müssen auf einer Rückbesinnung auf den Herrn gründen, der allein „Worte des ewigen Lebens“ (vgl. Joh 6,68) hat. Daran hat Papst Franziskus erinnert, als er mit ausdrucksstarken Bildern auf dem leeren Petersplatz betete und mit dem eucharistischen Herrn den Segen Urbi et Orbi spendete. Jesus Christus ist der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen, wie es das Johannesevangelium ausdrückt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt“ (Joh 11,25). Dieser Christus ist gegenwärtig in den Sakramenten, aber deren Feier ist momentan eingeschränkt und kann öffentlich nicht erfolgen. Umso mehr, so sollte angenommen werden, ist die Kirche darauf angewiesen, dass die Priester stellvertretend für das Volk – wie es dem Wesen des Priestertums entspricht – das Messopfer darbringen, doch gerade dagegen regt sich erbitterter Widerstand.

Zunächst meldeten sich drei Liturgiewissenschaftler zu Wort, die in einer Zeit großer Not und ohne öffentliche Messen auch noch die Abschaffung der „Privatmessen“ forderten. Nach ihrer Meinung passen sie nicht zum „heutigen Verständnis von Eucharistie.“ Ausgehend vom Fortschrittsglauben sprechen sie gar despektierlich von „Geistermessen“ und postulieren fälschlich, dass Priester „allein“ die Messen feiern würden, wogegen sie sich wehren. Sie wittern „Exklusion“ und eine verhängnisvolle „Wiederauferstehung von […] Überlebtem."[8] Fast esoterisch anmutend fordern sie „spirituelle Potentiale in den Familien, Freundeskreisen und sozialen Netzwerken zu wecken und zu fördern“. Es ist schon erstaunlich, dass sie an die Stelle der göttlichen Handlung, die sich in der Eucharistie vollzieht, alternativ den prophetischen Charakter von Menschen in Italien sehen, „die zusammen auf Balkonen singen und musizieren."[9]

Der Abgesang der modernen Theologie geht aber noch weiter, wie die Erfurter Theologieprofessorin Julia Knop mit Nachdruck zeigt. Sie bezeichnet Sakramentenprozessionen durch leere Straßen als „Retro-Katholizismus“ und spricht von inszenierten Kirchenbildern, die nicht mehr anschlussfähig seien.[10] Ob sie auf Papst Franziskus anspielt, als er allein vor dem leeren Petersplatz nach einer kurzen Prozession den eucharistischen Segen gab? Für die Professorin aus Erfurt stellt der eucharistische Segen von Papst Franziskus ganz im Sinne des Calvinismus ein „Symbol“ dar, das man nicht überstrapazieren dürfe. Sie spricht sich für selbstständige Formen von Frömmigkeit unter einer veränderten institutionellen Bedeutung von Kirche aus. Der Eindruck wird erweckt, dass anstelle des Gottesdienstes die kreative Kerze im Fenster es auch tue.[11] Damit träte die menschliche Kreativität an die Stelle der wirkmächtigen Zeichenhaftigkeit von Sakramenten und Sakramentalien; ein Abrutschen in die Belanglosigkeit christlichen „Glaubens“ wäre dann die zwingende Konsequenz.

In diesen und ähnlichen Aussagen offenbart sich sehr deutlich der Abgesang der modernen Theologie. Im Angesicht des Todes und des Leidens vieler Betroffener tun sich Abgründe auf. Es zeigt sich, dass eine solche Theologie, die auf den Zeitgeist setzt und oft im Gegensatz zum überlieferten Glauben der Kirche steht, überflüssig ist. Die Kirche braucht sie nicht und noch weniger die Menschen von heute, die einer existentiellen Krise gegenüberstehen.

3. Der Glaube der Kirche

Gemäß dem Glauben der Kirche, wie er in Schrift, Tradition und authentischem Lehramt zum Ausdruck kommt, hängt der Glaubensakt des Menschen, wie es Papst Franziskus sagt, nicht an der Kreativität des Einzelnen, sondern hat „eine notwendig kirchliche Gestalt; er wird vom Innern des Leibes Christi aus bekannt, als konkrete Gemeinsamkeit der Gläubigen. Von diesem kirchlichen Ort her macht er den einzelnen Christen offen für alle Menschen."[12] Alles andere wäre Gnosis oder schlicht Anpassung an den Zeitgeist.

Ausgehend von diesem Grundverständnis wird deutlich, warum es z.B. „Privatmessen“ gar nicht gibt. Wenn nämlich der Priester, dessen Priestertum sich dem Wesen nach vom gemeinsamen Priestertum der Gläubigen unterscheidet,[13] das Messopfer darbringt, dann handelt er nicht „privat“ sondern immer in persona Christi capitis und damit im Namen des ganzen Volkes Gottes. Das Zweite Vatikanische Konzil hat dies deutlich zum Ausdruck gebracht. Mit Recht haben daher viele Bischöfe ihren Priestern nahegelegt, gerade in diesen Zeiten der Krise täglich das heilige Messopfer zu feiern, weil dadurch die Gebete und Anliegen des ganzen Gottesvolkes vor Gott getragen werden. Auch das Kirchenrecht hebt diesen Aspekt hervor: „Die liturgischen Handlungen sind nicht private Handlungen, sondern Feiern der Kirche selbst, die das Sakrament der Einheit ist als das unter den Bischöfen geeinte und geordnete heilige Volk; die liturgischen Handlungen gehen daher den ganzen Leib der Kirche an, stellen ihn dar und erfüllen ihn."[14]

Der Abgesang der modernen Theologie lässt deutlich werden, wie weit man sich von jener Mitte des Glaubens entfernt hat, die das Zweite Vatikanische Konzil als „Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“ beschrieben hat.[15] Es ist Sache des Priesters, „die Auferbauung des Leibes durch das eucharistische Opfer zu vollenden und so die Worte Gottes, die er durch den Propheten gesprochen hat, zu erfüllen: ‚Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang ist mein Name groß unter den Völkern, und an jedem Ort wird geopfert und meinem Namen eine reine Opfergabe dargebracht‘ (Mal 1,11)."[16]

Der Glaube der Kirche gründet nicht auf Kreativität, auch wenn er kreative Formen finden kann, sondern vor allem und zuerst in Jesus Christus, womit er jenes Fundament ist, „auf dem die Wirklichkeit und ihre letzte Bestimmung gründen."[17] In diesem Glauben wissen wir, dass die Mächte der Unterwelt die Kirche nicht überwältigen werden (vgl. Mt 16,18) und dass nach dem Abgesang der modernen Theologie wieder eine in Christus Jesus geerdete Theologie entstehen wird. Sie wird mehr zu bieten haben als Symbole und kreative Zeichen, da sie den Weg weist, der hinführt zum lebendigen Gott, der auch heute in Seiner Kirche gegenwärtig ist und durch den die Menschen Heil und Hoffnung erfahren. Ein solcher Glaube kommt nicht darum herum, die sakramentale Struktur der Kirche anzuerkennen und sie um jeden Preis den Menschen zugänglich zu machen. Nur dann wird die Kirche „in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit."[18]

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2020
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[1] Dieser Artikel ist in verkürzter Form in der Online-Ausgabe der „Tagespost“ am 5. April 2020 erschienen, in: www.die-tagespost.de/kirche-aktuell/aktuell/Der-Abgesang-der-modernen-Theologie;art4874,207023; derselbe Artikel wurde in der Printausgabe veröffentlicht: Die Tagespost, 16. April 2020, Jg. 73, Nr. 16, 11.
[2] Uli Fricker: Verschlossene Kirchen, Pfarrer auf Tauchstation: die Kirchen geben in der Coronakrise kein gutes Bild ab, 27.3.2020, in: https:// www.suedkurier.de/ueberregional/politik/Verschlossene-Kirchen-Pfarrer-auf-Tauchstation-Die-Kirchen-geben-in-der-Coronakrise-kein-gutes-Bild-ab;art410924,10478423 [30.3.2020].
[3] Ibid.
[4] Riaprite Lourdes!, in: www.riapritelourdes.org [6.4.2020].
[5] Open Petition, Bürgerrechte. Große Kirchen – Keine Gottesdienste: Verbot von Gottesdiensten in der Kirche muss aufgehoben werden, in: www.openpetition.de/petition/online/grosse-kirchen-keine-gottesdienste-verbot-von-gottesdiensten-in-der-kirche-muss-aufgehoben-werden [6.4.2020].
[6] Deutsche Bischofskonferenz: Coronavirus – zur aktuellen Situation, in: www.dbk.de/themen/coronavirus/ [6.4.2020].
[7] Vgl. Benedikt XVI.: Predigt zum XXIV. Nationalen Eucharistischen Kongress Italiens, 29.5.2005, in: www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/homilies/2005/documents/hf_ben-xvi_hom_20050529_bari.html [6.4.2020].
[8] Albert Gerhards u.a.: Privatmessen passen nicht zum heutigen Verständnis von Eucharistie, in: www.katholisch.de/artikel/24874-privatmessen-passen-nicht-zum-heutigen-verstaendnis-von-eucharistie [6.4.2020].
[9] Ibid.
[10] Corona als Chance für „Retro-Katholizismus“?, in: www.domradio.de/themen/corona/2020-03-30/gut-gemeint-ist-nicht-immer-gut-gemacht-corona-als-chance-fuer-retro-katholizismus [6.4.2020].
[11] Ibid.
[12] Franziskus: Enzyklika Lumen fidei, 22.
[13] Vgl. LG 10.
[14] Can. 837 §1, CIC.
[15] LG, 11.
[16] Ibid., 17.
[17] Franziskus: Enzyklika Lumen fidei, 15.
[18] LG, 1.

Die Corona-Pandemie im Licht der Offenbarung des Johannes

Weckruf zu einem neuen Miteinander

Die Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin Christa Meves sieht die derzeitige Volksquarantäne als wertvollen Anstoß, nach einem neuen Miteinander in unseren Familien zu suchen und Kindern wie Alten und Geschwächten mehr Zuwendung zu schenken. Sie ist an den Ruf zur Umkehr in der Offenbarung des Johannes erinnert.

Von Christa Meves

Europa ist aufgeschreckt. Eine Pandemie – von China importiert – hat sich eingenistet, wirft dunkle Schatten und lähmt unsere Betriebsamkeit. „Corona“ heißt sie, benannt nach einer heiligen Frau, die in der Seuchenzeit des Mittelalters verehrt wurde, weil sie einst ihrem Glauben mehr Gewicht geschenkt hat als ihrem Leben. Ist bereits der Name des Virus ein Zeichen für seine gefährliche Art? Groß ist die Schar der Fragenden. Die einen meinen, die Maßnahmen seien ein böses Kalkül zur Schwächung unserer Wirtschaft, andere bangen um die rasche Herstellung eines wirksamen Impfstoffes, weitere vermuten, es handle sich um eine letzte Warnung unseres Gottes vor seinem Reinigungsgericht, vor seinem „Tag des Zorns“.

Sollten wir jedenfalls nicht auch einmal hineinfragen in die Offenbarungen des Johannes, in denen von ihm unsere Zukunft in symbolischen Bildern als Endzeit dargestellt ist? Dort werden z.B. die Etappen des Reinigungsgerichts in vier Reitern auf vier farbigen Pferden beschrieben. Auf dem vierten dieser Pferde, einem falben, also auf einem bleichen Gaul sitzt ein uns alle bedrängender Reiter: der Tod (Offb 6,8). Schon diese Farbe drückt das also aus. Zu Zeiten des Mittelalters bereits galt sie als die Leichenfarbe, ja, sie wurde damals sogar als die Farbe der Seuchen bezeichnet.

Und dann wird weiter im Text des Johannes geschrieben, in welcher Weise der Tod hier gemeint ist: „Und das Totenreich war sein Gefolge.“ Was das heißt, wird unverzüglich erklärt: Es „wurde Macht gegeben über den vierten Teil der Erde, zu töten mit dem Schwert und mit Hunger und mit Pest…“

Und mit diesen ausführenden Mächten sind die Gewalten der Natur in uns Menschen (als epidemische Krankheiten und als Aggressionen) wie auch als Naturgewalten draußen (als Erdbeben, Tsunamis und Vulkane) gemeint. Das bedeutet das große „Komm“ der vier „lebendigen Wesen“, die von Anfang an als Grundelemente von Gottes Schöpfungsordnung – als ausführendes Element des Reinigungsgerichts – beschrieben sind.

Lässt sich dieser geheimnisvolle Passus auf unsere Virus-Situation heute beziehen? Scheint nun bei uns die Ahnung einer Gefährdung des Lebens als Angst bei einer großen Menge von Menschen anzukommen? Jedenfalls werden aus solchen Gründen unsere Lebensmittelgeschäfte z.Z. leer gekauft, ebenso die Apotheken und Drogerien.

Enthalten diese Fakten nicht auch Hinweise darauf, dass eine höhere Instanz mit im Spiele ist, Warnungen – wie auch ein Großteil der Klimaveränderungen – unseres allmächtigen, aber doch barmherzigen Gottes, wie sie für unsere Zukunft in den Berichten des Johannes in großer Zahl weiterhin beschrieben sind? Ist nicht auch dieses in globalem Ausmaß ratlos machende Virus eines der immer direkter und mächtiger werdenden Zeichen, damit die Menschheit daraus tiefere Lehren ziehe? Gilt es nicht, über die jetzige Volksquarantäne hinaus einer anderen Lebensform den Vorrang zu geben, als sie in den letzten Jahrzehnten hier vorherrschend war? Werden wir z.Z. nicht geradezu mit der Nase hineingestoßen in ein Suchen nach mehr Dominanz des Miteinanders, in stärkere Einbindungen von Mensch zu Mensch, in mehr Verfestigung intakter, gesunder Familien und ganz besonders auch in eine Beachtung der Kinder in besser zusammenhaltenden Ehen, in mehr Rücksicht auf die Alten und Geschwächten, also in mehr verantwortungsbewussten Gemeinschaftsgeist?

Johannes mit seinen Visionen auf der Insel Patmos hat noch Direkteres in dieser Hinsicht parat, indem er uns einige Zeilen danach eine wahrhaftig für die heutige Zeit erschreckende Anklage übermittelt: „Und die übrigen der Menschen, die durch diese Plagen nicht getötet wurden, taten nicht Buße von den Werken ihrer Hände, dass sie nicht anbeteten die Dämonen und die goldenen und die silbernen und die kupfernen und die steinernen und die hölzernen Götzenbilder, die weder sehen noch hören noch gehen können. Und sie taten nicht Buße von ihren Mordtaten noch von ihren Zaubereien noch von ihrer Hurerei noch von ihren Diebstählen“ (Offb 9,20f.).

Drängt es sich nicht auf, die großen Symbole, die dem Johannes hier in seiner Vision übermittelt werden, auch als Erscheinungen unserer Zeit zu verstehen, mit all dem vielen Aberglauben, der hier um sich gegriffen hat, mit falschen religiösen Vorstellungen, die den Menschen zum Heil, zum Frieden und zum Verstehen des wahren Glaubens nicht kommen lassen? Muss unser Leben in später Stunde nicht wirklich Fastenzeit werden? Muss unsere Oberflächlichkeit, unsere Trägheit und die Neigung zur Überheblichkeit, zu Hochmut, Verrat und Lügengeist nicht endlich bußfertig in unser Bewusstsein gestellt werden?

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2020
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Blinde Flecken im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu §217 StGB

Die Logik der Suizidbeihilfe

Dr. Manfred Spieker (geb. 1943) ist emeritierter Professor für Christliche Sozialwissenschaften. Seit Jahrzehnten verteidigt er unerschrocken das christliche Menschenbild, bekennt sich kompromisslos zum Lebensrecht der Ungeborenen und lässt sich vom Gender-Mainstreaming nicht beirren. Wichtig sind ihm vor allem die Werte von Ehe und Familie, wie sie der Lehre der katholischen Kirche entsprechen. Im Zusammenhang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidbeihilfe vom 26. Februar 2020 weist er darauf hin, dass in Deutschland „aktive Sterbehilfe“ zwar noch nicht legalisiert ist, dass sie aber „in der Logik des assistierten Suizids liegt“.

Von Manfred Spieker

mit seinem Urteil vom 26. Februar 2020 das vom Bundestag 2015 beschlossene Verbot der „geschäftsmäßigen“ Suizidbeihilfe aufgehoben und §217 StGB für verfassungswidrig erklärt. Es hat aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Artikel 2, Absatz 2, und der Gewährleistung der Menschenwürde in Artikel 1, Absatz 1 GG, ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ abgeleitet. Dieses Recht schließe, so das Gericht, die Freiheit ein, die von Sterbehilfevereinen angebotene Hilfe zum Suizid in Anspruch zu nehmen. Dem Gesetzgeber sei es zwar nicht verwehrt, die Suizidbeihilfe zu „regulieren“, aber er dürfe durch solche Regulierungen nicht das Recht auf Selbsttötung obsolet machen. Dieses Recht dürfe deshalb auch nicht von materiellen Kriterien wie dem Vorliegen einer unheilbaren Erkrankung abhängig gemacht werden.

Das Bundesverfassungsgericht geht mit diesem Urteil weit über alle bisher bekannten Legalisierungen der Suizidbeihilfe in den Niederlanden, Belgien, Kanada oder dem US-amerikanischen Bundesstaat Oregon hinaus. In diesen Staaten ist die Suizidbeihilfe immer noch an materielle Kriterien gebunden. Das Urteil hat erhebliche Konsequenzen:

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben steht in Deutschland nun auch dem Schüler zu, der durchs Abitur fiel oder sich unglücklich verliebt hat, dem Ehemann, der von seiner Frau verlassen wurde, dem Geschäftsmann, der Pleite machte, oder dem Häftling, der zu „lebenslang“ verurteilt wurde. Der Staat habe kein Recht, „die einem individuellen Suizid-Entschluss zugrundeliegenden Motive … einer Beurteilung nach Maßstäben objektiver Vernünftigkeit“ zu unterziehen. Im Widerspruch dazu erlaubt ihm das Urteil aber dann doch, bei der zugestandenen „Regulierung“ „Anforderungen an den Nachweis der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit eines Selbsttötungswillens“ zu stellen.

Das Urteil entzieht alten und pflegebedürftigen Menschen die vorbehaltlose Solidarität der Gesellschaft. Der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau hat dieses Problem einer Legalisierung jeder Art von Sterbehilfe bereits am 18. Mai 2001 in seiner Berliner Rede zur Bioethik auf den Punkt gebracht: „Wo das Weiterleben nur eine von zwei legalen Optionen ist, wird jeder rechenschaftspflichtig, der anderen die Last seines Weiterlebens aufbürdet“. Es entsteht ein psychischer Druck, den medizinischen, pflegerischen und finanziellen Aufwand zu vermeiden und sich dem Trend eines sozial- oder generationenverträglichen Frühablebens anzuschließen. Wer will noch weiterleben, wenn er spürt, dass sein Weiterleben den Angehörigen eine große Last bedeutet? Eine tödliche Falle der Selbstbestimmung: sie mündet in Selbstentsorgung. Plädoyers zu einer solchen Selbstentsorgung gibt es in der Philosophie und in den Rechtswissenschaften längst. Sie scheuen sich nicht, von einem „altruistischen“ Suizid zu sprechen, der auch noch durch eine Organspende, wie in Kanada bereits praktiziert, geadelt werden kann.

Die Berufsordnungen jener Landesärztekammern, die ärztliche Suizidbeihilfe verbieten, werden sich nicht lange gegen das Urteil wehren können, wenn der Suizid und die Inanspruchnahme entsprechender Hilfe ein von der Verfassung garantiertes Grundrecht sein sollen. Verfassungsrecht steht über dem Standesrecht. Das Gericht weist am Ende seines Urteils selbst darauf hin, dass das Recht auf Suizid „eine konsistente Ausgestaltung des Berufsrechts der Ärzte und Apotheker“ sowie „Anpassungen des Betäubungsmittelrechts“ erfordern würde.

Der letzte Satz des Urteils lautet dann, „dass es eine Verpflichtung zur Suizidhilfe nicht geben“ dürfe. Wie aber soll ein Pflegeheim reagieren, wenn sich ein Patient mit Hilfe eines Arztes oder eines Vereins zum Suizid entschlossen hat? Muss das Pflegeheim diesen Entschluss tolerieren? In einigen Schweizer Kantonen regeln Richtlinien für die Beihilfe zum Suizid in Alten- und Pflegeheimen, unter welchen Bedingungen eine solche Beihilfe erfolgen kann. Dabei müsse unbedingt der Eindruck vermieden werden, dass das Pflegeheim selbst die Suizidbeihilfe leistet. Die Folgen der Legalisierung der Suizidbeihilfe für Alten- und Pflegeheime bleiben ein blinder Fleck im Urteil.

Das Urteil stellt fest, dem Grundgesetz liege ein Menschenbild zugrunde, „das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung bestimmt“ sei. Das ist nicht falsch, aber es ist nur die halbe Wahrheit. Es bedarf einer doppelten Ergänzung. Zum einen geht die Menschenwürde nicht in Selbstbestimmung auf. Dies ignoriert das Gericht. Es verabsolutiert die Autonomie und beklagt „die autonomiefeindliche Wirkung des §217 StGB“. Wäre die Autonomie aber der Kern der Menschenwürde, käme den Menschen weder am Anfang noch am Ende des Lebens Würde zu. Dem hat das Bundesverfassungsgericht schon in seinem Urteil zur Reform des Abtreibungsstrafrechts 1993 widersprochen: „Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu. Diese Würde des Menschseins liegt auch für das ungeborene Leben im Dasein um seiner selbst willen“, einem Dasein ohne Autonomie und Selbstverantwortung.

 Zum anderen ignoriert das Urteil mit seiner Fixierung auf die Autonomie die Sozialnatur des Menschen, die das Bundesverfassungsgericht schon 1954 unterstrichen hat: Das Grundgesetz gehe von einem Menschenbild aus, das „nicht das eines isolierten, souveränen Individuums“ sei. Es unterstreiche die Gemeinschaftsbezogenheit und -gebundenheit der Person, ohne deren Eigenwert anzutasten. Das Urteil von 1954 wird im Urteil von 2020 zwar beiläufig zitiert, aber ohne die Konsequenzen für die Relativierung der Autonomie zu reflektieren. Die Freiheit des Menschen verwirklicht sich nicht in einer Autarkie des eigenen Ichs ohne Bezug auf Mitmenschen. Sie verwirklicht sich nicht in der Zerstörung des Lebens. Gerade die Suizidversuche zeigen diese soziale Eingebundenheit des Menschen. Sie sind in der Regel Appelle, um nicht zu sagen Hilfeschreie an die dem Verzweifelten nahestehenden Personen, die im Falle des Misslingens auch kaum je wiederholt werden. Jede Selbsttötung, nicht nur eine solche, die sich grausamer, schmerzhafter oder sogenannter harter Methoden bedient, ist deshalb eine Verletzung der sozialen Beziehungen. Sie erzeugt immer Leid bei den Angehörigen.

Es ist eine Illusion, anzunehmen, der Mensch sei in jeder Phase seines Lebens autonom. Wie er zu Beginn seines Lebens nicht autonom ist, so ist er es auch am Ende seines Lebens nicht. Selbst wenn er im Vollbesitz seiner Kräfte ist und sich zum Suizid entschließt, ist es eine Illusion, davon auszugehen, die Kontrolle über das eigene Lebensende sei im Akt des Suizids jederzeit gewährleistet. Erfahrungen in den Niederlanden zeigen, dass bei der Beihilfe zum Suizid Probleme auftreten können, die die Ärzte veranlassen, zur aktiven Sterbehilfe überzugehen. Die Richtlinien des Kantons St. Gallen zum Umgang mit Sterbehilfevereinen in seinen Pflegeheimen von 2013 weisen darauf hin, „dass es keine Informationen über die genauen Umstände des Todesfalles gebe“. Die Phase zwischen der Bereitstellung eines tödlichen Giftes und der Todesfeststellung ist ein weiterer blinder Fleck im Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Rudolf Henke (CDU), Arzt und ehemaliger Vorsitzender des Marburger Bundes, hatte schon in der Bundestagsdebatte am 13. November 2014 darauf hingewiesen, dass Patienten, die ärztliche Suizidbeihilfe in Anspruch nehmen, doch nicht wollen, dass der Arzt weggeht, wenn er den tödlichen Cocktail ans Bett gestellt hat. Er solle vielmehr dabeibleiben und den Ablauf überwachen. Er solle intervenieren, wenn etwas schiefgeht oder der Suizident sich quält. Deshalb sei die Grenze zwischen der Suizidbeihilfe und der Tötung auf Verlangen „sehr, sehr unscharf“. Sie werde mit der Zeit notwendigerweise verschwinden.

Die aktive Sterbehilfe liegt deshalb in der Logik des assistierten Suizids. Dafür bedarf es ausgebildeter Ärzte, die für ihre tödliche Dienstleistung eine Qualitätsgarantie anbieten können und für die es in der ärztlichen Gebührenordnung eigene Gebührenziffern geben wird. Nicht mehr die Verhinderung, sondern die Kultivierung des Suizids wird im Mittelpunkt der Bemühungen stehen. Die aktive Sterbehilfe auf Verlangen des Patienten aber führt, wie die niederländischen Erfahrungen zeigen, zur Sterbehilfe ohne Verlangen. Wer dem Arzt die Macht einräumt, die Erträglichkeit des Leidens, die Perspektiven des Weiterlebens und den Lebenswert zu definieren, öffnet den Weg zur Sterbehilfe ohne Verlangen. Wer Sterbehilfe ohne Verlangen verhindern möchte, darf deshalb Tötung auf Verlangen nicht legalisieren. Wer Tötung auf Verlangen verhindern will, darf Beihilfe zum Suizid nicht legalisieren. Der Staat ist aufgrund seiner Schutzpflicht für das menschliche Leben deshalb gehalten, auch die Beihilfe zur Selbsttötung als rechtswidrig zu qualifizieren und zu verbieten. Wo sich die Autonomie gegen das Leben richtet, ist die Grenze zum Nihilismus überschritten. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum §217 StGB hat diese Grenze überschritten.

Auf zwei Publikationen sei hingewiesen:

Rainer Maria Kardinal Woelki/Christian Hillgruber/ Giovanni Maio/Christoph von Ritter/Manfred Spieker: Wie wollen wir sterben? Beiträge zur Debatte um Sterbehilfe und Sterbebegleitung, Verlag Schöningh Paderborn 2016.

Manfred Spieker: Der verleugnete Rechtsstaat – Anmerkungen zur Kultur des Todes in Europa, 2. Aufl. Verlag Schöningh, Paderborn 2011.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2020
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