Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Die Reise von Papst Franziskus in den Irak vom 5. bis 8. März dieses Jahres hat auf der ganzen Welt ein enormes Echo hervorgerufen. Sie wird durchweg positiv beurteilt und schon jetzt als historischer Schritt im interreligiösen Dialog bewertet.

Der Papstbesuch erinnert an die Begegnung des hl. Franz von Assisi mit dem muslimischen Sultan Malik Al Kamil in der ägyptischen Hafenstadt Damiette im Jahr 1219 während des Fünften Kreuzzugs. Mitten im Krieg zwischen Christen und Muslimen überschritt der hl. Franziskus die Frontlinie und begann im gegnerischen Lager zu predigen, bis er schließlich zum Sultan gerufen wurde. Dieser war vom Auftreten des Heiligen tief beeindruckt und veranlasste ein Religionsgespräch mit seinen muslimischen Gelehrten. Als Zeichen seiner Wertschätzung schenkte er seinem Gast ein mit Silber verziertes Horn aus Elfenbein, das bis heute im Franziskaner-Kloster von Assisi zu besichtigen ist.

Der hl. Franz von Assisi konnte weder den Sultan bekehren noch den Krieg beenden. Doch hinterließ die Begegnung sowohl bei den Christen als auch bei den Muslimen einen tiefen Eindruck. Auf beiden Seiten blieb sie bis heute als einzigartiges Beispiel gegenseitiger Achtung und aufrichtigen Dialogs in Erinnerung.

Schon der hl. Papst Johannes Paul II. knüpfte an dieses kulturelle Erbe an und lud 1986 Vertreter unterschiedlicher Religionen zu einem Friedensgebet nach Assisi ein. Das Treffen der hohen Geistlichen und Religionsführer wurde zu einem geschichtlichen Ereignis, das zahlreiche Initiativen und weitere Gebetstreffen inspirierte.

Dass Papst Franziskus, der bewusst den Namen des Heiligen aus Assisi gewählt hatte, in die Fußstapfen seines Patrons treten würde, war zu erwarten. Seit Beginn seines Pontifikats betont er das Ideal der Armut und zeigt der Kirche einen Weg mit den Armen und für die Armen auf, den es in der heutigen Zeit zu verwirklichen gelte. Auch bei seiner Aufforderung, die Schöpfung zu achten und ein christliches Umweltbewusstsein zu entwickeln, beruft er sich ausdrücklich auf den Geist des hl. Franziskus. In Anlehnung an dessen Sonnengesang nannte er seine Umwelt-Enzyklika vom 24. Mai 2015 auch „Laudato si‘“

Wie zielstrebig der Papst seinem Namenspatron nun auch auf den Spuren des Dialogs mit der muslimischen Welt folgt, ist dennoch überraschend. Ein Höhepunkt war seine Reise in die Vereinigten Arabischen Emirate am 4. Februar 2019. Die Welt geriet ins Staunen, als Papst Franziskus in Abu Dhabi zusammen mit dem Kairoer Großimam Ahmad Mohammad Al-Tayyeb ein Dokument unterzeichnete, das im Geheimen vorbereitet worden war. Die gemeinsame Erklärung heißt „Dokument über die Geschwisterlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“ und stellt ein Novum im Dialog mit dem Islam dar. Papst Franziskus hat diese Erklärung in die Enzyklika „Fratelli tutti“ über die „Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft “ vom 3. Oktober 2020 aufgenommen und detailliert entfaltet. Die Irak-Reise hat nun gezeigt, dass sein Vorstoß nicht nur Utopie ist, sondern schon jetzt konkrete Früchte bringt. Wie Papst Franziskus von höchsten Vertretern des Islam aufgenommen wurde, ist in jedem Fall ein Zeichen der Hoffnung.     

Liebe Leser, von Herzen wünschen wir Ihnen ein frohes Osterfest. Möge der auferstandene Herr, der den Aposteln seinen Frieden zugesprochen hat, uns alle mit der sicheren Hoffnung erfüllen, dass sein Ostersieg das letzte Wort über alle Mächte des Bösen hat. Auf die Fürsprache der freudenreichen Himmelskönigin bitten wir Gott, dass er Ihre Treue zu unserem Apostolat und Ihre großherzige Unterstützung mit reichem Segen vergelte.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Papst Franziskus ermutigt die Christen im Irak

Neuanfang im Geist der Vergebung

Den letzten Tag seiner Irak-Reise widmete Papst Franziskus ganz den Christen im Norden des Landes. Er besuchte die Städte Mossul, Karakosch und Erbil in der Ninive-Ebene, welche unter der Herrschaft des „Islamischen Staates“ weitgehend ihres christlichen Erbes beraubt wurden. In froher Atmosphäre konnte der Papst den Christen Trost spenden und Mut für den Aufbau einer neuen Zukunft zusprechen. Anian Christoph Wimmer, Chefredakteur von CNA Deutsch, wirft ein Schlaglicht auf die Reise.

Von Anian Christoph Wimmer

Vor wenigen Jahren wäre eine solche Szene unvorstellbar gewesen: Fröhlich winkende Männer, singende Frauen und lachende Kinder säumen im Nordirak mit kleinen Flaggen und bunten Plakaten den Weg, bereiten Papst Franziskus einen jubelnden Empfang. Hier, in der Heimat einst zahlreicher Christen, stand ein Gebet des Papstes in den Ruinen von Kirchen auf dem Programm, die der Islamische Staat besetzt und beschädigt hatte.

Am Kirchplatz von Mossul, der zweitgrößten Stadt im Irak, die im Krieg mit dem IS schwer in Mitleidenschaft gezogen worden war, verrichtete Papst Franziskus am Sonntag, 7. März 2021, ein Gebet für die Opfer des Krieges. Der Platz ist umgeben von vier – heute immer noch stark beschädigten – Kirchen verschiedener Konfessionen und Riten. Der IS hatte Mossul im Juni 2014 erobert. Zur gleichen Zeit hatte die radikal-islamische Organisation ein Kalifat ausgerufen, das sich von Gebieten in Nordsyrien bis tief in den Norden und Westen des Irak erstrecken sollte. Erst im Juli 2017 wurde Mossul nach einer heftigen Schlacht befreit, in der nach Angaben der US-Nachrichtenagentur Associated Press bis zu 11.000 Zivilisten starben. In seinem Grußwort – und vor allem in seinem Gebet für die Opfer – gedachte der Papst der Menschen und ihres Leids, bat Gott um Erbarmen und rief zur Umkehr auf. Zuverlässige Angaben oder Schätzungen, wie groß die einst Millionen starke christliche Bevölkerung des Iraks heute ist, gibt es keine. Ihre Zahl war bereits dramatisch geschrumpft, als die von den USA betriebene Invasion im Jahr 2003 das Land in Chaos stürzte. Seitdem flohen viele vor dem Terror des IS und der heutigen Unsicherheit und Korruption.

Für die wenigen verbliebenen christlichen Familien in Mossul und Karakosch (auch bekannt als Bakhdida) ist der Papstbesuch ein Signal der Hoffnung. Viele Kirchenvertreter hoffen, dass die vielfältigen christlichen Gemeinschaften des Landes zusammengeführt und ermutigt werden, trotz der Verfolgung, der Jahrzehnte des Krieges und der Instabilität in ihrer Heimat zu bleiben.

Papst Franziskus hatte bereits in den ersten Tagen seiner Reise die Orte des Martyriums und Gebets der Christen in Bagdad besucht, und vor allem die Eintracht und Toleranz gegenüber der Politik und Vertretern der muslimischen Mehrheit des Landes beschworen – unter anderem mit einem wichtigen Treffen mit dem schiitischen Ajatollah Ali Al-Sistani und bei einer bemerkenswerten Veranstaltung in der Wüste. Am Samstag, 6. März 2021, fand an der antiken Stätte Ur, die als Geburtsort Abrahams gilt, ein interreligiöses Treffen statt. In seiner Ansprache betonte der Papst das gemeinsame Erbe von Christen, Muslimen und Juden. Und er appellierte an die Harmonie zwischen den Anhängern der großen monotheistischen Religionen der Welt.

Nach dem Gebet in Mossul flog Franziskus mit dem Hubschrauber über die Ninive-Ebene zu der kleinen christlichen Gemeinde in Karakosch. Er hörte Zeugnisse von Bewohnern und betete in der Kirche der Unbefleckten Empfängnis. Diese war vom IS niedergebrannt worden und wurde in den vergangenen Jahren wieder aufgebaut.

Papst Franziskus beendete den Tag mit einer Messe im Stadion der kurdischen Regionalhauptstadt Erbil. Es war die mit Abstand größte öffentliche Veranstaltung dieser historischen Reise. Das Franso-Hariri-Stadion war aufgrund der Anti-Corona-Bestimmungen nur ein Drittel gefüllt; immerhin konnten aber etwa 10.000 Menschen den Sonntagsgottesdienst mit dem Papst mitfeiern. Es war der letzte große Programmpunkt der Irak-Reise, bei dem Papst Franziskus die Christen des Landes ermutigte, Werkzeuge des Friedens und der Versöhnung zu sein und trotz aller Entbehrungen eine geschwisterliche Gesellschaft aufzubauen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2021
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Interreligiöse Begegnung in der Ebene von Ur

Kinder Abrahams

Bei einem interreligiösen Treffen in der Ebene von Ur im Südirak am Samstag, 6. März 2021, rief Papst Franziskus zur Geschwisterlichkeit und zur Einheit unter den Religionen auf. An dieser Stätte, die als Geburtsort Abrahams gilt, betonte der Papst das gemeinsame Erbe von Christen, Muslimen und Juden. Nur der Blick und das Gebet zum Himmel, nur die Bereitschaft, Gott zu dienen, könnten den Menschen befähigen, Gewalt, Hass und Terrorismus zu überwinden und eine Kultur des Lebens und des Friedens aufzubauen. Danach sprach der Papst ein eindrucksvolles „Gebet der Kinder Abrahams“. Auszüge aus der Rede des Papstes.

Von Papst Franziskus

Wenn wir die Geschwisterlichkeit bewahren wollen, dürfen wir den Himmel nicht aus den Augen verlieren. Wir, Nachkommen Abrahams und Vertreter verschiedener Religionen, fühlen, vor allem diese Aufgabe zu haben: unseren Brüdern und Schwestern zu helfen, ihren Blick und ihr Gebet zum Himmel zu erheben. Wir alle benötigen das, denn nur wir selbst genügen nicht. Der Mensch ist nicht allmächtig, allein kann er es nicht schaffen. Und wenn er Gott ausschließt, betet er am Ende irdische Dinge an. Aber die Güter der Welt, welche viele Gott und die anderen vergessen lassen, sind nicht der Grund für unsere irdische Reise. Wir richten unseren Blick zum Himmel, um uns aus den Niederungen der Eitelkeit zu erheben; wir dienen Gott, um aus der Sklaverei des Ichs herauszukommen, denn Gott drängt uns zur Liebe. Das ist wahre Religiosität: Gott anbeten und den Nächsten lieben. In der Welt von heute, die den Allerhöchsten oft vergisst oder ein verzerrtes Bild von ihm bietet, sind die Gläubigen aufgerufen, seine Güte zu bezeugen und seine Väterlichkeit durch die Geschwisterlichkeit sichtbar zu machen.

Von diesem Quellort des Glaubens aus, vom Land unseres Vaters Abraham aus bekräftigen wir: Gott ist barmherzig und die größte Beleidigung und Lästerung ist es, seinen Namen zu entweihen, indem man den Bruder oder die Schwester hasst. Feindseligkeit, Extremismus und Gewalt entspringen nicht einer religiösen Seele – sie sind Verrat an der Religion. Und wir Gläubigen dürfen nicht schweigen, wenn der Terrorismus die Religion missbraucht. Im Gegenteil, es liegt an uns, Missverständnisse durch Klarheit aufzulösen. Lassen wir nicht zu, dass das Licht des Himmels von den Wolken des Hasses verdeckt wird! Über diesem Land brauten sich die dunklen Wolken des Terrorismus, des Krieges und der Gewalt zusammen. Alle ethnischen und religiösen Gemeinschaften haben darunter gelitten. Ich möchte insbesondere an die jesidische Gemeinschaft erinnern, die den Tod vieler Männer zu beklagen hatte und mit ansehen musste, wie tausende Frauen, Mädchen und Kinder entführt, als Sklaven verkauft sowie körperlicher Gewalt und Zwangskonvertierungen unterworfen wurden. Heute beten wir für alle, die solche Leiden erfahren haben, für alle, die immer noch vermisst und entführt sind, dass sie bald nach Hause zurückkehren. Und wir beten dafür, dass die Gewissensfreiheit und die Religionsfreiheit überall respektiert und anerkannt werden: Dies sind Grundrechte, denn sie machen den Menschen frei, den Himmel zu betrachten, für den er geschaffen wurde.

Als der Terrorismus im Norden dieses werten Landes wütete, zerstörte er auf barbarische Weise einen Teil des wunderbaren religiösen Erbes, darunter Kirchen, Klöster und Gebetsstätten verschiedener Gemeinschaften. Aber selbst in diesem dunklen Moment leuchteten Sterne. Ich denke an die jungen muslimischen Freiwilligen von Mossul, die bei der Wiederinstandsetzung von Kirchen und Klöstern geholfen und so auf den Trümmern des Hasses brüderliche Freundschaften aufgebaut haben, und an die Christen und Muslime, die heute gemeinsam Moscheen und Kirchen restaurieren.  …

Es ist dringend notwendig, die jungen Menschen zur Geschwisterlichkeit zu erziehen, sie dazu zu erziehen, die Sterne zu betrachten. Dies ist eine regelrechte Notwendigkeit; es wird der wirksamste Impfstoff für ein friedliches Morgen sein. Denn ihr, liebe junge Menschen, seid unsere Gegenwart und unsere Zukunft! …

Wir, Brüder und Schwestern verschiedener Religionen, haben uns hier – zu Hause – eingefunden, und von hier aus wollen wir uns gemeinsam für die Verwirklichung des Traumes Gottes einsetzen: dass die Menschheitsfamilie für alle ihre Kinder gastfreundlich und aufnahmebereit werde; dass wir mit dem Blick zum selben Himmel in Frieden unseren Weg auf der gleichen Erde gehen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2021
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Historische Irak-Reise des Papstes

Im Geist des hl. Franziskus

Die Papstreise in den Irak ist ohne Zweifel ein historisches Ereignis. Pfarrer Erich Maria Fink geht der Parallele zum Treffen des hl. Franziskus mit dem muslimischen Sultan im Jahr 1219 nach. Den größten Erfolg der Reise sieht er darin, dass Papst Franziskus von muslimischer Seite mit großem Respekt aufgenommen wurde und seine Botschaft an die gesamte Bevölkerung des Irak vermitteln konnte.

Von Erich Maria Fink

Unser derzeitiger Papst hat sich nicht nur den Namen Franziskus gegeben, sondern richtet sein Pontifikat bewusst am Charisma dieses weltbekannten Heiligen aus. Zur Einordnung der Reise des Papstes in den Irak ist ein genauerer Blick in die Biografie des hl. Franz von Assisi (1182-1226) äußerst aufschlussreich.

Geschichtlicher Hintergrund

Papst Innozenz III. hatte 1213 zu einem neuen Kreuzzug aufgerufen, um Jerusalem, das 1187 an die muslimischen Ajjubiden verloren gegangen war, zurückzuerobern. Von seinem Nachfolger, Papst Honorius III., wurde das Vorhaben umgesetzt. So begann am 1. Juni 1217 der sog. Fünfte Kreuzzug, der im September 1221 im Nildelta erfolglos endete. Der hl. Franziskus war nicht mit den Soldaten nach Ägypten gekommen, vielmehr hatte er bereits 1217 einige seiner Ordensbrüder zur Mission nach Palästina gesandt. Zwei Jahre später war er ihnen mit einem Versorgungsschiff der Kreuzfahrer gefolgt. Von der Hafenstadt Akkon aus, die in Nordgaliläa am Mittelmeer liegt, machte er sich auf den Weg zum Kreuzfahrerheer im Nildelta. Zunächst versuchte er, die christlichen Soldaten im Glauben zu entflammen, die 1218 mit der Belagerung der Stadt Damiette begonnen hatten, jedoch ohne Erfolg. Während einer Waffenruhe überschritt er unbehelligt die Frontlinie und fing an, im muslimischen Lager zu predigen, bis ihn der Sultan zu sich rufen ließ. Was sich bei dieser Begegnung im Herbst 1219 abgespielt hat, liegt weithin im Dunkeln, doch gibt es interessante Anhaltspunkte.

Respektvoller Dialog mit dem Sultan

Bereits zwei Jahre nach dem Tod des hl. Franziskus verfasste Thomas von Celano eine Biografie, in der er von den Kämpfen der Kreuzfahrer mit den Muslimen und von der Reise des Heiligen 1219 ins Heilige Land berichtet. Ohne Furcht habe sich Franziskus mit seinem Gefährten, Bruder Illuminato, vor den Ajjubiden-Sultan Al Kamil gewagt. „Der Sultan empfing ihn sehr ehrenvoll. Er erkannte in Franziskus einen außergewöhnlichen Menschen und wurde von dessen Worten im Innersten berührt“, so Celano. Auch muslimische Quellen erwähnen die Begegnung wie z.B. der muslimische Chronist Ibn al Zayyát al Tádilí. Der Sultan habe einen „berühmten Mönch“ getroffen und bei dieser Gelegenheit seine theologischen Ratgeber versammelt. Im Lager der Kreuzfahrer muss sich zur selben Zeit auch der Bischof von Akko, Jakob von Vitry, aufgehalten haben. In einem Brief schrieb er 1220, zwar habe der hl. Franziskus mit seiner Predigt bei den Sarazenen wenig ausrichten können, doch habe ihn der Sultan insgeheim gebeten, für ihn zum Herrn zu beten. Nach seiner Rückkehr schrieb der hl. Franziskus einen Text, der unter der Überschrift „Von denen, die unter die Sarazenen und andere Ungläubige gehen“ in die Ordensregel Eingang gefunden hat. Darin heißt es: „Die Brüder aber, die hinausziehen, können in zweifacher Weise unter ihnen geistlich wandeln. Eine Art besteht darin, dass sie weder Zank noch Streit beginnen, sondern um Gottes Willen jeder menschlichen Kreatur untertan sind und bekennen, dass sie Christen sind. Die andere Art ist die, dass sie, wenn sie sehen, dass es dem Herrn gefällt, das Wort Gottes verkünden“ (Kap. 16). Und unter dem Eindruck muslimischer Frömmigkeit gab der hl. Franziskus die Anregung, es möge „an jedem Abend durch einen Herold oder durch sonst ein Zeichen das gesamte Volk dazu aufgerufen werden, Gott, dem allmächtigen Herrn, Lobpreis und Dank zu erweisen“. Es ist wohl kein Zufall, dass schon bald danach in den Franziskanerkirchen das Angelus-Läuten eingeführt wurde. Ebenso darf in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass der „Lobpreis Gottes“, den der hl. Franziskus 1224 auf dem Berg La Verna eigenhändig niedergeschrieben hat, an die „99 schönsten Namen Gottes“ erinnert, welche die Muslime rezitieren. Der hl. Franziskus wurde von den Muslimen ehrenvoll aufgenommen, aber er brachte ihnen offensichtlich auch umgekehrt eine große Hochachtung entgegen und ließ sich von ihnen sogar inspirieren. Dies geht über ein reines Zuhören hinaus und lässt das Wesen eines wahren Dialogs erkennen. Wie Papst Franziskus auf die Muslime zugeht, spiegelt zutiefst den Geist des hl. Franziskus wider. Was die Begegnung mit dem Sultan vor 800 Jahren kennzeichnet, lässt sich auch im Engagement und in der Irak-Reise des Papstes entdecken.

Papst Franziskus bei Ajatollah Sayyid Ali Sistani

Ein besonderer Augenblick der Irak-Reise war die Begegnung mit Ajatollah Sayyid Ali Sistani in Nadschaf, dem wichtigsten Ort der Schiiten. Mit den Sunniten, die weltweit den allergrößten Teil der Muslime ausmachen, pflegte die katholische Kirche schon seit langem einen Austausch. Papst Franziskus konnte auf diesem Hintergrund mit der höchsten sunnitischen Autorität, dem Kairoer Großimam Ahmad Mohammad Al-Tayyeb, 2019 das historische Dokument über die Geschwisterlichkeit aller Menschen unterzeichnen. Zu den Schiiten, die vor allem den Irak und den Iran prägen, gab es bislang keinen Kontakt. Nun aber wurde der Papst vom 90-jährigen Ajatollah empfangen, zu einem Höflichkeitsbesuch, wie es im Programm hieß, ohne öffentliche Ansprachen. Für Papst Franziskus aber war es mehr. Bei der Pressekonferenz auf dem Rückflug sagte er: „Ich fühlte mich verpflichtet, auf dieser Pilgerreise des Glaubens und der Buße einen großen, einen weisen Mann, einen Mann Gottes zu treffen. Nur wenn man ihm zuhört, nimmt man dies wahr.“ Das Treffen sei auch eine Botschaft an die religiösen Führer des Iran gewesen. „Seit zehn Jahren empfange ich keine Leute mehr, die mich mit anderen – politischen oder kulturellen – Absichten besuchen, nein, nur mit religiösen“, habe ihm Al Sistani gesagt. Und ein anderes Wort des Ajatollah werde er sich merken: „Die Menschen sind entweder Geschwister durch die Religion oder gleich durch die Schöpfung.“ Was den Papst tief berührt hat: „Er war sehr respektvoll, ja, sehr respektvoll bei dem Treffen, und ich fühlte mich geehrt.“ Üblicherweise stehe Al Sistani nie auf; doch er sei zweimal aufgestanden, zur Begrüßung und zur Verabschiedung. „Er ist ein bescheidener und weiser Mann. Dieses Treffen hat meiner Seele gutgetan. Er ist ein Licht“, so der Papst. Und er könne sich vorstellen, dass mit ihm die nächste gemeinsame Erklärung unterzeichnet werde, also mit den Schiiten. So bald wie möglich wolle er außerdem den Libanon besuchen. Es müsse in der muslimischen Welt ein Mentalitätswandel eintreten, wie er auch unter den Christen erfolgt sei. Nach einem Dreißigjährigen Krieg oder einer Bartholomäusnacht hätte man verstanden, dass die Offenbarung Jesu die Liebe und die Nächstenliebe ist. Erfreulicherweise hat der sunnitische Großimam Al-Tayyeb den Papstbesuch im Irak als wichtiges Ereignis bewertet. Und er hob vor allem die Demut des Papstes hervor, welche die interreligiösen Begegnungen wie nun auch das Treffen in Ur möglich gemacht habe. Aber Papst Franziskus gibt auch zu, dass sein Engagement ein Risiko bedeute. Von Kritikern werde ihm vorgeworfen, er sei verantwortungslos, verstoße gegen die katholische Lehre und sei nur einen Schritt von der Häresie entfernt. Doch er bewege sich auf der Linie der Lehre des Konzils und treffe seine Entscheidungen im Gebet, im Dialog, im Einholen von Ratschlägen und im Nachdenken.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2021
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Klares „Nein“ aus Rom

Keine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare

Kardinal Luis Francisco Ladaria Ferrer SJ, der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, hat in einer „Erläuternden Note“ noch einmal klargestellt, dass Segnungen von Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts nicht möglich sind. Die Kirche habe dazu keine Vollmacht. Dagegen sei die Segnung homosexueller Einzelpersonen möglich, „die den Willen bekunden, in Treue zu den geoffenbarten Plänen Gottes zu leben“. Gekürzte Fassung.

Von Kardinal Luis Ladaria SJ, Rom

In einigen kirchlichen Bereichen verbreiten sich Projekte und Vorschläge von Segnungen für Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts. Nicht selten sind solche Projekte durch den aufrichtigen Willen motiviert, homosexuelle Personen anzunehmen, sie zu begleiten und ihnen Wege des Glaubenswachstums anzubieten, „damit diejenigen, welche die homosexuelle Tendenz zeigen, die notwendigen Hilfen bekommen können, um den Willen Gottes in ihrem Leben zu begreifen und ganz zu erfüllen“ (Amoris laetitia, Nr. 250).

Auf diesen Wegen können das Hören des Wortes Gottes, das Gebet, die Teilnahme an liturgischen Handlungen der Kirche und praktizierte Nächstenliebe eine wichtige Rolle bei der Förderung von Bemühungen spielen, die eigene Lebensgeschichte zu deuten sowie frei und verantwortungsbewusst die eigene Taufberufung anzunehmen, weil „Gott jeden Menschen liebt. Und Gleiches tut auch die Kirche,“ indem sie jede ungerechte Diskriminierung ablehnt.

Unter den liturgischen Handlungen der Kirche sind Sakramentalien von besonderer Bedeutung: als „heilige Zeichen, durch die in einer gewissen Nachahmung der Sakramente Wirkungen, besonders geistlicher Art, bezeichnet und kraft der Fürbitte der Kirche erlangt werden. Durch diese Zeichen werden die Menschen bereitet, die eigentliche Wirkung der Sakramente aufzunehmen; zugleich wird durch solche Zeichen das Leben in seinen verschiedenen Gegebenheiten geheiligt“ (Sacrosanctum Concilium, Nr. 60). …

Um der Natur der Sakramentalien zu entsprechen, ist es deshalb erforderlich, dass, wenn über einige menschliche Beziehungen ein Segen herabgerufen wird, abgesehen von der rechten Absicht derjenigen, die daran teilnehmen, die zu segnende Wirklichkeit objektiv und positiv darauf hingeordnet ist, die Gnade zu empfangen und auszudrücken, und zwar im Dienst der Pläne Gottes, die in die Schöpfung eingeschrieben und von Christus dem Herrn vollständig offenbart sind. Mit dem Wesen der von der Kirche erteilten Segnung ist daher nur vereinbar, was an sich darauf hingeordnet ist, diesen Plänen zu dienen.

Aus diesem Grund ist es nicht erlaubt, Beziehungen oder selbst stabilen Partnerschaften einen Segen zu erteilen, die eine sexuelle Praxis außerhalb der Ehe (das heißt außerhalb einer unauflöslichen Verbindung eines Mannes und einer Frau, die an sich für die Lebensweitergabe offen ist) einschließen, wie dies bei Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts der Fall ist (vgl. Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 2357). Das Vorhandensein positiver Elemente in solchen Beziehungen – die in sich betrachtet dennoch zu schätzen und hervorzuheben sind – ist trotzdem nicht in der Lage, diese zu rechtfertigen und sie daher rechtmäßig zum Gegenstand einer kirchlichen Segnung zu machen, weil diese Elemente im Dienst einer Verbindung stehen, die nicht auf den Plan des Schöpfers hingeordnet ist.

Da die Segnungen für Personen in Beziehung zu den Sakramenten stehen, kann da-rüber hinaus die Segnung gleichgeschlechtlicher Verbindungen nicht als zulässig angesehen werden, weil sie in gewisser Weise eine Nachahmung oder einen analogen Hinweis auf den Brautsegen darstellen würde, der auf den Mann und die Frau herabgerufen wird, die sich im Sakrament der Ehe vereinigen, da „es keinerlei Fundament dafür [gibt], zwischen den homosexuellen Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinn“ (Amoris laetitia, Nr. 251).

Die Erklärung der Unzulässigkeit von Segnungen der Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts ist daher weder eine ungerechte Diskriminierung noch enthält sie die Absicht, eine solche zu sein, sondern ruft die Wahrheit des liturgischen Ritus in Erinnerung und das, was dem Wesen der Sakramentalien zutiefst entspricht, so wie die Kirche sie versteht.

Die christliche Gemeinschaft und die geistlichen Hirten sind aufgerufen, Menschen mit homosexuellen Neigungen mit Respekt und Takt aufzunehmen; sie werden im Einklang mit der kirchlichen Lehre die am besten geeigneten Wege zu finden wissen, um ihnen das Evangelium in seiner Fülle zu verkünden. Diese Personen mögen gleichzeitig die aufrichtige Nähe der Kirche anerkennen – die für sie betet, sie begleitet, mit ihnen den Weg des christlichen Glaubens teilt (Homosexualitatis problema, Nr. 15) – und ihre Lehren mit aufrichtiger Bereitwilligkeit annehmen. …

Aus diesen Gründen verfügt die Kirche weder über die Vollmacht, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts im oben gemeinten Sinne zu segnen, noch kann sie über diese Vollmacht verfügen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2021
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Die Wirkungen einer authentischen Verkündigung

Die Macht des Wortes Gottes

Pfarrer Dr. Richard Kocher, Programmdirektor des christlichen Senders „radio horeb“, entfaltet in seinem Beitrag eine „Theologie des Wortes Gottes“. Ausgehend von einer Schlüsselstelle im Hebräerbrief stellt er fünf Eigenschaften des Wortes Gottes heraus (Hebr 4, 12f.). Die Betrachtungen sind getragen von seiner täglichen Erfahrung in der Medienarbeit, die er als Verkündigungsdienst versteht. Pfr. Kocher legt Zeugnis von der Fruchtbarkeit des Wortes Gottes ab, das eine göttliche Kraft in sich birgt und zu einer persönlichen Begegnung mit dem lebendigen Christus führt.

Von Richard Kocher

Die Verkündigung des Engels an Maria schließt mit einem Verweis auf die Macht des Wortes Gottes ab. Meist wird diese Stelle mit „Bei Gott ist nichts unmöglich“ übersetzt (Lk 1,37). Es geht hier aber nicht um eine Aussage über die Allmacht Gottes, sondern über die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. Wörtlich aus dem Griechischen übersetzt heißt der Vers nämlich: „Denn nicht kraftlos ist von Gott her jedes Wort.“ Für eine Theologie des Wortes Gottes ist diese Stelle äußerst bedeutsam, besonders im Blick auf den Dienst der Verkündigung. Das Wort Gottes, das es zu verkündigen gilt, ist nicht kraftlos. Von Gott ausgesandt erreicht es, was er will.

Fünf Eigenschaften des Wortes Gottes

Der Hebräerbrief bietet eine gute Grundlage für die theologische Reflexion über die Macht des Wortes. Darin heißt es: „Denn lebendig ist das Wort Gottes, kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert; es dringt durch bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenken und Mark; es richtet über die Regungen und Gedanken des Herzens; vor ihm bleibt kein Geschöpf verborgen, sondern alles liegt nackt und bloß vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft schulden“ (Hebr 4,12f.).

Zunächst ist aufschlussreich, wer die Adressaten des Hebräerbriefs sind. Er richtet sich an Christen der zweiten Generation. Diese sind „stumpf im Hören“ geworden (Hebr 5,11). Die Verkündigung hat den Reiz des Neuen und Beachtenswerten verloren. Viele haben von Jugend an Gottesdienste besucht und Predigten gehört. Das Ergebnis ist: gelangweilte Gleichgültigkeit – eine frappierende Ähnlichkeit zu unserer Situation, denn damals wie heute wissen die Christen nicht mehr um den Schatz, der ihnen durch Jesus Christus und sein Wort geschenkt worden ist. – Warum ist das Wort Gottes anders als andere Worte und Weisheitslehren? Was sind die besonderen Qualitäten des Wortes Gottes? In den beiden Versen werden fünf Qualitäten von diesem ausgesagt:

1. Lebendig

Das Leben hat das erste Wort. An erster Stelle wird gesagt, dass das Wort Gottes wie Gott selbst das Leben hat. „zon“ – „lebendig“ ist ein Partizip von „Zao“ – „Leben“. Alles, was folgt, leitet sich davon ab. Denn, wenn das Wort Gottes nicht lebendig ist, ist es auch nicht kraftvoll, scharf, durchdringend und richtend. Es ist im höchsten Maß lebendig. Der Vater hat seinem menschgewordenen Sohn, Jesus Christus, gegeben, das Leben in sich zu haben, und auch wir sollen daran Anteil haben durch sein Wort (vgl. Joh 5,26; Joh 14,6). Es ist inspiriertes Gotteswort und partizipiert an der Allmacht Gottes. Dieses Wort ist heute wirksam. Der Hebräerbrief betont das immer wieder: die Wirksamkeit im Heute. Es ist also alles andere als ein toter Buchstabe. Die Bibel ist deshalb auch kein Geschichtsbuch, und Gott ist nicht der unbewegte Beweger, der im Hintergrund bleibt. Das Wesen des Lebens ist zeugende Kraft. So heißt es im ersten Petrusbrief: „Ihr seid neu gezeugt worden nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen: aus Gottes Wort, das lebt und das bleibt“ (1 Petr 1,23).

Ausgerechnet ein Nicht-Christ, der Hindu Mahatma Gandhi, sagt zur Bibel und zum Wort Gottes: „Ihr Christen habt in eurer Obhut ein Dokument mit genug Dynamit in sich, die gesamte Zivilisation in Stücke zu blasen, die Welt auf den Kopf zu stellen, dieser kriegszerrissenen Welt Frieden zu bringen. Aber ihr geht damit so um, als ob es bloß ein Stück guter Literatur ist, sonst weiter nichts.“ Erschütternd auch die Konsequenz, die er daraus ableitet: „Das Einzige, was mich immer davon abgehalten hat, Christ zu werden, waren die Christen.“ Er konnte nicht verstehen, warum die britischen Kolonialherren so wenig das lebten, was sie im Glauben bekannten.

2. Kraftgeladen

Was ist vergänglicher und hinfälliger als ein Wort, zumal in der heutigen Zeit mit einer Inflation von Worten und Bildern? Wir müssen uns eine andere Sichtweise auf das Wort Gottes aneignen. Es ist „energes“ – „kraftgeladen“ wie Feuer, wie ein Hammer, der Felsen zerschmettert (vgl. Jer 23,29). Papst Franziskus sagte zu Jugendlichen: Ihr haltet „also etwas Göttliches in Händen, ein Buch wie Feuer! Ein Buch, durch das Gott spricht“.

Der Hauptmann von Kafarnaum, ein Heide, vertraut auf die Wirksamkeit des Wortes Jesu, wenn er sagt: „Sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund!“ (Mt 8,8). Das kraftgeladene Wort Jesu heilt den Diener des Hauptmanns. Zu einem Aussätzigen sagt Christus: „Ich will – werde rein!“ (Mt 8,3). Es ist göttlich befehlendes Wort, das sofort seine Wirkung erzielt.

Schon am Anfang der Schöpfung ergeht das Wort Gottes und bewirkt das, wozu es ausgesandt wird. Sechsmal heißt es in der Genesis: „Gott sprach und es ward.“ Die Schöpfung hat eine Struktur der Empfänglichkeit auf das Wort Gottes hin.

Beim Anfang der Erlösung sagt der Erzengel Gabriel zu Maria: „Nicht kraftlos (adynatos) ist Gottes Wort.“ Es bewirkt die vaterlose Empfängnis Jesu Christi im Schoß der Jungfrau – eine neue Schöpfung entsteht.

3. Scharf

Das Wort Gottes ist scharf, es ist schärfer als jedes zweischneidige Schwert. „tomoteros“ – „schärfer“ ist der Komperativ zu „tomos“ – „scharf“. Gottes Wort ist eine mächtige Waffe, mit ihm ist nicht zu spaßen. Es ist wie ein Schwert, das im Kampf eingesetzt wird. Deshalb werden wir im Epheserbrief aufgefordert, das Schwert des Geistes in die Hand zu nehmen – „das ist das Wort Gottes“ (Eph 6,17). „Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen Mächte und Gewalten, gegen die Weltherrscher dieser Finsternis, gegen die bösen Geister in den himmlischen Bereichen“ (Eph 6,12). Aus dem Mund des Menschensohnes in der Apokalypse kommt ein scharfes, zweischneidiges Schwert (wörtliche Übereinstimmung mit Hebräer 4,12!), mit dem die Völker geschlagen werden (vgl. Offb 1,16; 19,15).

Wie man mit dem Schwert des Geistes kämpft, hat uns Christus in der Auseinandersetzung mit dem Teufel in der Wüste gezeigt. Alle drei Versuchungen des Satans weist er mit dem Wort Gottes zurück. Er lässt sich auf keine Diskussion mit ihm ein: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt“ (Mt 4,4; vgl. auch Dtn 8,3).

Um dieses Schwert einsetzen zu können, muss man um die Macht des Wortes Gottes wissen.

Einer der größten und erfolgreichsten Prediger in der Geschichte der Kirche war der hl. Antonius von Padua. Vor jeder Predigt hat er folgendes Gebet gesprochen: „O Licht der Welt, unendlicher Gott … berühre meinen Mund und mach ihn zu einem scharfen Schwert, damit ich deine Worte beredt hervorbringen könne. Mache, o Herr, meine Zunge zu einem auserlesenen Pfeil, um all deine Wunder und Werke würdig zu verkünden.“

4. Durchdringend

Das Wort „dignomenos“ = „durchdringend“ ist das Partizip von „digneomai“ – „durchdringen“. Es kommt nur an dieser Stelle in der Bibel vor. Das Wort Gottes ist durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenken und Mark. Der Sinn dieses Bildes liegt auf der Hand: Nichts kann ihm Widerstand leisten. Es durchdringt alles, selbst das Innerste des Menschen. Es geht durch Mark und Bein.

Die Beschreibung der Wirkung des Wortes Gottes hat in Hebräer 4,12f. eine logische Abfolge: Wenn das Wort lebendig, kraftvoll und scharf ist, dann ist es auch durchschlagend; es hat durchschlagenden Erfolg. Nichts kann ihm widerstehen. Das Wort Gottes bewirkt, wozu Gott es aussendet (vgl. Jes 55, 11). Die Wirkung erstreckt sich nicht nur auf den Leib, sondern reicht auch dahin, wo wir sonst keinen direkten Zugriff haben: auf Seele und Geist, auf den geistig-seelischen Bereich.

Deshalb betet die Kirche in der hl. Messe vor dem Empfang der hl. Kommunion: „Herr, sprich nur ein Wort, und meine Seele wird gesund.“ Durch das Wort Gottes gesundet die Seele. Ähnlich muss auch die Wirksamkeit des Wortes Gottes bei Gebeten um Heilung und Befreiung gesehen werden.

5. Richtend

Das Wort Gottes ist „kritikos“ – „kritisch“, „urteilsfähig“, „zum Richten geschickt“. Es unterscheidet und richtet über die Regungen und Gedanken des Herzens. Dies gilt zunächst für uns selbst. Wer im Gefühls-chaos nicht mehr weiß, was wichtig und richtig ist, findet im Wort Gottes Klarheit. Es trägt wesentlich bei zur Unterscheidung der Geister, ob etwas von Gott, von der Welt oder vom Bösen kommt. Die scheidende Kraft des Wortes Gottes deckt menschliche Geheimnisse auf. Selbstsicherungsmechanismen funktionieren nicht mehr, denn „alles liegt nackt und bloß vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft schulden“ (Hebr 4,13).

Das Wort Gottes ist kein harmloser Bibelspruch, sondern die entscheidende Macht dieser Welt. Als Jesus in den galiläischen Städten Chorazim, Betsaida und Kafarnaum abgewiesen wird, reagiert er nicht stoisch gelassen, sondern zornig (vgl. Mt 11,20-24): Sie werden in die Unterwelt hinabgeworfen werden wie Babylon.

Die richtende Kraft des Wortes Gottes zeigt sich auch daran, dass es Lebensphilosophien und -modelle über den Haufen wirft, wenn diese auf Sand, auf Illusionen aufgebaut sind (vgl. Mt 7,26). Darauf ging Papst Benedikt am 6. Oktober 2008 bei der ersten Arbeitssitzung der 12. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode in einer Meditation über das Wort Gottes ein: „Auf Sand baut derjenige, der nur auf die sichtbaren und greifbaren Dinge baut, auf den Erfolg, die Karriere, das Geld. Scheinbar ist das die wahre Wirklichkeit. Aber dies wird eines Tages vorbei sein. Wir sehen das jetzt beim Zusammenbruch der großen Banken. Diese Gelder verschwinden, sie sind nichts. Und so sind alle diese großen Dinge, auf die man sich verlassen kann – die als die wahre Wirklichkeit erscheinen – zweitrangige Wirklichkeiten. … Nur das Wort Gottes ist das Fundament der gesamten Wirklichkeit. Es steht fest wie der Himmel und mehr als die Himmel, es ist Realität. Folglich müssen wir unseren Begriff des Realismus ändern. Realist ist der, der im Wort Gottes, dieser scheinbar so gebrechlichen Realität, das Fundament von allem erkennt. Realist ist derjenige, der sein Leben auf das Fundament baut, das ewig bleibt.“

Das Wort Gottes hat durchtrennende Kraft. Mit Richten und Unterscheiden ist aber nicht Hinrichten, sondern letztlich Aufrichten gemeint. Das Wort Gottes legt die Wahrheit über mich selbst frei, und diese heißt: Du bist ein geliebtes Kind Gottes. Das Ja Gottes zu uns war da, bevor je ein Mensch Nein sagen konnte. Wie viele vermögen das angesichts seelischer Verwundungen und Schicksalsschläge heute nicht mehr zu glauben! Das Wort Gottes sagt uns, wer wir in Wahrheit sind.

Treue zum Wort Gottes in der Verkündigung

Die Kirche steht nicht über, sondern unter dem Wort Gottes. Sie darf Gottes Wort nie domestizieren, sondern muss es immer als „gefährliche Erinnerung“ beibehalten. In der Treue zum Wort Gottes verteidigt sie beispielsweise die Unauflöslichkeit der Ehe in einer Zeit des pornografischen Totalschadens. Angesichts der „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ (Papst Franziskus) erinnert sie daran, dass Christus in jedem notleidenden Menschen gegenwärtig ist (vgl. Mt 25,40).

Heinz Behrends schildert die folgende Erfahrung: „Du bist auf der Kanzel kein Chirurg mit dem Skalpell und Predigt ist keine OP ohne Narkose. Doch, das macht mich nachdenklich. Am meisten Beifall für eine Predigt habe ich immer dann bekommen, wenn ich kräftig und scharf gepredigt habe. Wahrheiten wurden aufgedeckt. Das wundert mich nicht. Im Geschwätz der Medien gibt es eine Sehnsucht nach Klarheit.“

Bei der Hochzeit zu Kana hat Jesus Wasser in Wein verwandelt. Der Prediger darf kein Rückverwandlungswunder bewirken, indem er den Wein des Wortes Gottes durch die armseligen Worte seiner Auslegung in Wasser zurückverwandelt. Die Predigten müssen sich so deutlich an der Heiligen Schrift orientieren, dass das Wort Gottes im Menschenwort erkannt werden kann. Oft fehlen Klarheit und Mut, auch unangenehme Dinge zu benennen. Die Verkündigung ist immer Zuspruch, Aufmunterung, aber auch Ansporn. Letzteres wird oft weggelassen. Nichts ist in der Verkündigung schädlicher als die mangelnde Klarheit.

Deswegen ist es so wichtig, vor der Predigt um das Licht des Heiligen Geistes zu bitten. So heißt es im zweiten Teil des bereits erwähnten Gebets, das der hl. Antonius von Padua vor jeder Predigt gesprochen hat: „Lege, o Herr, Deinen Geist in mein Herz, damit ich ihn behalte, und in mein Gewissen, damit ich ihn wohl betrachte. Hauche mir ein den andächtigen, den heiligen, den barmherzigen, den milden und sanften Geist Deiner Gnade. Lehre, unterrichte und befestige den Eingang und Ausgang meiner Sinne und meiner Gedanken; und bis zum Ende leite mich Deine heilige Zucht und unterstütze mich Dein allerhöchster Rat durch Deine unendliche Weisheit und Barmherzigkeit. Amen.“

Bereitung des Bodens für den Samen des Wortes

Beim Gleichnis der verschieden wachsenden Saat nennt Jesus das Wort Gottes den Samen, der in den Acker der Welt gestreut wird. Schon damals hat das Gleichnis Antwort auf die Frage gegeben, warum die Saat vielfach nicht aufgeht. Wenn das Wort Gottes von den Menschen heute nicht mehr gehört und befolgt wird, hängt dies nicht mit der Qualität des Samens zusammen, sondern mit der des Ackerbodens, mit der mangelnden Bereitschaft, das Herz für Gottes Wort zu öffnen.

Die Menschen sind in alles Mögliche verstrickt und geradezu unfähig, das Wort Gottes zu hören. Heinz Schürmann erklärt, dass schon zur Zeit Jesu zuerst der Einfluss des Bösen durch Befreiungsgebete beseitigt werden musste, damit die Menschen aufnahmefähig waren: „Dass die Macht Satans gebrochen ist und die Menschen aus seiner Gewalt befreit wurden, ist die Voraussetzung dafür, dass diese Jesu Wort hören und es Gott preisend bezeugen können.“ Darum geht es auch heute. Unsere Verkündigung ist oftmals ineffizient, weil wir vergessen, für unsere Zuhörer zu beten. Sie müssen erst freigesetzt werden, damit sie das Wort Gottes hören. Ich bete deshalb still vor meinen Ansprachen: „Sende mir deinen Heiligen Geist und nimm alles weg, was das Hören des Wortes Gottes hindern könnte“ und rufe auch die Erzengel Michael und Gabriel um ihre Hilfe an.

Auswirkungen authentischer Verkündigung

Die Auswirkungen des Wortes Gottes haben wir meist schon an uns selbst erfahren. Es trifft unser Herz und berührt unser Inneres. Auch wenn wir ein Bibelwort schon oft gehört haben, so wird es doch plötzlich zur persönlichen Anrede. Der Mönchsvater Antonius oder Franz von Assisi sind bekannte Beispiele hierfür. Das Wort Gottes meint mich persönlich und ruft mich aus meinem bisherigen Leben heraus – zu einem neuen Leben und in die besondere Nachfolge.

In der Einleitung des Hebräerbriefes heißt es, dass Gott auf vielfältige und auf vielerlei Weise einst zu den Vätern gesprochen hat durch die Propheten. „In dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn“ … dieser „trägt das All durch sein machtvolles Wort“ (Hebr 1,2f.). Jesus Christus ist Gottes letztes und endgültiges Wort an uns. Er ist das ewige göttliche Wort, das von Anfang an beim Vater war und nun zu uns gekommen ist, denn es wurde Fleisch (vgl. Joh 1,1-14). Es entscheidet über Leben und Tod, denn dieses Wort wird uns einst richten; wir schulden ihm, vor dessen Augen nichts verborgen bleibt, Rechenschaft (vgl. Hebr 4,13).

Die letzten Worte von Mose an das Volk Gottes lauten: „Nehmt euch alle Worte zu Herzen, die ich heute gegen euch als Zeugen bestelle … Das ist kein leeres Wort, das ohne Bedeutung für euch wäre, sondern es ist euer Leben“ (Dtn 32,46f.).

Durch die Verkündigung in unserem Radio haben schon viele Menschen wieder zum Glauben gefunden und ein neues geistiges Leben geschenkt bekommen. Dies bezeugt beispielsweise Peter Schilling, dem mit „Major Tom“ im Jahr 1982 ein Welthit gelungen ist: „Wo etwas geistig tot war, hat es neues Leben mir gebracht und damit Sinn, Erfüllung, neue Perspektive.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2021
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Zeugnis des bekannten US-Fernseh-Bischofs Fulton John Sheen (1895-1979)

Die Herausforderungen des Bischofsamtes

Erzbischof Fulton John Sheen (1895-1979) ist eine der bekanntesten und einflussreichsten Persönlichkeiten der katholischen Kirche in den USA des 20. Jahrhunderts. Seine wöchentlichen Radioansprachen ab 1930 und vor allem seine Fernsehsendungen in den 1950er Jahren wurden von bis zu 30 Millionen Hörern und Zuschauern mitverfolgt. 1951 war Sheen als Nationaldirektor des „Päpstlichen Werkes der Glaubensverbreitung“ der Vereinigten Staaten zum Weihbischof von New York geweiht worden, von 1966 bis 1969 war er Bischof von Rochester und danach bis zu seinem Tod wieder Mitarbeiter im Erzbistum New York. Papst Franziskus hatte den Termin für die Seligsprechung von Erzbischof Sheen auf den 21. Dezember 2019 festgesetzt. Sie sollte in der Kathedrale von Peoria erfolgen, in der Fulton Sheen zum Priester geweiht worden war. Doch zweieinhalb Wochen vor dem Ereignis teilte der Bischof von Peoria mit, die Seligsprechung sei auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Denn einige amerikanische Bischöfe hatten beim Papst Einspruch erhoben. Nachstehend ein Zeugnis aus seiner Autobiografie aus dem Jahr 1980, die unter dem Titel „Unerschütterlich im Glauben“ nun im Jahr 2021 auch auf Deutsch erschienen ist.[1]

Von Erzbischof Fulton John Sheen

Was bedeutet es, Bischof zu sein? Als unser Herr Petrus und die anderen Apostel erstmals zu sich rief, sagte er zu ihnen, von nun an würden sie Seelen anstelle von Fischen fangen. Ob eine Beförderung in der Kirche die Fähigkeit, Netze zu füllen, verstärkt oder nicht, ist eine andere Frage. Statistiken belegen nicht, dass man mehr Fische fangen kann, wenn man in Violett statt in Schwarz gekleidet ist. Vielmehr scheint es, dass die Verantwortung zunimmt, denn ein Fischer verwendet lediglich einen Angelhaken, ein Bischof hingegen einen Krummstab. Das heißt, er muss die Herde Christi – seien es nun Fische oder Lämmer – sowohl „mit dem Angelhaken als auch mit dem Krummstab“ vergrößern (By hook or crook, wörtlich: „durch Haken oder Krummstab“, zu Deutsch: „auf Biegen und Brechen“). Nach christlichem Verständnis müssen wir, je höher wir aufsteigen, desto kleiner werden. Unser Herr sagte: „Der Führende soll werden wie der Dienende.“ Die Gefahr ist groß, dass man über der Pracht und Herrlichkeit des Schatzes den Ton vergisst.

Ich erkannte meine Schwäche und Sündhaftigkeit

Beim Anlegen des Brustkreuzes überkommt den Träger ein Hochgefühl der Freude, und einige unter uns, die es betasten, wenn es zum ersten Mal über ihre Schultern gelegt wird, hören damit bis zum Ende ihrer Tage nicht auf. Ich gestehe auch die Freude über die Privilegien ein, die einem Bischof zuteilwerden – sein Platz am Tisch, die extraweiche Kniebank und die Ehrerbietigkeit, die aus dem Glauben entspringt. Bereits nach sehr kurzer Zeit stellte ich jedoch fest, dass ich kein anderer geworden war, dass das Tongefäß noch genauso schwach war wie zuvor und dass die Reverenz, die die Menschen mir entgegenbrachten, nicht unbedingt etwas mit dem Blick zu tun hatte, mit dem der Herr mich ansah. Ich brauchte einige Zeit, bis ich entdeckte, dass der Edelstein am Ring nicht zwangsläufig zu einem Edelstein in der Himmelskrone werden wird. Während meiner Arbeit für die Mission sah ich die Armut der guten Männer und Frauen, die sich bis zur Selbstaufgabe für Christus verausgabten, im Gegensatz zu meiner Schwäche und Sündhaftigkeit, und es wurde mir bewusst, wie weit ich davon entfernt war, wie Christus mich haben wollte. Ich begann dann, einen ganz schmalen Silberring mit einem eingearbeiteten Perlmuttbild der Gottesmutter zu tragen bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, als Papst Paul VI. jedem Bischof einen einfachen Goldring schenkte.

Wir sind verantwortlich für die Weihe von unwürdigen Kandidaten

Die größte Freude im Leben eines Nachfolgers der Apostel ist die Vollmacht, andere Priester zu weihen oder an ihrer Berufung mitzuwirken. Eine körperliche Zeugung ist uns aufgrund des Zölibats nicht möglich, doch indem man jungen Männern die Hände auflegt und ihre Hände mit der Macht salbt, Sünden zu vergeben und den Leib und das Blut Christi aufzuopfern, ist das eine geistige Zeugung himmlischer Ordnung. Sie bringt auch eine Last mit sich, denn der Herr macht uns verantwortlich für die Weihe von Männern, die nicht würdig sind. Als Bischof von Rochester lehnte ich ein paar Diakone ab, die mir zur Weihe vorgestellt wurden. Ich gewann durch persönliche Fragen und Beobachtungen im Seminar anlässlich meiner Besuche den Eindruck, dass ihre Absichten nicht lauter waren. Als bekannt wurde, dass bestimmte Mitglieder eines Jahrgangs abgelehnt worden waren, kam die Mutter eines der jungen Männer zu mir und sagte: „Ich danke Gott, dass Sie meinen Sohn nicht weihen. Er ist nicht würdig, Priester zu sein.“ Mehrere andere Mitglieder des Weihekurses kamen zu mir und fragten: „Woher wussten Sie das? Ihr Urteil war richtig.“

Wir müssen vollkommener sein als Einsiedler und Ordensleute

Der Wert eines Bischofs bemisst sich nach der Hingabe, nicht nach der Dauer seines Lebens. Da ich eine angesehene Stellung einnehme, wäre es einfach, mein Leben nach den Geldmitteln zu beurteilen, die ich für die Armen der Welt sammelte, und den Wert in Dollar und Cent auszudrücken. Oder, wenn man für eine Diözese verantwortlich ist, die Schulen und Kirchen aufzulisten, die errichtet wurden, wobei man vergisst, dass all das nur durch die Großzügigkeit anderer möglich war. Gott wird mich eher danach beurteilen, wie deutlich ich ihn widerspiegelte – nicht nur durch meine Arbeit, sondern durch Wort und Tat. Wenn unsere Zeit schließlich abgelaufen ist, dann werden wir nicht nach der Dauer unseres Dienstes gefragt werden oder danach, wie viel wir getan haben, sondern ob die Menschen, für die wir verantwortlich waren, den Bischof als einen Mann in Erinnerung behalten, der Christus unter ihnen repräsentierte. Das ist ein schweres und Furcht einflößendes Bewertungskriterium, und mich schaudert es noch nach über sechzig Jahren als Priester und fast dreißig Jahren im Bischofsamt beim Gedanken an meine Verantwortlichkeiten. Niemand kann zählen, wie oft meine Seele zurückschreckte, wenn sie las, was der heilige Johannes Chrysostomos über das Leben eines Bischofs gesagt hatte: Es sollte vollkommener sein als das eines Einsiedlers. Er begründete das damit, dass die Heiligkeit, die der Mönch in der Wüste bewahren kann, vom Bischof inmitten der Bosheit der Welt aufrechterhalten werden muss.

Der heilige Thomas von Aquin lehrte, dass das geistliche Leben eines Bischofs größere Anforderungen an die Vollkommenheit stellt als das Ordensleben: „Vollkommenheit ist eine Voraussetzung für den Stand eines Bischofs. Deshalb fragte unser Herr den Petrus, bevor er ihm das Hirtenamt übertrug, ob er ihn mehr als die anderen liebe.“

Drei Beobachtungen im Rückblick auf mein Bischofsamt

Der Herr hat mich mit langen Jahren sowohl als Priester als auch in der Hierarchie der Kirche gesegnet. Aber wie steht es mit der Hingabe? Mit Sicherheit war es nicht eine vollständige Selbsthingabe und es wurde von mir auch nicht auf jede menschliche Münze, die ich auf meinem Weg in Form von Möglichkeiten vorgefunden habe – sei sie aus Kupfer, Silber oder Gold gewesen –, das Bild Christi geprägt. Im Rückblick auf mein Bischofsamt kann ich drei Beobachtungen wiedergeben:

1. Bischöfe sind eine Gabe des Vaters an den Sohn

Das Gebet unseres Herrn in der Nacht des letzten Abendmahls galt seinen Bischöfen, nämlich den Aposteln. Und wie hat er uns beschrieben? Als „Gabe“ des himmlischen Vaters an ihn: „Die du mir gegeben hast.“ Man beachte die Nähe zwischen ihm und den Bischöfen. Unser Herr sagte in diesem Gebet: „Ich bin vom Vater gekommen“, und nun sagt er zu den Bischöfen: „Ihr seid vom Vater gekommen. Deshalb habe ich euch; ihr seid seine Gabe.“

2. Bischöfe setzen den Auftrag Christi fort

Die erste Gabe des Heiligen Geistes nach Karfreitag und Ostern wurde den Bischöfen zuteil, und sie erhielten sie für ihren Auftrag. Die erste Aushauchung des Geistes geschah nicht an Pfingsten. Am Ostersonntagabend, als die Türen des Obergemachs verschlossen waren – Thomas war nicht anwesend –, erschien der Herr plötzlich den zehn Bischöfen, von denen drei im Garten geschlafen hatten, einer hatte ihn verleugnet, und nur einer hatte unter dem Kreuz gestanden. Unser Herr hätte zu ihnen allen sagen können: „Schande über euch, Schande, Schande!“ Was aber sagte er tatsächlich? „Friede“ Und er zeigte ihnen seine Hände und seine Füße und seine Seite. Unser Herr, der Herr über Leben und Tod, war übersät von Wunden. Er sagte das Wort „Friede“ zwei Mal. Beim ersten Mal bezog er sich auf Versöhnung. Deshalb zeigte er seine Wunden, um zu beweisen, dass wir wieder mit dem Vater vereint sind. Das zweite „Friede“ war nicht ein Auftrag zur Versöhnung, sondern der Auftrag zum Dienst: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Und er hauchte seine Bischöfe an. In der griechischen Version der Bibel, der Septuaginta, kommt das Wort „anhauchen“ nur ein weiteres Mal vor, und zwar in der Genesis. Als Gott den Menschen erschuf, hauchte er ihm den Atem des Lebens ein. Dieses war der zweite Hauch und er galt den Aposteln beziehungsweise den Bischöfen. Mit dem ersten Hauch wurde Adam geschaffen; der zweite Hauch erschuf die neue Schöpfung – die Kirche und ihre Sendung in die Welt.

3. Der Herr ist nicht immer erfreut über uns

Der Herr war nicht sonderlich erfreut über seine Bischöfe, wie sie im Buch der Offenbarung beschrieben sind. Der Evangelist Johannes befand sich wegen seines Glaubens auf der Insel Patmos im Exil. Dort schreibt er über die ersten Bischöfe der frühen Kirche, die er als „Engel“ der jeweiligen Kirchen bezeichnet. Zweifellos berichtet er über die jeweilige Autorität vor Ort und wie sie in der Gemeinde ausgeübt wird. Durch diese Kirchen mit den Bischöfen an ihrer Spitze übt Christus seine Macht aus und er spricht sein Urteil über jeden. Je treuer die Kirche zu Christus steht, desto größer wird ihre Drangsal sein. Doch es geschieht inmitten dieser Kirche mit all ihren Fehlern und Schwächen, dass das Lamm die Sünden hinwegnimmt. Die Kirche besteht nicht aus Heiligen, sondern aus Sündern, die versuchen, Heilige zu sein. Das gilt auch für die Bischöfe.

Die Kirche wird nach ihren Bischöfen beurteilt

Der heilige Johannes mag den Zustand der Bischöfe der damaligen Zeit beschrieben haben, vielleicht entfaltet er auch den gleichzeitigen Zustand der Bischöfe während der ganzen Geschichte. Vielleicht ist sogar beides zusammengenommen.

Der heilige Johannes schreibt über die sieben Bischöfe in sieben unterschiedlichen Kirchen oder Diözesen Kleinasiens.

Als erste Diözese wird Ephesus erwähnt: Der Bischof war eifrig, rechtgläubig und ein großartiger Organisator, aber ihm fehlte die Liebe.

Smyrna: Der Bischof war demütig, diente seiner Herde hingebungsvoll, wurde verfolgt und für gut befunden.

Pergamon: Der Bischof war feige im Angesicht des Bösen und zu schlechten Kompromissen bereit.

Thyatira: Der Bischof war gut, allerdings unternahm er nichts gegen Lehrer einer falschen Religion. (Wie aktuell das doch klingt!)

Sardes: Der Bischof war ein Heuchler. Er täuschte sich selbst. Er meinte, er lebe, doch er war tot.

Die Kirche von Philadelphia: Der Bischof war ein guter Hirte und stand zu seinem Wort.

Laodizeia: außen reich, im Innern verarmt.

Die Kirche wird immer nach ihren Bischöfen beurteilt. Das lehrt uns das Buch der Offenbarung. Und in zahlreichen Fällen sagt der heilige Johannes, wenn er über diese Kirchen schreibt: „Ich kenne eure Werke“, somit eure Verwaltung, eure Finanzen, Fürsorge für die anderen und Schulen. Ich kenne all das – und dann kommt das „Aber“ … Was vergessen wurde, war die Liebe zu Jesus Christus, die Rechtgläubigkeit, die Selbstverleugnung.

Die Verwaltung darf nicht den Vorrang vor der Liebe haben

Ich habe einmal einen Prediger gehört, der über das Thema der drei Männer sprach, die unser Herr gerufen hatte. Jeder der drei sagte: „Ich werde kommen, aber…“, und dann brachte jeder eine Entschuldigung vor. Der Prediger endete mit den Worten: „Mir scheint, viele Menschen kommen in die Hölle aufgrund ihrer ,Aber‘.“ In den Schreiben des heiligen Johannes an die Gemeinden gibt es mehrere „Aber“ – verlorene Liebe, eine erkaltete Kirche, Nachgiebigkeit gegenüber falschen Propheten, denen erlaubt wurde zu predigen. Die einzigen beiden Kirchen, die vorbehaltlos anerkannt wurden, waren jene Kirchen, die litten. Heute werden Bischöfe häufig aus einem falschen Grund kritisiert. Im Buch der Offenbarung werden wir aufgrund unseres Mangels an Spiritualität verurteilt. Heute besteht wohl die Gefahr, dass die Verwaltung den Vorrang vor der Liebe hat. Nur wenige, die Kritik an Bischöfen üben, wissen, was in unseren Herzen vorgeht – unsere Sorgen und unsere Schmerzen.

Ich erinnere mich an eine Begegnung nach der Landung auf dem Flughafen von Los Angeles. Der Dienstmann, der meine Tasche nahm, sagte zu mir: „Jeder kennt Sie. Sicher ist es wunderbar, Bischof zu sein.“ Und ich erwiderte: „Nehmen Sie an, Sie hätten vierhundert Kinder, zehn davon wären sehr krank, fünf würden im Sterben liegen. Würden Sie sich da keine Sorgen machen und nachts wach liegen? Sehen Sie, das ist meine Familie. So wunderbar, wie Sie es sich vorstellen, ist es nicht.“

Vertrauen auf den Petrus-Nachfolger macht Bischöfe stark

Ich glaube, Bischöfe sind unter zwei Bedingungen stark. Ganz oben steht das Vertrauen auf Petrus und seine Nachfolger. Unser Herr sagte zu seinen Aposteln: „Der Satan hat verlangt, dass er euch wie Weizen sieben darf.“ Es gibt keinen Hinweis darauf, dass unser Herr in Abrede stellte, dass es zu einer Prüfung durch die Dämonen kommen werde. Es gibt sogar eine Andeutung, dass er sie zugelassen hat. Obwohl die anderen Apostel anwesend waren, sprach er nur zu Petrus: „Petrus, ich habe für dich gebetet.“ Unser Herr sagte nicht: „Ich werde für euch alle beten.“ Er betete für Petrus, dass sein Glaube nicht wanke und dass er, nachdem er sich von seinem Fall erholt hatte, seine Brüder stärke.

Ich glaube, Bischöfe sind nur dann stark, wenn sie in Einheit mit dem Heiligen Vater stehen. Wenn wir beginnen, uns von ihm zu trennen, dann stehen wir nicht mehr unter dem Gebet Christi. Und wenn wir nicht unter dem Gebet Christi stehen, sind wir nicht mehr beschützt und können auch selbst nicht starke Wächter oder Engel der Kirche sein.

Das Bischofskollegium braucht lebendigen Austausch

Aus meiner Sicht ist die zweite Quelle der Stärke die Kommunikation und der lebendige Austausch von Erfahrungen und Erkenntnissen zwischen den Mitgliedern des Bischofskollegiums – im tiefen, brüderlichen Geist der Liebe. Dieser kam in der Nacht zum Ausdruck, als unser Herr den Bischöfen die Füße wusch und sie bat, dies füreinander zu tun. Es sollte zwischen uns eine Gemeinschaft des Dienens geben. Das Vatikanische Konzil hat das insofern bestätigt, als es zur bischöflichen Kollegialität aufforderte. In jedem Land sollte es eine Bischofskonferenz geben, die es den Bischöfen ermöglicht, ihre gemeinsamen Probleme und Lösungen zum Ausdruck zu bringen.

Die eigentliche Aufgabe ist, „Menschenfischer“ zu sein

Ich glaube allerdings, dass die Bischofskonferenz schwach ist, wenn sie von menschlichen Ressourcen und menschlicher Macht anstelle der göttlichen Macht abhängt. Am Sonntag nach Ostern befanden sich sieben Bischöfe in einem Boot. Sie fuhren aus eigenem Antrieb hinaus. Sie waren nicht gesandt worden. Sie mühten sich die ganze Nacht ab und fingen nichts. Der auferstandene Herr erschien am frühen Morgen am Ufer, doch sie erkannten ihn nicht gleich. Er forderte sie auf, ihre Netze an der anderen Seite des Boots auszuwerfen. Nun handelten sie im göttlichen Auftrag. Eine neue Kraft wurde freigesetzt. Sie holten das Netz ein, in dem 153 Fische enthalten waren. An jenem Tag zählten sie die Fische. Christus hatte sie an ihre eigentliche Aufgabe erinnert, „Menschenfischer“ zu sein. Und es schwang auch die Wahrheit mit: „Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ … nichts. Bevor er Stärke schenkt, lässt er uns unsere Nichtigkeit spüren.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2021
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[1] Fulton J. Sheen: Unerschütterlich im Glauben. Die Autobiografie von Erzbischof Fulton J. Sheen. Vorwort von Raymond Arroyo, geb., 416 S., ISBN 978-3-9479311-9-4, Euro 22,00 (D), Euro 22,70 (A); Tel.: 07303-952331-0; Fax: 07303-952331-5; E-Mail: buch @media-maria.de; www.media-maria.de

Grußwort des Augsburger Bischofs zum Medjugorje-Kongress

Hinkehr zu Jesus Christus

Seit seinem Amtsantritt am 6. Juni 2020 ist der Augsburger Bischof Dr. Bertram Meier darum bemüht, Brückenbauer zu sein, zu versöhnen und zu integrieren. Er setzt alles daran, die unterschiedlichen Kräfte ins Boot zu holen und für einen missionarischen Aufbruch zu bündeln. Hinsichtlich der Ereignisse von Medjugorje ist er sich der ungeklärten Fragen durchaus bewusst. Dennoch ließ er sich nicht davon abhalten, ein Grußwort an die Veranstalter und Teilnehmer des Kongresses „40 Jahre Medjugorje“ zu richten, der Corona-bedingt Ende Januar online stattgefunden hat. Dankbar hebt er die weltweite Ausstrahlung von Medjugorje, besonders die Hinführung zu Jesus Christus, hervor.

Von Bischof Bertram Meier, Augsburg

Liebe Schwestern und Brüder, ich freue mich, Sie als Bischof von Augsburg am Internationalen Kongress Medjugorje begrüßen zu dürfen. Ich bin Bertram Meier, bin vor ziemlich genau einem Jahr von unserem Papst Franziskus zum Bischof von Augsburg erwählt und ernannt worden, musste dann Corona-bedingt einige Monate warten, bis ich schließlich im Juni die Bischofsweihe empfangen konnte. Seitdem bin ich im Dienst, aber natürlich auch in Formaten und unter Bedingungen, die uns Corona setzt. Die großen Begegnungen sind mir im Moment leider nicht möglich, wenigstens präsentisch, live nicht. Aber so bin ich dankbar für viele Frauen und Männer, vor allem auch für junge Leute, die sehr technisch affin sind, dass sie mir helfen, mich auch als Bischof – schon in reiferem Alter, ich bin jetzt 60 geworden – mit neuen Formaten auseinanderzusetzen und auch in diese Formate hineinzupassen.

Ja, Corona ist auch mit daran schuld, dass wir dieses Format wählen müssen für Ihren Kongress, der heute und morgen stattfinden wird. Aber auch hier bin ich allen dankbar, die mitgewirkt haben, dass der Kongress nicht ausgefallen ist, dass er nicht verschoben werden muss, sondern dass er stattfindet. Und so grüße ich Sie alle aus der Diözese Augsburg, denn das Zentrum des Medjugorje-Vereins liegt ja in meinem Bistum Augsburg, nämlich in Beuren, in der Nähe von Marienfried.

Seien Sie also ganz ganz herzlich willkommen aus nah und fern, vor allem diejenigen, die jetzt in Medjugorje selbst sind, von wo dann der Geist von Medjugorje hinausstrahlen soll auf den ganzen Globus, in die ganze Welt. Denn ich denke, dieser Kongress zeigt, was katholische Kirche bedeutet, nämlich stark vor Ort und letztendlich global, international präsent.

Meine lieben Schwestern und Brüder, lassen Sie mich noch kurz etwas sagen zu unserem Bistum Augsburg. Ich bin als Bischof der 62. Nachfolger des hl. Ulrich. Und der hl. Ulrich war ein echter Pontifex, ein Brückenbauer zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch, aber auch in ganz Europa zwischen Ost und West. Medjugorje ist ein Ort im Herzen Europas. Und wenn wir von einem christlichen Europa nicht nur träumen, sondern helfen wollen, dass es Wirklichkeit wird, dann – denke ich – kann auch von Medjugorje eine große Ausstrahlung hervorgehen, gerade mit dem Thema „Umkehr“, was letztlich Hinkehr zu Jesus Christus bedeutet. Und eine hervorragende Wegbegleiterin und Fürsprecherin in diesem Anliegen ist uns die Muttergottes.

Wie damals im Mittelalter der hl. Ulrich dafür steht, dass Europa aus einem christlichen Geist heraus gestaltet werden soll, so haben wir auch heute am Beginn des dritten Jahrtausends diesen „Tagesbefehl“ – könnten wir nennen – aus dem Munde Jesu Christi: „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet allen das Evangelium!“ Gerade auch Papst Johannes Paul II., ein großer Marienverehrer aus Polen, auch aus einem Brückenland zwischen Ost und West, hat ja gerade auch Maria als Muttergottes, aber auch als Mutter der Kirche und auch als Patronin der Neuevangelisierung immer wieder hochgehalten.

Und als Bischof von Augsburg darf ich nochmal ein paar Jahrhunderte vor Ulrich zurückgehen in die Römerzeit. Die zweite Patronin unserer Diözese ist nämlich die hl. Afra. Die hl. Afra hat bereits im 4. Jahrhundert gelebt und ist den Märtyrertod für Jesus Christus und sein Evangelium gestorben. Wir wissen von ihr historisch wenig. Die Legende sagt, dass sie verbrannt worden ist. Wir haben aber auch das Grab von ihr. Und Ulrich hat sich ganz bewusst neben ihr bestatten lassen. Wichtig bei der hl. Afra ist – sie kam wahrscheinlich mit Soldaten aus dem Imperium Romanum hierher nach Augsburg –, dass wir in ihr eine Mutter des Glaubens haben. Nichts gegen die Menschen, die Männer, die in der Hierarchie als geweihte Persönlichkeiten der Kirche ihren Stempel aufdrücken – bis heute, aber unterschätzen wir die Frauen nicht, gerade auch im Werk der Evangelisierung. Danken wir auch bei diesem Kongress für die vielen Frauen, die für uns Mütter und Schwestern im Glauben waren und sind.

Und so grüße ich Sie noch einmal ganz ganz herzlich als Bischof von Augsburg, einer Diözese, die zwei evangelisierenden Persönlichkeiten geweiht ist, nämlich dem hl. Ulrich und der hl. Afra. Und ich sage noch einmal: Willkommen digital, und ich würde mich freuen, wenn wir uns auch einmal real von Angesicht zu Angesicht oder – wie man heute neudeutsch sagt – face to face begegnen können.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2021
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Gleichberechtigung ist ein christliches Grundrecht

Warum gibt es nicht längst Priesterinnen?

Der Augsburger Weihbischof Florian Wörner (geb. 1970) wurde 1997 zum Priester und 2012 zum Bischof geweiht. Von 2006 bis 2013 leitete er als Diözesanjugendseelsorger das Bischöfliche Jugendamt und von 2012 bis 2018 das Institut für Neuevangelisierung. Seitdem ist er als Bischofsvikar verantwortlicher Leiter der Hauptabteilung für Schule. Seine Nachfolgerin als Leiterin des Instituts für Neuevangelisierung wurde Sr. Dr. Theresia Mende OP, die zum 1. September 2021 in den Ruhestand treten wird. In einem Interview für CNA Deutsch gingen die beiden auf das heiße Eisen Frauenpriestertum ein und versuchten die Haltung der katholischen Kirche zu erklären. Der hl. Papst Johannes Paul II. hatte endgültig festgelegt, dass die Kirche nicht das Recht habe, Frauen zu Priestern zu weihen. Aber ist diese Entscheidung heute noch nachvollziehbar? Das Gespräch führte Christiane Lambrecht.

Interview mit Weihbischof Florian Wörner und Sr. Theresia Mende OP

CNA Deutsch: Schwester Theresia, die Diskussion um mehr Gleichberechtigung für Frauen in der katholischen Kirche reißt nicht ab. Hat die katholische Kirche ein Problem mit der Gleichberechtigung?

Sr. Theresia Mende OP: Sicherlich haben Frauen die gleichen intellektuellen Fähigkeiten wie Männer. Die Gleichberechtigung ist ein ureigener Wert des Christentums, den ich nicht missen möchte – leider sind in vielen Ländern der Erde Frauen heute immer noch nicht gleichberechtigt. Ich habe mich noch nie aufgrund meines Frauseins in der Kirche benachteiligt oder nicht ernst genommen gefühlt. Vielleicht ist es wichtig, klar zu haben, dass Gleichberechtigung nichts mit Gleichmacherei zu tun hat und dass es nicht gerecht oder sinnvoll ist, alle über einen Kamm zu scheren. Zum Beispiel würde keiner daran zweifeln, dass ein Mathematiker die gleiche menschliche Würde besitzt und auf die gleichen Menschenrechte Anspruch erheben kann wie ein Musiker. Aber wenn man von dem Mathematiker verlangen würde, ein virtuoses Klavierkonzert zu geben, oder von dem Musiker, die Ausdehnung des Weltalls zu berechnen, dann wäre das Gleichmacherei, die keinem dient. Übertragen heißt das: Die Frau besitzt aufgrund ihres Menschseins die gleiche Würde wie der Mann, und dennoch können beide aufgrund ihrer biologischen Unterschiede nicht in allen Bereichen Gleiches wirken. Frauen haben immer in der Kirche wichtige Impulse gesetzt und gleichberechtigt neben Männern gewirkt – von der Muttergottes bis zu Führungskräften in den Ordinariaten, von Äbtissinnen bis zu Professorinnen, von Pastoralreferentinnen bis zu ehrenamtlich Tätigen. Es gibt viele berühmte Frauen, die eine unglaubliche Bereicherung in die Kirche gebracht haben: Mut zu Neuaufbrüchen, geistliche Tiefe und Weite, ja sogar kirchenpolitische Wenden, denken wir an Hildegard von Bingen, Birgitta von Schweden, Katharina von Siena, Teresa von Avila oder in unserer Zeit: Edith Stein, Mutter Teresa, Madeleine Delbrêl. Und doch waren sie alle keine Priesterinnen.

Sie sind Ordensfrau, sind also Ihrer Berufung zum geweihten Leben gefolgt. Die Frauen von „Maria 2.0“ wollen nun ihrer Berufung zur geweihten Diakonin und/oder Priesterin nachgehen – wie sehen Sie das?

Sr. Mende: Die Berufung der Frau in der Kirche verläuft sozusagen in zwei großen Linien. Da ist zuerst einmal die grundsätzliche Berufung der Frau – wie übrigens auch des Mannes – zur Ehe und damit verbunden ist das einzigartige Privileg der Frau zum Muttersein. Sodann gibt es auch die spezielle Berufung der Frau zu einem geweihten Leben in einem Orden, einem Säkularinstitut oder als Virgo Consecrata.

Sowohl als Mitglied des einen wie auch des anderen Standes üben die meisten Frauen einen Beruf oder ein Ehrenamt in Gesellschaft und/oder Kirche aus. Das kann sehr vielfältig aussehen. Ich selbst lebe schon seit recht vielen Jahren im Dominikanerorden – bis heute mit Freuden und in der Gewissheit, dass dies meine Berufung ist. Das heißt, dass Gott mich genau an dieser Stelle haben will. Allerdings empfinde ich keine „Berufung“ zum sakramentalen Diakonen- oder Priesteramt. Ich bin überdies der Überzeugung, dass es eine solche Berufung überhaupt nicht gibt.

Wieso sollte es nicht eine Berufung für Frauen zum Priester- oder Diakonenamt geben?

Sr. Mende: Berufung schließt auf Seiten des Berufenen natürliche Voraussetzungen ein. Gott beruft also nicht gegen meine Natur und Begabung. Die Gnade setzt ja die Natur voraus, sagen große Theologen des Mittelalters wie der hl. Bonaventura und der hl. Thomas von Aquin. Zur menschlichen Natur gehören nun aber einmal so grundlegende Konstitutionen wie das Frau- oder Mannsein. Wenn die Kirche nun sagt, dass das Weiheamt dem Mann vorbehalten ist, dann setzt sie offensichtlich voraus, dass es keine Berufung der Frau zum Weiheamt gibt.

Das könnte die Kirche doch ändern – die Kirche soll sich ja reformieren, heißt es. Wenn also Frauen die gleiche Würde und Fähigkeiten besitzen wie Männer, weshalb, Herr Weihbischof, wird ihnen dann die Priester- und Diakonenweihe vorenthalten?

Weihbischof Florian Wörner: Diese Frage kann eindeutig beantwortet werden. Das Weiheamt geht auf Jesus selbst zurück. Jesus ist der Hohepriester schlechthin. Zu seinen Lebzeiten hat er die zwölf Apostel und sodann 72 Jünger berufen und gesandt, um das Evangelium zu verkünden und Kranke zu heilen. In seinem Jüngerkreis gab es auch Frauen, die mit ihm während seines öffentlichen Wirkens unterwegs waren. Wir kennen einige von ihnen sogar mit Namen: Maria von Magdala, Johanna, die Frau des Chuzas, Susanna und viele andere mehr.

Aber keine dieser Frauen hat Jesus in den Kreis der zwölf Apostel berufen, noch nicht einmal seine Mutter Maria, die doch so eng mit ihm und seiner Sendung verbunden war. Und nur diesen Aposteln – nach dem Tod des Judas waren es vorerst nur noch elf – hat Jesus nach seiner Auferstehung seine priesterliche Vollmacht zur Verkündigung, zur Spendung der Sakramente und zur Leitung übertragen. Das bezeugen die Evangelien übereinstimmend (vgl. Mt 28,16-20; Mk 16,14-18; Joh 20,19-23). Sie sollten nach der Himmelfahrt das Priesteramt Jesu an seiner Stelle – die Kirche sagt: „in persona Christi“ – in der Welt ausüben.

Die frühe Kirche ist diesem Verhalten Jesu treu geblieben. So haben die Apostel nicht Maria, sondern Matthias in das Kollegium der Apostel gewählt, um die Lücke, die Judas hinterlassen hatte, wieder zu schließen (Apg 1,15ff.). Der Heilige Geist kam an Pfingsten auf alle herab, die im Abendmahlsaal versammelt waren, auf Apostel, Jünger und Frauen, und doch waren es nur Petrus und die Elf, die heraustraten und dem Volk verkündeten, was geschehen war (Apg 2,14). Obwohl es in der griechisch-römischen Welt ganz selbstverständlich Priesterinnen gab, blieb auch in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten die Kirche der Handlungsweise Jesu treu und hat weiterhin nur Männer zu Priestern und Diakonen geweiht.

Aber zwischen Jesus und uns heute liegen 2000 Jahre. Ist nicht inzwischen die Entwicklung im Blick auf das Frauenbild und die Rolle der Frau in Gesellschaft und Kirche weitergegangen? Lebt die Kirche, wenn sie sich bei der Verweigerung der Weiheämter für Frauen auf Jesus beruft, nicht rückwärtsgewandt?

Weihbischof Wörner: Die Rolle der Frau hat sich natürlich im Laufe von 2000 Jahren verändert. Gleichberechtigung, Emanzipation sind vorangeschritten. Gott sei Dank! Es ist gerade die Kirche gewesen, die wesentlich zu diesem Fortschritt beigetragen hat. Z. B. die Frauenorden haben sich schon lange vor dem Staat der Mädchenbildung angenommen und sie gegen den Widerstand des Staates durchgekämpft. Trotzdem ist die Kirche überzeugt, dass sie im Blick auf das Weiheamt dem Vorbild und den Vorgaben Jesu treu bleiben muss.

Warum ist das so? Die Kirche hat sich auch in anderen Fragen weiterentwickelt.

Weihbischof Wörner: Nun, die Kirche ist eine Stiftung Jesu Christi und keine rein soziologische Größe. Zwar hat sich die Kirche auch wie die Gesellschaft oder der profane Staat soziologisch weiterentwickelt, z. B. hin zu einem stärker demokratischen Denken oder zu mehr Gleichberechtigung von Männern und Frauen – so zumindest in der westlichen Welt. Dennoch bleibt es ein Faktum, dass die Kirche ihrem Wesen nach anders strukturiert ist als der Staat. Sie ist von Jesus Christus gestiftet, und für eine Stiftung ist allein der Stifterwille normgebend. Er gibt Ziel, Zweck, Richtung und Struktur vor, was bedeutet, dass trotz aller neuzeitlichen Entwicklungen die Grundstruktur der Kirche von Jesus Christus gegeben und damit nicht verhandelbar ist. Zu ihr gehört u.a. die Ämterstruktur und damit auch das Weiheamt für Männer.

Und diese Ämterstruktur lässt wirklich zwingend nur Männer als Empfänger des Weiheamtes zu? Jesus hat doch den Frauen größte Wertschätzung entgegengebracht. Z. B. ist er nach seiner Auferstehung als erstem Menschen einer Frau begegnet, Maria Magdalena, und hat sie sogar als Zeugin zu den Aposteln gesandt.

Weihbischof Wörner: Ja, das stimmt. Doch ist Jesus ihr nicht deshalb als erste erschienen, weil sie eine Frau war, sondern weil sie eine große Liebende war. Die Liebe hatte diese Frau angetrieben, alle Angst zu überwinden und an das Grab des Gekreuzigten zu gehen, obwohl das gefährlich war. Die Apostel hatten diesen Mut offensichtlich nicht. Die Liebe und Treue, der Mut, das Stehen zu Jesus auch in Krise und Gefahr, das war es, was Maria Magdalena die große Wertschätzung Jesu eingebracht hat.

Sr. Theresia, ich frage mich auch, ob das Weiheamt nur für Männer nicht einfach der damals männerdominierten Gesellschaft geschuldet war. Vielleicht konnte Jesus ja in seiner Zeit nicht anders und würde heute unter anderen Umständen auch Frauen zu Apostolinnen, d. h. Priesterinnen, berufen.

Sr. Mende: Nein, ich glaube nicht, dass Jesus heute Frauen zu Priesterinnen berufen würde. Aus seiner Handlungsweise, wie sie das Neue Testament überliefert, lässt sich ziemlich klar ableiten, dass er bei der Berufung und Bevollmächtigung der zwölf Apostel nicht einfach der Konvention seiner Zeit gefolgt ist, sondern tiefere, sachliche Gründe gehabt haben muss.

Können Sie das aus dem Neuen Testament „beweisen“?

Sr. Mende: Zunächst einmal lässt sich im Neuen Testament erkennen, dass Jesus in seinem Umgang mit Frauen vollständig und auf geradezu revolutionäre Weise mit den Konventionen seiner Zeit brach: So spricht er gegen jede Sitte zur Verwunderung seiner Apostel öffentlich mit der Samariterin am Jakobsbrunnen (vgl. Joh 4).

Oder er setzt sich über die Reinheitsgebote hinweg und lässt sich von einer blutflüssigen Frau (Mt 9,20-22) und sogar von einer stadtbekannten Sünderin im Haus des Pharisäers Simon (Lk 7,37ff.) berühren.

Oder er distanziert sich ausdrücklich vom Gesetz des Mose und schützt die Frau vor einer willkürlichen Entlassung aus der Ehe (Mt 19,3-9; Mk 10,2-11).

Oder er lässt sich bei seinen Wanderpredigten nicht nur von den Aposteln und Jüngern, sondern auch von Frauen begleiten, was gegen die gute Sitte verstieß, dass Frauen zu Hause zu bleiben haben (Lk 8,2-3).

Oder er sandte Maria Magdalena als Zeugin der Auferstehung zu den Aposteln, obwohl in der jüdischen Gesellschaft das Zeugnis einer Frau keine rechtliche Bedeutung besaß (Joh 20,17f.).

Wir sehen: Jesus war mutig genug, gegen die Konvention seiner Zeit den Frauen eine große Würde und Achtung entgegenzubringen und sie in sein Heilswirken einzubeziehen. Wenn er sie dennoch nicht in den Kreis der Zwölf berief, ihnen also nicht das Apostelamt übertrug, aus dem das sakramentale Weiheamt hervorgegangen ist, dann muss das eine tiefere Bedeutung haben.

Und was soll diese tiefere Bedeutung sein? Herr Weihbischof, ist das nicht einfach eine Ausrede oder eine Rechtfertigung von Männern, die die Macht nicht aus der Hand geben wollen?

Weihbischof Wörner: Sicher gibt es in der Kirche auch Machtstreben, und zwar bei Männern und bei Frauen. Machtstreben ist immer ein zutiefst unchristliches Verhalten. Das Apostelamt und das daraus folgende Weiheamt ist ein Dienstamt, ganz im Sinne der Fußwaschung am Gründonnerstag. Und in Mk 9,35 sagt Jesus zu seinen Aposteln: „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein.“

Daran müssen wir Diakone, Priester und Bischöfe uns immer wieder erinnern. Dennoch hat Jesus nur zwölf Männer in das Apostelamt berufen, und das hat einen tieferen Grund. Der hängt mit dem sakramentalen Charakter des Weiheamtes zusammen: Jeder Priester, jeder Bischof und auch der Papst repräsentiert Jesus Christus, wenn er sein Amt ausübt.

Was meinen Sie mit: „Die Priester repräsentieren Jesus Christus“?

Weihbischof Wörner: Wenn ein Priester ein Sakrament spendet, handelt Jesus Christus selbst durch ihn. Das ist Lehre der Kirche. Dieses stellvertretende Handeln des Priesters erreicht seinen Höhepunkt in der Feier der Eucharistie. Der Priester vollzieht sie nicht nur in der Vollmacht der ihm von Jesus Christus übertragenen Amtsgewalt, sondern direkt „in persona Christi“, d. h. er nimmt die Stelle Jesu Christi ein, wenn er die Wandlungsworte spricht: „Das ist mein Leib…“ Er leiht dem Herrn seine Stimme und spricht mit dem „Ich“ des Herrn.

Ähnliches gilt für das Bußsakrament, wenn der Priester sagt: „Ich spreche Dich los von Deinen Sünden…“ Hier wird klar, dass jetzt wirklich Jesus spricht und handelt durch den Priester. Dasselbe gilt auch bei den anderen Sakramenten, die ja nicht nur Symbole, sondern sichtbare Zeichen des unsichtbaren Heilshandelns Gottes in uns und an uns sind. Das zeigt uns, dass das Weiheamt selbst von sakramentaler Natur ist. Ein Priester oder Bischof ist, wenn er die Sakramente spendet, ein sichtbares Zeichen für den unsichtbar gegenwärtigen und handelnden Christus.

Nehmen wir an, ein Priester soll also ein Mann sein, da Jesus ein Mann war. Vermutlich konnte Gott vor 2000 Jahren nur als Mann Mensch werden. Eine Frau hätte damals doch gar keine Chance gehabt.

Weihbischof Wörner: Dass Gott in dem Mann Jesus Christus Mensch wurde, ist zunächst einmal einfach ein Faktum, das wir zu akzeptieren haben. Wir können Gott und seinen Heilsplan mit uns Menschen nicht bis in die letzten Gründe hinein verstehen. Aber eines ist sicher: Das Priester- oder Bischofsamt wird einem Menschen nicht zu seinem Nutzen oder zu seiner Ehre übertragen, sondern zum Dienst für Gott und die Kirche. Es liegt ihm eine völlig unverdiente Berufung zugrunde, die einerseits wunderbar ist und doch andererseits eine schwere und ernste Verantwortung beinhaltet. Nur der, den Gott dazu beruft, kann dieser Verantwortung gerecht werden.

Viele Priester werden doch diesen hohen Ansprüchen nicht gerecht.

Weihbischof Wörner: Wir alle, auch und ganz besonders wir Priester, müssen je-den Tag an uns arbeiten, nach dem Willen Gottes fragen und ihn in den Mittelpunkt unseres Lebens stellen. Kurz gesagt: Erneuerung ist immer angesagt. Die fängt stets bei mir selbst an. Das ist manchmal auch unbequem. Deswegen darf man schon einmal die Frage stellen, was denn an dem Protest der Frauen vielleicht berechtigt ist. Aber trotzdem sind wir Christen alle aufgefordert, uns an die Vorgaben Gottes zu halten, und dazu gehört die Tatsache, dass Jesus nur Männer in das Apostelamt berufen hat. Es darf gerade im Blick auf das Priester- und Bischofsamt niemals um Macht gehen oder um Wünsche, die nicht durch unseren Herrn Jesus Christus „gedeckt“ sind.

Die ganze Diskussion um die Forderungen der Frauen rund um „Maria 2.0“ zeigt mir: Priester oder Bischof sein heißt dienen. Jesus wusch den Jüngern am Gründonnerstag die Füße, um uns zu zeigen, was das Charisma eines Priesters und Bischofs zuerst sein muss: dienen und lieben.

Das ist ja alles gut und recht: Priesteramt als Dienstamt – aber warum gibt es das dann nicht auch für Frauen? Sie können auch dienen. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist doch ein Grundrecht bzw. Menschenrecht, und die Verweigerung des Weiheamtes für die Frau ist damit ein Verstoß gegen die Grundrechte der Frau.

Sr. Mende: Grundrechte bzw. Menschenrechte sind Schöpfungsrechte, d. h. in der Schöpfungsordnung, wie Gott sie vorgegeben hat, verankerte Rechte, die dem Menschen zur Erreichung seines ewigen Zieles dienen. Solche Rechte dürfen Menschen einander nicht aberkennen. Und zu diesen Menschenrechten gehört in der Tat die gleiche Würde von Mann und Frau.

Das christliche Priestertum folgt aber nicht aus der Schöpfungsordnung. Es hat nichts mit einer übernatürlichen Chancengleichheit des Menschen in Bezug auf sein ewiges Ziel zu tun. Wer so denkt, geht von einem Verständnis des Priestertums aus, wonach dieses ein Beruf ist, den die Institution Kirche anbietet und nach dem Gesetz der Chancengleichheit einem jedem zu gewähren hat, der sich die nötigen Ausbildungsvoraussetzungen dazu verschafft.

Aber was ist das Priesteramt denn sonst?

Sr. Mende: Das Priesteramt ist ein Sakrament. Ein Sakrament ist nicht einfach ein Beruf wie der des Pastoralreferenten oder Mesners, den die Kirche selber einrichten bzw. verändern kann. Das Priesteramt ist als Sakrament vielmehr der Verfügungsgewalt der Kirche entzogen, es steht ihr praktisch gegenüber, denn es ist, wie alle Sakramente, von Gott selbst eingesetzt und in die Kirche hinein gestiftet.

Somit ist auch klar, dass es Gott selbst ist, der den einzelnen in dieses Amt hinein beruft und die Struktur des Amtes vorgibt. Das Priesteramt dient zwar der Auferbauung der Kirche, gehört aber dennoch, da es eine göttliche Stiftung ist, nicht zu ihrer Manövriermasse.

Das bedeutet konkret: Gott bzw. Jesus hat der Kirche das Priesteramt zu ihrer Heiligung und Auferbauung geschenkt und zugleich die Struktur dieses Amtes vorgegeben. Er ist es auch – und nicht die Kirche –, der die einzelnen Menschen in dieses Amt hinein beruft.

Wenn Jesus nun zwölf Männer zu Aposteln berufen hat – und das obwohl Jesus sich sonst im Umgang mit Frauen klar über die Konvention seiner Zeit hinwegsetzte –, dann liegt es nahe anzunehmen, dass Jesus das so wollte. Die Kirche fühlt sich an den Willen Jesu gebunden. Sie besitzt nicht die Vollmacht, sich über ihn hinwegzusetzen und anders als Jesus zu handeln.

Aber sehen Sie denn irgendeinen positiven Sinn hinter dem so genannten „Willen“ Jesu? Sich einfach nur einer vorgegebenen Struktur zu beugen, das fällt uns Menschen heute schwer.

Sr. Mende: Es hat einen tieferen Sinn, dass Jesus das Weiheamt den Männern vorbehalten hat, ja sogar einen sehr tiefen und schönen Sinn. Dazu möchte ich ein wenig mehr erklären: Der Schlüssel zum Verständnis liegt in dem, was ein Sakrament eigentlich ist. Ein Sakrament repräsentiert oder vergegenwärtigt eine verborgene göttliche Wirklichkeit in sichtbaren Zeichen. Im Alten Testament schon wurde das Gottesvolk Israel bildhaft als „Braut“ oder „Ehefrau“ Gottes bezeichnet – so in den Büchern der Propheten Hosea und Jeremia. Im Neuen Testament wird die Kirche als „Braut Christi“ beschrieben. Diese Bilder sollen zum Ausdruck bringen, dass das Verhältnis zwischen Gott und Mensch ein inniges Liebesverhältnis ist, wie das zwischen Braut und Bräutigam oder Ehefrau und Ehemann. Aber solche Begriffe sind nur Bilder, die uns helfen wollen, das Verhältnis zwischen Gott und Mensch besser zu verstehen.

Das sakramentale Priestertum hingegen geht noch einen wesenhaften Schritt weiter. Es ist nicht nur ein Bild, sondern repräsentiert bzw. vergegenwärtigt ganz real diese geheimnisvolle Wirklichkeit, dass nämlich Gott und Mensch, Jesus und seine Kirche, für immer und untrennbar einander in Liebe verbunden sind. Kurz gesagt: Der Priester repräsentiert vor allem bei der Feier der Eucharistie wirklich Jesus Christus, als wenn dieser in diesem Moment vor uns stehen würde.

Herr Weihbischof, wenn das so ist, was empfehlen Sie dann den Gläubigen in dieser schwierigen Zeit? Wie soll es weitergehen?

Weihbischof Wörner: Zwei Dinge scheinen mir wichtig. Wir sollten zuerst einmal besser zu verstehen versuchen, was die sakramentale Struktur der Kirche und des Priesteramtes bedeutet. Dann sollten wir alle, ob Mann oder Frau, jeder aufrichtig nach seiner Berufung in der Kirche fragen, nach dem Platz, den Gott ihm im Ganzen dieser göttlichen Ordnung zugedacht hat. An welchem Platz darf ich stehen, um diese unauslöschliche Liebe zwischen Gott und Mensch zu leben und sichtbar zu machen? Wie kann ich – wie damals die kleine Gemeinde in Jerusalem – andere von Jesus und dem Glauben an ihn, von der Hoffnung auf die unendliche Barmherzigkeit und Liebe Gottes begeistern? Wie kann ich authentisch als Christin oder Christ leben?

Es geht doch nicht um Macht, um Ansehen, um eine Stellung, sondern um die Liebe. Es geht nicht darum, in einem fragwürdigen Egalisierungsbestreben, das das Sakrament als Karriere deutet, alle gleich zu schalten. Es geht vielmehr, allem Anschein zum Trotz, gerade um das Recht der Frau, sie selber zu sein im großen Ganzen des Zueinanders von Gott und Mensch. Jesus hat die Frauen hervorgehoben und ihnen Wertschätzung entgegengebracht wie keiner zuvor, weil Frauen eben im Gegensatz zu uns Männern ihre eigene Größe, ihre eigenen Besonderheiten und ihre eigene Würde haben.

Jeder Mann und jede Frau, ob verheiratet, ledig oder im geweihten Leben, kann in der Kirche seine/ihre eigene Größe und Würde entdecken und leben – nach Gottes Plan. Und ich bin mir sicher, dass Gott immer den besten Plan für uns Menschen hat.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2021
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Entwicklung „neuer“ Menschenrechte (1)

Kampf gegen die Natur

Siebzig Jahre nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) wird die Fehlentwicklung der internationalen Menschenrechte und der zu ihrem Schutz geschaffenen Institutionen immer offenkundiger. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Dokumente des UN-Menschenrechtsausschusses und anderer UN-Ausschüsse, Stellungnahmen akademischer Menschenrechtsexperten sorgen unter Normalbürgern für immer größeres Befremden: mit neugeschaffenen „Rechten“ auf Abtreibung, Euthanasie, Pränataldiagnostik, Leihmutterschaft, gleichgeschlechtliche Ehe, u.s.w. wird ein neuartiger Moralkodex mit universellem Geltungsanspruch postuliert und mit bürokratischen Methoden durchgesetzt, der dem sittlichen Empfinden der meisten Menschen nicht entspricht.

Dieser Entwicklung versucht Grégor Puppinck in seinem Buch „Der denaturierte Mensch und seine Rechte“ auf den Grund zu gehen.[1] Die Formulierung „denaturierter Mensch“ möchte dabei das verfälschte Menschenbild zum Ausdruck bringen, das hinter der aktuellen Entwicklung „neuer Menschenrechte“ steht.

Unter dem Titel „Les droits de l'homme dénaturé“ ist das Buch 2018 in französischer Sprache erschienen, 2020 brachte der Be+Be-Verlag des Klosters Heiligenkreuz eine deutsche Übersetzung heraus. Der französische Autor Puppinck (geb. 1974) ist promovierter Rechtswissenschaftler und unter anderem als Vertreter des Heiligen Stuhls in den Sachverständigenausschüssen des Europarats tätig. In einer Artikelserie veröffentlichen wir Auszüge aus diesem einzigartigen Werk.

Von Grégor Puppinck

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vor 70 Jahren

 

Siebzig Jahre nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte haben sich die Menschenrechte im politischen Bewusstsein und im juristischen Denken fest etabliert. Sie haben nationale wie internationale Institutionen umgestaltet, indem sie eine auf individuelle Rechte bezogene Moral mit universellem Geltungsanspruch formuliert haben, die dank einer immer engeren Vernetzung von Institutionen, mit denen ihre Einhaltung gegenüber jedermann sichergestellt werden soll, weltweit durchgesetzt wird. Die Menschenrechte sind im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einer universellen Philosophie geworden, die ein neues Verständnis vom Menschen zum Ausdruck bringt. (S. 15)

Wandel des Bildes vom Menschen und seiner Rechte

Die Menschenrechte waren ursprünglich als Abwehrrechte gedacht, nunmehr jedoch haben sie einen offensiven Charakter angenommen: sie dienen nicht mehr nur dazu, Personen gegen den Staat zu schützen, sondern auch dazu, sie zu befreien und ihre Macht auszuweiten. Diese Ausweitung der individuellen Macht findet ihren Ursprung im Herzen des Privatlebens, in der Achtung des individuellen Willens, d.h. der „Autonomie“, und nimmt die Form einer Vielzahl neuartiger subjektiver Rechte an, die die Antwort auf eine ebenso große Anzahl von Wunschvorstellungen darstellen. Wie ist das Aufkommen dieser neuen Rechte zu erklären und worin liegt ihre innere Logik?

Entwicklung „neuer Rechte“ des Individuums

Die neuen Rechte sind Rechte des Menschen an sich selbst, d.h. Rechte des Geistes über die Materie: es handelt sich – derzeit – um die Rechte auf Abtreibung, auf den Tod, auf die verschiedenen Spielarten der Sexualität, auf ein Kind, auf die Ehe, auf Geschlechtsumwandlung. All diese Rechte sind vom ursprünglichen Sinn des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens weit entfernt. Sie sind genauso wenig natürlich oder vernünftig wie die Wunschvorstellungen, deren juridischer Ausdruck sie sind; sie sind völlig unabhängig von jeder Vorstellung eines Guten oder einer Gerechtigkeit außerhalb des handelnden Individuums selbst.

Macht im Kampf gegen die Natur

Für denjenigen, der sich als ein aus Leib und Seele, aus Fleisch und Blut bestehendes Wesen begreift, das in einem Universum lebt, dessen Harmonie eine Weisheit und Schönheit offenbart, nach der er strebt, sind diese Rechte eine Narretei. Doch sie sind Menschenrechte für denjenigen, der sich als eine Macht im Kampf gegen die Natur auffasst. Sie haben gemeinsam, dass sie dem Willen den Vorrang vor dem Leib einräumen und sich aus der Überzeugung herleiten, dass der Geist der alleinige Sitz der Menschenwürde ist. Weiters ist diesen „neuen Rechten“ gemeinsam, dass sie Handlungsweisen in den Rang neuer Grundfreiheiten erheben, die bisher generell verboten waren. In dem Maß, in dem der Mensch sich die Macht zuerkennt, mit seinen Handlungen die Grenzen der Natur und die Kategorien Gut und Böse hinter sich zu lassen, wird die Liste dieser Rechte wohl noch einige Neuzugänge verzeichnen. (S. 113f.)

Langjährige Erfahrung mit internationalen Menschenrechtsinstanzen

Diese Analyse speist sich auch aus meiner langjährigen Erfahrung mit den internationalen Menschenrechtsinstanzen. Als Jurist war ich seit fast zwanzig Jahren an vielen Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof und den Institutionen der Vereinten Nationen beteiligt. Seit 1999 nehme ich, oft als Vertreter des Hl. Stuhls, an den Sitzungen von Expertengremien teil, die damit beauftragt sind, neue Entwicklungen im Bereich der Menschenrechte auszuverhandeln und voranzubringen. In diesen Funktionen habe ich die vielen umstrittenen Rechtssachen, von denen in diesem Buch die Rede ist, aus nächster Nähe mitverfolgt und war an vielen von ihnen direkt beteiligt. Die dabei gesammelten Erfahrungen ermöglichen es mir, dem Leser eine umfassende Einsicht in die Entwicklung der Menschenrechte anzubieten.

Notwendigkeit der Verteidigung und der Kritik der Menschenrechte

Meine Analyse richtet sich vor allem auf jene Aspekte in der Entwicklung der Menschenrechte, die es erlauben, darin einen Wandel des Menschenbildes wahrzunehmen, also auf jene Normen, die klare anthropologische Bezüge aufweisen; andere, weniger umstrittene Normen lässt sie bewusst beiseite. Selbst wenn die Entwicklung der Normen mit anthropologischen Bezügen ein äußerst kritisches Urteil verdient, so wäre es doch weder gerecht noch klug, die Menschenrechte in ihrer Gesamtheit zu verwerfen, da diese nach wie vor vielen Menschen die letzte Grundlage bieten, auf Gerechtigkeit zu hoffen. Dennoch darf der Status und das Prestige der Menschenrechte nicht dazu führen, sie gegen jede Kritik abzuschirmen.

Vision der zukünftigen Entwicklung des Menschen

Es ist im Übrigen weniger eine Kritik als eine Vision der gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklung des Menschen der Menschenrechte, die ich mit dem Leser teilen möchte. Genauer gesagt beschreibt dieses Buch den Übergang von den „Menschenrechten“ des Jahres 1948 über die „Rechte des Individuums“ der vergangenen zwanzig Jahre bis hin zu den „transhumanen Rechten“, die momentan im Entstehen sind.

Diese Entwicklung entspricht jener in der Beziehung des Menschen zur Natur. Während die Menschenrechte des Jahres 1948 seine natürlichen Rechte zum Ausdruck brachten, hat der seither sich ausbreitende Individualismus neue widernatürliche Rechte, wie z.B. das Recht auf Euthanasie und jenes auf Abtreibung, hervorgebracht, die ihrerseits wiederum zum Entstehen neuer transhumaner, zur Neudefinition der Natur ermächtigender Rechte führen: dem Recht auf Eugenik, dem Recht auf ein Kind, oder dem Recht auf die Änderung des Geschlechts. Letztlich bezeugt diese Entwicklung einen grundlegenden Wandel des Verständnisses der Menschenwürde, die zunehmend auf den Willen des Individuums, bzw. auf den Geist des Menschen im Gegensatz zu seinem Körper, reduziert wird und die jede Verneinung der Natur und der Bedingtheiten der menschlichen Existenz als Befreiung und Fortschritt deutet.

Zu guter Letzt zeigt dieses Buch auf, wie die heutigen Menschenrechte die Ankunft des Transhumanismus begleiten und auf die Überwindung der repräsentativen Demokratie hinwirken. Darüber hinaus stelle ich mir die Frage, was es eigentlich ist, das im Menschen schützenswert erscheint, und was unser Mensch-Sein ausmacht. (S. 16f.)

Entscheidendes Kriterium: die Nächstenliebe

Dieses wahrhaft übernatürliche und humane Gut hat einen Namen: es ist die Nächstenliebe. Wird sie abgeschafft, so verlieren wir alle unsere Humanität.

Angesichts der neuen Grenzüberschreitungen, die unser Mensch-Sein bedrohen, ist das Eigentümliche des Menschen, das erhalten und kultiviert werden muss, nicht die von Fleisch und Blut abgelöste Allmacht, sondern das genaue Gegenteil davon: die fleischgewordene Nächstenliebe. (S. 275)

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Grégor Patrick Puppinck: Der denaturierte Mensch und seine Rechte, Be+Be-Verlag. 2021, Hardcover, 274 S., ISBN 978-3-903602-07-6, Euro 21,90; Tel.: +43 (2258) 8703-400; E-Mail: bestellung@bebeverlag.at – www.klosterladen-heiligenkreuz.at

Oberschlesischer Blutzeuge der sozialistischen Ideologie des 20. Jahrhunderts

Märtyrerpriester Hubert Demczak

Papst Johannes Paul II. (1920-2005) hatte in Tertio millennio adveniente (1994) dazu aufgerufen, die Blutzeugen des 20. Jahrhunderts dem Vergessen zu entreißen. So wurde im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz zum Heiligen Jahr 2000 unter Federführung von Prälat Prof. Dr. Helmut Moll das zweibändige Werk „Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts“ (Paderborn 1999) erarbeitet.[1] 2019 erschien es in siebter, überarbeiteter und aktualisierter Auflage. Die Suche nach weiteren Glaubenszeugen/innen geht weiter und erbrachte kürzlich den Namen von Erzpriester Hubert Demczak (1891-1945), dessen Lebensbild nachstehend erstmals publiziert wird.

Von Helmut Moll

Familiärer Hintergrund

Aus Oberschlesien stammt Hubert Demczak, wo er als Sohn des Försters Hubert Demczak und dessen Ehefrau Maria, geb. Scholz, am 4. Juli 1891 in Rosnochan zur Welt kam. Das Dorf, das zu jener Zeit weniger als 900 Einwohner zählte, wurde im Jahr 1264 erstmals urkundlich erwähnt. Es gehört zur Gemeinde Walzen und liegt etwa 35 km südlich der oberschlesischen Stadt Oppeln. Der Beruf seines Vaters deutet schon auf die ländliche Umgebung hin, in der Hubert aufwuchs. Nach dem Besuch der Volksschule wechselte er auf das Gymnasium in der oberschlesischen Stadt Beuthen, das er mit dem Zeugnis der Reife verließ. In diesen Jahren reifte seine Berufung zum Priestertum, das er anstrebte.

Theologische Ausbildung bei berühmten Professoren in Breslau

Nach dem Abitur begann er daher mit dem Studium der katholischen Theologie an der Kath.-Theologischen Fakultät der Universität im niederschlesischen Breslau. Sein Diözesanbischof war Georg Kardinal von Kopp (1837-1914), der 1899 Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz geworden war. Während seiner Zeit als Priesteramtskandidat erlebte der junge Student zum Teil hervorragende Professoren: Max Sdralek (1855-1913), ein glänzender akademischer Lehrer der Kirchengeschichte von 1896 bis zu seinem Tod. Franz Xaver Seppelt (1883-1956), war ein berühmter Papsthistoriker, der von 1910 bis 1945 dozierte. Joseph Pohle (1852-1922) lehrte in der Zeit von 1897 bis 1921 als Dogmatiker neuscholastische Theologie molinistischer Richtung; er veröffentlichte das dreibändige „Lehrbuch der Dogmatik“ (Paderborn 1902-1905). Die Moraltheologie vertrat von 1907 bis 1916 der Priester Franz Seraph Renz (1860-1916), der durch seine Studien zur Messopfertheorie in die Gefahr des Modernismus geriet. In das Alte Testament führte Johannes Nikel (1863-1924) in den Jahren zwischen 1900 und 1924 ein; seit 1907 Konsultor der Päpstlichen Bibelkommission, versuchte er, das Alte Testament für Leben und Seelsorge fruchtbar zu machen. Größere Bekanntheit erreichte der aus dem Allgäu kommende Neutestamentler Joseph Sickenberger (1872-1945) ab dem Jahr 1906, der sich als Mitherausgeber der „Biblischen Zeitschrift“ für die Zweiquellentheorie einsetzte und durch seine Kirchenväter-Studien berühmt war. Die Pastoraltheologie dozierte Arthur König (1843-1921) von 1897 bis 1919. Kirchenrechtler war Franz Triebs (1864-1942). Gegen Ende seines Studiums brach im Jahr 1914 der Erste Weltkrieg aus. Nach dem Tod von Kardinal von Kopp wurde Fürstbischof Adolf Bertram (1859-1945) sein Nachfolger, dessen Inthronisation am 18. Oktober 1914 stattfand.

Priesterweihe und erste seelsorgliche Erfahrungen

Nach erfolgreichem Abschluss der theologischen Studien wurde Hubert Demczak im Alter von 23 Jahren am 13. Juni 1915 zum Priester geweiht. Der neue Oberhirte sandte den Neupriester nach Biskupitz unweit von Hindenburg, einem Ort von damals über 12.000 Einwohnern, wo er die ersten seelsorglichen Erfahrungen machen konnte. Bereits zwei Jahre später erfolgte die Versetzung als zweiter Kaplan an St. Clara in Neukölln bei Berlin im Regierungsbezirk Potsdam, wo er am 7. März 1917, also mitten im Ersten Weltkrieg, seinen Dienst antrat. Dieser im Jahr 1737 gegründete Ort, in dem zahlreiche böhmische Flüchtlinge Zuflucht gefunden hatten, zählte in jenen Jahren mehr als 250.000 Einwohner und besaß ab dem Jahr 1899 Stadtrechte. Es handelte sich um ein eher ländliches Gebiet mit einem großen Armutselend, das im Jahr 1912 den früheren Namen Rixdorf ablegte und von da an Neukölln hieß. Zwölf Jahre später wurde der Verwaltungsbezirk der Stadt Berlin eingemeindet.

Geistlicher Leiter der katholischen Vereinszentrale Oberschlesiens

Adolf Kardinal Bertram ernannte Hubert Demczak im Jahr 1922 zum Kaplan an St. Andreas in Hindenburg, wo er bis 1927 blieb. Es folgten kurze seelsorgliche Einsätze in Ratibor bis 1928 und in Ottmuth bis 1929. Bereits im Jahr 1926 war er zum Geistlichen Leiter der katholischen Vereinszentrale Oberschlesien bestellt worden. Früher hatten die katholischen Arbeitervereine in Oberschlesien der sog. Berliner Richtung angehört. Mit dem Verfall dieser Organisation war auch die gesamte kath. Arbeiterbewegung in Oberschlesien zerbrochen. Die neue Vereinszentrale hatte unter diesen Bedingungen die Aufgabe, in Anlehnung an die katholische Arbeiterbewegung Westdeutschlands, die unter der Leitung von Monsignore Dr. Otto Müller (1870-1944) stand, neue Vereine zu gründen. Durch sein verbindliches und gütiges Wesen gelang es Pfarrer Demczak, die oberschlesischen Pfarrer und Präsides für diese Idee zu gewinnen. Im Jahr 1928 fand die erste Männerwallfahrt der katholischen Vereinszentrale Oberschlesien statt.

Vielfältiges pastorales Engagement als Pfarrer von Ottmuth

Mit Datum vom 24. Januar 1929 bestellte Adolf Kardinal Bertram seinen Diözesanpriester Hubert Demczak zum Pfarrer von Ottmuth im Kreis Groß Strehlitz in Oberschlesien. Die Pfarrgemeinde hatte in jenem Jahr 3500 Katholiken, vergrößerte sich aber bis zum Jahr 1942 auf 5200 Katholiken. In jeder Woche besuchte Pfarrer Demczak die neue Siedlung mehrfach, um Kontakt zu den neuen Bewohnern seiner Pfarrei zu knüpfen. Über seine Tätigkeit als Pfarrer behielt er seine Verantwortung für die katholische Vereinszentrale Oberschlesien und insbesondere für die Wallfahrt auf dem zwischen Oppeln und Hindenburg gelegenen oberschlesischen Annaberg. Darüber hinaus wurde Pfarrer Demczak am 16. Februar 1929 Ehrenmitglied der Katholischen Deutschen Studentenvereinigung Alemannia zu Greifswald im Cartell-Verband.

Die ursprüngliche Annakirche wurde im Jahr 1480 gestiftet. Die Reformierten Franziskaner aus der Provinz Kleinpolen kümmerten sich um die Seelsorge dieses Hauptwallfahrtsortes in Schlesien. Die Figur der hl. Anna Selbdritt befindet sich im Hauptaltar in einer verhüllbaren Nische in stehender Stellung, mit der Gottesmutter Maria, die in der linken Hand einen Apfel hält und auf dem rechten Arm das Jesuskind trägt. Über die St. Anna-Verehrung hinaus entwickelte sich im 18. Jahrhundert die Kalvarienandacht, in Verbindung mit Passionsstationen. Im Lauf der Zeit stieg die Zahl der Wallfahrer von Jahr zu Jahr an, die Pilger kamen nicht nur aus Schlesien, sondern auch aus Polen, Mähren und Böhmen, bis das Kloster im Jahr 1810 aufgehoben wurde.

Bekennender Widerstand gegen den Ungeist der NS-Ideologie

Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten entwickelte sich die Männerwallfahrt zu einer großen Kundgebung des Glaubens, auch mit dem Ziel, dem Ungeist der nationalsozialistischen Ideologie wirksam zu widerstehen. Es handelte sich um eine Fanfare gegen das arische Menschenbild, mit einer enormen gesellschaftlichen Bedeutung. Erzpriester Demczak begeisterte die Arbeiterbewegung, in den Jahren der Unterdrückung des katholischen Glaubens den nötigen Bekennermut zu zeigen. Im Jahr 1937 veröffentlichte das „Katholische Sonntagsblatt für die Erzdiözese Breslau“ folgenden Bericht: „120.000 Männer bekennen ihren katholischen Glauben. Die Teilnahme des vorigen Jahres wurde um mindestens 30 Prozent übertroffen. […] Besonders fiel es auf, daß die Jugend in diesem Jahr so überaus zahlreich erschienen war. […] Der Kardinal predigte über das Thema ‚Wir wollen Jesus sehen‘ und sagte unter anderem: ‚Es werden Stunden kommen, wo ihr sagen sollt, welche Religion ihr habt, ob ihr gottgläubig seid. Achtet auf eure Stunde. Was wollt ihr antworten? Den Gott, der aus Rasse und Blut geboren wird, oder den Gott, den Ludendorff predigt? An welchen Gott glaubt ihr denn? Ich glaube an Gott, den Christus verkündet hat, an den Gott, dessen Kreuze in deutschen Landen aufgestellt worden sind, und darum unterschreibe ich nur ‚römisch-katholisch‘. Das Wort ‚gottgläubig‘ genügt nicht“ (Schlesisches Pastoralblatt 38, 1917, Nr. 5, 78).

Es war für Erzpriester Demczak daher ein schwerer Schlag, als die Gestapo am 19. Juni 1941 die Schließung des Franziskanerklos-ters auf dem Annaberg vornahm. Daran konnte auch der Protest von Adolf Kardinal Bertram in seinem Hirtenbrief zum Ersten Adventssonntag 1941 nichts ändern.

Guter Hirte unter den Schrecken der vorrückenden Roten Armee

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs drang die Rote Armee nach dem gescheiterten Russland-Feldzug in die deutschen Ostgebiete ein. Der Diktator Josef Stalin (1879-1953) hatte ihr den Einmarsch befohlen. Schmuck, Alkohol und junge Frauen sollten bei ihren Überfällen ihnen gehören. Zugleich vertrieb die russische Soldateska die einheimische Bevölkerung, vor allem die Priester. Diese aber wollten das Beispiel des Guten Hirten nachahmen, der „sein Leben für die Schafe hingibt“. Anders der bezahlte Knecht, „der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören“. Er „sieht den Wolf kommen, lässt die Schafe im Stich und flieht; und der Wolf reißt sie und zerstreut sie“ (Joh 10,11-13). Die Priester hatten sich auf den vorzeitigen Tod vorzubereiten.

Märtyrertod in voller Ergebenheit in den Willen Gottes

Eine Augenzeugin hielt die näheren Umstände fest, wie Erzpriester Demczak am 30. Januar 1945 in Ottmuth im Alter von nur 53 Jahren eines gewaltsamen Todes gestorben ist: „Am 24.1.1945 kamen gegen Mittag die ersten Russen ins Haus. […] Die Russen drangen in den nächsten Tagen über Rogau und Burgwasser vor, wurden aber von den Unseren zurückgeschlagen nach Ottmuth, und hier tobte volle 8 Wochen der Kampf. […] Herr Erzpriester meinte: […] Kommt, wir wollen wieder den Rosenkranz beten, es soll Gottes Wille geschehen. Kaum waren wir damit fertig und noch bei der Generalabsolution, da ging schon die Straßentür auf und derselbe kam mit noch 6 Mann, alle schwer bewaffnet. […] Als der Herr Erzpriester kam, hat er [scil. der Russe] sofort zwei Schreckschüsse abgegeben und die bereitgestellten Flaschen an die Wand gehauen. Da hatte er auch schon den Revolver an den Leib des Erzpriesters angesetzt und abgedrückt. Der Erzpriester schlägt die linke Hand auf die Wunde, die rechte mit dem Rosenkranz aufs Herz. Ohne den Mund zu verziehen, mit einem lauten ‚Mein Jesus, Barmherzigkeit‘ schlägt er lang auf den Rücken hin. Ununterbrochen betet er laut Stoßgebete weiter: ‚Heiland, bleib bei uns, verlaß uns nicht, Jesus, Jesus, komm zu mir‘ usw. […] Herr Erzpriester betete fast noch eine Stunde, immer langsamer mit Röcheln. Das Blut war ihm schon ganz ausgelaufen, da kam wieder der Russe und gab ihm noch zwei Kopfschüsse, einen in den Scheitel und einen hinter ein Ohr. Ohne Zucken, ohne Bewegung, ohne Schmerzenslaut hat er sein Leben gelassen“ (Kaps: Vom Sterben schlesischer Priester, Köln ³1990, 34-35). Seine Haushälterin sowie fünf Schwestern der Kongregation der Franziskanerinnen von der christlichen Liebe mussten am gleichen Tag ihr Leben lassen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Helmut Moll – hrsg. im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz: Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, 7., überarbeitete u. aktualisierte Aufl. 2019, 2 Bände, insg. CIX + 1.827 S., zahlr. Abb., Leinen mit SU, ISBN 978-3-50678-012-6, Euro 99,00, sFr 119,00, www.schoeningh-buch.de

Katholiken zwischen militärischer Pflichterfüllung und Widerstand

Zeugen der Gewissenstreue

Der Historiker Dr. phil. Markus Seemann (geb. 1980) leitet seit 2014 das Archiv des Katholischen Militärbischofs (AKMB) in Berlin. Im Oktober 2020 erschien im Miles-Verlag das von ihm herausgegebene Buch „Mutige Zeugen – Katholiken zwischen militärischer Pflichterfüllung und Widerstand“.[1] Vorgestellt werden 21 katholische Persönlichkeiten, welche während der Zeit des Dritten Reichs auf unterschiedliche Weise mit dem Militär zu tun hatten, aber letztendlich ihr Gewissen über Befehl und Gehorsam stellten. Buchautor Studiendirektor a. D. Jakob Knab (geb. 1951), der in München, Edinburgh und Oxford studiert hat, legt dazu eine sehr informative und anregende Rezension vor.

Von Jakob Knab

Nur wenigen Lesern wird der Name der Seligen Sr. M. Euthymia Üffing geläufig sein. Und nur eine winzige Schar wird die Namen der couragierten Kriegspfarrer Johann Anton Hamm, Josef Hofer, Theodor Kniebeler, Friedrich Lorenz und Josef Maria Reuß kennen. Es ist in der Tat begrüßenswert, dass Herausgeber Markus Seemann, gefördert von der Katholischen Militärseelsorge, diese 21 mutigen Zeugen der Gewissenstreue seiner Zielgruppe vorstellt.

Freiheit – Frucht der schöpferischen Kraft einer Minderheit

Der Mut dieser Glaubenszeugen im tödlichen Konflikt zwischen militärischer Pflichterfüllung und Widersagen in einer Diktatur des Bösen ist eine Ausnahme; solche Sendung ist eine Ausnahme. Der Mensch richtet Gutes und auch Grauenhaftes an; das Abgründige im Menschen kann in einer Gewaltherrschaft ausgelebt werden. Auf der anderen Seite verdankt sich die Geschichte der Freiheit jener schöpferischen Kraft einer Minderheit herausragender Einzelpersönlichkeiten. Das gewissenhafte Ringen um die Wahrheit muss zwangsläufig mit den Ansprüchen einer totalitären Herrschaft in Konflikt geraten. Die Geschichte des Widerstandes gegen das NS-Regime bleibt eine Herausforderung für die nachkommenden Generationen. Sie zu verstehen, erfordert ein hohes Maß an historischer Kenntnis, politischer Bildung und ethischer Urteilskraft. Wer sich mit dem Widerstand gegen Hitler befasst, sucht auch Antworten auf diese Fragen: Warum waren Menschen wie jene 21 couragierten Zeugen in der Lage, standzuhalten und dieser „Diktatur des Bösen“ zu widerstehen? Aus welchen Quellen schöpften sie ihre innere Kraft?

Feldwebel Anton Schmid: Einsatz für todgeweihte Juden

Klare Antworten erhält der Leser bei den Blutzeugen Franz Jägerstätter, Leutnant Michael Kitzelmann, Max Josef Metzger, P. Franz Reinisch SAC sowie bei Feldwebel Anton Schmid, der in Litauen über 200 Juden rettete und dafür zum Tode verurteilt wurde. Leider fehlt in der kurzen Lebensskizze diese Kernszene: Gegenüber der geretteten Jüdin Luisa Emaitisaite hatte er das Bekenntnis abgelegt: „Es ist mir so, als wenn Jesus selbst im Ghetto wäre und um Hilfe riefe. Jesus ist überall dort, wo Menschen leiden.“ Angesichts von Jahrhunderten der Ausgrenzung der jüdischen Minderheit hatte der einfache Feldwebel Schmid auf seinem Herzensgrunde erkannt, dass Jesus dem Fleische nach ein Jude war. Nach mehrmonatiger Rettungstätigkeit wurde Feldwebel Schmid verraten, von der Geheimen Feldpolizei verhaftet und vor ein Kriegsgericht gestellt. Das Todesurteil wurde am 13. April 1942 vollstreckt. Gerettete sagten über diesen Helden: „Für uns war er so etwas wie ein Heiliger.“ Am 22. Juni 2016, am 75. Jahrestag des Überfalls der Wehrmacht auf die Sowjetunion, wurde die Liegenschaft in Blankenburg (Harz) umbenannt in „Feldwebel-Anton-Schmid-Kaserne“. Seit Januar 2020 ist die Rossauer Kaserne in Wien, der Sitz des Ministeriums, benannt nach Oberstleutnant Bernardis und Feldwebel Schmid.

Leutnant Michael Kitzelmann: Aufstand gegen die Verlogenheit der Nazis

In seinem heiligen Zorn hatte Leutnant Michael Kitzelmann gegen die Doppelzüngigkeit der Nationalsozialisten gewettert: „Daheim reißen sie die Kreuze aus den Schulen, und hier macht man uns vor, gegen den gottlosen Bolschewismus zu kämpfen!“  Gerade dieser Satz sollte ihm vor dem Fronttruppengericht zum Verhängnis werden. Am Karfreitag 1942 wurde er wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ (§ 5 KSSVO) vom Feldgericht der 262. Inf.Div. zum Tode verurteilt. An Kitzelmanns ehemaliger Schule, dem Johann-Michael-Sailer-Gymnasium in Dillingen, wurde im Mai 1986 eine Gedenktafel enthüllt: „Michael Kitzelmann, Abiturient des Jahrgangs 1936. Hingerichtet am 11. Juni 1942. Er starb für die Freiheit des Denkens und Glaubens.“

P. Franz Reinisch SAC: Sein Gewissen verbietet ihm den Eid auf Hitler

P. Franz Reinisch SAC ist der einzig bekannte Priester, der den Eid auf Hitler verweigerte. Vor Kriegsbeginn tat er im vertrauten Kreis kund: „Den Soldateneid auf den Führer darf man nicht leisten. Unser Gewissen verbietet es uns, einer Obrigkeit zu folgen, die nur Mord und Totschlag in die Welt bringt, um der lüsternen Eroberung willen.“ Als er am 8. April 1942 den Gestellungsbefehl erhielt, reiste er absichtsvoll einen Tag zu spät in die Kaserne nach Bad Kissingen. Vor dem Reichskriegsgericht in Berlin erklärte er am 7. Juli 1942, er werde den Treueid nicht leisten. Das Todesurteil wurde am 21. August 1942 in Brandenburg-Görden vollstreckt. In der Wallfahrtskirche Friedberg-Herrgottsruh wurde im Oktober 1991 eine Gedenktafel für Pater Reinisch enthüllt und gesegnet.

Sel. Franz Jägerstätter: Pflicht zur Unterscheidung zwischen Gut und Böse

Franz Jägerstätter ist der bekannteste Name unter den vorgestellten 21 mutigen Zeugen. Wenige Wochen vor seiner Hinrichtung im August 1943 schrieb er mit gefesselten Händen: „Aus welchem Grund bitten wir denn dann Gott um die sieben Gaben des Hl. Geistes, wenn wir ohnedies blinden Gehorsam zu leisten haben? Zu was hat denn Gott alle Menschen mit einem Verstand und freien Willen ausgestattet, wenn es uns, wie so manche sagen, gar nicht einmal zusteht, zu entscheiden, ob dieser Krieg, den Deutschland führt, gerecht oder ungerecht ist? Zu was braucht man dann noch eine Erkenntnis zwischen dem, was Gut oder Böse ist?“ Ende Februar 2013 wurde vor der Severinkapelle der Heeresunteroffiziersakademie in Enns (Oberösterreich) ein Gedenkstein für Franz Jägerstätter enthüllt. Ende Oktober 2007 wurde er im Linzer Mariendom – im Beisein seiner hochbetagten Witwe Franziska – selig gesprochen.

Sel. Josef Mayr-Nusser: Leitfigur des Widerstands gegen ein Unrechtssystem

In seinem Vorwort räumt der Herausgeber freimütig ein, dass bei der Auswahl der Porträts keine Vollständigkeit angestrebt wurde. Man darf freilich hoffen, dass in einer erweiterten Zweitauflage die folgenden mutigen Zeugen aufgenommen werden:

Josef Mayr-Nusser, der auch Bücher von Theodor Haecker („Was ist der Mensch?“) las, wurde im August 1944 zur Waffen-SS einberufen. Einen Tag vor der Eidesleistung erklärte er, dass er den Eid aus Gewissensgründen nicht leisten könne. Er wurde in Danzig wegen „Wehrkraftzersetzung“ verurteilt. Sein Leben endete am 24. Februar 1945 in einem Viehwaggon auf dem Transport ins KZ Dachau. Im März 2017 wurde er im Dom von Bozen selig gesprochen.

Michael Lerpscher, Josef Ruf, Ernst Volkmann, Richard Reitsamer: Glaubens- und Charakterstärke

Es wird zwar Max Josef Metzger, der Gründer der Christkönigsgesellschaft, als mutiger Glaubenszeuge vorgestellt, aber nicht die beiden Laienbrüder Michael Lerpscher und Josef Ruf. Im Kriegsjahr 1939 gab Lerpscher in seinem Allgäuer Dialekt diese Antwort: „Der Hitler kann mir den Kopf abschlag’n, aber er kann mi zu nix zwing’n.“ Diese Standfestigkeit erinnert an den großen Gandhi: „Wenn sie mich töten, dann haben sie meinen Leichnam, meinen Gehorsam kriegen sie nie.“

Das Leben des Laienbruders Josef Ruf („Bruder Maurus“) endete am 10. Oktober 1940 unter dem Fallbeil in Brandenburg-Görden. Ernst Volkmann wurde am 9. August 1941 enthauptet. Bevor das Todesurteil am 11. Juli 1944 an Richard Reitsamer vollstreckt wurde, riss er sich los und küsste die Hände des Priesters.

Korvettenkapitän Alfred Kranzfelder: Teilnahme am Staatsstreich

Wenn man als kundiger und erwartungsfroher Leser den Untertitel „Katholiken zwischen militärischer Pflichterfüllung und Widerstand“ ernst nimmt, dann ist man enttäuscht und befremdet darüber, dass Korvettenkapitän Kranzfelder einfach übergangen wurde. Alfred Kranzfelder wurde in der Kirche St. Lorenz Kempten (Allgäu) getauft und gefirmt. Als Gymnasiast gehörte er zur Marianischen Kongregation. Nach dem Abitur meldete er sich zur Marine. Er war Lehrgangsbester seines Jahrgangs an der Marineschule Mürwik (MSM) und wurde so Crew-Ältester der „Crew 27“.

Jahre später begegnete er in Berlin dem Marineoberstabsrichter Berthold Schenk Graf von Stauffenberg. Er stellte sich für die Planungen zum Staatsstreich zur Verfügung. Vier Tage nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 wurde Kranzfelder verhaftet, zwei Wochen später „im Namen des Volkes“ zum Tode verurteilt. Sein Leben endete am 10. August 1944, am Gedenktag des hl. Märtyrers Lorenz, am Fleischerhaken in Berlin-Plötzensee.

20 Jahre nach seiner Hinrichtung wurde der Marinestützpunkt in Eckernförde zum „Kranzfelder-Hafen“. Die MSM stellte im Juli 2016 eine Büste Kranzfelders auf einen Ehrensockel in ihrer traditionsreichen Aula auf. Ein paar Monate später, im Januar 2017, wurde die Büste des geschichtspolitisch äußerst umstrittenen Admirals Johannesson –  auf einem Ehrensockel auf Augenhöhe mit Kranzfelder – enthüllt.

Sanitätsfeldwebel Christoph Probst: Glaubensfundament der „Weißen Rose“

Leider fehlt auch Sanitätsfeldwebel Christoph Probst („Weiße Rose“) bei jenen mutigen Zeugen. In seinem Abschiedsbrief vom 22. Februar 1943 deutete er seine Lebensgeschichte so: „Wenn ich es recht überblicke, so war es ein einziger Weg zu Gott.“ Am 6. November 2019, an seinem 100. Geburtstag, wurde die Liegenschaft in Garching-Hochbrück neu benannt in „Christoph-Probst-Kaserne“.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2021
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[1] Markus Seemann (Hrsg.): Mutige Zeugen – Katholiken zwischen militärischer Pflichterfüllung und Widerstand, Berlin 2020, Pb., 140 S., ISBN 978-3-96776-005-7, Euro 9,80; Mail: miles-verlag@t-online.de – miles-verlag.jimdofree. com/neuerscheinungen/

Skandalöser Entwurf für ein „Geschlechtseintragsänderungsgesetz“

Kinderfalle Trans-Gesetz

Zahlreiche Verbände wie der Deutsche Bundesjugendring oder der Bundesverband Trans* e.V. lehnen den Gesetzesvorschlag zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags ab, da er aus ihrer Sicht nicht weit genug geht. Sie sehen zwar Verbesserungen, doch schreibe der Entwurf die bestehende Ungleichbehandlung von Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung fort. Ausdrücklich wird kritisiert, dass Minderjährige ab 14 Jahren nur mit Zustimmung der Eltern einen Antrag stellen könnten, bei Weigerung dieser nur mit Zustimmung des Familiengerichts. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes vermisst vor allem „eine – wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert – auf das Selbstverständnis der Person bei ihrer geschlechtlichen Identität als konstituierendem Bestandteil ihrer eigenen Persönlichkeit ausgerichtete Lösung“. Demgegenüber zeigt sich das Aktionsbündnis für Ehe & Familie – DemoFürAlle über den Entwurf entsetzt, da er eine Kinderfalle und einen weiteren Angriff auf die Elternrechte darstelle. In einer ersten Stellungnahme erklärt DemoFürAlle-Sprecherin Hedwig von Beverfoerde ihren Protest.

Von Hedwig von Beverfoerde

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) haben einen skandalösen Entwurf für ein „Geschlechtseintragsänderungsgesetz“ ausgearbeitet, nach dem künftig alle Menschen ab 14 Jahren ihren amtlichen Geschlechtseintrag ändern lassen können und zwar völlig unabhängig von körperlichen Merkmalen. Einzige Voraussetzung ist ein Beratungsgespräch, bei Minderjährigen ein Gutachten, das allerdings nicht von einem Arzt oder Psychologen, sondern auch von einem Aktivisten einer Trans-Organisation erstellt werden kann.

Was die Bundesregierung hier mit unseren Kindern und unserer Gesellschaft vorhat, ist Kulturmarxismus pur und sprengt alle Grenzen des Vorstellbaren. Das geplante Gesetz zur Geschlechtseintragsänderung ist eine Kinderfalle! Damit wird die Gender-Ideologie gesetzlich zementiert, biologische Fakten werden abgeräumt und das Elternrecht mit Füßen getreten. Schritt für Schritt setzt die Transgender-Lobby ihre Ziele durch.

Welche konkreten Gefahren insbesondere für Kinder und Frauen drohen mit diesem Gesetz?

• Kinder werden genau in ihrer verletzlichen Adoleszenzphase, die oft mit inneren und äußeren Kämpfen einhergeht, dazu verführt, ihr natürliches Geschlecht zu ändern und sich irreversibel folgenschweren medikamentösen Behandlungen zu unterziehen.

• Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen wird erleichtert, weil sich männliche Sexualstraftäter als Frau eintragen lassen und so legal Zutritt zu Frauenduschen, Toiletten und Umkleidekabinen verschaffen können.

• Das Elternrecht wird einmal mehr ausgehebelt, denn im Fall, dass Eltern dem durch äußere Einflüsse erzeugten Geschlechtsänderungswunsch ihres minderjährigen Kindes nicht zustimmen, „ersetzt das Familiengericht die Zustimmung“.

• Biologische Merkmale spielen bei der Beurteilung der Geschlechtszugehörigkeit keine Rolle, das Geschlecht würde damit zur leeren Worthülse und de facto abgeschafft.

Das Aktionsbündnis für Ehe & Familie – DemoFürAlle protestiert aufs Schärfste gegen den Gesetzentwurf und fordert einen sofortigen Stopp der Gesetzesinitiative. Es hat deshalb die Protest-Petition „Kinderfalle Trans-Gesetz – sofort stoppen!“ an Bundesjustizministerin Lambrecht und Bundesinnenminister Seehofer gestartet: citizengo.org/de/fm/200705-kinderfalle-trans-gesetz-sofort-stoppen

Nähere Informationen zum Thema und zum Aktionsbündnis DemoFürAlle:

www.demofueralle.de

Der Entwurf für ein „Geschlechtseintragsänderungsgesetz“ im Wortlaut:

demofueralle.de/wp-content /uploads/2021/02/Gesetz-zur-Neuregelung-der-Aenderung-des-Geschlechtseintrags.pdf

www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_TSG_Reform.pdf;jsessionid=7A2EE319DB9AFA8DDE88E2AA130592AC.1_cid334

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2021
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