Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Gott hat uns Menschen das Leben geschenkt, damit wir uns auf seine Liebe einlassen und in ewiger Gemeinschaft mit ihm glücklich werden. Dazu müssen wir ihn erkennen und ihm unser Herz öffnen. Das ganze Erlösungswerk in Jesus Christus ist ein einziger Weg Gottes auf uns Menschen zu, um sich uns zu offenbaren und uns seine Freundschaft anzubieten.

Gleich im ersten Kapitel des Markusevangeliums wird berichtet, wie Jesus notleidende Menschen von „allen möglichen Krankheiten“ heilte und die Leute deshalb in immer größerer Zahl zusammenströmten. Da zog sich Jesus an einen einsamen Ort zurück, um zu beten. Als die Apostel ihn endlich fanden, riefen sie: „Alle suchen dich!“ Doch er antwortete: „Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort verkünde; denn dazu bin ich gekommen“ (Mk 1,32-39).

Jesus ist in die Welt gekommen, um die frohe Botschaft zu verkünden, um den Menschen die Liebe Gottes und seinen ewigen Ratschluss kundzutun. Damit sie die Offenbarungen über das Reich Gottes verstehen können, verwendet er Gleichnisse aus ihrem Leben. Um ihre Herzen zu erreichen, versucht er, ihnen nahe zu sein, mit ihnen zu essen und an ihrem Leben Anteil zu nehmen. Und das erwartet er auch von seinen Aposteln: Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch!

Die Evangelisierung ist der erste und entscheidende Auftrag der Kirche. Alles andere entwickelt sich auf der Grundlage der Annahme des Evangeliums. Immer wieder muss sich die Kirche fragen, wie sie das Wort Gottes überzeugend weitergeben kann. Eine zeitgemäße Form, Menschen zu einem Leben aus dem Evangelium hinzuführen, ist der sog. „Alpha-Kurs“. Eigentlich ist er nichts Außergewöhnliches, doch von der Gestaltung her werden Räume geschaffen, in denen der Glaube gemeinschaftlich erlebt wird, wie durch gemeinsames Essen, durch echten Austausch, durch das klare Zeugnis über die Schätze des Glaubens.

Die Alpha-Kurse haben weltweit ungeheuer viel bewegt. Aber sie sind überkonfessionell angelegt und verzichten deshalb auf viele katholische Glaubensinhalte. So haben vier bayerische Diözesen einen sog. „Kath-Kurs“ entwickelt, der diesen Mangel zu beheben versucht. Die Erfahrungen mit dem klaren katholischen Profil sind durchweg positiv. In einem ausführlichen Interview geht der Augsburger Bischof Dr. Bertram Meier auf die Kath-Kurse ein und empfiehlt sie zur Glaubenserneuerung in den Pfarreien. Dass er als Hirte zu dieser Initiative steht, ist ein wertvolles Signal und garantiert dem Projekt Fruchtbarkeit.

Eine treffende Ergänzung zum Titelthema sind die Anregungen des erfahrenen Jesuitenpaters Alex Lefrank zur Überwindung der Krise der Kirche in Deutschland, die uns Pfarrer Lorenz Rösch vorstellt. Auch das ergreifende Lebensbild, das Jakob Knab von Christoph Probst zeichnet, passt letztlich zur Frage der Evangelisierung. Denn seine Biografie weist viele Parallelen zur Lebenswirklichkeit der heutigen jungen Generation auf. Christoph Probst ist in ungeordneten Familienverhältnissen großgeworden, hatte keinen praktischen Bezug zum kirchlichen Leben und doch spürte er die Sehnsucht nach Werten wie „Freiheit, Frieden und Familienglück“. Gott beantwortete seine Suche mit der Krönung seines Lebens in Taufe und Kommunion kurz vor seiner Hinrichtung. Er ist ein Märtyrer, der als Fürsprecher und Wegbegleiter entdeckt werden sollte, um dessen Seligsprechung wir beten.

Liebe Leser, mit einem aufrichtigen Vergelt’s Gott für Ihre Unterstützung wünschen wir Ihnen auf die Fürsprache unserer himmlischen Mutter Maria die Fülle der Gnadengaben des Heiligen Geistes und einen gesegneten Herz-Jesu-Monat.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Bischof Dr. Bertram Meier zur Glaubenserneuerung in den Gemeinden

Wir müssen von der Schale zum Kern vordringen

Vier bayerische Bistümer – Augsburg, Passau, Eichstätt und Regensburg – haben einen neuen Glaubenskurs herausgebracht. Er wird „Kath-Kurs“ genannt und steht unter dem Motto: „Entdecke die Katholische Kirche!"[1] Ziel ist die Erneuerung des kirchlichen Lebens in den Pfarrgemeinden. Der Kurs wurde als das katholische Folgeprogramm für die auch in Deutschland verbreiteten Alpha-Kurse entwickelt und vom Institut für Neuevangelisierung des Bistums Augsburg zur Erprobung erstmals in der Pfarreiengemeinschaft Grünten im Allgäu durchgeführt. Nach ausgesprochen positiven Erfahrungen steht das ausgearbeitete Programm nun allen Pfarreien zur Verfügung. Vom 18. Mai bis 27. Juli 2021 bietet das Institut allen Interessierten auch eine Online-Version des Kurses an. Zu diesem Anlass hat Bischof Dr. Bertram Meier ein Interview gegeben, das seinen tiefen Wunsch nach einer echten Erneuerung des kirchlichen Lebens in den Gemeinden zum Ausdruck bringt. Ihm ist es wichtig, dass die Kirche auf die Bedürfnisse der Menschen eingeht, dabei aber nichts von ihrem wesentlichen Sendungsauftrag aufgibt.

Kirche-heute-Interview mit Bischof Bertram Meier, Augsburg

Herr Bischof, das Bistum Augsburg war an der Ausarbeitung des sog. „Kath-Kurses“ wesentlich beteiligt. Er wurde als katholisches Folgeprogramm für die Alpha-Kurse entwickelt. Welche Erfahrung haben Sie mit Alpha-Kursen?

Joseph Ratzinger hat als junger Theologe ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Einführung ins Christentum“ – das Buch war damals ein Beststeller. Auf dieser Linie verstehe ich Alpha-Kurse als „Appetit-Happen für den Glauben“. Ich kenne viele Menschen, die über Alpha-Kurse den Glauben für sich neu entdeckt oder in ihrer aktuellen Lebenssituation vertieft haben. Die Freude über die Kraft, die aus dem Glauben erwächst, spüre ich bei vielen dieser Menschen.

Welche Chance sehen Sie im Kath-Kurs für Pfarreien, die einen Weg der Glaubenserneuerung gehen wollen?

Von Kardinal John Henry Newman stammt der Satz: „Der Katholik muss immer mehr zum Christen werden.“ Ich hoffe, dass der Kurs dazu beiträgt, dass Gläubige durch die Einbettung in die katholische Kirche als Christ immer mehr in die Freundschaft zu Jesus hineinwachsen. Auch für die Pfarreien sehe ich dies als eine Chance zur Vertiefung und Gemeinschaftsbildung.

Der hl. Papst Johannes Paul II. blickte positiv in die Zukunft und kündigte ein neues missionarisches Zeitalter an. Er verglich es mit einem „neuen Pfingsten“, bei dem wie vor 2000 Jahren auch heute Maria, die Mutter der Kirche, das Gebet und der Heilige Geist eine entscheidende Rolle spielen werden. Welche Bedeutung sehen Sie in der Gottesmutter für die Evangelisierung?

Viele Menschen haben auch heute eine enge Beziehung zur Gottesmutter Maria. Die Marienfrömmigkeit mit ihren verschiedenen Ausdrucksformen ist ein wunderbares Zeichen dafür, dass der Glaube lebt.

Bei der Hochzeit zu Kana sagt Maria zu den Dienern: „Was er euch sagt, das tut!“ Ein marianisch geprägter Gläubiger ist also auf Jesus ausgerichtet. Er hört auf den guten Rat der Gottesmutter, die ihn zu ihrem Sohn Jesus Christus führt.

Auf Augsburg bezogen: Bei uns hängt das Bild der Knotenlöserin. Papst Franziskus ist dieses Motiv ans Herz gewachsen. Evangelisierung heißt auch, Verknotungen im Leben lösen helfen.

Wie kann das Gebet als Grundlage für ein fruchtbares pastorales Wirken in den Gemeinden neu entdeckt und praktiziert werden?

Gebet ist kein „ad on“, kein Zusatzprogramm zum pastoralen Wirken, sondern dessen Grundlage. Nur Menschen, die aus dem Gebet leben, können fruchtbar pastoral wirken. Daher begrüße ich alle Angebote, die in den Gemeinden auf die Wiederentdeckung des persönlichen und gemeinschaftlichen Gebets ausgerichtet sind. Gebet ist der Puls, damit wir und die Kirche lebendig bleiben.

Wenn wir die Weltkirche betrachten, so spielt der Weg der Charismatischen Erneuerung bei der Evangelisierung eine große Rolle. Welche charismatischen Elemente halten Sie für das Leben in unseren Gemeinden für hilfreich?

Erneuerung geschieht im Sinn des Aufbruchs, der Auffrischung, der Neugier auf das, was der Geist uns sagen will. Haben wir keine Angst vor dem Heiligen Geist! Dieser schenkt uns die verschiedensten Gnadengaben, die Charismen. Jeder Gläubige ist eingeladen, diese Talente und Begabungen einzubringen und die Kirche zu gestalten. Eine charismatische Erneuerung in diesem Sinne, im gemeinsamen Hören auf den Heiligen Geist und in der Vielfalt der Gaben und Persönlichkeiten, ist für mich von zentraler Bedeutung. Doch Charismen für sich genommen reichen nicht. Das kirchliche Amt bringt das Charisma in Form. Ideal ist, wenn die geweihten Amtsträger charismatische Persönlichkeiten sind. So springt der Funke über und die Menschen fangen Feuer.

Papst Franziskus erinnert unentwegt an den missionarischen Auftrag der Kirche und ruft wie seine Vorgänger zu einer neuen Evangelisierung auf. Wie kann die Frohe Botschaft heute überzeugend vermittelt werden? Wie kann eine neue Sehnsucht nach Gott und seiner Liebe, nach Heil und ewigem Leben geweckt werden?

Eine überzeugende Vermittlung des Evangeliums braucht glaubwürdige und von ihrem Glauben überzeugte Menschen. Jede Person, die Freude am Glauben ausstrahlt und aus dem Evangelium ihr Leben gestaltet, kann in ihren Mitmenschen die Sehnsucht nach Gott wecken. Selbstverständlich muss sich der Glaube auch im konkreten Handeln, im Einsatz für andere, gerade für die Benachteiligten, zeigen und bewähren.

Evangelisierung ist für mich eine Querschnittsaufgabe, die das kirchliche Leben in seiner Breite und Tiefe prägen muss. Vor diesem Hintergrund ist auch die Neuordnung der Bereiche „Jugend, Berufung und Evangelisierung“ in der Diözese Augsburg zu verstehen.

Sie waren von 2007 bis 2020 Domprediger und haben mit Ihrem engagierten Dienst einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Worauf kommt es heute bei der Verkündigung des Wortes Gottes an?

Es gibt kein Patentrezept gelungener Verkündigung. Auch hier gewinnen unsere Worte Überzeugungskraft, wenn wir als Personen authentisch und glaubwürdig sind. Je-der Prediger und jede Predigerin wird daher das Wort Gottes anders, der persönlichen Lebens- und Glaubenserfahrung entsprechend, verkünden. Unabhängig davon ist es von großer Bedeutung, dass wir in der Verkündigung Worte und auch Bilder verwenden, die die Menschen von heute verstehen. Kurz: Wir holen keine Glaubensformeln aus der Mottenkiste, sondern stellen die alten Wahrheiten in die Vitrine der Gegenwart.

Wie können wir das kirchliche Leben vor Ort gestalten, damit es anziehend wirkt und auch die jüngere Generation anspricht?

Auch hier gibt es kein Patentrezept. Entscheidend ist die Authentizität der handelnden Personen, aber auch des gemeinschaftlichen Tuns. Junge Menschen brauchen Vorbilder im Glauben, die nicht perfekt sein müssen. Vielmehr kommt es auch hier darauf an, dass diese Menschen etwas ausstrahlen und bei ihnen Glaube und Leben stimmig verbunden sind.

Es ist im Augenblick viel von notwendigen Veränderungen die Rede. Was muss sich in unseren Pfarreien, im Selbstverständnis von Kirche und Pastoral, in den Strukturen, in der Vorbereitung auf den Empfang der Sakramente ändern, damit echter Glaube wachsen kann? Worauf müssen wir achten, damit unsere Pfarreien einen neuen Aufbruch erleben können?

Gerne teile ich mit Ihnen meine drei Prioritäten: Die Zeit kommt vor dem Raum. Die Evangelisierung geht der Sakramentalisierung voraus, d.h. das Sakrament folgt dem Wort Gottes. Zuletzt, die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee. Was diese drei Leitplanken für die einzelne Pfarrei bzw. Gemeinde bedeutet, müssen die Beteiligten vor Ort in einem offenen Dialog gemeinsam heranreifen lassen.

Was empfinden Sie als Bischof, wenn Sie die hohen Kirchenaustrittszahlen hören? Bis 2060, so wird prognostiziert, soll die Zahl der Katholiken in Deutschland auf die Hälfte zurückgehen. Wie versuchen Sie, mit diesen Ankündigungen umzugehen?

„Bange machen gilt nicht!“ – dies ist für mich ein Leitwort. Wir dürfen uns durch die hohen Kirchenaustrittszahlen nicht entmutigen lassen. Dies bedeutet nicht, dass ich die Situation nicht ernst nehme. Ich bin sehr daran interessiert, was einen Menschen dazu veranlasst, aus der Kirche auszutreten. Meine Erfahrung ist: Die Geschichten dahinter sind unterschiedlich und sehr persönlich. Und noch etwas: Prognosen sind wichtig, aber Zahlen allein machen nicht die Zukunft aus. Zur Quantität der Christen muss die Qualität des Zeugnisses treten.

Wie beurteilen Sie auf diesem Hintergrund den „Synodalen Weg“? Wird er die gestellten Erwartungen erfüllen oder verschärft er die Krise? Wie müssten nun die Weichen gestellt werden?

Mir persönlich ist der Fokus auf die synodale Kirche als erster Schritt und als Grundlage aller weiteren Überlegungen noch wichtiger als der Synodale Weg. Dass die Kirche ihre Fenster öffnen muss, dass sie einer Erneuerung bedarf, spürt jeder. Für Papst Franziskus kann das nur auf eine Weise geschehen: miteinander auf dem Weg. Kirche und Synode sind für ihn zwei Worte für dieselbe Sache. Noch einmal auf den Punkt gebracht: Die Kirche lebt vom Miteinander aller, von den verschiedenen Talenten und Begabungen, vom Einbringen der unterschiedlichen Einsichten und Perspektiven. Ich persönlich stehe dafür, miteinander im Dialog zu bleiben und die Einheit der Kirche zu wahren.

Die derzeitige Pandemie ist eine zusätzliche Herausforderung für die Glaubenspraxis in unseren Gemeinden. Welches Resümee können Sie bisher ziehen und was bedeutet dies für die Zukunft?

Ich bin beeindruckt über die Kreativität, die die Pandemie bei vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie ehrenamtlichen Engagierten zum Vorschein gebracht hat. Diese Vielfalt an Angeboten sollten wir uns auch über die Pandemiezeit hinaus behalten. Mich bewegt auch die Frage, ob die Kirche in dieser schwierigen Phase nah genug bei den Menschen war. So verstehe ich die Diskussion der „Systemrelevanz“ der Kirche: Bei allen Erklärungen, warum manches – wie eine persönliche Trauerbegleitung – während der Pandemie nicht wie sonst möglich war, höre ich aus den Anfragen auch das Bedürfnis heraus, dass Kirche bzw. ihre Seelsorger und Seelsorgerinnen gerade in den schwierigen Zeiten da sind.

Was brauchen die Menschen heute? Was erwarten sie von der Kirche?

Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass die Pastoral im Mittelpunkt unseres kirchlichen Handelns steht. Unsere Seelsorger und Seelsorgerinnen müssen nah an den Menschen, ihren Lebenswirklichkeiten und Bedürfnissen sein. Gerade in Zeiten der Krise, wie wir sie im Moment erleben, ist es von zentraler Bedeutung, dass die Kirche in all ihren Lebensvollzügen Hoffnung und Trost, aber auch Orientierung schenkt. Bewusst habe ich hierbei neben der Liturgie die Verkündigung, zu der auch der neue Glaubenskurs zählt, und die vielfältigen Dienste der Caritas im Blick. Nicht durch Zufall hat Papst Franziskus erst vor wenigen Wochen ein eigenes kirchliches Dienstamt des Katecheten für Männer und Frauen eingerichtet.

Wie kann die Kirche am besten auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen? Was muss die Antwort der Kirche auf die Anforderungen der heutigen Zeit sein?

Im Laufe der Zeit hat die Kirche ein vielfältiges Spektrum an Angeboten entwickelt. Aus meiner Sicht geht es nicht in erster Linie darum, möglichst viele neue Formate auszuarbeiten, sondern bei den bestehenden Formen kirchlichen Lebens auf die aktuellen Anforderungen zu reagieren und diese entsprechend zu gestalten. Zugleich bin ich für alle kreativen Ideen, neuen Angebote und Formate dankbar – beispielweise der Kath-Kurs, aber auch Online-Formate wie Online-Blogs. Doch das Äußere allein ist zu wenig: Wir müssen von der Schale zum Kern vordringen.

Herr Bischof, von Herzen danken wir Ihnen für das offene und ermutigende Gespräch. Für Ihren wertvollen Hirtendienst wünschen wir Ihnen viel Kraft und die Glaubensfreude, von der Sie gesprochen haben.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Theresia Mende OP, Pia Sommer, Katharina Weiß u.a.: Kath-Kurs Teilnehmerbuch, 210 S., Hardcover, Euro 19,–, ISBN 978-3-86400-030-0; Kath-Kurs Mitarbeiterhandbuch, 94 S., Pb., Euro 10,–, ISBN 978-3-86400-031-7; Unterstützung und Beratung unter Tel. 0821/ 3166-3121 (Mo-Fr 8-16 Uhr), Website: kath-kurs.de

Kath-Kurs zur Glaubenserneuerung:
„Entdecke die Katholische Kirche!“

Der „Kath-Kurs“, den die Bistümer Augsburg, Passau, Eichstätt und Regensburg entwickelt haben, ist ein Glaubenskurs,[1] der sich an die bekannten Alpha-Kurse anlehnt. Diese überkonfessionellen Kurse vermitteln die Grundlagen des christlichen Lebensvollzugs und werden weltweit sehr erfolgreich zur Glaubenserneuerung eingesetzt. Nach deren Prinzip arbeitet auch der Kath-Kurs, allerdings weist er ein klares katholisches Profil auf und stellt damit eine Art Weiterführung der Alpha-Kurse dar. Er ist also, wie der Name zum Ausdruck bringen will, das katholische Folgeprogramm für Alpha und ein Angebot für alle Pfarreien, die einen Weg der Glaubenserneuerung gehen wollen. Er richtet sich sowohl an Menschen, die neu mit dem Glauben in Berührung gekommen sind und sich nach mehr sehnen, als auch an Katholiken, die schon lange mit der Kirche leben und ihr Glaubenswissen auffrischen und vertiefen möchten. „Entdecke die Katholische Kirche!“, lautet das Motto. An 10 Abenden und einem Wochenende stehen auf dem Programm: gemeinsam essen, katholische Themen und Glaubenspraxis kennenlernen und sich austauschen. Vorträge und Gespräche in Kleingruppen werden durch Gebetszeiten ergänzt, die den Raum schaffen, die katholischen Glaubensvollzüge für sich zu entdecken und in der Gemeinschaft der Kirche zu erleben. Fertig ausgearbeitete Vorträge im Filmformat und eine Vielzahl von Materialien bieten Pfarreien oder Gruppen die Möglichkeit, den Kurs selbständig vor Ort durchzuführen. D&D-Medien liefert das begleitende Teilnehmerbuch und das Teamhandbuch. Auf der Homepage www.kath-kurs.de gibt es alle Materialien und Informationen. Die Film-Vorträge werden registrierten Nutzern kostenlos zum Download zur Verfügung gestellt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2021
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[1] Theresia Mende OP, Pia Sommer, Katharina Weiß u.a.: Kath-Kurs Teilnehmerbuch, 210 S., Hardcover, Euro 19,–, ISBN 978-3-86400-030-0; Kath-Kurs Mitarbeiterhandbuch, 94 S., Pb., Euro 10,–, ISBN 978-3-86400-031-7; Unterstützung und Beratung unter Tel. 0821/ 3166-3121 (Mo-Fr 8-16 Uhr), Website: kath-kurs.de

Statements von Bischöfen zum Kath-Kurs

Ein sehr nützliches Werkzeug der Neuevangelisierung

Neben dem Bistum Augsburg haben sich drei weitere Diözesen am Projekt „Kath-Kurs“ beteiligt. Die Bischöfe dieser drei bayerischen Bistümer empfehlen den Glaubenskurs als Weg einer missionarischen Erneuerung für Einzelne, die auf der Suche sind, wie für Pfarreien, die ihr Gemeindeleben vertiefen wollen.[1]

Bischof Dr. Rudolf Voderholzer, Regensburg:

 „Wir leben in einer Zeit, in der der katholische Glaube immer weniger selbstverständlich ist und es Menschen mitunter schwerfällt, einen persönlichen Zugang zu finden zu dem, was die Kirche glaubt und tut. Genau an dieser Stelle setzt der neu entwickelte Kath-Kurs an. Auf verständliche und attraktive Weise vermittelt er Grundelemente katholischer Spiritualität, indem er zur Herzmitte des kirchlichen Lebens führt: die Begegnung mit Gott in den Sakramenten. Diesen reichen Schatz lebendig werden zu lassen, in unseren Pfarreien und in der Gottesbeziehung des Einzelnen, ist mir ein wichtiges Anliegen. Der Kath-Kurs kann in dieser Hinsicht ein sehr nützliches Werkzeug der Neuevangelisierung sein.

Ich bin überzeugt: Nur gemeinsam und in der Hinwendung zu Jesus Christus, der in seiner Kirche wirkt, kann ein neuer Aufbruch im Glauben gelingen. Beim Kath-Kurs arbeiten hauptamtliche Seelsorger und ehrenamtliche Gläubige eng zusammen und bringen ihre unterschiedlichen Kompetenzen ein. Es wird deutlich, wie wichtig die Erfahrung von Gemeinschaft im Glauben ist. Beim Kath-Kurs können Menschen erleben: Wer glaubt, ist nie allein.

Ich freue mich, wenn der Kath-Kurs in unserem Bistum einen Beitrag dazu leisten kann, den Glauben neu zum Leuchten zu bringen und den spirituellen Reichtum der Kirche zu erschließen. Allen Veranstaltern und Teilnehmern des Kath-Kurses wünsche ich viel Freude auf der gemeinsamen ‚Entdeckungsreise‘ und Gottes Segen.“

Bischof Dr. Stefan Oster SDB, Passau:

„Der Kath-Kurs ist wirklich innovativ und anschlussfähig zugleich. Er orientiert sich an den sogenannten Alpha-Kursen, die in vielen Kirchen und Konfessionen so fruchtbar sind und zahllose Menschen neu oder tiefer in den Glauben führen. Aber dieser neue Kurs schließt jetzt auch die katholischen Schätze auf: Warum Sakramente, warum Heilige, warum Maria? Ich bin sehr dankbar, dass wir damit eine wunderbare Möglichkeit haben, unsere katholische Kirche und ihren Glauben neu und aus der Tiefe heraus zu entdecken.“

Bischof Dr. Gregor Maria Hanke, Eichstätt:

„Ich freue mich sehr, dass es den Kath-Kurs gibt. Jesus sucht auch heute Jüngerinnen und Jünger, die ihm folgen; Menschen, die sich bewusst für ihn entscheiden und Sehnsucht nach einem Leben in Fülle haben. Darin liegt nicht zuletzt die Zukunft unserer Kirche. Der Kath-Kurs ist dazu ein wertvoller Wegbegleiter: für jene, deren Suche im Glauben noch unbestimmt ist und sich nach Orientierung sehnen; aber auch für Menschen, die in einem Glaubenskurs erste Schritte gemacht haben und nach einem weiterführenden Angebot zur Vertiefung im katholischen Glauben suchen. Besonders lege ich den Kath-Kurs auch Pfarrgemeinden ans Herz, die den Weg einer missionarischen Erneuerung gehen wollen.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2021
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[1] Theresia Mende OP, Pia Sommer, Katharina Weiß u.a.: Kath-Kurs Teilnehmerbuch, 210 S., Hardcover, Euro 19,–, ISBN 978-3-86400-030-0; Kath-Kurs Mitarbeiterhandbuch, 94 S., Pb., Euro 10,–, ISBN 978-3-86400-031-7; Unterstützung und Beratung unter Tel. 0821/ 3166-3121 (Mo-Fr 8-16 Uhr), Website: kath-kurs.de

Erfahrungen eines Pfarrers mit dem Kath-Kurs

Gott hat uns geführt

Florian Rapp ist Leitender Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Grünten. In seinem Bericht über die Erfahrungen mit dem Kath-Kurs[1] in seinen Gemeinden legt er Zeugnis vom Wirken Gottes ab, das aus dem Gebet heraus erwächst. Über den Neulandkurs, die Alpha-Kurse und schließlich den Kath-Kurs sei er auf einen Weg der Glaubenserneuerung geführt worden, den er mit großer Freude und Dankbarkeit seinen Mitbrüdern ans Herz legen kann.

Von Florian Rapp

„Denn die Freude am Herrn ist eure Stärke“, rief der Priester Esra dem Volk im Alten Testament zu (Neh 8,10). Heute gäbe es genügend, was uns die Freude nehmen könnte. Doch der Auftrag Jesu, seine Sendung, unsere Berufung lautet: Bei allem Wissen von den Schwierigkeiten und Herausforderungen der Zeit sollen wir hinausgehen und von Freude erfüllt den Menschen seine Botschaft verkünden, sie bezeugen und selbst daraus leben.

Als ich vor über zehn Jahren hier meine erste Pfarrstelle antrat, war vieles neu und vieles auch schon im Umbruch. Gleichzeitig war von Anfang an ein „Spüren“ da, dass sich etwas verändern müsse, um das „Jüngersein“ mehr zu leben, um die Menschen damit vertraut zu machen. Nicht wissend, wo und welchen Weg der Herr uns führen wird, haben wir in einer kleinen Runde begonnen, Anbetung und Lobpreis zu halten. So wurden die eucharistische Anbetung, der Lobpreis, Abende der Versöhnung letztlich zu Wegbereitern dessen, was dann im Nachklang in der neuen Pfarreiengemeinschaft Grünten, die im Jahr 2015 im Zuge der pastoralen Raumplanung errichtet wurde, umgesetzt worden ist.

Nach einem ersten mehr organisatorischen Jahr begannen wir mit dem sog. Neulandkurs in unserer Pfarreiengemeinschaft. Mit einer Reihe von „Begeisterten“ setzte sich dieser Weg dann fort in der Vorbereitung der Missionarischen Woche, die wir im Herbst 2018 erleben und mitgestalten durften. Dieses Erlebnis, so frei und unbefangen über den eigenen Glauben mit ganz verschiedenen Menschen im Gespräch zu sein, war für nicht wenige eine ganz neue Erfahrung. Zeitgleich setzte ich mich in diesen Wochen und Monaten auch immer mehr mit verschiedenen Wegen der Erneuerung und der (Neu-) Evangelisierung auseinander. Dabei durfte ich sowohl Father James Mallon aus Halifax als auch Pfarrer Michael White aus Baltiimore kennenlernen. In dieser Zeit kam auch mein Mitbruder, Pfarrer Heribert Stiegler, begeistert und ermutigt aus Halifax zurück.

In der Folge der Missionarischen Woche starteten wir mit den ersten Alpha-Kursen. Wir bildeten gleichzeitig ein kleines Leitungsteam und begannen auch in den Gremien von Pfarrgemeinderat und Pastoralrat, eine Vision für unsere Pfarreiengemeinschaft zu erarbeiten. Es ist uns ein Anliegen, „die Menschen willkommen zu heißen und anzunehmen, wie sie sind, … sie mit der Liebe Christi in Berührung zu bringen … und miteinander auf Jesus Christus zu schauen … und mit Freude und Leidenschaft den Glauben zu verkünden“ (aus der Vision der Pfarreiengemeinschaft Grünten).

Neben der Willkommenskultur, die wir begonnen haben zu leben, ist immer mehr der Wert vom Vorrang des Sonntags ins Zentrum gerückt. Wir haben begonnen – zusammen mit vielen Teilnehmern der Alpha-Kurse, die sich in einem Begrüßungsteam zusammengefunden hatten, die Vorbereitung auf die Erstkommunion auf den Sonntag zu konzentrieren und damit eine Verbindung von der Feier der heiligen Messe, der Erfahrung von Gemeinschaft und von der Katechese zu schaffen.

In dieser Phase der Veränderung oder besser gesagt der Erneuerung des Pfarrlebens ist dann auch immer wieder der Wunsch bzw. das Bedürfnis aufgetreten, dass es doch „weitergehen“ möge. Neben wöchentlichen Treffen in den Pfarrzellen, im Bibelkreis, im Gebetskreis und auch in den Anbetungsstunden war auch der Gedanke an eine Fortsetzung des Alpha-Kurses im Sinn einer Glaubensvertiefung für den eigenen, katholischen Glauben gekommen. Im sog. „Kath-Kurs“ durften wir dann diese Erfahrung machen und Menschen begleiten. Besonders bewegend war dabei immer wieder die Verbindung zwischen dem thematisch-inhaltlichen ersten Teil des Abends und dem zweiten Teil, dem persönlichen Vollzug während der Gebetszeit mit der eucharistischen Anbetung in der Kirche. Dankbar nehme ich wahr, wie viele persönliche Zeugnisse und Rückmeldungen zum Kath-Kurs mich erreichen, und so ist er für mich zu einem wichtigen Baustein für die Glaubensvertiefung und gelebte Jüngerschaft in der Gemeinde geworden.

Dies alles ist nicht selbstverständlich und auch kein Selbstläufer, sondern beruht – und davon bin ich fest überzeugt – von Anfang an auf dem vorbereitenden und begleitenden Gebet der eucharistischen Anbetung und auch der vielen persönlichen Beter, die uns auf diesem Weg begleitet haben und weiterhin begleiten, ja, begleiten müssen. Denn man muss klar sehen, dass nicht alle Menschen diesen Weg der Erneuerung mitgehen wollen. Auch diese Situation haben wir, trotz aller Dankbarkeit für die Aufbrüche, erfahren. Bei aller Enttäuschung, die im ersten Moment zu spüren war, ist es doch Bestätigung und Bestärkung, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen, denn es ist ein Weg, den Er uns von Anfang an geführt hat.

Und so ist für mich die zurückliegende Zeit ein Geschenk geworden. Ich durfte Früchte des Hl. Geistes erfahren in einer Zeit, in der die Kirche einen schweren Stand in der Gesellschaft hat. Für mich bewahrheitet sich wieder einmal mein Primizspruch: „Macht euch keine Sorgen, denn die Freude am Herrn ist eure Stärke!“ Und so kann und will ich alle ermutigen, sich auf diesen Weg der Erneuerung einzulassen, weil wir darin zutiefst spüren dürfen, dass Er mit auf dem Weg ist, dass Er selbst diese Erneuerung ist!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2021
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[1] Theresia Mende OP, Pia Sommer, Katharina Weiß u.a.: Kath-Kurs Teilnehmerbuch, 210 S., Hardcover, Euro 19,–, ISBN 978-3-86400-030-0; Kath-Kurs Mitarbeiterhandbuch, 94 S., Pb., Euro 10,–, ISBN 978-3-86400-031-7; Unterstützung und Beratung unter Tel. 0821/ 3166-3121 (Mo-Fr 8-16 Uhr), Website: kath-kurs.de

Beispiel aus einem Vortrag des Kath-Kurses

Die Kirche – heilig und katholisch

Die zweite der dreizehn Einheiten des Kath-Kurses widmet sich der Frage „Warum gerade die katholische Kirche? Das Wesen der katholischen Kirche“.[1] Sr. Dr. Theresia Mende OP, Theologische Referentin und Leiterin des Instituts für Neuevangelisierung im Bistum Augsburg, hat den Vortrag zu diesem Thema vorbereitet. Er mündet am Ende in den Artikel des Glaubensbekenntnisses ein, in dem die Kirche als „heilig“ und „katholisch“ bezeichnet wird. Nachfolgend der Abschluss des Vortrags.

Von Theresia Mende OP

Immer hat es in der Kirche Unheiligkeit und Sünde gegeben. Immer ist dieses Versagen in der Kirche auch die Ursache für Spaltungen gewesen. Wie können wir beten: „Ich glaube an die heilige, katholische Kirche“? 

Wenn das Bekenntnis zur heiligen katholischen Kirche ein Bekenntnis zu ihrer moralischen Integrität und ihrer absoluten Einheit wäre, dann müssten wir in der Tat das Glaubensbekenntnis ändern. Das Zweite Vatikanische Konzil hat sich sogar dazu durchgerungen, heute nicht mehr bloß von der heiligen und katholischen, sondern auch von der sündigen und der zerrissenen Kirche zu sprechen. Und dennoch hat das Konzil das Glaubensbekenntnis nicht umgeschrieben. Warum nicht? Weil das Glaubensbekenntnis gar nicht von einer moralisch integren und absolut einigen Kirche spricht. Wenn es die Kirche „heilig“ nennt, dann nicht deshalb, weil ihre Glieder samt und sonders heilige, sündenlose Menschen wären, sondern weil Gott diesen Menschen, die aus sich heraus gar nicht heilig sein können, die Heiligkeit immer wieder neu schenkt. Unser Bekenntnis zur Heiligkeit der Kirche ist also nicht ein Bekenntnis zur ihrer moralischen Vollkommenheit, sondern ein Bekenntnis zur großen, unzerstörbaren Liebe Gottes, die sich durch die Unfähigkeit des Menschen nicht besiegen lässt. Und das ist ganz schön entlastend für uns. Um zu dieser „heiligen“ Kirche zu gehören, müssen wir nicht vollkommen sein, müssen wir uns auch nicht in die Mühle eines ethischen Rigorismus begeben, wie es zum Beispiel im Mittelalter die Sekte der Katharer gefordert hatte. Der Traum von einer ethisch makellosen Kirche, der die tiefste Sehnsucht des Menschen aufgreift, selbst ganz rein und vollkommen zu sein, ist ja im Laufe der Jahrhunderte immer wieder aufgetaucht und hat den Menschen harte Opfer auferlegt, die sie meist nicht erfüllen konnten.

Nein, wir dürfen uns zu einer Kirche bekennen, die voll ist von schwachen, sündigen Menschen, die nur deshalb heilig ist, weil Jesus sie durch sein Lebensopfer am Kreuz heilig gemacht hat, und die es nötig hat, immer wieder von ihm rein und heilig gemacht zu werden. Das macht uns frei und bewahrt uns auch heute davor, Sünder in der Kirche zu verurteilen oder gar einer in die Krise geratenen Kirche den Rücken zu kehren.

Und wenn es uns besonders schmerzt, dass gerade Amtsträger in der Kirche schwach und sündig sind, dann dürfen wir uns daran erinnern: Gerade das zeigt die unendliche Größe und Liebe Gottes, dass er seine Anwesenheit in der Kirche nicht von unserer Heiligkeit abhängig macht, auch nicht von der Heiligkeit seiner Erwählten, sondern dass er gerade in paradoxer Liebe die schmutzigen Hände der Menschen wählt, um in der Kirche zu bleiben, um sie zu reinigen und zu heiligen.

Genau das ist es, was mir die katholische Kirche so lieb und teuer macht – trotz allen Versagens und aller vielleicht berechtigten Kritik. Sie ist ja gerade mit ihrem Alter von 2000 Jahren der lebendige Beweis für die Größe der Liebe Gottes, die sich durch nichts, auch nicht durch die Sünde des Menschen abschrecken lässt. Sie ist der Beweis für die unendliche Barmherzigkeit Gottes, der sich nicht scheut, die Sündenlast der Menschen auf sich zu nehmen, der bereit ist, sich mit der Not der Sünde zu vermischen und darin scheinbar unterzugehen, um die Menschheit aus ihrer Todverfallenheit wieder herauszureißen. Sie ist der lebendige Beweis dafür, dass Gott seiner Kirche immer die Treue halten wird, egal wie weit sie sich von ihm entfernt. Es ist dieses erregende Ineinander von Treue Gottes und Untreue des Menschen, diese dramatische Gestalt der Gnade, die mir die Kirche so glaubwürdig und anziehend macht; und deshalb bleibe ich auch heute noch in der Kirche.

Und was bedeutet es, wenn wir uns zur „katholischen Kirche“ bekennen? Das griechische Wort „katholikos“ heißt auf Deutsch: „universal“, „umfassend“. Es kennzeichnet die Kirche als eine weltumspannende, das heißt eine alle Nationen, Klassen und Rassen vereinende Kirche, deren Mitte Jesus Christus ist. „Katholisch“ ist zunächst also keine Konfessionsbezeichnung. Mit dem Wort „katholisch“ bekennen wir uns zu einer Gemeinschaft von Christen, die im Glauben und in den Sakramenten mit dem Bischof vereint sind, der seine Vollmacht bis auf Jesus Christus zurückführen kann. Sodann bekennen wir uns zu einer Gemeinschaft von Christen, die mit vielen anderen Teilkirchen auf der ganzen Welt in der gleichen bischöflichen Struktur verbunden ist. Und wir bekennen uns nicht zuletzt zu einer Kirche, die alle Teilkirchen unter dem einheitsstiftenden Petrusamt, dem Bischof von Rom, zusammenfasst.

Aber wir bekennen uns darüber hinaus und sogar grundlegend zu einer weltumspannenden Kirche, die eine unglaubliche Weite besitzt, die trotz aller Vielfalt und Unterschiedlichkeit die Menschen eint und die so zum Zeichen für das Miteinander aller Völker, Klassen und Rassen geworden ist. In diesem Sinne gewinnt die katholische Kirche gerade heute im Zeitalter der großen Migrationsbewegungen noch einmal eine besondere Aktualität. Sie wird zum prophetischen Zeichen für die künftige Einheit aller Völker und Rassen, die Gott für die Vollendung der Geschichte am Ende der Zeiten verheißen hat.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Theresia Mende OP, Pia Sommer, Katharina Weiß u.a.: Kath-Kurs Teilnehmerbuch, 210 S., Hardcover, Euro 19,–, ISBN 978-3-86400-030-0; Kath-Kurs Mitarbeiterhandbuch, 94 S., Pb., Euro 10,–, ISBN 978-3-86400-031-7; Unterstützung und Beratung unter Tel. 0821/ 3166-3121 (Mo-Fr 8-16 Uhr), Website: kath-kurs.de

„Die Macht der kleinen Herde“ (2)

Werden wir entschlossen die Kirche von morgen!

Pfarrer Lorenz Rösch (geb. 1965) stellt im zweiten Beitrag seiner Artikelreihe „Die Macht der kleinen Herde“ den Aufruf zum Umbau der Pastoral vor, wie ihn der Jesuitenpater Alex Lefrank (geb. 1932) an die katholische Kirche in Deutschland gerichtet hat.[1] Nach Lefrank haben die bisher versuchten Ansätze zur Lösung der Krise, so gegensätzlich sie sich teilweise auch darstellen, eines gemeinsam: es sind Strategien, die den überkommenen Status der Kirche wiederbeleben oder unter neuen Vorzeichen weiterführen wollen. Seine Analyse aus dem Jahr 2016 besitzt nicht zuletzt im Blick auf den „Synodalen Weg“ besondere Aktualität und Brisanz. Echte Erneuerung würde demnach heißen: Als Kirche neu zur eigenen Sendung stehen, Menschen zur Entscheidung für Christus herausfordern und sie darin begleiten. Die Entschlossenheit der Umkehr auf der einen Ebene wird dabei den Umkehr-Elan auf der anderen Ebene beeinflussen: Umkehr im Selbstverständnis als Kirche – und vielfältige persönliche Umkehr zu einer neuen Art zu leben, die sich von der gängigen Gesellschaft unterscheidet.

Von Lorenz Rösch

Mit seinem durch Altersweisheit und Erfahrung geschärften Blick sieht Alex Lefrank die Krise der Kirche in Deutschland darin, dass sie unter allen Umständen vermeiden will, den Vorstellungen der Menschen nicht zu entsprechen. Das Wesen der Kirche aber bestehe gerade darin, sich von der gängigen Gesellschaft zu unterscheiden und dadurch zur Bekehrung herauszufordern. Die deutsche Kirche „hat in ihrer Pastoral zu lange an einem Modell festgehalten, das die Menschen nicht zur Entscheidung für Christus führt“ (18),[2] so Lefrank.

Ausrichtung auf eine jenseits dieser Welt liegende Vollendung

Dabei macht Pater Lefrank sozusagen auf ein Paradox hinter dem „deutschen Paradox"[3] aufmerksam: Kirche kann ihre Sendung nicht anders leben, als dass sie sich – unter Anleitung des Geistes – auf Assimilationsprozesse einlässt. Bekanntlich ging das so weit, dass sie sich vielfach als Bestandteil der jeweiligen Gesellschaft etablierte und Volkskirche wurde, also Institution, die für die religiösen Belange zuständig ist und daran auch Maß nimmt. Dadurch aber verliert das Evangelium seine Sprengkraft; die Ausrichtung auf eine jenseits dieser Welt liegende Vollendung gerät in den Hintergrund. Es braucht daher auch eine gegenläufige Bewegungsrichtung der Erneuerung, der Umkehr (man kann auch sagen: der Entweltlichung), wofür wiederum der Heilige Geist sorgt, indem er entsprechende Impulse setzt und Gründergestalten erweckt. Es liegt auf der Hand, dass solche Erneuerung von anderer Qualität ist als menschengemachtes Um-Modeln mit dem Ziel der Bestandssicherung.

Judenchristentum und Judentum als wichtige Erinnerung

Bedenkenswert ist auch das Kapitel, in dem es um das Paradox geht, dass die Christen, deren Grundbefindlichkeit einmal der Bruch mit der herrschenden Kultur und der Gaststatus in der Gesellschaft war, zum festen Teil vieler Gesellschaften geworden sind, während das Judentum – „die ursprüngliche Kultur-Stiftung Gottes“ (68) – mit der Diaspora-Situation leben lernen musste. Gegen die Gleichsetzung von Christenheit und abendländischer Gesellschaft hätte es ein heilsames Korrektiv sein können, wenn es noch ein Judenchristentum gegeben hätte. Und in den mittlerweile angebrochenen Zeiten, wo die Christen wieder zur Minderheit werden, könnte „eine starke, ausstrahlende Kirche aus Juden“ (72) auch die Kirche aus den Heiden an das Prinzip der Stellvertretung erinnern sowie allen den über-kulturellen Charakter des Christus-Glaubens vor Augen führen. Aber auch die Präsenz des immer noch treu gelebten Judentums in der Welt ist für die Kirche wichtig als „der unübersehbare Hinweis, dass die Verheißungen Gottes noch nicht ganz erfüllt sind“ (71) und als Ansporn, daraufhin ausgestreckt zu bleiben.

Die Logik des Katechumenats

Für den Evangelisierungsauftrag ergibt sich aus dem Grund-Paradox der Kirche[4] wieder eine neue Variante: Sie muss suchen, wo und wie sie „an Sehnsüchte und Fragen einer Zeit anknüpfen kann“ (107) – aber nicht, um herrschende Gruppen und Meinungen zu bestätigen, sondern um den „Armen“ nahe zu sein und diejenigen zu bestärken, die bereit sind zu Neuem. Doch auch ihnen gegenüber braucht es neben der Anknüpfung die Konfrontation mit „einer umwerfend neuen Botschaft“, die nach Umkehr ruft; sie muss „die Menschen dort abholen, wo sie sind, und sie über sich hinaus in ein radikal neues Leben und Denken einführen“ (108).

Das umzusetzen verlangt Christ-Sein konsequent als Christ-Werden zu verstehen. Konsequent heißt, dafür auch Strukturen zu schaffen; Vorbild hierfür ist das altkirchliche Katechumenat, eine Art gemeindlicher Jüngerschafts-Schule. Weil heute mit großen Unterschieden zu rechnen ist in dem, was Menschen bei der Erstverkündigung konkret anspricht und woher sie kommen, braucht es „sehr unterschiedliche katechumenale Wege, in den vollen Glauben hineinzuwachsen. (…) Von Seiten der Kirche braucht es dazu Gesprächspartner, die begegnungsfähig sind und ihren Glauben der jeweiligen Gesprächssituation entsprechend ins Wort bringen können“ (112), aber auch ein Klima, wo alle sich und einander zugestehen, noch unterwegs zu sein und „auf das Erbarmen Gottes angewiesen“ zu sein (132).

Konzentrische Kreise damals und heute

Die Kirche der ersten Jahrhunderte bestand „aus zwei öffentlich wahrnehmbaren konzentrischen Kreisen: einem äußeren der Katechumenen (…); und dem inneren Kreis derer, die voll an ihrem Leben teilnahmen. Diejenigen, die sich im Büßerstand befanden, kann man als einen dritten Kreis dazwischen sehen“ (134). Nun gibt es auch heute „faktisch eine Zweiteilung in der Kirche: jene, die nur ,einen religiösen Segen für ihr Leben‘ suchen, und jene, die als Kerngemeinde ihr Christ-Sein als Nachfolge Jesu leben wollen. Man kann als einen dritten, äußersten Kreis noch jene sehen, die zwar am Glaubensleben der Kirche nicht teilnehmen, aber die Konsequenz, den Kirchenaustritt, (noch) nicht vollzogen haben“ (135).

Wichtig ist, was nun folgt: „Der entscheidende Unterschied zur altkirchlichen Situation ist ein zweifacher: zum einen, dass von Seiten der Kirche kein Unterschied zwischen ihnen gemacht wird und alle gleich behandelt werden (…); das gilt für die Sakramentenpastoral wie für die Verkündigung; es gilt auch für die Übernahme von Mitverantwortung und Mitentscheidung (…). Zum anderen, dass es kaum Bewegung gibt. Die äußeren Kreise sind – von Einzelfällen abgesehen – nicht in Bewegung nach innen, und das seit langem. Eher bewegen sich die Menschen der inneren Kreise nach außen, indem sie sich definitiv von der Kirche verabschieden. Bis heute hat es die Kirche in Deutschland versäumt, ihr Angebot auf diese Situation auszurichten. Sie bietet allen alles an: alle Sakramente und die Höchstfeier des Glaubens, die Eucharistiefeier. Wo das Kirchenrecht die Teilnahme einschränkt, werden diese Einschränkungen mit Berufung auf das Gewissen vielfach unterlaufen“ (135f.).

Auseinandersetzung und Reifung ermöglichen

Sollten also die Getauften in Bezug auf ihren Glauben und ihren Kirchenbezug in Kategorien eingeteilt werden? Das ist unmöglich. Aber es gibt „für alle verbindliche Maßstäbe des Glaubens, sowohl inhaltlich als auch lebenspraktisch“ (137), die auch verbindlich geltend gemacht werden müssen. Nur wenn das Evangelium auch mit seinem Anspruch präsentiert wird, ist eine persönliche Auseinandersetzung und ein je persönlicher Weg der Aneignung möglich. Die Kirche muss dann auch „Gelegenheit geben, dass die Menschen Rechenschaft darüber ablegen können, wie diese Auseinandersetzung ausgegangen ist“ (138). Nur so ist das Tun der Kirche „auf die Erziehung der Menschen zu christlicher Reife hingeordnet“ (139). In der Gemeinde als „Lernort des Glaubens“ kann es förderlich sein, wenn Entschiedene und „Neulinge“ Weggemeinschaften auf Zeit bilden; für „die, die den Glauben intensiv leben, braucht es aber auch Austauschgruppen, in denen sie verbindlich miteinander unterwegs sind“ (140).

Servicekirche ohne Zukunft

Im Schlussteil des Buches (155ff.) listet Alex Lefrank nochmals Elemente auf, die das Paradox (oder die Aporie) insbesondere der deutschen kirchlichen Praxis ausmachen. Dazu gehört: Ein Großteil der Kirchenmitglieder ist faktisch nicht einmal im Katechumenats-Status, denn zu diesem gehört der Wille, sich in den Glauben einführen zu lassen. Alle werden nach Wunsch mit Sakramenten versorgt, ohne dass nach den Bedingungen für einen fruchtbaren Empfang überhaupt gefragt wird. Statt gemeindeprägender katechumenaler Wege gibt es allenfalls unverbindliche Extra-Angebote für besonders Interessierte. Die Eucharistiefeier ist weitgehend zur einzigen Gottesdienstform geworden, die nun alles gleichzeitig leisten soll.

Daraus leitet sich ab, „wovon wir uns in der Kirche in Deutschland m. E. verabschieden müssen“ (162f.).[5] Dazu gehört unter anderem: „von einer Kirche, die meint, sich vor allem durch strukturelle und institutionelle Mittel und Maßnahmen erhalten zu können, und die die Konfrontation mit dem persönlichen Glauben – und damit auch Unglauben – ihrer Mitglieder eher vermeidet“. Dem entspricht die Vision des Autors von einer neuen Gestalt von Kirche. Beispielhaft heißt es: „Sie wird eine Kirche sein, die im gelebten Glauben derer lebt, die sich für Christus entschieden haben und deshalb in ihr mitmachen und sich deshalb in ihr engagieren“ (164).

Entscheidungsfreude für den fälligen Umbau der Pastoral

In der erwarteten neuen Kirchengestalt sieht der Autor auch mögliche Gefahren und nennt Gegenmittel (165f.): Die Schwellen ins Innere werden höher – es braucht Willkommenskultur. Gegen Ghettoisierung braucht es ein Bewusstsein vom Auftrag für die vielen und die Suche nach Begegnung mit ihnen. Im Blick auf ein Ende der Kirchensteuer braucht es vermehrt Sorge um Finanzierung, aber auch Gottvertrauen. Wo Kommunikation bedeutsamer wird, mehren sich Konflikte und Verletzungen – der Versöhnungsdienst wird wichtiger. Wenn Kirche sich primär vor Ort abspielt, kann die Einheit im Glauben bedroht sein – Bischöfe und Priester sind in dieser Hinsicht gefragt.

Schließlich (166f.): Der fällige Umbau der Pastoral braucht Entscheidungsfreude, aber es müssen gemeinsame und geistliche Entscheidungen sein, die im Hören auf Gottes Geist Gestalt annehmen. So wird bereits an dieser Stelle die neue Kultur eingeübt, um die es geht: dass „von Anfang an Glauben als Beziehungsgeschehen mit Gott und untereinander erlebt werden“ kann (167).

Ausblicke

Zusammenfassend kann man im Anschluss an Alex Lefrank das Gebot der Stunde so benennen: Entschieden das Paradox umarmen, das wir als Kirche sind, sein dürfen und sein sollen! Es besteht nicht nur in der „kleinen Herde“ mit dennoch universaler Berufung, sondern dies zudem bei längst noch nicht erreichter Heiligkeit derer, die zu ihr gehören und sie leiten. Dies heißt freilich nicht, sich mit der Sünde abzufinden (vgl. 132). Man wird daher auch hinzufügen müssen: Die künftige Kirche wird eine Kirche sein, die hohe Ansprüche hat an Transparenz und Schutz vor Übergriffen, Schuld-Aufarbeitung, Aufrichtigkeit und geschwisterliche Wertschätzung und auf deren konsequente Anwendung achtet.

Diejenigen, die meinen, festhalten zu müssen am Leitbild einer Kirche, in der „für alle(s) Platz ist“, sollten sich hingegen klarmachen: Dies führt nur vollends weg von der Glaubensgemeinschaft und vollends hin zur bloßen gesellschaftlichen Institution – eine Art Agentur, die nur noch individuell zugeschnittene religiöse Dienstleistungen anbietet sowie für Wünsche nach religiös gefärbter Entfaltung oder Vergemeinschaftung Räume und Begleitung bereithält: Dabei reduziert sich Kirche mehr und mehr auf die Gruppe des bei ihr beschäftigten Personals.

Die gesellschaftliche Stellung dieser Institution ist dadurch nicht weniger am Bröckeln. Konkurrierende Anbieter tun ihr Übriges. Umso mehr sucht dieses Kirchenpersonal sein Heil in professioneller Kompetenz. Da es ja keine „Brüdergemeinschaft“ (J. Ratzinger) formen will, ist es auch in keiner mehr verortet, sondern nur noch von (steuerzahlenden) Sympathisanten getragen. Paradoxerweise kommt es also auch auf diesem Weg zu einer Grenzziehung: hier die Profis, dort die Menge derer, die sie mit ihren Angeboten bedienen. Mit anderen Worten: Es läuft genau auf das hinaus, was bei Papst Franziskus Klerikalismus heißt. Auch wenn die Zeit dafür sorgen wird, dass dieses Modell von Kirche verschwindet: Gottes Geist lädt uns ein, jetzt schon entschlossen umzusteuern und ein Teil der Kirche von morgen zu werden.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Alex Lefrank SJ: Kirche ist paradox. Orientierungen für den fälligen Wandel, Würzburg 2016.
[2] Die in Klammern angegebenen Ziffern sind Seitenangaben zu dem genannten Buch von Lefrank; Kursivschreibung in Zitaten entspricht der Vorlage.
[3] Gemeint ist die Beobachtung, dass gerade die katholische Kirche in Deutschland – im Kontrast zu ihrer betonten Berufung auf das Konzil – an einem letztlich vorkonziliaren Selbst- und Mitgliederbild festhält (vgl. die Ausführungen im 1. Beitrag der Artikelreihe).
[4] Das Grund-Paradox der Kirche besteht nach Lefrank darin, dass sie in irdischen Gestalten eine das Irdische sprengende Wirklichkeit geltend macht und zu machen hat, nämlich das Pascha-Mysterium (vgl. die Ausführungen im 1. Teil).
[5] Dieser Schlussteil des Buches ist ungekürzt abrufbar unter: gemeinsam-kirche-sein.de/erneuerung/auf-der-spur-zu-einer-neuen-kirchengestalt

Dienstamt des Katecheten

Mit der Bekräftigung des Katechetendienstes als besonderes Dienstamt von Laien hebt die Kirche gleichzeitig das sakramentale Amt des Priesters hervor. Die Gottesdienstkongregation werde „in Kürze den Ritus der Beauftragung für den laikalen Dienst des Katecheten veröffentlichen“, so Papst Franziskus in seinem auf den 10. Mai 2021 datierten Motuproprio „Antiquum ministerium“. Martin Bürger hat das Dokument auf CNA Deutsch vorgestellt. Nachfolgend eine gekürzte Fassung.

Von Martin Bürger

Papst Franziskus hat den Dienst des Katecheten auf eine Stufe mit jenen von Lektor und Akolyth gestellt – einstmals zwei der sogenannten „niederen Weihen“ (Weihestufen auf dem Weg zum Priestertum), die von Papst Paul VI. abgeschafft und durch von Laien übernommene Dienste ersetzt worden sind. Die Übernahme „eines laikalen Dienstes wie den des Katecheten“, betont Franziskus, hebe „den für jeden Getauften charakteristischen missionarischen Einsatz“ hervor. „Dieser hat jedoch in vollständig laiengemäßer (säkularer) Form stattzufinden, ohne irgendeiner Ausdrucksweise der Klerikalisierung zu verfallen.“

Es handle sich „um einen dauerhaften Dienst an der Ortskirche entsprechend der vom Ortsordinarius erkannten pastoralen Erfordernisse, der aber auf laikale Weise durchgeführt wird, wie es das Wesen dieses Dienstes erfordert“. Es sei gut, „wenn Männer und Frauen mit einem tiefen Glauben und menschlicher Reife zu diesem Katechetendienst berufen werden. Sie sollen am Leben der christlichen Gemeinde aktiv teilnehmen, die Menschen annehmen können, großherzig und fähig zu geschwisterlicher Gemeinschaft sein. Sie sollen die gebührende biblische, theologische, pastorale und pädagogische Ausbildung erhalten, um aufmerksame Kommunikatoren der Glaubenswahrheiten zu sein, und sie sollen bereits eine vorhergehende Erfahrung in der Katechese haben.“ Zudem werde erwartet, „dass sie treue Mitarbeiter der Priester und Diakone sind, bereit, ihren Dienst dort auszuüben, wo es notwendig ist, und beseelt von wahrem apostolischen Eifer“. Einzelheiten zur Ausbildung von Katecheten seien von den Bischofskonferenzen festzulegen.

Papst Franziskus verweist auf das Zweite Vatikanische Konzil, das „mit erneuertem Bewusstsein“ die Wichtigkeit des Mitwirkens von Laien bei der Evangelisierung unterstrichen habe. „Ebenso verdient die Schar der Katechisten Anerkennung, Männer wie Frauen, die so große Verdienste um das Werk der Heidenmission haben“, so sagt das Konzil im Dekret Ad gentes zur Missionstätigkeit der Kirche und betont: „Das Amt der Katechisten hat in unseren Tagen, da es für die Glaubensunterweisung solcher Massen und den Seelsorgedienst nur wenige Kleriker gibt, allergrößte Bedeutung.“ In der Folge habe es ein beständiges Interesse „der Päpste, der Bischofssynode, der Bischofskonferenzen und der einzelnen Hirten“ gegeben, „die im Laufe der vergangenen Jahrzehnte eine bemerkenswerte Erneuerung der Katechese bewirkt haben. Der Katechismus der Katholischen Kirche, das Apostolische Schreiben Catechesi tradendae, das Allgemeine Katechetische Direktorium, das Allgemeine Direktorium für die Katechese und das kürzlich veröffentlichte Direktorium für die Katechese sind zusammen mit den vielen nationalen, regionalen und diözesanen Katechismen ein Ausdruck der zentralen Bedeutung der katechetischen Unterweisung, die Unterricht, Aus- und Weiterbildung der Gläubigen stark in den Vordergrund rückt.“

Im Verweis auf den ersten Korintherbrief zeigt Papst Franziskus die biblische Grundlegung der katechetischen Unterweisung auf. In der Geschichte habe es eine unzählbare Schar von Laien gegeben, „die durch die katechetische Unterweisung unmittelbar an der Verbreitung des Evangeliums mitgewirkt haben. Männer und Frauen, die beseelt von einem tiefen Glauben und als authentische Zeugen der Heiligkeit in einigen Fällen auch Gemeinden gegründet und sogar ihr Leben hingegeben haben. Zahlreiche fähige, standhafte Katecheten leiten auch in unseren Tagen in verschiedenen Regionen der Welt Gemeinden und üben bei der Weitergabe und der Vertiefung des Glaubens eine unersetzliche Mission aus“, so Papst Franziskus.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2021
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Predigt von Bischof Oster am 1. Mai in Altötting

„Siegerin in allen Schlachten“ und „Königin des Friedens“

Am 1. Mai 2021 eröffnete der Passauer Bischof Dr. Stefan Oster SDB in Altötting die Wallfahrtssaison. Zu Ehren der Patrona Bavariae, der Schutzfrau Bayerns, feierte er in der St. Anna-Basilika einen Festgottesdienst und nachmittags eine Maiandacht. Pfr. Erich Maria Fink fasst die Ansprache, die Bischof Oster am Nachmittag gehalten hat, zusammen.

Von Erich Maria Fink

Kurfürst Maximilian habe sein Heer unter den besonderen Schutz Mariens gestellt, die Habsburger seien mit dem Schlachtruf „Maria hilf!“ gegen die Angriffe des Osmanischen Reiches in den Krieg gezogen und schon die Kirchenväter hätten die Mutter des Herrn als „Siegerin in allen Schlachten“ bezeichnet. Gleichzeitig würden wir die Gottesmutter als „Königin des Friedens“ verehren. „Wie passen diese beiden Aspekte zusammen? Ist die Muttergottes eine Kriegerin oder eine Friedenskönigin?“, so fragte Bischof Oster und erklärte: „Die Antwort aus der Geschichte der Kirche ist: beides! Und das hängt natürlich tief miteinander zusammen.“

Auch in Kirche und Gesellschaft gelte es, immer beides zu verbinden: einerseits Zeugnis abzulegen und für die Wahrheit zu kämpfen, andererseits in Friede und Gebet aufeinander zuzugehen. Extreme führten zu „Polarisierungen in der kirchlichen Landschaft“. Wir dürften uns nicht in unserer Welt, die wir für die Wahrheit halten, einigeln und auf die anderen „in der bösen Welt“ schauen, als wären sie „in der Hölle verdammt“. Aber es reiche auch nicht, viel Engagement und Hingabe in sozialen und ökologischen Tätigkeiten zu zeigen, sich dabei aber wenig um Wahrheit und Liturgie zu scheren. Demgegenüber forderte Bischof Oster die Pilger auf: „Wenn Sie ein gläubiger Mensch sind, dann leben Sie mitten in der Welt von heute und sind gleichzeitig im Herzen der Kirche verankert.“ Es bestehe immer ein Spannungsverhältnis zwischen den Werten der Gesellschaft und der Kirche. Doch müsse es bei aller Treue zu den christlichen Überzeugungen in Liebe gelöst werden. Eben darin bestehe Heiligkeit. „Die Versöhnung von Wahrheit und Liebe ist Heiligkeit“, so Bischof Oster. Und das habe Jesus vorgelebt.

Er konnte die Händler mit einer Geißel aus dem Tempel jagen, die Leute, die sich beim Gastmahl sofort die Ehrenplätze aussuchten, vor allen anderen zurechtweisen und gleichzeitig ohne Berührungsängste auf Aussätzige zugehen. „Christus ist die Wahrheit und sagt sie unmissverständlich.“ Zum Beispiel spricht er „kompromisslos von der Eucharistie und Seiner Gegenwart in Seinem Fleisch, das Er zu essen gibt.“ Als die Leute daran Anstoß nehmen, lässt er sich nicht beirren. „Und er ist die Liebe“, so Bischof Oster. Wie Jesus Wahrheit und Liebe versöhnt, werde vollends am Kreuz offenbar, als er sich wie ein Lamm zum Schlachten führen lässt und verstummt. „Er ist nicht verdächtig, für die Wahrheit zu kämpfen und heimlich doch nur sich selbst zu meinen. Und er ist nicht verdächtig, sich zu engagieren, zu lieben und heimlich doch nur den Applaus für sich bekommen zu wollen. Ihm geht es immer nur um den Vater: Ich bin gekommen, in allem den Willen meines Vaters zu tun“, so fasst Oster das Beispiel Christi als Wegweisung für uns Gläubige zusammen. Allerdings sei es ein „Reifungsweg“, ein „geistlicher Kampf“, bis wir dahin gelangten, „Ihn zur Mitte werden zu lassen, und alles, was wir tun, um Seinetwillen zu tun“. 

In der Nachfolge Christi sei Maria diesen Weg gegangen. „Sie bleibt dem Herrn treu in allen Lebenslagen, bis unter das Kreuz.“ Auch an Pfingsten, bei der Ausgießung des Geistes, dem „Geburtsereignis der Kirche schlechthin“, sei sie dabei, „weil sie die Kirche selber ist. Aber sie ist auch die, die immer auf Ihn verweist.“

Immer schaue Maria auf ihren Sohn und bleibe an seiner Seite. Und so schloss Bischof Oster seine Predigt mit den Worten: „In diesem geistlichen Bleiben bei Ihm ist sie beides: die ‚Siegerin in allen Schlachten‘ und die ‚Königin des Friedens‘. Wenn wir an ihrer Seite mit dem Herrn gehen, auf Ihn schauen und dann Zeugnis geben, das heißt, uns in die Schlacht werfen, dann bleiben wir im Frieden, wenn wir ihren Herzensblick behalten. Ich wünsche uns, liebe Schwestern und Brüder, dass wir so hinausgehen: versöhnungsbereit mit jedem Menschen, aber auch zeugnishaft für die Wahrheit, dass wir bei ihr bleiben, der ‚Siegerin in allen Schlachten‘, und dass wir mitten darin immer neu den Frieden erfahren dürfen. Sie ist die ‚Königin des Friedens‘. Maria, Patrona Bavariae, Königin des Friedens, Siegerin in allen Schlachten, bitte für uns alle! Amen.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2021
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Entwicklung „neuer“ Menschenrechte (3)

Gibt es „das Recht zu sterben“?

Im dritten Teil der Artikelserie über die Entwicklung „neuer“ Menschenrechte geht es um das konkrete Recht zu sterben. Der Rechtswissenschaftler Grégor Puppinck zeigt auf, dass sich siebzig Jahre nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) ein solches Recht nur auf dem Hintergrund einer neuen Definition der Würde des Menschen herausbilden konnte. Demnach sei die Menschenwürde nicht seinsmäßig mit dem Leben des Menschen gegeben, sondern von der subjektiven Wahrnehmung der „Lebensqualität“ abhängig und dem eigenen Willensurteil unterworfen. Der Gesetzgeber stützt sich dabei auf das Recht auf Selbstbestimmung und das Recht, über den eigenen Leib zu verfügen. Dieser Ansatz ist mit dem christlichen Menschenbild unvereinbar.[1]

Von Grégor Puppinck

Seit ungefähr zehn Jahren setzt sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) für die Anerkennung eines Rechts des Einzelnen ein, „selbst darüber zu bestimmen, auf welche Weise und zu welchem Zeitpunkt sein Leben ein Ende nehmen soll, vorausgesetzt, dass er in der Lage ist, seinen Willen frei zu bilden und entsprechend zu handeln“.[2] Dieses neuartige Recht leitet der Gerichtshof aus dem individualistischen Konzept der Menschenwürde ab, wobei er sich auf das Recht auf Selbstbestimmung und das Recht, über den eigenen Leib zu verfügen, stützt. Dem neuen Recht wird die Überlegung zugrunde gelegt, dass „in einem durch medizinischen Fortschritt und eine wachsende Lebenserwartung gekennzeichneten Zeitalter viele Menschen befürchten, dass man sie dazu zwingt, bis zu einem sehr hohen Alter und in einem Zustand des schlimmen körperlichen und geistigen Verfalls am Leben zu bleiben, der sich in einem völligen Gegensatz zu der Wahrnehmung befindet, die sie von sich selbst und ihrer persönlichen Identität haben“.[3]

Einmal mehr konnte sich der EGMR hier an den Gerichtsinstanzen jenseits des Atlantiks[4] und an der UN-Bürokratie inspirieren, – hier insbesondere am Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der kurz zuvor „die Notwendigkeit“ bekräftigt hatte, „chronisch oder terminal Kranken die Aufmerksamkeit und die Behandlung zukommen zu lassen, die sie sich wünschen, um ihnen sinnloses Leiden zu ersparen und ihnen ein Sterben in Würde zu erlauben."[5]

Der EGMR leitet aus dem Grundsatz der Selbstbestimmung ein Recht ab, freiwillig zu sterben. Diese Selbstbestimmung sei der Ausdruck der Freiheit und Würde, wie sie das Individuum selbst wahrnehme: eine reflexive Würde. Jeder ist demnach der Richter über seine eigene Würde, die nicht mehr inhärent und absolut, sondern subjektiv und relativ ist; die Gesellschaft schuldet ihr aber dieselbe Achtung wie der althergebrachten ontologischen Würde. Nach dieser Auffassung der Menschenwürde würde das Leben einer schwerbehinderten Person, die über keine individuelle Selbstbestimmung und keine Hoffnung auf persönliche Entfaltung mehr verfügt, seinen Wert einbüßen; die Absurdität einer solchen individuellen Existenz wäre demnach manifest und für die betroffene Person selbst und ihre Angehörigen unerträglich. Der Freitod wäre ein Ausweg aus dieser Absurdität und würde paradoxerweise die Menschlichkeit des Individuums erweisen, indem er die Herrschaft des menschlichen Willens – oder auch der Willkür – über die Absurdität der Natur aufrechterhielte. Die Willkür des Willens wäre immer noch besser als die Absurdität der Natur. Durch diesen höchsten Akt der Freiheit gegen die Natur würde die Würde des Menschen bewahrt. In diesem Sinne forderte Nietzsche, dass „das Fortvegetiren in feiger Abhängigkeit von Ärzten und Praktiken, nachdem der Sinn vom Leben, das Recht zum Leben verloren gegangen ist, (…) bei der Gesellschaft eine tiefe Verachtung nach sich ziehn“ sollte, während der „aus freien Stücken gewählte“ Tod es ermöglicht, „auf eine stolze Art (zu) sterben, wenn es nicht mehr möglich ist, auf eine stolze Art zu leben“.[6]

Noch 1983 hatte die alte Europäische Menschenrechtskommission entschieden, dass der assistierte Suizid „direkt das Privatleben des Selbstmordkandidaten betrifft“, sich zugleich aber der Forderung nach einem Recht auf assistierten Suizid widersetzt, da „die Beihilfe oder Beratung beim Selbstmord (…) dem allgemeinen Interesse am Schutz des Lebens zuwiderlaufen“ und daher „vom Begriff des Privatlebens ausgenommen ist“.[7]

Dennoch wurde ein Recht auf assistierten Suizid zunächst schwerbehinderten und schwerkranken Personen zugestanden, wegen ihrer physischen Leiden und ihrer Verzweiflung. In weiterer Folge wurde es auch von Personen beansprucht, die an Depressionen litten, dann von solchen, die ganz einfach lebensmüde waren, und zuletzt von solchen, die die Bürden des Alters vermeiden wollten. Die Gesetzgebung jener Länder, die die Euthanasie zulassen, zeigt ebenso wie die Rechtsprechung des EGMR, dass das einzige wirkliche Kriterium für den assistierten Suizid nicht der Gesundheitszustand der betreffenden Person ist, sondern ihr Wille.[8]

Es ist also nicht mehr das Leben, dem Wert beigemessen wird, sondern der Wille. Man muss unterstreichen, dass das Argument zugunsten der Freiheit zu sterben im Respekt vor dem individuellen Willen besteht, dem Vorrang vor dem Leben zuerkannt wird. Mit dem individuellen Gesundheitszustand steht dies nicht in direkter Verbindung. So steht es im Einklang mit dieser Freiheit, dass jedermann, wie immer es um seine Gesundheit bestellt sein mag, dieses Recht jederzeit ausüben darf, sobald ihm der Sinn danach steht.[9] Wenn der Gerichtshof von „Missbrauchsrisiken“ spricht, die „einem System, das den Zugang zum assistierten Suizid ermöglicht, inhärent sind“,[10] dann tut er dies nicht, um das Leben der betreffenden Personen, sondern um ihren Willen zu schützen. Zu diesem Zweck fordert der Gerichtshof, dass jene Staaten, die den assistierten Suizid erlauben, „ein spezielles Verfahren einrichten müssen, um sicherzustellen, dass eine Entscheidung, das eigene Lebensende herbeizuführen, tatsächlich dem Willen der betreffenden Person entspricht“, und sie daran zu hindern, „ihren Tagen ein Ende zu setzen, wenn die Entscheidung dazu nicht frei und mit vollem Bewusstsein geschieht“.[11] Nach Ansicht des Gerichtshofs besteht also der Respekt vor dem Recht auf Leben schlicht und einfach im Respekt vor dem freien Willen der betreffenden Person, der sich somit als Ursprung und Vorbedingung eines Rechts auf Selbstmord herausstellt. Die Objektivität der Achtung des Rechts auf Leben wird von der Subjektivität des Willens absorbiert.

Als logische Folge des assistierten Suizids ist auch der Verzicht auf medizinische Behandlung zu einem Grundrecht geworden. Für den EGMR „würde sich das Aufzwingen einer medizinischen Behandlung ohne Zustimmung des Patienten, wenn dieser erwachsen und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist, als Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit darstellen“, selbst wenn das Unterbleiben der Behandlung „einen fatalen Ausgang nach sich ziehen könnte“.[12] Einmal mehr ist der Wille wichtiger als das Leben. Der französische Gesetzgeber hat mit der Schaffung eines „Rechtes auf tiefe und fortgesetzte Sedierung bis zum Tod“ dieselbe Richtung eingeschlagen, um so jedermann „ein Recht auf ein würdiges und friedvolles Lebensende“ zu garantieren.[13] Diese Sedierung besteht darin, eine Person unter Drogen zu setzen, um ihre Schmerzwahrnehmung und ihr Bewusstsein bis zu ihrem Tod auszuschalten. Hier ist es also die freiwillige Ausschaltung des Bewusstseins, die die Würde der Person angesichts ihres körperlichen Verfalls sicherstellen soll. Der Geist triumphiert, indem er sich freiwillig vom Körper trennt.

Subjektivierung des Lebens zugunsten der „Lebensqualität“

Das menschliche Leben wird zu etwas Subjektivem gemacht, dabei war doch gerade der Respekt vor dem Leben ein Eckstein, ein Dogma der Menschenrechtskonvention, die überhaupt keine Ausnahmen duldet, außer im Kriegsfall oder im Fall der Todesstrafe. Das menschliche Leben war für „heilig“ und unantastbar erklärt worden: gemäß Artikel 2 der Konvention darf „niemand (…) absichtlich getötet werden“, selbst wenn er zustimmt. Man sollte sich daran erinnern, dass die Konvention als Reaktion auf die materialistischen Ideologien, den Nazismus und den Kommunismus, geschaffen wurde, die, indem sie dem Rassenwahn und den progressistischen Idealen einen Vorrang vor dem Recht auf Leben einräumten, in der Ermordung ganzer Gesellschaftsschichten resultierten. Es war daher von entscheidender Bedeutung, dass keiner Überlegung der Vorrang vor der Achtung des Lebens eingeräumt werden durfte, bis hin zu dem Punkt, an dem die Mitgliedstaaten sich dazu verpflichtet haben, hinkünftig auf die Verhängung der Todesstrafe zu verzichten.[14]

Die absolute Achtung des menschlichen Lebens ist dabei zusammenzubrechen – sie fällt der dualistischen Konzeption des Menschen zum Opfer. Nach dieser Konzeption gäbe es keine Identität zwischen dem Individuum und seinem Leben. Das Leben wäre nur eine biologische Gegebenheit, die der Mensch mit Pflanzen und Tieren gemeinsam hat, und die ob ihres materiellen Charakters geringzuschätzen ist. Es ist nicht das, was den Menschen ausmacht. Nach dieser Denkweise ist das Leben nur eine Quantität, eine bewusstseinsfreie Materie, die auf der Erde und vielleicht sogar über das ganze Universum ausgebreitet ist; es ist eine fruchtbare Quelle roher Energie, die – wie jede andere Materie – vom menschlichen Geist beherrscht und transformiert werden muss, um Form und Wert zu gewinnen. Was den Menschen ausmacht und Anerkennung verdient, ist demnach nicht das Leben selbst, sondern dessen qualitative Bewertung durch den individuellen Geist. Der EGMR hat dieser subjektiven Bewertung einen Namen gegeben: „die Lebensqualität“,[15] die er mit dem Schutz des Privatlebens in Verbindung bringt. Für den Gerichtshof hängt Lebensqualität mit „der Selbstwahrnehmung“ bzw. der „Vorstellung, die jemand von seiner eigenen Identität hat“, zusammen.[16] Dieser Begriff wurde wiederum von der Weltgesundheitsorganisation 1993 dahingehend definiert, dass er „die Wahrnehmung“ bezeichnet, „die ein Mensch von seinem Platz im Leben hat, im Kontext der Kultur, in der er lebt, und im Hinblick auf seine Ziele, seine Erwartungen, seine Normen, und seine Ängste“. Und weiter: „Es handelt sich um ein sehr weitgefasstes Konzept, das in komplexer Weise von der physischen Gesundheit und dem psychologischen Zustand des Einzelnen, dem Grad seiner Unabhängigkeit, seinen sozialen Beziehungen sowie seinen Beziehungen zu den wesentlichen Gegebenheiten seiner Umgebung bestimmt wird“. Einfacher ausgedrückt: Es handelt sich um den Grad seines persönlichen Glücklichseins.

Es ist gerade die Subjektivierung des menschlichen Lebens, die es erlaubt, das Leben nicht mehr als eine Gegebenheit zu betrachten, die man nicht antasten darf, sondern als eine Trägersubstanz für ein qualitatives Empfinden: dies ermöglicht die Rechtfertigung des Selbstmordes und der Euthanasie, die letztlich nichts anderes sind als die Aufopferung von Lebenszeit zugunsten der Lebensqualität. Der Gegensatz zwischen Qualität und Quantität ist ein Leitmotiv des materialistischen und evolutionistischen Denkens, das niemals davon ablässt, die Aufopferung der letzteren zugunsten der ersteren anzuraten, da dies das Herzstück jenes Prozesses sei, den wir als Fortschritt kennen. Dieser Denkweise zufolge besteht das Universum aus Materie, aus Quantität, während der Mensch dank seines Geistes Zugang zum Bewusstsein der Qualität hat. Die Quantität zählt jedoch nur insofern, als sie die Trägersubstanz der Qualität ist, denn ohne ein Bewusstsein, das sie zu würdigen weiß, würde die Quantität sich vom Nichts nicht unterscheiden. Das Bewusstsein ist die Vorbedingung und das Maß der Qualität. Ein Leben ohne Bewusstsein (wie z.B. das Leben einer Pflanze) hätte rein quantitativen Charakter, es wäre eine dem Nichts sich annähernde Materie, und könnte jedenfalls nicht mehr als menschlich betrachtet werden.

Was dem menschlichen Leben eigen ist, wäre demnach nicht das Leben an sich, d.h. der von Art. 2 der EMRK geschützte biologische Prozess, sondern der Wert, den jeder von uns seinem eigenen Leben beimisst, der nunmehr durch das Recht auf Achtung des Privatlebens in Art. 8 der Konvention geschützt wird. Die Würde des Einzelnen würde es demnach erfordern, der Achtung der Lebensqualität Vorrang vor der Achtung des Lebens selbst einzuräumen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Grégor Patrick Puppinck: Der denaturierte Mensch und seine Rechte, Be+Be-Verlag. 2021, Hardcover, 274 S., ISBN 978-3-903602-07-6, Euro 21,90; Tel.: 0043 (0) 2258 8703-400; E-Mail: bestellung@bebeverlag.at – www.klosterladen-heiligenkreuz.at
[2] EGMR: Haas gegen Schweiz, 31322/07, 20. Januar 2011, § 51; dieselbe Formulierung findet sich auch in Koch gegen Deutschland, 497/09, 19. Juli 2012, § 52.
[3] EGMR: Pretty gegen Vereinigtes Königreich, 2346 /02, 29. April 2002, § 65; Koch gegen Deutschland, 497/09, 19. Juli 2012, § 51, Gross gegen Schweiz, 67810/10, 14. Mai 2013, § 58.
[4] Supreme Court of Canada: Rodriguez v. British Columbia (3 SCR 519, 1993 CanLII 75 [SCC], 30. September 1993).
[5] UN Committee on economic, social and cultural rights, General Comment Nr. 14: The Right to the Highest Attainable Standard of Health (Art. 12), 2000.
[6] Friedrich Nietzsche: Streifzüge eines Unzeitgemäßen, § 36, in: Götzen-Dämmerung.
[7] EKommMR: R. gegen Vereinigtes Königreich, 10083/82, 4. Juli 1983, § 13.
[8] Siehe Grégor Puppinck und Claire de la Hougue: The Right to Assisted Suicide in the Case Law of the European Court of Human Rights, International Journal of Human Rights, vol. 18, 2014, Issue 7-8.
[9] Das Recht auf assistierten Suizid wäre somit nicht nur kranken oder bettlägerigen Personen vorbehalten, deren Wille wankelmütig sein kann, sondern müsste seiner eigenen Logik zufolge jedermann zustehen, insbesondere aber gerade jenen, die sich im Vollbesitz ihrer Kräfte befinden.
[10] EGMR: Haas gegen Schweiz, 31322/07, 20. Januar 2011, § 58. In der Entscheidung R. gegen Vereinigtes Königreich vom 4. Juli 1983, § 13, hatte die alte EKommMR bereits darauf hingewiesen, dass ein Staat „Maßnahmen treffen kann, die darauf abzielen, das Leben der Bürger, und zwar besonders jener, die aufgrund ihres Alters oder ihrer Krankheit besonders schutzbedürftig sind, gegen jede kriminelle Handlungsweise zu schützen“.
[11] EGMR: Haas gegen Schweiz, 31322/07, 20. Januar 2011, §§ 54 und 58.
[12] EGMR: V.C. gegen Slowakei, 18968/07, 8. November 2011, § 105. Siehe auch Pretty gegen Vereinigtes Königreich, 2346/02, 29. April 2002, §§ 63 und 65, Glass gegen Vereinigtes Königreich, 61827/00, 9. März 2004, §§ 82-83; und Zeugen Jehovas Moskau gegen Russland, 302/ 02, 10. Juni 2010, § 135.
[13] Loi no 2016-87 du 2 févier 2016 créant de nouveaux droits en faveur des malades et des personnes en fin de vie.
[14] 13. Zusatzprotokoll zur EMRK vom 3. Mai 2002.
[15] EGMR: Pretty gegen Vereinigtes Königreich, 2346/02, 29. April 2002, § 65; Koch gegen Deutschland, 497/09, 19. Juli 2012, § 51; Gross gegen Schweiz, 67810/10, 14. Mai 2013, § 58.
[16] EGMR: Pretty gegen Vereinigtes Königreich, 2346 /02, 29. April 2002, § 65.

„Porneia“ und „moicheia“: Unzucht und Ehebruch

Pfarrer Dr. Richard Kocher, Programmdirektor des christlichen Senders „radio horeb“, nimmt zur Diskussion um die kirchliche Sexualmoral Stellung. Dabei zitiert er aus einem gemeinsamen Hirtenbrief der österreichischen Bischöfe vom Jahr 1967, also kurz nach dem II. Vatikanischen Konzil. Die mutigen Worte sind für gläubige Christen, die Orientierung suchen, erfrischend. Angesichts der derzeitigen Krise ist es geradezu undenkbar geworden, dass unsere Bischöfe ein gemeinsames Wort in dieser Klarheit veröffentlichen würden.

Von Richard Kocher

Es ist heute oft zu hören, dass es in der Bibel keine eindeutigen Aussagen zur Sexualmoral geben würde; außer Ehebruch könne kein Sexualverhalten als sündhaft bezeichnet werden. Schon in den 60er Jahren wurden solche Meinungen vertreten. Dazu schrieben die österreichischen Bischöfe in ihrem gemeinsamen Hirtenbrief vom 28.2.1967: „In Vorträgen wurde schon ausgesprochen, der voreheliche Geschlechtsumgang sei in der Bibel nirgends verboten. Desgleichen, die Schamhaftigkeit habe im Familienbereich keinen Raum. Im Familienraum gehe also nichts gegen die Schamhaftigkeit. Was ist dazu zu sagen? In Epheser 5,3 heißt es: ‚Unzucht, jederlei Unreinheit oder Habgier soll es unter euch nicht einmal dem Namen nach geben, wie es sich für Heilige ziemt.‘ Was hier mit ‚Unzucht‘ übersetzt ist, heißt im Urtext ‚porneia‘. Porneia aber ist nach den besten griechischen und neutestamentlichen Wörterbüchern der außereheliche Geschlechtsumgang jeder Art… Zur Ergänzung ist zu sagen, dass für den Ehebruch im Griechischen durchaus ein anderes Wort zur Verfügung steht, nämlich moicheia. Wie kann also gesagt werden, dass in der Bibel oder im Neuen Testament im Besonderen kein Verbot des außerehelichen Geschlechtsumganges ausgesagt sei? Sicher wird es vor Gott nicht ganz das gleiche sein, wenn sich ein junger Mann mit seiner Braut, der er die Ehe versprochen hat, verfehlt, wie wenn sich jemand ganz zuchtlos mit Mädchen geschlechtlich abgibt. Deswegen haben wir aber nicht das Recht zu sagen, das sei erlaubt, weil ja im Neuen Testament auch in der unmittelbaren Lehre Jesu die unbedingte Ablehnung jedes außerehelichen Umganges, auch schon in Gedanken, ausgesprochen wird. Dafür könnten noch viele Belegstellen angeführt werden.“ An diesem biblischen Befund hat sich nichts geändert; er ist nach wie vor gültig. Jeder kann sich davon überzeugen und im Katechismus der katholischen Kirche nachlesen (2351 bis 2356).

In der Genesis sind die wesentlichen Aspekte des Menschen und seiner Sexualität dargelegt: Er ist nach Gottes Ebenbild geschaffen (Gen 1,27a). Mann und Frau ergänzen sich, sind komplementär (Gen 1,27b). Daraus entsteht Fruchtbarkeit, Generativität; sie werden Vater und Mutter (Gen 1,28) in gegengeschlechtlicher Verwiesenheit (Gen 2,23). Im Zeugungsakt werden sie ein Fleisch (Gen 2,24). Das ist die Schöpfungsordnung und jeder Sinn von Sexualität, nicht mehr und nicht weniger. Wenn diese fundamentalen Gegebenheiten nicht mehr erkannt und respektiert werden, kommt es zu Zerstörungen, deren Ausmaß immer bedrohlicher wird. Hier einige Schlagworte, die Bernhard Meuser in seinem Buch „Freie Liebe. Über neue Sexualmoral“ (ISBN 978-3-03848-203-1) zusammengestellt hat: Die Dekonstruktion der klassischen Familie, das Postulat der Tötung eines Menschen im Mutterleib als Menschenrecht, die Verharmlosung der sexuellen Begierde, „als sei die Konkupiszenz ein fröhliches Spaßteil für alle“, Leihmutterschaft und eine immer skrupellosere Fortpflanzungs-Industrie sowie die Pornografie als Milliardengeschäft.

In einer Meldung der Deutschen Presseagentur vom 17. März 2021 heißt es dazu: „Studien zufolge sind zwischen fünf und acht Prozent der Bevölkerung süchtig nach Internetpornos.“

Für uns als Christen gibt es nur den einen Weg: dass wir uns an dem orientieren, was in den Offenbarungsurkunden des Alten und Neuen Testamentes zur menschlichen Sexualität gesagt worden ist. Die Versuchung, das Wort Gottes so auszulegen, dass es unserer Triebhaftigkeit und Begierde entspricht, ist groß. Die französische Schriftstellerin Madeleine Delbrêl (1904-1964), die in einem Vorort von Paris in einem kommunistischen Umfeld nach den evangelischen Räten gelebt hat, zeigt uns den richtigen Umgang mit dem Wort Gottes auf:

„Das Wort Gottes will Fleisch werden in uns. Das Wort Gottes trägt man nicht in einem Köfferchen bis ans Ende der Welt: Man trägt es in sich, man nimmt es mit sich auf den Weg.

Man stellt es nicht in eine innere Ecke, in einen Winkel des Gedächtnisses, um es aufzuräumen wie das Fach eines Schrankes. Man lässt es bis auf den Grund seiner selbst sinken, bis zu dem Dreh- und Angelpunkt, in dem sich unser ganzes Selbst dreht.

Missionar sein kann man nur, wenn man dem Wort Gottes, dem Evangelium, in sich selbst einen offenen, weiten, herzlichen Empfang bereitet hat. Der lebendige Drang dieses Wortes geht dahin, Fleisch zu werden, in uns. Und wenn wir so von ihm bewohnt sind, dann sind wir dafür geeignet, Missionar zu werden.

Doch täuschen wir uns nicht: Es ist eine große Verpflichtung, die Botschaft unverfälscht in sich zu empfangen; deshalb gibt es so viele von uns, die sie schminken, verstümmeln, verharmlosen. Man hat das Bedürfnis, sie der Tagesmode anzupassen – so als wäre Gott nicht alle Tage ‚in Mode‘, als müsste man ihn überarbeiten.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2021
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Christoph Probst (1919-1943)

Freiheit, Frieden und Familienglück

Ein Jubiläum hat den Blick erneut auf die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ gelenkt, nämlich der 100. Geburtstag von Sophie Scholl am 9. Mai 2021. Sie stammte aus einer evangelischen Familie (Mutter eine ehemalige Diakonissin, Vater ein Skeptiker), fühlte sich aber aufgrund der intensiven Lektüre von Augustinus und John Henry Newman und auch dank der Begegnung mit Carl Muth und Theodor Haecker sehr zum katholischen Glauben hingezogen. Der 23 Jahre alte Christoph Probst, der ebenfalls am 22. Februar 1943 hingerichtet wurde, bat kurz vor seinem Tod den katholischen Gefängnisgeistlichen um die Taufe und die hl. Kommunion. Als junger Vater hatte er bereits die beiden Söhne Michael und Vincent taufen lassen und selbst mit der Vorbereitung begonnen. Jakob Knab zeichnet in seinem Beitrag das eindrucksvolle Lebensbild eines Menschen, der in Grundwerten wie Freiheit, Frieden und Familienglück das Geheimnis des Lebens entdeckt hat.

Von Jakob Knab

„Auch im schlimmsten Wirrwarr kommt es darauf an, dass der Einzelne zu seinem Lebensziele kommt, zu seinem Heile kommt, welches nicht in einem ,Erreichen‘ gegeben sein kann, sondern nur in der inneren Vollendung seiner Person. Denn das Leben fängt ja nicht mit der Geburt an und endigt im Tod."[1] Diese reifen Einsichten schrieb Christoph Probst im August 1942 im Alter von 22 Jahren nieder. Er konnte nicht ahnen, dass sein junges Leben schon ein halbes Jahr später unter dem Fallbeil der Nazi-Henker enden würde.

Wechselvolle Jugend- und Schulzeit

Christoph Hermann Ananda[2] Probst wurde am 6. November 1919 als zweites Kind von Hermann und Katharina Probst in Murnau am Staffelsee geboren. Bereits im Juli dieses Jahres hatte die junge Ehefrau zusammen mit der kleinen Angelika ihren Ehemann verlassen. Zwei Jahre später wurde die Scheidung ausgesprochen. Hier schon deutet sich das bestimmende Muster in der Lebensgeschichte von Christoph Probst an: Wechsel und Umzug, Änderungen und Brüche, aber gleichzeitig eine tiefe Sehnsucht nach Freundschaft, Geborgenheit und Liebe. Auffallend sind ebenso die zahlreichen Schulwechsel. Im ersten Schuljahr erhielt Christoph Privatunterricht von seiner Mutter. Ende April 1927 wurde er an der Murnauer Knabenvolksschule angemeldet. 1926 heiratete Hermann Probst in Oberstdorf die knapp zehn Jahre ältere Elise Jaffée, geb. Rosenthal, die seit 1917 ohnehin zur Familie gehörte. Im Jahr danach, als Hermann Probst 1927 mit Sohn Christoph vorübergehend ins Allgäu übersiedelte, besuchte Christoph die Privatschule Dr. Schult in Oberstdorf. 1928 zog die Mutter mit den beiden Kindern Angelika und Christoph zu ihrem neuen Ehemann Dr. Eugen Sasse nach Nürnberg-Wolkersdorf.

Christoph besuchte nun – bis Ostern 1930 – das dortige Humanistische Gymnasium. Daher entwickelte sich in dieser Zeit eine enge und vertraute Beziehung zu seinem Stiefbruder Dieter Sasse. 1932 trennte sich Christophs Mutter Katharina von Eugen Sasse und zog von Nürnberg in den Chiemgau um. Bereits 1929 wiederum war Vater Hermann von Kochel in das Dorf Zell bei Ruhpolding umgezogen. Von 1932 bis 1935 war Christoph daher externer Internatsschüler des Landerziehungsheims Marquartstein im Chiemgau. Unruhe sowie Wechsel der Orte und Personen prägten also das junge Leben von Christoph Probst.

Das genaue Datum, wann Christoph Probst in die HJ (Hitlerjugend) eingetreten ist, ist nicht bekannt. Doch im November 1934 berichtete er seinem Stiefvater: „Ich habe sehr viel zu tun, daß ich sehr viel anderes lassen muß. Zu der schulischen Arbeit kommt noch die H.J. mit ihren großen Anforderungen auf die Freizeit und die Geige."[3] Im Schuljahr 1935/36 war Christoph Probst Schüler des Neuen Realgymnasiums in München, dem jetzigen Albert-Einstein-Gymnasium. Da der Beitritt zur Hitlerjugend freigestellt war, trat er nicht ein. Hier in München begegnete er seinem Klassenkameraden Alexander Schmorell. Dieser war im September 1917 in Orenburg (Ural) geboren. Aufgrund der Wirren des Bürgerkrieges war der Arzt Hugo Schmorell mit seiner zweiten Ehefrau nach München emigriert. Christoph Probst und Alexander Schmorell verband bald eine „unzerreißbare Freundschaft“. Und diese Freundschaft, so denke ich, gehört auch zu den Geburtsstunden der späteren Weißen Rose.

Im April 1936 kam es zu einem weiteren Schulwechsel. Ab Ende April 1936 besuchte er das Landerziehungsheim Schondorf am Ammersee. In Schondorf war der Beitritt zur HJ Pflicht. Die HJ lockte mit Abenteuern. Christoph Probst war bestrebt, die Anforderungen der HJ zu erfüllen. So schrieb er an seine Stiefmutter: „Heute morgen war ein H.J. Geländespiel –  sehr gut organisiert, aber sehr anstrengend. Ich habe mich natürlich auch sehr beteiligt, trotzdem ich geschwächt war durch meinen Heuschnupfen."[4] Begeistert teilte er seiner Mutter und seiner Stiefmutter mit: „Ich habe auch einen schönen Sonntag erlebt mit zwei großen Sonnwendfeiern! Das erste war in der H.J. Ein riesiger Holzstoß wurde abgebrannt und die Siegernadeln vom Sportwettkampf wurden verteilt. Auch ich habe sie bekommen."[5] In den Briefen dieser Zeit berichtete er immer wieder von seiner sportlichen Tüchtigkeit.

Ende Mai 1939 schrieb der „innig liebende Christel“ noch ahnungslos an seinen „lieben, guten Paps“: „Hoffentlich ist es zu Pfingsten schönes Wetter, daß wir unsere geplante Fahrt nach Mittenwald unternehmen können. Es wäre zu schön, einmal wieder ein paar Tage im Gebirge zuzubringen. Die Fahrt soll von der H. J. unternommen werden und drei Tage dauern. Wie geht es Dir, Paps? (…) Ich wünsch Dir recht schöne Pfingsttage."[6] Just in der Zeit, als sich Christoph für die Geländespiele der HJ begeisterte, erreichte ihn eine traurige Nachricht: Sein Vater Hermann hatte seinem Leben am 29. Mai 1936 in der Nervenklinik Kennenburg (Esslingen) im Alter von 50 Jahren ein Ende gesetzt. Der Verlust seines Vaters berührte ihn tief: „Oft träume ich in den letzten Nächten von Papa und bin dann morgens immer froh. (…) Papas Bilder sind mir wie eine Nahrung. Wenn ich an die Touren denk, wird mir ganz weh ums Herz – wie schön, wie schöne, waren sie durch Papa, welchen Glanz warf er auf alles, wie froh bin ich, dass ich unter seinem Glanz leben darf, wir alle."[7]

Christoph richtete nun vermehrt Briefe an seine Stiefmutter Elise, der zweiten geschiedenen Frau seines Vaters: „Wenn es Dir schlecht geht, so denke nur immer an das Herrlichste, was uns armen Menschen vom Himmel gegeben ist, die Liebe. Oft habe ich mich in schweren Stunden nach etwas Absolutem, nach einem Fels, der aus all dem Nebel der Täuschungen herausragt, gesehnt, an dem ich mich festhalten kann, weil alles um mich herum wandelbar und glitschig war. Erst neulich habe ich den Fels gefunden, es ist die Liebe. (…) Liebe herrscht überall, auf jeder Welt und zwischen den Welten. Sie herrscht zwischen ,Toten‘, die mehr Leben in sich haben als die Menschen der Welt, und den Lebenden, die vielleicht Tote sind."[8] Der 17jährige Jugendliche idealisierte nun seinen Vater: „Bei allem Edlen und Schönen, was ich sehe, muß ich an Papa denken, weil er selbst so edel war und das Edle so liebte. Kein Mensch konnte mich jedoch bisher an ihn erinnern, da ich noch keinen fand, der nur einen Teil seines Adels in sich trug. Dies letztere erfüllt mich mit Stolz und Verzweiflung zugleich."[9]

Spannung zwischen Krieg und Frieden

1937 legte Christoph Probst sein Abitur im Landerziehungsheim Schondorf am Ammersee ab. Nach dem Ende der Schulzeit musste er den Reichsarbeitsdienst (RAD) im niederbayrischen Arbing im Landkreis Deggendorf ableisten.[10] Um einen Studienplatz zu sichern, meldete er sich freiwillig zur Wehrmacht. Anfang November 1937 begann er seine militärische Grundausbildung bei einer Luftwaffeneinheit in München-Freimann. Ein Jahr später schloss er als Sanitätssoldat im Fliegerhorst Schleißheim vorläufig seinen Wehrdienst ab.

Im Sommersemester 1939 begann Probst mit dem Studium der Humanmedizin an der Universität München. Mit Kriegsbeginn im September 1939 gehörte er zur Studentenkompanie der Luftwaffe; er war nun Unteroffizier der Luftgau-Sanitätsabteilung 7. Von Anfang April 1940 bis Ende August 1940 war er als Sanitätsfeldwebel in Altenstadt bei Schongau stationiert.[11] Den Beginn des Westfeldzugs kommentierte er mit den Worten vom „unvermeidlichen mörderischen Kriegsanfang“, von der „elementaren Gewalt so kosmischen Geschehens“ und von der „todbringenden Brandung“.[12] Damals im Mai 1940 hoffte er auf ein baldiges Ende des Krieges.

Im Juni 1940 kam Sohn Michael zur Welt.[13] Die Eltern Christoph Probst und Herta Dohrn[14] heirateten jedoch erst ein gutes Jahr später im August 1941. In der Familie fand sich der Ort, wo sich seine Sehnsucht nach Frieden und Geborgenheit erfüllte, wo Krieg und NS-Gewaltherrschaft keinen Zutritt hatten. Im Dezember 1941 erblickte der zweite Sohn das Licht der Welt. Als Vincent Hermann Matthias im Juni 1942 in Ruhpolding getauft wurde, war der „Schulfreund“ Alexander Schmorell der Taufpate. Um diese Zeit versuchte sein tief religiöser Schwiegervater Harald Dohrn,[15] der zur katholischen Kirche konvertiert war, Christoph zu einer kirchlichen Trauung zu bewegen.

Im Wintersemester 1940/41 konnte Probst als Student der Humanmedizin an die Universität München zurückkehren. Ab Ende Januar 1941 war er wieder am Fliegerhorst Schongau stationiert.

Doch Ende Oktober 1941 wurde er zur Studentenkompanie nach Straßburg versetzt. In einem Brief spricht er davon, wie der Chef bestrebt sei, aus ihnen eine vorbildliche Kompanie zu machen. Er klagt auch über das häufige Antreten mit Befehlsausgabe. Und er klagt wieder über den Chef, der aus ihnen 100prozentige Soldaten machen will. Und er klagt: „Man fühlt sich eben nie zuhause in einer Kaserne."[16] Und zwei Tage später: „Es ist eine Art besseres Exil. Alles riecht nach Militär.“

Bereits im Juni 1940 hatten Einheiten der Wehrmacht diese Stadt erobert; die Kriegspropaganda sprach vom „wiederbefreiten Elsaß“. Auf dem Münster wurde die Hakenkreuzflagge gehisst; die Reichsuniversität Straßburg wurde als tiefbraune Kaderschmiede gegründet. Ziel war die „Rückverdeutschung“. In der feierlichen Eröffnungsrede vom 23. November 1941, zu Beginn des WS, gab der Reichsdozentenführer[17] dieses Ziel für die „NS-Kampfuniversität“ Straßburg vor: „Was undeutsch war in der Gedankenwelt unseres Volkes, muß nun ausgemerzt werden."[18] Diese ideologische Gleichschaltung hinterließ bei Probst keinen nachhaltigen Eindruck; denn in den Briefen aus dieser Zeit erwähnt er dies mit keiner Silbe. Im Juni 1941 hatte die Wehrmacht mit dem Vernichtungskrieg gegen die SU begonnen. Besorgt fragte Probst: „Welchen blutigen Weg geht dieser Krieg?“

Im Sommersemester 1942 konnte Probst wieder an der Universität München sein Studium der Humanmedizin weiterführen. Anfang Juni 1942 war der russische Exildichter Sigismund von Radecki[19] zu einem Leseabend im Hause Schmorell eingeladen. Hier kam Christoph Probst erstmals in näheren Kontakt mit Hans Scholl, der wie Schmorell Medizin studierte und zur 2. Studentenkompanie gehörte. Scholl hinterließ auf Anhieb einen nachhaltigen und bleibenden Eindruck; Probst schaute auf zu dem so ungemein selbstsicheren und sendungsbewussten Scholl. Und er merkte auch, wie belesen und redegewandt dieser Hans Scholl war. Einige Weggefährten erinnerten sich später, dass Christoph sich nun „in auffälliger Weise mit religiöser Literatur befasse."[20] Christophs religiöse Welt gewann auch dank seiner intensiven Lektüre und angeregt durch Gespräche im Freundeskreis nunmehr klarere Konturen: „Auch im schlimmsten Wirrwarr kommt es darauf an,“ so schrieb er an seinen Stiefbruder Dieter Sasse Ende Juli 1942, „dass der Einzelne zu seinem Lebensziele kommt, zu seinem Heil kommt, welches nicht in einem äußeren ‚Erreichen‘ gegeben sein kann, sondern nur in der inneren Vollendung seiner Person. Denn das Leben fängt ja nicht mit der Geburt an und endigt im Tod. So ist ja auch das Leben, als die große Aufgabe der Mensch-Werdung, eine Vorbereitung für ein Dasein in anderer neuer Form."[21]

Ende Juni 1942 tauchten an der Universität München „Flugblätter der Weissen Rose“ auf. Zu diesem Zeitpunkt war Christoph Probst noch nicht eingeweiht, dass seine Freunde Hans Scholl und Alexander Schmorell die ersten vier Flugblätter der Weißen Rose zwischen dem 27. Juni und dem 12. Juli 1942 verfassten, vervielfältigten und versandten. Am 23. Juli 1942 wurden Hans Scholl, Alexander Schmorell, Willi Graf und andere Studenten der Sanitätskompanie zur Famulatur an die Ostfront abkommandiert. Beim Abschied entstand das berühmte Bild, das Hans Scholl, Sophie Scholl und Christoph Probst am Münchner Ostbahnhof zeigt. Nach dem Sommersemester 1942 musste Probst ein Praktikum im Luftwaffenlazarett Oberföhring ableisten.

Entdeckung religiöser Quellen im Jahr 1942

Im Freundeskreis wurde Paul Claudels Drama „Der Seidene Schuh“ gelesen. Es ist ein Stück voller tragischer Leidenschaft und glühender Sehnsucht.[22] Probst befasste sich in dieser Zeit auch mit den Tagebüchern von Sören Kierkegaard; er nannte sie seine „liebste Lektüre“, denn „viel Erahntes“ sei dort ausgesprochen.[23]

In einem Brief an Sophie Scholl vom 14. September 1942, also während der Frontfamulatur von Scholl, Schmorell und Graf, schrieb Probst, dass sich in manchen Stunden „das Bewusstsein des Krieges und des namenlosen Elends in der Welt wie ein Schatten auf sein frohes Gemüt senke."[24] Die Famulatur konnte er in der Heimat, in einem Luftwaffenkurlazarett in der Gegend von Garmisch ableisten, bevor er am 20. November mit seiner Familie nach Lermoos umzog; denn im Dezember 1942 führte er sein Studium an der Universität Innsbruck weiter.

Als innere Vorbereitung auf Weihnachten las er Reinhold Schneiders Buch „Macht und Gnade“.[25] Seinem Schwager schrieb er, wie sehr ihn dieses Buch stärke und tröste. Als Christoph auf den ersten Seiten jenen Satz von den Menschen las, die „sich opfernd und scheiternd, für das Endgültige zeugten und zugleich für das Volk“,[26] konnte er nicht ahnen, dass er selbst nur wenige Wochen später dieses Zeugnis des Gewissens ablegen würde. Ein kurzer Textauszug soll einen Eindruck von Reinhold Schneiders Ernsthaftigkeit und Entschiedenheit vermitteln: „Der Mensch ist in die Geschichte hineingeboren, deren eigentlicher Inhalt nicht der Aufgang und Untergang der Staaten ist, sondern der Aufgang des Reiches Gottes und das Gericht an den Feinden dieses Reichs. Darum ist die Seele des Menschen in einem höheren Sinne Schauplatz der Geschichte, als es die Schlachtfelder sind."[27] Nicht der Held und dessen kriegerische Tüchtigkeit, sondern der Heilige, der sein Leben opfert für die Wahrheit, steht für Reinhold Schneider im Zentrum der Geschichte.

Anfang Dezember 1942 wurde Probst von Hans Scholl gebeten, den Entwurf für ein neues Flugblatt zu verfassen.

Advent und Weihnachten 1942 wurden für Christoph Probst eine Zeit von tiefer religiöser Besinnung. In einem Brief kurz vor Weihnachten 1942 teilte er seiner Schwester Angelika seine Freude darüber mit, dass Christus geboren wurde. Auch seinem Stiefbruder Dieter Sasse schrieb er, dass Weihnachten ein Freudenfest sein solle; denn durch Christus habe das Leben einen Sinn. An Weihnachten 1942 schenkte ihm seine Mutter, die seine religiöse Sehnsucht spürte, einen künstlerisch gestalteten Christuskopf.[28] Christophs Ehefrau Herta erinnerte sich, dass ihr Ehemann in der Christmette an Heiligabend 1942 eine „Art exstatischer Vision“ erlebte.[29]

Ende Januar 1943 –  es sind jene Tage vor der Kapitulation von Stalingrad – wurde das dritte Kind, Tochter Katja, geboren.[30] In jenen Januartagen – nach der Konferenz von Casablanca[31] –  übergab Probst seinen Entwurf für ein weiteres Flugblatt an Hans Scholl. Heute gilt es als sein politisches Vermächtnis: „Sollen Hitler, dem Sendboten des Hasses und des Vernichtungswillens, alle Deutschen geopfert werden? Ihm, der die Juden zu Tode marterte, die Hälfte der Polen ausrottete, Russland vernichten wollte, Ihm, der Euch Freiheit, Frieden, Familienglück, Hoffnung und Frohsinn nahm und dafür Inflationsgeld gab. Das soll, das darf nicht sein! Hitler und sein Regime müssen fallen, damit Deutschland weiterlebt.“ Die Katastrophe von Stalingrad trieb ihn in eine Endzeitstimmung, wie er an seine Stiefmutter schrieb: „Es ist eine apokalyptische Zeit und wir müssen wohl alle noch bis ins Innerste erschüttert werden, bis endlich Friede einzieht in diese halbzerstörte Welt."[32] Auch ein weiterer Brief von Mitte Februar 1943 sprach von „apokalyptischer Stimmung“; die Angst bewegte ihn, dass „diese Welt immer tiefer ins Unheil gleitet."[33]

Die letzten Tage von Christoph Probst

Am 18. Februar 1943 wurden Hans und Sophie Scholl in der Universität München verhaftet. Es war der Tag, da in Berlin Goebbels der fanatisierten Masse entgegenschrie: Wollt ihr den totalen Krieg? Hans Scholl trug den handgeschriebenen Entwurf von Christoph Probst für ein weiteres Flugblatt bei sich. Dieser Text fiel der Gestapo in die Hände. Am Tag darauf bereits wurde Probst in Innsbruck verhaftet, als er seinen Urlaubsschein für Tegernsee abholen wollte, um seine erkrankte Ehefrau Herta und das neugeborene Kind Katja im Krankenhaus zu besuchen.

Die Soldaten Hans Scholl, Christoph Probst, Alexander Schmorell und Willi Graf wurden aufgrund der Weisung von GFM Wilhelm Keitel aus der Wehrmacht ausgestoßen. Für den umgehend anberaumten Prozess war nun der Volksgerichtshof, nicht mehr das Reichskriegsgericht zuständig. Am 22. Februar 1943 wurden Hans Scholl, Sophie Scholl und Christoph Probst vom Volksgerichtshof unter Vorsitz von Blutrichter Roland Freisler in München zum Tode verurteilt. Diese Urteile wurden noch an jenem Montag in Stadelheim vollstreckt. Bereits im Vorfeld hatte Hitler die Todesurteile bestätigt.

Christoph Probst konnte drei Abschiedsbriefe schreiben. Sie zeugen von seiner menschlichen Liebenswürdigkeit und von seiner tiefen Gläubigkeit. Zunächst schrieb er an seine „liebste Herzensschwester“ Angelika: „Ich habe nicht gewusst, dass Sterben so leicht ist. Ich sterbe ganz ohne Hassgefühle. (…)  Ich sehe Deine warmen braunen Augen (die nicht tränenfeucht sein sollen), Dein schönes Gesicht, aus dem mir immer so viel Liebe entgegenstrahlt, höre Deine Stimme, die mir so viel Liebes sagt. Und wenn Dein ganzes Bild vor mir steht, empfinde ich viel mehr als ich sagen kann, dann läuft mir das Herz über. Ich bin Dein, Du bist mein! Dein Christel."[34]

Für sein „Herzens-Weib“ und „geliebtes Weiblein“ Herta fand er diese innigen Worte: „Es ist mir, als wenn ich Dir ganz nah wäre. Ich sehe Dich vor mir, fühle Deine Liebe in mir und meine Liebe in Dir und bin so glücklich, weil ich weiß, dass diese Liebe unzerstörlich ist."[35]

An sein „liebstes Mütterchen“ richtete Christoph Probst diese anrührenden Abschiedsworte: „Ich danke Dir, dass Du mir das Leben gegeben hast. Wenn ich es recht bedenke, so war es ein einziger Weg zu Gott. (…) Aber ich bin ja nun im Himmel und kann Euch dort einen herrlichen Empfang bereiten. Eben erfahre ich, dass ich nur noch eine Stunde Zeit habe. Ich werde jetzt die heilige Taufe und die heilige Kommunion empfangen. Wenn ich keinen Brief mehr schreiben kann, grüße alle Lieben von mir. Sag ihnen, dass mein Sterben leicht und freudig war. Ich denke an meine herrlichen Kinderjahre, an meine herrlichen Ehejahre. Durch alles hindurch schimmert Dein liebes Angesicht. Wie sorgsam und liebreich warst Du immer. (…) Wandere Deinen Weg zu Gott weiter. Immer und ewig Dein Christel, Dein Sohn, Dein Lieber. Mutter, liebste Mutter"[36]

Schon früh hatte Christoph Probst die Liebe als den Sinn seines Lebens erkannt. Seine Lebensgeschichte war geprägt von Wechseln und Umbrüchen. Doch nie verlor er das Grundvertrauen in die Wirklichkeit; er war empfänglich für neue Erfahrungen. Er fand Halt in der Freundschaft mit Alexander Schmorell. In der Ehe mit Herta Dohrn und zusammen mit den Kindern fand er den Ort, wo sich seine Sehnsucht nach Geborgenheit und inneren Frieden erfüllte. Er litt unter dem Rassismus der NS-Ideologie und unter dem Elend des Krieges. Der Entwurf für das siebte Flugblatt der Weißen Rose ist sein politisches Vermächtnis. Er klagte Hitler, den „Sendboten des Hasses und des Vernichtungswillens“, an; er setzte seine Hoffnung auf die Grundwerte „Freiheit, Frieden und Familienglück“. In seinen Abschiedsbriefen fand Christoph Probst anrührende Worte für eine Liebe, die alles umfängt. In der Stunde vor der Hinrichtung deutete er seine Lebensgeschichte so: „Wenn ich es recht überblicke, so war es ein einziger Weg zu Gott.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Christiane Moll (Hg.): Alexander Schmorell, Christoph Probst. Gesammelte Briefe; Berlin 2011, 780.
[2] Ananda (Sanskrit für Abwesenheit von Unglück), ein Bruder des Buddha, war in den letzten Jahren des Lebens Buddhas sein Lieblingsjünger. In der Geburtsurkunde lautet der dritte Vorname „Anando“.
[3] Brief Christoph Probst, 12. November 1934, in: Moll: Briefe, 557.
[4] Brief Chr. Probst, 13. Juni 1936, a.a.O., 576.
[5] Brief Chr. Probst, 23. Juni 1936, a.a.O., 581.
[6] Brief Chr. Probst, 28. Mai 1936, a.a.O., 571.
[7] Brief Chr. Probst, 13. Juni 1936, a.a.O., 576.
[8] Brief Chr. Probst, 13. Juni 1936, a.a.O., 575.
[9] Brief Chr. Probst, 9. Juli 1936, a.a.O., 590.
[10] Moll: Briefe, 94.
[11] Siegfried Schriefer/Detlef Rudau/Albert Lengger: Der Fliegerhorst Schongau und die Flakartillerieschule Altenstadt, in: Der Welf. Jahrbuch des Historischen Vereins Schongau, 1 (1993), 95 u. 97.
[12] Brief Chr. Probst, 17. Mai 1940, a.a.O., 656.
[13] Dr. Michael Probst (* 7. Juni 1940 in Sonthofen) war Internist. Er starb am Karfreitag, den 2. April 2010, in Herrsching am Ammersee. – Aus einer dezidiert katholischen Perspektive heraus hielt er zeitlebens Vorträge, um das Leben seines Vaters Christoph Probst und den Widerstand der „Weißen Rose“ zu würdigen.
[14] Herta Dohrns Vater war Wolf Dohrn (1885-1914). Nachdem Wolf Dohrn 1914 an den Folgen eines Skiunfalls gestorben war, heiratete sein Bruder Harald ein Jahr später dessen Frau Johanna und zog Herta Dohrn (* 1914) wie seine eigene Tochter auf (Moll: Briefe, 650, Anm. 363).
[15] Harald Dohrn (1885-1945) war Lebensreformer und Regimegegner. Als Sympathisant der Weißen Rose geriet er ins Visier der Nazi-Justiz, er wurde im dritten Prozess gegen die Weiße Rose am 13. Juli 1943 angeklagt; er wurde jedoch zunächst freigesprochen. 1945 beteiligte er sich gemeinsam mit seinem Schwager Hans Quecke an einem Aufruf der Freiheitsaktion Bayern. Der 29. April 1945 wurde zum Todestag von Harald Dohrn und seines Schwagers Hans Quecke. Der Münchner Gauleiter Paul Giesler ließ noch in den letzten Kriegstagen etwa 50 Bürger, die ihre Sympathie mit der Freiheitsaktion bekundet hatten, festnehmen und ermorden. Auch Dohrn und Quecke waren darunter und wurden an einer einsamen Stelle des Perlacher Forstes von einem Exekutionskommando mit Genickschüssen umgebracht. – Nur ein Jahr später wurde in Schwabing der Feilitzschplatz, der 1933 in „Danziger Freiheit“ umbenannt wurde, im Gedenken an die Widerstandsaktion in „Münchner Freiheit“ umbenannt.
[16] Probst, Strassburg am 4. November 1941, in: Moll: Briefe, 713.
[17] Walter Schultze (1894-1979) war Mediziner und NS-Funktionär. Beim Hitlerputsch im November 1923 übernahm er die ärztliche Versorgung Hitlers. Nach 1945 wurde er mehrfach angeklagt; diese Verfahren wurden 1960 durch Verhandlungsunfähigkeit beendet.
[18] Hier zitiert nach: Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich: Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt am Main 2003, 657f.
[19] Sigismund von Radecki (1891-1970) stammt aus Riga. Bedeutsam für ihn wurde seine Freundschaft mit Karl Kraus. Es war vor allem die Lektüre von Schriften Newmans, die ihn in den letzten Jahren der Weimarer Republik eine neue Orientierung finden ließ; die Anfänge dazu scheinen seit 1925 bei seinen Übersetzungen des englischen Schriftstellers und Newman-Schülers Hilaire Belloc zu liegen und führten schließlich zu seiner Konversion zur katholischen Kirche (11. Oktober 1931). Von 1935 schrieb er bis zu deren Verbot (1941) in der Zeitschrift „Hochland“, war mit dessen Herausgeber Carl Muth, dem er 1942 sein Buch „Wie kommt das zu dem?“ widmete, befreundet.
[20] Sönke Zankel: Mit Flugblättern gegen Hitler. Der Widerstandskreis um Hans Scholl und Alexander Schmorell, Köln 2008, 196.
[21] Brief Chr. Probst, 27. Juli 1942, a.a.O.,780.
[22] Mit 18 Jahren hatte Paul Claudel (1868-1955) ein religiöses Erweckungserlebnis. In seinem groß angelegten Drama „Der seidene Schuh“ (1925) entfaltet er eine vom katholischen Glauben geprägte, universale Schau von Gott und Mensch, Welt und Geschichte.
[23] Brief Christoph Probst, 4. Juli 1942, a.a.O., 770. – Der protestantische Theologe und Philosoph Sören Kierkegaard (1813-1855) wird gemeinhin als der erste Existenzialist bezeichnet. Er grenzt sich radikal von der rationalen Gesamtstruktur des Hegelschen Systems und dessen Geschichtsphilosophie ab; er spricht von der unmittelbaren („subjektiven“) Erfahrung der Wahrheit sowie von Verantwortlichkeit des Einzelnen und dessen Gottesverhältnis. Theodor Haecker übertrug seine wichtigsten Tagebucheinträge und religiösen Reden ins Deutsche.
[24] Brief Chr. Probst, 14. Oktober 1942, a.a.O., 801.
[25] Reinhold Schneider (1903-1958) gehörte zur „Inneren Emigration“; er hatte Kontakte zum Kreisauer Kreis. In seinen Schriften ist die Nähe zur Bewegung „Renouveau catholique“ erkennbar. Die Sammlung von Essays „Macht und Gnade“ (1940) war der Auslöser des Publikationsverbots im Jahr 1941. Auch Willi Graf schöpfte aus der Lektüre von „Macht und Gnade“ Kraft und Zuversicht. Anfang Februar 1943 schrieb er: „Es ist eigentümlich, welche überragende Bedeutung Schneider für uns gewonnen hat, er ist wohl einer der ganz wenigen, die uns Wesentliches zu sagen haben.“ (Graf: Briefe und Aufzeichnungen, 182).
[26] Reinhold Schneider: Macht und Gnade. Gestalten, Bilder und Werte in der Geschichte, Leipzig 1940, 17.
[27] Schneider, a.a.O., 91.
[28] Siehe hierzu Zankel: Mit Flugblättern, 194.
[29] Hier zitiert nach Moll: Briefe, 853, Anm. 898. – Die Christmette gehört zusammen mit der Feier der Osternacht zu den beiden Gottesdiensten im Kirchenjahr, die zur Nachtzeit gefeiert werden. Die Christmette an Weihnachten beginnt traditionell vor der Mitternacht.
[30] Katharina (Katja) Elisabeth Maria wurde am 21. Januar 1943 in Tegernsee geboren. Sie starb bereits am 28. Oktober 1959 in Mainz.
[31] Auf der Konferenz von Casablanca (14.-26. Januar 1943) besprachen Präsident F.D. Roosevelt (USA) und Premier-Minister Winston Churchill (GB) Fragen der Koordination ihrer Kriegführung gegen die Achsenmächte. Am 24. Januar 1943 wurde die Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation der Achsenmächte verkündet.
[32] Brief Chr. Probst, 5. Februar 1943, a.a.O., 879.
[33] Brief Chr. Probst, 14. Februar 1943, a.a.O., 882.
[34] Brief Chr. Probst, 22. Februar 1943, a.a.O., 888.
[35] Brief Chr. Probst, 22. Februar 1943, a.a.O., 889.
[36] Brief Chr. Probst, 22. Febr. 1943, a.a.O., 890.

Gefängnistagebuch von Kardinal Pell

Weg zur Freiheit

George Kardinal Pell (geb. 1941) war von 1996 bis 2001 Erzbischof von Melbourne und von 2001 bis 2014 Erzbischof von Sydney. Danach wurde er als Präfekt des neu geschaffenen Wirtschaftssekretariats an die Römische Kurie berufen. Wegen Missbrauchsvorwürfen wurde er am 13. März 2019 von einem australischen Gericht zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, jedoch am 7. April 2020 vom High Court mit 7:0 Stimmen freigesprochen und aus der Haft entlassen. Zu seinem Gefängnistagebuch, dessen erster Band nun auch auf Deutsch erschienen ist,[1] hat der bekannte Autor George Weigel eine Einleitung verfasst.

Von George Weigel

Dieses Gefängnistagebuch hätte niemals geschrieben werden dürfen. Dass es dennoch geschrieben wurde, zeugt von Gottes Gnade, die es inmitten von Niedertracht, Bosheit und Ungerechtigkeit vermag, Einsicht, Großmut und Güte hervorzubringen. Und dass etwas so Schönes daraus entstanden ist, zeugt von der christlichen Gesinnung, die seinen Verfasser, George Kardinal Pell, prägt.

Wie und warum es dazu kam, dass der Verfasser mehr als 13 Monate lang wegen Verbrechen im Gefängnis war, die er nicht begangen hatte und gar nicht hätte begehen können, ist eine andere, weit weniger erbauliche Geschichte. Gleichwohl wird eine Kurzfassung dieser skandalösen Geschichte Ihnen für das, was Sie zu lesen im Begriff sind, den nötigen Hintergrund liefern – einen Hintergrund, vor dem sich noch deutlicher abzeichnen wird, wie bemerkenswert dieses Tagebuch ist.

Am 7. April 2020 fällte der High Court von Australien[2] in der Sache Pell vs. The Queen ein einstimmiges Urteil, das den vorangegangenen Schuldspruch aufhob und in einen Freispruch verwandelte. Damit wurde sowohl die unverständliche Verurteilung von Kardinal Pell wegen „lange zurückliegender Fälle von sexuellem Missbrauch“ als auch die nicht weniger rätselhafte, mit 2:1 Stimmen gefällte Entscheidung eines Berufungsgerichts im australischen Bundesstaat Victoria, an diesem Fehlurteil festzuhalten, aufgehoben. Der Spruch des Obersten Gerichtshofs befreite einen Unschuldigen aus der ihm zu Unrecht auferlegten Haft, gab ihn seiner Familie und seinen Freunden zurück und ermöglichte es ihm, seine wichtige Arbeit in der katholischen Kirche und für sie wiederaufzunehmen.

Wer die Sache Pell vs. The Queen aus der Nähe beobachtet hat, weiß, dass dieser Fall niemals hätte vor Gericht verhandelt werden dürfen. Bei den polizeilichen Ermittlungen, die zu den Beschuldigungen gegen Kardinal Pell geführt hatten, wurde im Trüben gefischt und es wurden fadenscheinige Ergebnisse zutage gefördert. Die Richterin, die die Verhandlung zur Beweisaufnahme (das australische Pendant zu einem Geschworenengericht)[3] leitete, stand unter immensem Druck, eine Reihe von Anklagepunkten zuzulassen, die – wie sie selbst wusste – überaus schwach waren. Als der Fall dann verhandelt wurde, brachten die Staatsanwälte keinerlei Beweise dafür vor, dass das vermeintliche Verbrechen überhaupt begangen worden war, und stützten ihre Argumentation einzig und allein auf die Aussage des Klägers – die sich mit der Zeit als unstimmig und zutiefst fragwürdig erwies. Es gab keine erhärtenden Beweise und keine Zeugen, die die Vorwürfe bestätigten.

Im Gegenteil: Diejenigen, die zur Zeit der angeblichen Straftaten, zwei Jahrzehnte zuvor, in der Kathedrale von Melbourne anwesend gewesen waren, beharrten unter Eid und im Kreuzverhör darauf, dass sich die Ereignisse unmöglich so hatten zutragen können, wie der Kläger sie darstellte. Weder der zeitliche Rahmen, den die Staatsanwaltschaft bei der Schilderung des vermeintlichen Missbrauchs angab, noch die Beschreibung der Kathedral-Sakristei, wo dieser stattgefunden haben sollte, ergaben irgendeinen Sinn. Die Staatsanwaltschaft unternahm keinen ernsthaften Versuch, diese umfangreichen Aussagen zugunsten des Kardinals zu entkräften. Zudem wurde die schiere Unmöglichkeit, dass das, was angeblich geschehen sein sollte, wirklich geschehen war, später von objektiven Beobachtern und Kommentatoren – auch solchen, die zuvor keinerlei Sympathien für Kardinal Pell gehegt hatten, und einem, der zu seinen härtesten Kritikern zählte – bestätigt.

Der Fall Pell vs. The Queen wurde ferner derart verhandelt, dass gravierende Zweifel daran aufkamen, ob die Behörden in Victoria sich wirklich an solche elementaren Grundsätze des im angelsächsischen Raum geltenden Strafrechts wie die Unschuldsvermutung oder die Pflicht des Staates gebunden fühlten, die Anklage „über jeden vernünftigen Zweifel hinaus“ zu beweisen. Was das betrifft, hat Mark Weinberg, der Richter, der das Urteil des Berufungsgerichts im August 2019 nicht mittrug, einen entscheidenden juristischen Punkt ins Feld geführt, als er die Begründung seiner Kollegen, die an Kardinal Pells Verurteilung festhielten, auseinanderpflückte: Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch Weinbergs Kollegen am Berufungsgericht hätten jede nur mögliche Verteidigungsstrategie dadurch unterlaufen, dass sie die Glaubwürdigkeit des Klägers zum Dreh- und Angelpunkt des gesamten Falls machten. Aufgrund dieses Glaubwürdigkeitskriteriums war es weder erforderlich zu beweisen, dass wirklich ein Verbrechen geschehen war, noch mussten die Beschuldigungen erhärtet werden. Es kam einzig und allein darauf an, dass der Kläger aufrichtig wirkte. Das aber war nach den Maßstäben der jahrhundertealten Tradition des Common Law[4] keine seriöse juristische Beweisführung, sondern eine Geltendmachung von Gefühlen oder sogar von Gefühlsduselei – die aber niemals den Ausschlag dafür hätten geben dürfen, einen Mann eines abscheulichen Verbrechens für schuldig zu befinden und ihn um seinen guten Ruf und seine Freiheit zu bringen.

Als sich Juristen und altgediente Rechtsexperten in Australien mit dem außerordentlichen, 200 Seiten starken Minderheitenvotum von Richter Mark Weinberg nach dem Berufungsverfahren auseinandersetzten und als die im Fall Pell verhängte Nachrichtensperre aufgehoben wurde und sich zeigte, auf welch schwachen Füßen die Sache der Anklage stand, war die wachsende Besorgnis der Menschen, die sich Gedanken machten – die zunehmend davon überzeugt waren, dass hier ein schweres Unrecht geschehen war –, nicht nur in Melbourne, sondern auch noch Tausende Meilen entfernt zu spüren. Diese Besorgnis hat sich möglicherweise auf die Entscheidung der höchsten gerichtlichen Instanz, des Obersten Gerichtshofs von Australien, ausgewirkt, eine weitere Berufung (der nicht hätte stattgegeben werden müssen) zuzulassen.

Ähnliche Bedenken regten sich offenbar unter den Richtern des Obersten Gerichtshofs während des strengen Verhörs des Generalstaatsanwalts im Zuge der Berufungsverhandlung im März 2020. Dieses zweitägige Unterfangen machte erneut deutlich, dass die Staatsanwaltschaft nichts vorzubringen hatte, was dem Kriterium einer über jeden vernünftigen Zweifel hinaus erwiesenen Schuld gerecht geworden wäre; dass die Geschworenen beim Wiederaufnahmeverfahren gegen den Kardinal (das stattfand, weil die Geschworenen sich im ersten Verfahren nicht einig geworden waren) zum zweiten Mal ein fragwürdiges und de facto unhaltbares Urteil gefällt hatten und dass die beiden Richter vom Victoria Supreme Court[5], die an diesem Urteil festhielten (einer der beiden verfügte übrigens über keinerlei strafrechtliche Erfahrung), schwere Fehler von der Art gemacht hatten, wie sie ihr Kollege, Richter Mark Weinberg, später in seinem Minderheitenvotum beschreiben sollte.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, Kardinal Pell freizusprechen und aus der Haft zu entlassen, war mithin sowohl gerecht als auch begrüßenswert. Die Frage, wie all dies einem der angesehensten Bürger Australiens widerfahren konnte, bedarf hingegen noch der Klärung.

Die feindselige öffentliche Stimmung, die Kardinal Pell insbesondere in seinem heimatlichen Bundesstaat Victoria entgegenschlug, erinnerte an das vergiftete Klima im Kontext der Dreyfus-Affäre im Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts. 1894 führte ein Gemisch aus politischer Rohheit, Begleichung von alten Rechnungen, korrupten Beamten, einer fanatischen Presse und massiven religiösen Vorurteilen dazu, dass ein unschuldiger französischer Armeeoffizier jüdischer Abstammung, Hauptmann Alfred Dreyfus, des Verrats für schuldig befunden und verurteilt wurde. Dreyfus wurde aus der Armee entlassen und zur Verbannung und Inhaftierung auf der Teufelsinsel, einer übel riechenden Hölle vor der Küste von Französisch-Guyana, verurteilt. Natürlich kann man das Melbourne Assessment Prison[6] und Her Majesty’s Prison Barwon, die beiden Anstalten, in denen George Pell inhaftiert war, nicht mit der Teufelsinsel vergleichen. Doch im Grunde waren die Faktoren, die bei Alfred Dreyfus’ ungerechter Verurteilung und bei dem widerlichen öffentlichen Klima in Victoria während der mehrjährigen Hexenjagd auf Pell eine Rolle spielten, in großen Teilen identisch.

Die Polizei von Victoria, die schon damals wegen des Verdachts der Inkompetenz und Korruption unter Beobachtung stand, suchte mühsam nach „Beweisen“ für Verbrechen, von denen bis dato niemand behauptet hatte, dass sie überhaupt begangen worden waren, und manche glauben, dass die Ermittlungen gegen George Pell für sie eine willkommene Gelegenheit war, von ihren eigenen Problemen abzulenken. Die lokale und nationale Presse ließ – abgesehen von einigen wenigen rühmlichen Ausnahmen – die Maske der journalistischen Integrität und Fairness fallen und lechzte nach Kardinal Pells Blut. Der Mob, der während der Verhandlungen das Gerichtsgebäude belagerte, hob professionell gedruckte Anti-Pell- Plakate in die Höhe, die irgendjemand bezahlt haben muss. Und die Australian Broadcasting Corporation[7] – ein mit Steuergeldern finanzierter öffentlich-rechtlicher Sender – führte einen antikatholischen Propagandafeldzug, wie man ihn sich primitiver kaum vorstellen kann, und brachte eine Flut von diffamierenden Beiträgen über Kardinal Pell (von denen einer just während der Beratungen des Obersten Gerichtshofes ausgestrahlt wurde).

Dass in einer derart aufgeheizten Situation ein unvoreingenommenes Geschworenengericht unbeeindruckt seiner Arbeit nachgehen konnte, ist kaum vorstellbar und vielleicht sogar unmöglich. Doch das Gesetz in Victoria erlaubte es Kardinal Pell nicht, ein rein richterliches Verfahren ohne die Geschworenen zu beantragen. Und so ähnelte etwas, das eigentlich ein nüchternes Gerichtsverfahren hätte sein sollen, am Ende einem in Zeitlupe und mit juristischen Mitteln ausgeführten politischen Mord.

Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass einige der an der Verfolgung von George Pell beteiligten Personen genau dies beabsichtigt hatten.

Während seines Martyriums war Kardinal Pell, wie dieses Tagebuch beweist, ein Vorbild an Geduld und tatsächlich auch ein Vorbild in seiner priesterlichen Wesensart. Er wusste, dass er unschuldig war, und das machte ihn selbst in der Haft zu einem freien Mann. Und er nutzte diese Zeit – zu ausgedehnten Exerzitien, wie er es nannte –, um seinen vielen Freunden überall auf der Welt Mut zuzusprechen und ein ohnehin schon intensives Leben des Gebets, der Studien und des Schreibens noch zu intensivieren. Nun, da er wieder die heilige Messe feiern kann – was ihm mehr als 100 Tage lang verwehrt war –, hege ich keinerlei Zweifel daran, dass Kardinal Pell die Bekehrung seiner Verfolger und die Reform der Justiz in seinem geliebten Heimatland als Anliegen in seine Gebete einschließt.

Als Bürger der Vatikanstadt war Kardinal Pell gesetzlich nicht dazu verpflichtet, seine Arbeit in Rom aufzugeben und nach Australien zurückzukehren, um dort vor Gericht zu erscheinen. Dennoch kam ihm nie der Gedanke, sich auf seine diplomatische Immunität zu berufen. Er war entschlossen, seine Ehre und die Ehre der australischen Kirche zu verteidigen, an deren Spitze er sich selbst jahrelang gegen die Verbrechen und Sünden des sexuellen Missbrauchs (und in vielen anderen Belangen) eingesetzt hatte. George Pell setzte auf die grundsätzliche Fairness seiner Landsleute.

Der Oberste Gerichtshof gab ihm im letztmöglichen Moment recht.

Das Gefängnistagebuch von George Kardinal Pell beweist, dass durch die Entscheidung des höchsten australischen Gerichts ein Mann in die Freiheit entlassen wurde, der nicht gebrochen werden konnte: ein Mann, dessen lebensprühender christlicher Glaube ihn auch unter außergewöhnlichem Druck nicht wanken ließ. Während seiner Promotionsstudien Ende der 1960er-Jahre in Oxford hatte der junge Priester George Pell reichlich Gelegenheit, das treue Zeugnis von Thomas Morus und John Fisher zu erwägen, die unter allergrößtem Druck ihre Standhaftigkeit bewiesen haben. Er konnte damals nicht ahnen, dass auch er ein Opfer von Verleumdungen, öffentlichen Verunglimpfungen und ungerechter Inhaftierung werden sollte. Doch genau wie Thomas Morus und John Fisher setzte George Kardinal Pell sich für die Wahrheit ein im Vertrauen darauf, dass die Wahrheit in des Wortes tiefster und menschlichster Bedeutung frei macht.

Das Tagebuch zeigt anschaulich, dass der Weg zu dieser Freiheit voller Licht ist.[8]

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] George Kardinal Pell: Unschuldig angeklagt und verurteilt. Das Gefängnistagebuch, Bd. 1, mit einem Vorwort von George Weigel, geb., 384 S., ISBN 978-3-9479312-5-5, Euro 24,90 (D), Euro 25,60 (A); Tel.: 07303-952331-0; Fax: 07303-952331-5; www.media-maria.de
[2] Der High Court of Australia („Oberster Gerichtshof von Australien“) ist das höchste Gericht in der australischen Justiz. Die Aufgaben des High Court bestehen darin, das australische Recht auszulegen und anzuwenden (Anm. d. V.).
[3] Eigentlich eher eine Beweisprüfung durch einen Richter oder eine Richterin. Dabei geht es um die Frage, ob die Klage aus Mangel an Beweisen abgewiesen oder der Fall an ein Geschworenengericht (eine „Jury“) weitergegeben werden soll; siehe www.gotocourt.com.au/criminal-law/vic /what-is-committal-hearing/ (Anm. d. Ü.).
[4] Das Common Law in den englischsprachigen Ländern stützt sich nicht auf Gesetze, sondern auf Präzedenzfälle und wird durch richterliche Auslegungen weitergebildet (Anm. d. V.).
[5] Der Supreme Court of Victoria ist für die Berufung und Überprüfung angefochtener Entscheidungen anderer Gerichte zuständig (Anm. d. V.).
[6] Das Melbourne Assessment Prison im Bundesstaat Victoria ist ein Hochsicherheitsgefängnis, in dem üblicherweise Gefangene inhaftiert werden, die noch auf die Verkündung des Strafmaßes warten (Anm. d. V.).
[7] Die Australian Broadcasting Corporation ist eine öffentlich-rechtliche Rundfunkgesellschaft in Australien, die mehrere Fernseh- und Hörfunksender betreibt (Anm. d. V.).
[8] Der vorliegende Essay erschien ursprünglich am 6. April 2020 unter dem Titel „Justice, Finally“ in: Catholic World Report.

50 Heilige Stätten in Israel

Ein spiritueller Begleiter für Heilig-Land-Reisen

Cornelius Roth (geb. 1968) wirkte nach theologischen Studien in Fulda, Tübingen, Rom und Freiburg zwölf Jahre lang als Regens im Fuldaer Priesterseminar. Seit 2010 ist er Ordentlicher Professor für Liturgiewissenschaft und Spiritualität an der Theologischen Fakultät Fulda/Marburg und seit 2016 Berater der Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz. Seine Doktorarbeit schrieb er über die „Kriterien geistlicher Unterscheidung bei Johannes Gerson“. 2019 veröffentlichte er den Band „50 Kirchen in Rom – Ein spiritueller Rundgang“. Nun folgte ein ähnliches Buch über das Heilige Land.[1]

Von Cornelius Roth

Nachdem 2019 der erste spirituelle Wegbegleiter zu 50 Kirchen Roms erschienen ist, der Gruppen und Einzelpilger auf ihren Romreisen begleiten sollte, aber auch eine Lektüre für Menschen war, die sich einfach mit der Kunst und der Spiritualität der Kirchen Roms beschäftigen wollten, kam der Gedanke auf, ein ähnliches Buch auch über den zweiten Ort zu schreiben, der von vielen christlichen Pilgerinnen und Pilgern besonders gerne und häufig besucht wird: Israel und Palästina, das Land der Bibel, das manchmal auch als „Fünftes Evangelium“ bezeichnet wird.

Tatsächlich wird jemand, der einmal eine Reise auf den Spuren Jesu und des Alten Testaments gemacht hat, die Bibel später anders lesen. Ignatius von Loyola spricht in seinen „Geistlichen Übungen“ von der „Anwendung der Sinne“, die er im Nachgang seiner eigenen Heilig-Land-Reise für die Exerzitien fruchtbar gemacht hat. So rät er bei der Betrachtung der Geburt Christi, man solle „mit der Sicht der Vorstellungskraft den Weg von Nazaret nach Betlehem sehen, dabei die Länge, die Breite erwägen, und ob dieser Weg eben ist oder ob er über Täler und Steigungen geht; ebenso den Ort oder die Höhle der Geburt schauen, wie groß, wie klein, wie niedrig, wie hoch und wie er bereitet war“ (GÜ 112).  Und vor dem letzten Abendmahl empfiehlt er eine „Zusammenstellung, indem man den Raum sieht. Hier wird dies sein: Den Weg von Betanien aus nach Jerusalem erwägen, ob breit, ob eng, ob eben usw. Ebenso den Raum des Abendmahls, ob groß, ob klein, ob in der einen Weise oder ob in einer anderen“ (GÜ 192). 

Wer in Israel unterwegs ist, hat tatsächlich die Möglichkeit, den Weg von Betanien nach Jerusalem zu gehen, den Saal des letzten Abendmahls (Coenaculum) zu betreten, sich auf den Hirtenfeldern in Betlehem die Höhle der Geburt Christi vorzustellen oder im Bus die Täler und Berge auf dem Weg von Nazaret nach Betlehem zu betrachten. Israel ist auch heute – 2000 Jahre nach den Geschehnissen um Jesus von Nazaret und 2500 Jahre seit den Erzählungen des Alten Testaments – noch immer der Ort auf der Welt, an dem man auf den Spuren der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen wandeln und sich diese Begegnungsorte von Gott und Mensch im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen führen kann.

Ähnlich wie zu Rom gibt es auch zu Israel unzählige Pilger- und Reiseführer, die hier nicht alle angeführt werden müssen. Dieser spirituelle Wegbegleiter versteht sich als Versuch, das, was vielleicht dem einen oder der anderen beim Besuch oder im stillen privaten Gebet an den Heiligen Stätten ins Herz und in den Sinn kommt, ins Wort zu bringen. Es ist also ein bewusst geistliches Buch. Geschichtliche Details zu den einzelnen Orten werden nur kurz zusammengefasst. Anstatt dessen sollen passende Bibelstellen und Lieder verbunden werden mit persönlichen Meditationen und Betrachtungen zum Geist eines Ortes, der mal eine Landschaft (See Gennesaret, Sinai, Jordan), mal eine Stadt (Haifa, Hebron), mal eine Ausgrabungsstätte (Teich Betesda, Caesarea am Meer), mal ein Weg (Via Dolorosa) oder mal eine Gedenkstätte (Masada, Yad Vashem) sein kann. Dabei sind die meisten Meditationen aus dem christlichen Glauben heraus geschrieben, es gibt aber auch einige, die bewusst die jüdische Spiritualität berücksichtigen (Yad Vashem, Safed, Klagemauer) oder auch andere Religionen (Haifa).

Schließlich soll auch in diesem Wegbegleiter wieder Wert auf die praktische Anwendbarkeit gelegt werden. Die Gebete und Meditationen (die z.T. auch aus der Tradition oder der Literatur stammen) sind nicht zu lang und zur Vorbereitung auf eine Pilgerfahrt wie beim Besuch selbst gut einsetzbar. Außerdem helfen die Bilder, sich auf den Ort visuell einzustellen. Eine Karte von Jerusalem und Israel erleichtert das Auffinden der Orte. Da bei jeder Heilig-Land-Fahrt eine Bibel ins Gepäck gehört, sind die biblischen Texte im Normalfall nicht eigens abgedruckt, sondern nur die Stelle, auf die sich die Meditation bezieht. Wenn doch ein biblischer Text abgedruckt wurde, ist er der Neuen Einheitsübersetzung von 2016 entnommen. Hinweise auf Lieder aus dem katholischen Gesangbuch „Gotteslob“, die an der einen oder anderen Stelle zur Betrachtung gegeben werden, können es zudem als ratsam erscheinen lassen, auch dieses – eventuell digital – dabeizuhaben. (…)

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2021
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[1] Cornelius Roth: 50 Heilige Stätten in Israel. Ein spiritueller Begleiter für Heilig-Land-Reisen, Aufnahmen: Br. Petrus Schüler OFM, Lindenberg i. Allgäu 2021, 208 S., 115 Abb., 14,8 x 21 cm, ISBN 978-3-95976-296-0, Euro 18,50; www.kunstverlag-fink.de

Petition an den Deutschen Bundestag

Keine Abtreibung bis zur Geburt!

Mit Blick auf die kommende Bundestagswahl im Herbst 2021 wird seit einigen Monaten ein erbitterter Kampf um das Recht auf Abtreibung bis zur Geburt und die Streichung der §§ 218 und 219 StGB geführt. Kristijan Aufiero, Vorsitzender von „Pro Femina e.V.“ mit dem „Projekt 1000plus“, möchte nach der konstituierenden Sitzung des nächsten Bundestags jedem neuen Mandatsträger eine Petition überreichen.

Von Kristijan Aufiero

Weitgehend unbemerkt von den meisten Menschen in unserem Land bahnt sich mitten unter uns ein rechtlicher Dammbruch von unvorstellbarer Tragweite an. Ein Dammbruch, der abertausenden Menschen das Leben kosten könnte und die Integrität unserer Gesellschaft in ihrem Kern erschüttern würde. Schwangere in Not sollen dem Druck ihrer äußeren Umstände bis zum Ende ihrer Schwangerschaft wehrlos ausgeliefert werden – und ungeborene Kinder sollen ohne Einschränkungen bis zum Tag ihrer Geburt abgetrieben werden dürfen.

Im Namen angeblicher Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit kämpft ein Netzwerk linker und linksextremer Aktivisten, Organisationen, Medienschaffender und Politiker für die Streichung der §§ 218 und 219 StGB. Einer der wesentlichen Akteure in diesem Kampf ist das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“, dem sich auch „Bündnis 90/DIE GRÜNEN“, die Frauenorganisation der SPD (ASF), die Berliner „Jusos“ und die Partei „DIE LIN-KE“ angeschlossen haben. Am 8. März dieses Jahres ging eine breit angelegte Kampagne unter dem Titel „Weg mit § 218“ an den Start.

Wir stehen vor der historischen Verantwortung, uns einer menschenverachtenden, totalitären und zynischen Abtreibungsideologie in den Weg zu stellen, schwangere Frauen zu schützen und so das Leben ihrer ungeborenen Kinder zu bewahren. Wir möchten den politisch Verantwortlichen in Deutschland, insbesondere den Mitgliedern des neu zu wählenden Deutschen Bundestages, eine deutliche Botschaft schicken: So sehr eine linksgerichtete politische Minderheit dies auch behaupten mag: Es gibt keine Mehrheit und keine demokratische Legitimation für die Streichung der §§ 218 und 219 StGB und die Legalisierung der Abtreibung bis zur Geburt in Deutschland!

Wortlaut der Petition „Keine Abtreibung bis zur Geburt“:

Zur Forderung, die §§ 218 und 219 StGB zu streichen, stellen wir fest:

1. Die Tötung eines ungeborenen Kindes, das bereits außerhalb des Mutterleibes lebensfähig wäre, ist ein unerträgliches und schreiendes Unrecht!

2. Eine vollständige Legalisierung der Abtreibung bis zur Geburt würde Schwangere in Not über die 12. Woche hinaus bis zum Ende des 9. Monats einem geradezu unmenschlichen Druck durch äußere Umstände und Personen aussetzen, die sie zur Abtreibung drängen.

3. Mit der Streichung der Beratungspflicht werden Schwangere in Not einer Chance beraubt, einen konstruktiven Weg aus ihrem Entscheidungskonflikt zu finden und konkrete Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen. Objektive Informationen, ehrliche Beratung und konkrete Hilfsangebote machen selbstbestimmte und freie Entscheidungen überhaupt erst möglich.

Deshalb fordern wir die Mitglieder des neu gewählten Deutschen Bundestages auf:

1. Bitte stemmen Sie sich gegen jeden Versuch, die §§ 218 und 219 StGB zu streichen und bitte stimmen Sie gegen jeden Gesetzesvorschlag, der die explizite und implizite Legalisierung der Tötung ungeborener Kinder bis zur Geburt zur Folge hat!

2. Bitte prüfen und evaluieren Sie sämtliche staatlichen und nicht-staatlichen Beratungsangebote und stellen Sie fest, ob diese den Ansprüchen und Erwartungen von Schwangeren in Not – aus Sicht der beratenen Frauen – gerecht werden.

3. Bitte stellen Sie sicher, dass sämtliche staatlichen und nicht-staatlichen Beratungsangebote auf dem Fundament des Grundgesetzes beraten und den in §219 StGB Abs. 1 formulierten gesetzlichen Auftrag erfüllen: „Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen…“

Die Petition kann online unterzeichnet werden: www.1000plus.net/petition

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2021
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Pädosexuelle Netzwerke werden untersucht

Von DemoFürAlle

Riesenerfolg einer monatelangen Aufklärungskampagne: Die Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) und das Land Berlin erfüllen die erste zentrale Forderung des Aktionsbündnis für Ehe & Familie – DemoFürAlle zur Aufarbeitung des KentlerGate.

Am Donnerstag, den 6. Mai 2021, verkündete die JFMK, „eine bundesweite und unabhängige Untersuchung“ des Wirkens Helmut Kentlers und der dahinterstehenden pädosexuellen Netzwerke zu unterstützen. In der Woche zuvor hatte Sandra Scheeres, Senatorin für Bildung, Jugend und Familie in Berlin, angekündigt, ein solches drittes Gutachten in Auftrag zu geben.

Damit erfüllen die JFMK und das Land Berlin die Forderung der DemoFürAlle-Petition „Pädosexuelles Netzwerk aufdecken! #KentlerGate“, „eine große Untersuchung des deutschlandweiten pädokriminellen Netzwerks in der Kinder- und Jugendhilfe einzurichten“. Über 17.000 Bürger hatten die Petition auf der Plattform CitizenGO unterschrieben.

Außerdem einigte sich das Land Berlin mit „Marco“ und „Sven“, den zwei bekannten Betroffenen des pädosexuellen Kentler-„Experiments“, auf eine Schadensersatzzahlung. Die Einigung erfolgte auf Empfehlung des Kammergerichts außergerichtlich, nachdem „Marco“ und „Sven“ zuvor eine Amtshaftungsklage gegen den Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg angestrengt hatten, die erst durch eine Spendensammlung von DemoFürAlle im Januar 2020 möglich wurde.

Entscheidend für das Einlenken der JFMK und des Berliner Senats in puncto Aufarbeitung und Schadensersatz war der öffentliche Druck, den DemoFürAlle seit mehr als einem Jahr konstant aufrechterhalten hat: Durch Veröffentlichung und Verbreitung der Broschüre „KentlerGate und dessen Folgen“, die deutschlandweite Bustour „Kindesmissbrauch bekämpfen – Stoppt Kentlers Sex-Pädagogik!“ durch elf Städte und das Online-Symposium „Heikle Beziehungen: Sexualpädagogik und Kindesmissbrauch“ hat DemoFürAlle Meilensteine einer flächendeckenden Kampagne gesetzt, die auf den fortdauernden Skandal des KentlerGate aufmerksam macht.

DemoFürAlle-Sprecherin Hedwig v. Beverfoerde dazu: „Wir begrüßen die neue Untersuchung des Landes Berlin und deren Unterstützung durch die Jugend- und Familienministerkonferenz sehr und werden diese kritisch begleiten, auch durch eigene Recherchen. Neben der Aufklärung pädosexueller Netzwerke ist jetzt auch das unheilvolle Erbe Helmut Kentlers in den Blick zu nehmen. Seine Forschung und sein Einfluss auf die heutige Sexualpädagogik in Schulen und Kitas können nicht von seinem pädosexuellen ‚Experiment‘ getrennt werden.

Wir erneuern an dieser Stelle unsere zweite zentrale Forderung, die mit Kentler untrennbar verwobene Sexualpädagogik aus Lehr- und Bildungsplänen, Unterrichtsmaterialien, Studiengängen und Ausbildungen für Schulen und Kindertagesstätten konsequent zu entfernen.“ – www.demofueralle.de

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2021
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