Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Am 17. Oktober 2021 ist nun auf Diözesanebene der „Synodale Prozess“ eröffnet worden, der in die Bischofssynode 2023 in Rom einmünden und als Erste Etappe einen substantiellen Teil der Synode selbst darstellen soll.

Immer wieder betont Papst Franziskus, die Grundlage für seine Initiative bilde die Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils, nach der dem Volk Gottes als Ganzem „Unfehlbarkeit“ in Fragen des Glaubens zukomme (Lumen gentium, 10). Deswegen müsse in der ersten Etappe vom Oktober 2021 bis April 2022 „das Volk Gottes konsultiert“ werden, „damit bei dem synodalen Prozess alle Getauften gehört werden, die Subjekt des in credendo unfehlbaren sensus fidei sind“. So klingt dieser Gedanke im Dokument zur XVI. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode (Oktober 2023) vom 24. April 2021.

Schon in seiner programmatischen Rede zur 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode am 17. Oktober 2015 formulierte Papst Franziskus diesen Dreh- und Angelpunkt seines Synodalen Prozesses. Das Konzil habe verkündet: „Die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung von dem Heiligen haben (vgl. 1 Joh 2,20.27), kann im Glauben nicht irren. Und diese ihre besondere Eigenschaft macht sie durch den übernatürlichen Glaubenssinn des ganzen Volkes dann kund, wenn sie ‚von den Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien‘ ihre allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert.“ (LG, 10) Und er fügte hinzu: „Das ist das berühmte ‚unfehlbar in credendo‘.“ Doch schon damals fragte sich der Papst, wie denn dieser sensus fidei, dieser Glaubenssinn des ganzen Gottesvolkes, gehört werden könne.

Genau dazu ertönt der „Zwischenruf zur Weltbischofssynode“ von Kurienkardinal Paul Josef Cordes, den wir als Titelthema gewählt haben. In welchem Sinn ist die „Unfehlbarkeit“ des ganzen Gottesvolkes zu verstehen? Was bedeutet dies konkret für den Synodalen Prozess? Wer muss gehört werden? Wie lassen sich die Stimmen der Gläubigen vom Lärm der Welt unterscheiden? Wie kann die Kirche auf diesem Weg Gott Raum geben, damit durch das gemeinsame Gehen und Aufeinander-Hören wirklich der Heilige Geist zu uns sprechen kann?

Einen weiteren Zwischenruf haben wir zum Leitartikel von Kardinal Cordes hinzugenommen, nämlich die sorgenvollen Wortmeldungen des Augsburger Bischofs Dr. Bertram Meier zum „Synodalen Weg“ in Deutschland. Gerade das drohende Abgleiten der Kirche in Deutschland auf ihrem „Synodalen Weg“ zeigt, wie berechtigt und entscheidend die Fragen von Kardinal Cordes sind.

Doch das Wetterleuchten über Deutschland darf in uns nicht die Hoffnung zerstören, dass der „Synodale Prozess“ der Weltkirche tatsächlich zu einem missionarischen Aufbruch führen kann. Papst Franziskus sieht die eigentliche Krise der Kirche darin, dass es ihr immer weniger gelingt, junge Menschen für eine aktive Teilnahme am kirchlichen Leben zu gewinnen, und dass es ihr immer schwerer fällt, ihre Glaubensschätze den Menschen von heute zu vermitteln. Durch den Missbrauchsskandal und den damit verbundenen Vertrauensverlust wird diese Krise nur verstärkt. Deswegen will der Papst eine Dynamik in Gang setzen, welche die weltweite Kirche mehr aufzurütteln und für das missionarische Anliegen sensibel zu machen vermag als alle noch so gut verfassten Lehrdokumente zusammen.

Liebe Leser, ein herzliches Vergelt’s Gott für Ihre Unterstützung, ohne die wir unser Apostolat nicht weiterführen könnten. Auf die Fürsprache Mariens wünschen wir Ihnen Gottes reichsten Segen zum Allerheiligen- und Allerseelen-Monat November!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Zwischenruf zur Weltbischofssynode

Was bedeutet „Unfehlbarkeit des ganzen Gottesvolkes“?

Die Weltbischofssynode 2023 ist auf einen Zeitraum von zwei Jahren angelegt und versucht, in einem sog. „synodalen Prozess“ das ganze Gottesvolk miteinzubeziehen. Papst Franziskus erinnert dabei immer wieder an die Aussage des II. Vatikanischen Konzils, dass das ganze Gottesvolk „in credendo“ unfehlbar ist. Was aber bedeutet diese Unfehlbarkeit für einen solchen synodalen Prozess? Das fragt sich Paul Josef Kardinal Cordes in einem „Zwischenruf zur Weltbischofssynode“. Kann der Glaubenssinn des gesamten Gottesvolkes wirklich durch Prozesse eruiert werden, wie sie nun geplant sind? Wie wird mit der Tatsache umgegangen, dass die vorherrschenden Glaubensvorstellungen oft nichts mit der geoffenbarten Wahrheit zu tun haben? Kardinal Cordes ruft dazu auf, „neben dem Menschen von heute dem ewigen Gott viel Raum zu geben“. Ein exklusiver Beitrag für KIRCHE heute.

Von Paul Josef Kardinal Cordes

„Glaube ja, Kirche nein!“ formulierten Enttäuschte und Distanzierte schon vor dem Vaticanum II. Der Konzilsaufbruch verpuffte dann rasch wieder. Und in unseren Tagen beschmutzen Skandale und Pädophilie ihrer geweihten Diener unsere Glaubensgemeinschaft beängstigend. Was Wunder, dass allenthalben Hirten wie Laien sorgenvoll einen Neubeginn der kirchlichen Sendung herbeiwünschen!

Synodalität: die päpstliche Rettungsidee

Kein Geringerer als Papst Franziskus selbst erhofft sich ihn von der Idee einer weltweiten Synode. Er lancierte Synodalität seit Beginn seines Pontifikats wieder und wieder. Neuestens stößt er einen großen Beratungsprozess der weltweiten Catholica an. Er soll „jedem … Gelegenheit geben, das Wort zu ergreifen und angehört zu werden“. Das zweite Charakteristikum dieser Synodalität ist ihm die „Gemeinsamkeit des Unterwegsseins“. Sie ermögliche „den Weg, Kirche zu werden, zu der Gott uns ruft“. So ereigne sich – drittens – eine fruchtbare Verbindung zwischen dem sensus fidei des Volkes Gottes und der Amtsfunktion der Hirten. Das kirchliche Lehramt habe ja immer – viertens – bei der „Definition der dogmatischen Wahrheiten“ auf die „Autorität des sensus fidei des ganzen Gottesvolkes zurückgegriffen, der ‚in credendo unfehlbar ist‘“.

In den genannten amtlichen Texten wird mit der Erwähnung von „Glaube“ zwar das kennzeichnende Element des kirchlichen Auftrags angesprochen. Auf dessen zeittypische Entstellung, Unterdrückung oder Leugnung fehlen allerdings alle Hinweise. Das „Hören auf den Heiligen Geist“ scheint problemlos gesichert. Doch neben Pädophilie, Pandemie und Machtmissbrauch zerstört glaubensfeindlicher „Weltgeist“ die Dimension der Transzendenz und die Ehrfrucht vor dem Menschen. „Gott-Vergessenheit“ (Joseph Ratzinger) wird zu Recht beklagt. „Ohne Gott“ aber degeneriert der allseits gesuchte „Humanismus zur Tragödie“ (Henri de Lubac).

Gottes Erlösungswort findet in uns Adressaten nämlich keinen authentischen Widerhall. Unsere Sünde entstellt und verfälscht es. Der menschliche Resonanzraum ist eben kein kristallklarer Spiegel der göttlichen Offenbarung. Selbst geachtete Boten trüben ihn ein. Die Geschichte erweist nicht erst seit der Pädophilie, dass die Kirche immer schon entstellt war von Sünden und durchsetzt von Häresien.

Darum hat sorgfältige Theologie eine wünschbare „Unfehlbarkeit des ganzen Gottesvolkes in credendo“ nicht pauschal behauptet, sondern präzisiert (etwa in der Internationalen Theologischen Kommission: Sensus fidei und Sensus fidelium, vom 05.03.2014). Sie unterscheidet zwischen „Sensus fidei (inhaltlicher Glaubenssinn)“ und „Sensus fidelium (Sinn der glaubenden Personen)“. Und sie hält fest: Was in der Glaubensvorstellung des Volkes Gottes greifbar wird, ist nicht schon deshalb kirchlich verbindlicher Glaube. Den zu qualifizieren, kommt dem kirchlichen Lehramt zu.

Perspektivenwechsel: der Reichtum des authentischen Erbes

Plebiszite, Referenden, Volksabstimmungen sind heute allenthalben gang und gäbe. Eine Vielzahl von Instituten führt Befragungen durch. Dieser Trend beeinflusst auch die Glaubensgemeinschaft und ihr Selbstverständnis. Demnach plant das „gemeinsamen Gehen“ der anstehenden Synode einen kirchlichen Prozess, „von dem niemand ausgeschlossen wird“. Es liegt auf der Hand, dass solch unbegrenzte Befragung das Interesse an der kirchlichen Sendung im Volk Gottes und weit über dieses hinaus weckt.

Der „Glaubenssinn des Volkes Gottes“ darf freilich nicht plebiszitär erfasst werden. Damit erhobene Antworten der Glaubensfundierung nützen, brauchen sie das Offenbarungslicht. In dieser neuen Perspektive aber möchte es sein, dass sich der Betrachtungswinkel fundamental ändert. Gottes Wort kehrt den Blick von verbreiteter Kirchenmeinung hin zu geoffenbarter Verlässlichkeit.

Solcher Wechsel der Sicht ist ebenso relevant wie faszinierend. Einmal zeigt sich, dass Gott selbst offenbar die Menschheit homogen und einträchtig will. Erst durch Abkehr von seinem Willen kamen Distanzierung, Zwietracht und Opposition zwischen uns Menschen auf. Das Buch Genesis sieht solche Folgen des Ungehorsams im Verteidigungsversuch unserer Stammeltern. Gott stellt sie nach der Ursünde zur Rede. Und Adam, der eben noch das Glück einer Gehilfin bejubelt hatte – „Das ist nun endlich Bein von meinem Bein“ –, stellt sich rasch gegen sie und schiebt ihr die Schuld zu: „Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben.“ Ebenso zerbricht die Frau die Harmonie, die sie zunächst in der Schöpfung barg; sie denunziert die Schlange: „Die Schlange hat mich verführt, und so habe ich gegessen“ (Gen 3,12f.).

Gleichfalls lehrt der „Turmbau zu Babel“ (Gen 11,1-9) das Zerbrechen der menschlichen Gemeinschaft durch Gottwidrigkeit. Er knüpft an bei menschlicher Sprachfähigkeit. Titanischer Wille soll der Menschheit Autonomie geben; sie will ihre kreatürliche Unterordnung abschütteln und „einen Turm bauen mit einer Spitze bis zum Himmel“. Sie gedenkt, sich „einen Namen zu machen“. Doch Gott zügelt ihren Hochmut. Er verwirrt „ihre Sprache, so dass sie nicht mehr die Sprache des andern verstehen“. Durch unbegreifbare Redeweise zerfällt Gemeinschaft in Verständnislosigkeit und gegenseitiger Resistenz.

Der erste Johannesbrief: Gott selbst als Urgrund unserer Erlösung

Die Heilige Schrift beschränkt sich allerdings nicht darauf, uns Menschen vor Entzweiung zu warnen. Sie offenbart vielmehr die primäre Quelle aller Einheit; denn sie schenkt uns das Selbstbildnis des dreifaltigen Gottes. Die Schönheit dessen, was Gott über sich selbst preisgibt, kann packen und für ihn einnehmen. Und weil er in sich Einhelligkeit in Reinform ist, findet Gottes Volk zur Gemeinschaft genau in dem Maß, in dem es sich Gott naht.

Vor allem die johanneische Theologie sichert den Glaubenden Gemeinschaftlichkeit, eine KOINONIA/Communio, die von Gott kommt. Denn wer glaubt, wird mit der Teilnahme am Leben Gottes beschenkt. Wir Hörer sind einbezogen in die Gemeinschaft, die der Briefverfasser selbst „mit dem Vater und seinem Sohn Jesus Christus“ hat (1 Joh 1,3). Ethische Verpflichtungen (1 Joh 2,6), das Halten der Gebote (1 Joh 3,24), das Bekenntnis zu Jesus Christus (1 Joh 4,15) und das Bleiben in der Liebe (1 Joh 4,16b) gründen in solcher KOINONIA mit Gott.

Anders als in der gnostischen Irrlehre, die die Materie verachtete und Gott-Einung in einer weltlosen Sphäre des Lichtes sucht, macht johanneische Theologie diese KOINONIA im geschichtlichen Menschen fest. Der ewige und allmächtige Schöpfer bindet sich an seine Kreatur. Wir sind in Gott, und er ist in uns. Immer neu kündet der 1. Johannesbrief die Gegenseitigkeit dieser Beziehung. „Wir haben Gemeinschaft mit dem Vater“ (1 Joh 1,3.6). Gerechtigkeit zu tun, ist der Ausweis, dass jemand „von Gott stammt“ (1 Joh 2,29). Wir „sind in ihm“ (1 Joh 2,5); „wir sind in diesem Wahren“ (1 Joh 5,20).  Nicht von Hinüberwechseln in ferne und ungreifbare Transzendenz ist die Rede, sondern von lebensnaher gegenseitiger Reziprozität. Des himmlischen Vaters Zusage schafft Realität: „Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es“ (1 Joh 3,1). Weil wir aus Gott stammen, können wir der Welt widerstehen: „Alles, was aus Gott stammt, besiegt die Welt“ (1 Joh 5,4).

„Gesicht“: ein trinitarisches Interpretament

Der 1. Johannesbrief lehrt nicht nur eine faktische Zugehörigkeit zu Gott, sondern die Gemeinschaft mit ihm hat auch eine Wissensdimension: „Ich schreibe euch, ihr Väter, dass ihr den erkannt habt, der von Anfang an ist“ (1 Joh 2,13); „wer sündigt, hat ihn nicht gesehen und ihn nicht erkannt“ (1 Joh 3,6). Leider hat dieses Gott-Erkennen im synodalen Konzept einen völlig blinden Fleck: Gott interessiert in der Synode offenbar höchstens in seinem Handeln und Wollen. Was er über sich selbst offenbart, bleibt unbeachtet. Die frühen Kirchenväter sind heute vergessen. Ihnen war Gottes Selbsterschließung kostbar, und sie suchten das Geheimnis der Dreifaltigkeit in Worte zu fassen. Der Ausdruck „Gesicht“ oder „Person“ (PROSOPON) erscheint ihnen als Hilfe.

Göttliche „Gesichter“ bekommen im Beschreiben des Zueinander der Personen gewinnende Umrisse. Die Väter wollten nicht nur die Wahrheit des rechten Glaubens verteidigen, sondern auch zur Intimität des trinitarischen Lebens vordringen, damit das Wunder und Geheimnis des geliebten Gegenüber erwärmt und anzieht. In ihren Überlegungen hat der Gemeinschaftsbegriff nicht nur einen sachlichen Inhalt, sondern auch eine personale Färbung. Johannes Damaszenus († 749) formuliert in theologischer Dichte die Bindung von Vater, Sohn und Heiligem Geist aneinander und ihre gegenseitige Verschiedenheit: „Die Bleibe und der Sitz jeder Person ist in der anderen.“

Trinitätstheologie: Impuls zu Anbetung und Beseligung

Trotz der trinitarischen Streitigkeiten motiviert die Theologen nicht nur die Korrektheit des Glaubens, sondern vor allem Gottes Anbetung und das Glück seiner Gemeinschaft. Sie sind ergriffen: Wer immer diesem Gott naht, bleibt nicht selbstverschlossen. Er geht aus sich heraus; es drängt ihn, dass Gottes Größe allseits anerkannt wird.

So bekennt etwa Gregor von Nazianz († 390), was ihn innerlich erfüllt und geistlich überwältigt, wenn er sich anbetend in dieses Geheimnis versenkt: Noch habe ich nicht begonnen, die Einheit zu bedenken, und schon überflutet mich die Dreieinigkeit mit ihrem Glanz. Noch habe ich nicht begonnen, die Dreieinigkeit zu bedenken, und schon hat mich wieder die Einheit hinweggerissen. Wenn Einer der Drei sich mir vorstellt, denke ich, es sei das Ganze, so sehr ist mein Auge erfüllt, so sehr entgleitet mir die Überfülle; denn in meinem Geist, der allzu begrenzt ist, um einen Einzigen der Drei zu begreifen, bleibt kein Raum mehr für die beiden Andern. Und wenn ich die Drei in einem einzigen Gedanken fasse, sehe ich eine einzige Flamme, bin unfähig, das geeinte Licht zu trennen oder zu erforschen.

Es war der hochgelehrte Clemens von Alexandrien († vor 216), der als einer der ersten den Enthusiasmus des frühchristlichen Anfangs formulierte: „Kostet und seht, wie gut der Herr ist!“ Der Glaube wird euch herführen, die Erfahrung euch lehren, die Schrift euch erziehen. „Kommt, ihr Kinder“, sagt sie, „hört mir zu! Ich will euch in der Furcht des Herrn unterweisen.“ Dann fragt sie, da sie zu solchen spricht, die schon zum Glauben gekommen sind, an: „Wer ist der Mensch, der sich nach Leben sehnt und gute Tage zu sehen wünscht?“ – Das sind wir, ist unsere Antwort, wir verehren das Gut, wir eifern um die Güter… Eilen wir also, eilen wir, uns zu vereinen im Heil, in der neuen Geburt; in der einen Liebe – wir, die wir viele sind – nach dem Vorbild jener Einigkeit, die im einzigen Wesen Gottes herrscht. Weil er uns das Gute gewährt, wollen wir unsererseits Einheit stiften und uns an der guten Ureinheit festmachen.

Solche Leidenschaftlichkeit bei der Annäherung an Gott muss uns angesichts des biblischen Hauptgebotes erleuchten und ergreifen. Der Allmächtige will ja nicht nur Wahrnehmung, Respekt und Gehorsam vom Menschen. Er möchte in seinem Sohn von uns wirklich geliebt werden „mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit allen Gedanken und mit ganzer Kraft“ (Dtn 6,4f.; Mk 12,20) –  alldieweil wir doch schon menschliche „Liebe“ als das Beglückendste und Erschütterndste überhaupt erleben. Demnach können die Kirchenväter uns inspirieren, die großen Ruhmesgebete der Kirche – wie das „Ehre sei dem Vater“, das „Gloria“ der Hl. Messe, das „Te Deum laudamus“ – nicht nur mit den Lippen, sondern mit wachem Gemüt zu sprechen.

Dreifaltigkeit: Quelle und Ziel von Gemeinschaft

Glaubende Suche nach der Einheit mit anderen Menschen kann die Trinität entdecken. Und wer über das Staunen vor Allmacht und Größe hinaus sich dem Du des Heilbringers Christus zuwendet, den vereinnahmt die theologische Logik: Gott selbst muss es sein, der die Aufhebung von Zwietracht und Trennung unter den Menschen wirkt; denn was die Theologen unter Mühen von seinem Geheimnis entschlüsselt haben, beweist ihn als „Prototyp“ von geeinter Vielheit und von mehrfältiger Einheit. „Trina unitas et unita Trinitas – dreifache Einheit und geeinte Dreiheit“ nennt ihn der Bischof Quodvultdeus († 453). Und über den Besuch der drei Engel bei Abraham (Gen 18) sagt er: „Er sah die drei (Personen) und verehrte Einen Einzigen.“

Quodvultdeus und andere Kirchenväter lebten im Westen und geben der älteren Trinitätslehre der Griechen einen neuen Akzent. Sie zeigen die Dreifaltigkeit als Archetyp der Communio: ln ihrer Dreiheit wird sie zur Quelle, aus der Gemeinschaft entspringt; sie ist ferner das Ziel, in dem sich Gemeinschaft für Kirche und Menschheit endgültig verwirklicht. Ihre Darlegungen geben demnach nicht nur theologische Eckdaten. Sie bewegen auch dazu, bei der kirchlichen Gemeinschaftssuche Gott nicht aus dem Blick zu verlieren, sondern sie gerade von ihm zu erhoffen.

Pastoraler Dreh- und Angelpunkt: „Gott nicht voraussetzen, sondern vorsetzen“ (H. U. von Balthasar)

Zu unserm Trost sei festgehalten: Begeisterung für Gottes wunderbare Dreiheit ist keineswegs ein mit den frühchristlichen Jahrhunderten versiegte Quelle. Sie ergießt sich in der Kirche immer wieder. Etwa in dem Werk der Mystikerin Mechtild von Magdeburg († 1282). „Das fließende Licht der Gottheit“. In Visionen legt die Ordensfrau ihre Erfahrung mit Gottes trinitarischem Leben nieder. Gott ist ihr ein ewig fließender Brunnen. Er berührt sie mit seiner ewig strömenden Flut. Die Seele hinwieder fließt dann zu Gott zurück; und je geringer sie selbst, Mechtild, wird, umso mehr wird ihr zuteil. Das Ergebnis ist ein gegenseitiges Sich-Anstrahlen und das Schmecken der ganzen trinitarischen Liebe:

Woraus bist du erschaffen, o Seele, dass du so hoch steigst über alle Kreaturen und dich mengest in die heilige Dreifaltigkeit. Und doch ganz in dir selber bleibst?

Mechtild begnügt sich nicht damit, ihre selbstvergessene Entrückung und trunkene Gottes-Verehrung für sich aufzuzeichnen. Nach einem der bedeutendsten Experten der „Mystik des Abendlandes“ – Bernhard McGinn (geb. 1937) – blieb die Resonanz von Mechtilds trinitarischer Liebesdynamik keineswegs unerheblich. Der von ihr beschriebene Reichtum war Antrieb auch für die mittelalterliche Reformbewegung der „Gottesfreunde“, die unter Laien, Priestern wie Ordensleuten beachtliche Glaubensfrüchte zeigte.

Nota bene: Der dreifaltige Gott sollte unter Glaubenden nie als ohnehin bekannt vorausgesetzt werden. Sein Angesicht ist mit dem Psalmisten unablässig zu suchen. Wenn er bedacht und verkündigt wird, beglückt er die mit seiner Liebe, die sich ihm aussetzen. Ob der großen Weltsynode wohl ein Wechsel der Perspektive gelingt und sie anfängt, neben dem Menschen von heute dem ewigen Gott viel Raum zu geben? 

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2021
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„Der Synodale Weg, auf dem wir uns befinden, gibt Anlass zur Sorge!“

Wollen wir eine Kirche ohne Weiheamt?

Der Augsburger Bischof Dr. Bertram Meier macht sich große Sorgen um den „Synodalen Weg“ in Deutschland. Bei seiner Predigt am 10. Oktober 2021 im Augsburger Dom warnte er in aller Deutlichkeit vor „nationalen Sonderwegen“. Es bestehe die ernsthafte Gefahr, dass „die katholische Kirche auf dem Synodalen Weg in eine de facto evangelische Landeskirche transformiert“ werde. Im Blick auf die Bistumspatrone Ulrich und Afra betonte er, das Ziel unseres Weges sei „letztlich nicht eine heile Welt, die wir aufzubauen hätten, sondern die neue Welt Gottes“. Der Kirche dürfe es „nicht um den kleinsten gemeinsamen Nenner“ gehen, „sondern um die Einbindung in die Wolke von Zeugen, in die weltumspannende Kirche, wo der unverzichtbare Schatz des apostolischen Glaubens die Echtheit der vielen persönlichen Lebens-Credos braucht, um lebendig zu bleiben; und wo umgekehrt das Bekenntnis des einzelnen Christen sich einhängen kann in die große Wolke und so seine ‚schwache Seite‘ aufgefangen wird von der ‚Communio sanctorum‘, der Gemeinschaft der Heiligen“. Und Bischof Meier legte den Gläubigen ans Herz: „Hören Sie nicht auf zu beten! Die Kirche in Deutschland braucht unser Gebet dringend.“ Ein Auszug aus der Predigt.

Von Bischof Bertram Meier

Der Synodale Weg, auf dem wir uns befinden, gibt Anlass zur Sorge. Dass die Kirche in unserem Land einen Aufbruch braucht, um zukunftsfähig zu sein, darüber sind wir uns einig. Doch wie soll das gehen? Ich leugne nicht, dass es auch in der Kirche Schuld und Sünde gibt. Jeder Skandal ist einer zu viel. Daher sind jene, die Verantwortung tragen, nicht sakrosankt. Trotzdem glaube ich der „heiligen Kirche“. Auf sie lasse ich nichts kommen. Ich arbeite gern in ihr. Mit Freude verstehe ich mich als Mitarbeiter Jesu Christi, der seine Jünger in die Welt sandte und ihnen in Petrus einen Sprecher gab. So können wir uns bis heute am Papst orientieren. Er ist Garant der Einheit; er hält uns zusammen. In meiner Biographie habe ich Weltkirche nicht nur studiert, sondern auch gelernt und gelebt. Die Zeit in Rom und später die regelmäßigen Reisen ins Heilige Land lehrten mich, über den schwäbisch-bayerisch-deutschen Tellerrand weit hinauszuschauen. Nie im Leben habe ich Weltkirche als Handicap oder Korsett erfahren. Im Gegenteil: Ich sehe sie als Privileg. Die Weltkirche hat meinen Horizont weit gemacht. Ich war und bin stolz, als Christ, Priester und Bischof weltkirchlich unterwegs zu sein. Diese Erfahrung will ich mir nicht nehmen lassen. Ich bin Bischof einer konkreten Diözese, aber auch eingebunden in das Netz der vielen Ortskirchen, das den Globus umspannt.

Wenn ich mir die Pisten anschaue, die sich für die Zukunft des Synodalen Weges abzeichnen, bin ich dankbar. Die Landkarte liegt offen auf dem Tisch. Denn nun ist klar, wo die Reise hingehen soll. Zugleich werde ich nachdenklich. Ich mache mir Sorgen. Mir stellen sich Fragen hinsichtlich der Pfade, die wir einschlagen:

• Trägt uns nicht mehr die gemeinsame Überzeugung, dass ein sakramental verstandenes Volk Gottes – die Kirche – ein sakramental verortetes Weiheamt notwendig braucht? Es ist konstitutiv für die katholische Kirche. Daran sollte auch eine Synode weder rütteln noch sägen. Denn Synodalität ist nicht Korrektiv, sondern Entfaltung und Bezeugung der Communio hierarchica, der hierarchischen Gemeinschaft.

• Wollen wir unsere Hirten künftig nur noch demokratisch wählen und auf Zeit einsetzen, um ihnen bei Bedarf ebenso per Mehrheitsvotum wieder das Vertrauen entziehen zu können? Bischöfe auf Zeit?! Wenn wir ernsthaft eine Kirche ohne Weiheamt anstreben, läuten wir uns selbst die Sterbeglocke: Selbstabdankung der Bischöfe, Priester und Diakone. Das möge Gott verhüten!

• Was ist eine Kirche ohne die Autorität von geweihten Amtsträgern wert? Was richtet sie aus im öffentlichen und politischen Diskurs? „Sie taugt zu nichts mehr, sie wird weggeworfen und von den Leuten zertreten.“ (vgl. Mt 5,13) Ich bin überzeugt: Wenn wir eine Kirche ohne sakramentales Amt wollen, brechen wir ihr das Genick. Sie wird gebückt, verkrümmt, geht weder aufrecht noch aufrichtig ihren Weg. Sie hat keine Kraft mehr, gegen den Strom zu schwimmen. Sie wird mitgerissen von den Wellen der gängigen Meinungen. Denken wir es weiter! Müsste ein Pfarrer, ein Bischof, der Papst sein Wirken an den Applaus von Mehrheiten knüpfen, wohin würde das führen? Stellen wir uns vor, wie es unserem Erlöser im Heiligen Land ergangen wäre, wenn er bei den Aposteln vorher hätte abstimmen lassen, ob er den Kreuzweg gehen soll. Mein Kirchenpolitbarometer liefert mir die Prognose: 12 zu 1 gegen Jesus. Der Heiland hat aufs Votum verzichtet; er hat sich fürs Kreuz entschieden – und uns dadurch erlöst: Im Kreuz ist Heil!

Wir wissen, wo die Wiege der Weltkirche steht: in Jerusalem. Auf Golgatha ist der Baum des Kreuzes gepflanzt. Als der Abendmahlssaal sich an Pfingsten öffnet und die ängstlichen Apostel wie neugeboren ins Freie treten, um die internationale Gemeinde für Jesus zu begeistern, da wird die Weltkirche aus der Taufe gehoben. Brechen wir eine Lanze für die Weltkirche, bleiben wir ihr treu! Liebäugeln wir nicht mit nationalen Sonderwegen! Am deutschen Wesen wird die Weltkirche sicher nicht genesen. Seien wir ehrlich: Die Pandemie hat gezeigt, was die Menschen wirklich von der Kirche erwarten: Begleitung, Nähe und Trost. Das dürfen wir ihnen nicht vorenthalten. Ich wünsche mir, dass mein eigenes Leben, mein Dienst als Bischof immer evangeliumsgemäßer wird – in einem Rahmen, der katholisch ist und bleibt. Wir alle dürfen nicht schlafen, um uns dann beim Erwachen verdutzt die Augen zu reiben, weil sich die katholische Kirche auf dem Synodalen Weg in eine de facto evangelische Landeskirche transformiert hat. Kämpfen wir für Jesus und seine Frohe Botschaft! Setzen wir uns für das Grundgesetz, die Verfassung der katholischen Kirche, ein: die Sakramentalität als Zeichen und Werkzeug des Heils (vgl. LG 1). 

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2021
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Kritische und nachdenkliche Worte aus dem Erzbistum Paderborn

„Wir müssen eine neue Form von Kirche entwickeln“

Der Paderborner Domkapitular Monsignore Dr. Michael Bredeck (geb. 1970) ist Leiter des Bereichs „Pastorale Dienste“ im Erzbischöflichen Generalvikariat des Erzbistums Paderborn. Er ist kein Mann der lauten Worte. Umso eindringlicher, kritischer und nachdenklicher waren seine Ausführungen im Rahmen der Verbandsvertreterversammlung des „GemeindeVerbandes Mitte“ vor über 300 Vertretern aus 256 katholischen Gemeinden zwischen Hamm und Siegen Anfang Oktober 2021. Eine Zusammenfassung des Vortrags von Dr. Bredeck durch den GemeindeVerband Mitte.

Von Michael Bredeck/GemeindeVerband Mitte

Die Transformation unserer Kirche ist zugleich der Weg der Christen in die Minderheit – also in eine nach-volkskirchliche Zeit“, stellt der promovierte Theologe in seinem Vortrag fest. Die „kirchlichen Abstiegsprozesse“ gemessen am volkskirchlichen Status Quo würden für alle Engagierten eine „gemeinsam zu tragende Last“ sein. Diese Veränderungen – so prophezeit Bredeck – würden in absehbarer Zeit zu weiteren innerkirchlichen Auseinandersetzungen um den richtigen Kurs in grundsätzlichen Fragen führen. „Die Diskussionen werden nicht weniger werden und das erfordert eine gewisse Duldsamkeit der Engagierten“, stellt er fest.

 Wir stehen an einer Zeitenwende

Den anwesenden ehrenamtlichen Kirchenvorständen gab Bredeck eine große Aufgabe mit auf den Heimweg: „In oberster Schicht bedeutet diese Entwicklung: Die katholische Kirche wird ärmer und kleiner werden – das gilt für alle ihre Ebenen und für alle ihre organisatorischen Aspekte“, stellt er fest. Das bedeute natürlich auch für die Pfarrgemeinden vor Ort, dass man sich kleiner und bescheidener aufstellen müsse. Auf diese Herausforderung stimmte er die Gremienmitglieder ein. „In tieferer Schicht bedeutet diese Transformation der Kirche, dass es auch zu einem fundamentalen Mentalitätswandel in der katholischen Kirche kommen muss, der im Widerspruch zum erlernten Habitus sowohl im Haupt- wie auch im Ehrenamt steht“, resümiert Bredeck.

„Es gilt Abschied zu nehmen von der Rolle und dem Selbstverständnis des gesellschaftlich einflussreichen, geachteten, machtvollen Players hin zu einer Gemeinschaft von Jüngerinnen und Jüngern des demütigen, kleinen und wandernden Jesus“, betont er. Ziehe man zur Verbildlichung aus theologischer Sicht den Paulus-Brief an die Philipper hinzu, könne man den Weg zu einer neuen Kirche als einen „Kenosis-Prozess“ beschreiben, wobei Kenosis aus dem Altgriechischen übersetzt für Entäußerung steht.

Entwicklung zu einem entschiedenen Christentum

Diese „Zeitenwende“ in der katholischen Kirche, wie es auch Papst Franziskus nennt, berge in sich aber nicht nur große Herausforderungen, sondern auch eine große Chance für die verbleibenden Christen. „Wohin dieser Transformationsprozess zielt, ist ja stellenweise bereits erkennbar – auch in der Weltkirche“, beschreibt Michael Bredeck. „Wir entwickeln uns zu einer Kirche, die aus der Taufe heraus lebt. Zu einer Kirche eines guten Miteinanders – zu einer Kirche die stärker berührt als organisiert“, fasst er seinen Eindruck zusammen.

Die Kirche befinde sich zweifelsohne in einem Krisenmodus, der alle Beteiligten vor eine tiefgreifende Entscheidung stelle: „Jeder muss sich selbst die Frage beantworten, ob er bereit ist und ob es ihn reizt, in der Kirche und mit der Kirche noch einmal neu zu erlernen, was „Christ sein“ und „Jesus folgen“ bedeutet“, betont Bredeck. „Die Kirche – auch im Erzbistum Paderborn – wird Zukunft haben, wenn Menschen tiefer verstehen, was es bedeutet Christin und Christ zu sein, zu werden oder zu bleiben.“

Die wichtigen Wegpunkte und Ereignisse in einem Leben als katholischer Christ werden seiner Meinung nach in der Zukunft noch stärker und häufiger Gelegenheit geben, sich selbst und auch den Menschen in der eigenen Umgebung zu zeigen, was „Christsein“ bedeute und ausmache. „Zugleich müssen wir uns als katholische Christen aber einen freundlichen und offenen Modus zu Eigen machen – gerade um das Wissen der Wirkung unseres Glaubens im säkularen, sprich: weltlichen Umfeld.“

Zunehmende Bedeutung kleinerer Gemeinschaften

Heruntergebrochen auf das Gemeindeleben vor Ort müsse somit allen innerkirchlich Beteiligten sehr deutlich werden, welch besondere Bedeutung den Gruppen, Familienkreisen, aber auch kirchlichen Einrichtungen wie Kitas und Schulen „in der Zukunft unserer Kirche zugemessen werden sollten“, so Bredeck.

Es wird für uns als katholische Kirche kein leichter, aber ein spannender, herausfordernder und verheißungsvoller Weg hin zu einer ‚kreativen Minderheit‘ in einer säkularen Gesellschaft. Es wird an uns sein, das ‚Gerücht von Gott‘ wach zu halten“, schließt Bredeck. Er wünsche sich von seiner Kirche, von Seiten des Klerus wie auch der Laien die Bereitschaft, „sowohl notwendige Haltungen wie auch passende Strukturen für die Zukunft der Kirche gemeinsam zu entwickeln.“ Auf dem Weg dahin dürfe man keine Angst vor Irrtum und Misserfolgen haben, Ideen und Talenten müsse man eine echte Chance geben, Unterschiedlichkeiten zulassen und Verantwortung auf viele Schultern verteilen. 

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2021
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Durch den „Synodalen Weg“ droht uns eine heillose Sprachverwirrung

Geheimnis des Empfangens

„Nicht wir sind die Macher der Kirche“, betonte der Augsburger Diözesanbischof Dr. Bertram Meier bei einer Predigt am 16. Oktober 2021 in Dießen a. Ammersee. Das Geheimnis der Kirche liege im Empfangen, nicht im Machen. Die „Macher“, wie sie auch beim „Synodalen Weg“ in Aktion treten, seien zum Scheitern verurteilt, so Bischof Meier. Anlass war die Eröffnung einer Niederlassung der „Cruzadas“, die er zusammen mit dem Apostolischen Nuntius Dr. Nikola Eterović vornahm. Ein kurzer Auszug aus seiner Predigt.

Von Bischof Bertram Meier

Was für Liebe und Leben gilt, treffen wir in vielen anderen Bereichen wieder. Die Spannung zwischen Machen und Annehmen, zwischen Produzieren und Empfangen, zwischen Haben und Sein ist so alt wie die Menschheit. Leute wollen den Himmel stürmen, und sie fallen dabei aus allen Wolken. Sie starten zum Höhenflug und zerschellen am Boden. Diese uralte Versuchung des Menschen hat einen Ort: Er heißt Babel. Die Bewohner von Babel wollen sich einen Namen machen. Die Anstrengungen dienen der eigenen Selbstdarstellung. Und die Menschen lassen sich aus in ihrer Lieblingsbeschäftigung: Sie fahren Karussell um das Denkmal, das sie sich selbst setzen wollen. Sie drehen sich im Kreis um sich selbst und meinen, der Zerstreuung und dem Verfall zu entrinnen. Weit gefehlt! Die Gesellschaft der Macher scheitert. Das Riesenunternehmen steht unter dem Fluch der „babylonischen Verwirrung“. Ein trauriger Name, den sich die Macher für alle Zeiten geschaffen haben. Der Name steht für das, worunter wir leiden, auch in der Kirche, in unseren Gemeinschaften, in unseren Familien: Wir verstehen uns nicht mehr, wir reden aneinander vorbei, „sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht“ (Gen 11, 7). Wir haben die Muttersprache des Herzens verloren. Daran krankt auch der Synodale Weg. Statt des erhofften Pfingsten droht uns eine heillose Sprachverwirrung.

Muss das so weitergehen? Gibt es keine Alternative zur Geschichte Babels? Wo legt die Hoffnung ihre Spur? „Empfangen durch den Heiligen Geist“ war Jesus, Menschenkind und Gottessohn. Wie Maria den Sohn Gottes austragen durfte, so ist sie an Pfingsten dabei, als die Geburtsstunde der Kirche schlägt, die ebenfalls „empfangen ist vom Heiligen Geist“. Nicht wir sind die Macher der Kirche; noch ehe wir sie mitgestalten können, ist die Kirche auf uns zugekommen: Wir haben den Glauben von der Kirche empfangen, wir durften die Liebe der Kirche erfahren und wir können uns auf die Hoffnung der Kirche stützen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2021
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„Die Macht der kleinen Herde“ (6)

Der Geschmack des Evangeliums

Es ist ein bezeichnender Ausdruck, der sich eben erst in der päpstlichen Gebetsintention für den Weltmissionsmonat Oktober 2021 fand: „Dass jede/r Getaufte an der Evangelisierung teilnehme und verfügbar werde für die Mission, durch ein Lebenszeugnis, das den Geschmack des Evangeliums an sich hat."[1] Wir ahnen wohl unmittelbar, was mit dieser Rede vom „Geschmack des Evangeliums“ gemeint sein mag. Und doch ist es gut, dem ein wenig auf den Grund zu gehen. In den folgenden Überlegungen von Pfr. Lorenz Rösch spiegelt sich ein langjähriges persönliches Suchen, aber auch ein reichhaltiges Finden. Beides wird zur Einladung, dann auch selber zu fragen: Wo in meinem Leben bin ich diesem „Geschmack“ intensiver begegnet? Wo finde ich ihn wieder? Wieweit können wohl andere Menschen diesem „Geschmack“ bei mir – bei uns – begegnen? Und welcher Ruf liegt für mich in all dem – über das Beten hinaus?

Von Lorenz Rösch

Ihr erstes Vorbild hat die Rede vom „Geschmack des Evangeliums“ sicherlich in Jesu Mahnung, das Salz – der Erde – dürfe nicht seinen Geschmack verlieren (Mt 5,13). In unserer Zeit ist es nun Papst Franziskus, der diese Bildsprache vielfach aufgreift, erweitert und variiert. Immer wieder weckt und wünscht er solchen unverkennbaren Geschmack: den Geschmack von Zuhause und Familie (inmitten einer Mainstream-Kultur, die uns dies als Auslaufmodell verkauft),[2] den starken und ursprünglichen Geschmack der Selbstgabe,[3] Priester, die im Licht des Evangeliums den Geschmack Gottes um sich herum verbreiten-[4] Im Rückblick auf seine Reise nach Ungarn und in die Slowakei erinnerte er an das Fest in der Roma-Siedlung als „ein einfaches Fest, das nach Evangelium schmeckte“-[5] Soll man diesen Geschmack des Evangeliums näher charakterisieren, ist zuerst an die Seligpreisungen zu denken. Die ökumenische Brüdergemeinschaft von Taizé kondensiert sie auf die drei Leitworte: Freude, Einfachheit, Barmherzigkeit.[6]

Eine Abgrenzung bringt weiteres Licht in das Gemeinte: Nicht vom „Klang“ des Evangeliums ist die Rede, sondern eben vom Geschmack. Um den Klang des Evangeliums handelt es sich, wenn uns seine Kernbotschaft zugesprochen wird oder wir diese durchs Lesen der Schrift innerlich vernehmen. Dass das Evangelium authentisch zur Sprache gebracht wird und zu Gehör kommt, ist wichtig und unverzichtbar. Doch die Vermittlung könnte nicht gelingen ohne den „Duft“ (vgl. 2 Kor 2,14), den „Geschmack“ (vgl. 1 Petr 2,3), ja sogar eine Art „Sichtbarkeit“ und „Betastbarkeit“ (vgl. Joh 1,1) des Evangeliums. Schließlich geht es nicht um die Vermittlung einer Theorie, sondern um die Einbeziehung in lebendiges Leben, in Beziehungs-Leben.

Geschmack nimmt das Evangelium da an, wo es als gelebtes begegnet. Insbesondere wo es in gewisser Dauer miterlebt werden kann und sich dem Mitleben öffnet. Worte können dieses Geschmackserlebnis nicht vermitteln, nur vorbereiten oder wiederum als Erinnerung wachrufen. Und auch einzelne Christen – Priester inbegriffen – können in ihrer Person dieses Erlebenlassen nur begrenzt leisten. Sie bieten gleichsam Geschmacksproben, wenn sie sich zugewandt, geradlinig, hilfsbereit, hoffnungsvoll zeigen. Aber wenn es darum geht, die Einladung des fleischgewordenen Wortes: „Kommt und seht“ (Joh 1,39) wieder mit Leben zu füllen, kommen sie als einzelne an ihre Grenze. Sie sollten sich damit bescheiden, zu dieser Grenze zu stehen und, rechtzeitig von sich weg verweisen.

Orte mit dem Geschmack des Evangeliums

Familiäre Hausgemeinschaften in den unterschiedlichsten Konstellationen sind meiner Erfahrung nach die bevorzugten und nächstliegenden Orte, wo man diesen Geschmack des Evangeliums vorfinden kann. Dies kann die kinderreichere Familie sein, zu der womöglich auch angenommene Kinder gehören. Oder die Eheleute (oder die ledigen Geschwister), die eine hochbetagte Mutter im Maß des Möglichen betreuen und miteinbeziehen. Es kann das altgewordene Ehepaar sein, bei dem einer des anderen Last trägt, während der andere schon ungleich weniger tragen kann. Oder das Ehepaar (mit oder ohne Kinder), das in einer geistlichen Gemeinschaft beheimatet ist und bewusst die Gastfreundschaft pflegt.

Darüber hinaus sind es familienartige Kreise von im Glauben Engagierten, die Lebens-Orte bilden, wo das Evangelium verschmeckt werden kann – insbesondere mit ihren Treffen zu Gebet und geschwisterlichem Austausch. Sie tragen unterschiedliche Namen wie: Hauskreis, Pfarrzelle, Kleingruppe. Im günstigen Fall sind es Kreise, die über die gegenseitige Unterstützung hinaus einen Auftrag in ihrem kirchlichen oder nachbarschaftlichen oder überhaupt gesellschaftlichen Umfeld sehen. Und die auch fähig sind, für solche Menschen eine Weggemeinschaft auf Zeit zu sein, die vielleicht gerade erst auf den Geschmack des Evangeliums gekommen sind oder es als Katechumenen kennenlernen möchten.

Taizé mit seinen verschiedenen Formaten von Treffen ist noch immer ein wichtiger Ort, wo Menschen in den Geschmack des Evangeliums eintauchen können. Ähnliches kann man von Wallfahrten und von vielen Wallfahrtsorten sagen. Es gilt ebenso von den großen Treffen und Erlebnistagen vieler geistlicher Gemeinschaften und Bewegungen. Wobei die Strahlkraft solcher Tage nicht allein in der intensiven geistlichen Atmosphäre liegt, die zu spüren ist, sondern gerade dann entsteht, wenn das Bekannte und Gefeierte sich auch im achtsamen und zuvorkommenden Miteinander verifiziert. Die unfertigen Gegebenheiten und das nötige Improvisieren, damit gerade auch die Schwächsten teilhaben können, lassen hier – auf Zeit – das Evangelium umso greifbarer werden.

Dies wiederum lenkt den Blick auf eine weitere Kategorie von Orten erlebbaren Evangeliums: Sie entstehen dort, wo Menschen und Gemeinschaften (oft mit einem inneren Kern von Gottgeweihten) die Nähe von sozial schwachen, in irgendeiner Hinsicht bedürftigen Mitmenschen suchen, ihnen vielleicht mit Rat und Tat zur Seite stehen, aber vor allem mit Wertschätzung und Geduld Lebenszeit mit ihnen teilen und ihnen mit einfachen Mitteln eine Atmosphäre des Willkommenseins bieten. Menschen mit Behinderungen aller Art können dabei nicht nur Anlass sein, sondern sich als tragende Subjekte der Evangelisierung erfahren.

Zum vollen Geschmack des Evangeliums gehört es, dass dieses in irgendeiner Weise auch ausdrücklich präsent ist, als gemeinsame Inspirationsquelle und als Zielbild. Präsent gemacht nicht unbedingt immer durch viele Worte, aber doch durch das eine oder andere Christus-Bild oder -Symbol, durch bestimmte Rituale, die das Miteinander auf Ihn ausrichten und Ihm seinen zentralen Platz geben. Und durch besondere Zeiten und außergewöhnliche Momente, die die gemeinsame Ausrichtung erneuern und vertiefen.

Geschmacksunterscheidung

So ist der Geschmack des Evangeliums zunächst ein „ortsgebundenes“ Phänomen. Von solchen Orten aus will er jedoch zumindest an der einen oder anderen Stelle aktiv in die Gesellschaft eingebracht werden – nach Art des Salzes, der Würze für das größere Ganze. Nach Ludwig Mödl braucht es insgesamt drei Arten von Engagement: „Solidardiakonie“, „Gesellschaftsdiakonie“ und „Kulturdiakonie“-[7] Die etablierten deutschen Kirchen versuchen in jüngster Zeit verstärkt Mittel zu investieren und neue Wege zu gehen, um in Bereiche der Gesellschaft hineinzuwirken, die weniger kirchenaffin sind. Doch scheint mir, dass zwischen dieser Art strategisch gewollter Initiativen und solchen, die aus bereits gemeinschaftlich gelebtem Evangelium heraus entstehen, ein deutlicher „Geschmacksunterschied“ besteht…

Das typische Geschmackserlebnis des Evangeliums hängt zusammen mit den typischen Früchten, die der Geist Jesu wachsen lässt und die besonders an solchen Orten des gelebten Evangeliums verkostet werden können. Diese Früchte heißen nach Gal 5,22f.: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Enthaltsamkeit (oder Selbstzurücknahme). Jesus selbst hält uns dazu an, auf die Früchte zu achten, denn an den Früchten erkennt man, welcher Art der Baum ist – woher er seinen Saft zieht und was er daraus macht.

In aller Regel wird das Geschmackserlebnis des Evangeliums auf „natürlichem“ Weg gemacht, also indem Getaufte mit dem Lebenszeugnis anderer „missionarischer Jünger/innen“ in Berührung kommen und dabei „auf den Geschmack kommen“! – Und wo kann das geschehen? Als Nicht-Familienmitglied am Leben einer christlich geformten Familie teilzuhaben, ist vielleicht dann und wann möglich und kann für jemand auch eine wichtige Erfahrung sein. Aber um einen Weg der Reifung mitgehen zu können, braucht es vor allem „grenzüberschreitende“ familienähnliche Weggemeinschaften, deren Zusammenkünfte und Einsatzbereiche.

Teil von Gottes Antwort werden

Dass Deutschland wieder Missionsland geworden ist, diese Erkenntnis ist uns inzwischen vertraut. Sie wird dadurch unterstrichen, dass bald weniger als die Hälfte der Deutschen getauft sein werden. Aber dass die Mission Sache eben dieser – bald – Minderheit von Getauften ist, dieser Gedanke findet unter uns noch wenig Widerhall. Zu viele begnügen sich mit dem bedarfsorientierten Abrufen der verbleibenden kirchlichen „Angebote“. Und zu viele Kirchenverantwortliche beschränken sich auf die Sorge um das Abdecken solchen Bedarfs. Die Tage rücken jedoch näher, wo potenzielle Täuflinge und Eltern potenzieller Täuflinge nicht mehr so sehr eine Art Segensritual oder ein vages Wertefundament als Option vor Augen haben, sondern Menschen und Orte, die den hoffnungsvollen Geschmack des Evangeliums an sich tragen. Ihr Taufwunsch besagt dann: Ich möchte – mit meinem Kind – ein Teil davon sein!

Wenn Papst Franziskus die Begegnung mit den Roma am Stadtrand von Košice als „Fest“ wahrnahm, „das nach Evangelium schmeckte“, dann hat dies gewiss maßgeblich damit zu tun, dass dort seit 2008 eine Ordensfamilie – die Salesianer Don Boscos – präsent ist und diesen Ort mit dem „Salz“ des Evangeliums durchdringt. Und dieser Geschmack scheint sogar stärker zu sein als alle Barrieren, die eine Pandemie aufrichten kann: eine Ermutigung auch für uns weiter westlich in Europa.

Ich selbst finde mich seit ein paar Monaten als mitarbeitender Pfarrer an einem Ort wieder, wo vor Jahrzehnten ein Priester gewirkt hat, der mir später als Pensionär eine Zeitlang geistlicher Begleiter war. Mir ist sein – aus Erfahrung gewonnener – Rat in lebendiger Erinnerung, man dürfe als Priester nicht partout den Geist durch eine bestimmte Tür hereinholen wollen, man müsse es letztlich ihm überlassen, welchen Weg er nehmen möchte, und dann ganz auf diesen Weg eingehen. Sprich: So sehr ich für Modelle und Prinzipien brenne und sie zu vermitteln versuche, ich muss es letztlich Ihm überlassen, welche Menschen er wo, in welcher Weise auf den Geschmack des Evangeliums bringt (oder schon gebracht hat). Und ich darf mich weitgehend darauf beschränken, diesen Menschen dabei zu assistieren, ihre Erfahrung zu vertiefen, vor Ort einzubringen und fruchtbar werden zu lassen.

Ob pastorale Ideen und Initiativen nun durch persönliche Erfahrung oder Betroffenheit geweckt worden sind, oder ob sie auf Überlegungen des Pfarrgemeinderats oder kirchenamtliche Vorschläge zurückgehen: Stets wird es hilfreich sein zu fragen, wie weit das Ganze den Geschmack des Evangeliums an sich haben wird. Nur wenn es darauf eine positive Antwort gibt, darf damit gerechnet werden, dass es sich um mehr handelt als um Leuchtraketen, die im besten Fall einen Moment lang Eindruck machen, aber schnell verpuffen und nur Leere zurücklassen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] So die fremdsprachigen Fassungen der Gebetsintention; die offizielle deutsche Fassung interpretierte dies zu „einem Leben (…), das die Freude an der frohen Botschaft bezeugt“.
[2] Ansprache vom 15. Febr. 2016 beim Treffen der Familien im Rahmen der Mexikoreise.
[3] Ansprache vom 5. Mai 2017 an die Gemeinschaft des Päpstlichen Rumänischen Kollegs.
[4] Ansprache vom 5. Juni 2021 an die Priester des Kollegs „San Luigi dei Francesi“.
[5] Generalaudienz vom 22. Sept. 2021.
[6] Treffend spricht man dort auch von einer „Dynamik des Provisorischen“, die immer neu Menschen dazu ermutigt, den „Pilgerweg des Vertrauens auf der Erde“ mitzugehen. Vgl. www.jesus. ch/themen/kirche_und_co/kirchen_gemeinden_werke/103591-taiz_und_die_dynamik_ des_provisorischen.html
[7] Ludwig Mödl: Katholisch aus Überzeugung. Reformen in der Kirche unter einem neuen Leitbild, Illertissen 2021, 158. 

Fürsprecher für die Einheit aller Christen

Der heilige Josef – Schutzpatron der Kirche

Zum „Jahr des heiligen Josef“ wurde ein Klassiker neu herausgegeben, das Betrachtungsbuch des bekannten belgischen Jesuitenpaters und Dogmatik-Professors Jean Galot SJ (1919-2008). Die Erstausgabe war 1962 in französischer Sprache erschienen, die deutsche Ausgabe 1965 unter dem Titel „Der heilige Josef, Persönlichkeit und inneres Leben in Betrachtungen“ (Paulusverlag). Die Neuauflage[1] ist ein wertvoller Beitrag zum Josefsjahr, das Papst Franziskus anlässlich der Erklärung Josefs zum Patron der Kirche vor 150 Jahren durch Papst Pius IX. (1846-1878) für die Zeit vom 8. Dezember 2020 bis zum 8. Dezember 2021 ausgerufen hat. Nachfolgend das Abschlusskapitel.

Von Jean Galot SJ (†)

Am 8. Dezember 1870 ist der heilige Josef feierlich zum Patron der Kirche erhoben worden.

Die Aufgabe, die ihm auf Erden anvertraut war, rechtfertigt diese Erwählung. Josef war der Gemahl Mariens, der Vater Jesu und das Haupt der Heiligen Familie.

Ausübung der Vateraufgabe am mystischen Leib Christi

Als Gemahl Mariens scheint Josef auch irgendwie an der Mutterschaft teilzuhaben, die Maria in der Kirche ausübt. Zweifellos wird er nicht den gleichen Einfluss haben, weil ihm nicht die Aufgabe zufiel, die der Mutter der Christenheit anvertraut wurde. Aber man kann gewiss annehmen, dass er die Sorge der allerseligsten Jungfrau teilt. Steht er doch an ihrer Seite, um an der Ausbreitung des Reiches Christi mitzuwirken.

Als Vater Jesu scheint Josef dazu bestimmt zu sein, die Vateraufgabe am mystischen Leib Christi auszuüben. Wenn er das Wachstum des Kindes und seine Entfaltung an Gnade und Weisheit förderte, dann ist er besonders geeignet, das Wachstum des Leibes der Kirche, ihre Entfaltung in Weisheit und Gnade, zu fördern.

Mitwirkung an der Leitung der großen Familie der Kirche

Als Oberhaupt der Familie kommt Josef die Ehre zu, an der Leitung der großen Familie der Kirche teilzunehmen. Obwohl sie viel größer ist als die Heilige Familie in Nazaret, so muss sie doch das Leben der Vereinigung mit Christus nachahmen, das sie führte. Josef stand an Würde Jesus und Maria nach; trotzdem wurde er gewählt, die Heilige Familie zu leiten. Im Verhältnis zum Erlöser und zur allerseligsten Jungfrau nimmt er die zweite Stelle ein; das hindert ihn aber nicht daran, dass er der Kirche gegenüber seine Beschützerrolle weiterführt; dass er dazu beiträgt, sie zum Ziel zu führen. Die Fähigkeiten, die ihm zur Leitung der Heiligen Familie verliehen wurden, entfalten sich auch in seiner jetzigen Aufgabe: Seine Weisheit und väterliche Güte kann er besonders darin betätigen.

Beziehung Josefs zu den drei göttlichen Personen

Außerdem aber entspricht die Aufgabe als Schutzherr der Kirche auch der Beziehung Josefs zu den drei göttlichen Personen.

Vertreter des himmlischen Vaters

Wir wissen, dass Josef in Nazaret in den Augen des Kindes der Vertreter des himmlischen Vaters war. Das setzt voraus, dass der himmlische Vater in ganz besonderem Maß die Seele Josefs nach seinem Bild geformt und ihm eine Ähnlichkeit mit sich selbst eingeprägt hatte. Jesus war glücklich gewesen, im Antlitz Josefs den Widerschein des Vaters zu entdecken. Müssten die Christen nicht eine ähnliche Erfahrung machen und in Josef das unsichtbare Antlitz des Vaters erkennen?

Der Vater ist der erhabene Herr des Schicksals der Kirche und aller Phasen ihrer Entwicklung. Er, und zwar er allein, hat mit eigener Autorität „Zeiten und Fristen“ (Apg 1,7) der Ausbreitung seines Reiches festgelegt. Trotzdem liebt er es, er, der alles ohne menschliche Hilfe aus sich selbst tun könnte, die Mitwirkung der Menschen zu beanspruchen. Nachdem er die Familie in Nazaret durch die Vermittlung Josefs geleitet hat, fährt er fort, sich seiner zu bedienen, um die Kirche zu führen und aus Josef den Vertreter seiner väterlichen Sorge zu machen.

Werkzeug des Heiligen Geistes

In dieser Aufgabe, die Josef mit der höchsten Vaterschaft verbindet, enthüllt sich auch seine innige Vereinigung mit dem Heiligen Geist. Als Schutzherr der Kirche bedarf er einer mehr als einfachhin menschlichen Weisheit. Schon zur Leitung der Heiligen Familie haben gesunder Menschenverstand und Urteilsvermögen nicht ausgereicht: Josef war ständig erleuchtet vom Licht des Heiligen Geistes und folgte gelehrig seinen Anregungen. Das Evangelium spricht nicht von diesen Gnaden innerer Erleuchtung, weil es nur die äußeren Tatsachen berichtet; wenn es aber hervorhebt, dass der Heilige Geist Simeon zur Begegnung mit dem Erlöser führte, dann lässt das ahnen, bis zu welchem Grad Josef vom selben Geist geführt werden musste, um das Kind zu leiten und zu erziehen. Gerade diese Fügsamkeit dem Heiligen Geist gegenüber machte seine Vollkommenheit als Haupt der Heiligen Familie aus. Nun ist er endgültig in ihrem Besitz und sie lässt ihn teilhaben an der unsichtbaren Leitung der Kirche, um entsprechend den göttlichen Anweisungen einzugreifen.

Teilhabe am Erlösungsopfer und am Sieg Christi

In den Beziehungen Josefs zum auferstandenen Gottessohn verdient ein Umstand besonders hervorgehoben zu werden als Begründung seiner Schutzherrschaft über die Kirche. Josef war gestorben vor Beginn des Erlösungsdramas. Wir sahen bereits, dass es für ihn ein schmerzliches Opfer gewesen sein muss, darauf zu verzichten, den Sieg des Erlösers auf Erden zu erleben. Dieses Opfer will der Erlöser im Himmel dadurch belohnen, dass er Josef an der Ausweitung seines Triumphs durch Mitwirkung an der Ausbreitung der Kirche teilnehmen lässt. Das ist eine Belohnung des Verzichtes, die ganz auf der Linie der Fruchtbarkeit des Erlösungsopfers liegt. Josef hatte vorweg teilgenommen an diesem Opfer; nun wird er des Sieges Christi und der Ausbreitung seiner Macht über die Menschen teilhaftig.

Nicht nur als Haupt der Heiligen Familie will Josef seine Schutzherrschaft ausüben, sondern auch wegen seiner vertrauten Beziehungen zum Vater, zum Hl. Geist und zu Christus selbst. Josef hat tief eindringen können in die Liebe dieser Gemeinschaft der Heiligsten Dreifaltigkeit, die das Vorbild der Hl. Familie in Nazaret und der Kirche ist.

Schutzherr der geistlichen Sendung der Kirche

Unter ziemlich kritischen Umständen ist Josef zum Patron der Kirche erhoben worden. Es geschah in dem Augenblick, als der Papst des jahrhundertealten Kirchenstaates beraubt worden war. Man begreift die Erregung, die dieser Verlust auslöste; heute jedoch bewundern wir die Weisheit der göttlichen Vorsehung, die diese Beraubung zuließ. Sie wollte dem Haupt der Kirche Gelegenheit geben, sich uneingeschränkt den geistigen Interessen zu widmen. Scheint es nicht, als sei Josef unter diesen Umständen das Werkzeug der göttlichen Vorsehung gewesen? Sollte er sich nicht gewünscht haben, dass die Kirche dem Bild der Heiligen Familie entsprechend ein Mindestmaß an materiellen Gütern besäße, die der Entfaltung des geistlichen Lebens dienen sollten? Der erste Akt der Schutzherrschaft des hl. Josef in der Kirche war es anscheinend, in der Kirche eine Einstellung zu fördern, die sich in materieller Hinsicht auf ein Mindestmaß beschränkt. Bei aller notwendigen geistigen Unabhängigkeit sollte sie von Landansprüchen absehen.

Wenn Gott aber gewollt hat, dass die Schutzherrschaft Josefs eine Regelung materieller Art bewirkte, dann muss man annehmen, dass er noch andere Absichten hatte. Wenn er wollte, dass die ganze Zukunft der Kirche in besonderer Weise Josef anvertraut wurde, dann soll durch seine Mithilfe noch Bedeutenderes erlangt werden.

Patron der ökumenischen Bewegung

Im Augenblick zeichnet sich besonders klar die Vereinigung aller Christen ab. Die Einheit der Christen ist mehr und mehr das Schwergewicht christlichen Betens geworden. Die ökumenische Bewegung, die die durch Schisma und Irrlehre zerrissene Einheit wiederherstellen will, hat sich ausgedehnt und eine merkliche Annäherung angebahnt. Alle Christen beginnen, sich verantwortlich zu fühlen für die Einheit, die Christus begründet hat, zu deren Verwirklichung er jedoch die Mitarbeit aller verlangt.

Ist die Annahme zu kühn, Josefs Schutzherrschaft sei in besonderer Weise im Hinblick auf die zu bewirkende Einheit der Christen eingesetzt worden? Wenn der Heilige Geist dem Haupt der Kirche, wie es bei der Ausrufung Josefs zum Patron der Kirche der Fall war, diese Handlung eingab, dann übertrifft dies die augenblickliche Absicht des Papstes bei Weitem. Josef scheint so recht geeignet, der Patron der Einheit der Christen zu sein. Er hat die Heilige Familie im Geist vollkommener Übereinstimmung geleitet; denselben Geist möchte er der Kirche vermitteln.

Die Entscheidung des Heiligen Vaters Johannes XXIII., das Zweite Vatikanische Konzil unter seinen Schutz zu stellen, ist von dieser Wahrheit inspiriert worden. Deshalb kann die gegenwärtige Kirche eine besondere Hilfe des hl. Josef zugunsten der Einheit der Christen erwarten. Diese Hilfe ist umso notwendiger, als die Schwierigkeiten beträchtlich sind: Die Trennungsmauer ist zwar durchbohrt, sie ist aber im Laufe von Jahrhunderten sehr stark geworden. Josef wird die Geister versöhnlicher stimmen und die Herzen bewegen, sich in der Einheit des gleichen Glaubens und der gleichen Liebe füreinander zu öffnen. Er wird den Christen beistehen, die Irrlehre und Uneinigkeit der Vergangenheit zu vergessen und für die Zukunft nichts so sehr zu wünschen als die einmütige Vereinigung mit der Person Christi, die im mystischen Leib fortlebt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Jean Galot SJ: Der heilige Josef. Ein Mann nach dem Herzen Gottes, Media Maria Verlag 2021, geb., 176 S., Euro 16,95 (D), Euro 17,50 (A), ISBN 978-3-9479313-6-1 – Bestellung direkt: Tel.: 07303-952331-0; E-Mail: buch @media-maria.de

Adrienne von Speyr über Maria und Josef

Der hl. Josef im Licht des Jaworts

Zum „Jahr des hl. Josef“ stellt Prof. Dr. Anton Štrukelj (geb. 1952) Betrachtungen der Mystikerin Adrienne von Speyr (1902-1962) vor. Der Theologe Hans Urs von Balthasar (1905-1988), der ihre Werke bearbeitet und herausgebracht hat, nennt ihre marianische Frühschrift „Magd des Herrn“ ihr „Meisterwerk“. Diesem Werk sind die meisten Zitate über den hl. Josef im nachfolgenden Beitrag entnommen. Sie beleuchten das Geheimnis und die Sendung des hl. Josef in einer außergewöhnlichen Tiefe.

Von Anton Strukelj

In seinem Apostolischen Schreiben „Redemptoris Custos“ – „Beschützer des Erlösers“ nennt Papst Johannes Paul II. den hl. Josef gleich zu Beginn den „Gemahl“ Mariens.[1] Ihre „Verlobung“ war echte „Vermählung“, Eheschließung. Dabei hat die Ehe zwischen Maria und Josef eine theologische Bedeutung. Sie war nicht nur notwendig, damit das Kind Mariens als Nachkomme Davids gelten konnte, sondern brachte auch den religiösen Sinn der alttestamentlichen Ehe zur Erfüllung. „Leiblich gesprochen kann Josef als der bloße ,Nähr-Vater‘ des Kindes erscheinen, aber geistlich ist er sehr viel tiefer an der Vaterschaft Gottes beteiligt, indem er zu dem vom Engel verlangten Verzicht lautlos ja sagt. Seine verborgene jungfräuliche Fruchtbarkeit darf nicht vergessen werden, wenn man die Gnade Marias im vollen Licht sieht. Die eheliche Verbindung Josefs mit Maria ist Vorbild sowohl für die Eheleute wie für die Jungfräulichen in der Kirche Christi."[2]

Von Maria und Josef spricht Adrienne von Speyr im siebten Kapitel ihres Buches „Magd des Herrn“.[3] Ihre Betrachtungen entstammen dem Gebet und führen den Leser ins Gebet hinein. Einige Abschnitte aus diesem Kapitel können uns helfen, die Tiefe des Geschauten zu erspüren.

„Sie verloben sich wie Leute, die Gott dienen und die einander gehören wollen. Beide Absichten stehen für sie nicht gleichwertig nebeneinander. Der Wille zum Dienst ist das Bestimmende und bildet den Grund ihrer Zusammengehörigkeit. Sie weihen ihre Verlobung und ihr ganzes Leben diesem Dienst. Das wissen sie bereits bei der Verlobung so sehr, dass sie keine einzige Möglichkeit des Dienstes ausschließen, die Gott in ihrer Ehe verfügen mag. Die Öffnung, die sie durch ihr Versprechen zueinander hin erhalten, rückt in ihren Herzen ihre Liebe zu Gott nicht an eine andere Stelle: sie steht nach wie vor an der ersten. Wie der erste Gedanke beider bisher der Dienst Gottes war, so wird er auch der erste Gedanke ihrer Gemeinsamkeit sein. Nur innerhalb dieses Gedankens kann ihnen ihre Liebe sinnvoll erscheinen.“ (S. 59)

Maria, die Immaculata, lässt die Gestaltung ihrer Ehe ebenso offen, wie sie die Gestaltung ihres Lebens Gott anheimstellt. „Für sie ist die Entscheidung zur Ehe keine Entscheidung gegen die Jungfräulichkeit, die Entscheidung zum Weltstand keine Entscheidung gegen den Stand der Vollkommenheit. Über die Vereinbarkeit beider reflektiert sie nicht.“ (S. 61) Sie will in allem vollkommen den Willen Gottes tun.

„Bei Joseph liegt alles anders. Er war dem Gesetz der Erbsünde unterworfen, und er kann nicht anders, als den Gegensatz zwischen Ehestand und Jungfräulichkeit beachten. Die Verlobung bedeutet für ihn den Auftakt zu einer normalen irdischen Ehe. Er ist keusch und gerecht; er lebt im Sinn der Gerechtigkeit seiner Väter. Seine Keuschheit hat nichts mit der faden Impotenz zu tun, die ihm die meisten Bilder zu geben scheinen. Wenn er wird verzichten müssen, dann wird sein ganzes Manntum diesen Verzicht leisten und dadurch gerade in seiner Männlichkeit gestärkt werden. Die Stärke seines Verzichts wird ihm die Kraft geben, wachsend innerhalb seines Auftrags zu bleiben. Er wird nicht schmachtend neben Maria stehen, sondern als ein Mann, der um seine Kraft weiß, sie aber in Schlichtheit und Großmut geopfert hat. Sein Verzicht ist stark und kraftvoll bejaht und dann für immer verschwiegen. Alles ist so sehr in Ordnung und abgeschlossen, dass davon nie mehr gesprochen werden muss.

Bei der Verlobung aber erfährt er wirkliche frauliche Liebe, und diese Liebe seiner Braut bereichert ihn, wie nur frauliche Liebe einen Mann zu erfüllen vermag. Im Licht dieser Liebe sieht er sein Leben vor sich, das er als ein Gatte für die Familie zu gestalten haben wird. Er hat in Freiheit und Verantwortung die Ehe gewählt, und er wird die Ehe, und nicht den Ordensstand, von Gott erhalten. Und mitten in diesem Ehestand wird Gott ihm die Enthaltsamkeit auferlegen. Er wird dazu nicht ins Kloster versetzt. Er lebt in seinem Haus mit Frau und Kind, äußerlich ununterscheidbar von allen anderen Ehemännern. Mitten in der Welt muss er sich einüben in die Enthaltsamkeit.

Er ist keusch und wird es immer bleiben. Aber er bereitet sich vor auf eine gewohnte menschliche Ehe… Er ist kein Verstümmelter; er steht mit seinem ganzen Leib im Dienste Gottes. Seine Liebe zu Maria ist volle menschliche Liebe in Gott. Und wenn er zurücktreten muss vor dem Wunder des Heiligen Geistes, so wird dies für ihn Verzicht sein. Verzicht, nicht Enttäuschung, denn Enttäuschung würde Begierlichkeit voraussetzen. Aber sein Verzicht wird ihm alles vergrößert wieder schenken. Schwer wird es sein, aber nie bitter, sondern öffnend zu den Geheimnissen Gottes hin.“ (S. 62f.)

Adrienne von Speyr schildert seine Größe auch in dem Buch „Ignatiana“: „Es liegt darin, dass ihm gewisse Versuchungen nicht erspart blieben. Er ist im Weltstand, lebt in seinem eigenen Haus in der Welt, aber mit einer jungfräulichen Frau. Er hat zwar eine Art Klausur, eine von Gott ihm gegebene Ordnung. Aber sein Stand ist die Ehe, in der er zugleich in die Enthaltsamkeit eingeübt wird. Er war zwar immer keusch, aber innerlich hat er sich doch auf die Ehe vorbereitet. Und er hat diese Ehe zu führen, unter Ausschaltung alles dessen, was das Triebleben eines normalen Mannes ausmacht. Er wird von Gott nicht geschont, man mutet ihm etwas zu. Er wird exponiert."[4]

Besonders schwierig, fast ausweglos wird die Lage für Josef, als er ahnungslos die Schwangerschaft seiner Braut bemerkt. Hier scheint das Geheimnis des Schweigens auf: „Und Joseph kann nicht anders als zweifeln. Seine Zweifel sind ganz sachlicher Art. Er verdächtigt Maria nicht. Er hat einfach entdeckt, dass seine Braut ein Kind erwartet… Er überlegt in seinem Herzen. Die Mutter aber schweigt, denn sie besitzt ein unmittelbares Geheimnis mit Gott… Sie schweigt, und ihr Schweigen wächst gemeinsam mit dem wachsenden Kind. Je mehr es Gestalt annimmt, umso tiefer schweigt sie. Und ihr Schweigen wiederum erlaubt dem Geheimnis zu wachsen. Im Schweigen erstarkt ihr Jawort.“ (Magd des Herrn, 63f.)

Schweigen bedeutet Stärke. An anderer Stelle sagt Adrienne: „Im Glauben leben heißt im Schweigen leben. So geht das Dasein der Mutter in der Verborgenheit eines großen Schweigens hin. Es ist ein Schweigen um sie her; die Leute wissen nichts von ihrem wahren Leben, von den Geheimnissen ihrer Jungfräulichkeit. Nicht einmal Joseph erfährt etwas von ihr; es muss ein Engel kommen und ihn in das Geheimnis einführen. Aber das Schweigen um sie her ist bedingt durch ihr eigenes Schweigen. Sie wird nicht zum Gesprächsstoff der Leute, weil sie über sich selber schweigt, und das tut sie, um das Geheimnis des Sohnes zu schützen. So schützt sie mittelbar auch ihr eigenes Geheimnis. Sie schweigt später, wenn der Sohn öffentlich auftritt, weiter, weil es nicht ihr Auftrag ist, zu reden. Sie nimmt in diesem Schweigen teil am Gespräch zwischen dem Sohn und seinem himmlischen Vater, das die Substanz des Gebetes überhaupt ist, und sie schweigt auch aus Ehrfurcht, um nicht durch ihr Reden das göttliche Wort zu übertönen.“ (S. 23)

Hans Urs von Balthasar schließt seine Ausführungen über den heiligen Josef mit der knappen Bemerkung ab: „Es ist gut, dass er zu dem klaren Umriss seiner Gestalt nicht ein einziges Wort der Selbstdeutung beigefügt hat. Das Wort, das Gott mit ihm spricht, bedarf dieser nicht."[5] Aber gilt dieses Gesetz nicht für die ganze heilige Familie? Das verborgene Leben Jesu bezeugt es. Maria, die Schweigende, „bewahrte und betrachtete alles in ihrem Herzen“ (vgl. Lk 2,19.51). Was für ein Vorbild für uns Christen! Das Geheimnis darf nicht zerredet werden.

Adrienne zieht daraus eine wichtige Lehre für die Eheleute. Diese sollten das gegenseitige Vertrauen mit Ehrfurcht verbinden. Was sie von Maria und Josef lernen können, deutet Adrienne mit Zartgefühl an: „Maria ist nicht nur Jungfrau dem Leibe nach, sondern ebenso sehr und noch mehr dem Geiste nach. Ihre selbstverständliche Schamhaftigkeit, die keine Hemmung, sondern Stärke ist, verbietet ihr zu sprechen. Sie ist darum nicht weniger bereit, alles mit Joseph zu teilen, ihr Leben lang ihm Gattin zu sein, in der Weise, wie der Engel und die Verheißung es vorgesehen haben. Aber sprechen kann sie darüber nicht. So schützen christliche Eheleute ihr Geheimnis, das jedes Gott gegenüber hat. Sie gehen Hand in Hand in die Kirche, aber was jeder von ihnen gebeichtet hat, darüber sprechen sie nicht nachträglich miteinander. Und dieses Schweigen begrenzt und stört ihre Intimität nicht. Sie können sich, durch ihr enges Zusammenleben, vielleicht vorstellen, was der andere zu bekennen hat, aber sie werden nie versuchen, auch nur für sich selbst, zu dieser Vorstellung zu gelangen: aus Ehrfurcht voreinander und aus Ehrfurcht vor Gott. Die rechte, das heißt die als Aussprache vor Gott verstandene Beichte bedingt die Schweigsamkeit, die Maria durch ihr Gespräch mit dem Engel erhalten und bewahrt hat. Und ihrem Schweigen entspricht das Schweigen Josephs, der auch keine Frage stellt, der von der gleichen Ehrfurcht vor dem Geheimnis erfüllt ist.“ (Magd des Herrn, 63f.)

Die Gnade der Stille, die Pflicht des Schweigens lebt weiter in den christlichen Ehegemeinschaften. Denn sowohl der Ehemann wie die Ehefrau sind letzten Endes nur Gott gegenüber verantwortlich. Je mehr beide Gott gehorchen, desto treuer werden sie einander sein. „Im Augenblick, da Joseph handeln will, weil ihm die Beziehung der Tatsache auf ihn selber unausweichlich zu werden droht, erscheint ihm der Engel und erklärt. Er löst das Schweigen von Gott her. Er lässt ihr beiderseitiges Schweigen in ein neues hinübermünden, in welchem das Wissen und Verstehen, das vorher nur einseitig war, nunmehr gegenseitig wird. Es wird ein Schweigen der Verständigung sein, ohne dass jemals zwischen ihnen das Geheimnis dieser Schwangerschaft beredet werden wird. So werden auch zwei reine Menschen in der Ehe kaum über ihre intimste Vereinigung sprechen, nicht einmal über das, was sie vorher darüber gedacht oder empfunden haben. Alles wird eingeschlossen bleiben im Akt der Ehrfurcht voreinander, das Schweigen fordert… Das Geheimnis der Gatten, das jedes von ihnen Gott gegenüber hat, kann die gegenseitige Liebe nicht nur nicht stören, sondern nur befruchten, vertiefen, veredeln. Weit entfernt, die Ganzheit der Hingabe zu gefährden, ist es auf die Dauer die beste Verbürgung der stets neuen Lebendigkeit menschlicher Liebe.“ (S. 65)

So kann auch das Jawort Marias gegenüber dem Engel nicht mit dem Jawort Josefs gegenüber dem Engel gleichgesetzt werden: „Maria hat im Jawort an den Engel eine unbeschränkte Zusage gegeben, ohne vorher Joseph zu befragen. Sie hat damit nicht in dessen Rechte eingegriffen und nicht willkürlich über ihre beiderseitige Ehe verfügt. Gott hat verfügt, und Maria hat sich gefügt … Joseph bleibt immer noch frei, dem Engel Ja oder Nein zu erwidern. Auch er wird eine persönliche Entscheidung treffen müssen. Er wird dabei, um Gottes Entscheidung bejahen zu können, zu seinen gefassten Plänen – auch zu dem der Entlassung Marias – Nein sagen müssen. Und er wird, wenn er Ja zu Gott sagt, seine Entscheidung derjenigen Marias unterstellen: sein Gehorsam wird eingeordnet und untergeordnet ihrem Gehorsam. Gewiss bleibt auch sein Jawort unmittelbar zu Gott hin gesprochen, aber es behält trotzdem einen sekundären, nachfolgenden Charakter. Es ist umfasst und eingeschlossen vom Jawort Marias, die einschlussweise schon für ihn Ja gesagt hat. Der Herr will bei seiner Menschwerdung in eine Familie hineingeboren werden; es muss sich also ein Mann finden, der diesen Willen ausführt. Und der kann kein anderer sein als der Bräutigam der Gottesmutter. So geht ihr Jawort über ihr persönliches Schicksal hinaus; und dies nicht unbewusst: sie weiß um die Tragweite für sie selbst, für Joseph, für den Herrn und für die ganze Menschheit. Für alles, was wesentlich damit zusammenhängt, ist sie wesentlich vorbereitet.“ (S. 65f.)

Maria lebt mit Joseph in einer wahren Ehe. Aber der Geist der Gelübde ist in dieser Ehe verwirklicht: „Sie leben beide seit ihrer Verlobung in einem besonderen Gehorsam zu Gott – sie hätten sonst nicht beide ihr Jawort zu ihrem einmaligen Beruf gegeben – und sie leben in der Kontemplation – sonst wäre nicht beiden der Engel erschienen… Durch ihr Jawort zu Gott gibt Maria ihre Verbindung mit Joseph nicht preis; sie zieht ihn im Gegenteil noch stärker in diese Gemeinschaft hinein, die auch in ihrer Jungfräulichkeit eine wirkliche Ehegemeinschaft ist.“ (S. 67)

Interessant ist die Beobachtung, dass es sich bei Maria und Josef um denselben Erscheinungsengel handelt: „Der Engel spricht zu Maria wie zu Joseph: in ihm haben beide an der gleichen Sendung teil, und in der Einheit dieser Sendung liegt ihre wahre Einheit und ihr wahres Sichverstehen in Gott. Einheit und Verständnis sind so groß, dass sie der unmittelbaren Verständigung im Wort enthoben sind. Der Engel ist wie der Bindestrich ihrer wahren Verbindung in Gott. Seit seiner Erscheinung sind ihre beiden Aufträge nicht mehr getrennt; sie bilden einen einzigen Auftrag in zwei Seelen, und diese Einheit der Sendung ist die tiefste, die es zwischen Menschen geben kann.“ (S. 69)

Adrienne erwähnt auch die drei evangelischen Räte: Gehorsam, Armut und Jungfräulichkeit. „Josephs Gehorsam bleibt ganz vom Gehorsam Marias eingefasst.“ In diese Verbindung bringt Josef, dem das irdische Wohlergehen der hl. Familie anvertraut ist, die Armut mit: „In den immer neuen Anweisungen des Engels, aufzubrechen und fortzugehen, liegt immer auch die Forderung neuer Armut. Armut und Gehorsam sind einheitlich durch die gleichen Worte des Himmels begründet.“ (S. 70f.) So werden alle drei evangelischen Räte – Armut, Gehorsam, Keuschheit – im Zusammenleben der hl. Familie abgebildet: „wenn Maria im Besonderen den Gehorsam mitbringt, Joseph die Armut, so liegt die Keuschheit in der Verbindung beider, obwohl jeder sie schon in seiner Weise mitgebracht hat: die Mutter in ihrer restlosen Öffnung zu Gott hin, Joseph in seiner Unterstellung jeder eigenen Verfügung in der Ehe unter die Weisungen Gottes.“ (S. 70)

Am Ende des Kapitels „Maria und Joseph“ erwähnt Adrienne die Verwandlung der mütterlichen Hingabe in eine bräutliche Hingabe Marias gegenüber ihrem Sohn. Als Kind braucht der Herr sie als Mutter, „später, wenn er heranwächst, braucht er sie für sein Werk – das Werk der Kontemplation und der Aktion – als die immer neu werdende Hingabe… Bräutlich steht sie ihm zur Seite, im Hintergrund und ohne sich vorzudrängen. Es genügt, dass der Sohn weiß: sie ist da… Am Kreuz wird Maria mitgehen, ihre Bereitschaft wird dort auf dem Höhepunkt sein. Sie wird dann die vollkommene Braut sein. Und indem man sie dort wieder sichtbar erblickt, begreift man zugleich, dass sie immer da war, als Braut und als Mutter. Auf dieses höchste Amt hat Maria sich vorbereitet durch ihre Brautschaft mit Joseph.“ (S. 71)

Hans Urs von Balthasar, der das Marienbuch „Magd des Herrn“ von Adrienne von Speyr herausgegeben hat, nennt dieses Frühwerk der Mystikerin „ein Meisterwerk“. Schon im ersten Kapitel „Das Licht des Jaworts“ verwendet sie ein Bild, das als Leitfaden verstanden werden kann: „Wie eine Garbe in der Mitte zusammengerafft wird und sich an ihren Enden entfaltet, so wird das Leben Marias in ihrem Jawort zusammengefasst; von ihm aus erhält es seinen Sinn und seine Gestalt und entfaltet sich nach rückwärts und nach vorwärts. Das einmalig Zusammenfassende ist zugleich das, was sie jeden Augenblick ihres Daseins begleitet, was jede Wendung ihres Lebens beleuchtet, jeder Lage ihren besonderen Sinn verleiht und ihr selber immer neu in allen Situationen die Gnade des Verstehens schenkt. Jedem Atemzug, jeder Bewegung, jedem Gebet der Mutter des Herrn gibt ihr Jawort den Vollsinn. Denn dies ist die Natur eines Jaworts: es bindet den, der es ausspricht, und lässt ihm dabei doch volle Freiheit in der Gestaltung. Er füllt sein Jawort mit seiner Persönlichkeit, er gibt ihm deren Gewicht und einmalige Färbung, aber er wird auch selber durch sein Jawort geformt, befreit und verwirklicht. Alle Freiheit entfaltet sich durch die Hingabe und durch Verzicht auf Ungebundenheit. Und von dieser Freiheit in der Bindung geht jede Art der Fruchtbarkeit aus.“ (S. 7)

Ein „geistiges Porträt“ des hl. Josef zeichnet Adrienne im „Allerheiligenbuch“, in dem sie die Gebetshaltung des hl. Josef schildert: „Ich sehe sein frommes Gebet. Er ist einfältigen Herzens und verharrt in der Öffnung einer Hingabe, die er nie vollkommen begreifen wird… Joseph, der rechtschaffene Mann, ist in etwas hineingestellt, das ihn zunächst erschreckt; er versteht es nicht. Dann schenkt ihm die Gnade ein gewisses, aber nicht volles Begreifen. Er bekommt durch den Engel die Richtigkeit des Ereignisses bestätigt, er weiß fortan: dies ist mein Weg, und mein Weg stammt von Gott… Wo ihm etwas vom Sohn und seinem Heranwachsen und seiner Sendung aufgeht, nimmt er es sofort ins Gebet hinein, weil es so eng mit seinem Weg zusammenhängt, dass er es auch im Gebet wachhalten muss. Er liebt und er arbeitet, und seine Hilfe ist so, dass sie nie rechnet. Seitdem der Engel mit ihm geredet hat, ist er ein für allemal beruhigt, und diese Ruhe strahlt auf alles über, was er tut. Er kennt keine Unruhe der Berechnung. Er weiß, dass er an vielen Geheimnissen teilhat, auch wenn es nicht seine Sache ist, sie zu durchforschen. Er ist ohne Neugier, der einfach Fromme. Er kennt die Kontemplation. Schon dass er die Mutter und das Kind sieht und das, was sie eint, ist Kontemplation… Und sein Gebet entfaltet sich, aber ganz im Sohn."[6]

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)



[1] Vgl. Johannes Paul II.: Apostolisches Schreiben Redemptoris Custos (15. August 1989), Nr. 18.
[2] Hans Urs von Balthasar: Maria für heute, Johannes Verlag Einsiedeln, Neuausgabe 1997, 54.
[3] Adrienne von Speyr: Magd des Herrn. Ein Marienbuch, Johannes Vlg. Einsiedeln 1948 (31988), 59.
[4] Adrienne von Speyr: Ignatiana, Nachlassband XI, Johannes Verlag Einsiedeln 1974, 36f.
[5] Hans Urs von Balthasar: Der heilige Joseph, in: Du hast Worte ewigen Lebens. Schriftbetrachtungen, Johannes Verlag Einsiedeln, Trier 1989, 44.
[6] Adrienne von Speyr: Das Allerheiligenbuch, Erster Teil, Nachlassband I, Johannes Verlag Einsiedeln 1966, 35f.

Prägnante Anleitung zum Ruhegebet

Ein „geistlicher Begleiter“

Viele Menschen erleben das Ruhegebet als Quelle der Gelassenheit und Weg zur Gottesbegegnung. Doch wie beginnt man das Ruhegebet am besten? Was gilt es zu beachten, wenn im Gebet Irritationen aufkommen? Dr. Peter Dyckhoff, katholischer Priester, ist Lehrer und Ausbilder der urchristlichen Gebetsform des „Ruhegebetes“. In einer neuen Publikation[1] beantwortet er viele der Fragen, die ihn in seiner fünfzigjährigen Zeit der intensiven Beschäftigung mit dem Ruhegebet erreicht haben, und schöpft aus seiner reichen Erfahrung als Gebetslehrer. Die Fragen beantwortet er tiefgehend, aber prägnant – für Anfänger und Fortgeschrittene ein Gewinn! Nachfolgend Auszüge aus dem Vorwort.

Von Peter Dyckhoff

Wer einen geistlichen Begleiter gefunden hat, darf sich sehr glücklich schätzen. Wenn dieser dann auch noch die Erfahrung im Ruhegebet und das Wissen um das Ruhegebet mitbringt, nach dem man eventuell lange gesucht hat, sollte man dies als besonderes Zeichen werten.

Da ich den Wünschen vieler Menschen, sie mit dem Ruhegebet vertraut zu machen und dann als persönlicher geistlicher Begleiter für sie da zu sein, nicht mehr allein nachkommen konnte, entschloss ich mich, Lehrende für das Ruhegebet auszubilden. Es sind Priester, weibliche und männliche Ordensleute, Diakone, Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten, Lehrer und Menschen aus den unterschiedlichsten Berufen.

Vielen Rat- und Hilfesuchenden steht ein geistlicher Begleiter nicht immer zur Verfügung – besonders dann nicht, wenn man ihn am notwendigsten braucht. Dieses Buch Das Ruhegebet – Fragen und Antworten möchte daher versuchen, soweit es überhaupt möglich ist, an seine Stelle zu treten. Es ist für alle geschrieben, die

• sich für das Ruhegebet interessieren und Näheres zu dieser Gebetsweise erfahren möchten,

• keine langen Texte und Ausführungen lesen, sondern schnell und prägnant ihre spezifische Frage beantwortet haben möchten,

• in Ermangelung eines Lehrenden des Ruhegebetes darauf angewiesen sind, sich das Ruhegebet selbst beizubringen,

• das Ruhegebet beten und Erfahrungen machen, die sie nicht einordnen können,

• Bestätigung oder Korrektur auf ihrem Weg mit dem Ruhegebet suchen,

• ihr Wissen um das Ruhegebet festigen und erweitern möchten,

• aus langjähriger Erfahrung anderer ihr Ruhegebet erneuern und vertiefen wollen,

• gern wissen möchten, wie es anderen mit dem Ruhegebet ergeht und welche Fragen generell gestellt werden.

Seit fünfzig Jahren sammle ich die Erfahrungen, die ich mit mir selbst und mit anderen zum Ruhegebet gemacht habe, schreibe sie auf, schaue sie immer wieder durch und ergänze sie. So konnte ich über einen langen Zeitraum feststellen, welche Fragen am häufigsten gestellt wurden, an welcher Stelle die meisten Schwierigkeiten und Hemmungen auftraten, und immer wieder – an erster Stelle stehend – durfte ich miterleben, welch wunderbare Veränderungen bei den Betenden durch das Ruhegebet auftraten. Das Ruhegebet wurde nach und nach zu meiner Lebensaufgabe.

Auch ohne Wegweisung durch einen Lehrenden des Ruhegebetes oder durch ein diese Gebetsweise unterstützendes Buch ist der Gott Suchende letztlich selbst in der Lage, einen Weg zu finden, der ihn zu Gott führt. Der Wegweisende – und dies dürfen wir niemals vergessen – ist Christus, der uns durch sein Leben, seine Botschaft, seinen Tod und seine Auferstehung im Neuen und Ewigen Bund die Tore zum Vater immer wieder öffnete und öffnet. Es ist natürlich außerordentlich hilfreich, wenn ein erfahrener geistlicher Begleiter unsere aufkommenden Fragen beantworten und uns vor Irr- und Umwegen bewahren kann. Diese Aufgabe hat in Ermangelung eines ständigen geistlichen Begleiters dieses Buch Ruhegebet – Fragen und Antworten übernommen, das somit auch zu einem Begleiter werden möchte.

Dieses Buch ist als geistlicher Begleiter von großem Wert, damit wir bei Unsicherheit und aufkommenden Fragen nachschauen können. Auf diese Weise hat der Fragende nicht das Gefühl, alleingelassen zu sein, sondern er fühlt sich in einer Gemeinschaft mit Menschen, die ein gleiches Anliegen haben. Die Antworten sind in der Lage, den Gebetsweg des Ruhegebetes von Grund auf aufzuzeigen, die rechte Vorgehensweise im Ruhegebet zu bestätigen oder den Gebetsweg zu korrigieren. Möge somit dieses Buch zu einem Segen werden für alle, die das Ruhegebet beten möchten, und für alle, die es bereits beten und Fortschritte machen wollen. 

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2021
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[1] Peter Dyckhoff: Ruhegebet – Fragen und Antworten, Herder 2021, mit Schutzumschlag, 384 S., ISBN 978-3-451-38486-8, 26,00 Euro – eBook 19,99 Euro

Entwicklung „neuer“ Menschenrechte (Teil 7)

Recht auf Zugang zu allen reproduktionsmedizinischen Techniken?

Es ist im Grunde genommen ein Skandal, wie unerbittlich die „Logik des Rechts auf ein Kind“ von internationalen Institutionen vorangetrieben wird. Darauf macht der Rechtswissenschaftler Grégor Puppinck aufmerksam.[1] Um Widerstände aus dem Weg zu schaffen, werden alle moralischen Argumente und naturrechtlichen Prinzipien zunichte gemacht. Ziel ist es, mit Hilfe eines neuen Menschenbildes „die heutige individualistische Kultur“ juristisch zu untermauern. Auf dem Weg zur Durchsetzung des angeblichen „Rechts auf ein Kind“ spielt die Verteidigung des Rechts auf Zugang zu allen reproduktionsmedizinischen Techniken eine entscheidende Rolle. Sie folgt nach Puppinck logischerweise auf die Legalisierung der Abtreibung und auf die geforderte Erklärung des Rechts, Kinder abzutreiben, als neues Menschenrecht. Für uns Christen wird darin offenkundig, wie weit sich die Gesellschaft bereits von Gott abgekoppelt und sich daran gewöhnt hat, dass sich die Menschheit über alle sittlichen Grundsätze hinwegsetzen kann.

Von Grégor Puppinck

Die Vorstellung, es gebe ein Recht auf ein Kind, wurde lange Zeit als schockierend empfunden, da sie im Gegensatz zur Vorstellung steht, die im Kind eine Frucht der Liebe und ein Geschenk Gottes und der Natur sieht. In rechtlicher Hinsicht widerspricht dieses vermeintliche Recht dem Grundsatz der Unverfügbarkeit der menschlichen Person: seit der Abschaffung der Sklaverei kann man – wenigstens der Theorie nach – kein Recht auf eine Person mehr haben, sondern nur noch ein Recht auf eine Sache. Die Anerkennung eines Rechts auf ein Kind reduziert dieses zum Objekt der Wünsche der Erwachsenen, ein wenig nach der Art eines Haustieres, das man sich kaufen kann, und es ist eine unleugbare Tatsache, dass das Recht auf ein Kind zumeist mit einer finanziellen Transaktion zugunsten einer Reproduktionsklinik oder einer Leihmutterschafts- oder Adoptionsagentur einhergeht.

Herausbildung eines veritablen Rechts auf ein Kind

Im Einklang mit dieser Ontologie hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erklärt, dass die Europäische Menschenrechtskonvention „überhaupt kein Recht auf Elternschaft enthält“, und dass sie „den bloßen Wunsch, eine Familie zu gründen, nicht unter Schutz stellt".[2] Dennoch hat sich, allen Widerständen zum Trotz, in seiner Jurisprudenz ein veritables Recht auf ein Kind herausgebildet. In Wahrheit ist es heute fast nicht mehr möglich, jemanden daran zu hindern, ins Ausland zu reisen, um sich dort ein Kind zu verschaffen. Die Gesellschaft scheint dies zu akzeptieren, so groß ist ihr Mitgefühl für „den Schmerz jener, deren Wunsch nach Elternschaft nicht verwirklicht wurde oder nicht verwirklicht werden kann“,[3] um hier nur die Worte des Gerichtshofs selbst zu verwenden. Der Gerichtshof überbrückt den unüberbrückbaren Gegensatz zwischen den ontologischen Prinzipien, auf denen die Konvention beruht, und der heutigen individualistischen Kultur.

Fortschreitende Trennung der Fortpflanzung von der Sexualität

Ein Recht auf ein Kind wird erst mit der Trennung der Fortpflanzung von der Sexualität denkmöglich. Und je weiter diese Trennung fortschreitet, desto leichter kann sich die Idee eines Rechts auf ein Kind ausbreiten. Diese Trennung wurde in drei aufeinanderfolgenden Etappen verwirklicht und immer mehr vertieft: 1) durch die künstliche Empfängnisverhütung und die Abtreibung, 2) durch die medizinisch assistierte Fortpflanzung, und 3) durch die rechtliche Anerkennung der „homosexuellen Elternschaft“. Das Adoptionsrecht ist dieser Entwicklung gefolgt: obwohl es eigentlich die Natur nachbilden und die Möglichkeit der Kindesadoption nur einem verschiedengeschlechtlichen Paar im fortpflanzungsfähigen Alter vorbehalten sollte, wird es neuerdings häufig auch unverheirateten Personen oder gleichgeschlechtlichen Paaren geöffnet. Der EGMR hat die drei Etappen in einer reichlich chaotischen Weise hinter sich gebracht.

Eine besondere Rolle spielt dabei die Durchsetzung des „Rechts auf medizinisch unterstützte Fortpflanzung“.

Ausfluss des „Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens“

Viele Richter des Gerichtshofs sehen im Zugang zu medizinisch unterstützter Fortpflanzung einen Ausfluss des Rechts auf Achtung des Privatlebens und verstehen überhaupt nicht, warum irgendwelche moralischen Überlegungen hierfür vielleicht ein Hindernis darstellen könnten. Zunächst hat der Gerichtshof anerkannt, dass das Recht eines Paares auf Achtung seines Privatlebens das Recht einschließt, „nicht Eltern zu werden“,[4] indem man die Einpflanzung tiefgefrorener Embryonen verweigert. Ebenso gibt es ein „Recht auf Achtung der Entscheidung, zu genetischen Eltern zu werden“,[5] indem man – im Einklang mit den anwendbaren Gesetzen – die Zeugung eines Kindes in vitro in Auftrag gibt. Bei der letzteren Entscheidung ging es um das Recht eines britischen Sträflings und seiner Frau, auch während der Haftzeit die im Vereinigten Königreich jedem Paar zuerkannte Möglichkeit einer Kinderwunschbehandlung in Anspruch nehmen zu können.

Verurteilung der österreichischen Gesetzgebung als Konventionsverletzung

2010 ging der Gerichtshof noch einen Schritt weiter, indem er das in einem Mitgliedstaat bestehende Verbot der heterologen assistierten Fortpflanzung mithilfe gespendeter Eizellen als Konventionsverletzung verurteilte. Er berief sich dabei auf ein neuartiges „Recht eines Paares, mithilfe reproduktionsmedizinischer Verfahren ein Kind zu empfangen“,[6] bei dem es sich um „eine Form der Inanspruchnahme des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens“ handle.

Die Argumente der österreichischen Bundesregierung wurden mit der kategorischen Behauptung beiseite gewischt, dass „moralische oder auf die soziale Akzeptanz solcher Techniken bezugnehmende Argumente für sich alleine nicht hinreichen, ein Totalverbot dieser oder jener reproduktionsmedizinischen Methode zu begründen“.[7] Bei dieser Gelegenheit erklärte der Gerichtshof auch, dass die Konventionsstaaten „atypische Familienbeziehungen“ anerkennen müssen, die „nicht auf Blutsverwandtschaft beruhen, sondern auf eine freiwillig eingegangene Bindung, die zu den aus der Eltern-Kind-Beziehung folgenden Beziehungen hinzutritt oder diese ersetzt“.[8]

Völlige Auflösung des Modells der natürlichen Familie

Diese Entscheidung sprengte das Modell der natürlichen Familie in die Luft. Sie stieß auf heftigen Widerstand, unter Führung insbesondere Italiens, Deutschlands, und einiger privater Organisationen, zu denen auch das European Centre for Law and Justice (ECLJ) zählte. Auf Antrag Österreichs wurde die Entscheidung aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an eine Große Spruchkammer verwiesen. Damals gab es in Italien, Österreich, und generell in den katholischen Milieus in Bezug auf bioethische Fragen ein erhöhtes Problembewusstsein. Im Übrigen waren seit der Affäre Lautsi gegen Italien, in der es bereits zu einem spektakulären Erfolg der Katholiken gekommen war, nur wenige Monate vergangen, weshalb dem Gerichtshof, der sich daran die Finger verbrannt hatte, bewusst war, seinen Aktivismus ein wenig zurückstellen zu müssen. In der neuerlichen Entscheidung zeigte die Große Kammer daher Zurückhaltung und verzichtete auf eine Verurteilung Österreichs.

Argumentation mit „rapiden wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen“

Der progressistische Flügel des Gerichtshofs gab sich jedoch nicht geschlagen: er setzte durch, dass der Gerichtshof in einem sentenziösen obiter dictum die Frage in die Zukunft vertagte und den Konventionsstaaten zukünftige Verurteilungen für den Fall in Aussicht stellte, dass sie den „rapiden wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen“ in diesem Bereich nicht aus eigenem Antrieb Folge leisteten. Abschließend erklärte die Große Kammer, dass, obwohl sie „im Anlassfall keine Verletzung von Artikel 8 der Konvention festgestellt“ habe, dieser Themenbereich „eine ständige Überprüfung seitens der Konventionsstaaten erfordert“, um ihre Gesetzgebung „im Licht der in diesem Bereich besonders raschen Entwicklung der Wissenschaft und der Gesellschaft“ stets auf dem letzten Stand zu halten, weil „die Konvention immer im Licht der gegenwärtigen Bedingungen interpretiert und angewendet werden muss“.[9]

Lateinamerikanischer Vorstoß zur Verteidigung der „reproduktiven Freiheit und Selbstbestimmung“

Einmal mehr schloss sich der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte dem schlechten Beispiel des EGMR kurze Zeit später an, indem er 2012 das costaricanische Verbot der In-vitro-Zeugung im Namen eines Rechts auf Zugang zu medizinischen Behandlungsmethoden, die dazu notwendig sind, die (ihrerseits aus dem Recht auf Privatleben abgeleitete) reproduktive Freiheit und Selbstbestimmung auszuüben, als Konventionsverletzung verurteilte.[10]

Durch die Entwicklung der reproduktionsmedizinischen Industrie und des damit einhergehenden Reproduktionstourismus wird die Logik des Rechts auf ein Kind unerbittlich vorangetrieben. Gewiss, niemand hat einen Anspruch darauf, dass der Staat ihm ein Kind frei Haus liefern muss – wohl aber wird die Gesellschaft bereits dazu gezwungen, ohne jede Unterscheidung jedermann den Zugang zur Adoption und zur Inanspruchnahme reproduktionsmedizinischer Verfahren anzubieten.

Wenn es auch noch kein durchsetzbares Recht auf ein Kind gibt, so hat man doch schon ein gleichwertiges Recht auf Zugang zu Adoption und zu reproduktionsmedizinischen Techniken geschaffen, die es ermöglichen, zu einem Kind zu kommen. So wird das Recht auf ein Kind sich im Gleichschritt mit der Entwicklung der Technologie der künstlichen Zeugung durchsetzen. Hier ist es wohl die Existenz dieser Techniken, die das Recht auf ein Kind garantiert.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Grégor Puppinck: Der denaturierte Mensch und seine Rechte, Be+Be 2021, HC, 274 S., Euro 21,90, ISBN 978-3-903602-07-6 – Bestell-Tel. 0043- 2258-8703-400; E-Mail: bestellung @bebeverlag.at – Webseite: www.klosterladen-heiligenkreuz.at
[2] EGMR: Paradiso und Campanelli gegen Italien [GC], 25358/12, 24. Januar 2017, § 141.
[3] Ibid., § 215.
[4] EGMR: Evans gegen Vereinigtes Königreich [GC], 6339/05, 10. April 2007.
[5] EGMR: Dickson gegen Vereinigtes Königreich [GC], 44362/04, 4. Dezember 2007.
[6] EGMR: S.H. und andere gegen Österreich, 57813 /00, 1. April 2010, § 60. Siehe auch Dickson gegen Vereinigtes Königreich [GC], 44362/04, 4. Dezember 2007.
[7] EGMR: S.H. und andere gegen Österreich, 57813 /00, 1. April 2010, § 74.
[8] Ibid., § 81.
[9] EGMR: S.H. und andere gegen Österreich [GC], 57813/00, 3. Nov. 2011, §§ 117 und 118.
[10] IAGMR: Artavia Murillo u.a. gegen Costa Rica, 28. Nov. 2012, Serie C No. 257, §§ 146 u. 150.  

Eine geheimnisvolle Hand rettet die Schweiz

Das Wunder von Waldenburg

Der Richter Dr. Harald Grochtmann beschreibt in seinem Buch „Wunder: kirchlich überprüft, nie widerlegt"[1] auch die Rettung der Schweiz vor dem von Hitler geplanten Überfall in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai 1940. Die Schilderung des als „Wunder von Waldenburg“ bekannten Vorfalls findet sich in der achten, aktualisierten und jetzt ergänzten Auflage des Buches ab Seite 376 (Fe-Verlag).

Von Harald Grochtmann

Für das sog. „Wunder von Waldenburg“, das in Deutschland noch immer fast völlig unbekannt ist, gibt es in der Schweiz zahlreiche Zeugnisse. Die Unterlagen, auf die ich zurückgreifen konnte, kamen zum großen Teil vom Schweizer Eidgenössischen Departement für Verteidigung in Bern, von der Forschungsstelle Hand Waldenburg (9382 Egnach, Kehlhofer Straße 41) und vom Archiv der katholischen Pfarrgemeinde in Sachseln, der Gemeinde des Schweizer Nationalheiligen Bruder Klaus.

Nachdem Hitler am 10. Mai 1940 die Beneluxstaaten und Frankreich überfallen hatte, befürchtete man einen Nazi-Angriff auch auf die Schweiz. Man ging davon aus, dass er in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai 1941 erfolgen würde. In dieser Nacht erschien etwa zwischen 22:00 und 22:30 Uhr bei Dunkelheit und wolkenlosem Himmel eine knöcherige ruhige Hand, die auch wegen ihrer Länge der Hand von Bruder Klaus ähnelte. Sie war wie von innen beleuchtet und konnte nicht nur über Waldenburg in der Schweiz, sondern auch von Deutschland aus gesehen werden. Interessanterweise fand das Ereignis am ersten Erscheinungstag von Fatima statt.

Schon wenige Wochen nach diesem Vorfall wurde Kaplan Durrer von der katholischen Gemeinde in Sachseln damit beauftragt, über 30 Augenzeugen jeweils getrennt voneinander zu vernehmen. Alle Zeugen – ohne jede Ausnahme – gaben an, dass die Hand am Himmel kein Wolkengebilde mit der Ähnlichkeit zu einer Hand, sondern völlig eindeutig eine Hand in beschriebener Art war (die Protokolle im Wortlaut S. 378ff.).

Der in der gleichen Nacht geplante Überfall auf die Schweiz konnte nicht durchgeführt werden, da die Motoren der Panzer und Militärfahrzeuge, die für den Überfall vorgesehen waren, nicht ansprangen. Nachdem trotz aller Bemühungen – so wurde z.B. von Berlin aus Ölwechsel angeordnet – nicht ein einziges Fahrzeug angelassen werden konnte, gab Berlin den Truppen den Befehl zum Rückzug in die Kasernen. Plötzlich sprangen alle besagten Motoren wieder an und die Fahrt ging in die Kasernen. Hitler hat nie mehr einen Überfall auf die Schweiz versucht.

Auch auf deutscher Seite jenseits des Rheins war das Wunder der Hand am Himmel über Waldenburg zu sehen. Hitler jedoch hatte unter Strafandrohung, sprich KZ, strikt verboten, davon zu sprechen. Deswegen sind nur wenige Namen von deutschen Zeugen vorhanden. Trotzdem gibt es wichtige Zeugnisse über das Wunder. So haben ein Lehrer aus dem Schwarzwald und mehrere Männer – alles ehemalige Soldaten der Überfall-Truppe – einem Priester gegenüber von den Vorfällen berichtet, so auch der spätere Pater Dr. Franz Fuchs, der miterlebt hatte, wie seine bei Tuttlingen/Schwarzwald stationierte und für den Überfall vorgesehene Einheit wegen der nicht angesprungen Motoren nicht weitergekommen war.

Von besonderer Wichtigkeit ist die Erklärung von Frau Beate Backhaus aus Münster, deren Onkel Maximilian Hilgenstock Oberst bei der Invasionstruppe war. Dessen Witwe gab ca. 1970 ihre Kenntnisse von dem gesamten Vorfall an Frau Backhaus, also ihrer Nichte, weiter. Sie bezeugte, dass die Hand über Waldenburg auch von Deutschland aus zu sehen war und dass die Panzer und Militärfahrzeuge nicht angesprungen sind, was nicht wenige deutsche Soldaten als „Hilfe von oben für die Schweiz“ gedeutet hätten. Man kann annehmen, dass ein hoher Offizier der Invasionstruppe besonders eingehend über die Vorgänge informiert war und diese auch entsprechend an seine Ehefrau weitergegeben hat.

Ein interessanter Hinweis auf die Vorgänge kommt aus Fern-Ost. Pater Max Blöchlinger war zwölf Jahre lang Generaloberer der Missionsgesellschaft Bethlehem und 1940 in Japan tätig. In den Nachrichten des japanischen Radios hörte er am 14. Mai die Mitteilung, dass die deutschen Truppen um 02:00 Uhr in die Schweiz einmarschiert seien. Ähnlich war es auch in der japanischen Presse abgedruckt. Und in einer chinesischen Tageszeitung las der Missionar Pater Victor Notier auf der Titelseite: „Deutsche Armee in die Schweiz einmarschiert“. Diese Meldungen sind der sichere Beweis dafür, dass Hitler in die Schweiz einmarschieren wollte. Denn diese Vorab-Meldung konnte nur aus Berlin kommen. Offensichtlich war man in Berlin fest davon ausgegangen, dass der Einmarsch in die Schweiz erfolgen würde. Die an dieser Informationsaktion in Fern-Ost beteiligten Nazis konnten die Nachricht nur herausgeben, wenn der Zeitpunkt des Einmarsches als völlig sicher galt.

Erwähnt werden soll noch die Aussage der Haushälterin des Offiziers Prof. Hans Felix Pfenninger. Er hatte die Hand am Himmel gesehen und ihr mitgeteilt, der Schweizer Oberbefehlshaber General Guisan hätte angeordnet, alle Offiziere, welche die Hand am Himmel gesehen hätten, müssten dies unter Eid beschwören. Außerdem gibt es keine Publikation, welche das Wunder von Waldenburg ausdrücklich bestreitet.

Kurienkardinal Dr. Paul Josef Cordes hat das vorliegende Beweismaterial eingehend und ausnehmend positiv gewürdigt und spricht vom „wirklich einmaligen Geschehen von Waldenburg“ (S. 377). Ebenso positiv wurden die Beweise durch die ca. 130 renommierten Mitglieder des Komitees für die Ausrichtung der Jubiläumsveranstaltung 2010 anlässlich der 70. Wiederkehr des Wunders von Waldenburg gesehen.

Wer hat die Hand über Waldenburg erscheinen lassen und die Panzer zum Stillstand gebracht? Wir dürfen darin ein unmittelbares Eingreifen Gottes auf die Fürsprache des hl. Bruder Klaus sehen, durch das die Ausweitung des furchtbaren Krieges auf die Schweiz sichtbar verhindert wurde. Gerade die Deutschen sollten das Wunder kennenlernen und sich dafür dankbar erweisen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2021
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[1] Harald Grochtmann: Wunder: kirchlich überprüft, nie widerlegt, Fe-Medien 2021, 414 S., Pb., ISBN 978-3-932426-39-1, Euro 14,80

Deutschlandfunk: „Hirntote sind sterbende Menschen“

Kritik an der Organspende-Praxis

Prof. Dr. Anna Bergmann (geb. 1953), Medizin- und Kulturhistorikerin an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, beschäftigt sich seit den 90er Jahren aus kulturhistorischer Perspektive mit dem Thema Organtransplantation. Sie hat dazu viele Interviews mit Organspenderfamilien, Organempfängern und auch mit Transplantationsmedizinern geführt. Dem Hirntod-Kriterium steht sie äußerst kritisch gegenüber. Sie hält es für eine zweckorientierte Todesvereinbarung, welche die Medizin von vornherein auf eine schiefe Bahn setze. Im September 2018 veröffentlichte der Deutschlandfunk ein ausführliches Interview, das Benedikt Schulz mit ihr führte. Bei Prof. Dr. Bergmann handelt es sich um eine anerkannte Wissenschaftlerin und ausgewiesene Expertin in der Frage einer ethischen und kulturhistorischen Einordnung der Transplantationsmedizin. Dennoch ist es beachtlich, dass der Deutschlandfunk ihre äußerst kritischen Äußerungen zur Organspende ohne Kommentar oder Hinterfragung gebracht hat. Nachfolgend die wichtigsten Aussagen in ihrem Interview, das in Textform abrufbar ist unter:

www.deutschlandfunk.de/organspende-hirntote-sind-sterbende-menschen.886.de.html

Von Anna Bergmann

Problem der Hirntod-Definition

Jahrtausende galt jemand als tot, wenn er sich in eine Leiche verwandelt hat, was dann sinnlich erkennbar war oder es heute auch ist. Denn wir haben diese Todesdefinition nicht aufgegeben, dass nach dem Atem-Herz-Stillstand sich die Totenflecke einstellen, der Tote blass wird und die sinnliche Wahrnehmung eines Toten für alle irgendwie erkennbar war. Die Hirntod-Definition hat die Todesdefinition vorverlegt und behauptet eben, dass es sich nicht mehr um einen sterbenden, sondern bereits um einen toten Menschen handelt, wenn die Gehirnfunktion ausgefallen ist.

Ich ziehe das Wort eines „hirnsterbenden Menschen“ vor. Es wird Blutdruck gemessen, also die sogenannten Vitalzeichen wie Puls, Blutdruck, Atemfrequenz werden weiterhin gemessen und dokumentiert. Der sogenannte Hirntote wird medizinisch weiterhin gepflegt, und er wird gewaschen, und all das wird ja weiterhin praktiziert für den Zweck der Organentnahme. Die klassischen Todeszeichen stellen sich erst auf dem Operationstisch durch medizinisches Handeln ein, sodass der Hirntote sich in eine Herztotleiche auf dem Operationstisch verwandelt.

Verletzung eines wesentlichen Grundsatzes medizinischer Ethik

Es wird auch die Diskussion auf internationaler Ebene, aber auch in Deutschland geführt, dass hier das Tötungstabu berührt wird, dass hier das Leichenschändungstabu berührt wird, also wenn es zum Beispiel um die Gewebeentnahme geht, die ja erst nach dem Herzstillstand erfolgt. Da können dann auch noch Augen, Hornhaut bis hin zur Haut entnommen werden, Gehörknöchelchen, Meniskus und so weiter und so fort.

Es wird ein ganz wesentlicher Grundsatz der medizinischen Ethik verletzt, die davon ausgeht, dass der zu behandelnde Arzt ausschließlich zum Wohl des Patienten, mit dem er zu tun hat, zu handeln hat. Diese drei Aspekte, die werden durch die Hirntod-Definition völlig verschluckt, indem dann auch auf den Organspende-Ausweisen nur eine Formulierung steht wie: „für den Fall, dass nach meinem Tod eine Spende von Organen, Geweben für Transplantationen in Frage kommt“ und so weiter und so fort.

Also hier wird eine Todesvorstellung suggeriert, die so auf jeden Fall falsch ist. Wenn Sie mich nach der Tötung fragen: Auf internationaler Ebene spricht zum Beispiel ein sehr renommierter Professor für Bioethik, Robert Truog von „Justified Killing“, ganz klar, dass Hirntote nicht tot sind – das ist medizinisch mittlerweile sehr vielfältig bewiesen. Aber trotzdem geht er davon aus, dass hier dann eine Tötung gerechtfertigt wäre, um das Leben anderer Menschen zu retten.

Bedürfnis nach Sterbebegleitung

Ein Sterbender ist noch nicht tot, ganz einfach. Der Mensch, der im Sterben liegt und eine schwere Krankheit hat, bei dem versucht man seinen Sterbeprozess zu begleiten, ihm die Hand zu halten. Und gerade die Hospizbewegung hat ja sehr stark reagiert auf diesen Tod im Krankenhaus. Also das heißt, es gibt auch ein Bedürfnis nach dieser Sterbebegleitung, die hier traditionell sehr stark verankert war und ist in unserer Kultur.

Durch diese medizinische Definition wird das Sterben als ein soziales Ereignis komplett verneint und wird nur noch für einen medizinischen Prozess erklärt, für den dann ausschließlich bestimmte Mediziner zuständig sind in der Hirntod-Feststellung, die auch wieder ihre eigenen Problematiken hat.

Todesvereinbarung zum Zweck der Organtransplantation

Man muss auch präzise über die Kompliziertheit dieser Hirntod-Vereinbarung aufgeklärt werden, die überall eben nicht einheitlich praktiziert wird. Zum Beispiel habe ich in Österreich interviewt, da wird komplett auf den Stich in die Nasenwurzel bei der Hirntod-Feststellung verzichtet; wahrscheinlich, weil das auch ein schwieriger Akt ist für einen behandelnden Arzt, so aggressiv mit einem Koma-Patienten umzugehen. In Deutschland ist es absolute Vorschrift, dass zwei Mal in die Nasenwurzel gestochen wird, um diese Hirntod-Diagnostik überhaupt verifizierbar zu machen. In England gibt es nur die Prüfung des Hirnstamms, da wird komplett auf visuelle Darstellungen verzichtet.

Ich denke, dass diese zweckorientiere Todesvereinbarung von vorneherein die Medizin auf eine schiefe Bahn setzt. Das verbietet sich eigentlich in der medizinischen Ethik, einen Patienten für das Überleben, für die Therapie eines anderen zu instrumentalisieren. Diese Todesdefinition ist historisch gesehen auf alle Fälle von vornherein eine instrumentalisierte Todesdefinition, die exklusiv für die Bedürfnisse der Transplantationsmedizin zugeschnitten wurde.

Frage nach der Effektivität der Transplantationsmedizin

Hier spielt ja auch die Transplantationsmedizin nicht mit offenen Karten. Sie veröffentlicht ja nicht die Zahlen der Überlebensstatistiken von Organempfängern, deren Leben besonders bedroht ist in diesem ersten Jahr nach der Transplantation; da haben wir ja die höchsten Sterberaten. Diesen Menschen wird dann ja auch wiederum die Vorbereitung auf einen anderen Tod, auf ein anderes Sterben genommen, weil sie sich ausschließlich nur noch in der transplantationsmedizinischen Betreuung befinden, die von vornherein so angelegt ist, dass sie nicht heilend wirkt – also die Transplantationsmedizin ist ja keine heilende Therapie –, sondern der Versuch ist, einem todkranken Menschen noch eine Lebensperspektive zu geben.

Und das heißt, also hier wird tagtäglich das Immunsystem außer Kraft gesetzt, weil unser Körper für eine Organtransplantation überhaupt nicht gemacht ist. Wenn Sie zum Beispiel einen Schiefer in den Finger bekommen, dann fängt Ihr Körper an, diesen Schiefer auszustoßen mit Eiter. Dasselbe passiert ja bei einer Organtransplantation. Und dieser Mechanismus muss wiederum überwunden werden. Das heißt, die Transplantationsmedizin stellt eine Technologie dar, die versucht, unsere leibliche Wirklichkeit zu überwinden und letztendlich – und deswegen ist sie wahrscheinlich auch in ihrem Image so erfolgreich – den Tod überwindbar zu machen. Und da steckt auch meines Erachtens ein Unsterblichkeitsphantasma inne.

Grenzen des organ-zentrierten mechanistischen Körpermodells

Was ich für ganz wesentlich halte ist, dass wir eine Forschung in Gang setzen, die versucht, den Menschen in seiner Ganzheit als Ausgangspunkt zu nehmen, statt zu versuchen, den Körper wie eine Maschine einfach durch Organaustausch zu verbessern, weil das unserer leiblichen Verfasstheit nicht entspricht. Wir haben ein ganz bestimmtes Körpermodell, das dieser Heilmethode zugrunde gelegt ist. Und wir wissen, es gibt jetzt sehr viele naturheilkundliche Methoden, die immer mehr auch in die moderne Medizin dringen, die sich gerade von diesem organ-zentrierten mechanistischen Körpermodell verabschieden.

Ich gehe nicht davon aus, dass die Transplantationsmedizin immer mehr zur Routine wird und sich immer mehr zu einer gängigen Heilmethode entwickelt. Ich denke, das ist ein Phantasma, dem hier hinterhergelaufen wird.

Ich möchte nochmal betonen, es ist eine Flucht aus unserer leiblichen Wirklichkeit, weil es den Versuch darstellt, unsere lebenswichtige, natürliche Immunabwehr zu unterdrücken. Und das ist auch das Problem der Transplantationsmedizin, also warum sie nach wie vor – ich würde sagen – in einer experimentellen Phase steckt, weil hier ganz viele Probleme noch nicht gelöst sind und die Nebenwirkung dann, wenn ein Mensch länger lebt durch eine Transplantation, er gefährdet ist, an Krebs zu erkranken. Das ist eine ganz klassische Nebenwirkung der Transplantationsmedizin. Und sie muss mit gentechnologischen Mitteln arbeiten; also die Gentechnologie spielt hier auch eine große Rolle, zum Beispiel in der Entwicklung der Immunsuppressiva. Und ich gehe nicht davon aus, dass die Transplantationsmedizin jemals diese Dimension bekommt, die sie verspricht.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2021
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Terror-Anstieg im Nahen und Mittleren Osten befürchtet

Christen nach Taliban-Sieg in Angst und Schrecken

Wenige Wochen nach dem Abzug der internationalen Truppen haben die Taliban erneut die Macht in Afghanistan übernommen. Das ist eine politische, militärische und humanitäre Katastrophe – nicht nur am Hindukusch. Beobachter befürchten eine gefährliche Sogwirkung und einen Anstieg der Terrorgefahr in der gesamten Weltregion. Besonders im Fadenkreuz: Christen und andere religiöse Minderheiten.

Von KIRCHE IN NOT

Dass wir aus Afghanistan entkommen konnten, ist ein Wunder“, berichtet P. Giovanni Scalese im Gespräch mit dem weltweiten päpstlichen Hilfswerk „Kirche in Not“. Der gebürtige Italiener, der dem Orden der Barnabiten angehört, leitete seit 2014 die katholische Mission in Afghanistan. Der Bevollmächtige seines Ordens beim Heiligen Stuhl, Generalprokurator P. José Carbajal, berichtet: „Unsere Mission war in der italienischen Botschaft in Kabul angesiedelt. Dort war Pater Scalese im Seelsorge-Einsatz für die Botschaftsmitarbeiter und Katholiken aus anderen diplomatischen Vertretungen.“

Laut dem Päpstlichen Jahrbuch „Annuario Pontificio“ lebten 2020 rund 200 Katholiken in Afghanistan. Zwei Priester, sechs Ordensfrauen und zwei Ordensmänner waren dort tätig. Eine von ihnen war Sr. Shahnaz Bhatti. Die pakistanische Ordensfrau von den „Barmherzigen Schwestern der heiligen Jeanne-Antide Thouret“ lebte und arbeitete zwei Jahre lang in der Hauptstadt Kabul. Sie ist wohl eine der letzten Katholikinnen, die Afghanistan verlassen hat.

Auch schon die Zeit vor den Taliban-Eroberungen sei äußerst schwierig gewesen, berichtet Sr. Shahnaz: „Die größte Schwierigkeit war, dass wir uns nicht frei bewegen konnten. Wir Frauen mussten immer von einem einheimischen Mann begleitet werden. Frauen werden wie Gegenstände behandelt.“ Religionsfreiheit in Afghanistan sei auch schon vor Abzug der westlichen Truppen nicht respektiert worden. „Wir Ordensschwestern mussten uns wie die einheimischen Frauen kleiden. Ein Kreuz durften wir nicht tragen“, sagt Sr. Shahnaz.

Dennoch sieht die Ordensfrau ihren Einsatz als Erfolg. Sie und weitere ausländische Ordensfrauen betrieben in Kabul eine Schule für geistig zurückgebliebene Kinder im Alter von sechs bis zehn Jahren. Die Zusammenarbeit lief über Religionsgrenzen hinweg: „Einheimische Lehrer, Wachpersonal und Köche arbeiteten mit uns zusammen.“

Flucht in letzter Sekunde

Mit der Machtübernahme durch die Taliban hat sich die Situation dramatisch verschlechtert. Sr. Shahnaz harrte bis zum 25. August allein in Kabul aus. Das Haus hatte sie zu diesem Zeitpunkt schon länger nicht mehr verlassen können. Schließlich sei es gelungen, zusammen mit anderen Ordensfrauen der Missionarinnen der Nächstenliebe und 14 schwerstbehinderten Kindern den letzten Flug nach Italien zu nehmen. Und das nur einen Tag vor einem Anschlag nahe des Flughafens, bei dem über 183 Menschen ums Leben kamen.

Es ist ein Trost für Sr. Shahnaz, dass ihre engsten Mitarbeiter mithilfe des italienischen Militärs in letzter Minute ausgeflogen werden konnten. Doch eine große Sorge bleibt: „Die Familien unserer Kinder, die uns weiter kontaktieren und um Hilfe bitten, blieben in ihren Häusern und sind in Gefahr.“

„Fast alle Katholiken haben Afghanistan mittlerweile verlassen“, erklärte Missionsleiter P. Scalese. Die Befürchtungen um die wenigen noch in Afghanistan verbliebenen religiösen Minderheiten sind groß. Unbestätigten Berichten zufolge sind Taliban-Kämpfer von Haus zu Haus gegangen, um einheimische Christen und Angehörige weiterer religiöser Minderheiten aufzuspüren. Menschen seien gezwungen worden, ihre Telefone abzugeben. Die Taliban hätten darauf nach Online-Bibeln oder weiterem religiösen Material gesucht.

Pakistan: Sicherheitsvorkehrungen vor Kirchen verschärft

Doch auch in den Nachbarländern steigt die Angst vor dem Terror. So haben die christlichen Kirchen in Pakistan als Reaktion auf den Taliban-Sieg ihre Sicherheitsvorkehrungen erhöht. Es bestehe die Sorge, dass die Miliz „Tehrik-i-Taliban Pakistan“ (Bewegung der pakistanischen Taliban, kurz TTP) und andere militante Organisationen jetzt neuen Auftrieb bekämen, erklärt der Menschenrechtsaktivist Sajid Christopher: „Als die Taliban vor 2001 an der Macht waren, gab es viele Anschläge in Pakistan. Kirchen und andere christliche Einrichtungen waren eindeutig Zielscheiben des Terrors. Jetzt sind die Taliban zurück. Sie werden die TTP und andere islamistische Gruppen stärken.“

Bei einem Treffen hatten sich katholische und protestantische Geistliche darauf verständigt, die bewaffneten Sicherheitsdienste vor den Kirchen zu verstärken, vor allem an den Sonntagen. Personen, die mit dem Auto auf das Kirchengelände fahren, werden intensiver kontrolliert, an den Eingängen kommen Metalldetektoren zum Einsatz. Christopher warnt, dass nicht nur die christliche Minderheit nun um ihre Sicherheit fürchten müsse. Betroffen seien ebenso die gemäßigten Muslime: „Auch in friedlichen und fortschrittlichen muslimischen Gemeinden wird Angst herrschen. Aber die Personen mit einer militanten Denkweise sind froh, dass die Taliban wieder an der Macht sind.“

Irak: Kommt der IS zurück?

Angst davor, dass der islamistische Terror jetzt wieder aufflammt, äußern auch Projektpartner von „Kirche in Not“ im Irak. Der Sieg der Taliban könne „äußerst schwerwiegende Auswirkungen auf den Irak haben“, befürchtet der chaldäisch-katholische Erzbischof von Erbil, Bashar Warda. In seiner Diözese im kurdischen Teil des Irak hat er nach der Eroberung der Ninive-Ebene durch den „Islamischen Staat“ im Jahr 2014 über hunderttausend Christen aufgenommen und versorgt. Die Extremisten seien nach wie vor im Land aktiv, warnte Warda: „Sie leben im Untergrund und sind immer noch in der Lage, Unheil anzurichten.“ Noch besorgniserregender sei, „dass die Geisteshaltung des IS im Irak und in Syrien in Teilen der Bevölkerung immer noch vorhanden ist. Das ist eine ständige Sorge.“

Zur Ankündigung von US-Präsident Joe Biden, den Kampfeinsatz der Vereinigten Staaten im Irak bis Ende 2021 zu beenden, erklärte Warda, dass sich eine mögliche Verschlechterung der Sicherheitslage negativ auf religiöse Minderheiten wie die Christen auswirken werde. „Unsere Geschichte hat uns gelehrt, dass in Zeiten der Instabilität die Minderheiten zuerst leiden.“ Es bestehe die Sorge, dass die Veränderung des US-Militäreinsatzes eine „weitere Verfolgung der religiösen Minderheiten“ nach sich ziehen könne, betonte der Erzbischof.

Trotz aller Sorge angesichts der aktuellen Entwicklungen gebe es aber auch Grund zur Hoffnung. Dies sei vor allem dem Besuch von Papst Franziskus im März zu verdanken, erklärte Warda: „Wir Christen sind nur noch eine kleine Gruppe, aber wir tun standhaft unser Bestes, um zu zeigen, dass wir ein wichtiger Teil dieses Landes sind. Der Besuch des Heiligen Vaters hat unseren Mitbürgern gezeigt, welchen positiven Einfluss die christliche Gemeinschaft im Irak hat. Ich hoffe, dass unsere Gemeinschaft hier mit der Zeit nicht nur überleben, sondern auch gedeihen und wieder wachsen kann.“

Auch die aus Afghanistan geflohene Sr. Shahnaz Bhatti zeigt sich trotz der traumatischen Erlebnisse und der gegenwärtigen Lage entschlossen: „Ich wäre die Erste, die zurückkehren würde, wenn es die Situation erlaubt.“ Die westlichen Staaten sollten sich dafür einsetzen, dass Helfer wie die Ordensfrauen wieder ins Land dürfen. Hoffnung setzt sie auf Bildung und Kulturprojekte, diese könnten die Mentalität vor allem der jungen Afghanen ändern. „Es gibt viele junge Frauen, die ihre Freiheitsrechte nicht aufgeben wollen. Aber es ist notwendig, die junge Generation auszubilden. Demokratie wird nicht exportiert, sie wird kultiviert.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Hunderttausende demonstrieren „für Frauen und für das Leben“

Mexiko steht auf

Über eine Million Menschen beteiligte sich am Sonntag, den 3. Oktober 2021, in Mexiko an landesweiten Protestmärschen „für die Frauen und für das Leben“. In über 70 mexikanischen Städten fanden Veranstaltungen statt, zu denen die katholische Kirche und andere Organisationen aufgerufen hatten. In diesem Zusammenhang berichtete Vatican News: „Hintergrund war eine Serie von Entscheidungen der Verfassungsrichter Anfang September. Darin wurden sowohl die Strafbarkeit von Abtreibungen in einem Bundesstaat als auch ein Passus, der in einem weiteren Bundesstaat den Schutz menschlichen Lebens auch auf Ungeborene von der Empfängnis an bezog, als verfassungswidrig bezeichnet. Die Urteile dürften sich auf ähnlich formulierte Gesetze in weiteren Bundesstaaten Mexikos auswirken, wo Abtreibungen bisher teils nur nach Vergewaltigung gestattet waren. In einem weiteren Urteil erklärten die Höchstrichter mit Blick auf Abtreibungen auch die Verweigerung medizinischer Dienstleistungen aus Gewissensgründen für unzulässig.“ Zum Erfolg der Initiative, die von einem zivilgesellschaftlichen Bündnis organisiert worden war, trug entscheidend die Unterstützung der mexikanischen Bischofskonferenz bei. Es gehe nicht um Gefängnisstrafen für Frauen, die abgetrieben hätten, so die Bischöfe in einer öffentlichen Erklärung, doch sei es bedauerlich, dass „der Oberste Gerichtshof sich angesichts des Dilemmas, die abtreibende Frau nicht zu kriminalisieren und das Leben des ungeborenen Kindes zu schützen, dafür entschieden hat, letzteres zu verwerfen, ohne sich um den Schutz beider zu bemühen“.

Von David Ramos/CNA Deutsch

Mehr als 300.000 Menschen nahmen am Sonntag, den 3. Oktober 2021, in Mexiko-Stadt an einem „Marsch für Frauen und das Leben“ teil, an den damit verbundenen Märschen im ganzen Land waren es insgesamt mehr als eine Million. Beim Marsch in Mexiko-Stadt versammelte sich die Menge vor dem Nationalen Auditorium und zog anschließend bis zum rund eineinhalb Kilometer entfernten Unabhängigkeitsdenkmal. Die Teilnehmer sangen in Sprechchören für Frauen und den Schutz des Lebens vom Moment der Empfängnis an.

Auf Plakaten und in Slogans wurde auch Kritik an den Mitgliedern des Obersten Gerichtshofs der Nation geäußert, die im September zwei Entscheidungen zugunsten der Legalisierung der Abtreibung getroffen und das Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen für Angehörige der Gesundheitsberufe eingeschränkt hatten.

Am Denkmal wurden Zeugnisse gegeben und Botschaften an die Teilnehmer gerichtet. Ein Arzt führte auf der Bühne bei einer in der 38. Woche schwangeren Mutter eine Ultraschalluntersuchung durch, so dass die Teilnehmer des Marsches den Herzschlag des Babys hören konnten.

Der Koordinator des Marsches, Marcial Padilla, und seine Frau Mayela Sepúlveda berichteten von ihrer 9-jährigen Tochter Ana Paula, die eine „sehr schwere Gehirnverletzung“ habe. „Sie kann sich nicht um sich selbst kümmern, sie braucht alles von uns“, so erklärten sie und fuhren fort: „Sie ist genauso verletzlich wie als Baby vor der Geburt oder als Neugeborenes.“ Dabei „haben wir gelernt, dass die Liebe zu einem kranken Kind unendlich sein kann.“ Während „einige denken könnten, dass Ana Paula wertlos ist oder dass ihr Leben keine Bedeutung hat“, sei es „genau das Gegenteil“. „Das bedeutet nicht, dass es einfach ist oder dass es uns keine Arbeit kostet“, doch das Leben von Ana Paula sei schon „an sich wunderbar“.

An der Demonstration nahm auch Mayra Rodríguez teil, eine Lebensschützerin, die früher bei Planned Parenthood in Arizona gearbeitet hat. Sie sagte: „Ich war die Leiterin der größten Abtreibungs-Klinik im Staat Arizona.“ „Was ich dort gesehen habe, ist das, was mich heute hier bei Ihnen stehen lässt“, so Rodriguez. Und sie berichtete der Menge von mehreren „unvollständigen Abtreibungen“. Ein Arzt beispielsweise habe den Kopf eines 14 Wochen alten Babys als Müll bezeichnet und im Mutterleib zurückgelassen. Es sei ihm gleichgültig gewesen, dass die Frau am nächsten Tag an einer Infektion hätte sterben können.

Lianna Rebolledo, eine katholische Rednerin und Pro-Life-Führerin, erzählte, dass sie im Alter von zwölf Jahren entführt und vergewaltigt worden sei. Daraufhin sei sie schwanger geworden. „Viele denken, dass eine Vergewaltigung das Leben eines Mädchens bereits zerstört hat, dass niemand sie lieben wird, dass sie nicht mehr würdig ist und dass sie das Baby abtreiben sollte.“ Das sei sehr bedauerlich. „Aber wissen Sie was, dadurch macht man jemanden ein zweites Mal zum Opfer“, stellte sie fest. „Man sagte mir, dass ich schwanger bin.“ Und die Ärzte hätten ihr zur Abtreibung geraten. Doch zum Glück habe sich ihr Leben anders entwickelt. „Schon als 12-jähriges Mädchen fragt man sich: Wird eine Abtreibung mich von der Tatsache befreien, dass ich vergewaltigt worden bin? Werde ich das Trauma vergessen? Nein.“ „Das größte Geschenk, das mir das Leben, das mir Gott gemacht hat, ist meine Tochter“, erklärte Rebolledo. „Mit vier Jahren sagte sie zu mir: ,Mama, danke, dass du mir das Leben geschenkt hast!‘“.

Im Gespräch mit ACI Prensa, der spanischen Abteilung von CNA, sagte Rodrigo Iván Cortés, der Präsident der Nationalen Front für die Familie: „Mexiko ist marschiert, Mexiko ist aufgestanden, Mexiko hat nicht aufgegeben, Mexiko hat gezeigt, dass es für das Leben ist, für die Frauen, für die Familie, für die Grundfreiheiten.“ „Die drei Gewalten der Vereinigten Mexikanischen Staaten sollen uns zuhören: die Exekutive, die Legislative und die Judikative“, forderte er, „und zwar auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene“. „Wir wollen nicht, dass das Verbrechen der Abtreibung legalisiert wird, wir wollen, dass die schwangere Frau und das Baby, das sie in sich trägt, geschützt werden“, betonte er und fügte hinzu: „Außerdem wollen wir nicht, dass man die Familie neu definiert, sondern dass man sie unterstützt.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2021
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Gebet zur Seligsprechung

von Romano Guardini

Am 16. Dezember 2017 eröffnete Erzbischof Reinhard Kardinal Marx im Liebfrauendom in München das Seligsprechungsverfahren für Romano Guardini. Der katholische Religionsphilosoph und Theologe wurde am 17. Februar 1885 in Verona geboren, 1910 in Mainz zum Priester geweiht, war ab 1923 Professor für Katholische Weltanschauung zunächst in Berlin, dann auch in Tübingen und München, und verstarb am 1. Oktober 1968 in München. Das offizielle Gebet zur Seligsprechung:

 

Herr Jesus Christus,

Du hast Deinen Diener Romano Guardini zu einem leuchtenden Lehrer

und Erzieher der jungen Generation berufen und sie dadurch

für die Kirche gewonnen.

Du hast ihn mit klarem Denken und treffender Sprache begabt,

um Deine Wahrheit Vielen zu verdeutlichen.

Du hast seinen geraden Weg in schwierigsten Zeiten gestützt,

so dass er zum Vorbild für Unzählige wurde,

auch für den christlichen Widerstand im totalitären Staat.

Du hast ihn im Kampf mit der Schwermut

und mancherlei Leiden gestärkt.

Du hast ihn mit der Gabe der Freundestreue ausgezeichnet.

Du hast sein Wirken als Priester und Prediger,

auch für viele Außenstehende,

mit spürbarem Segen verbunden.

Wir bitten Dich:

Schenke ihn uns zur Verehrung,

damit die Menschen von heute die Heiligkeit Deiner Kirche erkennen,

damit sich auch die junge Generation für Dich entflammt,

damit Menschen in seelischen und leiblichen Leiden durch sein Beispiel aufgerichtet werden,

damit die Heiligkeit Gottes neu wahrgenommen wird.

Ehre sei dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, jetzt und immer und in Ewigkeit.

Amen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

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