Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Einen großen Teil seines Lebens hat sich der Schönstattpater Elmar Busse in der Familienpastoral engagiert. Er kennt die Sorgen von gläubigen Eltern, die hilflos mitansehen müssen, wie sich ihre Kinder der Kirche entfremden. Ihnen gibt er den Rat, auf Gott zu blicken, wie er sich in Jesus Christus geoffenbart hat. Der himmlische Vater hat alles in seiner Hand, er versteht uns vollkommen und sorgt für uns. Er wartet nur darauf, dass wir ihm unsere Probleme mit restlosem Vertrauen übergegen. Und so ermutigt P. Busse besorgte Eltern, ihre Kinder loszulassen und sie der Fürsorge Gottes anzuvertrauen. Auf der Grundlage unseres Glaubens und Betens, unserer ungebrochenen Liebe zu den Kindern, unserer Geduld und unseres inneren Friedens, den wir ausstrahlen, wird der Herr selbst Wege finden, um die Herzen der Kinder zu berühren und mit seiner rettenden Gnade zu erreichen.

Diese Zuversicht muss uns auch erfüllen, wenn die ganze Kirche von heftigen Stürmen umtobt und erschüttert wird. Gott ist da – mit seiner Allmacht, Weisheit und Barmherzigkeit. Jesus hat die Mächte des Bösen ein für alle Mal besiegt. Das Reich Gottes geht seinem endgültigen Triumph entgegen, wenn auch unter Geburtswehen. Es ist seine Kirche, nicht unser Werk. Er sorgt sich um sie und wird sie nicht untergehen lassen. Es liegt an uns, aus diesem Glauben heraus die Freude an der Kirche zu bezeugen und hoffnungsvoll der Evangelisierung zu widmen. Professor Dr. Ludwig Mödl hat in seinem Buch „Katholisch aus Überzeugung. Reformen in der Kirche unter einem neuen Leitbild“ dazu aufgerufen, sich durch die Missbrauchsskandale nicht aus der Bahn werfen zu lassen und die Grundstruktur des Katholischen nicht aufzugeben, sondern die eigentlichen Aufgaben der Kirche wieder ins Zentrum zu rücken.

Der Salesianerpater Dr. Josef Weber ergänzt diese Gedanken über die Fürsorglichkeit Gottes mit seiner freimütigen Darlegung über das Geheimnis des Bösen. Wo ist Gott? So fragen sich viele. Aber genau diese Frage führt uns letztlich zurück zum abgrundtiefen Geheimnis der göttlichen Liebe, die sich in der Fußwaschung und am Kreuz auf unüberbietbare Weise kundgemacht hat.

Gottes Fürsorglichkeit, auf die wir bauen dürfen, wird zum Sendungsauftrag an die Kirche. Wir sind berufen, die Fürsorglichkeit in der Welt zu bezeugen, ja, sie muss zu unserer Fürsorge in allen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens werden. Das Charisma der geistlichen Familie „Das Werk“ ist dafür ein geradezu prophetisches Zeichen. Aus Anlass des 25. Todestags der Gründerin Julia Verhaeghe am 29. August stellt der Generalobere des Werks, P. Thomas Felder FSO, die Gemeinschaft vor. Er arbeitet den zentralen Aspekt der Familie heraus, sowohl im Blick auf die konkrete Fürsorge der Kirche für die christlichen Familien als auch im Blick auf die Kirche selbst, die berufen ist, einen familiären Geist und eine fürsorgliche Atmosphäre im Miteinander von Laien und Priestern auszuformen. Dazu passt auch das Thema des bevorstehenden 10. Weltfamilientreffens vom 22. bis 26. Juni 2022 in Rom: „Die Liebe in der Familie: ein Ort und Weg zur Heiligkeit“.

Papst Franziskus hat auch den 2. Welttag der Senioren am 24. Juli 2022 unter das Thema der Fürsorge gestellt. Die älteren Menschen und Großeltern sollten für die ganze Menschheit Lehrer der Fürsorge und Menschlichkeit sein. Gleichzeitig sollten wir der Einsamkeit der alten Menschen mit unserer Fürsorge entgegenwirken und eine neue Kultur der Aufmerksamkeit entwickeln. Am Welttag selbst sollte niemand von ihnen ohne Zuwendung bleiben.

Liebe Leser, mit einem aufrichtigen Vergelt’s Gott für Ihre Senden wünschen wir Ihnen im Licht unseres Titelthemas auf die Fürsprache der Königin des Friedens Gottes reichsten Segen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2022
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

 

Wenn sich erwachsene Kinder der Kirche entfremden

Die Fürsorglichkeit Gottes

Der Schönstattpater Elmar Busse (geb. 1951) hat reiche Erfahrung in der pastoralen Begleitung von Familien. In seinem Beitrag geht er auf die Sorgen von gläubigen Eltern ein, deren erwachsene Kinder sich der Kirche entfremdet haben. Er beleuchtet diese Herausforderung im Licht der Fürsorglichkeit Gottes. Dabei geht er von einem Vers aus dem Hohepriesterlichen Gebet Jesu aus: „Solange ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast. Und ich habe sie behütet und keiner von ihnen ging verloren, außer dem Sohn des Verderbens“ (Joh 17,12). Nachfolgend die Ausführungen, die P. Busse am 31. Mai 2022 auf Radio Horeb vorgetragen hat, in leicht gekürzter Fassung.

Von Elmar Busse ISch

In der israelischen Armee gibt es eine Spezialeinheit, Sajeret Matkal. Größere Bekanntheit erlangte die Einheit durch die „Operation Thunderbolt“ (1976). Dabei befreiten Sajeret-Einheiten unter dem Kommando von Joni Netanjahu, dem Bruder von Israels früherem Premierminister Benjamin Netanjahu, mehr als 100 Geiseln aus dem 4.000 Kilometer entfernten Flughafen von Entebbe in Uganda. Tragischerweise überschattete der Tod Joni Netanjahus den Erfolg der Operation. In dieser Truppe wie auch in anderen Spezialeinheiten gehört es zum Ehrencodex, dass bei Einsätzen niemand zurückgelassen wird. Bei all den Gefahren von außen, die solche Einsätze mit sich bringen, herrscht doch das Lebensgefühl: Wir können uns hundertprozentig aufeinander verlassen.

Ein Beispiel aus einem ganz anderen Umfeld: Im Jahr 1914 brach Ernest Shackleton mit seinen Männern auf, um den Südpol zu überqueren. Leider wurde ihr Schiff, die Endurance, vom Packeis eingeschlossen und langsam zerquetscht, noch bevor die Mannschaft die antarktische Halbinsel erreicht hatte. Die 28-köpfige Mannschaft musste das Schiff verlassen, benutzte die drei kleineren Beiboote als Schlitten und gelangte schließlich am 15. April zur Insel Elephant Island, einer unbewohnten und vergletscherten Insel 245 km nordöstlich der antarktischen Halbinsel, aber immer noch 1300 km von Südgeorgien, der nächsten Ansiedlung entfernt. Immerhin konnten sich die Männer von Pinguinen und Robben ernähren. Ernest Shackleton brach mit fünf Mitgliedern in dem kleinen Beiboot James Caird auf und erreichte tatsächlich am 10. Mai zunächst die Südküste von Südgeorgien. Zu Fuß überquerte der kleine Trupp den Gletscher und erreichte am 20. Mai die Walfangstation Stromness. Von dort startete dann das chilenische Marineschiff Yelcho zur Elefanteninsel und konnte die dort bis zum 30. August ausharrenden restlichen 22 Mitglieder der Expedition retten. Am 3. September erreichte die Yelcho und mit ihr alle 28 Mannschaftsmitglieder den chilenischen Hafen von Punta Arenas. Alle hatten das Drama überlebt.

„Ich habe sie behütet“

Diese Assoziationen kommen mir, wenn ich den Vers aus dem Hohepriesterlichen Gebet, das Jesus am Vorabend seines Leidens gesprochen hat, lese: „Ich habe sie behütet.“

Wenn man die Zeit des öffentlichen Wirkens Jesu von der Berufung der ersten Jünger an Revue passieren lässt, dann fällt auf, dass wir keine markante Situation in den Evangelien finden können, wo Jesus seine Jünger unmittelbar in Schutz nimmt oder nehmen muss. Im Gegenteil! Nachdem Jesus in der Synagoge von Kafarnaum mit dem Versuch, seinen Zuhörern einen Zugang zur Eucharistie zu vermitteln, massive Ablehnung provoziert hatte, fragte er seine Jünger: „Wollt auch ihr weggehen?“ (Joh 6,67).

Es ist ein Klima der Freiheit und des Vertrauens, das im Zwölferkreis herrscht. Und doch muss Jesus ein ausgesprochenes Verantwortungsgefühl für seine Jünger empfunden haben. Sonst hätte er nicht die Bildrede vom guten Hirten entwickelt (Joh 10, 11-18). Und er grenzt den guten Hirten deutlich vom feigen Mietling ab (Joh 10,12). Die Sorge um die Seinen geht bis zur Lebenshingabe (Joh 12,15). Wie ernst das gemeint war, merken die Jünger erst am Karfreitag.

Weitere Spuren der Fürsorglichkeit finden wir an anderen Stellen:

Mk 6,31: „Da sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus! Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen.“

Ausdrücklich finden wir auch Hinweise auf das Mitleid Jesu:

Mt 9,36: „Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben.“

Mt 14,14: „Als er ausstieg, sah er die vielen Menschen und hatte Mitleid mit ihnen und heilte ihre Kranken.“

Mt 15,32: „Jesus rief seine Jünger zu sich und sagte: Ich habe Mitleid mit diesen Menschen; sie sind schon drei Tage bei mir und haben nichts mehr zu essen. Ich will sie nicht hungrig wegschicken, sonst brechen sie auf dem Weg zusammen.“

Auch das Weinwunder bei der Hochzeit zu Kana ist ein Zeichen, dass Jesus dem Brautpaar aus der Verlegenheit heraushelfen will, mehr noch: Es ist ein Zeichen der Fülle des Heiles, die er bringen will.

Auch bei der Brotvermehrung erwähnen die Evangelisten ausdrücklich, dass Jesus mehr gegeben hatte, als die Menschen essen konnten (Mt 14,20 par und Mt 16,9).

Die Geborgenheit in Gott als Grundlebensgefühl schärft Jesus seinen Jüngern ein, wenn er von den Lilien und den Vögeln des Himmels spricht:

Mt 10,29: „Verkauft man nicht zwei Spatzen für einen Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters.“

Mt 10,31: „Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen.“

Mt 6,27-33: „… Macht euch also keine Sorgen … Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. Sucht aber zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere dazugegeben.“

Bewahrung vor innerer Emigration

Wovor könnte Jesus seine Jünger bewahrt haben? Aus der Management- und Motivationsliteratur kennen wir den Begriff der „inneren Kündigung“. Damit ist gemeint, dass Menschen zwar an ihrem Arbeitsplatz sind, aber ohne inneres Engagement und ohne Motivation Dienst nach Vorschrift machen.

Romano Guardini meditiert in einem seiner Klassiker, im Buch „Der Herr“, über Judas. Er schreibt:

„Als Judas bei Jesus blieb, begab er sich in eine schreckliche Gefahr. Das heilige Dasein, das ganz von Gott her denkt, urteilt und handelt, ist nicht einfach zu ertragen. Sehr töricht, zu meinen, es müsse ohne weiteres schön sein, in der Nähe des heiligen Menschen, gar des Sohnes Gottes zu leben; dabei könne man nicht anders als gut werden. Ein Teufel kann man werden. Der Herr selbst sagt es: ‚Habe ich nicht euch zwölf erwählt? Und einer von euch ist ein Teufel‘ (Joh 6,70).

Judas war es nicht von vornherein, wie das Volk meint; er ist es geworden, und zwar in der Nähe des Erlösers. Sagen wir ruhig: an der Nähe des Erlösers, denn ‚dieser war gesetzt zur Auferstehung und zum Fall‘ (vgl. Lk 2,14). Besonders nach Kafarnaum muss die Situation für ihn unerträglich geworden sein. Immerfort diese Gestalt vor Augen zu haben; immerfort ihre übermenschliche Reinheit zu fühlen; immerfort, und das war das Schwerste, diese Gesinnung des Opfers, diesen für die Menschen sich hingebenden Willen zu empfinden – das konnte nur ertragen, wer Jesus liebte.

Es ist schon schwer genug, menschliche Größe zu ertragen – eigentlich sollte man sagen: zu verzeihen –, wenn man selbst nicht groß ist. Wenn es aber religiöse Größe ist? Göttliche Opfergröße? Die Größe des Erlösers? Ist dann keine reine Bereitschaft des Glaubens und des Liebens da, so muss sich alles vergiften."[1]

In der rückblickenden Bilanz Jesu über seinen Jüngerkreis wird Judas nicht ausgeblendet, wenn er sagt: „Außer dem Sohn des Verderbens, damit sich die Schrift erfüllt“ (Joh 17,12).

Vor solcher inneren Emigration hat Jesus seine Jünger bewahren können – außer Judas.

Herausführung aus den Verhaltensmaßstäben der Welt

Bewahrt hat Jesus seine Jünger auch vor der Angleichung an die Welt. Genauer: Jesus hat seine Jünger aus den Wert- und Verhaltensmaßstäben „der Welt“ herausgeführt in die Verhaltensweisen, die im Reich Gottes gelten sollen: „Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Großen ihre Vollmacht gegen sie gebrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein. Wie der Menschensohn nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mt 20,25-28).

So kann Jesus aber auch nur reagieren, weil das Thema heiß ist. In der Bitte der Mutter der Zebedäus-Söhne um Ministerposten für ihre Söhne kommt genau dieses Denken der Welt zum Ausdruck: Karriere machen mit Jesus! Das ist doch die Chance!

Auch später bei der Fußwaschung schärft Jesus die neuen Verhaltensregeln, die im Reich Gottes gelten, seinen Jüngern ein: „Begreift ihr, was ich an euch getan habe? Ihr sagt zu mir Meister und Herr und ihr nennt mich mit Recht so; denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe“ (Joh 13,12-15).

Menschen loslassen und der Fürsorge Gottes anvertrauen

Auf diesem biblischen Fundament stehend, fällt es leichter, Menschen loszulassen und der Fürsorge Gottes anzuvertrauen.

Ein Beispiel: Von Dernbach aus schickte die hl. Katharina Kasper, die Gründerin der Kongregation der Armen Dienstmägde Jesu Christi, 1868 die ersten acht Schwestern in die Diözese Fort Wayne im Staat Indiana in den USA. Natürlich war das keine Fahrt ins Niemandsland. Schließlich hatte der dortige Bischof um Schwestern gebeten, damit sie sich um die deutschen Auswanderer kümmern könnten. Sie fuhr mit den Schwestern bis nach Le Havre, wo diese das Schiff bestiegen. In einem Brief an die Schwestern im Mutterhaus schrieb sie noch auf der Rückreise: „Welch ein rührender Anblick, das große Meer, die furchtbaren Wellen, das rasche Entfernen des Schiffes. Die armen Schwestern waren nicht mehr zu sehen. Jetzt durfte auch ich weinen und sah dem Schiff nach, solange als wir es sehen konnten."[2]

Während sie die vielen Niederlassungen der 1851 gegründeten Gemeinschaft in Europa nach Möglichkeit jährlich besuchte, kam sie nie in die USA.

In ihren Briefen an die Schwestern in den USA kommt immer wieder die mütterliche Sorge Katharinas zum Ausdruck. Ein Jahr später bricht die nächste Gruppe Schwestern nach den USA auf.

Wenn sich Kinder der Kirche entfremden

Heikler als das Loslassen von gestandenen Schwestern, die in ein fernes Land ziehen, gestaltet sich das Loslassen von erwachsenen Kindern, wenn diese sich der Kirche entfremdet haben. Da gibt es Eltern, die ihre Kinder selbst aufgeklärt und eine ganzheitliche und integrierte Sicht der Sexualität vermittelt haben, scheinbar erfolgreich, denn die Kinder lehnen Sex vor und außerhalb der Ehe ab, aber nach ein paar Jahren wollen die Kinder nichts davon wissen und haben sich dem Druck der Mehrheit angepasst. Die Argumente der Eltern prallen an dem „Altmodisch!“ der erwachsenen Kinder ab.

Da gibt es Kinder, die mit Freude jahrelang ministriert haben, sogar eine europäische Ministrantenwallfahrt nach Rom mitgemacht haben und ganz begeistert wiedergekommen sind, aber sich jetzt nach Jahren als große Zweifler bezeichnen und sich gleichzeitig auf keine Diskussionen über Glaubensthemen einlassen wollen, denn sie fürchten die argumentative Kompetenz der Eltern, die sich theologisch weitergebildet haben und gefragte Referenten in Glaubens- und Partnerschaftsfragen sind. – Die Formen der Enttäuschung oder die Ursachen für die Sorgen ließen sich noch beliebig erweitern.

Nur zu verständlich, wenn sich in solchen Konflikten dem Herzen der Stoßseufzer entringt: „Wie konntest Du, Schöpfergott, uns Menschen nur die Freiheit geben?!“ Wir selber hätten sie schon gern, aber wenn wir sehen, was bei unseren Kindern dabei herausgekommen ist! Genau da liegt der springende Punkt: Eine Welt, in der sich alle Menschen erwartungsgemäß entwickeln und verhalten, eine Welt, in der es keine Kriege und keine Gewalttäter und unschuldige Opfer gibt, die hat Aldous Huxley in seinem phantastischen Roman „Schöne neue Welt“ beschrieben. Es ist die absolute Diktatur. Will das wirklich jemand von uns?

Ein Gott, der die Liebe ist und das Glück genießt, zu lieben und sich lieben zu lassen, wollte Wesen schaffen, die an diesem Glück teilhaben. Zur inneren Logik der Liebe gehört aber, dass sie ein Kind der Freiheit ist. Gott „musste“ also Wesen, die liebesfähig sein können, die Möglichkeit der Freiheit einräumen und zwar so konsequent, dass auch der Missbrauch der Freiheit und damit unschuldige Opfer möglich werden. Wie hoch muss Gott das Glück der Liebe schätzen, wenn er bereit war, einen solchen Preis dafür zu zahlen und uns Menschen ebenfalls diesen Preis zuzumuten! Erziehung ist kein Automatismus mit berechenbaren Folgen. Natürlich liegt es auf der Hand, dass Eltern, die authentisch sind und die Werte selber leben, die sie den Kindern in geduldigem pädagogischem Nahkampf vermitteln, wahrscheinlich „erfolgreicher“ sind als Eltern, die für sich andere Wertmaßstäbe in Anspruch nehmen, als sie von den Kindern fordern. Die sprichwörtliche Doppelmoral ist zum Scheitern verurteilt. Und so kommt es, dass sich Eltern die Frage stellen: „Was haben wir bloß falsch gemacht?“

„Lieber Gott, es ist auch Dein Kind!“

Eltern müssen bei jedem Kind das Abrahamsopfer bringen, also das Liebste, was sie haben, Gott zurückschenken, damit sie sich nicht am Prozess der Selbständigwerdung des Kindes versündigen. Das ist ein schmerzlicher Prozess. Doch wenn er gelingt, kann Vertrauen wieder aufkeimen: „Lieber Gott, es ist auch Dein Kind! Du hast mehr Phantasie als wir. Du bist allgegenwärtig. Lass Dir was einfallen, wie Du trotz Deines Respekts vor der Freiheit des Menschen unser Kind mit zärtlichem Liebeswerben wieder in Deine Arme zurückholst.“

Gerade wenn einem das Vertrauen am Anfang dieser Auseinandersetzung mit Gott schwerfällt, kann die Lektüre von Konvertiten-Biografien eine gewichtige Ermutigung sein. Gott ist wirklich sehr kreativ, uns Menschen heimzulieben! Und wenn wir trotz aller Enttäuschung an das Gute im Kind glauben und dem lieben Gott etwas zutrauen, dann sind wir in der Hoffnung zuhause und nicht mehr in der Trauer oder im geheimen Vorwurf, der ja sehr subtil den Charakter einer emotionalen Erpressung annehmen kann: „Kind, wie kannst du uns nur so etwas antun!“ Fritz Esser, ein Schönstätter der ersten Stunde, hat seine Prüfungsangst vor dem Abitur in einen Lichtrahmen aus Sperrholz um das Marienbild in der Gnadenkapelle in Schönstatt hineingesägt: „Servus Mariae nunquam peribit“ – „Ein Diener Mariens geht niemals zugrunde“. Wenn wir es im Blick auf das jeweilige Sorgenkind ihm nachmachen und uns immer wieder aus der Analyse und der Angst hineinkämpfen ins Vertrauen, dann tun wir uns etwas Gutes und dem Sorgenkind ebenfalls.

Jesus zieht über sein irdisches Wirken mit den Worten Bilanz: „Solange ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast. Und ich habe sie behütet und keiner von ihnen ging verloren, außer dem Sohn des Verderbens“ (Joh 17,12). Gerade für Eltern, die sich Sorgen um ihre erwachsenen Kinder machen, kann dieser Bibelvers eine Quelle der Hoffnung sein. Denn wie Jesus mit seinen Jüngern umgegangen ist, so geht er auch jetzt mit allen Getauften um. Darauf dürfen wir vertrauen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2022
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Romano Guardini: Der Herr, Betrachtungen über die Person und das Lebens Jesu Christi, Würzburg 1940, 439f.
[2] Katharina Kasper: Schriften Bd.1, Brief Nr.9, 73.

Leitfaden für einen evangeliumsgemäßen Weg

Was macht die Kirche zur Kirche?

Wie muss die Kirche aussehen, wenn sie sich am Evangelium orientieren und ihrer Sendung treu bleiben will? Dieser Frage ging Pfr. Bodo Windolf (geb. 1961), Leiter der Pfarrei Christus Erlöser in München-Neuperlach, bei seiner Predigt am 3. Ostersonntag, 1. Mai 2022, in der St. Maximilian Kolbe Kirche ein. Zum Anlass für seine Impulse nahm er das Gedenken an die Kirchweihe, die 1997 stattgefunden hatte. Unter der Rubrik „Gedanken für den Tag“ wurde die Ansprache am 11. Mai 2022 auch auf Radio Horeb ausgestrahlt. Nachfolgend seine Predigt ohne die Hinführung.

Von Bodo Windolf

Wie sieht das Gesicht einer Kirche aus, die sich am Evangelium orientiert? Auch wenn es sicher nie zu einer gänzlichen Deckung von Evangelium und Kirche kommen wird, ist es gut, immer wieder zu bedenken, wie sie sein soll, um ihrer Sendung treu zu bleiben. So will ich versuchen, aus den biblischen Texten des 3. Ostersonntags eine Art Leitfaden herauszulesen, der bei weitem nicht vollständig ist, aber einzelne zentrale Elemente sichtbar werden lässt.

1. Das diakonische Element (vgl. Apg 4,32-37)

Während außerhalb der Osterzeit die erste Lesung stets dem Alten Testament entnommen ist, hören wir während der Osterzeit als erste Lesung stets einen Abschnitt aus der Apostelgeschichte. Diese beschreibt das Werden der jungen Kirche und erzählt, dass die Gläubigen der Jerusalemer Gemeinde zunächst alles gemeinsam hatten, das heißt allen Besitz miteinander teilten zugunsten derer, die zu wenig zum Leben hatten. Von Anfang an gehört also zur DNA der Kirche ihre Sorge für die Armen, Kranken, vielfältig Bedürftigen und am Rand Stehenden. Die Sorge für all diese Menschen war damals geradezu ein Alleinstellungsmerkmal der Kirche.

Und auch heute zählt ihr karitatives Engagement zu dem, was ihr die meiste Anerkennung einbringt. Eine Kirche oder auch Pfarrgemeinde, in der das diakonische Element fehlen würde, wäre nicht die Kirche Jesu Christi.

2. „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29)

Jesus hat vielen Lebenswirklichkeiten seiner Zeit widersprochen und dafür auch Widerspruch geerntet, bis dahin, dass man diese lästige Stimme zum Verstummen und ans Kreuz bringen wollte.

Bei der Kirche ist das ein wenig komplizierter. Bisweilen erntet sie ganz zu Recht Widerspruch – dann nämlich, wenn sie Schuld, große Schuld auf sich lädt, wie etwa beim Thema Missbrauch, seiner Vertuschung und mangelnder Empathie für die betroffenen Kinder und Jugendlichen. Aber immer wieder wird sie auch Widerspruch einlegen und Widerspruch erfahren, wenn sie für die reine Stimme des Evangeliums eintritt. Eine Kirche, die sich einfachhin anpasst an das, was in einer Zeit so en vogue ist, verrät ihre Sendung. Wenn sie bereit ist, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen, wird sie immer wieder auch in Widerspruch zu ihrer Zeit geraten – um der Wahrheit, um der Gerechtigkeit, um der Würde des Menschen willen. So etwa, wenn sie – das sei anlässlich der derzeitigen „Woche für das Leben“ erwähnt – für den Schutz des menschlichen Lebens von seinem Beginn bis zu seinem Ende eintritt.

3. „Sie freuten sich, dass sie gewürdigt worden waren, für seinen Namen Schmach zu erleiden“ (Apg 5,41)

Welch seltsame Freude! Sie ist nur nachzuvollziehen, wenn wir sie verstehen als Freude über die Schicksalsgemeinschaft mit dem Herrn der Kirche, mit Jesus, der selbst äußerste Schmach erfahren hat. Die Zeit, in der die Kirche und ihre Vertreter eine bedeutende gesellschaftliche Stellung innehatten, Bischöfe und Priester auch bei weltlichen Veranstaltungen auf den ersten Plätzen zu finden waren, ist vorbei, vermutlich für immer. Ist das schlimm? Ich persönlich finde: eindeutig nein. Endlich teilt sie den Platz mit Jesus, dem es um gesellschaftliches Ansehen zuallerletzt ging. Am letzten Platz war er – und daher ist die Kirche in guter Gesellschaft, wenn wir sie ebenfalls dort finden.

4. „Und die vierundzwanzig Ältesten fielen nieder und beteten an“ (Offb 5,14)

Gebet – Dank, Bitte, Lobpreis, Anbetung, in Stille da sein vor dem Herrn – das gehört zu den Hauptaufgaben der Kirche. Eine Kirche, die nur noch aktionistisch unterwegs ist; eine Kirche, die nicht Raum des Gebetes ist und Räume des Gebets und der Anbetung anbietet, ist ebenfalls nicht die Kirche Jesu Christi. Es gehört zu ihren vornehmsten Aufgaben, stellvertretend für die vielen zu beten, die es selbst nicht tun; die es vielleicht nie gelernt oder damit aufgehört haben. Mir will scheinen, dass die Kirche in Deutschland und viele Pfarreien an geistlicher Auszehrung leiden. Ohne Gebet vertrocknet der Weinstock der Kirche zu dürrem Holz, das keine Frucht zu bringen vermag.

5. „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?“ (Joh 21,15-17)

Es ist das letzte Wort und die letzte Frage, die der Auferstandene an Petrus, und in ihm an alle Jünger damals, an alle Jünger heute, und damit an die Kirche insgesamt richtet. Jesus fragt nach unserer persönlichen Beziehung zu ihm. Christentum ist nicht in erster Linie Gebotsreligion, sondern Beziehungsreligion.

Eine Kirche, die sich in Geschäftigkeit, Aktionismus, Strukturdebatten, Bürokratie und sakramentaler Routine verliert, verrät ebenfalls ihre Sendung. Mir persönlich scheint, dass zu ihren schönsten Aufgaben zählt, Menschen zu helfen, zu einer persönlichen Gottes- und Christusbeziehung zu gelangen. Eine solche Beziehung wärmt das Herz, stärkt den Glauben, spendet Hoffnung und Zuversicht, gibt Kraft und Trost in schweren Zeiten und schenkt ein Glück und eine Freude, die der nicht kennenlernt, für den Gott und Christus letztlich eine abstrakte und fremde Größe bleibt, jedenfalls nicht die lebendige Person, die mich ganz persönlich liebt und nach meiner persönlichen Erwiderung seiner Liebe fragt.

Die Kirche als ein Ort, in der die Liebe des dreifaltigen Gottes erfahren und die Liebe zu Gott und zu Jesus Christus im Heiligen Geist eingeübt wird – ist im tiefsten Sinn des Wortes Kirche Jesu Christi.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2022
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Zum 25. Todestag von Mutter Julia Verhaeghe

Etwas Neues, Tiefes und Aktuelles

Mutter Julia Verhaeghe, die 1938 die geistliche Familie „Das Werk“ ins Leben gerufen hat, ist am 29. August 1997 in Bregenz gestorben. Ihren 25. Todestag begeht die Gemeinschaft mit einem Gottesdienst am Sonntag, 28. August 2022, um 16 Uhr in der Stadtpfarrkirche St. Gallus in Bregenz. Hauptzelebrant wird Bischof Dr. Philip Boyce OCD aus Irland sein, der von 1995 bis 2017 die Diözese Raphoe geleitet hat und der Gründerin viele Jahre als geistlicher Begleiter zur Seite stand. Die Feier wird dem Thema der Eucharistie im Leben von Mutter Julia gewidmet sein. Bezeichnenderweise war sie während der hl. Wandlung von Gott heimgerufen worden. P. Thomas Felder FSO (geb. 1964), der Generalobere, also der internationale Verantwortliche des „Werkes“, stellt in seinem Beitrag den Geist der Gemeinschaft und ihrer Gründerin vor, insbesondere, wie sie zutiefst im Geheimnis der Eucharistie verankert war und aus ihr lebte.

Von Thomas Felder FSO

Aktualität

Der Heilige Geist ist der Wind, der in die Segel der Kirche bläst und das Schiff Petri durch die Jahrhunderte führt. Dort, wo Gottes Geist wirkt, gibt es keinen Stillstand, wohl aber Tiefgang und Weite. Jesus sagte: „Jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, gleicht einem Hausherrn, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt“ (Mt 13,52).

Mutter Julia, die Gründerin der geistlichen Familie „Das Werk“, war von Gott gerufen, um der Kirche etwas Neues, eine neue Gemeinschaft und ein neues Charisma, zu schenken. Sie verstand sich als Werkzeug Jesu. Ihm war sie hingegeben. Ihm diente sie in der Gemeinschaft der Kirche.

Mutter Julia

Am 29. August dieses Jahres jährt sich zum 25. Mal ihr Todestag, ihr Heimgang in das Vaterhaus. Sie meinte: „Jene, die in Gott verbunden leben, werden bei ihrem Heimgang aus unserer Mitte weggeholt, denn was in Gott verbunden ist, ist nicht getrennt, sondern tiefer und inniger miteinander verbunden.“

Mutter Julia erblickte am 11. November 1911 im flämischen Geluwe das Licht der Welt. Sie wuchs in einer katholischen Familie mit vielen Geschwistern auf und erlebte die Nöte des Ersten Weltkrieges und der schwierigen Zwischenkriegsjahre. Früh wurde ihr eine innige Vertrautheit mit Jesus geschenkt. Der Wunsch, Karmelitin zu werden, war ihr wegen ihrer angeschlagenen Gesundheit verwehrt. Mit 19 Jahren erlitt sie einen Sturz von einer Treppe, der ihre Gesundheit bleibend beeinträchtigte.

1934 nahm Jesus sie in einer mystischen Erfahrung in sein Leiden hinein und lud sie ein, sich ihm in einem „Heiligen Bündnis“ mit seinem gottmenschlichen Herzen zu schenken. 1938 vollzog ihr geistlicher Begleiter, der Priester Arthur Cyriel Hillewaere, ebenso das „Heilige Bündnis“. Dies war am 18. Januar 1938, kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Diesen Tag sah Mutter Julia als den Gründungstag des „Werkes“ an.

Bereits am Beginn der Gründung setzte Gott das Zeichen, dass es sich um eine Gemeinschaft von Männern und Frauen handeln sollte, in der das Miteinander für das Reich Gottes bleibend wichtig ist: Das Zueinander von Priestern und gottgeweihten Frauen gehört wesentlich zum „Werk“. Arthur Cyriel Hillewaere verstand sich nie als Gründer oder Mitgründer, sondern als Priester, der Mutter Julia und das junge Charisma im Auftrag der Kirche begleitete.

Mutter Julia zeichnete eine lebendige und dankbare Beziehung zur Kirche als dem mystischen Leib Christi aus. Eine tiefe innere Erkenntnis des Wesens der Kirche wurde ihr durch den hl. Paulus geschenkt, den sie zeitlebens als geistlichen Bruder verehrte. Ihr Blick auf Jesus war zugleich ein Blick auf die Kirche, deren Haupt Christus bleibt. Jesus und die Kirche bildeten für sie eine große und heilige Wirklichkeit. Ihr Herz schlug für die Kirche.

Sie wusste zunehmend, dass Gott mit ihr etwas Besonderes vorhatte. Er schenkte ihr viele außerordentliche Gnaden. Aber sie blieb immer geerdet. Sie ließ sich nicht dahingehend verführen, das Außerordentliche für sich oder für die Gemeinschaft zu suchen. Sie sagte: „Der Heilige Geist ist uns nicht geschenkt, um immer Neues zu suchen und zu erfinden, Außergewöhnliches zu leisten oder jemand mit außergewöhnlichen Gaben und Talenten sein zu wollen. Die Sendung des Heiligen Geistes besteht darin, uns an alles zu erinnern, was Jesus gesagt hat, und uns die Kraft zu schenken, dies auch zu tun.“

Es war mir geschenkt, Mutter Julia über viele Jahre hindurch gekannt zu haben. Sie war eine außerordentliche Frau, die das Außerordentliche nicht suchte.

Eucharistie im Fokus

Für Mutter Julia war klar, dass sie ihren Beitrag zur Erneuerung der Kirche zu leisten hatte. Sie fand den Mut, sich auf das zu fokussieren, was der Herr von ihr erwartete. Nicht nur die Breite darf das Ziel der Gemeinschaft sein, sondern vor allem die Tiefe. In die Tiefe aber kann nur jener gelangen, der sich auf einen Fokus beschränkt.

In die Tiefe vordringen bedeutet auch, die heilige Eucharistie in die Mitte stellen. Mutter Julia war eine Getaufte, die fest an die hl. Wandlung und die Gegenwart Christi in der hl. Kommunion glaubte. Einige Daten ihres Lebens machen dies deutlich. Viele Jahre vor ihrem Heimgang, als sie noch gar nicht wusste, wo sie einmal beerdigt werden sollte, formulierte sie einen Spruch für ihren Grabstein. Er lautet: „Gottes barmherzige und gerechte Liebe sucht euch, wacht über euch, wartet auf euch. Geht zu ihr in der heiligen Eucharistie“.

Ein Jahr vor ihrem Heimgang wurde die Klosterkirche in Bregenz, in der sich ihr Grab befindet, auf Wunsch von Bischof Dr. Klaus Küng zu einer Anbetungskirche, in der täglich das Allerheiligste ausgesetzt ist. Wer heute an ihrem Grab betet, den verweist sie durch ihre Grabinschrift auf Jesus in der heiligen Hostie. Ihre Botschaft am Grab lautet: Geht zu Jesus, geht zu seiner Liebe in der heiligen Eucharistie!

Der Höhepunkt eines jeden Tages war für Mutter Julia die Begegnung mit Jesus in der hl. Messe. Sie verstand sich als Braut Christi, die in diesem wunderbaren Sakrament ihrem Bräutigam Jesus begegnet und mit ihm sakramental eins wird. Alle Priester, die ihr während der hl. Messe die Kommunion gereicht haben, konnten unspektakulär, aber deutlich spüren, was das Kommen des Bräutigams in der hl. Kommunion für sie bedeutete. Sehnsucht wurde sichtbar und erfahrbar. Gerne sagte sie: „Das heilige Messopfer ist das Größte, was es auf Erden gibt.“

Die Kraft für ihre Sendung schöpfte sie aus diesem erhabenen Sakrament. Sie bezeugte: „Im hl. Messopfer bin ich ganz ,Werk‘.“ An anderer Stelle sagte sie: „Der eucharistische Herr hat mich ergriffen, begleitet und mit seiner heiligen Nähe genährt.“

Wer Mutter Julia kannte und ihr im Alltag begegnete, der konnte erfahren, dass das Messopfer für sie gleichsam zu einem „Zustand“ geworden war. Sie beging die hl. Eucharistie nicht nur in einer liturgischen Feier, sondern sie lebte sie als Teilhabe am Opfer Christi, als Vereinigung mit seinem erlösenden Leiden und als schenkende Hingabe an seine geliebte Kirche. Es ist wohl kein Zufall, dass Gott sie am 29. August 1997 während der Wandlung in der hl. Messe zu sich heimgerufen hat.

Die christliche Familie

Mutter Julia erkannte früh, dass es im „Werk“ auch einmal Laien und vor allem Familien geben wird, die am Charisma Anteil haben werden, das Gott ihr ins Herz gelegt hat. Sie erkannte, dass das „Werk“ den Auftrag haben würde, als eine Familie Gottes zu leben und Kirche im Kleinen abzubilden. Sie wünschte, dass es zwischen den Mitgliedern und Freunden des „Werkes“ ein unverbrüchliches Band als Familie gebe. Denn daraus, so war ihre feste Überzeugung, würde die Kirche Erneuerung erfahren. Sie sagte: „Das ,Werk‘ ist von Gott als eine Familie Gottes gewollt!“

Folglich sollen auch Laien – wie die anderen Stände – zur Gemeinschaft gehören. Sie bezeugte: „Die Laien gehören zum ,Werk‘, wie sie zur Kirche als dem mystischen Leib Christi gehören. Dabei stehen Priester, Diakone, Brüder, Schwestern und Laien wie in einem gesunden Organismus in wunderbarer Wechselwirkung. So verherrlichen sie Gott, bezeugen die übernatürliche Schönheit der Kirche und helfen mit, ihre Wunden zu heilen.“

Mutter Julia war auch bei den Laien bemüht, in die Tiefe zu gehen. Es ging ihr vor allem darum, einen Familiengeist zu fördern, der ganz in Gott verankert ist. Der Geist ist immer lebendig und will nicht in starre Systeme gepfercht werden. Mutter Julia dachte mit ihrem weiten Herzen nicht an Programme, sondern – so würde man heute sagen – sie dachte in Prozessen. Das, was Gott in die Seelen hineinlegte, sollte sich Schritt für Schritt organisch entfalten und heilsgeschichtlich wachsen.

Nachdem sich Mitte der 1970er Jahre die ersten Familien der Gemeinschaft angeschlossen hatten, schrieb Mutter Julia einem Priester: „Es ist mir eine tiefe Freude, zu sehen, dass sich der Plan Gottes über das ,Werk‘ mehr und mehr verwirklicht, wie ich ihn von Anfang an sehen durfte. Priester und Familien aus verschiedenen Ländern versammeln sich in Einheit im ,Werk‘, um ihre eigene Berufung in einem reinen Glauben zu leben und gemeinsam das Reich Christi aufzubauen.“

Mutter Julia war zeit ihres Lebens ein Mensch, der nicht in Zahlen dachte und der nicht eine möglichst schnelle Ausbreitung wünschte, sondern sie führte Menschen in die Tiefe des Glaubens, der Christusnachfolge, der Umkehr und der Liebe zur Kirche. Sie war sich der Not bewusst, auf die die Kirche und ihre Familien zugehen würden. Sie schrieb 1983: „Es war Aufgabe des ‚Werkes‘, sich für die Wiederherstellung des Lebens als Familie einzusetzen, vor allem durch die Sorge für die junge Generation, die Väter und Mütter von morgen, denen ein wahres Familienleben im christlichen Sinne bereits fremd geworden ist. Von Anfang an war es auch unser Auftrag, unser Apostolat, die Gewissen unserer Zeitgenossen inmitten des Verfalls des Familiengeistes wachzurufen, der durch moderne Ideen und Geistesströmungen aller Art verursacht wurde.“

Die Familien des „Werkes“ treffen sich nach Möglichkeit einmal im Monat in kleinen Gruppen, um gemeinsam zu beten und im Glauben und in der Spiritualität des „Werkes“ zu wachsen. Normalerweise sind eine Schwester oder ein Priester bei diesen Treffen dabei. An Festtagen, die der Gemeinschaft besonders wertvoll sind – wie das Herz-Jesu-Fest oder der Sonntag der Heiligen Familie – finden größere Treffen der Laien mit Gottgeweihten statt.

Die Familien des „Werkes“ weihen sich dem Herzen Jesu, und ihr Haus oder ihre Wohnung wird gesegnet. Ein Herz-Jesu-Bild findet darin einen zentralen Ort. Je nach den örtlichen Begebenheiten oder je nach der Entfernung zum nächsten Zentrum des „Werkes“ tragen die Laien das Leben der Gemeinschaft mit, etwa durch konkrete praktische Dienste, durch Ratschläge oder durch ihre Expertise. Ein Mitgliedsbeitrag besteht nicht. Es gilt auf Anweisung von Mutter Julia das urchristliche Prinzip: Jeder möge nach seinem Gewissen geben. Auch bei den Laien ist das Entscheidende der Geist des „Werkes“, der sie immer mehr prägen soll. Es war Mutter Julia bewusst, dass das „Werk“ nicht eine Organisation, sondern eine Familie Gottes und eine Geistesströmung ist. Sauerteig durchsäuert den Teig, und Salz gibt einer Speise Geschmack. Es braucht davon jeweils nicht viel. Aber das Salz darf nicht schal geworden sein, sonst kann es seinen Auftrag nicht mehr erfüllen.

Was Mutter Julia bereits in den 1960er Jahren den Schwestern sagte, gilt auch für Laien und Familien: „Jesus, der Herr, muss stets das Ziel und das Motiv unserer Taten und unseres Denkens sein.“

Mutter Julia schrieb einmal einer jungen Familie, die sich der Gemeinschaft angeschlossen hatte: „Wir müssen zusammen die Getreuen Jesu sein, jeder auf seinem Platz und mit den Möglichkeiten, die ihm geschenkt sind, in Treue zur heiligen Lehre unserer Mutter, der heiligen Kirche.“

Zukunftsperspektive

In den Herausforderungen, die Mutter Julia mit der Gemeinschaft erlebte, trug sie die Überzeugung in sich, dass das „Werk“ dem Herzen Jesu entsprungen ist. Sie sagte zwei Jahre vor ihrem Tod: „Ja, wir bauen miteinander für eine Zukunft, die uns nicht gehört und die wir nicht kennen, aber Gott ist in Christus Leiter und Plan des ‚Werkes‘. Die Zukunft gehört ihm.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2022
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

2. Welttag der Senioren am 24. Juli 2022

Lehrer der Fürsorge und Menschlichkeit

Am 24. Juli 2022 feiert die Kirche den 2. Weltseniorentag. Unter den gewohnten Bedingungen (Beichte, Kommunion und Gebet in den Anliegen des Papstes) können alle einen vollkommenen Ablass gewinnen, die an einem Gottesdienst zu diesem Anlass teilnehmen. Doch können ausdrücklich auch diejenigen den Ablass empfangen, die an diesem Tag ältere Menschen besuchen und ihnen eine „angemessene Zeit“ widmen. Insbesondere ist von Einsamen, Kranken und Behinderten die Rede. Außer einer persönlichen Begegnung gilt auch eine virtuelle Kontaktaufnahme mit Hilfe moderner Kommunikationsmittel. Nachfolgend einige Abschnitte aus der Botschaft des Papstes mit dem Titel: „Sie tragen Frucht noch im Alter“ (Psalm 92,15).

Von Papst Franziskus

Das Alter ist keine sinnlose Zeit, in der man das Handtuch wirft und sich zurückzieht, sondern eine Zeit, in der wir noch Früchte tragen können: Eine neue Aufgabe wartet auf uns, und sie lädt uns ein, in die Zukunft zu schauen. „Die besondere Sensibilität, die wir alten Menschen – das Alter – für die Aufmerksamkeiten, die Gedanken und die Liebe haben, die uns menschlich machen, sollte wieder zur Berufung für viele werden. Und es wird eine Entscheidung der alten Menschen für die Liebe gegenüber den neuen Generationen sein."[1] Dies ist unser Beitrag zur Revolution der Zärtlichkeit,[2] einer geistlichen und unbewaffneten Revolution, zu der ich euch, liebe Großeltern und ältere Menschen, einlade, um dessen Protagonisten zu werden.

Die Welt erlebt eine Zeit großer Prüfungen, zunächst durch den unerwarteten, heftigen Sturm der Pandemie und dann durch einen Krieg, der den Frieden und die Entwicklung auf globaler Ebene beschneidet. Es ist kein Zufall, dass der Krieg zu der Zeit nach Europa zurückgekehrt ist, in der die Generation, die ihn im letzten Jahrhundert erlebt hat, ausstirbt. Diese großen Krisen bergen die Gefahr, dass wir vergessen, dass es noch andere „Epidemien“ und weit verbreitete Formen von Gewalt gibt, die die Menschheitsfamilie und unser gemeinsames Haus bedrohen.

Angesichts all dessen brauchen wir eine tiefgreifende Veränderung, eine Umkehr, die die Herzen entmilitarisiert und bewirkt, dass wir im Nächsten einen Bruder erkennen. Wir Großeltern und Senioren haben da eine große Verantwortung: Wir müssen den Frauen und Männern unserer Zeit lehren, den Nächsten mit demselben Verständnis und zärtlichen Blick anzuschauen wie unsere Enkelkinder. Wir sind durch die Fürsorge für andere in unserer Menschlichkeit gewachsen und können heute Lehrer für eine friedliche Lebensweise sein, die achtsam gegenüber den Schwächsten ist. Unsere Haltung kann vielleicht als Schwäche oder Nachgiebigkeit missverstanden werden, doch es sind die Sanftmütigen, nicht die Aggressiven und Ausbeuter, die das Land erben werden (vgl. Mt 5,5). …

Liebe Großmütter und Großväter, liebe ältere Frauen und Männer, in dieser unserer Welt sind wir aufgerufen, die Revolution der Zärtlichkeit zu gestalten! Tun wir dies durch den häufigeren und besseren Einsatz des wertvollsten Hilfsmittels, das wir haben und das unserem Alter am angemessensten ist: dem Gebet. …

Deshalb ist der Welttag der Großeltern und älteren Menschen eine Gelegenheit, noch einmal mit Freude zu sagen, dass die Kirche gemeinsam mit denen feiern will, die der Herr – wie die Bibel sagt – „lebenssatt“ gemacht hat. Feiern wir gemeinsam! Ich lade euch ein, diesen Tag in euren Pfarreien und Gemeinden bekannt zu machen und die älteren Menschen, die am einsamsten sind, zu Hause oder in den Heimen, in denen sie leben, zu besuchen. Niemand soll diesen Tag in Einsamkeit verbringen. Jemanden zu haben, auf den man warten kann, kann die Blickrichtung der Tage derjenigen ändern, die sich nichts Gutes mehr von der Zukunft erwarten; und aus einem ersten Treffen kann eine neue Freundschaft entstehen. Der Besuch bei einsamen alten Menschen ist ein Werk der Barmherzigkeit unserer Zeit!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2022
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Katechese über das Alter – 3. Das Alter, eine Ressource für die unbeschwerte Jugend (16.03.2022).
[2] Katechese über den heiligen Josef – 8. Der heilige Josef, Vater in Zärtlichkeit (19. Januar 2022).

Bedeutende Wortmeldung zum Reformstreit in unserer Kirche

Für eine echte Reform der Reform

„KATHOLISCH aus Überzeugung. Reformen in der Kirche unter einem neuen Leitbild“, so heißt ein Buch des Priesters und emeritierten Theologieprofessors Ludwig Mödl,[1] das in „Kirche heute“ gleich nach seinem Erscheinen im vergangenen Sommer bereits mit einem Textauszug vorgestellt wurde. Wir sind jedoch der Überzeugung, dass diese Wortmeldung zum Reformstreit in unserer Kirche so bedeutsam ist, dass sie einer eingehenderen Darstellung und Würdigung wert ist. Pfr. Lorenz Rösch stellt das Buch im Folgenden vor. Eine hellsichtige Wegweisung und Unterscheidungshilfe in der Frage „Wahre und falsche Reform der Kirche"[2]!

Von Lorenz Rösch

„Katholisch aus Überzeugung“: Ohne den Untertitel (der nur im Buchinneren steht) ist man vielleicht geneigt zu vermuten, dass hier in restaurativer oder anti-ökumenischer Absicht eine zu Ende gehende Gestalt des Katholizismus verteidigt werden soll. Nein, es geht durchaus um „Reformen in der Kirche“. Es geht darum, dass diese dort ansetzen, wo sie ansetzen müssen: an dem, was die Kirche ausmacht (und nicht an weltlichen Erwartungen oder Maßstäben). Und es geht darum, dass sie das einzelne Kirchenglied zu dem herausfordern und befähigen, was es sein muss, um die Mission der Kirche mitzutragen: „katholisch aus Überzeugung“ (und nicht aus Mitläufertum oder sekundären Motivationen, z.B. Rechnen mit bestimmten Vorteilen).

Der Buchtitel könnte auch eine autobiografische Liebeserklärung an die eigene Kirche erwarten lassen. Auf die eigene Biografie bezieht sich der erfahrene Autor (geb. 1938) durchaus, und zwar selbstkritisch. Er gibt sich als Vertreter jener (Priester-)Generation zu erkennen, die das Ereignis des II. Vatikanischen Konzils wie eine wunderbare Befreiung erlebt haben und es als Beginn einer neuen Zeit gefeiert haben. Und die dann gar nicht bemerkte, dass der missionarische Grundimpuls des Konzils unter der Hand in einem innerkirchlichen Umgestaltungseifer aufging.

Das Neue des Konzils findet sich verdichtet in dem Leitbild des wandernden Gottesvolkes (vgl. LG 9): befreit von jeder Art des Sklavendienstes und untereinander gleich an Würde, solidarisch mit allen Menschen guten Willens, strebt es hin zu der endgültigen und umfassenden Freiheit im Gelobten Land, sprich dem Reich Gottes. Dieses hoffnungsvolle und inspirierende Bild verstand man jedoch – auch im Sog säkularer Befreiungsbewegungen und Fortschrittsideologien – sehr bald als Aufforderung, den erhofften Status umfassender Erlösung jetzt schon aktiv herbeizuführen, ihn politisch zu organisieren oder, was nun vielfach als erstes nötig erschien, ihn innerkirchlich durchzusetzen. Welche Art von Erlösung das Evangelium eigentlich meint und anbietet, geriet dabei leicht aus dem Blickfeld.[3]

Hinzu kommt die spezifische Situation der Kirche in Deutschland und den deutschsprachigen Nachbarländern und -regionen, wo die finanziell komfortable Lage zu einem Ausbau der Bürokratie nach säkularem Muster folgte – immer in der guten Absicht, in effizienter Kooperation mit dem Staat möglichst viel an „Reich Gottes-Qualitäten“ realisieren zu können. Doch die Wahrheit ist, so der Autor: „Der Kapitalismus macht unsere Kirche zum Komplizen“ (20) – mit der Folge, dass der behauptete spirituelle Anspruch und die tatsächlichen Anforderungen an den einzelnen (Priester, aber auch aktiv mitarbeitende Laien) immer stärker auseinanderklaffen und zu Überforderung und Frustration führen. Sie erfahren die Defizite dieses Systems vielfach als von der Kirchenleitung wie auch vom politisch agierenden Katholizismus herkommend. Und als Lösung schallt ihnen auch aus dem Kirchenvolk – befeuert durch die Medien – oft nur die Forderung entgegen: „Gleicht euch endlich dem Standard unserer gesellschaftlichen Plausibilitäten an“ (20).

Die nachkonziliare Entwicklung erkennt Ludwig Mödl aus dem Abstand der Jahrzehnte als große Sackgasse und als Verkennung oder Verkehrung der Grundintention des Konzils. Diese basiert seiner Auffassung nach auf einer wichtigen Erkenntnis: Der moderne theoretische und praktische Atheismus und die tonangebende aufklärerisch-antikirchliche Einstellung in der westlichen Welt ist nicht mehr durch Berufung auf eine höhere Autorität oder durch apologetische Beweisführung zu erreichen, sondern allein durch das Beispiel des gelebten Glaubens, das die Kirche bietet. Eben dies ist der Hintergrund, weshalb das Thema Kirche zum Zentralthema des Konzils geworden ist.[4] Und eben zu diesem Apostolat des gelebten Glaubens autorisiert und verpflichtet das Konzil die Gemeinschaft der Kirche insgesamt und jeden einzelnen Getauften: „Die Gemeinschaft aller Glaubenden soll die ,Wirklichkeit Gottes‘ als lebensprägend und Heil bringend bezeugen“ (58).

Auf dem Hintergrund der offensichtlichen Abbrüche im kirchlichen Leben, aber auch der beschriebenen Entfernung von der eigentlichen Ausrichtung des Konzils greift der Autor einen schon im Jahr 1999 von Rolf Zerfaß (1934-2022) geäußerten Vorschlag auf:[5] nicht mehr im Weg der Befreiten ins Gelobte Land das biblische Leitbild für den Ruf Gottes an die Kirche heute zu suchen, vielmehr im demütigenden Weg des Gottesvolkes ins Exil von Babylon. Was damals zunächst als das Undenkbare, die schlimmstmögliche Katastrophe erlebt wurde, erwies sich für die Exilgemeinde im Lauf der siebzig Jahre als unvergleichlich fruchtbare Zeit der Klärung und Reifung, der vertieften Gotteserkenntnis und der Einsicht in die eigene Berufung. Das Bundesvolk lernte, seine Identität weniger an einem bestimmten weltlichen Status und an bestimmten irdischen Segensgaben festzumachen, stattdessen diese Identität mehr als bewusst im Alltag gelebtes Anderssein auszuformen. Es hat sich mit dieser Identität nicht nur durch die Jahrhunderte behauptet, sondern hat dadurch vielfach heilsam in die umgebende Welt hineingewirkt.  

Demgegenüber konstatiert Ludwig Mödl für die nachkonziliare Kirche einen Drang zur Angleichung: um sozusagen mit der Säkularisierung Schritt zu halten und nicht zum Fremdkörper zu werden, säkularisiert man sich selbst, legt sich weltliches Gebaren zu und verdrängt das dezidiert Religiöse, Sakrale in die Kirchen-Sonntags-Nische. Dabei wird übersehen, dass es nicht die Menschen sind, die der Säkularisierung unterliegen, sondern lediglich die Art, wie Staat, Bildungselite und Institutionen sich geben. Das Bedürfnis der Menschen nach Transzendenz sucht sich unter diesen Umständen vielfältige andere Wege. Die christliche Botschaft mit ihrer „großen Transzendenz“ (10, ein Begriff von Thomas Luckmann) ist also eigentlich weiter gefragt, allerdings hat sie es im Rahmen der Konsumkultur schwer, sich als Antwort ins Spiel zu bringen. Immer wieder stellt der Autor deshalb sich und uns die Frage: Wie muss die Kirche sein, damit sie als Antwort wahrgenommen wird – als das Zeichen des Heils, das Gott der Welt bietet?

Die Antwort lautet, allgemein gesprochen: Sie braucht Mut zur Eigengesetzlichkeit. Sie muss sich zwar der Problematik des klerikalen Machtmissbrauchs mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln stellen, darf sich aber nicht den Kräften beugen, die das diesbezügliche mediale Scheinwerferlicht nur zu gern zum Anlass nehmen, die Kirche vollends nach weltlichen Standards umzugestalten und letztlich zu entkernen. Wir sind an einem Punkt, wo „die Grundstruktur des Katholischen auf dem Prüfstand steht“ (14). Der herrschenden Meinung nach gibt es keinen Raum mehr für „das Überzeitliche oder ,Unzeitgemäße‘ des Kirchlichen“ (15). Mödl will demgegenüber aufzeigen, „welche Themen wirklich anzugehen sind, damit eine Reform der nachvatikanischen Reform möglich wird, welche die Gläubigen bestärkt und (wie ich meine) die eigentlichen Aufgaben der Kirche wieder ins Zentrum rückt“ (15).

Konkreter gesprochen lautet die Antwort also: Die Kirche braucht die Wiederentdeckung und -aneignung dessen, was ihr Wesen ausmacht. Diese Elemente werden im Lauf des Buches immer wieder anhand von ausgewählten Schrifttexten herausgearbeitet. So wird (schon im ersten Hauptteil, vorgreifend auf den zweiten) an Jesu Ruf in die Kreuzesnachfolge verdeutlicht, dass im christlichen Glauben Leiden und Sterben – eigentlich! – nicht als das Sinnlose und, wenn irgend möglich, zu Vermeidende gesehen werden; dass der unerlöste Zustand vielmehr gerade darin besteht, diese Dinge vermeiden zu müssen und nicht als sinnvoll integrieren zu können. Der Sinn ergibt sich aber dadurch, dass wir sie – wie Jesus und mit ihm – in Beziehung setzen zu Gott (den der Autor mit Vorliebe „den Ewigen“ nennt). Von da ausgehend wird als Grundsatz formuliert: „Das ist auch in unserem und in allem kirchlichen Tun das Entscheidende: sich in Beziehung zu bringen mit dem Ewigen und die Beziehungen wichtiger zu nehmen als die Strukturen und funktionalen Verläufe! Das gibt allem Segen, das ist wesentlich in unserem Glauben: in Beziehung zu treten mit dem Ewigen – und die Menschen mit einzubeziehen“ (26).

Der zweite Hauptteil des Buches ist ganz der Darstellung von wesentlichen Aspekten der katholischen Identität gewidmet: 1. „Der Glaube an den Messias“ (der nicht menschlichen Erwartungen entspricht, aber gerade so uns in allen Erfahrungen nah ist). 2. „Religion ist Beziehung“ (liebende Beziehung, von Gott her aufgenommen und durchgetragen, von uns zu erwidern, auch in einem entsprechenden Umgangsstil untereinander). 3. „Unsere Religion ist Barmherzigkeit“ (was nicht ausschließt, dass das Böse und die Weigerung, auf Gott zu hören, sich destruktiv auswirken). 4. „Unsere Religion ist Bekenntnis“ (sie beruht auf Offenbarung und fortgesetzter Verkündigung, und zwar durch Reden bzw. Bezeugen, durch Zeigen bzw. Kult und durch gelebtes Leben). 5. „Unsere Religion ist sakramental“ (sie hat auch in Zeichen den hier und jetzt handelnden Erlöser zu vergegenwärtigen). 6. „Unsere Religion braucht Leitung“ (konkret: Leitungspersonen, die nicht nur Funktionsträger sind, sondern Verwalter und Repräsentanten des Heiligen). 7. „Unsere Religion bündelt sich im Kult“ (zentral in der Eucharistie, Feier des Bundes – mitgefeiert, empfangen, aber auch angebetet). 8. „Unsere Religion prägt unsere Lebenspraxis“ (Diakonie dreigestuft: karitativ, gesellschaftlich, kulturell).

Im Schlusskapitel gibt Ludwig Mödl (unter der Überschrift „Reform beginnt im Kleinen“) einige Anregungen, vor Ort das eine oder andere zu versuchen; dabei sind vergrößerte Seelsorgeräume verschärfter Priestermangel vorausgesetzt: Eine Art von Gebetsbruderschaften, die sich jeweils für die Belebung eines bestimmten Kirchengebäudes engagieren… Bestimmte Gottesdienstformen in bestimmten Kirchen ansiedeln, mit einsprechenden Trägerkreisen… Programme gegen Sekten bzw. Förderung von Talenten, die Jugendliche beheimaten und religiös motivieren können… Segensfeiern und Sakramentalien im Jahreslauf oder auf Nachfrage… Zentralorte mit umfassenden Möglichkeiten der Sonntagsgestaltung, wo Glauben gemeinschaftlich erlebt werden kann… 

Bei dieser „Reform der Reform“ muss (wie bei der Erst-Formung der Kirche) der Heilige Geist Protagonist sein. „Wobei bei allem entscheidend ist, dass jeder selbst betend seine Situation betrachtet und so lange den Himmel bestürmt, bis er ihm zeigt, wie und wo anzupacken ist“ (21).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2022
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] 173 S. Ludwig Mödl: Katholisch aus Überzeugung, Media Maria Verlag, Illertissen 2021, geb., 176 S., ISBN 978-3-9479313-5-4, Euro 16,95 (D), Euro 17,50 (A) – Bestell-Tel.: 07303-952331-0; E-Mail: buch@media-maria.de
[2] Vgl. das gleichnamige Buch von Yves Congar aus dem Jahr 1950.
[3] Es steht für den Autor außer Frage, dass das Evangelium politische Konsequenzen hat und zu Konflikten führen muss (vgl. S. 100). Doch sollten Christen und Kirche ihre Nützlichkeit nicht durch politisches Agieren unter Beweis stellen wollen anstelle der Verkündigung, die zur Umkehr der Herzen führt und dadurch die Welt verändern wird.
[4] Auf den Seiten 28 sowie 49 bis 54 stellt der Autor die entsprechende historische Entwicklung dar.
[5] Vgl. S. 36. 

Das Geheimnis des Bösen

Wo ist Gott?

Pater Dr. Josef Weber SDB (geb. 1948), Dozent für Neues Testament und Christliche Spiritualität an der Katholischen Stiftungshochschule München, Abteilung Benediktbeuern, widmet sich dem Thema „Gott und das Geheimnis des Bösen“. Wenn wir in die Welt blicken, fragen wir uns: Wer hat all das Böse zu verantworten, unter dem so oft unschuldige Menschen leiden müssen? Woher kommt das Böse? Gibt es nicht nur das Böse, sondern auch den Bösen? „Wir wollen nachspüren, was die Bibel dazu sagt, wie wir das oder den Bösen erkennen und wie wir uns vor ihm schützen können“, so Pater Weber. Nachfolgend ein leicht bearbeiteter Auszug aus einer Ansprache, die er am 5. April 2022 in Radio Horeb gehalten hat.

Von Josef Weber SDB

Die Bibel beginnt mit dem Schöpfungsbericht im Buch Genesis, dem ersten Buch des Alten Testaments. In Bildern wird uns hier die Erschaffung der Welt in sechs Tagen geschildert. Am Ende jeden Tages heißt es: „Und Gott sah, dass es gut war!“ Gott hat also eine gute Welt erschaffen. Am Anfang der Schöpfung ist nichts Böses in dieser Welt.

Im Großen Glaubensbekenntnis beten wir: „Ich glaube an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt“ – Credo in unum Deum, Patrem omnipotentem, factorem caeli et terrae, visibilium omnium et invisibilium. Zur unsichtbaren Welt gehören die Engel, geistige Wesen, die zur Ehre Gottes und zum Heil der Menschen geschaffen sind. Auch sie hat Gott mit einem freien Willen ausgestattet, damit sie Gott lieben können. Denn „lieben“ ist nur aufgrund eines freien Willens möglich.

So muss es auch unter den Engeln einmal eine Situation gegeben haben, in der sie sich völlig freiwillig für oder gegen Gott entscheiden konnten. Doch genau da schieden sich die Engel. Denn ihr Anführer Luzifer erhob sich gegen Gott. Über diesen Engelsturz wird im 12. Kapitel der Offenbarung des Johannes berichtet: „Da entbrannte im Himmel ein Kampf; Michael und seine Engel erhoben sich, um mit dem Drachen zu kämpfen. Der Drache und seine Engel kämpften, aber sie hielten nicht stand und sie verloren ihren Platz im Himmel. Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen“ (Offb 12,7-9).

Wir wissen nicht, wann und wie diese Scheidung der Engel im Himmel stattgefunden hat, wir wissen nur, dass sie stattgefunden hat. Die Engel mussten sich völlig freiwillig für oder gegen Gott entscheiden. Ihr Anführer wird Luzifer genannt. Sein Name leitet sich ab vom Morgenstern Helel, der im Griechischen mit Phosphoros (Φωσφόρος), Lichtträger, wiedergegeben wird (vgl. Jes 14, 12). Die Kirchenväter der ersten Jahrhunderte identifizierten die lateinische Form dieses Namens, Luzifer, mit dem Drachen, der den Kampf gegen Michael im Himmel verlor. Er ist der Dämon des Hochmuts, des Stolzes; denn er wollte sein wie Gott. Er wird auch Teufel, Schlange oder Satan genannt. Das Johannesevangelium nennt ihn „Vater der Lüge“ oder „Herrscher der Welt“.

Die Überwindung des Bösen

Satan ist ein aramäisches Wort und meint in seiner Ursprungsbedeutung sata‘ha einen Widerstand, der mir den Weg zum Ziel versperrt. Genau das will Satan – er will uns den Weg zu Gott versperren. Er tritt nie als Teufel auf, sondern immer in der Maske des Guten, des Verlockenden, des Verführerischen. So lesen wir im 2. Korintherbrief: „Auch der Satan gibt sich für einen Engel des Lichts aus“ (2 Kor 11,14). Dieser Satan, der sein wollte wie Gott, wird bei diesem Engelsturz mit seinen Engeln auf die Erde geschleudert, nicht in die Hölle (Gehenna). Diese Bemerkung ist wichtig. Der Kampf zwischen Licht und Finsternis, zwischen Gut und Böse, zwischen den Mächten des Himmels und den dämonischen Mächten der Finsternis findet also auf unserer Erde statt. Und wir alle sind hineingeworfen in diesen Kampf.

Das Böse als solches kann nicht von Gott gewollt sein, dies widerspräche Seiner Liebe. Gott kann nur lieben! Nach christlichem Verständnis resultiert die Möglichkeit des Bösen aus der Fehlbarkeit geschaffener Wesen, also daraus, dass Engel oder Menschen sich bewusst gegen Gott stellen können. Das Böse besteht im Letzten darin, dass sich der Mensch nicht von Gott herkommend und auf ihn hingeordnet verstehen will und sich selber absolut setzt. Gott lässt das Böse um der Freiheit der Menschen willen zu.

Das Evangelium ist ein einziger Aufruf, das Böse zu überwinden. Der Einsatz dafür ist freilich mit dem Erleiden von Bösem verbunden. Jesus musste den Leidensweg gehen, um am Kreuz die Mächte der Finsternis zu brechen. Darum sagt Simone Weil (1909 -1943) völlig richtig: „Das Böse erleiden, ist die einzige Möglichkeit, es zu zerstören.“ Und der Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter (1923-2011) fügt hinzu: „Wer nicht leiden will, muss hassen – Wer nicht hassen will, muss leiden.“ Weil Jesus sich nicht dem Hass der Menschen verschlossen hat, weil er verwundbar war, weil er sich berühren ließ von unserem Leiden, deshalb gab es für ihn letztlich keine andere Möglichkeit, als für uns zu leiden. Sein Leidensweg und sein Kreuzestod sind die unvermeidliche Konsequenz seiner grenzenlosen Liebe zu uns.

Der Teufel im Alten Testament

Im Alten Testament begegnet die Gestalt des Teufels zum ersten Mal im Buch Hiob. In den Kapiteln 1 und 2 bittet er um die Erlaubnis, Hiob prüfen zu dürfen. Auch im Ersten Buch der Chronik ist der Satan als Gegenspieler und Widersacher Gottes dargestellt, der gegen Israel auftritt und David dazu reizt, Israel zu zählen. Im Buch Sacharja wird der Teufel wieder, wie schon bei Hiob, zum Ankläger im Himmel.

Man mag sich fragen, warum im Alten Testament so selten vom Teufel die Rede ist. Die Antwort ist relativ einfach: Der Teufel versteckt sich immer, er zeigt sich nie als Teufel, ausgenommen, er wird mit himmlischen Mächten konfrontiert, die ihm seine Maske vom Gesicht reißen. Im Alten Testament gab es noch keinen Messias, keinen Erlöser, keinen Retter. Erst im Neuen Testament muss er in der Begegnung mit Jesus sein Versteckspiel aufgeben. Die vielen Dämonenaustreibungen im Markusevangelium berichten davon. Jesus hatte zwar die Macht, Dämonen auszutreiben, doch konnte er das Böse in Menschen nicht überwinden. Denn diese Menschen waren aufgrund ihres freien Willens böse. Das Böse in den Menschen musste auch er erleiden.

Die drei Versuchungen Jesu

Das Neue Testament berichtet uns, dass sich Jesus 40 Tage in die Wüste zurückzog, bevor er öffentlich auftrat. Am Ende dieser Tage wurde er vom Teufel in Versuchung geführt. In der ersten Versuchung wählt der Teufel den Hunger Jesu als Einfallstor. Er schlägt ihm vor, aus Steinen Brot zu machen. Das erste Einfallstor Satans in uns Menschen ist die Befriedigung unserer Triebe – nicht die natürliche Befriedigung, sondern die pervertierte Befriedigung: der Konsum von Drogen, Pädophilie, pervertierte Sexualität, wie wir sie in der Kirche bei den vielen Missbrauchsfällen sehen. Diese abartigen Triebe kommen von unten, vom Bösen. Wie Jesus können auch wir diesem „Einbruchstor des Satan“ nur widerstehen, indem wir uns ganz an Jesus und an seine jungfräuliche Mutter festbinden. Jesus antwortet: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt!“ In der Stunde der Versuchung müssen wir einen Standpunkt einnehmen und uns nicht von Trieben zum Bösen verführen lassen. Und der Standpunkt heißt: bei Jesus sein, bei Maria sein!

In der zweiten Versuchung geht es um eine Pervertierung von Jesu Wundermacht in eine Wunderschau. Die Juden stellten sich einen Messias vor, der sich von den Zinnen des Tempels hinunterstürzt. Er hat keine Kindheit, keine Jugend, man kennt seine Eltern nicht. Er löst bei den Juden eine Wunderschau aus. Diesem falschen Messiasbild tritt Jesus entschieden entgegen. Er ist nicht ein Messias, der wie ein Batman auf den Tempelplatz hinuntersegelt, sondern ein Messias, der für die Menschen leiden wird. Auch dieser Versuchung widersteht Jesus. Er kontert dem Teufel: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen!“

In der dritten Versuchung macht sich der Verführer an Jesus heran und bietet ihm unumschränkte Macht über alle Reiche der Erde an, wenn Jesus niederfällt und ihn, den Satan, anbetet. In dieser dritten Versuchung geht es um die unumschränkte Macht. Jesus tritt dem Satan mit der ganzen Entschiedenheit entgegen, indem er sagt: „Weg mit dir, Satan!“ Der heilige Text fügt an, dass daraufhin der Versucher „für eine gewisse Zeit“ (Lk 4,13) von ihm abließ.

Der Kampf wird für diesen Augenblick abgebrochen, er zieht sich dann aber durch Jesu ganzes Leben hin, um am Ende in die entscheidende Phase einzutreten. Denn die Stunde seines Leidens wird auch die Stunde der „Macht der Finsternis“ (Lk 22,53) sein.

Pervertierte Triebbefriedigung, Sensationsgier und Macht! Oder anders ausgedrückt: Habenwollen, Geltenwollen und Seinwollen sind die großen Einfallstore des Bösen in unserem Leben, auch in der Kirche. Sie sind die drei Hauptversuchungen, durch die schon manch einer seinen Charakter verloren hat – und sein geistliches Leben.

Im Neuen Testament, beim öffentlichen Auftreten Jesu, muss der Teufel seine Maske fallen lassen. Als Jesus in Gerasa einem Mann begegnet, der von einem unreinen Geist besessen war, rief dieser Geist Jesus schon von Weitem zu: „Was habe ich mit dir zu tun, Jesus, Sohn des höchsten Gottes? Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht!“ (Mk 5,7) Der Teufel verträgt keine Heiligkeit, keine Reinheit, keinen Gehorsam. Darauf muss er reagieren. Da hilft kein Verstecken mehr.

Theologische Deutung des Teufels

Die Bibel spricht vom „Geheimnis des Bösen“ – mysterium iniquitatis. Der Begriff spielt auf die Ungleichheit zwischen Gott und dem Teufel an. Gott ist ungeschaffen, unendlich, heilig, allmächtig – der Teufel ist ein geschaffenes Wesen, ein gefallener Engel (Offb 12). Deshalb kann der Teufel nicht gegen Gott kämpfen, denn er ist nichts im Vergleich zu Gott. Als geschaffenes Wesen kann er nur gegen geschaffene Wesen kämpfen, also gegen Menschen. Darum ist es nicht richtig, wenn wir ihn einen Gegenspieler Gottes nennen. Er ist der Gegenspieler jener Frau, die „voll der Gnade“ ist. Er ist der Gegenspieler der Gottesmutter. Sie wird ihm den Kopf zertreten. Er wird sie und ihre Nachkommen nur an der Ferse verletzen.

Der Teufel ist als gefallener Engel eine Person, die sich Gott verweigert hat, indem er selber sein wollte wie Gott. Der Riegel zur Hölle ist nicht außen, sondern innen. Nicht Gott hat den Luzifer ausgesperrt, sondern Luzifer will nie mehr die Tür nach außen öffnen, um Gottes Verzeihung anzunehmen. Er kann nur hassen. Er ist der große Widersacher, der uns von Gott abwenden will, mit all seinen Verführungskünsten. Er will unser Denken vernebeln, damit wir die Wirklichkeit nicht erkennen und das Böse tun.

Die Hölle ist nicht ein „Ort“, sondern ein „Zustand“ und der besteht darin, dass wir aus eigener Schuld von Gott getrennt sind. Nicht Gott spricht das Urteil über uns, wir sprechen uns selber das Urteil. Im Johannesevangelium lesen wir: „Wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben; wer aber dem Sohn nicht glaubt, wird das Leben nicht sehen.“ Es ist sehr wichtig zu wissen, dass der Mensch, der nicht glaubt, d.h. Gott voll und ganz ablehnt, sich selber das Urteil spricht und darum nicht Gemeinschaft mit Gott haben kann.

In diesem Zusammenhang komme ich nochmals auf die vielen Missbrauchsfälle in der Kirche zu sprechen. Nicht dass alle Täter verloren wären. Auf keinen Fall! Wir beten und hoffen, dass jeder von ihnen Reue zeigt und umkehrt, d.h. sich der Barmherzigkeit Gottes öffnet. Ich spreche hier besonders von den Bischöfen, Priestern und Ordensleuten. Sie alle sind gottgeweihte Personen. Die, die Ihn am meisten lieben sollten, lieben Ihn nicht! Sie sind berufen, Menschen zu Gott zu führen, und nicht, Kinder und Jugendliche zu verführen. Dass nicht einmal die Unschuld unzähliger Kinder verschont bleibt, dass ein Priester, der sein ganzes Leben in den Dienst Gottes gestellt hat, der Eucharistie feiert und die Sakramente spendet, sich an den Schwächsten und Wehrlosen versündigt, darin können wir die Hand des Bösen sehen. Hier kommt der Feind der Kirche nicht von außen, sondern von innen. Und dieser Feind ist gefährlicher als alle Feinde von außen.

 Die Fußwaschung Jesu – ein Kampf zwischen Licht und Finsternis

Im Neuen Testament ist uns ein furchtbarer Kampf zwischen Licht und Finsternis geschildert, ein Kampf zwischen Jesus und dem Satan. Dieser Kampf findet genau an der Stelle statt, wo wir ihn am wenigsten vermuten – bei der Fußwaschung Jesu am Gründonnerstag! Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße, mit denen sie durch den Staub und den Schmutz der Erde gehen. In seiner Geste der Fußwaschung erweist er den Seinen den niedrigsten Dienst. Er ist den Seinen ein Diakon, ein Diener in Wort und in Tat. Dass sich Jesus nicht bedienen ließ, sondern selber diente, muss sich seiner Jüngergemeinde so tief eingeprägt haben, dass sie später ihre eigenen Ämter als Dienstämter bezeichnete. Ja, das darf nicht vergessen werden: Alle Ämter in der Kirche werden ausschließlich zum Dienst an der Gemeinde verliehen und nicht, um Macht über die Gemeinde auszuüben. Nur als Dienende können Priester und Ordensleute den Weg der Nachfolge gehen, der zur Liebe führt.

In der Einheitsübersetzung heißt es: „Der Teufel hatte Judas, dem Sohn des Simon Iskariot, schon ins Herz gegeben, ihn zu verraten und auszuliefern“ (Joh 13,2). In Wirklichkeit heißt diese Stelle etwas anders. Denn in den ältesten Handschriften der Bibel, im Codex Sinaiticus und im Codex Vaticanus, lesen wir das Original: „Der Teufel hatte sich schon ins eigene Herz gesetzt, dass Judas, der Sohn des Simon Iskariot, ihn verraten und ausliefern solle.“ Diese Variante ist sehr aufschlussreich, weil sie am Satan einen Wesenszug aufdeckt und ihn damit in Gegensatz zu Jesus stellt. Jesus hatte sich schon sozusagen „ins Herz gesetzt“, zum Vater zu gehen und die Seinen bis ans Ende zu lieben. Satan hatte sich etwas anderes „ins Herz gesetzt“: dass Judas Jesus verraten solle. Er sah, dass Judas am anfälligsten war, dass er ein wenig verbittert und unzufrieden war und bereits an der Schwelle zum endgültigen Bruch stand, dass er schon Schritte in dieser Richtung getan hatte und nun bereit war, sich gegen Jesus zu entscheiden.

Die Fußwaschung wird so zum Ringen Jesu mit Satan, um Judas zu retten. Jesus vollzieht diese Demutsgeste der Fußwaschung an Judas Iskariot, um ihn aufzurütteln, der von der satanischen Versuchung befallen war, Jesus zu verraten. Jesus kämpft um Judas, nicht nur um Petrus und die anderen Apostel. Er will Judas durch eine sinnbildliche Geste zeigen, dass er ihn zutiefst liebt, dass er bereit ist, für ihn zu sterben, dass er ihn achtet, ihm nahe ist, ja ihm untertänig ist wie ein Sklave. Er sucht das Herz des Judas zu erobern, ihn der Macht des Widersachers zu entreißen.

Bei dieser Interpretation verstehen wir das Dramatische besser. Es ist der Kampf zwischen Christus und Satan, zwischen dem Licht und der Finsternis um das Herz eines Menschen, um das Herz des Judas.

Das Paschamahl, das Mahl der Liebe, wird für Judas zum Mahl des Verrates. „Da fuhr der Satan in ihn!“ Sein Herz, einstmals erfüllt von Liebe, wird zu einem Herzen aus Stein. „Als Judas den Bissen Brot genommen hatte, ging er hinaus. Und es war Nacht!“ So der heilige Text in tiefer Symbolik. Wer sich eigenmächtig von Christus, dem Licht der Welt, entfernt, kann gar nicht anders als in die Finsternis gehen. Er verfällt dem finsteren Bereich, da die Herzenskraft seiner Liebe zu Jesus erloschen ist. Jetzt ist die Stunde des Verräters angebrochen, die Stunde der Lüge und des Hasses und die Stunde des endgültigen Treuebruches. Er geht von Jesus weg in eine weglose Ausweglosigkeit hinein. Und dieser Bruch der Freundschaft setzt sich fort in der Kommuniongemeinschaft der Kirche. Wenn Menschen schwere Schuld auf sich laden, wenn sie Jesus verraten und aus seiner Gemeinschaft mit ihm ausbrechen und trotzdem seinen heiligen Leib in der Kommunion empfangen, ohne vorher gebeichtet zu haben, dann laden sie die Sünde des Judas auf sich. Der hl. Paulus warnt daher: „Wer unwürdig von dem Brot isst und aus dem Kelch des Herrn trinkt, macht sich schuldig am Leib und am Blut des Herrn. Denn wer davon isst und trinkt, ohne zu bedenken, dass es der Leib des Herrn ist, der zieht sich das Gericht zu“ (1 Kor 11,27.29).

Von Judas Iskarioth heißt es: „Da fuhr der Satan in ihn!“ Er wird nicht zum Opfer Satans, sondern dessen Handlanger, dessen Gehilfe, dessen Werkzeug. Es ist der Augenblick, da Judas die Seiten wechselt vom Licht in die Finsternis, von der Treue zum Verrat, von Jesus zu den Hohepriestern. Und was bleibt ihm dann? Dreißig Silberlinge, ein Kuss und – der Strick der Verzweiflung.

Wo ist Gott? Dort hängt er am Galgen!

In diesem Zusammenhang möchte ich ein Beispiel bringen, das Elie Wiesel, der bekannte jüdische Schriftsteller, in seinem Buch „Die Nacht zu begraben, Elischa“ aufgezeichnet hat. Elie Wiesel kam zusammen mit seinem Vater als Jugendlicher ins KZ Auschwitz, von dort ins KZ Buchenwand. Ich möchte einen kurzen Abschnitt aus diesem Buch zitieren:

„Als wir eines Tages von der Arbeit zurückkamen, sahen wir auf dem Appellplatz drei Galgen. Antreten. Ringsum die SS mit drohenden Maschinenpistolen, die übliche Zeremonie. Drei gefesselte Todeskandidaten, darunter ein Kind mit dreizehn Jahren. Die SS schien besorgter, beunruhigter als gewöhnlich. Ein Kind vor tausenden von Zuschauern zu hängen, war keine Kleinigkeit. Die drei Verurteilten stiegen zusammen auf ihre Stühle. Drei Hälse wurden zu gleicher Zeit in die Schlingen eingeführt. Es lebe die Freiheit! riefen die beiden Erwachsenen. Das Kind aber schwieg. Wo ist Gott, wo ist er? fragte jemand hinter mir. Auf ein Zeichen des Lagerchefs kippten die Stühle um. Absolutes Schweigen herrschte im ganzen Lager. Am Horizont ging die Sonne unter…

Dann begann der Vorbeimarsch. Die beiden Erwachsenen lebten nicht mehr. Aber der dritte Strick hing nicht reglos: der leichte Knabe lebte noch… Mehr als eine halbe Stunde hing er so und kämpfte vor unseren Augen zwischen Leben und Sterben seinen Todeskampf. Und wir, wir mussten ihm ins Gesicht sehen. Er lebte noch, als ich an ihm vorüberschritt. Seine Zunge war noch rot, seine Augen noch nicht erloschen. Hinter mir hörte ich denselben Mann wieder fragen: Wo ist Gott? Und ich hörte eine Stimme mir antworten: Wo er ist? Dort, dort hängt er am Galgen.

An diesem Abend schmeckte die Suppe nach Leichnam.“

Auf die oft bedrängende Frage „Wo ist Gott?“ gibt es keine andere Antwort als die: „Dort am Kreuz hängt er!“ Das ist das Werk unserer Hände, das Wesen seiner leidenden Liebe. Auch heute leidet er in unserer Welt. Nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Vernichtungslagern und dunklen Gefängnissen, in Krebsstationen und in Sterbekliniken, in Kriegsgebieten und in unseren Wohnungen. Am Kreuz hält uns Gott die blutende Wunde seiner Liebe entgegen. Möge diese gekreuzigte Liebe all jene Menschen erreichen, die heute in der Finsternis von Golgota leben müssen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2022
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Neue Pro-Life-Statue des Bildhauers Timothy Schmalz

Denkmal für das Leben

Eine neue Bronzestatue des kanadischen Bildhauers Timothy Schmalz ist am Sonntag, 29. Mai 2022, in der römischen Kirche San Marcello al Corso aufgestellt worden. Sie trägt den Titel „Denkmal für das Leben“ und zeigt die Gottesmutter Maria mit dem noch ungeborenen Jesus unter ihrem Herzen. Im Schoß Mariens, der als Glaskörper dargestellt ist, scheint der bronzene Jesus zu schweben.

Von Vatican News

Ich fand es sehr, sehr spannend, diese Skulptur zu schaffen“, sagte Schmalz in einem Interview mit Radio Vatikan. Inspiriert worden sei er durch ein Zitat des russischen Schriftstellers Fjodor Dostojewski: „Schönheit kann die Welt retten.“ Für ihn sei es ein interessantes Projekt gewesen, der Versuch, „eine der schönsten, lebensbejahenden Skulpturen“ zu schaffen, „eine Pro-Life-Statue, die von der Hoffnung handelt, dass Schönheit das Leben retten kann“.  Der Vorsitzende der Päpstlichen Akademie für das Leben, Erzbischof Vincenzo, weihte das Kunstwerk am 29. Mai 2022 in San Marcello al Corso ein. In dieser Kirche befindet sich auch das mittelalterliche Pestkreuz, das Papst Franziskus während der Corona-Pandemie des Öfteren holen ließ.

Bekannt wurde der Bildhauer Schmalz durch seine Figur „Homeless Jesus“. Sie zeigt einen unter einer Decke liegenden Obdachlosen auf einer Parkbank, der wegen der Wundmale an seinen Füßen als Jesus erkennbar ist. Auf dem Petersplatz in Rom steht zudem seit dem Welttag für Migranten und Flüchtlinge im September 2019 Schmalz‘ große Bronzeskulptur „Angels Unawares“. Diese stellt ein Boot dar, auf dem Migranten verschiedener Zeiten und Kulturen zu sehen sind. Aus der Mitte der Menge ragt ein Paar Engelsflügel heraus. Die Skulptur spielt auf einen Satz im Brief an die Hebräer im Neuen Testament an: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt!“ (Hebr 13,2).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2022
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Nächster Marsch für das Leben am 17. September 2022

Unser Engagement für jeden Menschen

Alexandra Maria Linder, Mutter von drei Kindern, ist Bundesvorsitzende der Aktion Lebensrecht für Alle. Seit vielen Jahren engagiert sie sich mutig und kompetent für die Würde eines jeden Menschen von der Zeugung bis zum natürlichen Tod. Inzwischen gehört sie zu den Leitfiguren der Lebensrechtsbewegung in Deutschland. Auf erfrischende Weise bringt sie die Wahrheit ans Licht und legt den Finger auf die Wunden der Zeit. Nachdrücklich lädt sie zum Marsch für das Leben in Berlin am 17. September 2022 und zum Lebensrechtskongress auf dem Schönblick in Schwäbisch Gmünd vom 21. bis 23. Oktober 2022 ein.

Von Alexandra Maria Linder

Wenn Sie einen Schwangerschaftsabbruch wünschen, operativ oder medikamentös, kommen Sie gerne zu uns. In Wohlfühlatmosphäre und mit ganz persönlichem Service sorgen wir dafür, dass Ihre Gesundheitsversorgung optimal gewährleistet ist. Bis zur neunten Schwangerschaftswoche nehmen Sie zwei Medikamente ein, mit denen das Schwangerschaftsgewebe ausgestoßen wird. Bei einem operativen Abbruch wird unter örtlicher Betäubung oder Sedierung die Fruchtblase sanft abgesaugt. Danach entspannen Sie sich in unserem gemütlichen Ruheraum.“

So und ähnlich werden sich bald auch in Deutschland Werbetexte auf Flyern und Webseiten von Abtreibungsinstitutionen finden. Die Bewerbung einer Tätigkeit „des Vermögensvorteils wegen“, wie es in § 219a StGB steht. Die Beschreibung einer für mindestens einen Menschen immer tödlichen Handlung als normale Dienstleistung, gemäß Wunsch der Regierungskoalition demnächst von den Krankenkassen bezahlt.

Finden Sie die Fehler im Text, Stichwort Framing und Wording?

„Schwangerschaftsabbruch“ sagt nur die halbe Wahrheit: Ja, die Schwangerschaft wird in der Tat abgebrochen, verschwiegen wird dabei lediglich, dass dabei auch ein wenige Wochen alter Mensch eliminiert wird. „Medikamentös“ will suggerieren, dass es um die Heilbehandlung einer Krankheit geht, bedeutet jedoch, dass durch die Abtreibungspille mit dem Wirkstoff Mifepriston die Versorgung des Kindes beendet wird, dieses stirbt und mit Hilfe eines Prostaglandins zusammen mit dem Schwangerschaftsgewebe ausgestoßen wird – übrigens häufig verbunden mit schweren, langen Blutungen, Schmerzen, Krämpfen. „Gesundheitsversorgung“ impliziert, dass es hier um die Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung eines Gesundheitszustandes geht. Eine Abtreibung jedoch ist keine Heilbehandlung und alles andere als der Gesundheit dienlich: Mit Gewalt muss der fest verschlossene Muttermund geöffnet werden. Mit chemischen Mitteln wird künstlich eine Fehlgeburt ausgelöst. „Schwangerschaftsgewebe“ sagt ebenfalls nur die halbe Wahrheit, ebenso wie „Fruchtblase“.

Systematisch werden die allerkleinsten, vorgeburtlichen Menschenkinder entmenschlicht, um Abtreibung allein auf den unerwünschten Zustand einer Frau zu reduzieren, die für ihre Emanzipation unbedingt die Eliminierung ihres eigenen Kindes braucht. Um Sexualität noch radikaler und „erfolgreicher“ von Fruchtbarkeit zu trennen, um den Körper als von Geist und Seele getrennten Spielball verwenden zu können. Was Frauen wirklich brauchen – Unterstützung, Respekt-Stärkung in der Familie, Bildung etc., ist für Sex- und Feminismus-Ideologen uninteressant.

Wer sich dieser schönen neuen Welt, die auch in Deutschland laut Koalitionsvertrag alsbald umgesetzt werden will, widersetzt, auf Entwicklungen, Wahrheiten und Fakten verweist, muss mundtot gemacht werden. Dummerweise gibt sowohl die Wissenschaft der Embryologie als auch die Entwicklung in allen Staaten und die Lage der Frauen all denen recht, die Abtreibung für keine gute Lösung halten: Der Mensch ist von der Zeugung an vollständig existent, in Staaten mit legalisierter Abtreibung steigen die Zahlen und sinkt die Hilfsbereitschaft für Frauen im Schwangerschaftskonflikt, Frauen in ärmeren Staaten gewinnen durch Abtreibung nichts. Wie zynisch Abtreibungs-Ideologen sind, zeigt sich auch an der Tatsache, dass tragische Todesfälle von Frauen in Zusammenhang mit Schwangerschaft in Irland und Polen instrumentalisiert wurden und werden, um Abtreibung zu legalisieren. Dabei hatten diese Fälle überhaupt nichts mit einer angeblich verweigerten Abtreibung zu tun, sondern zum Beispiel mit einer zu spät erkannten, tödlichen Sepsis.

Es muss folglich abgelenkt werden, um die Narrative zu schützen: Lebensrechtsorganisationen werden nicht mehr eingeladen beziehungsweise (unter anderem beim Katholikentag) ausgeladen. Wer nicht dem Mainstream frönt, ob in Kirche oder Gesellschaft, wird als „rechtsradikal“, „homophob“, „antifeministisch“ abgeschossen – wörtlich beinahe abgeschossen wurde vor kurzem Richter Brett Kavanaugh, Mitglied des US Supreme Courts, weil er einer derjenigen ist, die das Urteil von 1973 (Roe vs. Wade, der Beginn der Massenabtreibung in den USA) revidieren möchten. Die Polizei konnte rechtzeitig eingreifen.

In den USA zeigt sich, wes Geistes Kind diejenigen sind, die besonders von Toleranz reden: Anschläge auf Pro Life-Einrichtungen, Morddrohungen gegen Richter, Angriffe auf Kirchenbesucher. Kirchen und Lebensrechtler sind die letzten, die die schöne neue Welt einfach nicht hinnehmen oder miterschaffen möchten. Die dafür gesorgt haben, dass Fotos von Kleinstkindern nach wie vor existieren und verbreitet werden, als ein Beleg dafür, dass es um Menschen, nicht um Zellhaufen geht. Die die Lügen der aggressiven, von Milliardären finanzierten Abtreibungslobby sachlich widerlegen. Interessanterweise wird in Zusammenhang mit Abtreibungsregelungen im jeweiligen Land meistens auch die Kirche massiv angegriffen und geschwächt – wie in Irland vor einigen Jahren. Dort steigen übrigens seit der Legalisierung die Abtreibungszahlen. Von dadurch glücklicheren oder emanzipierteren Frauen ist bisher nichts bekannt.

Die nächsten auch gesellschaftspolitisch wichtigen „bioethischen“ Themen, die anstehen, kann man im Koalitionsvertrag nachlesen. Wohlgemerkt, es geht hierbei nicht um die Bewältigung der aktuellen Finanzkrise, der Wirtschaftskrise, der Verarmung von Familien, der psychisch labilen Situation der diesjährigen Schulabgänger, der Inflation oder der sich immer drastischer zeigenden Gesellschaftskrise. Die deutsche Bundesregierung will als eines der wichtigsten Projekte vor der Sommerpause Werbung für Abtreibung erlauben – nach etwa sechs vergeblichen Anläufen seit Dezember 2017, aus ihrer Sicht also: endlich! Selten zeigt sich deutlicher, wie die Ideologie über die Vernunft herrscht. Und so geht es weiter: Der assistierte Suizid soll, eventuell mit einer Beratungsregelung, als autonome Todesentscheidung zugelassen bleiben. Jeder Erwachsene soll das Recht auf ein Kind haben. Dies wird für die Kinder bedeuten, genetisch wunschgemäß aus Katalogen für Eizell- und Samengeber zusammengebaut, von einer ausgebeuteten Gebärmutter ausgetragen und von nicht genetisch mit den Kindern verwandten Erwachsenen in jeglicher und stetig wechselbarer Beziehungskonstellation großgezogen zu werden. Konsequenterweise wurde dazu die Begrifflichkeit verändert: „Wunscheltern“ bestellen sich „gewünschte Kinder“, aus den Stiefeltern werden „Bonuseltern“. Nicht zu vergessen die Qualitätskontrolle, die die Kinder nur überleben, wenn sie nichts haben, was man bei den Kontrollen entdecken könnte. Bei künstlicher Befruchtung durch Präimplantationsdiagnostik: für schwere Familienkrankheiten als Ausnahme bisher zugelassen, Tendenz steigend, denn was man den einen gewährt, darf man den anderen nicht verwehren. Bei natürlichen Schwangerschaften durch einen Bluttest, der seit dem 01. Juli für jede Frau von der Krankenkasse bezahlt wird.

Ist unser Kampf für die Menschenwürde, unser Eintreten für jeden Menschen von der Zeugung bis zum natürlichen Tod vergeblich? Sollen wir kapitulieren? Definitiv nein. Jede Frau, die unsere Beratungsstellen kontaktiert und sich mit dieser Unterstützung für ihr Kind entscheiden kann, ist jede Arbeit wert. Jede Veranstaltung, die sichtbar macht, dass wir alles andere als eine Minderheit sind, rüttelt andere wach. Jedes positive Gespräch, das wir führen, jeder Leserbrief, den wir schreiben, hat eine Wirkung. In den jüngeren Generationen werden Fragen gestellt, die allgemeine Zustimmung zu Abtreibung als „Frauenrecht“ ist weitaus geringer als unter Mittsechzigern. Sachliche, freundliche Beharrlichkeit zahlt sich aus. Wir vertreten die Wahrheit. Sie wird sich durchsetzen, früher oder später, wie jetzt verstärkt in den USA, nach fast fünfzig Jahren Massenabtreibung.

Herzlich laden wir Sie zum Marsch für das Leben in Berlin am 17. September 2022 und zu unserem großen Lebensrechtskongress auf dem Schönblick in Schwäbisch Gmünd vom 21.-23. Oktober 2022 ein.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2022
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Wie die hl. Therese von Lisieux heute Menschen zu Christus führt

Ein Reliquienschrein auf Reisen

Ein herausragendes Ereignis des Jubiläumsjahres, mit dem das Theresienwerk sein 50-jähriges Bestehen feiert, war eine Reise des Reliquienschreins der Heiligen durch die deutschsprachigen Länder. P. Georg Gantioler FSO, der Leiter des Theresienwerks, lässt uns diese apostolische „Wallfahrt“ miterleben, indem er Eindrücke von Mitwirkenden wiedergibt, die er für „Kirche heute“ zusammengefasst hat.

Von Georg Gantioler FSO

Vom 11. Mai bis zum 21. Juni war der Reliquienschrein der hl. Therese von Lisieux auf der Reise durch Deutschland, Österreich und der Schweiz. An 38 Orten machte er Halt. Überall strömten Menschen zusammen, um der hl. Therese ihre Verehrung zu zeigen. Höhepunkt war die Eucharistiefeier, die Bischof Bertram Meier in der Basilika St. Ulrich und Afra in Augsburg zum 50. Bestandsjubiläum des Theresienwerkes feierte. Aber auch an anderen Orten feierten Bischöfe, Äbte und viele Priester Gottesdienste und unterstrichen in den Homilien die Bedeutung der „kleinen“ Therese, die doch groß und auch noch 125 Jahre nach ihrem Tod wirksam ist.

Einst hat sie in ihrer Selbstbiografie in Gebetform geschrieben: „Ich habe die Berufung zum Apostel. Ich möchte alle Länder durcheilen, deinen Namen, oh Jesus, verkünden und im Heidenland dein glorreiches Kreuz aufrichten."[1] Durch die Reise ihres Reliquienschreins scheint die Karmelitin, die zeitlebens die Klostermauern nicht verlassen hat, diesen Traum nun zu verwirklichen. Denn wenn auch sie selbst irgendwie im Mittelpunkt steht, so werden doch die Herzen der Menschen überall zu Christus geführt. Therese bleibt Missionarin und verweist auf Jesus. Drei Zeugnisse von Begleitern des Reliquienschreins wollen das unterstreichen.

Rolf Wundrack aus München, Chauffeur der hl. Therese in der ersten Woche und Mitarbeiter bei Radio Horeb:

Ich schreibe diese Zeilen in meinem Gästezimmer in der Gebetsstätte Wigratzbad im Allgäu. Es ist Montag, und seit einer Woche bin ich unterwegs mit der hl. Therese von Lisieux. Aus meinem Smartphone klingt „Aimer, c`est tout donner“, mein Lieblingslied der französischen Sängerin Sylvie Buisset, welche die Spiritualität der hl. Therese so wunderbar in ihren Chansons vertont hat. Morgen geht dieses gnadenreiche Abenteuer, meine „Tour de Therese“, für mich zu Ende. Auf dem Weg von Wigratzbad in die Oberpfalz zur nächsten Station des Schreins wartet in Regensburg eine neue Crew zur Ablösung. Was waren das für dichte Tage, was für eine spirituelle Zeit, was für eine mit Gnaden überschüttete Reise!

Am 9. Mai war ich mit dem Zug nach Donauwörth gefahren, wo wir im Büro des Theresienwerkes letzte Details zur Reise absprachen. Dann segnete der Leiter, Pater Georg Gantioler, sowohl Frau Granger und mich als auch das eigens für die Reise gemietete und würdevoll dekorierte Fahrzeug. Die kurze Nacht durfte ich im Karmel von Wemding verbringen. Schon um 1:15 Uhr war die Nacht zu Ende, da wir um 2 Uhr unsere Reise nach Lisieux starten wollten, um den Reliquienschrein abzuholen. Dank einer günstigen Verkehrslage kamen wir gegen 14 Uhr schon in dem Städtchen in der Normandie in Frankreich an. Der erste Weg führte mich zu „meinen“ Heiligen, den hl. Eltern Louis und Zélie Martin. Ich dankte ihnen dafür, dass sie mir ihre Tochter anvertrauten. Das Einladen des über 130 kg schweren Schreins ging problemlos über die Bühne. Parallel zum Einladen hatte sich Radio Horeb (ich bin beim katholischen Sender ehrenamtlich tätig) live auf mein Handy geschaltet, so dass die Hörer informiert werden konnten. Nach einer hl. Messe in St. Pierre und einem leckeren Abendessen im Karmel ging ich früh zu Bett und schlief sofort ein.

Wir starteten pünktlich um 5 Uhr morgens mit dem Schrein in Richtung Waghäusel, der ersten Station der Reliquienreise. Gegen 15:30 Uhr erreichten wir die Wallfahrtskirche „Mutter mit dem gütigen Herzen“. Wir wurden von einigen Menschen bereits erwartet, obwohl wir dort deutlich früher als geplant eintrafen. Wieder wurden die Radiohörer live darüber informiert, dass wir an unserem ersten Ziel eingetroffen waren. Mit einer Andacht, der Vesper und einer hl. Messe wurde die hl. Therese begrüßt.

Am nächsten Tag war ein Ruhetag angesagt, der sich aufgrund zahlreicher Gespräche und Begegnungen sowie dem üppigen geistlichen Angebot allerdings nicht als ein solcher entpuppte. Da ich während der Tage zuvor in Radio Horeb zu hören gewesen war, sprachen mich viele Menschen an. Ich bin sehr dankbar für diese Begegnungen, Zeugnisse und Rückmeldungen. Es bot sich auch die Gelegenheit, das Theresienwerk und seine Arbeit vorzustellen. Nach der hl. Messe, wunderbar zelebriert von P. Jürgen Würtenberger, blieb ich bis 22 Uhr „im Einsatz“, beantwortete Fragen und erfüllte sogar Fotowünsche.

Am nächsten Tag hieß es nach der Laudes Abschied zu nehmen. Nach einem persönlichen Segen durch P. Jürgen starteten wir in Richtung Allgäu, wo die Gemeinde St. Martin in Blaichach auf uns wartete. Nach dem fast schon obligatorischen täglichen Radiointerview (dieses Mal live aus dem Auto) erwartete uns Pfarrer Florian Rapp mit einer großen Schar an Gläubigen. Während des knapp zweistündigen Aufenthalts standen ein Rosenkranz, eine Einzelsegnung und auch Zeit für eine stille Andacht auf dem Programm, ehe es weiter nach Balderschwang ging.

Die Patronin der Mission besuchte Radio Horeb in der kleinen Gemeinde während des missionarischen Mariathons, der jährlichen Spendenaktion der Weltfamilie von Radio Maria. Die kleine Therese kam zusammen mit afrikanischen Geistlichen (Kardinal John Onaiyekan und Monsignore Joseph Kimu). Es waren zwei sehr lebendige Tage in der höchstgelegenen Radiostation Deutschlands. Für mich waren es Tage in „Doppelfunktion“ als Mitglied des Theresienwerks, als Chauffeur der kleinen Therese und als ehrenamtlicher Mitarbeiter des Radios. Zusammen mit meiner Frau, die als Redaktionsleiterin München hauptamtlich für den Sender arbeitet, gestalteten wir am Ankunftstag eine live übertragene Gebetsnacht von 23 bis 6 Uhr, in der Anrufer Zeugnis über Therese ablegen und sich ein Wort der Heiligen ziehen lassen konnten. Die Anrufe rissen in den sieben Stunden nicht ab. Mir werden zahlreiche tiefe und berührende Gespräche in Erinnerung bleiben. Am Abschlusstag gab sich der Augsburger Bischof Dr. Bertram Meier die Ehre. Er zelebrierte eine hl. Messe und verabschiedete anschließend den Schrein am Fahrzeug.

Die Gebetstätte Wigratzbad stand als nächste Station auf dem Programm. Gegen 21:15 Uhr trafen wir dort ein. Uns erwartete eine große und tief berührende Lichterprozession in die Kirche. Insgesamt werden es wohl mehr als 300 Menschen gewesen sein, die dort versammelt waren. P. Florian Kerschbaumer hieß uns herzlich willkommen. Am nächsten Morgen überraschten uns Sr. Camilla und Sr. Marietta mit einem leckeren Frühstück. Sofort entwickelten sich tiefe Gespräche über Gott und die Welt. Am Tag konnte ich ein wenig Ruhe an diesem schönen Fleckchen finden. Auch hier sprachen mich zahlreiche Menschen an und wollten mehr über das Theresienwerk und Radio Horeb wissen. Eine Person überreichte mir zu meiner großen Verblüffung eine Spende für das Theresienwerk in Höhe von 1.000 Schweizer Franken. Dank dieser Großzügigkeit war ein Großteil der Benzinkosten gedeckt.

Diese dichten Tage gehen für mich nun zu Ende, sie werden mir aber unauslöschlich in meinen Erinnerungen bleiben. All die Begegnungen, Gespräche, die förmlich zu greifende tiefe Verehrung und der Liebe der Menschen zur hl. Therese an allen Stationen waren beeindruckend. Und ganz ehrlich: Ich habe zu Therese als ihr Chauffeur auf all den Strecken eine so vertraute Beziehung bekommen, dass ich sie (liebevoll, nicht despektierlich) „Mademoiselle Martin“ nannte. Sie, die mir schon seit längerem nahesteht, ist mir noch näher und vertrauter geworden – als logische Ergänzung, nicht in Konkurrenz, zu „meinen“ Heiligen, ihren hl. Eltern Louis und Zélie Martin. Und so bin ich ein wenig traurig, dass ich morgen das Steuer abgeben muss. Aber in Wahrheit bin ich dankbar für das in mich gesetzte Vertrauen, diese Aufgabe übertragen bekommen zu haben und dies alles erleben zu dürfen.

Monika Zeitler aus Regensburg, Mitarbeiterin im Leitungsteam des Theresienwerkes:

Es ist schwer, auch nur annähernd die Erfahrungen und Eindrücke wiederzugeben, die mir in den 16 Tagen, vom 17. Mai bis zum 1. Juni, geschenkt wurden, in welchen ich den Reliquienschrein Thereses begleiten durfte. Es war für mich fast so, als würde ein Hochfest dem nächsten folgen. Und selbst im Auto auf den Fahrten zu den nächsten Reisezielen war der Geist der hl. Therese deutlich spürbar. Da die Heiligen immer in der Anschauung Gottes leben dürfen und uns doch ganz nahe sind, wurden auch wir durch den Transport der Reliquien mit Gnaden reich beschenkt. „Wo die Gebeine der Heiligen sind, dort ist auch deren Geist wahrzunehmen“, so wird immer wieder berichtet. Das durfte ich auf der Reise der hl. Therese von Lisieux zu verschiedenen Pfarrkirchen und Klöstern quer durch die Diözesen Regensburg, Bamberg, Eichstätt, München, Augsburg und Passau wirklich erfahren.

In jeder Pfarrei und jedem Kloster war ein eigener Geist wahrzunehmen. Nichts wiederholte sich, jeder Ein- und Auszug mit dem Reliquienschrein war einzigartig. Die hl. Therese empfand sich selbst als Werk der Liebe Gottes – und genau diese Liebe breitete sich in den Kirchenräumen und Klöstern aus, wo immer auch der Reliquienschrein Einzug hielt und dort verweilte. Ich hatte den Eindruck, die hl. Therese versteht es, die völlig unterschiedlichen Seelen jeweils auf der ihnen eigenen Ebenen zu berühren. Ich bemerkte, dass die Menschen beim Einzug des Reliquienschreins im Innersten angesprochen und berührt wurden, unabhängig davon, ob sie auf die Ankunft der Reliquien vorbereitet waren oder unerwartet überrascht wurden. Keine oberflächliche Sentimentalität, sondern tiefe Ergriffenheit zeigte sich in den Gesichtern bei Jung und Alt. Bewegend waren auch die Reaktionen, wenn den von außen vermeintlich „Hartgesottenen“ Tränen über die Wangen rollten.

Hier nun einige Blitzlichter der verschiedenen Orte: Eine tolle Atmosphäre von Stille, Innerlichkeit und geistiger Dichte wirkte in der Pfarrkirche Konnersreuth. Besonders spürbar war für mich die Gegenwart Gottes bei den hl. Messen wie auch bei den Nachtanbetungsstunden vor dem ausgesetzten Allerheiligsten. Durch die Anwesenheit der Reliquien wurden die Herzen weit geöffnet und viele Seelen wurden gewiss näher zu Gott geführt. Die innige Verbindung der Konnersreuther Resl zur hl. Therese von Lisieux ist eine gnadenvolle Brücke zwischen Frankreich und Deutschland. Am Tag der Seligsprechung der hl. Therese (29. April 1923) wurde die Konnersreuther Resl von ihrer Erblindung und am Tag der Heiligsprechung (17. Mai 1925) von ihrer Lähmung geheilt. Dass die Reliquien der hl. Therese nun genau am 17. Mai, dem Tag der Heiligsprechung, nach Konnersreuth kamen, war eine besondere Gnade. Die Konnersreuther Stigmatisierte hatte aus Dankbarkeit für ihre Heilung dafür gesorgt, dass in der Pfarrkirche Konnersreuth auf der linken Seite ein Theresienaltar errichtet und noch am 17. Mai 1928 eingeweiht wurde. Konnersreuth wird deshalb auch das „Bayerische Lisieux“ genannt. Beide, Therese von Lisieux wie auch die Konnersreuther Resl, hatten eine innige, kindliche Verbindung zu Jesus. Das war der erste mächtige Rosenregen der Reliquienfahrt, der sich reichlich über alle Teilnehmer ergoss.

In jeder weiteren Pfarrkirche und jedem einzelnen Kloster, wohin der Reliquienschrein kam, schien die hl. Therese auf ganz eigene Weise zu wirken. Der „Geist der Kindschaft Gottes“ war besonders in den Klöstern der Passionisten erfahrbar, sowohl in der Diözese Regensburg wie auch in der Diözese München. Wie wohltuend wirkte dies sogar noch auf uns, den Gästen des Hauses, wenn die Ordensoberen mit ihren jungen Ordensbrüdern einen ungewöhnlich ruhigen und liebevollen Umgangston pflegten. Die kindliche Lebenshaltung Thereses vom „Blumen streuen“ durften wir dagegen in den Klöstern der Karmelitinnen erfahren nach den Worten der hl. Therese: „Ich habe kein anderes Mittel, dir (Gott) meine Liebe zu beweisen, als Blumen zu streuen, das heißt, ich will mir kein einziges kleines Opfer entgehen lassen, keinen Blick, kein Wort, will die geringfügigsten Handlungen benutzen und sie aus Liebe tun."[2] Kontakt zu den klausurierten Schwestern gab es nur über die Pfortenschwester, da die Karmelitinnen ihr Leben im Verborgenen und im Gebet Gott weihen. Dennoch war die liebevolle Zuwendung aller klausurierten Schwestern ohne jeglichen persönlichen Kontakt erfahrbar durch die sauberen Räume, die frische Wäsche, die Versorgung von köstlicher Nahrung, die in der Gästeküche für uns bereitstand.

Eine andere Art von Glaubenszeugnis war bei den Menschen bei unserer Station in München zu erspüren. Therese, die demütig bittend für die Menschen vor Gott eingetreten war, gab den Menschen offenbar Anteil an ihrem Geist bei der 30-minütigen Prozession durch die Münchener Innenstadt. Der anschließende Einzug des Reliquienschreins in die Heilig-Geist-Kirche füllte nicht nur alle Kirchenbänke voll aus, sondern das gesamte Kirchenschiff war dicht gedrängt bis auf den letzten Stehplatz. „So voll gefüllt war das große Kirchenschiff in den letzten 20 Jahren nicht mehr“, sagte der zelebrierende Stadtpfarrer. Therese versteht es in der Tat, die Herzen heute mehr denn je wieder auf Gott hin auszurichten.

Auch Kinder kamen, um Therese zu „sehen“: Der Reliquienschrein wurde in der Wallfahrtskirche Pielenhofen (Diözese Regensburg) und der kleinen Pfarrkirche Wallerfing (Diözese Passau) von leuchtenden Kinderaugen singend und mit Rosen winkend begrüßt. Was hat Therese wohl den Kindern ins Herz gesät?

Sehr berührt durfte ich miterleben, wie der Reliquienschrein von Bischöfen und Weihbischöfen würdevoll begrüßt wurde, wie etwa in der Gebetsstätte Heroldsbach (Weihbischof Herwig Gössl), in Maria Brünnlein (Bischof Gregor M. Hanke), in der Basilika St. Ulrich u. Afra in Augsburg (Bischof Bertram Meier) und in Wallerfing-St. Johannes (Bischof Stefan Oster). In der Karmelitenkirche St. Josef in Regensburg erlebte ich erhebende Gottesdienste mit dem Prior P. Elias M. Haas und mit Abt Thomas M. Freihart von Weltenburg.

Es war für mich Gnade pur, den Reliquienschrein durch Bayern fahren zu dürfen, und ich hoffe und bete, dass die Wirkkraft in den Seelen tiefgründig ihre Früchte bringt zur Umkehr und Glaubenserneuerung in unserem Land. Möge auf die Fürsprache Thereses unser Volk wieder das Geheimnis lernen, mit Gott zu leben und wieder umgänglich miteinander den Weg des Lebens zu gehen, jeder an dem Platz, an dem er von Gott berufen ist.

Margarete Granger, Koordinatorin der Reliquienreise und stellvertretende Vorsitzende des Theresienwerkes:

Öfters erlebte ich in der Vergangenheit bei besonderen Ereignissen im kirchlichen Bereich, dass mit den „Besucherströmen“ auch eine gewisse Unruhe kommt. Ganz anders jetzt: Sehr viele Menschen haben sich aufgemacht, um die hl. Therese zu verehren, um ihr nahe zu sein. Gerade auch bei der stillen Verehrung war eine Ruhe zu spüren, obwohl die Menschen, die kamen, so unterschiedlich waren. Das Bewusstsein und die Ehrfurcht, dass hier tatsächliche eine Heilige unter uns ist, war groß. Alt und Jung waren im gemeinsamen Gebet und der Verehrung zusammen, jeder auf seine eigene Art, aber in einem Geist. Für mich eine sehr mutmachende Erfahrung, was die Zukunft unserer Kirche anbelangt. Auch die gestalteten Gebetszeiten waren sehr besinnlich und intensiv. Die „Neugierde“, über Therese mehr zu erfahren, zeigte sich an dem großen Interesse an der Kurzbiografie, das vom Theresienwerk anlässlich dieser Reliquienreise erstellt wurde. Wo es platzmäßig möglich war, konnten auch mehrere Rollups als kleine Ausstellung über das Leben von Therese aufgestellt werden, welche von vielen Menschen angeschaut und gelesen wurden. Hier denke ich ganz besonders an ein Mädchen, das längere Zeit ganz alleine vor dem Bild der 8-jährigen Therese stand und aufmerksam den Text las. Ich bat Therese, dem Mädchen Wegbegleiterin zu sein.

Der hl. Therese, die den Menschen versprach, auch im Himmel Gutes zu tun und Rosen regnen zu lassen, brachten die Menschen viele Rosen, ob es eine einzelne oder ganze Sträuße waren und in den verschiedensten Farben, so wie auch die Art der Verehrung am Schrein so unterschiedlich war. An ein junges Pärchen denke ich, die vor dem Schrein niederknieten und sich an den Händen hielten, oder ein junger Mann in Österreich, der nach seinen Aussagen durch das Erlebnis der Begegnung mit Therese einen großen Rosenstrauß erhielt. Er hatte noch nicht viel von Therese gehört und wurde, wie er mir sagte, sehr berührt.

Möge Therese – gerade auch den jungen Menschen – in unserer oft so orientierungslosen Welt, einen neuen Weg aufzeigen, ihren „kleinen Weg“, damit sie wirkliche Erfüllung finden. Es war kein Event, keine Eventstimmung, es war das Berührtwerden von der kleinen hl. Therese und von ihrer Botschaft, die nach meinem Empfinden wieder ganz neu ins Bewusstsein der Menschen gekommen ist. Vielleicht sehnen sich gerade die Menschen in unserer „heutigen Eventzeit“ wieder nach etwas Tieferem, nach etwas Einfacherem, das trägt und erfüllt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2022
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[1] Therese von Lisieux: Geschichte einer Seele, MsB 3r.
[2] Therese von Lisieux: Geschichte einer Seele, MsB 4v.

Das päpstliche Hilfswerk „Kirche in Not“ hilft vor Ort

Ukraine: „Die Kirche hat ihre Türen für alle geöffnet“

Der Krieg in der Ukraine geht unvermindert weiter. Über zwölf Millionen Menschen sind UN-Angaben zufolge auf der Flucht. Bilder von Gräueltaten an der Zivilbevölkerung gehen um die Welt. Die katholische Kirche in der Ukraine setzt sich mit aller Kraft für Notleidende, Flüchtlinge und Kriegsopfer ein. Das weltweite päpstliche Hilfswerk „Kirche in Not“ unterstützt Priester, Ordensfrauen und freiwillige Helfer in ihrem Einsatz. Die Ukraine-Referentin von „Kirche in Not“, Magda Kaczmarek, war vor Ort und spricht über ihre Erfahrungen.

Interview mit Magda Kaczmarek

Wohin hat Sie Ihre Reise in der Ukraine geführt?

Magda Kaczmarek: Wir sind zuerst in die Erzdiözese Lwiw (Lemberg) gekommen, in der Nähe der Grenze zu Polen. Dort konnten wir einige Pfarreien besuchen, die Flüchtlinge aufgenommen haben. Auch das Priesterseminar und die Ordensgemeinschaft der Basilianer haben ihre Türen für Flüchtlinge geöffnet, ebenso viele Schwesterngemeinschaften. Wir haben auch den Erzbischof in Iwano-Frankiwsk besucht: Auch dort ist das Priesterseminar ein Zufluchtsort für viele Flüchtlinge.

Die ukrainische griechisch-katholische Erzeparchie von Iwano-Frankiwsk leitet ein sehr beeindruckendes Projekt: Sie hat ein eigenes Krankenhaus eingerichtet; dort werden verletzte Menschen behandelt. Es werden dort auch Ärzte und medizinisches Personal eingesetzt, die aus dem Osten des Landes fliehen mussten. Sie bekommen eine berufliche Perspektive. Es ist sehr wichtig, dass diese Menschen die Ukraine nicht verlassen, und dafür setzt sich die Kirche ein.

Welche Eindrücke konnten Sie gewinnen aus Ihren Begegnungen mit den Flüchtlingen?

Das war eine sehr emotionale Erfahrung. Wir sind Flüchtlingen begegnet, die einfach nur geweint haben. Es gab aber auch Flüchtlinge, die komplett verstummt waren. Wir haben einen jungen Mann getroffen, ungefähr 30 Jahre alt: Er hat seit Beginn des Krieges kein Wort mehr gesprochen. Ich erinnere mich an ein kleines Kind, das auf der Flucht zwei Tage nichts mehr zu essen bekommen hat. Viele Menschen hatten Augen wie aus Glas, versteinerte Gesichter. Sie können nicht begreifen, was um sie herum passiert.

Wie haben Sie die Stimmung unter den Flüchtlingen erlebt: Wollen sie in der Ukraine bleiben? Wie sehen sie ihre Zukunft?

Momentan ist die Tendenz, dass vor allem die Frauen mit ihren Kindern und die Großmütter, die in der Westukraine ankommen, auch dortbleiben. Sie wollen unbedingt zu ihren Männern, Vätern und Söhnen in die Ostukraine zurück. Sie wissen nicht, ob und wann das möglich sein wird. Vielfach sind ihre Häuser zerbombt; sie haben alles verloren.

Trotz der kommunistischen Vergangenheit spielt die Religion eine bedeutende Rolle in der Ukraine. Hat sich das jetzt auch in dieser Krisensituation gezeigt?

Unter den Flüchtlingen aus der Ostukraine sind viele, die entweder nicht getauft sind oder ihren Glauben nicht praktiziert haben. Sie kommen jetzt in den kirchlichen Flüchtlingszentren zum ersten Mal in Kontakt mit einer lebendigen Kirche. Wir sind Menschen begegnet, die noch nie in die Kirche gegangen sind, und jetzt beten sie gemeinsam – zum Beispiel den Rosenkranz. Die katholische Kirche schaut nicht auf die Konfession. Alle sind herzlich willkommen.

Welche Hilfen sind von „Kirche in Not“ weiterhin in Aussicht gestellt?

Wir haben bereits ein erstes Hilfspaket von 1,3 Millionen Euro ausgezahlt, für die Arbeit der Kirche in Kriegszeiten. Wir erhalten aber weiterhin Projektanfragen und haben deshalb noch weiter aufgestockt. Die größte Last für die kirchlichen Einrichtungen in der Ukraine sind aktuell die laufenden Kosten: Strom, Wasser, Heizung etc. Die Kirchen haben im wahrsten Sinne des Wortes die Türen für alle aufgemacht. Dort wird das Evangelium wahrhaftig gelebt. Aber das ist auch eine finanzielle Herausforderung.

Woran auch ein großer Bedarf besteht, sind Transportfahrzeuge, denn die humanitären Hilfsgüter müssen oft über weite Strecken transportiert werden – und das auf sehr schlechten oder zerstörten Straßen. Die Kirche organisiert viel in diesem Bereich. Auch hier werden wir jetzt verstärkt helfen.

Zeichen der Hoffnung: Wiederaufbau eines geplünderten Priesterseminars

Auch mitten im Krieg gibt es Zeichen des Neuanfangs: Ein Beispiel dafür ist das römisch-katholische Priesterseminar der Diözese Kiew-Schytomyr. Die Ausbildungsstätte für aktuell 25 angehende Priester befindet sich in Worsel am Rand der ukrainischen Hauptstadt. Der Ort liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu Butscha, das zum Synonym für Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung geworden ist.

Auch das Priesterseminar in Worsel war zu Beginn des Ukraine-Krieges von russischen Truppen überfallen, schwer beschädigt und geplündert worden. In unmittelbarer Nähe schlugen zwei Raketen ein. Auch seien russische Soldaten in das Priesterseminar eingedrungen und hätten dort mindestens zwei Nächte verbracht, berichten Dorfbewohner. Die Studenten konnten sich in letzter Minute in Sicherheit bringen; mittlerweile sind die meisten von ihnen in einem anderen Priesterseminar in der Ukraine untergebracht.

Gestohlene Kelche, enthauptete Marienstatue

Als er mit einigen Studenten Anfang April wieder nach Worsel zurückkehrte, bot sich ihm ein trauriges Bild, berichtet Seminarleiter Regens Ruslan Mychalkow: „Die Soldaten haben alles mitgenommen, was sie finden konnten: Küchengeräte, Waschmaschinen, Computer. Sie haben die Zimmer der Seminaristen durchwühlt.“ Auch ein Kelch, den Papst Johannes Paul II. während seines Ukraine-Besuchs im Jahr 2001 gestiftet hatte, sei gestohlen worden. Fotos zeigen außerdem eine enthauptete Marienstatue.

Die zurückgekehrten Studenten und Professoren des Priesterseminars hoffen, dass sie im September wieder ihren regulären Studienbetrieb aufnehmen können. Der Wiederaufbau wird auf rund 150.000 Euro geschätzt. „Kirche in Not“ übernimmt diese Kosten und bittet dazu die Wohltäter weltweit um Hilfe.

Die Zeit bis zur erhofften Wiedereröffnung ihres Priesterseminars verbringen Regens Mychalkow und seine Studenten im karitativen Einsatz: „Wir helfen den Menschen vor Ort und verteilen Lebensmittel. Neulich kamen an einem Tag fast 1000 notleidende Menschen zu uns.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2022
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Kongress „Freude am Glauben“ vom 15.-17. Juli 2022 in Regensburg

„Was er euch sagt, das tut“ (Joh 2,5)

Vom 15.-17. Juli 2022 findet in Regensburg der 20. Kongress „Freude am Glauben“ statt. Er wird vom „Forum Deutscher Katholiken“ abgehalten, das im Jahr 2000 unter der maßgeblichen Regie von Prof. Dr. Hubert Gindert (geb. 1933) gegründet wurde. Noch immer ist er federführend an der Erstellung des Programms beteiligt. Als Motto für den diesjährigen Kongress hat er das bekannte Wort der Gottesmutter auf der Hochzeit von Kana gewählt: „Was er euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5).

Interview mit Hubert Gindert

Kirche heute: Herr Dr. Gindert, der diesjährige Kongress „Freude am Glauben“ steht unter dem biblischen Thema: „Was er euch sagt, das tut!“ Wer hat dieses Motto gewählt? Was war dafür ausschlaggebend?

Prof. Gindert: Der Schirmherr unseres Kongresses, Prof. Dr. Werner Münch, hat dieses Motto vorgeschlagen Das Vorbereitungsteam hat es übernommen, weil der Herr in der Stimmenvielfalt, auch in der Kirche, am besten sagen kann, was zu tun ist.

Auf dem Hintergrund des „Synodalen Weges“ hat Papst Franziskus bereits am 29. Juni 2019 einen Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland gerichtet. Darin mahnt er vor allem die missionarische Ausrichtung der Kirche und die Beschäftigung mit der Frage der Evangelisierung an. Zum Auftakt des Kongresses spricht der Augsburger Bischof Dr. Bertram Meier zum Thema „Gott ins Spiel bringen – Evangelisierung und Berufungspastoral“. Möchten Sie damit ein Signal an den „Synodalen Weg“ aussenden?

Ja, wir möchten ein Signal an den „Synodalen Weg“ aussenden, weil hier die Mehrheit sich auf Strukturen, Teilnahme an Macht und Themen, die längst entschieden sind, kapriziert. Sie haben offensichtlich noch nicht mitbekommen, dass immer mehr Menschen in der Gottvergessenheit leben. Sie brauchen die Frohbotschaft und die Verkünder des Evangeliums. Denn die Zahl der Priesterweihen in Deutschland ist von 556 in 1962 auf 56 im Jahr 2020 zurückgegangen.

Geht in diese Richtung auch der Vortrag von Prof. Dr. Dr. Ralph Weimann: „In der Kirche werden die Forderungen nach Reformen lauter, aber welche brauchen wir?“

Die Forderungen nach Reformen werden zwar immer lauter. Aber wir haben eine Babylonische Sprachverwirrung, was damit gemeint ist. Prof. Dr. Weimann wird darüber sprechen, welche wir tatsächlich brauchen.

Neben Bischof Meier tritt auch die Abteilung „Evangelisierung“ des Bistums Augsburg in Erscheinung. Was erwarten Sie von der Podiumsdiskussion „Neuevangelisierung“, die von Pfarrer Reinfried Rimmel, dem Leiter dieser Abteilung, moderiert wird?

Das Podium „Neuevangelisierung“ soll viele Initiativen möglicher Neuevangelisierung vorstellen und Mut machen, sie aufzugreifen. Wenn wir ein weithin entchristlichtes Land geworden sind, brauchen wir viele praktikable Möglichkeiten – von Gebetsgruppen bis Alpha-Kursen –, die das religiöse Leben in den Gemeinden wecken und unterstützen.

Mit dem Referat von Lisa Mbakamma „Familie als Hauskirche. Eine Widerstandsbastion gegen den Bösen“ machen Sie eine klare Ansage. Was ist Ihr Anliegen?

Es geht darum, das religiöse Leben mit anderen zu teilen, die Kinder zum Glauben hinzuführen – da bekannt ist, dass sie oft nicht mehr das Kreuzzeichen, das Vaterunser und Avemaria beherrschen, wenn sie in die Schule kommen. Die Hauskirche gibt auch die Möglichkeit, dass sich heimatlos gewordene Katholiken zusammenfinden und sich im Glauben bestärken.

Wie sehen Sie im Rückblick auf den 102. Deutschen Katholikentag 2022 in Stuttgart den Kongress „Freude am Glauben“?

Der 102. Katholikentag in Stuttgart hat mit rd. 25.000 Teilnehmern nicht einmal ein Drittel der Besucher des letzten Treffens vor vier Jahren angezogen. Offensichtlich erwarten sich dort immer weniger Katholiken Impulse für ihr gesellschaftliches Engagement und für ihr religiöses Leben. Wo keine Klarheit, sondern nur mehr die Pluralität der Meinungen gegeben ist, die sie ohnehin kennen, lohnt es sich nicht mehr, zu einem Katholikentag zu fahren. Ich denke, dass wir auf unserem Kongress den Menschen das mitgeben können, was sie brauchen: Orientierung, Bestärkung und Freude am Glauben.

Durch das Programm führt wieder Rechtsanwalt Roger Zörb. Wie lange arbeiten Sie schon mit ihm zusammen und in welchen Bereichen engagiert er sich für das kirchliche Leben?

Roger Zörb führt seit 2018 die Teilnehmer durch den Kongress. Er stellt die Referenten vor und dankt ihnen nach dem Vortrag. Herr Zörb ist Vorsitzender des „Bundes katholischer Rechtsanwälte“ und der „Gesellschaft zur Förderung christlicher Verantwortung“, die vier Festschriften für Papst Benedikt XVI. herausgebracht hat.

Welche entscheidenden Impulse könnten vom diesjährigen Kongress ausgehen?

Wir wollen die Katholiken, die oft durch Medienberichte und den Synodalen Prozess verwirrt und manchmal nicht mehr sicher sind, ob sie selber noch richtig ticken, Information und Orientierung geben, im Glauben stärken und ermutigen, wieder missionarisch zu werden.

Können Sie die schönsten Erinnerungen an die bisherigen 19 Kongresse nennen? Was haben diese Veranstaltungen Ihnen persönlich gegeben?

Meine schönste Erinnerung war das Kommen des damaligen Kurienkardinals Joseph Ratzinger zum zweiten Kongress. Das war für uns der Durchbruch. Persönlich habe ich bei der Vorbereitung und Durchführung unserer Kongresse so viele inspirierende Menschen kennengelernt, die ich ohne unsere Veranstaltungen nie getroffen hätte.

Worin besteht Ihre Hoffnung angesichts der aktuellen Bedrängnisse innerhalb und außerhalb der Kirche? Was gibt Ihnen Kraft für ein Engagement in so hohem Alter?

Die Hoffnung, die ich trotz der vielen, tatsächlich vorhandenen Bedrängnisse habe, liegt darin, dass wir einen Gott haben, der den Namen hat „Ich bin da“. Das gibt Kraft, auch im Alter!

Herr Professor Gindert, herzlichen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!  Möge der Kongress viele Besucher anziehen und zu einem Segen für die Kirche in Deutschland werden!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2022
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