Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Wieder einmal hat Papst Franziskus für eine Überraschung gesorgt. Ohne Vorankündigung, ohne Erklärungen, ohne Pressekonferenz wurde am 19. März 2022 das Grundlagendokument für eine Reform der Römischen Kurie veröffentlicht. Zwar hatte der Papst schon wenige Tage nach seinem Amtsantritt damit begonnen, an einer solchen Reform zu arbeiten, doch hatte zum jetzigen Augenblick niemand damit gerechnet, dass der abschließende Gesetzestext bereits vorliegt. Er ist völlig unverhofft erschienen und wird an Pfingsten in Kraft treten.

Offensichtlich war es dem Papst ein Anliegen, die Konstitution am neunten Jahrestag seiner Amtseinführung herauszubringen. Mit der Kurienreform möchte er seinem Pontifikat einen unverwechselbaren Stempel aufprägen. Sie soll seine zentralen Anliegen deutlich machen und entscheidende Weichen für den Weg der Kirche in die Zukunft stellen. Zudem betrachtet Papst Franziskus das Zusammenfallen seines Amtsantritts mit dem Hochfest des heiligen Josef als Geschenk des Himmels. Sein ganzes Pontifikat vertraute er dem hl. Josef an und schenkte ihm immer wieder eine besondere Aufmerksamkeit.

Dass es der Vatikan mit der Veröffentlichung des Dokuments eilig hatte, sieht man auch daran, dass bislang nur eine italienische Fassung existiert. Das ist vor allem für eine Apostolische Konstitution ungewöhnlich, welche von ihrer Natur her Gesetzescharakter besitzt. Dazu wird in der Regel ein lateinischer Text erarbeitet, der dank seiner Eindeutigkeit auf dem Hintergrund des gesamten Kirchenrechts die verbindliche Ausgangsbasis darstellt. Die lateinische Fassung wird sicherlich bald kommen, doch hat es nun den Vorteil, dass am Text noch geschliffen werden kann, wie dies bereits geschehen ist. So wurde beispielsweise klargestellt, dass die Tätigkeit der Kurienmitglieder nicht grundsätzlich auf zehn Jahre beschränkt ist, sondern darüber hinaus um jeweils weitere fünf Jahre verlängert werden kann.

Bereits mit dem Titel des Dokuments machte Papst Franziskus seinen Hauptakzent deutlich. „Praedicate Evangelium“ heißt: „Predigt das Evangelium!“ Alles Handeln der Römischen Kurie soll auf die Evangelisierung ausreichtet sein. Diese Maßgabe zieht sich durch die gesamte Konstitution. Außerdem setzte er unter den nun 16 Dikasterien die Behörde für Evangelisierung an die erste Stelle, noch vor derjenigen für die Glaubenslehre. Gleichzeitig legte er fest, dass der Papst selbst diesem Dikasterium vorsteht.

Der zweite Akzent betrifft die Synodalität. Papst Franziskus hat dazu den Charakter aller Kurienbehörden vereinheitlicht und sie für Laien geöffnet. Damit können auch Frauen sogar den Vorsitz von Dikasterien übernehmen. Es ist klar, dass der Papst damit den Forderungen nach dem Weiheamt für Frauen zuvorkommen und der ganzen Weltkirche ein Beispiel vorlegen möchte, wie auch Frauen Verantwortung in Leitungsgremien übernehmen können. Es handelt sich nicht um die letzte Leitungsvollmacht, die nach der Lehre des II. Vatikanischen Konzils an das Weiheamt gebunden ist, sondern um eine Teilhabe und die Ausübung eigenständiger Verantwortung in Leitungsfunktionen.

Was Papst Franziskus dafür „opfern“ musste, ist das Konzept der Kollegialität in der obersten Kirchenleitung. Die Verantwortung ruhte nach dem Ansatz der entsprechenden Konstitution „Pastor bonus“ von 1988 auf den Schultern auch der Kardinäle und Bischöfe der einzelnen Kongregationen, wie Gerhard Ludwig Kardinal Müller in seinem berühmten Papstbuch herausgearbeitet hatte. Damit aber wird die Figur des Papstes noch zentraler.

Liebe Leser, mit einem herzlichen Vergelt‘s Gott für Ihre Unterstützung (IBAN: DE46 7116 0000 0001 1905 80) wünschen wir Ihnen einen gesegneten Marienmonat Mai und die Fülle österlichen Friedens.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2022
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Kurienreform nimmt die Laien in Pflicht

Chefsache Evangelisierung

Am 19. März 2022 unterzeichnete Papst Franziskus eine Konstitution zur Kurienreform, auf die ein eigens dafür geschaffener Kardinalsrat neun Jahre lang hingearbeitet hatte. Noch am selben Tag wurde das Grundlagendokument „Praedicate Evangelium“ ohne weitere Erklärungen publiziert. Doch bereits am 20. März veröffentlichte Vatican News eine Zusammenfassung und detailierte Auswertung der darin enthaltenen Neuerungen. Der äußerst aufschlussreiche Beitrag von Gudrun Sailer, die seit 2003 bei Radio Vatikan tätig ist, hebt besonders hervor: „Laien, das heißt auch Frauen, können bis in höchste Kurienämter aufsteigen.“ Neben den strukturellen Veränderungen sieht sie vor allem die neue Zielsetzung: Alles soll im Dienst der Evangelisierung stehen, im Dienst des Papstes und der Ortskirchen.

Von Gudrun Sailer

„Praedicate Evangelium“ erweitert den Horizont der Arbeit an der Römischen Kurie grundsätzlich. Die Kurie steht in Zukunft nicht mehr nur im Dienst des Papstes, sondern auch der Bischöfe und der Bischofskonferenzen der Weltkirche. Leitmotivisch zieht sich das Gebot der Zusammenarbeit der einzelnen Kurieneinrichtungen mit den Bischöfen durch die 250 Paragrafen des gut 50 Seiten langen Dokuments. Die Reform ziele auf eine „gesunde Dezentralisierung“ der Kirche, die Kurie solle mithin den Bischöfen „die Kompetenz überlassen“, als Hirten, Lehrer und Seelsorger „jene Fragen zu lösen, die sie gut kennen“, soweit sie „die Einheit der Lehre, der Disziplin und der Gemeinschaft der Kirche nicht beeinträchtigen“.
Ihren Zweck hat die Kurienreform nicht in sich selbst, unterstreicht das Gesetz. Vielmehr ist ihr Anliegen nichts anderes als eine wirksamere Verkündigung der Frohen Botschaft, wie der Name des Dokuments unterstreicht. Dezentralisierung und Evangelisierung waren zentrale Punkte bereits in der programmatischen Schrift „Evangelii Gaudium“, mit der Papst Franziskus 2013 seine Vorstellungen einer zeitgenössischen Kirche skizzierte. Tatsächlich findet vieles, was Franziskus in neun Jahren – das neue Kuriengesetz erschien am neunten Jahrestag seines Amtsantritts – in lehramtlichen Dokumenten, Predigten, Reden und Interviews angeregt sowie in Dekreten verfügt hat, einen klaren Niederschlag in „Praedicate Evangelium“. Einige Teile der Kurienreform hat Franziskus auch bereits umgesetzt, diese Reformen erhalten mit dem nun veröffentlichten Gesetz einen größeren Rahmen.

Laien, darunter Frauen, auch in höchste Kurienämter

Dass alle Getauften gleichermaßen, und nicht etwa nur Priester und Bischöfe, missionarische Jünger sind, soll sich in Zukunft nach dem Willen von Papst Franziskus auch in der Leitung von Kurienbehörden niederschlagen. Die Kurienreform „muss die Miteinbeziehung von männlichen und weiblichen Laien, auch in Rollen der Regierung und der Verantwortung, vorsehen“. Begründet wird dies damit, dass Getaufte im Laienstand wegen ihres Familienlebens, ihrer Kenntnis der Wirklichkeit und ihres Glaubens „die Wege Gottes in der Welt entdecken“.
Dass der Präfekt, also Leiter einer Kurieneinrichtung, ein „Kardinal oder Erzbischof“ sein müsse, wie es die nun abgelöste Kurienordnung „Pastor Bonus“ von 1988 festlegte, steht in „Praedicate Evangelium“ nicht. Ebensowenig ist von der Priesterweihe als Anforderung die Rede. Laien können demnach auch das Amt des Präfekten ausüben. Selbst im Fall der Leitung des Staatssekretariats vermeidet das neue Kuriengesetz die Bezeichnung „Kardinalstaatssekretär“ zugunsten des Begriffs „Staatssekretär“, womit die Möglichkeit angedeutet ist, ein Mann ohne Priesterweihe oder eine Frau könnten eines Tages diese Rolle einnehmen, die als die wichtigste an der Seite des Papstes gilt. Dass die Reform in diese Richtung gehen würde, zeichnete sich in einigen päpstlichen Weichenstellungen der vergangenen Jahre bereits ab.
So ist mit Paolo Ruffini, dem Leiter des Dikasteriums für Kommunikation, seit 2018 ein Präfekt im Laienstand im Amt, wenngleich für eine Behörde, die keine weltkirchlichen Angelegenheiten regelt, sondern die Medienarbeit des Heiligen Stuhles bündelt.

16 Dikasterien, alle gleichrangig

Drei verschiedene Kategorien päpstlicher Behörden – Kongregationen, Räte, Dikasterien – figurieren nun alle als „Dikasterien“. Es sind 16, je eines für Evangelisierung, Glaubenslehre, Nächstenliebe, Ostkirchen, Gottesdienst und Sakramentendisziplin, Heiligsprechungen, Bischöfe, Klerus, geweihtes Leben, Laien-Familie-Leben, Einheit der Christen, interreligiöser Dialog, Kultur und Bildung, ganzheitliche Entwicklung des Menschen, Gesetzestexte sowie Kommunikation. Diese 16 Dikasterien sind gleichrangig, wie die Konstitution ausführt, doch ergibt sich aus ihrer Reihung im Dokument eine Gewichtung.

An erster Stelle: Evangelisierung

Nach dem Willen von Papst Franziskus tritt die Evangelisierung an die erste und grundlegende Stelle der Zielsetzungen der Römischen Kurie. Die Leitung dieser Su-per-Behörde übernimmt der Papst selbst. Das Dikasterium für Evangelisierung entsteht aus der Zusammenlegung der Missionskongregation und des Rates für die Neuevangelisierung. Bildungskongregation und Kulturrat verschmelzen zum Dikasterium für Kultur und Bildung. Im Gegenzug wird das päpstliche Fürsorgewesen, „Almosenamt“ genannt, nun zum Dikasterium aufgewertet. Das Staatssekretariat behält seinen Namen, seine Funktion und seine drei Abteilungen, wird aber als „päpstliches Sekratariat“ definiert.

Fünfjahres-Befristung für alle Priester

Schon bisher erfolgten die Berufungen für Präfekten, Sekretäre und Untersekretäre – das sind die drei Leitungsebenen der Dikasterien – auf päpstliche Ernennung, ebenso wie die der Mitglieder der Dikasterien und der Konsultoren. Alle diese Ernennungen gelten für fünf Jahre. Neu ist, dass nun auch Priester und Ordensleute, die in der Kurie arbeiten, ein auf fünf Jahre begrenztes Mandat haben. Ihr Beschäftigungsverhältnis kann aber um jeweils weitere fünf Jahre verlängert werden.

Gemischte Teams

Großen Wert will Papst Franziskus auf die gemischte Zusammensetzung des Kurienpersonals gelegt wissen. Kardinäle, Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien sollen so ausgewählt werden, dass sie die „Katholizität der Kirche“ sichtbar machen, das heißt, aus verschiedenen Kulturkreisen und eben auch Lebensständen stammen. Darüber hinaus sollen alle, die an der Kurie arbeiten, das Gebet und „einen nüchternen Lebensstil“ pflegen, Erfahrung in der Seelsorge und Liebe zu den Armen mitbringen, team- und serviceorientiert arbeiten und dazu in der Lage sein, „die Zeichen der Zeit“ zu erkennen.
Schon bei ihrem Einstieg sollen neue Mitarbeitende hohe Kompetenz für ihren Arbeitsbereich mitbringen und danach beständig Schulungen erhalten, die auch Persönlichkeitsbildung umfasst. Alle Bediensteten der Kurie müssen ihren Dienst mit einem Höchstmaß an Zusammenarbeit, Mitverantwortung und Respekt vor der Kompetenz der anderen gestalten und ausführen, hält die Konstitution fest.
Auch innerhalb der Kurie will Papst Franziskus den Austausch und die Zusammenarbeit stärken. So sieht „Praedicate Evangelium“ regelmäßige „Regierungssitzungen“ der Kurienleiter mit dem Papst vor, damit Informationen besser fließen und im Sinn der Synodalität Ratschläge ausgetauscht werden können. „Regelmäßige Sitzungen fördern die Transparenz“, heißt es dazu im Kuriengesetz.

Bischofsernennungen: Volk Gottes miteinbeziehen

Was die Aufgaben der einzelnen Dikasterien anlangt, ergeben sich einige Akzentverschiebungen. Das Bischofsdikasterium soll künftig bei der Auswahl von Bischöfen nicht nur die Vorschläge der Ortskirchen und der Nuntiaturen hören, sondern darüber hinaus „auch in geeigneter Form Angehörige des Volkes Gottes in den jeweiligen Diözesen miteinbeziehen“. Davon war in „Pastor Bonus“ nicht die Rede gewesen.

Laien-Dikasterium genehmigt neue Laiendienste

Im Dikasterium für Laien, Familie und Leben gehört es fortan zu den Aufgaben, das Nachdenken über die Beziehung „Mann-Frau in der jeweiligen Eigenart, Reziprozität, Wechselseitigkeit und gleichen Würde“ zu vertiefen. Auch „Modelle von Führungsrollen für die Frau in der Kirche“ soll die Kurieneinrichtung erarbeiten. „Pastor Bonus“ hatte für den damals aktiven Laienrat allgemein von Laien (beiderlei Geschlechts), aber nicht ausdrücklich von Frauen gesprochen.
Die Zusammenarbeit zwischen Laien und Priestern ist künftig ebenfalls Thema im Dikasterium, sodass beide ihr Bewusstein für die geteilte „Mitverantwortung für das Leben und die Sendung der Kirche“ schärfen. Zusätzlich hat das Dikasterium nun die Aufgabe, „im Einvernehmen mit den anderen betroffenen Dikasterien die Vorschläge der Bischofskonferenzen zur Einrichtung neuer Ämter und kirchlicher Dienste, die Laien anvertraut werden sollen, entsprechend den Bedürfnissen der Teilkirchen zu bewerten und zu genehmigen.“ Papst Franziskus hatte die Einrichtung neuer kirchlicher Ämter und Dienste für Laien in „Querida Amazonia“ ausdrücklich ermutigt.
In die neuen Kompetenzen des Dikasteriums sind offensichtlich Erkenntnnisse der beiden Familiensynoden von 2014 und 2015 eingeflossen. Die Behörde soll künftig mit Hilfe von Fachleuten „Hauptursachen von Ehe- und Familienkrisen“ bis hin zu gescheiterten Ehen ergründen, um so den Wert der Familie und die Rolle von Eltern in der Gesellschaft und in der Kirche besser herauszustreichen. Auch die Sorge um wiederverheiratete Geschiedene ist im Grundlagendokument der Kurienreform als Aufgabe des Dikasteriums vermerkt. Für sie sollen – immer in Zusammenarbeit mit den Bischofskonferenzen – „Modelle der pastoralen Begleitung, der Gewissensbildung und der Integration“ gesammelt und vorgeschlagen werden.

Gerichtshöfe, Büros und verbundene Einrichtungen

Neben dem Staatssekretariat und den 16 Dikasterien gehören unverändert die drei Gerichtshöfe der Weltkirche zur Römischen Kurie: die Apostolische Pönitentiarie, die Apostolische Signatur und die Rota Romana, darüber hinaus verschiedene Wirtschaftsorganismen wie der Wirtschaftsrat, das Wirtschaftssekretariat und die vatikanische Güterverwaltung APSA. Ebenfalls Teil der Kurie sind drei Büros wie jenes für die liturgischen Feiern des Papstes und die Präfektur des Päpstlichen Hauses sowie sieben mit dem Heiligen Stuhl verbundene Einrichtungen, darunter namentlich das Apostolische Vatikanische Archiv, die Vatikanbibliothek und die Bauhütte von Sankt Peter.
An der Römischen Kurie sind rund 2.600 Angestellte beschäftigt, wovon heute etwa 24 Prozent Frauen sind. Von der Kurienreform nicht betroffen ist der Staat der Vatikanstadt. Beide Einheiten – Kurie und Vatikanstaat – haben den Papst als Oberen, aber separate Verwaltungen und Strukturen.  


Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2022
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„Wer Menschen fischen will, der muss sein Herz an die Angel hängen“ (Don Bosco)

Wieder Menschen erreichen

Seit über 40 Jahren ist Pfarrer Leo Tanner in der Pastoral tätig. Sein Hauptengagement gilt der Neuevangelisierung in den Pfarrgemeinden. Auf seiner Webseite zum Thema „Der Glaube kommt vom Hören“ hat er seine Glaubenskurse und zahlreiche Vorträge zu wichtigen Themen veröffentlicht. Einen entscheidenden Schlüssel zur Evangelisierung sieht er in Laienteams, die vor Ort für suchende Menschen offenstehen und mit ihnen einen Glaubensweg durchführen können. Solche Teams sollten von den Seelsorgern gezielt aufgebaut und begleitet werden. Die Mitglieder müssten vom Evangelium begeistert sein und in einer persönlichen Beziehung zu Christus stehen, um ihre geistliche Erfahrung weitergeben zu können. Gerade durch Corona und die Kriegsereignisse hätten sich neue Chancen ergeben.

Von Leo Tanner

Die letzten Jahre waren alles andere als einfach für katholische Pfarreien im deutschsprachigen Raum. Als wäre die immer wieder aufkochende Missbrauchskrise nicht schon belastend genug, sorgten seit Frühjahr 2020 die Corona-Wellen mit all ihren Begleitumständen und Vorschriften für immer leerere Gotteshäuser und ein regelrechtes Eindampfen des Pfarreilebens. Jetzt, da der Sommer naht und Corona zumindest wieder für einige Zeit in den Hintergrund rückt, muss man feststellen: Das Interesse vieler Menschen am kirchlichen Leben hat sich wohl nachhaltiger verflüchtigt als gedacht. Dazu kommt, dass der aktuelle Krieg in der Ukraine eine fundamentale Erschütterung auslöst. Existenzielle Ängste werden wach. Eine Rezession droht. Es herrscht Unsicherheit. Sogar ein Atomkrieg rückt in den Bereich des Möglichen.

Dazu kommt die große Zahl der Flüchtlinge. Was bieten wir ihnen an? Unterkunft, ein Stück Beheimatung, finanzielle Hilfe und Unterstützung – sicherlich, doch haben wir nicht mehr zu geben? Wagen wir es, ihnen auch das Evangelium anzubieten?

Ich habe zwei Mütter mit je einem Kind (eine 15-jährige Tochter/ein 16-jähriger Sohn) ins Pfarrhaus aufgenommen. Die älteren Söhne und ihre Männer mussten zurückbleiben und sind im Krieg. Eine Schwierigkeit ist die Sprache. Mittels Übersetzungsgeräten suche ich das Gespräch mit ihnen. Ich lade sie jeweils zu den Sonntagsgottesdiensten ein, und gebe ihnen die Schrifttexte und die Predigt schriftlich in Ukrainisch und Deutsch. So können sie neben der frohen Botschaft auch ein wenig die Sprache lernen.

Neu Feuer fangen

Durch Corona und die Kriegsereignisse könnten sich neue Chancen auftun. Denn Leiden kann auch öffnen. Ängste ergeben auch Anknüpfungspunkte. Was gibt Halt, Geborgenheit und Sinn über den Tod hinaus? Vielleicht entsteht in den Herzen vieler Menschen eine neue Sehnsucht nach Gott. Doch sind wir in den Pfarrgemeinden darauf vorbereitet? Sind nicht viele Pfarreiverantwortliche heute resigniert und ein Stück weit ratlos. Die Strukturveränderungen und inneren Auseinandersetzungen tun noch das ihre hinzu. Was tun? Augustinus sagte: „In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst … Nur wer selbst brennt, kann Feuer in anderen entfachen.“

Wie kann in Pfarreien und in Gruppen dieses Feuer lebendig werden, so dass Menschen motiviert werden, neue Schritte zu tun? Heute warten so viele darauf, dass sie auf ihre Not und Ohnmacht angesichts der weltweiten Bedrohung angesprochen werden: „Was machen diese Ereignisse mit dir? Wie gehst du damit um? Was können wir tun?“ Dazu müssen Menschen etwas in sich tragen, das sie aus der eigenen Komfortzone hinausdrängt: das Feuer der Liebe Jesu. Und dazu müssen sie auch fähig sein, selbst geistliche Hilfen zu geben.

Die Kirche lehrt immer wieder, dass der erste Schritt zur Evangelisierung die Selbstevangelisierung ist. Dazu gibt es verschiedene Wege. Ein bewährter Weg, welcher besonders auch das Mit- und Füreinander, die Gemeinschaft fördert, sind Glaubenskurse. Nicht Kurse, die primär theologischen Wissen vermitteln, sondern in die persönliche Erfahrung Gottes führen. Sie werden auch katechumenale Glaubenskurse genannt.

Vergleichbar ist dieser Weg mit dem Katechumenat in den ersten vier Jahrhunderten: Wer damals Christin, Christ werden wollte, wurde zu einem Glaubensweg von (in der Regel) ein bis drei Jahren eingeladen. Dieser Glaubensweg führte durch persönliche Umkehr- und Heilungsprozesse hindurch zur Entscheidung der Lebensübergabe an den Dreifaltigen Gott, zur Erfüllung mit dem Heiligen Geist und zur Eingliederung in die Gemeinschaft der Kirche.

Glaubenskurse

Christsein ist nicht angeboren. Es wird auch nicht in die Wiege gelegt. Christsein ist etwas, was wir wie vieles im Leben lernen müssen. Das geschieht bei Glaubenskursen. Der bekannteste Startglaubenskurs ist Alpha. Er wurde von der anglikanischen Gemeinde Holy Trinity Brompton und ihrem Pastor Nicky Gumbel in London entwickelt. Da der Alpha-Kurs überkonfessionell angelegt ist, kann er auch von katholischen Pfarreien hervorragend zur Erstevangelisierung eingesetzt werden. Alpha ist aufgrund seiner hohen „Erfolgsquote“ und seiner leichten Durchführbarkeit mit den sehr ansprechenden Videos auch ein wesentlicher Bestandteil des Pfarreierneuerungskonzepts Divine Renovation des katholischen kanadischen Priesters James Mallon, der damit in Halifax seiner Pfarrei zu einer weltweit beachteten Transformation verhalf, nämlich hin zu einer Pfarrei missionarischer Jünger (beschrieben im Buch Divine Renovation – Wenn Gott sein Haus saniert, www.ddmedien.com – siehe hierzu Artikel in Kirche heute, Ausgabe August-September/2021, S. 16f.). Divine Renovation hat mittlerweile unzählige Pfarreien in vielen Ländern bewegt, sich auf einen ähnlichen Weg aufzumachen.

Einige Jahre bevor der Alpha-Kurs entstanden ist, habe ich mit einem Priester, mit Diakonen und Theologinnen und Theologen die beiden Startseminare „Neu anfangen“ und „Komm und sieh“ entwickelt, erprobt und mehrfach optimiert. Wir trafen uns regelmäßig, um Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam Weiteres zu entwickeln, was dann als Pastoralkonzept Wege erwachsenen Glaubens veröffentlicht wurde (siehe: www.wege-erwachsenen-glaubens. org). Durch diese Kurse wurden viele Menschen neu von der Liebe Gottes berührt. So sind zum Beispiel aus diesen Glaubenskursen allein in der Ostschweiz über 100 Bibelgebetskreise entstanden.

Jünger Jesu werden

Wenn Menschen nach einem Startglaubenskurs wie Alpha oder „Neu anfangen“ Feuer gefangen haben, stellt sich die Frage: Wie können Menschen im Glauben wachsen? Wie als Jüngerinnen und Jünger Jesus nachfolgen? Was gilt es zu lernen?

Jüngerschaft vermittelt die Fundamente des Christseins wie: Das eigene Leben Jesus anvertrauen, Annahme der neuen Identität (Selbstannahme), Heilung des Gottesbildes, Leben aus der Liebe (aus dem Vaterherzen) Gottes, Leben nach den Gesetzen des Reiches Gottes, Lernen auf die Stimme Gottes zu hören und die Geister zu unterscheiden.

Weiter stellt sich nach einem Startglaubenskurs die Frage: Wie können Menschen, die eine persönliche Beziehung zu Jesus gefunden haben, den Weg zur Pfarrgemeinde (Kirche) finden und die Lehre der Kirche auf eine ansprechende Weise kennenlernen?

Hilfreiche Wege dazu sind Glaubensgruppen (Bibelgebetskreise o. Ä.), in denen Leben und Glauben miteinander geteilt werden. Weitere Hilfen sind dann weiterführende Glaubenskurse, die sowohl in Pfarrgemeinden als auch in Kleingruppen durchgeführt werden können. Bewährt haben sich die Glaubenskurse übers Vaterunser, die Eucharistie, das Credo, die Einübung ins Innere Gebet, über die Sakramente, den Heiligen Geist und die Weitergabe des Glaubens. Meist brauchen Menschen auch Seelsorge und innere Heilung. Dem dienen verschiedene Heilungsseminare und Exerzitien.

Reif zur Ernte?

Jesus sagt seinen Jüngern nach dem Gespräch mit der Samariterin: „Blickt umher und seht, dass die Felder weiß sind, reif zur Ernte“ (Joh 4,35). Mit reif zur Ernte meint Jesus die bevorstehende Bekehrung vieler Samariter. Sie sind reif geworden durch verschiedene Umstände und Erfahrungen. Gott selber hat schon lange an ihnen gearbeitet. Jetzt braucht es dort noch das Zeugnis der Frau, um die Menschen in die rettende Liebe Gottes heimzuholen. Gott arbeitet an Menschen durch das, was sie erleben. Wir dürfen davon ausgehen, dass er durch Corona und die Kriegssituation mit ihren Folgen Menschen neu vorbereitet hat.

Doch sind wir in den Pfarrgemeinden darauf vorbereitet, die Netze neu auszuwerfen? Es fängt immer alles damit an, dass eine Person auf andere zugeht und versucht ein Team zu bilden, um Menschen die Frohe Botschaft zu bringen. Ein kleiner Schritt, der Großes anstoßen kann.

Ein nächster Schritt besteht darin mitzuhelfen, dass dieses Team neu vom Feuer der Liebe Gottes erfüllt wird, neu motiviert wird aus sich herauszugehen und Menschen für Jesus zu gewinnen. Dazu gibt es viele Möglichkeiten.

Ein Zitat des hl. Don Bosco will Mut machen: „Wer Menschen fischen will, der muss sein Herz an die Angel hängen.“ Das heißt: Wer Menschen gewinnen will, wer sie begeistern möchte, der muss sie spüren lassen: Ich hab dich gern, ich mag dich, du bist mir wichtig. Ich will dir etwas ganz Gutes, etwas Kostbares, etwas Wertvolles schenken; etwas, was auch mein Herz berührt und es erfüllt.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2022
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Evangelisierung verlangt Märtyrergeist

Das prophetische Amt in der Kirche

Die Kirche ist Salz der Erde, Licht der Welt. Sie darf nicht davor zurückschrecken, sich von der Welt zu unterscheiden. Vordergründig lieben es die Menschen, wenn man ihnen nach dem Mund redet. Doch im Grunde ihres Herzens suchen sie nach wahrer Orientierung, die immer auch zur Umkehr herausfordert. Pfarrer Dr. Richard Kocher, Programmdirektor von Radio Horeb, sieht darin ein wesentliches Element der Evangelisierung. Er spricht vom prophetischen Amt in der Kirche, das die Menschen mit der vertikalen Perspektive, nämlich mit dem Anspruch Gottes konfrontieren muss. Nur wenn die Hirten ihrer Verantwortung nachkommen und dem Zeitgeist widerstehen, können sie den Menschen helfen, den Sinn ihres Lebens zu finden. In der derzeitigen Umbruchsituation der Kirche gelte es die unaufgebbaren Fundamente des geoffenbarten Glaubens zu erkennen und kompromisslos zu verteidigen. Dazu gehöre vor allem das christliche Verständnis von Ehe und Familie.

Von Richard Kocher

Was erwarten sich Menschen von den Verantwortungsträgern unserer Kirche? Um diese Frage beantworten zu können, schauen wir in die Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk.

Das prophetische Amt

Im Alten Testament waren die Wegweiser und Mahner im Glauben die Propheten. Beim Propheten Jeremia lesen wir die erschreckenden Worte: „Wüstes, Grässliches geschieht im Land: Die Propheten weissagen Lüge, und die Priester richten ihre Lehre nach ihnen aus. Mein Volk aber liebt es so. Doch was werdet ihr tun, wenn es damit zu Ende geht?“ (Jer 5,30). Die wenigen echten, von Gott gesandten Propheten hatten im Alten Bund eine große, schier übermenschliche Aufgabe: Sie reflektierten die Ereignisse der Zeit im Licht Gottes und legten sie den Menschen aus. Es blieb allerdings nicht aus, dass bald auch falsche Propheten auftraten und das Volk in Verwirrung brachten – wie es oben bei Jer 5,30 hieß: „Die Propheten weissagen Lüge…“ Wem sollte das Volk folgen – zumal der Weg, den die falschen Propheten wiesen, oft der leichtere und bequeme war?

Weisungen Gottes in drei Bereichen

Das Amt eines echten Propheten war immer schwierig, weil er unnachgiebig die Weisungen Gottes vertrat und damit dem Zeitgeist widersprach. Besonders in drei Bereichen wird das sichtbar:

Soziale Gerechtigkeit

Propheten haben immer soziale Gerechtigkeit eingefordert. Die Witwen und Waisen lebten oft in Armut und Hilflosigkeit. Es war leicht, ihnen das Wenige, das sie hatten, auch noch zu nehmen. Gott ist immer der Anwalt der Armen. So heißt es auch unmittelbar vor den soeben genannten Versen bei Jeremia: „Auch sündigen sie durch ruchloses Tun. Das Recht pflegen sie nicht. Dem Recht der Weisen verhalfen sie nicht zum Erfolg und die Sache der Armen entscheiden sie nicht“ (Jer 5,28). Das wäre Aufgabe der Propheten gewesen: für die Armen einzutreten und den Reichen das Gericht anzusagen, wenn sie deren Recht mit Füßen traten.

Einklang von Leben, Sittlichkeit und Gottesdienst

Eine weitere Aufgabe echter Propheten war, die Scheinheiligkeit beim Gottesdienst zu durchschauen und ins Wort zu bringen. Es nützt nichts, wenn große Opfergaben, fette Tiere geschlachtet und als Brandopfer dargebracht werden, der Weihrauch aufsteigt, aber Gott dann sagen muss: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber sein Herz ist weit weg von mir (vgl. Jes 29,13). Das wird auch in der berühmten Tempelrede in Jeremia 7,9f. aufgegriffen: „Was noch? Stehlen, morden, die Ehe brechen, falsch schwören, dem Baal opfern und anderen Göttern nachlaufen, die ihr nicht kennt – und ihr kommt und tretet vor mein Angesicht in diesem Haus.“ Den Einklang von Leben, Sittlichkeit und Gottesdienst haben die Propheten eingefordert. Das ist beim Volk aber nicht gut angekommen… Diese Ankündigung hat Jeremia fast das Leben gekostet. Er hat sie aber im Auftrag Gottes ausgerichtet.

Gesetzestreue der Regierenden

Noch schwieriger war die dritte Aufgabe eines echten Propheten: die Verantwortlichen, die Regierenden, näherhin den König an Recht und Gesetz zu erinnern und an seine Aufgabe, dem Volk zu dienen. Dazu gehörte auch, die Götzendienste im Land nicht zu unterstützen, sondern zu beseitigen. Elija hat die Erfüllung dieses Auftrags fast mit dem Leben bezahlt. Er ist zu König Ahab gegangen und hat ihm im Namen Gottes gesagt: „Ich werde dich entfernen und von Ahabs Geschlecht alles, was männlich ist, ob unmündig oder mündig, in Israel ausrotten“ (1 Kön 21,21). Ein weiteres Beispiel: Jesaja sagte zu König Ahas, als Jerusalem belagert war: „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht“ (Jes 7,9). Jeremia sprach zu König Zidkija bei der Belagerung Jerusalems: „Wer in dieser Stadt bleibt, der stirbt durch Schwert, Hunger und Pest. Wer aber hinausgeht und sich den Chaldäern, die euch belagern, ergibt, der wird überleben“ (Jer 21,9). Nathan beschuldigte König David direkt: „Du hast den Hetiter Urija mit dem Schwert erschlagen und hast dir seine Frau zur Frau genommen“ (2 Sam 12,9). Das war gefährlich. Kaum ein echter Prophet ist eines natürlichen Todes gestorben.

Irreführung unter dem Schein von Legitimität

Die falschen Propheten haben diese Gefahren gemieden. Sie weissagten Lüge anstatt zur Umkehr aufzurufen und zu sagen: Ihr müsst eure Beziehung zum Nächsten, zu den Armen und vor allem zu Gott neu ordnen! Stattdessen kündigten sie Heil an, wo es keines gab. Weil sie sich als „Propheten“ ausgaben, die auch mit Sätzen wie „So spricht der Herr“, auftraten, hatte ihre Verkündigung einen Schein von Legitimität – so als käme sie aus Gottes Mund. Die Priester griffen ihre lügnerischen Reden auf und richteten ihre Verkündigung nach ihnen aus.

Wir lesen in der eingangs zitierten Stelle Jer 5,31 den fatalen Satz: „Mein Volk aber liebt es so!“ Ist das wirklich wahr? Wollen die Leute belogen werden? Wollen sie in ihrer Mittelmäßigkeit, in ihrer Trägheit bestätigt werden in dem Sinn: Es soll keiner kommen, der mir sagt, ich müsse einiges ändern in meinem Leben? Sören Kierkegaard hat es mit diesen Worten beschrieben: „Niemand wird so sehr gehasst wie jener, der die Menschen zur Umkehr auffordert und anders lebt.“

Konfrontation mit der vertikalen Perspektive

Aber stimmt das, dass die Leute betrogen werden wollen und es gern haben, wenn man ihnen nach dem Mund redet? Ich habe dazu eine interessante Stellungnahme von unserem früheren Bundespräsidenten Roman Herzog gelesen: „Was ich vom kirchlichen Engagement erwarte, und zwar nicht nur als Person, sondern auch dezidiert von meinem Amt als Bundespräsident her, ist – um es vorsichtig zu sagen – die Konfrontation der Menschen mit einer vertikalen, mit einer ganz anderen Perspektive.“ Das ist eine starke Aussage. Letztlich ist es die Perspektive Gottes, die er von der Kirche erwartet.

Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hat kürzlich in einem Interview mit der Zeitschrift „Herder Korrespondenz“ gesagt, er selbst habe in Sachen Reformen in der Vergangenheit so viel gekämpft, dass er darüber müde geworden sei. Er beschäftige sich mit der Gottesfrage, die letztlich viel wichtiger sei. Es geht also um Gott. Lebe ich das, wofür ich einmal Rechenschaft ablegen muss: die Gottes- und Nächstenliebe? Ist es richtig, dass ich die Erfüllung meiner tiefsten Sehnsucht nur in ihm finde, weil ich auf ihn hin geschaffen bin? Wie soll ich das in meinem Leben realisieren? Wenn Gott existiert, hat er dann einen Auftrag für mich, eine Sendung für mein Leben?

Bronnie Ware, die Sterbende begleitet hat, schreibt in ihrem Buch „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“, dass die meisten Menschen kurz vor ihrem Tod gesagt haben, dass sie am Sinn ihres Lebens vorbei gelebt haben – sie haben sich leben lassen. Damit haben sie auch verfehlt, was Gott ihnen als Auftrag mitgegeben hat für ihr Leben. Auf dem Totenbett zeigt sich, was die Menschen zutiefst wollen: ein gelingendes Leben, was auch und wesentlich mit Beziehung zu dem ganz Anderen zu tun hat.

Kirche in einer Umbruchsituation

Derzeit sind wir in der Kirche in einer Umbruchsituation. Solche kennt man auch in der Psychologie. Wer über lange Zeit destruktiven Lebensmustern folgt, erleidet früher oder später Schiffbruch. Bei einer Therapie in einer psychosomatischen Klinik sehen die Betroffenen dann irgendwann meistens ein: Wenn sie den bisherigen Weg weitergehen, zerstören sie sich selbst. Aber ihre negativen Muster sind inzwischen mächtig geworden, sodass Abhängigkeiten bestehen. Jeder weiß, wie schwierig Veränderung ist. Das Problem besteht vor allem darin, dass das Neue, das man – wenn die Therapie gut läuft – bereits sieht und erkennt, nun in die Tat umgesetzt werden muss. Doch es ist vielfach noch nicht tragfähig genug. Die Patienten können es in Konturen erkennen: In diese Richtung könnte mein Leben künftig gehen. Aber es ist noch nicht eine innere Wirklichkeit in ihrem Leben geworden und so tappen sie im Niemandsland. Jeder von uns kennt diese Not, auch wenn er nicht gleich in eine Klinik muss. Das Alte bricht weg, das Neue ist noch nicht tragfähig. Alles andere als ein erfreulicher Zustand.

Gefahr der Anpassung an die gesellschaftliche Wirklichkeit

In Bezug auf unsere Kirche erleben wir derzeit Ähnliches. Joseph Ratzinger hat schon 1977 dazu gesagt: „Kirche ist heute in einer ganz neuen Weise […] in die Zeit der Wüste hineingeschickt. Sie hat so viele Behausungen und Sicherungen verloren. Nichts von dem, was sie zu tragen schien, hält mehr.“ Er beschreibt genau diese Umbruchsituation. Nichts hält mehr. Alles wird in Frage gestellt. Was gilt noch? „An die Kirche unserer Zeit drängen sich die Halluzinationen der Wüste und ihre Versuchungen heran. Da der ferne Gott zu ungreifbar geworden ist, versucht man es mit dem Näheren. Die Weltlichkeit selbst wird zur maßgeblichen Haltung des Christen erklärt. Das heißt, das Aufgehen in der Welt wird als der wahre Dienst Jesu Christi ausgelegt.“ Eine undifferenzierte Anpassung an die gesellschaftliche Wirklichkeit nennt Ratzinger eine Versuchung. Warum ist diese so stark? Weil wir Angst haben, dass es uns so geht wie den Propheten. Sie wurden mit sozialer Ächtung bestraft – wir als Christen heute oft auch. Bischof Dr. Bertram Meier hat das einmal so formuliert: „Wir sind alle in Gefahr, Bühnenmenschen zu werden.“ Das heißt, dass wir auf der Bühne des Lebens ein Schauspiel abliefern, hinter dem aber das eigentliche Leben gar nicht mehr sichtbar wird. Und weiter: „Non fare una brutta figura – Nur keine unschöne Figur abgeben.“

Verantwortung der Hirten

Es ist schon von der Struktur der Kirche her gesehen unsere Aufgabe, querständig in die Zeit hineinzusprechen. Warum? Ein priesterliches Amt etwa ist nicht auf Zeit gegeben wie beim Mandat eines Politikers: „Du bist Priester auf ewig“. Priester brauchen sich deshalb nicht einer Wahl stellen und sind nicht vom Beifall der Leute abhängig. Sie sind in gewisser Weise aus dem Getriebe, das sonst in der Welt herrscht, herausgenommen. Weil sie diese Unabhängigkeit haben, ist es ihre Aufgabe als Hirten und Verantwortungsträger der Kirche, auch kritisch in die Zeit hineinzusprechen.

Frage um Ehe und Familie hat Bekenntnisstatus

Zum Schluss ein konkretes Beispiel für die Querständigkeit zum Zeitgeist geben. In „Christ in der Gegenwart“ hat Johannes Röser vor zwei Monaten einen Aufsatz geschrieben. Er war Chefredakteur dieses Blattes, ist jetzt dessen Herausgeber und bringt sich in der Zeitschrift „Publik-Forum“ im Ressort Politik und Gesellschaft immer wieder ein. Röser hat im Blick auf die durch die Regierung geplante Transformation des Familienbegriffs die Rede von Papst Benedikt XVI. im Bundestag 2011 zitiert: „Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann.“ Was ist bei der Transformation des Familienbegriffs geplant? Nichteheliche oder pseudoeheliche Beziehungen werden zu Verantwortungsgemeinschaften erklärt. Das heißt konkret, dass zum Beispiel ein Kind bis zu vier Elternteile haben kann. Es soll, wenn ein lesbisches Paar ein Kind haben möchte, der Vater als Samenspender auch ein gewisses Mitspracherecht haben – und schon sind drei „Elter“ beteiligt. Röser schreibt, dass die sprachliche Neudefinierung dazu diene, die Ehe zu relativieren. Gleichzeitig werde die Familie zu einem spät neuzeitlichen künstlichen Produkt kleinbürgerlicher Biederlichkeit umdeklariert, was verschleiere, dass Ehe und Familie Institutionen des Menschengeschlechts seit Jahrtausenden seien im Sinn: Nachwuchs zeugen, aufziehen, erziehen, ins Erwachsensein bringen und damit den Fortbestand der Gemeinschaft sichern. Röser weiter: „Es ist absurd, wenn der Staat das relativiert, um im Nachhinein psycho-soziale Gesundheits-Reparaturagenturen aufzubauen. Ehe und Familie – nur eine Verantwortungsgemeinschaft? Bedeutend mehr: eine Verbindlichkeitsgemeinschaft, unübertroffen, einzigartig.“

Nach Röser hat die Frage um Ehe und Familie Bekenntnisstatus und da gibt es keine Kompromisse. Wer von Ihnen hat gehört, dass gegen diese Neubetrachtung der Familie Verantwortliche in unserer Kirche energisch und lautstark aufgestanden sind und sagten: Das ist nicht mit der Offenbarung Gottes vereinbar! Wir zerstören die Grundlagen unserer Gesellschaft. Vor unseren Augen passiert das. Und das kritisiert Johannes Röser. Solches Reden ist prophetisch. Dafür bekommt man keine Streicheleinheiten. Wir müssen diese Kritik aber um der Menschen willen aussprechen. Wenn man andere Gemeinschaften und Beziehungen mit der Ehe gleichsetzt, hebt man de facto ihren besonderen Status auf.

Was wollen die Menschen? Dass man ihnen nach dem Mund redet? Bestimmt ist es so, so steht es schon bei den Propheten. Aber sie wollen auch mit der Vertikalen konfrontiert werden, mit einer ganz anderen Perspektive: mit dem, wie Gottes Blick auf das Ganze ist. In der jetzigen Umbruchszeit wird vieles verloren gehen, die Dinge werden sich ändern. Es ist auch gut so. Unsicherheiten tauchen auf. Aber trotzdem und gerade jetzt braucht es prophetische Inspiration, die von Gott her in die Zeit hineinspricht und darlegt, was unter keinen Umständen aufgebbar ist, weil sonst furchtbare Zerstörung passiert. Das ist die Aufgabe des prophetischen Amtes in der Kirche.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2022
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Radio Horeb und der „Mariathon 2022“

„Stimme des Friedens“ in Afrikas Länder bringen

Die missionarische Wirkung von Radio Maria in Afrika ist gewaltig. Es lohnt sich, in dieses erstaunliche Werk der Evangelisierung zu investieren. Zur Spendenaktion kommen die Reliquien der hl. Therese von Lisieux in die Balderschwanger Pfarrkirche, die zur Verehrung Tag und Nacht geöffnet sein wird. Spendenhotline Mariathon: 08328 921-180.

Von Richard Kocher

In diesem Jahr findet der Mariathon vom 13.-15. Mai statt – zum 10. Mal! Nie hätte ich geglaubt, dass Radio Horeb zusammen mit Radio Maria Italien einmal der Hauptpromotor zum Aufbau von Radiostationen in der ganzen Welt, besonders aber in Afrika, werden würde. In diesem Jahr übernehmen wir alle Projekte der Weltfamilie für Afrika in Nigeria (sieben Frequenzen, zwei neue Studios), Südsudan (neue Übertragungsstation in Tambura), Ruanda (Erweiterung des Gebäudes von Kibeho), Gabun (Ende der Bauarbeiten und neues Studio), Malawi (neues Studio in Lilongwe), Angola (neues Nebenstudio in Uige) und Mosambik (neues Hauptstudio von Radio Maria). Dazu kommen noch die jährlichen Kosten für den Satelliten, der die afrikanischen Radio Maria-Stationen untereinander verbindet, sowie für den Strom und den Unterhalt vieler Sender im Irak, in Syrien, Jordanien und Ägypten und bei marianischen Heiligtümern.

Auch in diesem Jahr können wir zwei Spitzenvertreter der afrikanischen Kirche bei uns begrüßen: Es sind dies der emeritierte Erzbischof von Abuja/Nigeria, Kardinal Dr. John Onaiyekan, und Msgr. Dr. Joseph Kimu aus Lilongwe/Malawi. Kardinal Onaiyekan war Generalrelator der afrikanischen Synode Anfang der 90er Jahre sowie Präsident der nigerianischen Bischofskonferenz und des Symposiums der Bischofskonferenzen von Afrika und Madagaskar. Für sein Land ist in diesem Jahr die größte Spendensumme in Höhe von einer Million Euro vorgesehen. Nigeria braucht die „Stimme des Friedens“ wie kaum ein anderes Land. Es ist der bevölkerungsreichste Staat des Kontinents mit 200 Millionen Einwohnern. 250 verschiedene ethnische Gruppen tun sich nicht leicht, friedlich zusammenzuleben. Immer wieder kommt es zu Übergriffen auf Christen, die diesen hilflos ausgesetzt sind. Nirgendwo sonst kommen so viele Menschen für ihren Glauben um wie in Nigeria: Wenn 100 Christen sterben, dann statistisch gesehen 70 davon in Nigeria. Msgr. Joseph Kimu ist seit 2009 Programmdirektor von Radio Maria Malawi. Es ist dort das meistgehörte Radio des Landes und sendet 24 Stunden live. Kimus Bischof hat ihn mit der Umsetzung von dringend notwendigen Hilfsmaßnahmen für Waisenkinder und landwirtschaftliche Projekte beauftragt. Beide wollen wir als soziales Projekt im Zusammenhang mit dem Mariathon unterstützen.

Zusätzlich zu Kardinal Onaiyekan und Msgr. Kimu werden wir in diesem Jahr noch einen besonderen Gast begrüßen können: Es ist die hl. Therese von Lisieux! Während des Mariathons werden ihre Reliquien zur Verehrung in unserer Pfarrkirche sein, die zu diesem Zweck Tag und Nacht geöffnet sein wird. Nach alter kirchlicher Überlieferung kommt mit den Reliquien die Heilige selbst. Zusammen mit dem hl. Franz Xaver ist sie die Hauptpatronin der Weltmission. Papst Pius X. nannte sie die größte Heilige der Neuzeit. Der von ihr gelebte „kleine“ Weg der Heiligkeit, die gewöhnlichen Dinge des Alltags außergewöhnlich gut zu tun, ist für viele Christen eine große Inspiration ihres Glaubenslebens. Besonders im Umgang mit dem Nächsten hat sich diese Spiritualität zu bewähren, denn nach der hl. Therese besteht die vollkommene Liebe darin, „die Fehler der anderen zu ertragen, sich nicht über ihre Schwächen zu wundern und sich an den kleinsten Tugendakten zu erbauen“.

Radio Maria ist in Afrika dem Volk Gottes nahe, es zu unterstützen und die Herausforderungen im Glauben und in der Hoffnung für eine Zukunft des Friedens zu bewältigen. Es ist eine Pfarrei (Hl. Messe, Stundengebet, Rosenkranz), eine Schule (Bildungswesen, christliche Erziehung für die Kinder und Studenten), ein Gesundheitszentrum (Hygiene, Gesundheitsvorsorge), ganz besonders aber ein Instrument der Verkündigung und der Versöhnung an Orten des Konflikts. Mit einem einfachen Telefonanruf beim Sender von Radio Maria können die afrikanischen Bischöfe ihrer pastoralen Arbeit in diesen schwierigen Zeiten nachkommen, was angesichts der riesigen Territorien des Kontinents ein großer Segen ist.

Wir stöhnen über die Strom- und Spritpreise sowie die steigenden Lebenshaltungskosten. Afrika ist von der weltweiten Krise noch viel mehr betroffen als wir, denn auch dort schlagen die erhöhten Preise durch und die sowieso schon geschwächte Wirtschaft liegt dann vielfach am Boden. Deshalb bitten wir Sie um eine Sonderspende für den Mariathon, auch darum, diese der Weltfamilie im gesamten zur Verfügung zu stellen und nicht für einzelne Projekte. Weil Radio Horeb aber dauernd auf Hilfe angewiesen ist, danken wir Ihnen herzlich für einen Dauerauftrag. Handeln auch Sie nach dem Grundsatz: Jeder Tropfen trägt bei zum Meer und meiner ist wesentlich. Es gibt keine lästige Werbung bei Radio Horeb und wir erhalten auch keine Einnahmen aus Gebühren oder Mitteln der Kirchensteuer. Wir vertrauen auf die Vorsehung Gottes und die Großzügigkeit der Menschen, von der wir leben. Jedes Opfer für die Verbreitung des Evangeliums bringt reichen Segen, denn „der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ (Mt 4,4).

Eine Novene als Vorbereitung auf den Mariathon finden Sie auf unserer Homepage www.horeb.org – Die Spenden-Konto-Nr. beim Mariathon lautet: IBAN: DE 96 7509 0300 0007 6155 15 – Bitte als Verwendungszweck angeben: „Mariathon“  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2022
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„Dieses Gebet bedeutet das Verweilen in der Lebenssphäre Mariens, deren Inhalt Christus ist“

Der Rosenkranz – eine Schule größerer Verinnerlichung

In einem 440 Seiten umfassenden Buch hat Dr. Peter Dyckhoff, bekannt durch seine Veröffentlichungen zum Ruhegebet, nun den Rosenkranz erklärt und die Geheimnisse mit eindrucksvollen Betrachtungen vertieft. Er behandelt neben den freudenreichen, lichtreichen, schmerzhaften und glorreichen auch die sog. trostreichen Rosenkranzgeheimnisse. Dabei schöpft er aus der Heiligen Schrift, aber auch aus seinem persönlichen Erfahrungsschatz. Er bietet eine wunderbare Hilfe an, durch die das Rosenkranzgebet zu echter Betrachtung werden kann.

Von Peter Dyckhoff

Gebete zu wiederholen und sie an Steinchen, Körnern oder Perlen abzuzählen, gibt es in vielen Weltreligionen; nicht nur im Christentum. Besonders verbreitet ist die Gebetsschnur in Indien. Hier ist sie seit dem 1. Jahrhundert nach Christus nachweisbar. Im Hinduismus wird die Gebetsschnur bei Anrufungen der Götter verwendet. Auch der Buddhismus kennt die Gebetsschnur. Im Islam ist sie seit dem 9. Jahrhundert nach Christus gebräuchlich, und das vor allem im Sufismus, der Mystik des Islam. Die Gebetsschnur soll es dem Beter erleichtern, bei den Anrufungen Allahs keinen von seinen 99 Namen zu übersehen.

Der Rosenkranz, den wir im Christentum verwenden, besteht aus sechs großen und 53 kleinen Perlen mit einem Kreuz – auf einer Kette oder Schnur aufgereiht. Der Rosenkranz geht auf die „Paternoster-Schnur“ aus dem 13. Jahrhundert zurück. Die Schnur mit aneinandergereihten Kugeln oder Perlen dient zur Zählung der Gebete. Die Wiederholung von Gebeten und sie mit den Perlen abzuzählen, entspringt einem praktischen Bedürfnis. Das zehnmal wiederholte Gesätz dient der Beruhigung, dem Abschalten profaner Gedanken, dem Innehalten und der Entfaltung der Innerlichkeit und entspricht der menschlichen Natur.

Die Zahl Zehn hat eine starke Symbolkraft: die Zehn Gebote, der Zehnt, eine Abgabe aus dem bäuerlichen Jahresertrag an die Ortsheiligtümer, zehn Brüder Josefs, David spielt für den Herrn auf einer zehnsaitigen Harfe, das Gleichnis von den zehn Jungfrauen, eine Frau hat zehn Drachmen und verliert eine davon, zehn Aussätzige kamen Jesus entgegen, der Herr rief zehn seiner Diener zu sich und verteilte unter sie zehn Minen, die Zahl der Engel war zehntausendmal zehntausend.

Johannes Cassian (360-435), der durch seine Aufzeichnungen das Ruhegebet tradiert hat, schreibt: „Nahm ein Wüstenvater eine Gruppe von Schülern auf, um sie in das Geheimnis des schweigenden Betens einzuführen, waren es niemals mehr als zehn.“ Er hielt sich damit an die von Mose gegebene Anweisung: Mose wählte sich tüchtige Männer in ganz Israel aus und setzte sie als Hauptleute über das Volk ein, als Vorsteher für je tausend, hundert, fünfzig und zehn (Exodus 18,25).

Die Symbolkraft der Zehn spiegelt ein abgewogenes Maß und eine geistliche Fülle wider. Dies kommt auch beim Rosenkranzgebet in besonderer Weise zum Ausdruck.

Der Rosenkranz ist eine außerliturgische Gebetsart im Christentum zu Ehren der Mutter Gottes, die sowohl von Einzelnen als auch in Gemeinschaft gebetet wird. Romano Guardini (1885-1968) schreibt: „Dieses Gebet bedeutet das Verweilen in der Lebenssphäre Mariens, deren Inhalt Christus ist.“

Während des Betens des Rosenkranzes wird immer neu ein Übergang geschaffen vom mündlichen zum betrachtenden Gebet. Dazu möchte dieses Buch beitragen, indem zu jedem Gesätz ein Kommentar gegeben wird, der sowohl das aufgezeigte Bild als auch vornehmlich den Glauben vertiefen möchte. Auf diese Weise wird der Rosenkranz zu einer Schule größerer Verinnerlichung.

Das jährliche Rosenkranzfest am siebten Oktober ist leider zum Gedenktag herabgestuft. Bedauerlicherweise kommt noch hinzu, dass unter den rationalistischen Tendenzen der neuen Zeit das Rosenkranzgebet weniger angenommen und von jungen Menschen kaum noch gebetet wird. Der siebte Oktober stellt kein Gedenken an den Rosenkranz dar, sondern Maria wird als Königin des heiligen Rosenkranzes angesprochen. Gerade dieses Gebet stellt die intensivste Form der Marienverehrung durch seine Schlichtheit und Gedankentiefe dar. Es lädt ein, zu verweilen, um das Glaubensgeschehen intensiver zu erfahren. Das Zentrum des Rosenkranzgebetes jedoch ist und bleibt die Heilstat Jesu Christi, die sich in den Geheimnissen seines irdischen wie seines himmlischen Lebens entfaltet. Dies geschieht unter besonderer Einbeziehung der Gottesmutter.

Die Gebete des Rosenkranzes zeigen die hohe christologische Bedeutung dieser Gebetsweise, indem es die Kindheit Jesu, seine Lehre, seine Passion, seinen Tod und seine Auferstehung, die Geistsendung und die Verherrlichung Mariens einbezieht. Im Rosenkranzgebet ist die gesamte Lebensbewegung Christi, sein irdisches Dasein und seine Postexistenz beim Vater enthalten, das heißt, die geschichtliche wie auch die kosmische Dimension des Erlösungsgeschehens. Maria, die Mutter Jesu kommt uns dabei entgegen, indem sie uns in das reale Geheimnis Christi auf wunderbare Weise einführt. So stellt das Rosenkranzgebet einen hervorragenden Abriss des gesamten Evangeliums dar. „Folge mir nach“, heißt die innere Konsequenz.

Geschichte des Rosenkranzes im Christentum

Der Rosenkranz kann auch die Bezeichnung für das Rosenkranzgebet selbst sein. Dieses Gebet ist die am weitesten verbreitete katholische Gebetsform. Sie verbindet eine Marienverehrung und eine Christusfrömmigkeit, die Jesus Christus in seinem Leben, seinem Leiden und in seiner Auferstehung und Wiederkunft betrachtet. Ein Vaterunser, zehn Ave Maria und ein „Ehre sei dem Vater“ bilden ein Gesätz.

Woher stammt für diese Gebetskette der Name „Rosenkranz?“ Das Wort Rosenkranz leitet sich vom lateinischen Wort „Rosarium“ ab und bedeutet eine Rosenhecke, einen Rosengarten oder einen Kranz aus Rosen. In der christlichen Bildkunst symbolisieren Rosengewächse Maria, die Mutter Jesu. Auf vielen Bildern trägt Maria einen Kranz aus Rosen auf ihrem Kopf. In der Lauretanischen Litanei wird Maria als „Rosa mystica“ („geheimnisvolle Rose“) bezeichnet. Marienverehrer pflegten Marienstatuen mit einem Blumen- bzw. Kranz aus Rosen zu schmücken. Das Rosarium aus wirklichen Rosen wurde durch häufiges Beten des Ave Maria abgelöst, das ebenfalls „Rosenkranz“ genannt wurde. Ab dem 15. Jahrhundert erhielt die Gebetskette dann den Namen „Rosenkranz“.

Im 11. Jahrhundert schuf Petrus Damiani (um 1006-1092) die Form des Ave Maria, wobei er den Engelsgruß aus dem Lukasevangelium übernahm. Der Zisterzienser-abt Stephan von Sallay (gest. 1252) stellte die ersten Geheimisse zusammen. Dominikus von Preußen (gest. 1460), ein Kartäusermönch aus Trier, gab fünfzig Sätze aus dem Leben Jesu heraus, die der Kartäuser Adolf von Essen dann später auf fünfzehn verkürzte. Dass die Gesätze auf fünfzehn reduziert wurden, war die entscheidende Voraussetzung dafür, dass der Rosenkranz zum Volksgebet werden würde.

Die traditionellen fünfzehn Geheimnisse – die freudenreichen, die schmerzhaften und die glorreichen Geheimnisse – gehen zurück auf Louis-Marie Grignion de Montfort (1673-1716), der sie dem Evangelium entnahm. Diesen fünfzehn Geheimnissen fügte Papst Johannes Paul II. im Oktober 2002 anlässlich des 24. Jahrestages seiner Wahl zum Papst mit dem Apostolischen Schreiben „Rosarium Virginis Mariae“ eine weitere Fünfergruppe von Geheimnissen des Rosenkranzes, die lichtreichen Geheimnisse, hinzu. Außerdem ist es möglich, eigene Rosenkranzgeheimnisse zu formulieren. Ein Beispiel bietet das katholische Gebet- und Gesangbuch „Gotteslob“ (Nr. 4, Abschnitt 8, Seite 40, Ausgabe 2014) mit den trostreichen Geheimnissen, die die Wiederkunft Christi und das kommende Gottesreich betrachten.

Papst Pius X. (1835-1914) führte den „Gedenktag der allerseligsten Jungfrau Maria vom Rosenkranz“ ein und legte ihn auf den 7. Oktober. Seit 1960 wird dieser Tag als Gedenktag „Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz“ begangen.

Im Rosenkranzgebet wird das gesamte Heilsmysterium von der Schöpfung in Christus über seine Menschwerdung, sein Kreuz und Leiden, seine Erhöhung beim Vater bis zu seiner Parusie preisend bedacht. Nicht erst das Sprechen des Rosenkranzgebetes, sondern bereits das Tragen des Rosenkranzes ist mit Gnadenzuwendungen verbunden. Es ist gut, wenn nach dem Beten der Gesätze die Betrachtung des jeweiligen Geheimnisses folgt. Dieses Buch „Geheimnis des Rosenkranzes“ möchte zu einer solchen Glaubensvertiefung beitragen. Beim privaten Gebet ist das möglich, nicht aber beim gemeinsamen Gebet. Der Leben-Jesu-Rosenkranz ist auch nach seiner Entstehung vor fünfhundert Jahren immer noch das verbreitetste katholische Volksgebet, obwohl er oft innerkirchlicher Kritik ausgesetzt war.

Persönliche Begegnung mit dem Rosenkranz

Als ich mit siebzehn Jahren infolge eines Unfalls an der Wirbelsäule in der Universitätsklinik in Köln-Lindenthal operiert werden sollte, musste ich, trotz der Aufforderung, mich bereit zu halten, noch lange warten, bis ich in den Operationssaal gefahren wurde. Ich hatte innere Not und Angst und griff zu meinem Rosenkranz, der auf meinem Nachttisch lag und den ich sonst immer in meiner Hosentasche trug. Vielleicht auch als Folge der Beruhigungsspritze war ich nicht in der Lage, folgerichtig zu beten. Aber den Rosenkranz mit seinem Kreuz in meinen Händen zu halten, gab mir etwas mehr Ruhe und Vertrauen. Als ich dann endlich abgeholt wurde, hielt ich ihn in meiner rechten Hand fest umschlossen.

Nach gut überstandener Operation wachte ich auf und fühlte den Rosenkranz immer noch in meiner Hand. Aus dem Gefühl der Dankbarkeit und des Freiseins von Schmerzen, unter denen ich zu Hause gelitten hatte, liefen mir Tränen aus den Augen und ich betete den Rosenkranz. Die nicht ganz einfache Operation war geglückt, die Narkose mit Curare überstanden und ich befand mich am Beginn eines neuen Lebensabschnittes. Der Rosenkranz, wenn er auch nicht immer gebetet wurde, befand sich in meiner Tasche.

Ich möchte gern noch berichten, wie ein achtjähriger Junge in den Besitz eines Rosenkranzes kommt, den er immer bei sich trägt und beizeiten auch betet. Ich sagte niemandem etwas davon, um von meinen Klassenkameraden nicht verlacht zu werden. Dass ein kleiner Junge an einem Rosenkranz hängt, muss wohl außergewöhnlich gewesen sein.

Da mein Elternhaus durch Bomben unbewohnbar war, zogen wir 1945 in das Haus meiner Großeltern, die infolge der Wohnungsnot sowieso zusätzliche Mieter in ihr Haus aufnehmen mussten. Es war ein geräumiges Haus, das in früheren Zeiten durch meine Großeltern, ihre sechs Kinder und eine Erzieherin voll genutzt wurde. Fräulein Anna Kromeich aus Montabaur war seit ewigen Zeiten in unserer Familie tätig. Den Endpunkt ihrer pädagogischen Arbeit bildete ich, worüber ich sehr froh und dankbar war, da meine Eltern mit den Aufräum- und Aufbauarbeiten alle Hände voll zu tun hatten.

Ich war Tante Kromeich täglich, außer sonntags, ab vier Uhr zum Lernen zugeteilt. Doch bestand die Zeit, die ich mit ihr verbrachte, nicht nur im Erledigen der Schulaufgaben, sondern sie versuchte – da sie selbst eine sehr religiöse Frau war –, auch bei mir den christlich katholischen Glauben zu wecken, ihn zu vertiefen und immer wieder zu erneuern. Es blieb nicht aus, dass sie mich auch durch gemeinsames Beten in das Rosenkranzgebet einführte und mir einen in meinen Augen sehr kostbaren Rosenkranz schenkte. Ihn, wie auch das damit verbundene Gebet, gewann ich lieb – eine Erwiderung auf die von ihr geschenkte Liebe.

Der Rosenkranz stellte eine geheime Verbindung zwischen Tante Kromeich und mir her und ich sagte niemandem etwas davon. Ich trug ihn bei mir in allen Lebenssituationen und betete ihn ganz besonders in Bedrängnis. Ich erinnere mich, wie ich mich einmal seiner schämte, als er mir in der Sportstunde aus der Turnhose fiel und Mitschüler es bemerkten. Für kein Geld in der Welt hätte ich ihn hergegeben. Die Zeit verging und Tante Kromeich war längst im Himmel, doch ihr wunderschöner Rosenkranz war immer noch bei mir und erinnerte mich an sie.

Als ich 25 Jahre alt war und noch im Studium war, verunglückte mein Vater tödlich durch einen Autounfall. Meine Mutter, meine Schwester und ich waren außerordentlich betroffen und unser aller Leben änderte sich danach. Als ich Vater am Tag vor seiner Beerdigung allein in der Leichenhalle besuchte, versprach ich ihm, seinen Platz im elterlichen Unternehmen einzunehmen, wogegen ich mich immer – zu seinem Leidwesen – mit Händen und Füßen gesträubt hatte. Ich sah seine gefalteten Hände, griff in meine Hosentasche und nahm den Rosenkranz in meine Hände. Ohne lange zu überlegen, konnte ich mich wegen Vaters Liebe zu mir von meinem „Heiligtum“ trennen. Behutsam legte ich den Rosenkranz in seine Hände und wiederholte noch einmal mein Versprechen.

Als ich ging, kam ich mir leer und einsam vor. Vieles veränderte sich und es begann eine sehr schwere Zeit für mich. Ich fuhr des Öfteren in das benachbarte Benediktinerkloster Gerleve, um Ab­stand zu meinem Alltag zu gewinnen und mich mit einem Pater zu besprechen. Der Besuch der Klosterbuchhandlung durfte nicht fehlen. Als ich absichtslos an einem Ständer mit Rosenkränzen vorbeiging, dachte ich an Tante Kromeich und zur gleichen Zeit sah ich einen Rosenkranz, der dem glich, den ich früher einmal von ihr geschenkt bekommen hatte. Noch heute trage ich ihn bei mir…

Beten mit dem Rosenkranz

Mitte und Ziel des Rosenkranzes ist Jesus Christus, Gottes Sohn. Mit Maria schauen wir auf sein Leben. Sie hat Jesus gekannt wie kein anderer Mensch; sie hat ihn begleitet auf allen wichtigen Stationen seines Lebens – bis unter das Kreuz. An ihr wurde die Macht der Auferstehung sichtbar: Sie wurde aufgenommen in die Herrlichkeit Gottes – Zeichen der Hoffnung für die Kirche und für alle Menschen.

In den Gesätzen des Rosenkranzes – Sätze, die das „Gegrüßet seist du, Maria“ erweitern – betrachten wir die Geheimnisse des Glaubens. Die Wiederholung derselben Sätze schenkt innere Ruhe. Die Perlen des Rosenkranzes sind eine Hilfe beim Beten.

Und die Kommentare, die das Buch anbietet, können das betrachtende Gebet vertiefen. Sie möchten den Rosenkranz zu einer Schule werden lassen, in der der Beter lernt, die Geheimnisse des Glaubens zu verinnerlichen, und in seiner Beziehung zu Jesus Christus gestärkt wird.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2022
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Eine weltkirchliche Antwort auf den „Synodalen Weg“

„Brief an unsere Mitbrüder im Bischofsamt in Deutschland“

Am 11. April 2022 haben Oberhirten aus aller Welt einen Brief an ihre Mitbrüder in Deutschland gerichtet, in dem sie ihrer großen Sorge über den „Synodalen Weg“ Ausdruck verleihen. Sie weisen auf eindeutige Widersprüche zur Lehre der Kirche hin und warnen vor einer neuen Kirchenspaltung. Bisher haben 74 Kardinäle und Bischöfe vor allem aus Amerika und Afrika den Brief unterzeichnet.

Von Kardinälen und Bischöfen aus aller Welt

Im Zeitalter der schnellen globalen Kommunikation wirken sich die Ereignisse in einem Land unweigerlich auch auf das kirchliche Leben in anderen Ländern aus. So hat der Synodale Weg, wie er derzeit von den Katholiken in Deutschland beschritten wird, Auswirkungen auf die Kirche weltweit. Dies gilt auch für die Ortskirchen, die wir als Hirten betreuen, und die vielen gläubigen Katholiken, für die wir Verantwortung tragen.

Aus diesem Grund fühlen wir uns angesichts der Ereignisse in Deutschland gedrängt, unsere wachsende Sorge über den Charakter des gesamten Synodalen Weges und den Inhalt der synodalen Dokumente zum Ausdruck zu bringen. Unsere diesbezüglichen Bemerkungen sind hier bewusst kurz gehalten. Sie würden zwar eine weitere Ausarbeitung durch einzelne Bischöfe erfordern, wozu wir nachdrücklich ermutigen (wie z.B. Erzbischof Samuel Aquilas „Ein Offener Brief an die katholischen Bischöfe der Welt“), doch verlangt die Dringlichkeit der Situation eine kurze Stellungnahme im Sinne der Warnung des heiligen Paulus in Römer 12,2: „Gleicht Euch nicht dieser Welt an.“ Der Ernst der Lage ergibt sich ferner aus der Verwirrung, die der Synodale Weg bereits verursacht hat und weiterhin verursacht, und einem dadurch unweigerlich drohenden Schisma im Leben der Kirche.

Die Notwendigkeit von Reform und Erneuerung ist so alt wie die Kirche selbst. Das Verlangen danach ist prinzipiell lobenswert und kein Grund zur Angst. Viele der am Synodalen Weg Beteiligten sind zweifellos von den besten Absichten geleitet. Doch die Geschichte des Christentums ist übersät mit gutgemeinten Versuchen, die jedoch ihre Verankerung im Wort Gottes, in der treuen Begegnung mit Jesus Christus, im echten Hören auf den Heiligen Geist und in der Unterordnung des eigenen Willens unter den des Vaters verloren haben. Solche gescheiterten Reformversuche haben sowohl das Evangelium als auch die Einheit, die Erfahrung und den Weisheitsschatz der Kirche außer Acht gelassen. Da sie die Worte Jesu „Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,5) missachtet haben, blieben sie fruchtlos und schadeten der Kirche in ihrer Einheit und ihrer evangelischen Vitalität. Der deutsche Synodale Weg droht in genau solch eine Sackgasse zu führen.

Als Ihre Mitbrüder im Bischofsamt haben wir unter anderem folgende Bedenken:

1. Die Stimme des Heiligen Geistes und des Evangeliums überhörend, untergräbt der Synodale Weg die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Autorität, einschließlich der von Papst Franziskus, die christliche Anthropologie und Sexualmoral sowie das Vertrauen in die Heilige Schrift.

2. Obwohl sie eine Fülle religiöser Ideen und Begriffe verwenden, scheinen die Texte des deutschen Synodalen Weges größtenteils nicht vom Wort Gottes und der Tradition – die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil „den einen der Kirche überlassenen heiligen Schatz des Wortes Gottes“ bilden (DV 10) –, sondern von soziologischen Analysen und zeitgenössischen politischen Ideologien, einschließlich der Genderideologie, inspiriert zu sein. Sie betrachten die Kirche und ihre Mission eher durch die Brille der Welt als durch die Brille der in der Heiligen Schrift und der verbindlichen Tradition der Kirche geoffenbarten Wahrheit.

3. Die Inhalte des Synodalen Weges scheinen auch den Begriff der christlichen Freiheit umzudeuten und damit zu schmälern. Für den Christen setzt Freiheit das Wissen um das rechte Handeln voraus, besteht sie doch in der Bereitschaft und der ungehinderten Fähigkeit, das Richtige zu tun. Freiheit ist nicht „Autonomie“. Authentische Freiheit ist nach der Lehre der Kirche an die Wahrheit gebunden und auf das Gute und letztendlich auf die Glückseligkeit des Menschen hin geordnet. Das Gewissen, das ja mit persönlicher Vorliebe oder gar Selbstbehauptung nicht verwechselt werden darf, ist keine schöpferische Quelle von Wahrheit. Ein gut gebildetes christliches Gewissen bleibt der Wahrheit über die menschliche Natur und den von Gott geoffenbarten und von der Kirche Christi gelehrten Normen für ein rechtschaffenes Leben verpflichtet. Jesus ist die Wahrheit, die uns befreit (Joh 8).

4. Die Freude des Evangeliums – die für das christliche Leben wesentlich ist, wie Papst Franziskus so oft betont – scheint den Diskussionen und Texten des Synodalen Weges völlig zu fehlen; ein bezeichnendes Manko für einen Prozess, der persönliche und kirchliche Erneuerung anstrebt.

5. Das Verfahren des Synodalen Weges ist fast durchgängig von Experten und Ausschüssen bestimmt: es ist bürokratielastig, zwanghaft kritisch und nach innen gerichtet. Damit spiegelt es selbst eine weit verbreitete kirchliche Sklerose wider und widerspricht ironischer Weise Ton und Charakter des Evangeliums. In Wirklichkeit zeigt der Synodale Weg mehr Unterwerfung und Gehorsam gegenüber der Welt und deren Ideologien als gegenüber Jesus Christus, dem Herrn und Erlöser.

6. Die Fokussierung des Synodalen Weges auf „Macht“ in der Kirche zeugt von einem Geist, der dem wahren Wesen des christlichen Lebens grundlegend widerspricht. Denn letztlich ist die Kirche keine Institution, sondern eine organische Gemeinschaft. Als solche ist sie nicht egalitär, sondern familiär, komplementär und hierarchisch – ein Volk, das durch die gemeinsame Liebe aller zu Jesus Christus und zueinander im Namen Christi zusammengehalten wird. Die Reform der Strukturen bedeutet keineswegs schon die Bekehrung der Herzen. Die Begegnung mit Jesus, wie sie im Evangelium und im Leben der Heiligen im Laufe der Geschichte zu sehen ist, verändert Herz und Geist, bringt Heilung, führt weg von einem Leben in Sünde und Unglück und zeigt so die Macht des Evangeliums.

7. Ein letztes, besorgniserregendes Problem sei noch genannt; eine geradezu paradoxe Wirkung des Synodalen Weges in Deutschland: Dessen zerstörerische Effekte könnten einige Bischöfe und viele, fromme Laien dazu bringen, der Idee der „Synodalität“ selbst zu misstrauen. Dies würde das notwendige Gespräch innerhalb der Kirche über die Erfüllung ihrer Mission zur Bekehrung und Heiligung der Welt schmerzhaft behindern.

In einer Zeit der Verwirrung ist das Letzte, was unsere Glaubensgemeinschaft braucht, noch mehr vom Gleichen. Bei Ihrem Ringen um die Erkenntnis des Willens des Herrn für die Kirche in Deutschland versprechen wir Ihnen unser begleitendes Gebet.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2022
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Der Steyler Missionar Br. Ephrem Pint (1911-1943)

Von der Eifel nach Papua-Neuguinea

Ein inspirierender Impuls für die Evangelisierung, wie sie Papst Franziskus zur Mitte allen kirchlichen Handelns erklärt hat, kann von der Missionsbewegung des 19. Jahrhunderts ausgehen. Prälat Prof. Dr. Helmut Moll, Herausgeber des Deutschen Martyrologiums des 20. Jahrhunderts, hebt hervor, dass der missionarische Aufbruch von katholischer wie evangelischer Seite ausging und weit ins 20. Jahrhundert hineinreichte. Ausschlaggebend war eine neue Besinnung auf das Evangelium. Doch in der Mission kommt es nicht nur auf die Wortverkündigung an, sondern auf das Zeugnis des Lebens im selbstlosen Dienst an den Mitmenschen. Ein leuchtendes Beispiel hierfür ist der Steyler Missionar Bruder Ephrem Pint (1911-1943).

Von Helmut Moll

Die Missionsidee erlebte im beginnenden 20. Jahrhundert einen unerhörten Aufschwung, der auch konfessionsübergreifend wirksam wurde. Mit vollem Recht sprach man von einem „Missionsjahrhundert“. Neue Missionsgesellschaften und Missionsvereine wurden gegründet. Die Verbreitung des Christentums in Übersee, vor allem in Afrika, Asien und Ozeanien, sorgten für eine Belebung des Missionsgedankens. Auch im deutschsprachigen Raum kam es zu mehreren Gründungen. Im evangelischen Bereich entstand die Basler Missionsgesellschaft im Jahr 1815, deren Mitglieder im Kaukasus, in Afrika, in Südindien und Südchina tätig waren. Die Berliner Missionsgesellschaft, die 1824 entstand, hatte ihren Schwerpunkt in Süd- und Ostafrika, später auch in China. Es folgten die Rheinische Missionsgesellschaft im Jahr 1828 und die Norddeutsche Missionsgesellschaft in Hamburg im Jahr 1836.

Auch in der katholischen Kirche wuchs der Missionsgedanke. Es entstanden über 300 Missionsvereine, so etwa die Gesellschaft Mariens, die vor allem in Ozeanien und in Neuseeland missionieren wollten. Unter der Leitung des hl. P. Eugène von Mazenod (1782-1861) wurden die Oblaten von der Unbefleckten Empfängnis Mariens gegründet, die nach Kanada, Algerien, Südafrika und Mexiko gingen. Hinzu kamen die Spiritaner unter der Leitung des vom Judentum konvertierten François Marie Paul (Jacob) Libermann (1802-1852) mit ihrer Mission in Schwarzafrika. Für Deutschland ist an erster Stelle die Gesellschaft des Göttlichen Wortes zu nennen, die im Jahr 1875 der hl. Arnold Janssen (1837-1909) gründete. Diese zogen nach China, aber auch nach Togo und Papua-Neuguinea. Hinzu kommen die Missionare der Heiligen Familie, die Missionsbenediktiner von St. Ottilien, die Afrikamissionare der Weißen Väter sowie verschiedene Frauenkongregationen franziskanischer, dominikanischer oder vinzentinischer Obedienz.

Es ist aufschlussreich zu erfahren, dass Deutschland sehr viele Missionare zu Beginn des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Die Männer und Frauen zeigten sich vom Evangelium beeindruckt, hatten sie doch den Missionsbefehl des auferstandenen Herrn im Kopf, der betont hatte: „Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Mt 28,18-20; vgl. Mk 16,15-16).

Einer dieser Missionare der Gesellschaft des Göttlichen Wortes war Matthias Pint. Er erblickte am 11. Februar 1911 in Krautscheid (Eifel) das Licht der Welt. Seine Eltern waren Peter und Margaretha Pint, geb. Faust, die ihrem Sohn den Namen des Apostels Matthias gaben; der Apostel ist der einzige, der in deutscher Erde ruht, liegt er doch in der Trierer Basilika begraben. In seiner Heimatpfarrei St. Martin in Krautscheid, das zu jener Zeit keine 100 Einwohner zählte, wurde er getauft.

Mit gut zwanzig Jahren entschloss sich Matthias Pint, Missionar der Gesellschaft des Göttlichen Wortes zu werden. Wie ist er auf diese Gemeinschaft gestoßen? Möglicherweise bezog die Familie das Missionsmagazin der Steyler Patres, in dem spannende Erzählungen über die Missionstätigkeit berichtet wurden; diese könnten den Ausschlag dafür gegeben haben, dass er auch in die Missionen gehen wollte. Aus diesem Grunde zog Matthias am 23. März 1932 in das saarländische Missionshaus St. Wendel. Dort begann er am 25. September 1932 das Brüdernoviziat. Hier erhielt er den Ordensnamen Ephrem (um 306-373), einem syrischen Diakon und Kirchenlehrer, einem bekannten Hymnendichter und Schriftsteller.

Br. Ephrem strebte nicht das Priestertum an, sondern wollte als Bruder im Orden der Steyler Missionare tätig werden. Die Brüder nahmen in aller Regel handwerkliche Berufe an, die im Orden hochgeschätzt waren. Ihnen wurden vornehmlich Aufgaben in der Landwirtschaft und in den großen Häusern übertragen. Das Brüdernoviziat dauerte zwei Jahre, die Brüder wurden in die Konstitutionen des Ordens eingeführt. Wie die Priester wollten sie die Evangelischen Räte leben, also in Armut, eheloser Keuschheit und Gehorsam wirken. Am 8. September 1934, dem Fest Mariä Geburt, legte er die ersten Gelübde ab. Die zweiten Gelübde folgten im Jahr 1935 im Mutterhaus der Steyler Missionare im niederländischen Steyl, unweit der deutschen Grenze. Durch den Kulturkampf unter dem Reichskanzler von Preußen Fürst Otto von Bismarck-Schönhausen (1815-1899) war es den katholischen Orden untersagt, in Deutschland Niederlassungen zu gründen; die Ordensgemeinschaft hatte sich infolgedessen in den Niederlanden angesiedelt.

Noch im Jahr 1935 erfolgte die Zuweisung Br. Ephrems als Missionar in Südostasien. Er zog nach Papua-Neuguinea; dort wurde er im Apostolischen Vikariat Zentral-Neuguinea, das zu jener Zeit von Bischof Joseph Lörks (1876-1943) geleitet wurde, als Missionar in der Landwirtschaft eingesetzt. Zwei Jahre später war er in Boikin im Einsatz. Er traf in der Küstenstation auf den deutschen Steyler Missionar P. Otto May (1903-1943), der sein Vorgesetzter war. Br. Ephrem kümmerte sich vor allem um die Kokosnussplantage und die Viehhaltung. Beides trug zur Verpflegung und Finanzierung der Mission bei. Im Jahr 1938 kam Br. Andreas (Josef) Matyl (1900-1943), von Beruf Schlosser und Maschinist, als Hilfe hinzu, weil es auf der Station und im Missionsgebiet ausreichend Arbeit für zwei Brüder gab.

Der Steyler Missionar P. Andreas Gerstner (1897-1963) schrieb von seiner Küstenstation am 21. Oktober 1937: „Im letzten Monat habe ich wieder eine größere Buschreise quer durchs Grasland zum Sepik gemacht, dieses Mal mit meinem Nachfolger in But. Zweck der Reise war, einen guten Weg ausfindig zu machen, den auch Pferde gehen können. Streckenweise arbeiten die Eingeborenen unter Aufsicht eines Regierungsbeamten am Weg. Die nächste Woche fahre ich mit unserem Bischof nach Wanimo an der Grenze Holländisch-Neuguineas, zwei Tage von hier. Wenn die Station Wanimo eröffnet ist, ist die Küste unseres Vikariates ganz von der Mission besetzt. In Wanimo soll ich bei zwei Brüdern zwei bis drei Monate bleiben, bis ein neuer Pater mich ablöst. Nach meiner Rückkehr von Wanimo werde ich ins Hinterland (Ulupu) übersiedeln. Der neue Bruder, namens Ephrem, ist für mich bestimmt, der war früher in St. Wendel. Wenn ich an den Transport zur neuen Station, gut vier Tage weit über hohe Berge, und an die Schwierigkeiten, wie sie mit den Goldsuchern zu erwarten sind, denke, bekomme ich einen leisen Schrecken. Aber der Herrgott lebt auch noch, und er wird schon sorgen. Die Neugründung der Station möchte ich allen sehr dringend dem Gebete empfehlen. P. Gerstner“ (Steyler Chronik Nr. 7, September 1938, 335-336). Aus diesem Bericht ist zu entnehmen, dass Br. Ephrem in der Mission durchaus gut eingesetzt werden konnte.

P. Franz Winzenhörlein (1876-1943), der Regionalobere der Steyler Missionare in Papua-Neuguinea, schrieb Folgendes am 15. April 1940 nach Rom: „Die folgenden ehrwürdigen Brüder stehen in der Vorbereitung auf die ewigen Gelübde und möchten von der Gesellschaft des Göttlichen Wortes dazu zugelassen werden: Emil, Johann Knüver, Bonaventura, Karl Marcinek, Bogumilus, Felix Skibicki, Ephrem, Matthias Pint, Emmericus, Johann Rodderhoff, Victor, Alfred Salois, Serenus, Alfred Lindemann, Gregorius, Maximilian Zimmet“ (AG SVD 1940).

Br. Ephrem legte am 8. September 1940, dem Fest Mariä Geburt, auf der Steyler Regionalstation Heilig Kreuz in Wewak, seine ewigen Gelübde ab. Damit band er sich endgültig an den Orden der Steyler Missionare.

Die Japaner hatten in den Jahren 1942 bis 1945 die Nordküste Neuguineas besetzt. Die dort stationierten Steyler Missionare waren zum Bleiben entschlossen; sie handelten nach dem Beispiel des Guten Hirten: „Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen, lässt die Schafe im Stich und flieht; und der Wolf reißt sie und zerstreut sie“ (Joh 10,11-13).

So sollte es auch zum Martyrium von Br. Ephrem kommen. Die Japaner vermuteten in den Steyler Missionaren Spione; deshalb wurden vier Mitbrüder gefangen genommen und als Zwangsarbeiter auf dem Flugfeld Boram festgehalten. Dort den US-amerikanischen Bombardierungen schutzlos ausgeliefert, kamen die vier Steyler Missionare am 17. August 1943 um; unter ihnen befand sich Br. Ephrem.

Über dieses Geschehen schrieb P. Joseph Grendel (1878-1951), der Steyler Generalobere, der in den Jahren 1932 bis 1947 die Missionsgesellschaft des Göttlichen Wortes leitete, am 3. Juli 1944 aus der Zentrale in Rom: „Nur mit leidzerrissener Seele vermag man daran zu denken, was unsere Mitbrüder und die ehrwürdigen Schwestern haben durchmachen müssen in der Entfernung aus ihrer Mission, in den schrecklichen Stunden der Bomben und Geschosshagels, durch ihre schmerzvollen Wunden und den vielen und langen Beschwerden und Entbehrungen während der Internierung. Und endlich diese furchtbar lange Reihe von Gräbern unserer Mitbrüder und der ehrwürdigen Schwestern in Wewak, von ehrwürdigen Veteranen der Missionsarbeit, von Missionaren und Schwestern, die noch auf der Höhe ihrer Arbeitskraft standen, und von solchen, die eben erst in ihre Lebenskraft eingetreten waren. Sie alle waren einst herausgezogen und hatten all ihre Kraft und ihr ganzes Leben daran gesetzt, um in selbstlosester Weise den Heiden dort das Heil zu bringen, ihnen zu dienen und sie glücklich zu machen für Zeit und Ewigkeit“ (AG SVD 1944).

Einer von diesen Missionaren war Bruder Ephrem. Er wurde nur 32 Jahre alt.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2022
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)
  

Wie Thereses Spiritualität des Kindseins Getragenwerden von Gott vermitteln kann

Die verlorene Seinssicherheit

Frater Lukas Bohn SJM machte bei der bekannten Religionsphilosophin Prof. DDr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz seine Diplomarbeit, die er im Oktober 2021 abschließen konnte. Darin verglich er die Kindheit von Friedrich Nietzsche mit der von Therese von Lisieux. Ein wichtiges Ergebnis seiner Überlegungen stellt er im nachfolgenden Beitrag zum Jubiläumsjahr des Theresienwerkes vor. Nach Gottes Schöpfungsplan entwickelt sich die menschliche Persönlichkeit in der Abhängigkeit von Eltern, die das Leben weitergeben und ihr Kind in der Geborgenheit familiärer Liebe erziehen. Die Kindheit ist entscheidend dafür, dass sich in der Psyche des Menschen ein Urvertrauen herausbildet, das die Beziehung zum eigenen Leben trägt und eine wichtige Grundlage für die Gottesbeziehung bildet. Daraus erwächst „Seinssicherheit“.

Von Lukas Bohn SJM

Die hilflose Moraltheologie

Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. Immer vehementer steht die Forderung einer Reform des christlichen Glaubens im Raum. Katholische Morallehre wird von der Mehrzahl der Gläubigen als lebens- und wirklichkeitsfremd empfunden. Das ist eine Tatsache, welche kaum zu übersehen ist. Aber warum ist das so? Warum wird die christliche Moral als Gefängnis und Unterdrückung der individuellen menschlichen Entfaltung wahrgenommen? Warum tut sich die Moraltheologie, egal ob klassische Moraltheologie oder neuzeitliche Beziehungsethik, heute so schwer, den Menschen zu erreichen? Könnte es sein, dass eine der Moral vorgängige Grundvoraussetzung, nämlich eine „Spiritualität des Daseins“, verloren gegangen ist und dadurch moralische Wegweiser unverständlich oder sogar bedrohlich wurden. Wir möchten hier einen Aspekt der Spiritualität der kleinen Therese betrachten, welchen man auch unter dem Begriff der „Seinssicherheit des Kindes“ fassen kann. Inwiefern kann der Gedanke der Seinssicherheit des Kindes, welcher das Denken und Fühlen der Heiligen aus Lisieux ganz durchformte, zu einer Stütze der Moraltheologie werden? Oder anders: Könnte es dem „seinssicheren“ Menschen leichter fallen, die Spannung von Realität und Ideal besser auszuhalten und fruchtbar zu nutzen? Macht nicht erst die Sicherheit des „Sein-dürfens“ möglich, das Wagnis des Werdens und der Genese einzugehen? Diesen Fragen wollen wir uns näher stellen, indem wir uns an der Spiritualität des Kindseins bei Therese von Lisieux orientieren.

Der Begriff der Seinssicherheit

Zunächst gilt es sich dem Begriff der Seinssicherheit zu nähern, welcher uns in „Ewiges und Endliches Sein“, dem philosophischen Hauptwerk Edith Steins, einer Ordensschwester von Therese, begegnet. Stein schreibt dem Kind eine gewisse Seinssicherheit zu, weil es sich von den Eltern unendlich geliebt, gewollt und getragen weiß. „Ich weiß mich gehalten und habe darin Ruhe und Sicherheit – nicht die selbstgewisse Sicherheit des Mannes, der in eigener Kraft auf festem Boden steht, aber die süße und selige Sicherheit des Kindes, das von einem starken Arm getragen wird – eine, sachlich betrachtet, nicht weniger vernünftige Sicherheit. Oder wäre das Kind ,vernünftig‘, das beständig in der Angst lebte, die Mutter könnte es fallen lassen?"[1] Das Kind ist jenes Geschöpf, welches sich nicht beweisen muss, um das eigene Dasein begründen zu können. Es weiß sich grundlos gewollt und geliebt. Aus diesem Grund kommt es erst gar nicht in Versuchung, sein Sein auf ungesunde Weise zu hinterfragen. Seine Existenz besitzt eine gewisse Sicherheit. Das Kind darf sein. Seine eigene Existenz als Geborgenheit verstehen – das ist der hermeneutische Schlüssel, mit dem das Kind die Welt erschließt. Von dieser Ruhe und Geborgenheit her kann es den Herausforderungen des Lebens begegnen.

Diese Züge können wir auch sehr deutlich innerhalb einer Spiritualität des Kindseins bei Therese von Lisieux erblicken. Bei ihr erfährt sich das Kind als Gabe und Geschenk. Es muss sich nicht beweisen, um zu sein, sondern es ist unabhängig von seiner eigenen Leistung. Das Kind darf sein, ohne den eigenen Selbststand beweisen zu müssen. Das Kind braucht bei Therese keine Angst haben, Mangel erleiden zu müssen oder ins Nichts zurückzufallen, denn „sogar bei den armen Leuten gibt man dem kleinen Kind alles Notwendige."[2] Warum sollte das Kind, das ganz in der Hand eines vollkommenen und überreichen Gottes ruht, um sein Sein bangen?

Die verlorene Seinssicherheit

Diese Seinssicherheit des Kindes ist dem heutigen Menschen aber nahezu ganz verloren gegangen. Er ist nicht nur zum vermessenen Menschen, sondern auch zum bewertbaren und klassifizierbaren Menschen geworden. Nicht nur im Bereich der Wirtschaft wird der Mensch anhand seiner Leistung eingestuft, sondern auch in vielen weiteren Lebensbereichen. Noch nie war das Sein des Menschen so eng an sein Handeln und Tun gebunden. Die Bewertung des eigenen Tuns wurde aufs engste mit der Werthaftigkeit der eigenen Existenz gekoppelt. Dadurch wurde menschliches Sein auch immer begründungspflichtiger. Wie aber sollte und soll eine solche ganz von dieser Begründungspflicht durchdrungene Existenz in Beziehung zu einem fordernden moralischen Codex treten? Eine solche Existenz musste notwendigerweise mit einer engen Moralvorstellung brechen, da diese ständig Gründe für dessen Nichtexistenz lieferte.

Beim Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland scheint dieser Verlust der Seinssicherheit immer wieder durch. Häufig wird das Von-Gott-gewollt-und-geliebt-sein jedes Menschen betont. Diese Betonung ist notwendig, weil diese Wahrheit kaum mehr im Erfahrungshorizont vieler Menschen ankommt. Ja, es ist richtig, jeder Mensch, auch unabhängig von seiner sexuellen Orientierung, ist von Gott bedingungslos geliebt. Doch dieses Faktum sollte durch die christliche Spiritualität eingefangen und dem Menschen von heute vor allem auch in emotionaler Hinsicht vermittelt werden. Problematisch wird es dann, wenn dieser Empfang der Seinssicherheit von der Moraltheologie eingefordert und ersehnt wird. Denn eine Moraltheologie, welche lediglich auf eine Gutheißung der Geliebtheit jedes Menschen reduziert wird, löst sich selber auf. Sie verliert dann ganz ihren Wegweiser-Charakter. Ohne eine fordernde und fördernde Moral würde der Mensch diese fruchtbare Spannung verlieren, welche ihm Wachstum und Entfaltung ermöglicht.

Wir können sagen, die moraltheologische Forderung, jeden Menschen wertzuschätzen, hat den falschen Hauptadressaten. Denn dadurch kommt der Moral eine Aufgabe zu, für die sie nur ungenügendes Werkzeug besitzt. Wertschätzung, Annahme, Liebe, Geborgenheit und Getragenwerden sind Sehnsüchte, welche nicht primär von der Moraltheologie, sondern von einer Spiritualität des Daseins gestillt werden können. Nur eine Spiritualität, welche im Stande ist, eine wahrhafte Beziehung mit Christus zu vermitteln, kann dem Menschen solche Werte schenken.

Aus diesem Grund wollen wir aus einer Spiritualität des Kindseins schöpfen, welche uns jene Werte vermitteln kann. Im Folgenden werden wir einige Gedanken der Heiligen aus Lisieux aufgreifen und darstellen, wie eine Spiritualität des Kindseins den Menschen von heute eine verlorene Seinssicherheit wieder zurückerlangen lässt. Dafür wollen wir kurz das Bild des Kindes bei Therese skizzieren.

Das Kind – auf die Eltern bezogen

Weil das Kind sich nur sehr eingeschränkt auf seine eigenen Kräfte stützen kann, vertraut es ganz auf die Hilfe der Eltern. Diese Abhängigkeit zu den Eltern bzw. zum Vater ist für Therese aber nichts Negatives. Therese ist sich bewusst, dass alle Menschen aufgrund ihrer geschöpflichen Begrenztheit immer Kinder bleiben werden. Aus diesem Status des Kindseins auszubrechen kann gravierende Folgen mit sich bringen: „Sogar bei den armen Leuten gibt man dem Kinde alles Notwendige; ist es aber erwachsen, dann will der Vater es nicht mehr ernähren, sondern sagt ihm: ‚Arbeite jetzt, du kannst für dich selber sorgen.‘"[3] Die Eltern bzw. der himmlische Vater ist der Grund für die Geborgenheit und Zufriedenheit des Kindes. Das kleine Kind schläft angstlos in den Armen des Vaters ein. Das Kind realisiert sich durch Beziehung. Das Bezogensein zum himmlischen Vater ist eine zentrale Wesenseigenschaft des Kindes. Von dort erfährt das Kind auch die eigene Seinssicherheit.

Unschuld des Kindes

Therese schreibt dem Kind den Charakter der Unschuld zu. Das Fallen und Fehlen des Kindes verletzt nicht dessen Unschuld. „Ich weiß, daß eine Mutter immerfort bereit ist, die kleinen unfreiwilligen Unarten ihres Kindes zu verzeihen. … Kinder stellen beständig etwas an: sie fallen hin, machen sich schmutzig, zerbrechen Gegenstände, und doch lieben sie ihre Eltern sehr.“ Stürze, Fehler und begangene Unvollkommenheiten, welche von der Demut des Kindes begleitet sind, führen für Therese nur noch tiefer in das Geheimnis der Liebe Gottes ein. „Wenn man mit Sanftmut die Demütigung erträgt, unvollkommen gewesen zu sein, dann kehrt die Gnade des lieben Gottes sofort zurück."[4]

Ihrer Schwester Leonie beschreibt sie diesen Sachverhalt mit folgendem Bild: „Betrachte ein kleines Kind, das seine Mutter betrübt hat, weil es zornig oder unfolgsam war. Versteckt es sich trotzig in einem Winkel und schreit vor Angst, gestraft zu werden, so wird ihm seine Mutter den Fehler sicherlich nicht verzeihen. Kommt es aber und streckt ihr lächelnd seine Ärmchen entgegen und sagt: ,Gib mir einen Kuss, ich werde es nicht mehr tun‘, wird dann die Mutter es nicht zärtlich ans Herz drücken und seine kindlichen Unarten vergessen? … Freilich weiß sie genau, dass ihr liebes Kleines bei der nächsten Gelegenheit es wieder tun wird, aber das macht nichts, wenn es sie wieder beim Herzen nimmt, wird es nicht gestraft werden."[5]

Das Kind begeht Fehler aus Schwäche. Diese Fehler des Kindes stellen jedoch keinen Abbruch einer Beziehung dar. Sie sind Folgen der ihm „natürlicherweise“ zukommenden Schwäche. Das Kind hat geradezu das Recht, klein zu sein. Gerade sein Stolpern ist es, welches nicht Beziehungsabbruch mit den Eltern, sondern das Angewiesensein auf diese, also die intensive und lebensnotwendige Erfordernis dieser Beziehung, zum Ausdruck bringt.

Furchtlos der eigenen Armut begegnen

Diese Unschuld ist es, welche das Kind in einen Zustand von Furchtlosigkeit setzt. Therese spricht von der „Liebe, die keine Furcht kennt und am Herzen ihres Gottes einschläft und sich vergisst wie ein Kind."[6] Das unschuldige Kind kann aber nicht nur furchtlos und mit einer gewissen Kühnheit dem himmlischen Vater begegnen, sondern auch den eigenen Abgründen ins Angesicht schauen. Während der Erwachsene versucht ist, seine Selbstständigkeit und Subjekthaftigkeit zu betonen und darum alles ausblenden möchte, was diesem im Weg steht, ist das Kind nicht an den Drang der Offenbarung seiner eigenen Unabhängigkeit gebunden.

Das Kind muss seinen Selbststand nicht im Zur-Schau-stellen der eigenen Größe manifestieren. Die eigene Unvollkommenheit wird weniger als bedrohlicher Feind, sondern mehr als hilfreiche Erinnerungshilfe für die Geschöpflichkeit des Menschen verstanden. „Oh, wie froh bin ich, mich im Augenblick meines Todes unvollkommen zu sehen und so sehr der Barmherzigkeit Gottes zu bedürfen!"[7]

„O wie gut tut es mir, dass ich schlimm gewesen bin! Es ist mir viel lieber, dass ich versagt habe, als wenn ich, von der Gnade gestützt, ein Vorbild der Sanftmut gewesen wäre."[8] Sich selbst so annehmen, wie man ist, wissend, dass Gott einen trotzdem liebt: So sieht Therese die persönliche Schwäche und Begrenztheit nicht als Hindernis und Übel, sondern als etwas Anzunehmendes, als etwas, in dem sich der Plan Gottes ausdrückt. Die eigenen persönlichen menschlichen Schwächen dürfen und sollen abgebaut werden, aber nicht um jeden Preis. Der Mensch muss seine Schwächen nicht zwanghaft aus der Welt schaffen, um ein besserer zu werden. Ein ehrliches Versuchen genügt, wissend, dass man die eigenen Schwächen nie ganz beseitigen kann.

Der Lebenswirklichkeit begegnen

Diese Furchtlosigkeit befähigt das Kind, auch einer existentiellen Lebenswirklichkeit, nämlich jener der Gebrochenheit des Menschen, intensiv zu begegnen. Das Kind kann angstlos der Verletzt- und Verworrenheit menschlichen Daseins ins Auge blicken. Es weiß sich gehalten und kann mit dieser Seinssicherheit dem eisigen Wind der eigenen Abgründe standhalten. Die aktuell mit großem Nachdruck geforderte Berücksichtigung der Lebenswirklichkeit des Menschen erfährt hier nochmal eine Erweiterung. Die Lebenswirklichkeit eines Mitmenschen wahrzunehmen und einzuordnen ist schwierig, aber noch schwerer, jedoch vielleicht sogar fruchtbarer ist, sich mit der eigenen Lebenswirklichkeit zu befassen. Sich mit ihr zu versöhnen, sie anzunehmen, um sie so auch in eine Dynamik eines gesunden Wachstums zu stellen.

Kindsein bedeutet, ganz auf die Eltern bzw. auf den himmlischen Vater bezogen zu sein und von dort seine Seinssicherheit zu empfangen. Aufgrund der Schwachheit kommt dem Kind auch eine gewisse Unschuld zu. Das Fallen in Fehler wird von den Eltern augenblicklich verziehen. Die Unschuld des Kindes bringt eine Gelassenheit, welche dem Kind eine furchtlose Begegnung der eigenen Armut ermöglicht. Somit ist dem Kind in viel intensiverem Maße wie dem Erwachsenen die Begegnung mit der eigenen Lebenswirklichkeit möglich. Thereses Spiritualität des Kindseins könnte dem modernen Menschen einige Unsicherheiten und Ängste nehmen. Kindsein bedeutet angenommen und wertgeschätzt sein. Die Erfahrung des bedingungslosen Geliebtseins kann uns die Spiritualität der kleinen Therese vermitteln. Ein von solchem Erfahrungsschatz durchdrungener Mensch besitzt auch die Seinssicherheit, die ihn befähigt, an einer fruchtbaren Spannung moralischer Eckpfeiler organisch zu wachsen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2022
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Edith Stein: Endliches und ewiges Sein. Versuch eines Aufstiegs zum Sinn des Seins, Freiburg 2006, 59f.
[2] Therese von Lisieux: Geschichte einer Seele. In neuer Übertragung von Adrienne von Speyr, Einsiedeln 1947, 237.
[3] Therese von Lisieux: Geschichte einer Seele, 237.
[4] Therese von Lisieux: Novissima Verba. Derniersentretiens de Sainte Thérèse de l`Enfant-Jesus, zit. n. Hans Urs von Balthasar: Therese von Lisieux. Geschichte einer Sendung, 254.
[5] Therese von Lisieux: Briefe der heiligen Therese von Lisieux, Augsburg 31983, 292.
[6] Therese von Lisieux: An die heilige Cäcilia, in: Maximilian Breig (Hg.): Gedichte der heiligen Theresia von Lisieux. Eine Prosa-Übersetzung, Leutesdorf 1990, 17.
[7] Therese Martin: Ich gehe ins Leben ein. Letzte Gespräche der Heiligen von Lisieux, Leutesdorf 21982, 127.
[8] Summarien des Selig- und Heiligsprechungsprozesses, zit. n. Ida Friederike Görres: Das verborgene Antlitz, 466. 

„Aller Segen, den wir vom Himmel empfangen haben, ist die Frucht dieses ersten Ave Maria!“

Don Bosco – ein Apostel der Freude

Der Salesianerpater Josef Weber SDB (geb. 1948) hat am 31. Januar 2022 auf Radio Horeb einen Vortrag über den hl. Johannes Bosco, seinen Ordensgründer, gehalten. Im zweiten Teil, den wir nachfolgend veröffentlichen, zeigt er die spirituellen Grundlagen der Salesianer Don Boscos auf. Bekannt ist die Liebenswürdigkeit bzw. die „pastorale Liebe“ Don Boscos, die als Mitte der Salesianischen Spiritualität gilt. Meist ausgeblendet wird in den Biografien dagegen der Kampf, den der Jugendapostel um die Seelen der jungen Menschen mit dem Widersacher Gottes zu führen hatte. Jahrelange diabolische Bedrängnisse ließen ihn erahnen, um welchen Preis die Jugendlichen den Fängen des Teufels entrissen werden mussten. Seine größte Hilfe sah er in der fürsorgenden Liebe und im machtvollen Schutz der himmlischen Mutter Maria.

Von Josef Weber SDB

Don Bosco ist der Apostel der Freude. Wenn er von Freude spricht, so meint er jene tiefe Freude, die in einer innigen Gottesbeziehung begründet ist und in der Sprache des Herzens nach außen dringt. Die Freude „ist das elfte Gebot in den Salesianerhäusern“ (A. Caviglia). Don Bosco war aber auch ein Mann des feinen Humors, der es ihm erlaubte, über sich zu schmunzeln – und auch über andere. Allerdings immer in einer Art, die nie verletzend wirkte. Dies kommt u.a. in seinen Briefen zum Ausdruck.

So erinnert er in einem Schreiben die schreibfreudige, aber spendierfaule Gräfin Mainardi in Padua: „Bei unserer letzten Begegnung haben Sie mir doch 10.000 oder 15.000 Lire versprochen. Ach, einigen wir uns einfach auf die zweite Summe!“

Dem Erzbischof von Buenos Aires, der die Missionsarbeit der ersten Salesianer sehr unterstützte, erwies Don Bosco seine Dankbarkeit, indem er ihm zwei Kartons mit erlesenen italienischen Weinen schickte. Um den Flaschen ein nobles Alter zu verleihen, wies er seinen Sekretär an, diese mit feinem Staub zu bestreuen.

Der fröhliche Jugendapostel

Don Bosco – ein Apostel der Freude! Dabei war die Zeit, in der er lebte, alles andere als eine glückliche für Staat und Kirche. Als er 1815 geboren wurde, zählte Turin 75.000 Einwohner, als er 1888 starb, war die Einwohnerzahl auf über 200.000 angewachsen. Viele Jugendliche strömten in der Zeit der beginnenden Industrialisierung in diese oberitalienische Großstadt, um dort Arbeit zu suchen. Die wenigsten fanden sie. Für nicht wenige Jugendliche war der Weg in die Kriminalität vorprogrammiert. Don Bosco wollte als junger Priester sich damit nicht abfinden. Er begann mit einer Handvoll „Rotznasen“ in Turin sein Jugendwerk. Staat und Kirche taten damals nichts für junge Menschen. Don Bosco aber hatte ein Herz für sie. Er sagte zu ihnen: „Ich liebe Euch von ganzem Herzen, und es genügt, dass ihr jung seid, um euch zu lieben. Hier bei euch fühle ich mich wohl.“

Doch er hatte auch große Schwierigkeiten zu überwinden: Zwei Prälaten wollen ihn ins Irrenhaus bringen. Die staatlichen Behörden hatten bereits einen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt. Während er am Altar stand, verübte man auf ihn einen Mordanschlag – die Pistolenkugel durchschlug seinen Talar, Don Boscos Reaktion: „Schade um den schönen Talar.“ Er konnte die vielen Rechnungen nicht bezahlen; wurde beim Erzbischof von Turin verleumdet; bei der Abfassung seiner ersten Ordensregel brachte er die Kurienkardinäle im Vatikan schier zu Verzweiflung, denn er wollte Ordensleute mit aufgekrempelten Talaren und Hemdsärmeln mitten unter den Jugendlichen. Ein derartiges Bild von einer Ordensgemeinschaft passte in keine Kategorie damaligen kirchlichen Denkens.

Und wenn Don Bosco weint…?

Im selben Maß, wie Don Bosco ein Apostel der Freude war, war ihm auch die Gabe der Tränen zu Eigen. Der fröhliche Jugendapostel ist nicht zu verstehen ohne den manchmal tieftraurigen Priester, der sich in die Kirche der Consolata flüchtete und dort bittere Tränen der Enttäuschung, der Ratlosigkeit und Niedergeschlagenheit vergoss. Der erfolgreiche Don Bosco ist nicht zu verstehen ohne den kraftlosen und verzweifelten Don Bosco, der nicht vor den Menschen klagte, oft aber vor Gott.

Don Bosco war kein sentimentaler Softie. Doch im Zustand religiöser Ergriffenheit sah man ihn oft Tränen vergießen. Er weinte während der hl. Messe oder Konferenzen; er weinte bei Exerzitienvorträgen oder bei Kreuzwegandachten. Es waren Tränen der Liebe, des Schmerzes, der Freude. Don Boscos Tränen waren die Tränen eines liebenden Vaters.

Don Bosco, ein „Apostel der Freude“, das war er! Viele seiner Zitate beweisen es, wenn er sagt: „Lassen wir die Heiligkeit in der Fröhlichkeit bestehen! Gott liebt es, wenn wir alles mit Freude tun!“ Oder: „Einem fröhlichen Menschen hilft Gott und der Teufel hat Angst vor fröhlichen Menschen.“ Oder: „Verlieren wir keine Zeit, Gutes zu tun! Ich habe noch nie jemanden gesehen, der sich im Augenblick des Todes beklagt hätte, zu viel Gutes getan zu haben.“

Doch würden wir Don Bosco missverstehen, wenn wir in ihm nur den fröhlichen Priester von Turin sehen würden. Der Jugendapostel von Turin hatte auch einen schweren Kreuzweg zu gehen. Seine nie enden wollende Sorge um seine Buben, seine finanziellen Schwierigkeiten, Verleumdungen und Intrigen setzten ihm hart zu. Es machte ihn traurig, dass er wegen eines zunehmenden Fußleidens nicht mehr regelmäßig bei seinen Buben auf dem Spielhof sein konnte. Noch trauriger stimmte ihn, als gegen Ende seines Lebens dieser Ursprungsgeist von seinem Oratorium zu verblassen schien. Manche Salesianer der ersten Stunde waren nicht mehr mit Begeisterung und Freude, mit persönlichem Engagement und Liebe bei den Jugendlichen. In seinem bekannten Rombrief aus dem Jahr 1884 ermahnte er sie deshalb, wieder zu jener lauteren Freude und zum ständigen Dasein für die Jugendlichen zurückzukehren.

Jahrelange diabolische Belästigungen

Ich möchte aber auch eine andere Station seines Leidensweges kurz herausgreifen, über die in seinen Biografien kaum gesprochen wird. Es sind nächtliche diabolische Bedrängnisse, die meist verschwiegen werden. Die meisten Biografen übergehen sie. Vielleicht meint man, sie hätten im modernen Verständnis des Menschen keinen Platz mehr. Im Grunde läuft ein solches Übergehen auf einen Verlust der metaphysischen Dimensionen hinaus. Zwar sagt Don Bosco: „Der Teufel hat Angst vor fröhlichen Menschen."[1] Zugleich aber warnt er immer wieder vor dessen Verführungskünsten und Machenschaften.

In einem Wachtraum, den er 1871 hatte, unterhielt er sich mit dem Teufel, der ihn heftigst attackierte. Don Bosco: „Wodurch wird dir unter den Jugendlichen der beste Dienst erwiesen?“ Der Teufel: „Durch Vergnügen, seichte Unterhaltung, durch schlechte Bücher und Langeweile. Alles geht davon aus.“ Don Bosco: „Welche sind deine größten Feinde?“ Der Teufel: „Jene, die regelmäßig beten und die Sakramente empfangen.“ Don Bosco: „Was ist deine größte Qual?“ Der Teufel: „Zwei Dinge: die Verehrung Mariens und die hl. Beichte.“

Der französische Don-Bosco-Biograf Henri Gheón berichtet: „In Don Boscos Zimmer entstand zwei Jahre hindurch ein schauderhafter Höllenlärm. Stürme heulten, Holz wurde gespalten, sein Bett wurde hin- und hergeschüttelt, die Betttücher zerrissen, der erloschene Ofen spie Feuer. Der Teufel zog ihn an den Schultern hoch, fuhr ihm mit einem eiskalten Pinsel über das Gesicht, trampelte auf ihm herum und erhob ein lautes Gebrüll. Seine Mitbrüder kamen und wollten Don Bosco helfen. Doch sie wurden jedes Mal von panischem Schrecken ergriffen und stürzten kopfüber die Treppe hinunter.“

Ähnliche Vorkommnisse werden auch aus dem Leben des Pfarrers von Ars berichtet oder im vergangenen Jahrhundert von Pater Pio. Viele Heilige hatten es mit dem Teufel zu tun. Don Bosco wurde mehrmals nach diesen nächtlichen Bedrängnissen und Vorfällen gefragt, doch gab er immer ausweichende Antworten und fügte mit ernstem Gesicht hinzu: „Betet! Betet! Betet!“ Es bleibt bedeutsam, dass Don Bosco den Feind besiegt hat, denn nach zwei Jahren hörten die diabolischen Belästigungen auf. Die näheren Umstände aber hat er nie verraten.

Die Spiritualität Don Boscos – ein Überblick

Wir fragen uns: Aus welchen geistlichen Quellen hat Don Bosco geschöpft? Welche sind die Grundlinien seiner Spiritualität? Worin kann er uns heute ein Vorbild sein?

Pastorale Liebe

Da ist zunächst der hl. Franz von Sales zu nennen. Er ist der Ordenspatron von uns Salesianern. Von ihm haben wir unseren Namen. Der Bischof von Genf war so etwas wie ein „Nationalheiliger“ im Piemont. Es waren zwei Eigenschaften, die Don Bosco an der Gestalt des großen Bischofs von Genf faszinierten: einerseits sein unermüdlicher apostolischer Einsatz für das Heil der Seelen – Don Boscos Leitspruch „Herr, gib mir Menschen, alles andere nimm“ finden wir auch bei Franz von Sales – und zweitens die Güte und Sanftmut eines Franz von Sales bei der Ausübung des pastoralen Dienstes. Franz von Sales sagt: „Mit einem Löffel Honig kann man mehr Fliegen fangen als mit einem Fass Essig."[2]

Als er 1846 das erste Jugendzentrum – er nennt es „Oratorium“ – in Turin gründet, schreibt Don Boscos: „Dieses Oratorium ist unter den Schutz des hl. Franz von Sales gestellt, weil diejenigen, die sich dieser Art von Tätigkeit widmen wollen, sich dieses Heiligen als Vorbild in der Liebe vor Augen halten müssen."[3] Unter den Vorsätzen, die Don Bosco am Tag seiner Priesterweihe 1841 fasst, lautet einer: „Die Liebe und Güte des hl. Franz von Sales sollen mich in allen Dingen leiten."[4]

Don Bosco will unter den Jugendlichen Gottes Liebe spürbar machen. Sie sollen nicht nur wissen, dass sie geliebt werden, sondern dies auch konkret spüren, erleben, erfahren. Darum ist er ganz vom Christusbild des „Guten Hirten“ Joh 10,11ff.) in seinem apostolisch-erzieherischen Handeln geprägt. Der Berufungstraum mit neun Jahren verweist ihn auf Christus, den „Guten Hirten“. Darum sprechen wir Salesianer von der „pastoralen Liebe“ als Mitte der Salesianischen Spiritualität, von unserer Hirtensorge für junge Menschen. Don Bosco war ein „Mann mit Herz“. Sein Lieblingswort war „amorevolezza“. Man kann es in etwa mit „Liebenswürdigkeit“ („Liebe wollen“) übersetzen. Er erfüllt seine Pädagogik mit menschlicher Wärme und Herzlichkeit. So wird er für seine Jugendlichen zum Vater und Bruder und Freund.

Marienverehrung

Ein weiteres wichtiges Element seiner Spiritualität ist die Marienverehrung. Maria ist aus dem Leben Don Boscos nicht wegzudenken. Schon der kleine Giovanni betet täglich mit seiner Mutter drei Mal den „Engel des Herrn“. Als er seine Zauberkunststücke aufführt, verlangt er von den Kameraden als Eintrittskarte ein „Ave Maria“. Beim Eintritt ins Priesterseminar fasst er sieben Vorsätze und fügt in seinen „Erinnerungen“ hinzu: „Ich habe mich vor ein Bild der seligen Jungfrau gestellt und ihr ausdrücklich versprochen, diese Vorsätze zu halten, koste es, was es wolle.“ Nach seiner Priesterweihe konnte er seine zweite hl. Messe am Altar der Consolata im großen Marienheiligtum von Turin feiern. Hier blickte er auf zu „jener Frau“, die 17 Jahre zuvor im Traum zu ihm gesagt hatte: „Werde demütig, tüchtig und stark.“ Als er am 8. Dezember 1841 dem aus Asti stammenden 16-jährigen arbeitslosen Jugendlichen Bartolomeo Garelli begegnet und mit ihm sein Jugendwerk beginnt, wird er sich hinknien und ein „Ave Maria“ beten. 45 Jahre später sagt er zu seinen Mitbrüdern: „Aller Segen, den wir vom Himmel empfangen haben, ist die Frucht dieses ersten Ave Maria, das ich mit Eifer und in rechter Absicht gebetet habe.“

In seiner Kindheit hat Don Bosco Maria als „Consolata“ verehrt, als Trösterin der Betrübten, weil in seiner Heimatkirche in Castelnuovo ein entsprechendes Marienbild angebracht war. Als 1854 das Dogma von der „Unbefleckten Empfängnis“ verkündet wurde, stellte er den ersten Salesianern Maria als Immaculata vor Augen. Ab 1862 verehrt er Maria als „Helferin der Christen“ und beginnt ein Jahr später in Turin mit dem Bau der Mariahilf-Basilika, die bei ihrer Einweihung 1868 vollständig bezahlt ist, obwohl Don Bosco bei ihrer Grundsteinlegung nur vier Soldi – wenige Cent – in der Tasche hatte. Darauf angesprochen meinte er nur: „Wenn Maria die Kirche will, wird sie sie auch bezahlen.“ Diese Mariahilf-Basilika ist heute eine der prächtigsten in Turin und im ganzen Piemont.

Familiengeist

Don Bosco legte großen Wert darauf, dass in seinen Häusern ein Familiengeist herrsche. Darum nannte er sie auch nicht „Kloster“ oder „Institut“, sondern einfach Salesianerhaus. Dieser Familiengeist wird geprägt durch das Mitleben der Salesianer mit den Jugendlichen, die sog. „Assistenz“, das Begleiten der Jugendlichen in liebevoller Zuwendung. Damit sollte jenes Klima geschaffen werden, ohne das eine christliche Erziehung nicht möglich ist. Mit den Jugendlichen das Leben teilen, im Spielhof, in der Kirche, auf dem Arbeitsplatz und in der Schule, aber auch in Stunden der Schwierigkeiten, das gehört zum Geheimnis seiner Jugenderziehung.

Suche nach neuen Wegen

Aus dem ersten Jugendwerk in Turin, dem Oratorium, ist der drittgrößte Orden der katholischen Kirche hervorgegangen: wir Salesianer Don Boscos. Wir arbeiten in über 1900 Häusern auf der ganzen Welt. In ebenso vielen Niederlassungen sind die Don-Bosco-Schwestern tätig. Beide Orden stehen heute vor großen Herausforderungen. Einerseits wollen wir dem Erbe Don Boscos treu bleiben und uns auch heute für arme und sozial benachteiligte Jugendliche einsetzen. Andererseits sind wir auf der Suche nach neuen Wegen in der Jugendpastoral, um eine Antwort zu finden auf die Nöte und Bedürfnisse der Jugendlichen in unserer Zeit.

Don Bosco steht für Tatkraft, Einsatzfreude und Gottvertrauen. Wir wollen ihn bitten, dass er uns in den vielfältigen Anliegen und Schwierigkeiten unserer Zeit hilft und Wege des Helfens aufzeigt. Aus Millionen Jugendlichen ertönt heute auf der ganzen Welt der Ruf „Evviva Don Bosco“. Ja, es lebe Don Bosco! Es lebe in uns allen seine Sorge um die Jugend weiter, aber auch sein Glaube an das Gute in jedem Menschen, sein unerschütterliches Gottvertrauen und seine große Verehrung zu Maria, der Helferin der Christen!

 

Hinweis: Im Podcast-Angebot von Radio Horeb finden Sie nahezu alle Sendungen aus den Hauptsendereihen des Radiosenders, ob als Download oder Podcast, den Sie abonnieren können – beides ist kostenlos. Der Link lautet: www.horeb.org/mediathek/podcasts/

Unter „Spiritualität: Don Bosco – der Jugendapostel von Turin“ (Sendung vom 31.01.2022 mit einer Dauer von 52:08 Minuten) können Sie den vollständigen Vortrag von Pater Dr. Josef Weber SDB über Don Bosco nachhören.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2022
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Memorie biografiche (MB) X, 648.
[2] Vgl. Don Bosco: Memorie dell’Oratorio (MO), 1877; MB III, 91.
[3] Entwurf der Satzungen für das Oratorium, in P. Braido: Scritti sul sistema preventivo, Breschia, 1965, 363-364.
[4] MO 140-142. 

„Kirche in Not“ unterstützt Einsatz von Priestern und Ordensfrauen im Krieg

Ukraine: Die Kirche bleibt, bleiben wir mit ihr!

Nie erschien Pfarrer Lucas Perozzi seine Heimat Brasilien weiter weg als jetzt. Der Priester lebt in Kiew und durchleidet mit seiner Gemeinde „Mariä Entschlafung“ die Angst und das Elend des Krieges, der am 24. Februar über die ganze Ukraine hereingebrochen ist. Auch wenn sich die russischen Truppen nun aus der Gegend um die Hauptstadt zurückgezogen haben – die Angst ist allgegenwärtig. Hinzu kommen Trauer und Wut angesichts der Verbrechen an der Zivilbevölkerung, die nun mehr und mehr ans Licht kommen. Pfarrer Lucas könnte das Land verlassen, sich in seiner Heimat in Sicherheit bringen. Aber er hat sich entschlossen zu bleiben – bei den Menschen, die ihm anvertraut sind und denen er dienen wollte, als er 2004 in das Land kam. Das weltweite Päpstliche Hilfswerk „Kirche in Not“ erreichen in diesen Wochen bewegende Berichte von Priestern und Ordensleuten wie Pfarrer Lucas, die in Krieg und Elend ausharren. Es sind Erzählungen voller Mut und Glaubenskraft.

Von Tobias Lehner, Kirche in Not

„Die Menschen waren verängstigt“

Anfang April, als „Kirche in Not“ mit Pfarrer Lucas gesprochen hat, lebten rund 30 geflüchtete Menschen bei ihm und drei weitere Geistliche in den Räumen der Kiewer Pfarrei „Mariä Entschlafung“. Der brasilianische Missionar schläft und isst nicht viel, wurde nach Kriegsbeginn sogar krank. Zeit zur Genesung blieb nicht. Die Sorge um „seine Leute“ trieb ihn um: „Die Menschen konnten wegen der Luftalarme nicht in ihren Wohnungen bleiben. Sie schliefen in Kellern und U-Bahnhöfen. Dort ist es schrecklich: Kälte, Schmutz, es herrscht eine düstere Atmosphäre. Die Menschen waren verängstigt“, erzählt Pfarrer Lucas. Also öffneten er und seine Priesterkollegen die Türen der Pfarrei. „Die Menschen, die zu uns gekommen sind, können jetzt nachts wieder schlafen. Es herrscht eine friedliche Atmosphäre, trotz des Krieges.“ Es herrsche eine hohe Solidarität in der kleinen Gemeinschaft: „Wenn jemand niedergeschlagen, traurig oder verängstigt ist, gibt es immer einen anderen, der Beistand leistet und zuhört.“

Die Soforthilfe von „Kirche in Not“ käme zur rechten Zeit, damit er und die weiteren Seelsorger ihre Arbeit fortsetzen können. Viele Stunden am Tag sind sie damit beschäftigt, lebensnotwendige Güter für die 30 Schutzsuchenden aufzutreiben. „Kirche in Not“ hat bei Kriegsbeginn ein erstes Soforthilfepaket in Höhe von 1,3 Millionen Euro gestartet, um den kirchlichen Einsatz in Gemeinden, bei den Flüchtlingen, in Waisenhäusern und Altenheimen zu unterstützen. Weitere Hilfen sind unterwegs: zum Beispiel Mess-Stipendien, also freiwillige Gaben für die Feier einer hl. Messe, mit denen mittellose Priester sich und ihre Gemeinden versorgen können. Das Hilfswerk steht den Christen der Ukraine seit 1953 bei.

„Die Menschen wollen in der Gnade Gottes leben“

Seine 18 Jahre in der Ukraine seien eng mit der Hilfe von „Kirche in Not“ verknüpft, betont Pfarrer Lucas. Er gehört seit seiner Jugend der Gemeinschaft „Neokatechumenaler Weg“ an. Bei einem Treffen in Italien wurde er eingeladen, in die Ukraine zu kommen. Dort wurde er Priester. „Mein Priesterseminar wurde von ,Kirche in Not‘ unterstützt. Meine Pfarrkirche und die Gemeinderäume, wo jetzt die 30 Personen untergebracht sind, wurde in erster Linie mit Geldern von ,Kirche in Not‘ gebaut. Und ich konnte ein Auto anschaffen, um meine Gemeindemitglieder zu besuchen“, erklärt er. Autos und Transportfahrzeuge werden gerade jetzt in Kriegszeiten für die Pfarrgemeinden in der ganzen Ukraine immer wichtiger: Sie dienen dazu, Hilfsgüter und Lebensmittel aus der Westukraine im ganzen Land zu verteilen und auch Menschen in abgelegenen Gegenden zu versorgen.

Pfarrer Lucas bleibt kaum Zeit: Gerade sei eine weitere Familie mit zwei Kindern eingetroffen. Die Menschen suchten nicht nur nach einem Dach über dem Kopf, sondern auch nach seelischem Beistand. Und da gebe es auch schöne Erlebnisse, mitten im Krieg: „Gestern haben wir hier eine Hochzeit gefeiert, und heute gibt es schon wieder eine. Die Menschen haben keine romantischen Illusionen. Sie wollen diese Wochen in der Gnade Gottes durchleben, als Eheleute und Familien. Es kommen auch viele Menschen zur Beichte.“

Das Leben in Kiew ist nach wie vor schwer. Aber Pfarrer Lucas hat keine Sekunde überlegt, die ihm anvertrauten Menschen zu verlassen. „Ihr Leben ist mein Leben, ihr Schicksal ist mein Schicksal“, betont er. Und er ist nicht allein.

„Unsere Klöster sind zu Flüchtlingszentren geworden“

Beeindruckendes leisten auch die katholischen Ordensfrauen im ganzen Land. „Unsere Klöster sind zu Flüchtlingszentren geworden“, sagt Schwester Tobiasza, eine Ordensfrau der Kongregation des Heiligen Josef aus Lwiw (Lemberg) in der West-ukraine. Millionen Menschen mussten seit Kriegsbeginn fliehen, um sich und ihre Kinder zu retten. Sie verließen die Regionen im Osten und Süden der Ukraine und zogen nach Westen. Zahlen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen zufolge hatten Anfang April fast vier Millionen Menschen die Grenzen zu den Nachbarländern überquert. Mehr als sechs Millionen Ukrainer sind schätzungsweise innerhalb des Landes auf der Flucht. Die Klöster haben ihre Türen weit geöffnet, um den heimatlosen Menschen Obdach und Nähe zu bieten. „In jeder Ecke unseres Klosters schlafen Menschen, auch auf dem Boden. Sie sind sehr dankbar für die Möglichkeit, sich zu waschen, etwas Warmes zum Essen zu haben und sich auszuruhen. Einige haben mehrere Tage in Kellern oder in Luftschutzbunkern verbracht“, erzählt Sr. Tobiasza. „Kirche in Not“ hat soeben ein spezielles Hilfspaket für die Ordensfrauen des lateinischen Ritus in der Erzdiözese Lwiw bewilligt, um ihre karitative Arbeit zu unterstützen.

Hilfe bei der Suche nach vermissten Familienmitgliedern

Die Schwestern vom Heiligen Josef haben in ihrem Kloster in Lemberg eine Durchgangsstation für Flüchtlinge eingerichtet, wo sie sich ausruhen und erholen können. Die Ordensfrauen vermitteln auch Kontakte mit Familien aus Polen, die Flüchtlinge bei sich aufnehmen können. Auch sind sie immer wieder im Einsatz, um Familien zusammenzuführen, die auf der Flucht auseinandergerissen wurden.

Doch nicht nur die karitative Hilfe zählt: Überall, wo die Kirche Unterschlupf bietet, werden auch Gottesdienste und Andachten gefeiert. Sie sind gut besucht. Sorge für Seele und Leib, getragen von Mut und Gottvertrauen. Es sind Geschichten wie diese, die „Kirche in Not“ tagtäglich erfährt. Die Kirche in der Ukraine bleibt bei den Menschen – bleiben wir mit ihr!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2022
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Vor 1000 Jahren pilgerte der hl. Heinrich II. zum Monte Gargano

„Wer ist wie Gott?“

Nach den Erscheinungen des hl. Erzengels Michael auf dem Monte Gargano im Jahr 493 wurde er zum Patron der Kirche erklärt. Unter seinem Schutz begann die Evangelisierung der heidnischen Völker im Nordwesten Europas. Seine Verehrung hat vor allem Deutschland als Erbe übernommen. Bis heute gilt der hl. Erzengel Michael offiziell als unser Nationalpatron. Karin Maria Fenbert erinnert daran, dass vor 1000 Jahren der hl. Kaiser Heinrich II. zum Heiligtum auf den Monte Gargano gepilgert ist, und sieht darin einen Aufruf an unsere Zeit. Nachfolgend die gekürzte Fassung ihres Gastbeitrags auf kath.net am 22. Februar 2022.

Von Karin Maria Fenbert

Seit über 1000 Jahren verehrt Deutschland den heiligen Erzengel Michael als seinen Schutzpatron. Und niemand kann bestreiten, dass wir ihn zurzeit ganz besonders nötig hätten:

• angesichts der Turbulenzen und Verirrungen in weiten Teilen der katholischen Kirche, zuletzt auf die Spitze getrieben beim „Synodalen Weg“ in Frankfurt und den anschließenden Statements;

• angesichts der immensen Rufschädigung Benedikts XVI. wider besseres Wissen sogar durch Vertreter der Kirche;

• angesichts der neuen Bundesregierung mit ihrem zerstörerischen Familienprogramm und der Werbung für Abtreibung;

• angesichts der bedrängenden Ereignisse, die uns daran erinnern, dass wir nicht „gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen“ haben, sondern gegen „die bösen Geister des himmlischen Bereichs“, gegen die „Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt“ (vgl. Epheser 6,12).

Wir wären gut beraten, den Anführer im Kampf gegen den Widersacher Gottes, den hl. Erzengel Michael, anzurufen, ihn und seine himmlischen Mitstreiter um Beistand anzuflehen und uns ihrer Hilfe würdig zu erweisen.

Gerade das Jahr 2022 lädt uns dazu ein. Denn vor 1000 Jahren pilgerte Heinrich II., der einzige heiliggesprochene deutsche Kaiser, zum Monte Gargano, wo der hl. Erzengel Michael Ende des 5. Jahrhunderts erschienen war. Die Wallfahrt erfolgte entweder als Dank für seinen Sieg über die byzantinischen Truppen bei Troia (nähe Foggia) oder bereits zuvor während der Belagerung, vielleicht sogar am 8. Mai, dem Tag der ersten Erscheinung des hl. Erzengels Michael auf dem Gargano. Das genaue Datum ist leider nicht bekannt. Wir feiern heuer also ein 1000-jähriges Jubiläum.

Vor Heinrich II. hatten bereits die Kaiser Otto I. und Otto III. den Monte Gargano besucht. Ein großer Verehrer des hl. Erzengels Michael war auch Konrad Adenauer. So wurde im „belgischen Lourdes“, in Banneux, auf Wunsch des Kanzlers eine Kapelle insbesondere für die deutschen Pilger gebaut und dem hl. Erzengel Michael geweiht. Sie ist eine Nachbildung der 1716 geweihten Kapelle Mariä Heimsuchung in Adenauers Wohnort Rhöndorf, in der zu Kriegszeiten für Gefangene aller Länder gebetet wurde. Neben dem hl. Erzengel Michael wird in der Kapelle die hl. Johanna von Orleans, die Schutzpatronin Frankreichs, verehrt. Deutsche und Franzosen sollten in der neuen Kapelle zu ihren jeweiligen Schutzpatronen um Versöhnung, Frieden und Einheit in Europa beten. Aus den Marienerscheinungen in Banneux im Jahr 1933, die 1949 von der katholischen Kirche offiziell anerkannt worden waren, ging eine internationale Gebetsvereinigung für den Weltfrieden hervor, der Konrad Adenauer 1956 beitrat.

Der Friede in Europa ist in unseren Tagen extrem gefährdet. Das Jubiläumsjahr wäre ein guter Anlass, zum heiligen Erzengel Michael zu pilgern und ihn zu bestürmen, uns mit seinem himmlischen Heer beizustehen, unser Gewissen und unser Denken zu erleuchten, die Herzen der Politiker zur Umkehr zu bewegen und die Kirche in unserem Land zusammen mit ihren Oberhirten zurück auf den Weg der Gebote Gottes zu führen.

Besonders geeignet wären dafür der 8. Mai und der 29. September, der Festtag der heiligen Erzengel Michael, Gabriel und Raphael. Kaiser Karl der Große hatte im September 813 auf der Aachener Reichsversammlung verkündet, dass das bis dahin nur lokal gefeierte Fest des hl. Erzengels Michael am 29. September nun reichsweit als Feiertag geboten sei. Damit wurde der hohe Rang der Michaelsverehrung, aber auch St. Michael sozusagen als Schutzpatron des Heiligen Römischen Reiches bestätigt.

Doch können wir den hl. Erzengel Michael natürlich überall und zu jeder Zeit verehren, insbesondere auch, wie es die Kirche empfiehlt, mit dem bekannten Gebet von Papst Leo XIII. nach jeder hl. Messe.

Gebet zum Erzengel Michael

Papst Franziskus hat in einem Tweet am 9. Oktober 2018 alle Katholiken aufgefordert, täglich im Oktober den Rosenkranz zu beten und anschließend dieses Gebet zum Erzengel Michael zum Schutz der Kirche vor dem Teufel.

Heiliger Erzengel Michael,

verteidige uns im Kampfe;

gegen die Bosheit und die Nachstellungen

des Teufels, sei unser Schutz.

,Gott gebiete ihm‘, so bitten wir flehentlich;

du aber, Fürst der himmlischen Heerscharen,

stoße den Satan und die anderen bösen Geister,

die in der Welt umherschleichen,

um die Seelen zu verderben,

durch die Kraft Gottes in die Hölle. Amen.   

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2022
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Aufklärungsvideo zeigt die Folgen

Rasanter Anstieg junger Transpersonen

Hedwig von Beverfoerde, die Sprecherin der Aktion DemoFürAlle, macht auf ein Aufklärungsvideo zum Thema „Kinderfalle Transgender-Hype – einfach erklärt“ aufmerksam. Die Anzahl pubertierender Mädchen, die ihr Geschlecht ändern wollen, ist in der westlichen Welt in den letzten 10 Jahren geradezu explodiert. Das von der Ampelregierung geplante „Selbstbestimmungsgesetz“ wird diesen Hype noch verstärken. Das Video erläutert den Trend und zeigt die dramatischen Folgen für Kinder und Jugendliche.

Von Hedwig von Beverfoerde

Die Zahl jugendlicher Transpersonen hat in den vergangenen zehn Jahren rapide zugenommen – vor allem Mädchen sind betroffen (75%). In Großbritannien etwa zählten im Jahr 2009 offizielle Stellen 77 Personen unter 18 Jahren, die ihr Geschlecht ändern wollten, 10 Jahre später waren es 2590. Ähnliche Verschiebungen lassen sich auch in Deutschland und in der gesamten westlichen Welt beobachten.

Dieser Trend wird sich durch das von der Ampelregierung geplante „Selbstbestimmungsgesetz“ absehbar verschärfen. Denn die Änderung des Geschlechtseintrages, aber auch körperliche Eingriffe wie Hormonbehandlungen und Geschlechtsumwandlungen sollen künftig für alle Personen ab 14 Jahren ohne Gutachten möglich sein. Für Eltern, Pädagogen und Therapeuten sind diese Pläne höchst alarmierend, zumal Kinder und Jugendliche über die Sozialen Medien und im Freundeskreis immer häufiger und früher mit dem Thema „Transgender“ in Berührung kommen.

Der Transgender-Hype trifft die Jugendlichen in einer Phase ihres Lebens, in der sie mit zahlreichen körperlichen, psychischen und sozialen Herausforderungen zu kämpfen haben. Vorschnelle Bestärkung in Richtung Geschlechtsdysphorie und daraus resultierende Medikamentengaben führen in aller Regel zu irreversiblen operativen Eingriffen. Dagegen akzeptieren bis zu 99% der Jungen und 90% der Mädchen, die keine Medikamente bekommen haben, im Erwachsenenalter ihr biologisches Geschlecht. Umso wichtiger ist es, den Jugendlichen vor allem Zeit zu schenken sowie ihnen wichtige Daten und Fakten zum Thema Transgender zur Verfügung zu stellen.

Mit dem Aufklärungsvideo „Kinderfalle Transgender-Hype – einfach erklärt“ macht das Aktionsbündnis für Ehe & Familie – DemoFürAlle auf diese Entwicklung aufmerksam und warnt vor den irreversiblen Folgen durch Hormongaben und Operationen, die immer mehr Patienten bereuen.

Aufbauend auf dem Video plant DemoFürAlle, ein Informationsangebot für betroffene Jugendliche zu entwickeln.

Der Link zum zweiminütigen Videoclip auf dem Youtube-Kanal von DemoFürAlle lautet: https://www.youtube.com/watch?v=o3RSF6Nz_dU

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2022
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