Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

„Ich komme als Pilger des Friedens, auf der Suche nach Dialog und Einheit. Unsere Welt hat dies dringend nötig, sie muss wieder zu Harmonie finden.“  Diese Worte bildeten den Auftakt der Reise von Papst Franziskus nach Kasachstan vom 13. bis 15. September 2022. Sie waren der Einstieg in seine erste Ansprache, die er in der kasachischen Hauptstadt an die Vertreter der Regierung, der Zivilgesellschaft und das Diplomatische Korps richtete.

Wir möchten dieser 38. Auslandsreise des Papstes unsere besondere Aufmerksamkeit widmen. Denn mit seiner Teilnahme am „Siebten Kongress der Führer der Weltreligionen und traditionellen Religionen“ im „Palast der Unabhängigkeit“ von Nur-Sultan hat Papst Franziskus mehr vollzogen als nur einen Höflichkeitsbesuch, er hat Weltgeschichte geschrieben. Was in Kasachstan geschehen ist, sprengt den Rahmen des innerkirchlichen Lebens. Wie das Oberhaupt der katholischen Kirche von den religiösen Autoritäten der ganzen Welt aufgenommen wurde, ist ein historisches Ereignis. Es macht die Führungsrolle des kirchlichen Lehr- und Hirtenamts für die Menschheitsfamilie auf ihrem Weg in die Zukunft sichtbar.

Die Dynamik, welche das derzeitige Pontifikat in der Ausformung des interreligiösen Dialogs entwickelt, ist geradezu atemberaubend. Eine Schlüsselrolle bildete der Besuch von Papst Franziskus in Abu Dhabi 2019, bei dem er zusammen mit der höchsten Autorität des sunnitischen Islam, dem Groß-Imam Ahmed el-Tayeb von Kairo, das „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“ unterzeichnet hat. Ohne diesen Schritt wäre die Einladung des Papstes nach Kasachstan undenkbar gewesen, vor allem die Tatsache, dass dem Papst angeboten wurde, beim dortigen Kongress sowohl die Eröffnungsansprache zu halten als auch vor der Verlesung der gemeinsamen Resolution am Ende ein ausführliches Abschlusswort zu sprechen.

Und bereits auf dem Rückflug von der Hauptstadt Kasachstans nach Rom bestätigte Papst Franziskus, dass er vom 3. bis 6. November 2022 nach Awali auf der arabischen Halbinsel reisen wird, um zusammen mit Ahmed el-Tayeb am „Bahrain Forum for Dialogue: East and West for Human Coexistence“ teilzunehmen. Es handelt sich um ein Dialog-Forum, zu dem 200 „globale Glaubensführer, renommierte Medienpersönlichkeiten und Gelehrte“ erwartet werden. Wie der Name sagt, geht es um die gemeinsame Verantwortung von Ost und West für eine „humane Koexistenz“ auf unserem Planeten. Die Einladung erfolgte durch das muslimische Staatsoberhaupt von Bahrain, König Hamad bin Isa Al Khalifa, der als Gastgeber und Schirmherr der Veranstaltung fungiert.

Während wichtige Persönlichkeiten der Welt Papst Franziskus als Botschafter des Friedens willkommen heißen und ihre Hoffnung auf seinen Beitrag setzten, gibt es viele Katholiken, die diesem Weg des Papstes mit Unbehagen gegenüberstehen. Zum Teil betrachten sie sein Engagement als Verrat am Sendungsauftrag der Kirche.

Liebe Leser, wir scheuen uns nicht, in dieser Frage eindeutig Position zu beziehen. Was Papst Franziskus leistet, ist ein gewaltiger Balance-Akt. Doch erfüllt er nach unserer Überzeugung einen prophetischen Auftrag. Auf seinem Weg wird er von der Vorsehung Gottes geführt. Es ist eine Mission, die sich immer deutlicher als richtig erweisen wird. Umso mehr braucht Papst Franziskus unser Gebet, das wir ihm in glaubensvoller Treue schenken wollen.

Noch einmal bitten wir Sie innig um Ihre Unterstützung, ohne die wir unser Apostolat nicht weiterführen können (IBAN DE46 7116 0000 0001 1905 80 – BIC GENO DEF1 VRR). Mit einem aufrichtigen Vergelt’s Gott wünschen wir Ihnen auf die Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria zum Monat der Heiligen und Armen Seelen von Herzen die ganze Segensfülle des Himmels und der Erde.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2022
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Rückblick auf die Reise nach Kasachstan

Erbe des heiligen Johannes Paul II.

Voller Dankbarkeit und Freude blickte Papst Franziskus auf seine Apostolische Reise nach Kasachstan vom 13. bis 15. September 2022 zurück. So bescheiden und unaufgeregt, wie er in Nur-Sultan aufgetreten war, legte er im Rahmen der Generalaudienz am 21. September 2022 dar, worum es bei seiner 38. Auslandsreise ging. Was ihm dort möglich gewesen sei, habe eine lange Geschichte, die bereits 1986 mit dem interreligiösen Treffen für den Frieden in Assisi begonnen habe. Inzwischen sei vieles gewachsen. Doch der heilige Johannes Paul II. habe den Grundstein dafür gelegt. Gerade deshalb, weil sich Papst Franziskus persönlich völlig zurücknimmt, kann er im interreligiösen Dialog und im Gespräch mit den politisch Verantwortlichen ein so starkes und unerschrockenes Zeugnis ablegen.

Von Papst Franziskus

Der Hauptgrund meiner Reise nach Kasachstan war die Teilnahme am „Kongress der Führer der Weltreligionen und traditionellen Religionen“. Diese Initiative wird seit 20 Jahren von den Autoritäten des Landes gefördert und zeigt sich der Welt als Ort der Begegnung und des Dialogs, in diesem Fall auf religiöser Ebene, also als Protagonist bei der Förderung des Friedens und der Geschwisterlichkeit aller Menschen.

Der Beitrag der Religionen steht im Mittelpunkt

Dieser Kongress fand zum siebten Mal statt: Ein Land, das seit 30 Jahren die Unabhängigkeit besitzt, hat bereits sieben Mal diese Kongresse ausgerichtet, einen alle drei Jahre. Das bedeutet, die Religionen in den Mittelpunkt der Bemühungen um den Aufbau einer Welt zu stellen, in der man einander zuhört und einander in der Vielfalt achtet. Und das ist kein Relativismus, nein: Es bedeutet, einander zuzuhören und zu achten. Und das muss der kasachischen Regierung hoch angerechnet werden: dass sie, nachdem sie sich vom Joch des atheistischen Regimes befreit hat, jetzt einen Weg der Zivilisation anbietet, indem sie Fundamentalismen und Extremismen klar verurteilt. Es ist eine ausgewogene und auf Einheit ausgerichtete Position.

Der Kongress hat die Abschlusserklärung erörtert und approbiert, die in Kontinuität zur Erklärung über die Brüderlichkeit aller Menschen steht, die im Februar 2019 in Abu Dhabi unterzeichnet wurde. Ich möchte diesen Schritt nach vorn gerne als Frucht eines Weges verstehen, der vor langer Zeit begonnen wurde: Ich denke natürlich an das historische interreligiöse Treffen für den Frieden, das der heilige Johannes Paul II. 1986 in Assisi einberief und das von Menschen ohne Weitblick sehr kritisiert wurde; ich denke  an den Weitblick des heiligen Johannes XXIII. und des heiligen Paul VI.; und auch an jenen großer Seelen anderer Religionen – ich beschränke mich darauf, Mahatma Gandhi in Erinnerung zu rufen. Aber wie sollte man nicht der vielen Märtyrer gedenken, Männer und Frauen jeden Alters, jeder Sprache und jeder Nation, die die Treue zum Gott des Friedens und der Geschwisterlichkeit mit dem Leben bezahlt haben? Wir wissen das: Feierliche Augenblicke sind wichtig, aber dann ist es das tägliche Bemühen, das konkrete Zeugnis, das eine bessere Welt für alle aufbaut.

In Kasachstan leben 150 ethnische Gruppen zusammen

Über den Kongress hinaus hat diese Reise mir Gelegenheit gegeben, den Autoritäten von Kasachstan und der Kirche, die in jenem Land lebt, zu begegnen.

Nachdem ich den Herrn Staatspräsidenten besucht habe – dem ich noch einmal für seine Freundlichkeit danke –, haben wir uns in die neue „Concert Hall“ begeben, wo ich mit den Vertretern der Regierung, der Zivilgesellschaft und dem Diplomatischen Korps sprechen konnte. Ich habe die Berufung Kasachstans hervorgehoben, Land der Begegnung zu sein: denn in ihm leben rund 150 ethnische Gruppen zusammen, und es werden über 80 Sprachen gesprochen. Diese Berufung, die seinen geografischen Gegebenheiten und seiner Geschichte geschuldet ist – diese Berufung, Land der Begegnung, der Kulturen, der Sprachen zu sein –, wurde als ein Weg angenommen, der es verdient hat, ermutigt und unterstützt zu werden. Ebenso habe ich die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass der Aufbau einer immer reiferen Demokratie, die in der Lage ist, auf die Bedürfnisse der ganzen Gesellschaft effektiv einzugehen, fortgesetzt werden kann. Es ist eine schwierige Aufgabe, die Zeit erfordert, aber man muss bereits anerkennen, dass Kasachstan sehr positive Entscheidungen getroffen hat, wie jene, „Nein“ zu sagen zu Atomwaffen, und jene für eine gute Energie- und Umweltpolitik. Das war mutig. Im Augenblick dieses tragischen Krieges, wo einige an Atomwaffen denken – eine Torheit –, sagt dieses Land von Anfang an „Nein“ zu Atomwaffen.

Die wenigen Katholiken sind Sauerteig, Salz und Licht

Was die Kirche betrifft, so hat es mir viel Freude gemacht, einer Gemeinschaft zufriedener, fröhlicher Menschen zu begegnen, die voller Begeisterung sind. Es gibt wenige Katholiken in jenem so großen Land. Aber wenn dieser Zustand im Glauben gelebt wird, kann er Früchte tragen, die dem Evangelium entsprechen: vor allem die Seligkeit der Kleinheit, der Tatsache, Sauerteig, Salz und Licht zu sein und allein auf den Herrn zu zählen und nicht auf irgendeine Form menschlicher Bedeutung. Außerdem lädt die zahlenmäßige Knappheit dazu ein, Beziehungen zu den Christen anderer Konfessionen und auch die Geschwisterlichkeit mit allen zu entwickeln. Also kleine Herde ja, aber offen, nicht verschlossen, nicht defensiv, offen und mit Zuversicht auf das Wirken des Heiligen Geistes, der in Freiheit weht, wo und wie er will. Wir haben auch jenen grauen Teil, die Märtyrer, in Erinnerung gerufen: die Märtyrer jenes heiligen Gottesvolkes – denn es hat jahrzehntelang unter atheistischer Unterdrückung gelitten, bis zur Befreiung vor 30 Jahren –, Männer und Frauen, die während der langen Verfolgungszeit sehr für den Glauben gelitten haben. Sie wurden für den Glauben ermordet, gefoltert, inhaftiert.

Mit dieser kleinen, aber fröhlichen Herde haben wir die Eucharistie gefeiert, ebenfalls in Nur-Sultan, auf dem Platz von „Expo 2017“, umgeben von ultramodernen Gebäuden. Es war das Fest der Kreuzerhöhung. Und das bringt uns zum Nachdenken: In einer Welt, in der Fortschritt und Rückschritt miteinander verwoben sind, ist das Kreuz Christi auch weiterhin der Rettungsanker: Zeichen der Hoffnung, die nicht zugrunde gehen lässt, weil sie auf der Liebe des barmherzigen und treuen Gottes gründet. Ihm gilt unser Dank für diese Reise, und ihn bitten wir, dass sie reich sein möge an Früchten für die Zukunft Kasachstans und für das Leben der Kirche, die in jenem Land auf dem Pilgerweg ist.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2022
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Gemeinsame Erklärung

Der 7. Kongress der geistlichen Führer der Welt- und traditionellen Religionen, Politiker und Leiter internationaler Organisationen endete am 15. September 2022 mit einer gemeinsamen Erklärung, welche eine einführende Absichtserklärung und 35 Punkte umfasst. Eine kleine Auswahl:

5. Wir sind der Überzeugung, dass Extremismus, Radikalismus, Terrorismus und alle anderen Formen von Gewalt und Krieg, unabhängig von ihren Zielen, nichts mit wahrer Religion zu tun haben und aufs Schärfste abgelehnt werden müssen.

10. Wir stellen fest, dass Pluralismus und Unterschiede in Religion, Hautfarbe, Geschlecht, Rasse und Sprache ein Ausdruck der Weisheit des göttlichen Willens sind, mit dem Gott den Menschen geschaffen hat. In dieser Hinsicht ist jede Art von Zwang zu einer bestimmten Religion und religiösen Lehre inakzeptabel.

13. Wir anerkennen die Bedeutung und den Wert des Dokuments des Heiligen Stuhls und Al-Azhar Al-Sharifs über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt – das von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in der Resolution A/RES/75/200 vom 21. Dezember 2020 angenommen wurde – und die im Mai 2019 angenommene Erklärung von Mekka, die die Gläubigen zu Dialog, gegenseitigem Verständnis und Zusammenarbeit für das Gemeinwohl aufrufen.

22. Wir achten besonders darauf, wie wichtig es ist, die Institution Familie zu stärken.

23. Wir treten ein für den Schutz der Würde und der Rechte der Frau, für die Verbesserung ihrer sozialen Stellung als gleichberechtigtes Mitglied der Familie und der Gesellschaft.

30. Wir erklären, dass die Ergebnisse des Kongresses und diese Erklärung eine wichtige Leitlinie für die heutigen und zukünftigen Generationen der Menschheit werden sollen, um eine Kultur der Toleranz, des gegenseitigen Respekts und der Friedfertigkeit zu fördern – und dass sie in der öffentlichen Verwaltung jedes Landes der Welt sowie von internationalen Organisationen, einschließlich der UN-Institutionen, umgesetzt werden sollen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2022
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Papst thematisiert Abtreibung und Euthanasie

Menschen werden „entsorgt“

Papst Franziskus hat beim Kongress der Religionsführer in Kasachstan am 14. September 2022 eine eindringliche Eröffnungsansprache gehalten. Seine umfangreichen Ausführungen widmete er zunächst den Themen „Pandemie“ und „Frieden“. Schließlich wandte er sich einer dritten Herausforderung zu, der es sich heute gemeinsam zu stellen gelte. Er nannte sie die „geschwisterliche Annahme“. Dabei ging er ausdrücklich auf die Abtreibung ein, nannte sie aber sehr markant „Entsorgung von Babys und Kindern“. Ebenso sprach er im Blick auf die Euthanasie von der „Entsorgung der alten Menschen“. Immer wieder zitierte er Abai (1845-1904), den „berühmtesten Dichter des Landes“. Dieser habe uns „von Religiosität durchdrungene Schriften hinterlassen, in denen die beste Seite der Seele dieses Volkes durchscheint: eine harmonische Weisheit, die sich nach Frieden sehnt und ihn sucht“. Abai provoziere uns mit der zeitlosen Frage: „Was ist die Schönheit des Lebens, wenn man nicht in die Tiefe geht?“ (Poesie, 1898). Ihn zitierte der Papst auch als Anwalt der Religionsfreiheit, welche die Grundlage aller anderen gemeinsamen Ziele bilde. Auszüge aus der Rede des Papstes.

Von Papst Franziskus

Angesichts des Geheimnisses des Unendlichen, das uns überragt und anzieht, erinnern uns die Religionen daran, dass wir Geschöpfe sind: Wir sind nicht allmächtig, sondern Frauen und Männer auf dem Weg zum selben Himmel. Die Geschöpflichkeit, die wir teilen, schafft also eine Gemeinsamkeit, eine echte Geschwisterlichkeit. Sie erinnert uns daran, dass sich der Sinn des Lebens nicht auf unsere persönlichen Interessen reduzieren kann, sondern in der Geschwisterlichkeit eingeschrieben ist, die uns auszeichnet. Wir wachsen nur mit den anderen und dank der anderen. …

Jedes Herz dürstet nach dem Unendlichen

Hierzulande ist das Erbe eines jahrzehntelang aufgezwungenen staatlichen Atheismus wohlbekannt, jene bedrückende und erstickende Mentalität, bei der allein schon die Verwendung des Wortes „Religion“ Verlegenheit hervorrief. In Wirklichkeit sind die Religionen nicht ein Problem, sondern Teil der Lösung für ein harmonischeres Zusammenleben. Das Streben nach Transzendenz und der heilige Wert der Geschwisterlichkeit können in der Tat die Entscheidungen inspirieren und erhellen, die im Zusammenhang mit geopolitischen, sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen – im Grunde jedoch geistlichen – Krisen zu treffen sind. Diese Krisen durchziehen viele der heutigen Institutionen, selbst die Demokratien, und gefährden die Sicherheit und Harmonie zwischen den Völkern. Deshalb brauchen wir die Religion, um auf den Durst der Welt nach Frieden zu antworten und auf den Durst nach dem Unendlichen, der im Herzen eines jeden Menschen wohnt.

Ganzheitliche Entwicklung setzt Religionsfreiheit voraus

Eine wesentliche Voraussetzung für eine wahrhaft menschliche und ganzheitliche Entwicklung ist daher die Religionsfreiheit. Brüder und Schwestern, wir sind freie Geschöpfe. Unser Schöpfer ist „für uns zur Seite getreten“, hat seine absolute Freiheit sozusagen „eingeschränkt“, um auch uns zu freien Geschöpfen zu machen. Wie können wir dann unsere Geschwister in seinem Namen zu etwas zwingen? „Wir glauben und beten an“, lehrte Abai, „aber wir dürfen nicht sagen, dass wir andere zum Glauben und zur Anbetung zwingen können“ (Wort 45). Die Religionsfreiheit ist ein grundlegendes, primäres und unveräußerliches Recht, das überall gefördert werden muss und sich nicht nur auf die Freiheit der Religionsausübung beschränken darf. In der Tat hat jeder Mensch das Recht, den eigenen Glauben öffentlich zu bezeugen und als Angebot darzulegen, ohne ihn jemals anderen aufzuzwingen. Das ist die gute Praxis der Verkündigung, die sich von Proselytismus und Indoktrination unterscheidet, von denen sich alle fernhalten sollten. Das wichtigste Bekenntnis des Lebens in die Sphäre des Privaten zu verbannen, würde die Gesellschaft eines außerordentlichen Reichtums berauben; im Gegenteil, ein Umfeld zu begünstigen, in dem religiöse, ethnische und kulturelle Verschiedenheiten respektvoll zusammenleben, ist die beste Weise, um die spezifischen Merkmale eines jeden hervorzuheben, die Menschen zu vereinen, ohne sie zu vereinheitlichen, ihre höchsten Bestrebungen zu fördern, ohne ihren Elan zu dämpfen. …

Es gibt eine Kultur des Entsorgens

So wollen wir uns der Herausforderung der geschwisterlichen Annahme stellen. Heute gibt es große Schwierigkeiten, den Menschen zu akzeptieren. Jeden Tag werden ungeborene Babys und Kinder, Migranten und alte Menschen entsorgt. Es gibt geradezu eine Kultur des Entsorgens. So viele Brüder und Schwestern sterben, geopfert auf dem Altar des Profits, umhüllt vom frevelhaften Weihrauch der Gleichgültigkeit. Doch jedes menschliche Leben ist heilig. „Homo sacra res homini“, sagten die Alten (Seneca: Epistulae morales ad Lucilium, 95,33). Es ist in erster Linie unsere Aufgabe, die der Religionen, die Welt daran zu erinnern!

Migration verlangt weitsichtige Lösungen

Noch nie haben wir so große Bevölkerungswanderungen erlebt aufgrund von Krieg, Armut, Klimawandel und dem Streben nach einem Wohlstand, den die globalisierte Welt zu kennen ermöglicht, der aber oft schwer zugänglich ist. Es findet eine große Abwanderung statt: Aus den am meisten benachteiligten Gebieten versuchen die Menschen, in die wohlhabenderen zu gelangen. Wir sehen das jeden Tag an den verschiedenen Migrationsströmen auf der Welt. Dies ist keine Tagesnachricht, sondern eine historische Gegebenheit, die nach gemeinsamen und weitsichtigen Lösungen verlangt. Gewiss, instinktiv neigt man dazu, die eigenen erworbenen Sicherheiten zu verteidigen und die Türen aus Angst zu schließen; es ist einfacher, den Fremden zu verdächtigen, ihn zu beschuldigen und zu verurteilen, als ihn kennenzulernen und zu verstehen. Aber es ist unsere Pflicht, uns daran zu erinnern, dass der Schöpfer, der über die Schritte eines jeden Geschöpfes wacht, uns zu einem Blick auffordert, der dem seinen gleicht, zu einem Blick, der das Antlitz des Bruders und der Schwester erkennt. Wir müssen die migrierenden Geschwister aufnehmen, begleiten, fördern, integrieren. …

Mitgefühl macht wirklich menschlich

Abai sagt, dass „der Mensch der Freund des Menschen sein muss“ und dass diese Freundschaft auf einer universalen Teilhabe beruht, weil das, was im Leben und danach wichtig ist, allen gemeinsam ist. Daher erklärt er, dass „alle Menschen einander Gäste sind“ und dass „der Mensch selbst ein Gast in diesem Leben ist“ (Wort 34). Lasst uns die Kunst der Gastfreundschaft, des Willkommens und des Mitgefühls neu entdecken. Und lernen wir auch, uns zu schämen: ja, jene gesunde Scham zu empfinden, die aus dem Mitleid mit dem leidenden Menschen kommt, aus der Rührung und dem Erstaunen über seinen Zustand, über sein Schicksal, an dem wir teilhaben sollen. Es ist der Weg des Mitgefühls, der uns menschlicher und gläubiger macht. Uns kommt es zu, über die Bekräftigung der unantastbaren Würde eines jeden Menschen hinaus, auch zu lehren, um andere zu weinen, denn nur wenn wir die Mühsale der Menschheit als unsere eigenen empfinden, sind wir wirklich menschlich. …

Falsche, versöhnliche Synkretismen nützen nicht

Liebe Brüder und Schwestern, lasst uns gemeinsam voranschreiten, damit der Weg der Religionen immer freundschaftlicher wird. Abai sagte: „Ein falscher Freund ist wie ein Schatten: Wenn die Sonne auf dich scheint, wirst du ihn nicht los, aber wenn sich die Wolken über dir zusammenziehen, ist er nicht mehr zu sehen“ (Wort 37). Das soll uns nicht geschehen: Möge der Allerhöchste uns von den Schatten des Misstrauens und der Falschheit befreien; möge er uns gewähren, sonnige und geschwisterliche Freundschaften zu pflegen, durch häufigen Dialog und klare Aufrichtigkeit der Absichten. Ich möchte mich für die diesbezüglichen Bemühungen Kasachstans bedanken: Immer zu versuchen zusammenzuführen, immer zu versuchen für Dialog zu sorgen, immer zu versuchen Freundschaft zu schließen. Dies ist ein Beispiel, das Kasachstan uns allen gibt und wir müssen ihm folgen und es dabei unterstützen. Suchen wir nicht nach falschen, versöhnlichen Synkretismen – sie nützen nicht –, sondern bewahren wir unsere Identitäten in Offenheit für den Mut zum Anderssein und für die geschwisterliche Begegnung. Nur so, auf diesem Weg, können wir in den dunklen Zeiten, in denen wir leben, das Licht unseres Schöpfers ausstrahlen. Danke an euch alle!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2022
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Frucht jahrelanger Bemühungen

Botschafter des Friedens

Pfarrer Erich Maria Fink hat die Apostolische Reise von Papst Franziskus nach Nur-Sultan dazu genützt, um mit einer Pilgergruppe aus seiner Pfarrei im Ural eine Wallfahrt in das Nachbarland Kasachstan zu unternehmen. Dort konnte er am Papstgottesdienst teilnehmen und die Atmosphäre erleben, in der die Begegnung der Religionsführer mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche stattgefunden hat. In seinem Beitrag versucht er, die Ereignisse in Kasachstan kirchlich und weltpolitisch einzuordnen. Für ihn hat die Teilnahme des Papstes an der Konferenz eine historische Bedeutung, die sich mehr und mehr als entscheidend für die Erlangung des Friedens und die Erfüllung des christlichen Missionsauftrags erweisen werde.

Von Erich Maria Fink

Papst Franziskus ist trotz aller Gebrechlichkeit vom 13. bis 15. September 2022 nach Kasachstan gereist, um am „Kongress der Führer der Weltreligionen und traditionellen Religionen“ teilzunehmen. Eigentlich ist es unglaublich, was dort geschehen ist. Und es lohnt sich, das Ereignis nachklingen zu lassen und es in aller Ruhe aufzuarbeiten.

Wie willkommen ist der Bote des Friedens!

Wer die Bilder vom Religionsgipfel sieht und die Inhalte der Konferenz auf sich wirken lässt, ist an das Wort aus dem Buch des Propheten Jesaja erinnert: „Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Heil verheißt, der zu Zion sagt: Dein Gott ist König“ (Jes 52,7).

Etwa 100 Delegationen unterschiedlichster Religionen aus 50 Ländern der Erde haben sich im „Palast der Unabhängigkeit“ von Nur-Sultan versammelt und sitzen um einen riesigen runden Tisch. Da wird der Papst aus Rom in einem einfachen Rollstuhl hereingefahren, alle erheben sich, applaudieren und bringen mit ihrer Begrüßungsgeste Wohlwollen und Ehrerbietung zum Ausdruck. In Begleitung des kasachischen Präsidenten Qassym-Schomart Toqajew nimmt das Oberhaupt der katholischen Kirche den vordersten Platz rechts vom Präsidenten ein. Er übernimmt sichtbar den Vorsitz und hält nach einer Einführung der Veranstalter eine programmatische Eröffnungsansprache. Ebenso wird er am Ende des Religionsgipfels eine abschließende Rede halten, bevor die Gemeinsame Erklärung, das zusammenfassende Ergebnis der Konferenz, verlesen werden wird. Auf allen Gruppenfotos der Teilnehmer wird er ins Zentrum gestellt. Papst Franziskus ist bei diesem Ereignis augenscheinlich die entscheidende Gestalt, welche die Verantwortlichen der vertretenen Religionen zusammenführt und auf einen gemeinsamen Weg geleitet.

Tag der „Ernte“ für Papst Franziskus

Ich bin dankbar, dass ich diese Tage in Nur-Sultan verbringen durfte und die Atmosphäre erleben konnte, die dort während dieser 38. Auslandsreise des Papstes herrschte. Franziskus genießt in diesem zu 70 Prozent muslimischen Land eine ungeheure Wertschätzung. Auf Schritt und Tritt wird man von der Hochachtung überrascht, mit der vom Papst aus Rom gesprochen wird. Natürlich haben die Medien im Vorfeld dazu beigetragen, die Konferenz ins Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen und zu einem nationalen Erfolg werden zu lassen. Doch muss das Ereignis auch als Frucht der jahrelangen Bemühungen des Papstes um den interreligiösen Dialog gesehen werden, insbesondere mit der islamischen Welt.

Hätte nicht 2019 die Begegnung in Abu Dhabi stattgefunden, bei der Papst Franziskus mit Groß-Imam Ahmed el-Tayeb von Kairo, der höchsten Autorität des sunnitischen Islam, das „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“ unterzeichnet hatte, wäre die Einladung des Papstes nach Kasachstan in dieser Form schlichtweg undenkbar gewesen. Vor allen Teilnehmern bekundeten Franziskus und Ahmed el-Tayeb mit ihrer Umarmung die Nähe von Christentum und Islam. Es ist ein Zeugnis, das für ein friedliches Zusammenleben auf unserem Planeten mehr bewirken kann, als viele Worte und Verhandlungen. Und Papst Franziskus durfte die Konferenz in Nur-Sultan als reiche Ernte seines unermüdlichen Dialogs erleben.

Der siebte Religionsgipfel in Kasachstan

2003 hatte der langjährige kasachische Staatschef Nursultan Nasarbajew zum ersten Mal eine solche Konferenz veranstaltet. Angesichts der Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA wollte er einen Beitrag zu Eintracht und Frieden in der Welt leisten. Diesen Hintergrund gab er als offizielle Begründung für seine Initiative an. Und immer wieder betonte er, Kasachstan mit seinen rund 150 ethnischen Gruppen betrachte es als seine besondere Aufgabe, religiöse und kulturelle Toleranz zur Grundlage seines gesellschaftspolitischen Lebens zu machen und darin der ganzen Völkerfamilie ein Beispiel zu geben. Schließlich führte er die Kongresse alle drei Jahre durch, bei denen von Anfang an jeweils auch eine Delegation des Vatikans vertreten war. Die Inhalte aber gingen über allgemeine Absichtserklärungen nicht hinaus. Gegenüber einem zunehmenden Liberalismus wurden die moralischen Werte unterstrichen, welche von den verschiedenen Religionen hochgehalten werden.

Mit der jetzigen Konferenz erlangte die Veranstaltung eine neue Ebene. Es war die siebte dieser Art und die erste, welche unter dem neuen Präsidenten Toqajew durchgeführt wurde, der seit 2019 im Amt ist. Papst Franziskus hatte die Möglichkeit, ein umfassendes Programm vorzulegen, an dem sich das künftige Zusammenleben der Religionen in einer globalisierten Welt orientieren müsse. Diese Konkretheit, mit der Krieg, Demokratie und multilaterales Zusammenleben der Völker, religiös motivierte Gewalt, Abtreibung und Euthanasie, Menschenhandel und Ausbeutung, Migration, Pandemie, Armut und Hunger, Klima und Umweltschutz, Solidarität und Gerechtigkeit, Familie und Rechte der Frau, Transzendenz und Himmel behandelt wurden, war für den kasachischen Religionsgipfel etwas Neues. Papst Franziskus hat der Konferenz, die in diesem Rhythmus weitergeführt werden soll, ein neues Gewicht verliehen und Kasachstan in seiner internationalen Rolle gestärkt.

Einerseits also hat die kasachische Staatsführung der katholischen Kirche mit diesem Kongress einen historischen Dienst erwiesen. Denn der Papst wurde als Autorität für die Menschheitsfamilie herausgestellt. Man ist an das Wort von der Völkerwallfahrt im 2. Kapitel des Propheten Jesaja erinnert: „Der Berg des Hauses des HERRN steht fest gegründet als höchster der Berge; er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen alle Nationen. Viele Völker gehen und sagen: Auf, wir ziehen hinauf zum Berg des HERRN und zum Haus des Gottes Jakobs. Er unterweise uns in seinen Wegen, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn vom Zion zieht Weisung aus und das Wort des HERRN von Jerusalem. Er wird Recht schaffen zwischen den Nationen und viele Völker zurechtweisen. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Lanzen zu Winzermessern. Sie erheben nicht das Schwert, Nation gegen Nation, und sie erlernen nicht mehr den Krieg. Haus Jakob, auf, wir wollen gehen im Licht des HERRN“ (Jes 2,1-5).

Andererseits hat Papst Franziskus mit dazu beigetragen, dass dem zentralasiatischen Land eine internationale Aufmerksamkeit zuteilwird. Und dieses Prestige ist dem Land ein großes Anliegen. Es fühlt sich als Puffer zwischen China und Russland, zwischen Ost und West. Und es möchte darin seine Eigenständigkeit behaupten. Es gehört zur politischen Zielsetzung Kasachstans, im Sinn von Toleranz und Frieden mit allen Teilen der Welt zusammenzuarbeiten, um das eigene Land zu fördern und als aufstrebender Staat mit der modernen Welt schrittzuhalten.

Erbe des heiligen Papstes Johannes Paul II.

Papst Franziskus hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die Weichen für sein Engagement im interreligiösen Dialog der hl. Papst Johannes Paul II. gestellt habe. Er führe sein Erbe fort, das 1986 mit dem interreligiösen Treffen für den Frieden in Assisi begonnen habe.

Doch Papst Franziskus setzt neue Akzente. Zum Treffen in Assisi hatte Johannes Paul II. selbst eingeladen. Zunächst wollte er mit dieser Begegnung der Weltöffentlichkeit einfach zeigen, dass die unterschiedlichen Religionen friedlich miteinander zusammen sein können. Entscheidend aber war für ihn die transzendente Ausrichtung der Religion. Vor der ganzen Welt sollten die Vertreter der Religionen ein Zeugnis dafür ablegen, dass der Friede nicht allein mit menschlicher Kraft geschaffen werden kann, sondern ein Geschenk Gottes ist und bleibt. Gott allein kann die Menschen in Harmonie und Eintracht zusammenführen. Aus diesem Grund sollte die Begegnung in Assisi ausdrücklich ein Gebetstreffen sein, bei dem sich jeder auf seine Weise an Gott wendet und ihn um das Geschenk des Friedens bittet.

Franziskus hat einen anderen Ansatzpunkt, von dem er vor allem im Dialog mit dem Islam ausgeht. Er betont, dass wir gemeinsam an Gott als den Schöpfer der Welt und des Menschen glauben. Auf diesem Hintergrund seien alle Menschen Brüder und Schwestern. Als solche müssten wir einander annehmen und die Herausforderungen der heutigen Zeit als gemeinsame Aufgabe sehen. Nur gemeinsam könnten wir die modernen Probleme der Menschheit lösen. Das ist die Quintessenz des Dokuments über die Brüderlichkeit vom Jahr 2019. Und es ist für Papst Franziskus ein gewaltiger Fortschritt, dass dieses Dokument nun in Kasachstan auch von den Vertretern der anderen Religionen angenommen wurde.

In Punkt 13 der gemeinsamen Abschlusserklärung heißt es: „Wir anerkennen die Bedeutung und den Wert des Dokuments des Heiligen Stuhls und Al-Azhar Al-Sharifs über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt – das von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in der Resolution A/RES/75/200 vom 21. Dezember 2020 angenommen wurde – und die im Mai 2019 angenommene Erklärung von Mekka, die die Gläubigen zu Dialog, gegenseitigem Verständnis und Zusammenarbeit für das Gemeinwohl aufrufen.“

Das Kreuz Christi als Zeichen der Hoffnung

Wenn man den Religionsgipfel in Kasachstan als heilsgeschichtliches Ereignis verstehen will, so muss man die beiden Teile der Apostolischen Reise als Einheit zusammensehen: die Auftritte des Papstes im „Palast der Unabhängigkeit“ mit den Religionsführern und dazwischen die Hl. Messe auf dem Expo-Gelände im Zentrum der Stadt.

Es ist eine göttliche Fügung, dass der Gottesdienst am 14. September, also am Fest Kreuzerhöhung, stattfand. Papst Franziskus ging mit unmissverständlicher Klarheit auf die Bedeutung des Kreuzes ein und legte ein flammendes Zeugnis für die Herzmitte des christlichen Glaubens ab, nämlich die Erlösung durch das Kreuzesopfer Jesu Christi, des Sohnes Gottes, die „erhöhte und rettende Schlange“. Frieden gibt es nur durch dieses Versöhnungswerk. Das Kreuz ist der Weg zum Frieden. Diese Botschaft ist für den Islam die größte Herausforderung, ja Provokation, das, was die Muslime am radikalsten ablehnen.

Nun muss man sich vorstellen, dass dieser Gottesdienst vom kasachischen Fernsehen live übertragen wurde, in höchster Qualität und mit besten Kommentaren. Auf dem Platz nahmen etwa 12.000 Menschen teil, die Mehrheit von ihnen waren keine getauften Christen, sondern Muslime. Neben der Predigt wurde im Vorprogramm auf sehr einfühlsame und missionarische Weise die katholische Kirche vorgestellt. Gleichzeitig war die ehrfürchtige Liturgie mit ihrer hervorragenden musikalischen Gestaltung ein beredtes Glaubenszeugnis.

Die Pilger aus unserer Pfarrei, die mit mir nach Kasachstan gekommen waren, bekundeten nach dem Gottesdienst ihre Ergriffenheit. Manche waren schon bei zahlreichen anderen Papstgottesdiensten dabei, mit Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus, doch von dieser Heiligen Messe waren sie am tiefsten berührt. Was sich da unter freiem Himmel bei strahlendem Sonnenschein in Kasachstan abgespielt hat, ist ein Geschenk von oben.

Zahlreiche Priester, die vor Ort tätig sind, brachten ihre Dankbarkeit zum Ausdruck. Sie erklärten, dass wir uns kaum vorstellen könnten, wie dieses Ereignis ihre missionarische Arbeit unterstütze. Es sei für die katholische Kirche heutzutage in der kasachischen Gesellschaft schwieriger als vor 25 Jahren, denn die meisten Katholiken hätten das Land verlassen. Doch nun beginne die Missionierung unter den Einheimischen. Und das sei die Zukunft, welche auch für andere muslimische Länder richtungsweisend sein könne. Denn immer mehr ethnische Kasachen bereiten sich auf die Taufe vor und werden Zeugen des Evangeliums. Eine solche Fernsehübertragung nehme Ängste, überwinde Barrieren und bereite den Boten für die Frohe Botschaft. Papst Franziskus aber öffne mit seinem Einsatz für Toleranz die Türen. Und so werde der Dialog unmittelbar zu einem Weg der Evangelisierung.

Kritische Stimmen und Ausblick

Von konservativer Seite wird dem Papst häufig vorgeworfen, er übe Verrat am christlichen Missionsauftrag. Die Gegner des Dialogs, wie er von Papst Franziskus gefördert wird, nehmen besonders an der Formulierung Anstoß, wie sie auch im Punkt 10 der Gemeinsamen Erklärung verwendet wird. Dort heißt es: „Wir stellen fest, dass Pluralismus und Unterschiede in Religion, Hautfarbe, Geschlecht, Rasse und Sprache ein Ausdruck der Weisheit des göttlichen Willens sind, mit dem Gott den Menschen geschaffen hat. In dieser Hinsicht ist jede Art von Zwang zu einer bestimmten Religion und religiösen Lehre inakzeptabel.“ Es sei also gottgewollt, dass nicht alle Menschen an Jesus Christus glaubten.

Einer der schärfsten Kritiker des derzeitigen Pontifikats ist in diesem Punkt Weihbischof Athanasius Schneider vom Erzbistum der Allerheiligsten Jungfrau Maria zu Astana. Ausgerechnet er stand nun mit Papst Franziskus in Kasachstan öffentlich am Altar. Es tut mir weh, dass er gleich nach der Papstreise in einem Interview erklärte: „Ich halte diese Art von Veranstaltungen für schädlich für das Leben der Kirche, weil sie den Eindruck erwecken, dass alle Religionen mehr oder weniger gleich sind, und die Einzigartigkeit des katholischen Glaubens und von Jesus Christus als einzigem Weg des Heils relativieren. Unser Herr erscheint dort nur als ein weiterer der großen Gründer und die katholische Kirche als eine weitere unter so vielen Religionen in einem ‚Supermarkt der Glaubensvorstellungen‘. Dies entspricht nicht der Wahrheit des Evangeliums; die Apostel würden so etwas niemals tun, und es ist ein Fehler des Heiligen Stuhls, solche Veranstaltungen zu organisieren, daran teilzunehmen oder Bischöfen und Kardinälen zu erlauben, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. Die Absicht ist gut, sie ist positiv, um den Frieden und den gegenseitigen Respekt in einer Welt mit so vielen ethnisch-religiösen Unterschieden zu fördern, aber die Art und Weise, wie diese Kongresse abgehalten wurden, von Assisi bis heute, ist schädlich.“

Ich bin überzeugt, dass diese dezidierte Haltung der Sache nicht gerecht wird. Ich sehe darin einen Mangel an Weitblick und an globalem Einfühlungsvermögen. Weder Johannes Paul II. noch Papst Franziskus stellen die Einzigartigkeit des katholischen Glaubens in Frage. Diese Vorwürfe werden ebenso oberflächlich in den Raum geworfen, wie nun auch die Kritik von liberaler Seite erfolgt. Nach der Reise wurde dem Papst vorgehalten, wie er Demokratie und Gleichberechtigung der Frau einfordern könne, wo doch die katholische Kirche genau in diesen Punkten versage. Und der Papst dürfte sich überhaupt nicht darauf einlassen, von einem autoritär regierenden Präsidenten hofiert zu werden, der bei den Unruhen in Kasachstan Anfang 2022 der Polizei den Befehl erteilt habe, auf Demonstranten zu schießen.

Aber genau deshalb lässt sich der Papst auf den Dialog ein und wird vom 3. bis 6. November auch zum angekündigten Dialog-Forum nach Bahrain reisen. Der für das nördliche Arabien zuständige, aus der Schweiz stammende Bischof Paul Hinder bezeugt, dass das Bemühen des Papstes bereits jetzt Frucht bringt und die Arbeit der katholischen Kirche in den arabischen Ländern offenkundig erleichtert.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2022
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Zeugnisse der katholischen Kirche in Kasachstan

Mit Freude das Evangelium bringen

Beim Treffen mit den Priestern und Ordensleuten in der Kathedrale von Nur-Sultan am 15. September 2022 wurde Papst Franziskus von Bischof José Luís Mumbiela Sierra aus Almaty begrüßt. Der aus Spanien stammende Geistliche ist seit 2015 Vorsitzender der kasachischen Bischofskonferenz und seit April 2022 Präsident der neuen Zentralasiatischen Bischofskonferenz, welche sieben Länder umfasst. In seiner Begrüßung sagte er: „Die meisten von uns sind Ausländer, aber es gibt bereits viele wertvolle einheimische Berufungen, die wahre Perlen der Hoffnung für die Kirche und unsere Gemeinschaft sind.“ Darauf ging der Papst in seiner Ansprache ein und sagte: „Das stimmt, denn ihr kommt aus verschiedenen Orten und Ländern, aber das Schöne an der Kirche ist: Wir sind eine einzige Familie, in der niemand ein Fremder ist. Ich wiederhole: Niemand ist ein Fremder in der Kirche, wir sind ein einziges heiliges Volk Gottes, das von vielen Völkern bereichert wird! Und die Stärke unseres priesterlichen und heiligen Volkes liegt genau darin, aus der Vielfalt einen Reichtum zu machen, indem wir teilen, was wir sind und was wir haben: das Geringe, das wir haben und sind, vervielfacht sich, wenn wir es teilen.“

Zeugnis des Priesters Ruslan Rachimberlinow

Ruslan (geb. 1983) ist ethnisch kasachischer Priester und seit 26. Mai 2022 Rektor des überdiözesanen Priesterseminars „Maria, Mutter der Kirche“ in Karaganda:

„… Ich bin Priester, ein Diener Christi, der stolz darauf ist, in diesem Land geboren und aufgewachsen zu sein und einen integralen Bestandteil der Zukunft zu bilden, welche Kasachstan für uns alle in dieser multi-ethnischen, multi-kulturellen und multi-religiösen Nation aufbauen möchte.

In diesem Sinn, so denke ich, ist es schon viel, einfach Priester zu sein. Auf das zu schauen, was zwischen Gott und jedem einzelnen Menschen vor sich geht, und zu verstehen, dass all dies nicht von dir, dem Diener, kommt, dass du es nicht selbständig hervorbringen oder ändern kannst, sondern dass es dir von Gott gegeben worden ist, nur um bei diesem göttlichen Wirken dabei zu sein und es mit Staunen und Ehrfurcht zu bezeugen. Wenn also jemand als Priester Zeuge des Schmerzes, der Probleme, der Krankheiten, der Armut und der Ängste der Menschen wird, die seiner Seelsorge anvertraut sind, kann er nichts anderes tun, als zu beten, zu begleiten, zu verstehen, Mitgefühl zu zeigen und, soweit es möglich ist, ihnen zu helfen.

Die Menschen hier brauchen die Anwesenheit eines Priesters, der die Eucharistie feiert, der die Sakramente spendet, der es versteht, in der Predigt ein gutes Wort zu sagen, der fähig ist, sie in schwierigen Zeiten zu verstehen und zu unterstützen, sich aber auch mit ihnen in Momenten des Trostes zu freuen und sie zu ermutigen. Unsere Kirche hier in Kasachstan ist eine kleine Herde Christi und ich bin sicher, dass es in dieser Situation Möglichkeiten gibt, das Reich Gottes wachsen zu lassen, die Freude des Evangeliums zu bezeugen, Schwierigkeiten und Hindernisse zu überwinden. Ich weiß nicht, wie die Vorsehung hier auf dieser Erde für unsere Kirche sorgt, aber ich bin gewiss, dass sie sich darum kümmert. Wir müssen uns nur der Gnade sicher sein, die uns Christus, der Oberste Hirt der Seelen, niemals vorenthält.

Wir brauchen auch Ihr Gebet und Ihren väterlichen Segen! Danke.“

Zeugnis von Schwester Clara

Sie gehört zur „Gemeinschaft der Seligpreisungen“ und spricht im Namen der Schwestern von Kasachstan:

„… Das erste, was ich sagen möchte, sind Worte der Dankbarkeit an Gott für meine Berufung! Berufung ist ein Geheimnis der Liebe zwischen Gott und dem Menschen. Danke allen Menschen, die in meinem Leben Zeugen für Christus geworden sind und mir geholfen haben, auf Gottes Ruf zu antworten. Eine Ordensfrau zu sein, bedeutet für mich, im geistlichen Sinne für jeden Menschen eine Mama zu sein. Für Christus Zeugnis abzulegen, heißt, zu zeigen, wie die Liebe und Barmherzigkeit Gottes in meinem Leben gewirkt haben und weiterhin wirken. Jeden Tag kann ich mich davon überzeugen, dass für Gott nichts unmöglich ist! Jeden Tag lehrt mich der Herr, meinen Nächsten zu lieben und anzunehmen. Ich kann sagen, dass ich, als ich jünger war, so viele Dinge für Christus tun wollte. Heute bitte ich Ihn, dass Er durch mich zum Wohl der anderen wirke.

Hier in Kasachstan von Christus Zeugnis zu geben, bedeutet, bei den Menschen zu sein, sie zu begleiten, sich zu freuen, wenn sie sich freuen, sie zu unterstützen, wenn sie weinen. Es ist ein Zeugnis für das aktive Dasein, das einfache Dienen und die Barmherzigkeit Gottes. Es ist mir eine gro-ße Freude zu sehen, wie sich Menschen Jesus nähern, der für alle gestorben und auferstanden ist und der alle an der Erlösung teilhaben lassen will, der gekommen ist, um uns die Erlösung ohne unsere Verdienste zu schenken.“

Zeugnis von Frau Miroslawa Galuschka

Sie ist die Ehefrau eines griechisch-katholischen Priesters der Apostolischen Administratur für die Katholiken des byzantinischen Ritus in Kasachstan und Zentralasien:

„Eure Heiligkeit, ich bin Miroslawa Galuschka, die Ehefrau eines griechisch-katholischen Priesters, Mutter von vier Kindern und von Beruf Lehrerin. Bereits zehn Jahre helfe ich meinem Mann bei seinem Dienst in den Missionen für die katholischen Gläubigen des byzantinischen Ritus in Kasachstan.

Ich bin dem Herrn dankbar, dass mein Mann damals auf den Ruf des Heiligen Geistes geantwortet und beschlossen hat, sein Heimatland zu verlassen, um hierher zu kommen und in Kasachstan zu dienen, das Leben mit Menschen zu teilen, die der Herr auf den Weg des christlichen Glaubens gestellt hat und die von der Liebe Gottes und der Freude des Evangeliums getragen werden.

Ich bin sehr froh, dass Gott mir die einmalige Gelegenheit gegeben hat, vor dem Nachfolger des Apostels Petrus zu stehen, mich an Sie zu wenden und um Ihren Segen zu bitten, damit der Allmächtige mir erlaubt, Seine Liebe in die Welt zu tragen und ein lebendiges Beispiel seiner Gegenwart unter den Menschen zu sein.

Heiliger Vater, Sie sind als Botschafter des Friedens nach Kasachstan gekommen. Ich danke Ihnen für Ihre Gebete und all die Bemühungen, die Sie unternehmen, um den Frieden in meiner Heimat, der Ukraine, wiederherzustellen. Möge der Herr Ihre Gebete erhören!“

Zeugnis von Herrn Kirill Borejtschuk

Er kommt aus der Apostolischen Administratur von Atyrau (kasachische Hafenstatt Atyrau im Norden des Kaspischen Meers) und spricht im Namen der Laien und kasachischen Familien:

„Lieber Vater, mein Name ist Kirill, ich bin Ehemann und Vater von fünf Kindern. Zusammen mit meiner Familie befinde ich mich auf dem Weg des Katechumenats, der schrittweisen christlichen Initiation.

Im Namen aller Familien unseres weiträumigen Kasachstans sagen wir Ihnen: „Herzlich willkommen, Heiliger Vater!“ (in vier Sprachen: auf Kasachisch, Spanisch, Russisch und Italienisch)

Zunächst einmal ist es erwähnenswert, dass ich der einzige Sohn geschiedener Eltern bin, der weder mit einer väterlichen Erziehung noch mit einer vollwertigen Familie Erfahrung hat und dementsprechend im einfachen egoistischen Kreis des eigenen „Ich“ aufgewachsen ist, in dem die besondere Überzeugung verwurzelt ist, dass alle dir etwas schulden und dass du alles tun kannst, was du willst.

Ich möchte Gott, dem Herrn, die Ehre geben, dafür, dass er mich auf den Weg des christlichen Lebens im Schoß der katholischen Kirche berufen hat, Gott, der mir neue Horizonte eröffnet und mich von Vorurteilen befreit, die aus verschiedenen Bereichen meines Kindheits- und Erwachsenenlebens stammen.

Was bedeutet es für mich, ein christlicher Ehemann und Vater zu sein? Ich bin mir bewusst, dass der Kampf des Christen, unabhängig von seinem Status quo, in der ständigen Wachsamkeit gegenüber den drei Versuchungen Satans besteht: Geld, Macht und körperliche Lust. Das christliche Leben besteht für uns in der synthetischen Formel des heiligen Apostels Paulus: nicht für sich selbst leben. Gerade in der Kirche, im Hören auf das Wort Gottes, in der Teilnahme an der Liturgie und im Leben in christlicher Gemeinschaft lernen wir, für Christus zu leben, der sein Leben für uns hingegeben und die Angst vor dem Tod vernichtet hat: also die Offenheit für das Leben und die Weitergabe des Lebens nach dem Willen Gottes sind ein konkreter Beitrag, um diesen Sieg Christi herbeizuführen.

Zeit, Gesundheit, Geld einzusetzen oder den Mut nicht zu verlieren, wenn sie nicht ausreichen, auf die Bedürfnisse eines jeden zu achten, und sich dabei in den Hintergrund zu stellen und zu bezeugen, dass das Leben des Menschen nicht von der Fülle seines Besitzes abhängt und dass wir Gott vertrauen und zusammen mit Abraham sagen können: „Der HERR sieht!“ (Jahwe-Jire) – Gott wird sorgen. Eine kinderreiche christliche Familie ist auch eine gute Plattform, um in der Demut zu wachsen: Wenn wir viele sind, ist es einfach unmöglich, Macht – im tyrannischen Sinn – in einer Hand zu konzentrieren, weil in einer Familie das egoistische „Ich“ jeden Tag gezwungen ist, sich in die Göttliche Dreifaltigkeit – in ein „Wir“ – zu verwandeln.

Indem wir in der Kirche lernen, vom menschlichen Egoismus zur bedingungslosen ehelichen Liebe überzugehen, versuchen wir bewusst, als gesunde Zelle einen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben unseres Landes zu leisten. Mit Gottes Hilfe hoffen wir, unseren winzigen Beitrag zum Aufbau des Reiches Gottes zu leisten, das schon hier auf Erden beginnt, wenn wir das höchste Gebot Jesu erfüllen: „Liebt einander, wie Ich euch geliebt habe.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2022
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Christliche Organisation ADF verteidigt Menschenrechte

Ermutigende Gerichtsurteile

ADF steht für „Alliance Defending Freedom“ (Allianz zur Verteidigung der Freiheit). Es handelt sich um eine christliche, weltweit tätige Menschenrechtsorganisation, die sich dafür einsetzt, dass Religions- und Meinungsfreiheit für alle gelten, jeder ein Recht auf Leben hat, Ehe und Familie geschützt und die Elternrechte garantiert werden. Die international tätige Organisation sieht ihre Hauptaufgabe darin, Menschen, deren Grundrechte verletzt worden sind, juristische Unterstützung und kostenlosen Rechtsbeistand vor Gericht anzubieten. Dazu arbeitet die rein spendenfinanzierte Organisation mit einem weltweiten Netzwerk von Anwälten und Experten zusammen. Mit Erfolg hat sich ADF International gegen das Verbot von Gebeten, Versammlungen oder anderen Veranstaltungen in der Nähe von Abtreibungsorganisationen zur Wehr gesetzt und Menschen, die wegen solcher Aktionen zu Strafen verurteilt worden waren, verteidigt. Davon berichtet Ludwig Brühl, der als Journalist für ADF International arbeitet.

Von Ludwig Brühl

Auch wenn es in der Medienlandschaft nicht so aussieht: Viele Menschen können sich darauf einigen, dass man für Frauen in Not und besonders in Schwangerschaftskonfliktsituationen alles Mögliche tun muss. Lebensschutz und die Unterstützung von Schwangeren sind sogar grundgesetzliche Aufgaben des Staates.

Alles zu tun, bedeutet, anderen finanziell und praktisch beizustehen, psychologische Hilfe und Empathie anzubieten. Für Christen schließt „alles Mögliche“ auch die Unterstützung im Gebet ein.

Gebet für den Schutz des Lebens

Deswegen beteten Pavica Vojnović und die von ihr geleitete 40 Tage für das Leben-Gruppe in Pforzheim zweimal jährlich in der Nähe des Gebäudes der örtlichen Abtreibungsberatungsstelle von pro familia. Von dem Namen der Organisation darf man sich nicht täuschen lassen. Pro familia verdient unter anderem Geld mit Abtreibungen und ist der deutsche Arm des milliardenschweren Abtreibungskonzerns Planned Parenthood Federation.

Eine vierspurige Straße trennte die Gebetsgruppe von dem Gebäude. 2019 jedoch verbannte die Stadt Pforzheim das Gebet komplett aus der Hör- und Sichtweite und wies der Gruppe einen abgelegenen Platz jenseits einer stark befahrenen Kreuzung zu. „Gebete zwischen Abgasen und Rotphasen“, titelte eine Lokalzeitung.

Gegen den Platzverweis klagte Pavica Vojnović vor Gericht. Nach der mündlichen Verhandlung Ende August erging kurz darauf das Urteil durch den Verwaltungsgerichtshof Mannheim. Das Gericht ist bereits die zweite Instanz, die sich mit dem Fall beschäftigt. Ein Karlsruher Gericht hatte die Klage zunächst abgewiesen. Voj-nović ging dagegen in Berufung, die vom VGH Mannheim zugelassen wurde.

Ein Urteil für die Versammlungsfreiheit

Das Urteil aus Mannheim ist ein Erfolg für Pavica Vojnović. Die Richter entschieden, dass das Verbot der stillen Versammlungen gegenüber der Abtreibungsberatungsstelle rechtswidrig war. Vojnović zeigte sich „erleichtert, dass das Gericht unser Recht auf Versammlungs-, Religions- und Meinungsfreiheit bestätigt hat“. Tatsächlich verwies das Urteil auf den hohen Schutz dieser Grundrechte.

Bereits in der mündlichen Verhandlung hatte Vojnovićs Rechtsanwalt klargestellt, dass Zweck und Inhalt der Versammlungen nur das Gebet gewesen seien. Die Beter sprachen niemanden an, sondern beteten still. Auf der anderen Seite argumentierten die Vertreter der Pforzheimer Behörden, die Stadt wollte die Anonymität der Frauen schützen, die die Beratungsstelle von pro familia aufsuchen. Dem setzte das Gericht entgegen, dass man in der Öffentlichkeit keine Anonymität garantieren könne. Zudem sei die Entscheidung über einen Versammlungsort dem Veranstalter überlassen.

Die christliche Menschenrechtsorganisation ADF International unterstützte Vojnović während dem Prozess. ADF International setzt sich auf juristischem Wege für Meinungs- und Religionsfreiheit ein. Der zuständige Rechtsanwalt der Organisation, Dr. Felix Böllmann, sagte dazu: „Äußerungen zum Schutz des ungeborenen Lebens zu unterbinden, gehört leider in Deutschland und anderen Ländern zur aktuellen politischen Agenda.“

Bundesregierung will Einschränkungen

Tatsächlich sollte vor allem die Bundesregierung den Argumenten in Verhandlung und Urteil Gehör schenken. In ihrem Koalitionsvertrag spricht die Ampel-Regierung pauschal von „Gehsteigbelästigung“, gegen die man „wirksame gesetzliche Maßnahmen“ erlassen möchte. Regionalpolitiker legen da schon einmal vor: In Hessen ordnete Innenminister Peter Beuth (CDU) in einem Erlass an, keinerlei Veranstaltungen in der Nähe von Abtreibungsorganisationen zu genehmigen. Und in Baden-Württemberg sagte Katja Mast (SPD), Bundestagsabgeordnete aus der Region Pforzheim, zu möglichen „Zensurzonen“: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“

Damit stehen die Politiker international leider nicht allein da. Zahlreiche Kommunen im Vereinigten Königreich (UK) planen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit in der Nähe von Abtreibungsorganisationen. In Südeuropa zeigt sich Spanien besonders extrem. Dieses Jahr verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das Gebet vor Abreibungseinrichtungen verbietet und mit Gefängnisstrafe bedroht.

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon beklagte sich vor kurzem öffentlich, dass internationale Menschenrechte die Regierung hindern würden, Gebet vor Abtreibungskliniken einzuschränken. Dass die Einschränkung das Ziel sei, daraus machte die Rechtsanwältin keinen Hehl.

Dabei sind die Grundrechte in Deutschland und Europa klar definiert: Religions-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind gesetzlich geschützt. Darum liegt die Hoffnung der Beter oft bei den Gerichten. Zu Recht, wie der Fall von Vojnović zeigt. „Ich freue mich, dass wir unser Gebet zur Unterstützung von Frauen und ihren ungeborenen Kindern wiederaufnehmen können, und zwar dort, wo es aus unserer Sicht am meisten Sinn macht“, sagte die Pforzheimerin nach dem Urteil.

Hoffnung liegt bei den Gerichten

Auch das Gesetz in Spanien wird gerade angefochten. In Großbritannien gab es vor kurzem einen ähnlichen Erfolg: Rosa Lalor, eine ältere Dame aus Liverpool, musste doch keine Strafe zahlen, nachdem sie in der Nähe einer Abtreibungsklink gebetet hatte. Auch hier hatte ADF International interveniert und die 76-jährige verteidigt.

In Hessen gewann eine 40 Tage für das Leben-Gruppe mehrmals gegen Gebetsbeschränkungen vor Gericht. Auch das Urteil in Mannheim ist eine starke Bestätigung der Grundrechte. Jetzt hofft Vojnović, dass es erst einmal vorbei ist mit Gerichtsprozessen und sie sich wieder ihrer Hauptaufgabe widmen kann: dem stillen Gebet.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2022
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Große Dank- und Bittfeier für Deutschland mit dem Apostolischen Nuntius

Ein Licht im säkularen Berlin

Aus Anlass des 32. Jahrestages der Wiedervereinigung Deutschlands zogen am 12. Oktober 2022 drei- bis viertausend Beter mit der Fatima-Madonna durch Berlin. Den Auftakt bildete ein Pontifikalamt des Apostolischen Nuntius, Erzbischof Dr. Nikola Eterović, in der Kirche St. Clemens. Die apostolisch engagierte Musikerin und Theologin Dr. Margarete Strauss hat an diesem außerordentlichen Ereignis teilgenommen und beschreibt mit bewegenden Worten, wie sie diese Gnadenstunden erlebt hat.

Von Margarete Strauss

Ein sonniger Tag in Berlin mitten im goldenen Oktober. Die Straße des 17. Juni ließ gegen 15 Uhr noch nicht erahnen, was sich Stunden später dort ereignen würde. Ich machte mich auf den Weg nach St. Clemens, wo der Gebetstag eröffnet werden sollte. Da ich schon vor Jahren einmal dort war, überraschte es mich nicht, dass die Kirche von außen als solche nicht erkennbar ist. Im Innenhof war bereits viel Bewegung zu spüren. Die Technik für die Übertragungen von K-TV und EWTN wurde aufgebaut, Menschen strömten von überall herbei, um sich mit Kerzen einzudecken und sich einen Platz zu sichern.

Eröffnungsgottesdienst mit dem Apostolischen Nuntius

Gegen 16 Uhr betrat ich die Kirche und war erstaunt darüber, wie voll sie bereits war. St. Clemens ist für die Ewige Anbetung bekannt, weshalb das Allerheiligste ausgesetzt war und der Rosenkranz gebetet wurde. Bis zum Beginn des Pontifikalamts mit dem Apostolischen Nuntius in Deutschland, Erzbischof Dr. Nikola Eterović, erklangen Lobpreislieder und die Plätze füllten sich weiter. Viele Pilger kamen nicht mehr in die Kirche hinein und konnten die Hl. Messe von draußen über die Lautsprecher mitverfolgen. Das Pontifikalamt begann pünktlich um 17 Uhr und viele Priester waren zugegen, darunter auch Pfarrer Werner Maria Heß von K-TV und Pater Paulus Maria Tautz CFR. Bevor die Messe begann, hielten Dr. h.c. Michael Hesemann als Zweiter Vorsitzender des Vereins „Deutschland dankt Maria e.V.“ und Manfred Benkert als Initiator von „Deutschland betet Rosenkranz“ Begrüßungsansprachen.

Wirkmächtiges Eingreifen Gottes in die Geschichte

Hesemann ordnete den Gebetstag historisch ein und erklärte, warum Fatima als das „wirkmächtigste Eingreifen Gottes in die Geschichte seit den Tagen der Apostel“ zu bezeichnen ist, wie Papst Pius XII. sagte. Er erklärte, wie folgenreich die bisherigen Marienweihen der Päpste Pius XII. und Johannes Paul II. gewesen sind, indem er die historisch-politischen Wendepunkte rund um das Ende des Zweiten Weltkriegs und den Zusammenbruch der Sowjetunion entfaltete. Der wesentliche Sinn der Fatima-Lichterprozession bestehe laut Hesemann darin, der Gottesmutter für diese Auswirkungen zu danken und zugleich um Frieden in Europa zu bitten. Der Bau einer Fatima-Kapelle sei geplant, wofür auch eine Kollekte erbeten wurde.

In der sich anschließenden Begrüßung Manfred Benkerts brachte dieser zunächst einmal die Initiative „Deutschland betet Rosenkranz“ näher, die einen besonderen Bezug zu Fatima hat: „Dabei beten wir vor allem um Einheit und Frieden, um die Bekehrung der Herzen und eine Erneuerung im Heiligen Geist und dass Gott wieder den ersten Platz einnehmen möge in der Gesellschaft und im Leben eines jeden Einzelnen. Und wir beten um die Beendigung der Kriege in der Ukraine und an allen Konfliktherden dieser Welt.“ An 800 Orten in Deutschland wird jeden Mittwoch der Rosenkranz gebetet, ein Grund, warum die Fatima-Lichterprozession in Berlin an einem Mittwoch und am Vorabend des Fatimatages abgehalten wurde. Benkert fasste die Botschaft von Fatima für die Menschen von heute zusammen, die „Glaubens- und Friedensboten, ja Hoffnungsbringer“ sein sollen „in einer Welt, die gerade so dunkel ist“.

Erneuerung der Marienweihe Deutschlands

Im Anschluss an die Grußworte begann die Hl. Messe, die von einem Ensemble der Pfarrei St. Clemens musikalisch mitgestaltet wurde. In der Predigt griff der Nuntius die historischen Auswirkungen von Fatima auf und erklärte die Wichtigkeit einer Marienweihe in schweren Zeiten. Er zitierte das zweite Fatima-Geheimnis und erklärte, dass der Bitte um eine Weihe Russlands an das Unbefleckte Herz Mariens nicht nachgekommen war und die Beleidigungen Gottes nicht aufgehört hätten: „Die Worte Unserer Lieben Frau wurden leider nicht gehört, und die Welt erlebte den noch schlimmeren Zweiten Weltkrieg, mit ungeahnter materieller Zerstörung und noch mehr Opfern als im Ersten Weltkrieg.“ Er verwies auf die Marienweihen des Papstes Johannes Paul II. am 13. Mai 1982 in Fatima und am 25. März 1984 im Vatikan, in denen er Russland dem Unbefleckten Herzen weihte. Er verwies auch auf Papst Franziskus, der dies am 25. März 2022 wiederholte. Der Nuntius nahm sich in seiner Predigt auch jener an, die sich mit der Botschaft von Fatima schwertun: „Die Botschaft von Fatima ist kei-ne neue Offenbarung, sondern unterstreicht vielmehr wesentliche Punkte unseres Glaubens, die schon in der Heiligen Schrift und der lebendigen Tradition der Kirche gegenwärtig sind.“ Er betonte die Notwendigkeit, das Gebet und das Fasten neu zu entdecken, wie die Gottesmutter in Fatima wünschte und die Hl. Schrift an vielen Stellen belegt. Er legte den Pilgern das Rosenkranzgebet nahe, das die Gottesmutter in Fatima den Hirtenkindern bereits ans Herz legte und das im Monat Oktober besonders gepflegt wird.

Statt Fürbitten wurde ein Weiheakt durch den Nuntius vorgenommen, ein Programmpunkt, der eigentlich zum Abschluss der Prozession an der Siegessäule erfolgen sollte, an dem der Nuntius jedoch nicht teilnehmen konnte.

Lichterprozession durch Berlin – ein überragendes Bild

Nach dem Pontifikalamt begann die Lichterprozession. Ich überblickte den Platz, der schon mit vielen Pilgern gefüllt war. Die Fatima-Nationalmadonna erstrahlte inmitten der Dunkelheit des Abends, als sich zunächst die Bannerträger, sodann Pater Paulus Maria Tautz mit dem Vortragekreuz und die Wallfahrtsfahnen positionierten, gefolgt von den Ministranten mit Bildern und Reliquien, daraufhin die Priester, dann die Fatima-Nationalmadonna, die von mehreren jungen Männern getragen wurde, dann die Vorbeter mit Mikrofon, die anwesenden Ordensleute, dahinter die Pilger der Marienwallfahrtsorte mit ihren Bildern, danach alle Gläubigen. Zugegen waren als Gebetsgruppen das Fatima-Weltapostolat Fulda, die Fatima-Gebetsgruppe Krefeld, die Sievernich-Gebetsgruppe, die Gebetsgruppen aus Heroldsbach, Wigratzbad, Marienfried, Heede, Kevelaer und Etzelsbach-Eichsfeld sowie das Sy-ro-Malabar Youth Movement.

Zunächst bewegte sich die Prozession auf der Stresemannstraße, wobei der Rosenkranz gebetet wurde. Der Publizist Martin Lohmann betete vor. Das Ehre sei dem Vater wurde gesungen und die Prozessionskerzen erhoben, wie man es unter anderem aus Fatima kennt. Es war ein überragendes Bild, als die Pilger der Gottesmutter ihre Lichter emporstreckten! Es wurden weitere Lieder angestimmt wie das Salve Regina und das von Manfred Benkert vorgesungene Fatima-Lied.

Rede Papst Johannes Pauls II. 1996

Am Brandenburger Tor angekommen wurde eine erste Andacht gehalten. Martin Lohmann verlas die Rede des hl. Papstes Johannes Paul II., die dieser 26 Jahre zuvor an derselben Stelle gehalten hatte. Er erklärte einleitend: „Wir hören jetzt die wichtigsten Passagen der Rede, die der heilige Papst Johannes Paul II. am 23. Juni 1996 hier auf der anderen Seite des Brandenburger Tors gehalten hat. Für jeden, der dabei war – ich glaube viele von uns waren dabei –, war es ein ganz besonderer Moment, als derjenige, der wesentlich zum Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs und der Mauer beigetragen hat, hier durch das Tor der Freiheit ging zusammen mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl. Und ich darf sagen, dass der vor wenigen Tagen verstorbene Michael Gorbatschow mir auf meine Frage – ich durfte ihm einige Male begegnen –, ob er seine Mission eigentlich ohne Johannes Paul II. hätte verrichten können, geantwortet hat: ‚Nein, mit Johannes Paul II. hatte ich so etwas wie einen, der mich segnet und der meine Mission erst wirklich gemacht hat.‘“ Es war eine Rede über die Freiheit des Menschen, in der Johannes Paul II. unter anderem sagte: „Freiheit bedeutet nicht das Recht zur Beliebigkeit. Freiheit ist kein Freibrief! Wer aus der Freiheit einen Freibrief macht, hat der Freiheit bereits den Todesstoß versetzt. Der freie Mensch ist vielmehr der Wahrheit verpflichtet. Sonst hat seine Freiheit keinen festeren Bestand als ein schöner Traum, der beim Erwachen zerbricht.“ Ganz prägnant fasste er jeweils in einem Satz zusammen: „Es gibt keine Freiheit ohne Wahrheit.“ Sodann: „Es gibt keine Freiheit ohne Solidarität“ und „keine Freiheit ohne Opfer.“ Schließlich kommt er zur Pointe: „Christus ist unser Erlöser, ist unsere Freiheit.“

Berührender Moment – die Madonna unter dem Brandenburger Tor

Im Anschluss an die Rede wurde das Brandenburger Tor gesegnet, indem die Fatima-Madonna durch das Tor hindurchgetragen wurde. Dabei stimmten die Pilger „Gegrüßet seist du Königin“ an. Es war ein berührender Moment, vor allem für jene, die schon damals beim Pastoralbesuch des Papstes 1996 der Rede gelauscht hatten.

Der Zug setzte sich sodann auf der Straße des 17. Juni fort in Richtung Siegessäule, wobei eine weitere Zwischenstation am Sowjetischen Ehrenmal eingelegt wurde. Die Prozession bewegte sich singend und die Lauretanische Litanei betend auf der abgesperrten Hälfte der Straße, während die vielen Autos vorbeifuhren – ein surrealer Moment mitten im säkularen Berlin! Es war ein Wunder, dass es zu keinen Zwischenfällen kam, denn der Erfahrung nach konnte man durchaus mit Störungen und Gegendemos rechnen. Nach einem weiteren Rosenkranz erreichte der Pilgerzug das Ehrenmal, wo Michael Hesemann die Ereignisse des Jahres 1942 erklärte: Eine Weihe fand „vor genau 80 Jahren, am 31. Oktober 1942, also mitten im Zweiten Weltkrieg, durch Pius XII. statt und auch damals geschah ein Wunder. Hitler, der bis dahin jede wichtige Schlacht gewonnen hat, erlebte nun eine Woche später seine erste verheerende Niederlage in der Schlacht von El-Alamein, gefolgt von der Katastrophe in Stalingrad, während Stalin seine Politik der Verfolgung und Unterdrückung der Kirche änderte und plötzlich Kirchen bauen, Prozessionen stattfinden und Ikonen über russische Städte fliegen ließ, um auch das noch immer gläubige Volk gegen die deutschen Invasoren zu vereinen.“ Der Weiheakt von Papst Pius XII. wurde von Pater Dietrich von Stockhausen, ehemaliger Rektor der Gebetsstätte Heroldsbach, verlesen.

Ein letztes Mal zog der Pilgerzug Richtung Siegessäule weiter, das Lied „Maria, breit den Mantel aus“ auf den Lippen, gefolgt von einem weiteren Rosenkranz. Dann passierte etwas Unvorhergesehenes: Die Prozession sollte an der Siegessäule ihren Abschluss finden, doch der Bus für die Kranken war liegengeblieben und die ganze Veranstaltung zog sich in die Länge, sodass die Polizei die Straße des 17. Juni nicht mehr länger absperren konnte. Also musste der Abschluss ein Stück von der Siegessäule entfernt erfolgen. Es wurde eine dritte Marienweihe vorgenommen, die Pater Paulus Maria Tautz CFR verlas. Es handelte sich um die Weihe Johannes Pauls II. an das Unbefleckte Herz Mariens vom 25. März 1984. Zum abschließenden Segen wurden alle anwesenden Priester nach vorne gerufen und der Gastgeber der Pfarrei St. Clemens, Pater Jijo Joseph Peruvelil VC, betete den Segen laut vor. Zum Abschluss wurde das Te Deum angestimmt und danach ein Reisesegen erteilt.

Ich bin mit einem Herzen voller Freude nach Hause gefahren. Die vielen Eindrücke, Begegnungen und Gnaden, die mir an diesem Tag geschenkt wurden, sind immens! Von dieser geschichtsträchtigen Veranstaltung werde ich noch lange zehren. Möge die Gottesmutter ihre mächtige Fürsprache einlegen für Deutschland und ganz Europa!

Ich bin davon überzeugt, dass Fatima auch im Jahre 2022 lebendig ist und die Worte des Papstes Pius XII. auch weiterhin gelten: Fatima ist der wirkmächtigste Eingriff Gottes durch Maria in die Menschheitsgeschichte. Er wird uns auch in den Nöten dieser Zeit helfen!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2022
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Zum 80. Geburtstag von Bischof Laun

Am 13. Oktober 2022 feierte Weihbischof Prof. Dr. Andreas Laun seinen 80. Geburtstag. Die Erzdiözese ehrte ihn mit einem Dankgottesdienst in der Salzburger Franziskanerkirche. Hauptzelebrant war sein Nachfolger, Weihbischof Hansjörg Hofer, in Vertretung von Erzbischof Franz Lackner, der krankheitsbedingt ausfiel.

Von ganzem Herzen gratulieren wir unserem hochgeschätzten Weihbischof Dr. Andreas Laun zu seinem 80. Geburtstag und wünschen ihm in aller Aufrichtigkeit noch viele gesegnete Lebensjahre, besonders aber alle Gnaden, die er braucht, um seinen Lebensweg in Heiligkeit zu vollenden! Möge Gott seinen unermüdlichen Einsatz für das Leben und die wahre Liebe mit der ganzen Segensfülle des Himmels und der Erde belohnen!

Die Zeitschrift „Kirche heute“ hat Weihbischof Laun sehr viel zu verdanken. Er hat als langjähriger Autor und Mitherausgeber die Weichen dafür gestellt, dass dieses Medium sein Apostolat in vollkommener Treue zum kirchlichen Lehramt ausübt. Es war immer sein Bestreben, das Schöne und Positive herauszustellen, was nicht nur in Artikeln, sondern auch in seiner 22-teiligen Schulbuchreihe „Glaube und Leben“ einen überzeugenden Ausdruck gefunden hat.

Ohne Weihbischof Laun gäbe es die Zeitschrift schon seit 20 Jahren nicht mehr. Der damalige Betreiber, Albrecht Graf von Brandenstein-Zeppelin, sah sich damals gezwungen, seine Medien-Aktivität einzustellen. Es war kein Geringerer als der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Joseph Kardinal Ratzinger, und spätere Papst Benedikt XVI., der auf die Ankündigung mit einer klaren Aufforderung reagierte. Ausdrücklich im Blick auf die Beiträge von Weihbischof Laun sagte er: „Diese Stimme darf nicht verstummen!“

Der Kardinal verfolgte die moraltheologischen Auseinandersetzungen insbesondere um die Enzyklika „Humanae vitae“ und Fragen wie Abtreibung, voreheliche Enthaltsamkeit, eheliche Treue und Homosexualität und sah in Laun einen einsamen Rufer in der Wüste, einen Fels in der Brandung, einen treuen Sohn der Kirche. Und so ermutigte er die jetzigen Herausgeber, Pfr. Erich Maria Fink und Pfr. Dr. Thomas Maria Rimmel, das Wagnis einzugehen und die Verantwortung für die Zeitschrift zu übernehmen.

Ohne Weihbischof Laun und die Unterstützung durch Benedikt XVI. hätten wir nicht die Kraft gefunden, unser Apostolat bis heute weiterzuführen. Ein ganz herzliches Vergelt’s Gott!

Die Redaktion

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2022
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Der selige Kaiser Karl und die heilige Therese von Lisieux

Geschwister in der Heiligkeit

Zum 100. Todestag des seligen Kaiser Karl (01.04.1922) und zum 125. Todestag der heiligen Therese von Lisieux (30.09.1897) vergleicht P. Georg Gantioler FSO diese beiden außergewöhnlichen Zeugen des Evangeliums und kommt zu dem Ergebnis: man kann sie als „Geschwister in der Heiligkeit“ bezeichnen. Die Parallelen, die P. Georg Gantioler FSO in seinem Beitrag aufzeigt, sind durchaus überraschend. Als Seliger ist Karl I. weithin ein unbeschriebenes Blatt. Die Seligsprechung dieses letzten Kaisers von Österreich, die 2004 stattfand, wurde von vielen Seiten sogar mit Befremden aufgenommen. Wie passt ein solcher Schritt in unsere Zeit? Doch Papst Johannes Paul II. wollte damit kein politisches Signal aussenden. Es ging nicht um eine Positionierung der Kirche in der Spannung zwischen Monarchie und Demokratie. Vielmehr lässt das Leben des sel. Kaiser Karl erkennen, worin die allgemeine Berufung zur Heiligkeit im Letzten besteht. Dies hat P. Gantioler, der Leiter des Theresienwerks, im Licht der Kirchenlehrerin Therese von Lisieux eindrucksvoll herausgearbeitet.

Von Georg Gantioler FSO

Es liegen Welten zwischen dem letzten Herrscher der großen Donaumonarchie, Kaiser Karl I., der über 53 Millionen Untertanen in 14 Völkern herrschte, und dem normannischen Mädchen Thérèse Martin, die verborgen und unbekannt neun Jahre im Karmel von Lisieux lebte. Das Leben beider nebeneinander zu stellen, scheint von diesem einfachen Faktum her ein nicht sehr sinnvolles Unternehmen zu sein. Auch das Land und das Milieu, in dem sie lebten, ebenso wie der Lebensauftrag, den beide zu erfüllen hatten, waren grundverschieden.

Wenn man dennoch nach Gemeinsamkeiten sucht, könnte man zunächst den Zeitraum ihres Lebens erwähnen, der sich zumindest zehn Jahre lang überschnitten hat: Kaiser Karl wurde im August 1887 geboren, Therese starb im September 1897. Was sie weiter verbindet, ist der frühe Tod, den beide erlitten haben, noch bevor sie ein ausgereiftes und vollendetes Lebenswerk vorweisen konnten: Therese starb, noch im Noviziatstrakt lebend, mit nur 24 Jahren; Kaiser Karl starb nach nur zwei Jahren der Herrschaft mit 35 Jahren – verkannt, verbannt und verarmt auf der Insel Madeira. Was beide aber zu echten geistlichen Geschwistern macht, ist ihre tiefe Liebe zu Gott und zu den Menschen und ihr Verlangen, in allem Gottes Willen zu erfüllen. Die katholische Kirche hat diese Tatsache durch die Selig- bzw. Heiligsprechung anerkannt und stellt uns so das Leben beider als vorbildhaft vor Augen.

Romano Guardini hat die Frage, was ein Heiliger sei, einmal folgendermaßen beantwortet: „Ein Heiliger ist ein Mensch, dem Gott gegeben hat, das erste und größte Gebot (Dtn 6,5; Mt 22,37) vollkommen ernst zu nehmen, es in seine Tiefe hinein zu verstehen und alles an seine Verwirklichung zu setzen."[1] So verschieden auch die Biographie von Heiligen sein mag, so geht es in ihrem Leben doch immer letztlich darum, dass das Evangelium Jesu Christi im Kontext einer bestimmten Zeit und einer besonderen Berufung neu aufleuchtet. Kernbotschaft des Evangeliums aber ist die Liebe und diese strahlt im Leben der Heiligen deutlich auf.

Das Leben von Kaiser Karl und Therese von Lisieux gleicht in diesem Sinn einem einzigen Ton, der von zwei verschiedenen Instrumenten wiedergegeben wird. Dieser „Ton“ wird vernehmbar, sichtbar, hörbar im „neuen Menschen“, den Therese und Karl nach den Worten des Paulus „angezogen haben“ (Kol 3,10; Eph 4,24). In ihrem Leben zeigt sich in vorbildlicher Weise das Wunder der Gnadenkraft Gottes, „denn in der Krönung ihrer Verdienste krönst du [Gott] das Werk deiner Gnade“ (Präfation von den Heiligen I). Ja, es zeigt sich, welche Wirkkraft das Opfer Christi, seine Hingabe aus Liebe im Leiden und Sterben und die Kraft seiner Auferstehung in allen Generationen, zu allen Zeiten, unter den verschiedensten Umständen und in den verschiedensten Lebensaufgaben hat. Nicht persönliche Leistung und Erfolg sind Kriterien der Heiligkeit, auch nicht das Außergewöhnliche und Heldenhafte, das manchmal ein heiliges Leben begleitet.

Gerade bei Kaiser Karl und Therese von Lisieux zeigt sich die Schlichtheit der Heiligkeit durch ein Leben, das im Denken, Fühlen und Handeln von der Suche nach der wahren Liebe und der Hingabe an den Willen Gottes geprägt ist, das jedoch glanzvolle Leistungen und irdische Erfolge nicht kennt. Dass wir bei diesen beiden Glaubenszeugen auf der einen Seite eine Ordensschwester vor Augen haben, deren Leben durch die evangelischen Räte, also den freiwilligen Verzicht auf Eigentum, Selbstbestimmung und gelebte Sexualität bestimmt war, und auf der anderen Seite einen Kaiser, der um seinen reichen Besitz wusste, der höchste Macht und Entscheidungsgewalt hatte und der innerhalb von elf Jahren acht Kindern das Leben schenkte, macht deutlich, dass der Weg der Heiligkeit nicht bestimmten Menschengruppen vorbehalten ist, sondern in den verschiedensten Berufen gelebt werden kann.

Die einzelnen Berufungen oder Lebensaufgaben stehen auch nicht im Gegensatz zueinander, sondern ergänzen sich und können sich gegenseitig stützen. Sie leben in ihrer Verschiedenheit aus denselben Quellen und verfolgen dasselbe Ziel: Gottes Reich in dieser Welt aufzubauen. So hat Kaiser Karl den politischen Dienst an den Völkern der Donaumonarchie und sein Ringen um das Wohlergehen und den Frieden dieser Völker aus derselben Gesinnung und aus denselben Kräften heraus vollzogen, mit denen Therese im Karmel von Lisieux ihre schlichten Dienste, ihre Liebe und ihre Lebenshingabe vollbrachte.

Politisches Verantwortungsbewusstsein und klösterlicher Gehorsam

Was Gott von uns will und wie wir den Glauben und die Hingabe an ihn leben sollen, zeigt sich meist nicht durch außergewöhnliche Offenbarungen. Es ist das „ganz normale Leben“, das uns Gottes Willen offenbart. Gelegentlich sind es auch Schlüsselerlebnisse, durch welche Gott uns eine Sendung oder einen Auftrag zeigt. Ein Eingehen auf solche Erlebnisse ist dann Antwort auf den Ruf Gottes. Beides zusammen also, konkrete Erlebnisse, die wir im Licht des Glaubens sehen, und der aus Liebe gelebte Alltag sind die Wege, auf denen Gott uns führt, Wege der Heiligkeit. Schön hat das Guardini formuliert: „Die Welt ist Antlitz, durch das Gott herschaut."[2] Neben ihrer charismatischen Begabung hat der klösterliche Gehorsam, den Therese der Klosterregel und ihrer Priorin gegenüber geleistet hat, sie auf die Fährte Gottes gebracht. Und es war nicht allein die Erbfolge, die Kaiser Karl zu einem Mann „von Gottes Gnaden“ machte, sondern die bewusste, von seinem Gewissen getragene politische Verantwortung und die Treue zu seinem Eid, den er bei der Krönung geleistet hat.

Verantwortung tragen

Als Karl im Jahr 1916 mit nur 29 Jahren mitten im 1. Weltkrieg den Thron übernahm, waren seine vorrangigen Ziele die möglichst baldige Wiederherstellung des Friedens und die Sicherung des Bestandes und des Wohlergehens seiner Völker. Diese Ziele verfolgte Karl aus einem ernsten Verantwortungsbewusstsein heraus, das zutiefst vom Glauben geformt war. „Das Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott bildete für ihn eine lebendige Kraft, eine stets gegenwärtige Richtschnur seines Handelns. Es war keine düstere, fanatische Frömmigkeit, die ihn beherrschte, sondern ein frohes Bekenntnis, das ihn glücklich machte. Darin lag auch seine sittliche Stärke und aus diesen Quellen inneren Vertrauens schöpfte er in den schlimmsten Tagen Trost“, schrieb Hugo Hantsch.[3] Karl hatte bei seinen Frontbesuchen das schreckliche Gesicht des Krieges persönlich kennengelernt. Vom Leiden konkreter Menschen ausgehend, sah er die ganze Situation des Krieges und fasste den Entschluss, alles ihm Mögliche zu tun, um den Krieg zu beenden, notfalls auch im Alleingang. „Wenige Stunden nach der elften Isonzoschlacht (September 1917) sah man Karl mit Tränen in den Augen vor den verkohlten und verstümmelten Leichen; er sagte: ‚Kein Mensch kann das vor Gott verantworten. Ich mache einen Punkt und das so bald wie möglich.'"[4]

Für Kaiser Karl gab es nicht die Idee eines Siegfriedens, dem die Verbündeten nachjagten, obwohl dafür die Chancen sehr gering waren und viele Menschen geopfert werden mussten. Für Kaiser Karl waren die Friedensbemühungen eine Forderung seines Gewissens, in welchem er die Stimme Gottes vernahm. Eva Demmerle schrieb in ihrer Kaiser Karl-Biographie: „Konsequent in der Nachfolge Christi, nicht nur in seinem persönlichen, privaten Leben, sondern auch als Monarch, waren seine politischen Ziele durch seinen Glauben bestimmt."[5] In dieser Glaubenshaltung trug er auch sein Scheitern: Sein Ringen um den Frieden hatte keinen Erfolg und sein fester Plan, zum Wohl und Fortbestand der einzelnen Völker aus der Monarchie einen Bund sich innenpolitisch selbst regierender Länder zu machen, ging nicht auf. Er musste abdanken und wurde des Landes verwiesen. „Er war Zeuge der Wirklichkeit Gottes in der Wirklichkeit der Welt: durch seine Friedenspolitik für die Versöhnung seiner Völker und Europas, in der Umsetzung der christlichen Soziallehre zur Optimierung der sozialen Verhältnisse und im Bemühen, den christlichen Glauben und die religiösen und menschlichen Werte als Grundlage des Gemeinwesens zu erhalten. Er war ein christlicher Regent, der wahrhaft, ehrlich und bescheiden seinem Volk diente."[6] Dass die Absichten Kaiser Karls integer waren, bescheinigten ihm später selbst führende Sozialdemokraten der Ersten Republik wie Karl Seitz und Viktor Adler.

Blumen streuen

Die Bedeutung und Sendung der heiligen Therese von Lisieux liegt in ihrer „Lehre“, durch welche sie eine Meisterin des geistlichen Lebens wurde. Diese Lehre war nicht ausgedacht, sondern kam aus ihrem Leben. Therese erzählt von ihrem Leben, wenn sie ihre Lehre darlegt. Papst Johannes Paul II. formuliert ihre Sendung im Apostolischen Schreiben Divini amoris scientia (19. Oktober 1997) folgendermaßen: Aus ihrer Autobiographie, die die Geschichte ihrer Seele darstellt, „geht deutlich hervor, dass Gott durch ihr Leben der Welt eine bestimmte Botschaft gegeben hat. Er hat einen Weg nach dem Evangelium gewiesen, nämlich den ‚kleinen Weg‘, den alle gehen können, da ja alle zur Heiligkeit berufen sind."[7]

Dass diese Botschaft Thereses niedergeschrieben wurde, verdanken wir einem Akt ihres Gehorsams und ihrer Liebe. Nach einer Rekreationsstunde, in welcher die vier im Karmel von Lisieux lebenden Geschwister Martin beisammensaßen und Therese Kindheitserinnerungen erzählt hatte, erhielt sie von der Priorin, ihrer Schwester Pauline, den Auftrag, diese Erinnerungen aufzuschreiben. Therese schreibt am Beginn ihres ersten Manuskripts: „Ihnen, meine liebe Mutter, lege ich die Geschichte meiner Seele in die Hände. Als Sie mich damals darum gebeten haben, dachte ich, diese Aufgabe könnte mein Herz zerstreuen, weil es dabei gezwungen wäre, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Inzwischen aber hat Jesus mich merken lassen, dass ich ihm wohlgefällig bin, wenn ich ohne Weiteres einfach gehorche. Außerdem werde ich nur eines tun, nämlich den Lobgesang anstimmen, den ich bis in alle Ewigkeit auf den Lippen tragen soll, nämlich den auf die barmherzigen Taten des Herrn!"[8]

Ohne sich dessen voll bewusst zu sein, schrieb Therese durch die Aufzeichnung der „barmherzigen Taten des Herrn“, wie sie sie im eigenen Leben erfahren hat, ein geistliches Werk, das seither unzähligen Menschen geholfen hat, einen guten und gesunden Weg im Glauben zu gehen.

Therese verstand sich vor Gott als ein kleines, schwaches Kind, das von der Liebe des Vaters lebt. Das Feuer der Liebe, das in ihrem Herzen brannte, ihre heroischen Liebestaten, ihre Weisheit als Novizenmeisterin, die schreckliche Glaubensprüfung und der körperliche Zerfall durch die Tuberkulose: all das erhielt den Glanz aus ihrer Hingabe an die barmherzige Liebe Gottes.

Im zweiten Teil der „Geschichte einer Seele“ beschreibt sie ihren Weg der Heiligkeit: „Ich bin das Kind der Kirche, und die Kirche ist eine Königin, denn sie ist Deine Braut, du göttlicher König der Könige. Nicht nach Schätzen und Ehre (selbst nicht der des Himmels) verlangt das Herz des kleinen Kindes. Die Ehre, so begreift es, gehört rechtens seinen Brüdern, den Engeln und Heiligen. Seine eigene Ehre wird im Widerschein der Ehre auf dem Angesicht seiner Mutter bestehen. Worum es bittet, ist die Liebe. Es gibt nur noch eines, wozu es in der Lage ist, nämlich Dich zu lieben, o Jesus. Herausragende Werke sind ihm versagt. Es kann nicht das Evangelium verkündigen oder sein Blut vergießen. Doch was tut’s, seine Brüder arbeiten an seiner Stelle.

Es aber, das kleine Kind, bleibt ganz nahe beim Thron des Königs und der Königin. Es liebt für seine Brüder im Kampf. Doch wie wird es seine Liebe beweisen, wo sich die Liebe doch durch Taten erweist? Nun denn, das kleine Kind wird Blumen streuen, mit seinem Duft wird es den Königsthron umgeben und mit seiner silberhellen Stimme das Lied der Liebe singen. Ja, mein Geliebter, auf diese Weise wird sich mein Leben verzehren. Kein anderes Mittel habe ich, Dir meine Liebe zu beweisen, als Blumen zu streuen, d. h. mir kein einziges kleines Opfer entgehen zu lassen, keinen Blick, kein Wort, aus jeder kleinsten Sache Nutzen zu ziehen und sie aus Liebe zu tun. Aus Liebe will ich leiden und mich sogar aus Liebe freuen. So werde ich Blumen vor Deinen Thron streuen, auf keine einzige werde ich stoßen, ohne dass ich sie für Dich entblättern werde."[9]

Vollendung im Sterben

Die irdischen Pilgerwege Kaiser Karls und Thereses von Lisieux gingen früh zu Ende. Beide hatten einen schmerzlichen Leidensweg zu bestehen. Verblüffend ist, wie ähnlich diese so unähnlichen Heiligen auch in den letzten Lebensstunden einander wurden.

Kaiser Karl zog sich auf Madeira in seinem feuchten Miethaus wenige Monate nach seiner Ankunft eine schwere Lungenentzündung zu und litt an einer akuten Herzschwäche. Bald war er stark abgemagert, die Arme waren entzündet von den vielen Injektionen, die Haut verbrannt von den Senfpflastern. Er konnte kaum noch im Bett aufsitzen, zuletzt musste sein Kopf angebunden werden. Als Kaiserin Zita eine liebevolle Bemerkung über die jetzt notwendige Geduld machte, antwortete ihr Karl: „Murren…? Wenn man den Willen Gottes erkennt, ist alles gut. Mein ganzes Bestreben ist es, in allen Dingen den Willen Gottes möglichst klar zu erkennen und zu befolgen, und zwar auf das Vollkommenste."[10] Und an seinem Sterbetag sagte er mit letzter Kraft: „Ich muss so viel leiden, damit meine Völker wieder zusammenfinden."[11]

Auch die heilige Therese war in den letzten Tagen vor ihrem Tod völlig abgemagert, fast nur mehr ein Skelett. Sie hatte heftige Schmerzen und Erstickungsanfälle. Unaufhaltsam schritt die Zerstörung ihrer Lunge fort. Therese konnte sich fast nur mehr durch Zeichen verständlich machen. Ihr Arzt begriff nicht, wie sie überhaupt noch leben konnte. Im sog. „Gelben Heft“ zeichnete Mutter Agnes (ihre Schwester Pauline) die Worte auf, die Therese in den letzten Monaten gesprochen hat. Am Tag ihres Todes verzeichnet sie, dass Therese mit letzter Kraft stammelte: „Alles, was ich über mein Verlangen nach Leiden geschrieben habe – oh! Das ist trotz allem wirklich wahr! Und ich bereue es nicht, mich der Liebe ausgeliefert zu haben. Oh nein, ich bereue es nicht, im Gegenteil. Nie hätte ich geglaubt, dass es möglich ist, so zu leiden! Nie! Nie! Ich kann mir das nur aus meinem glühenden Verlangen erklären, Seelen zu retten."[12] Es waren die letzten zusammenhängenden Sätze, die sie sprach.

Im Augenblick des Sterbens stammelte sie, den Blick auf das Kreuz gerichtet: „Oh, ich liebe ihn! Mein Gott, ich liebe dich!“ In der „Geschichte einer Seele“ hatte sie zwei Jahre vor ihrem Tod geschrieben: „Auch Leiden und Tod ersehne ich nicht mehr. Dabei liebe ich beide, doch allein die Liebe zieht mich an… Das Einzige, was ich noch mit Inbrunst erbitten kann, ist, dass sich das, was Gott für meine Seele will, vollkommen erfüllt, ohne dass die Geschöpfe dem ein Hindernis in den Weg legen können."[13]

„Erfolg ist keiner der Namen Gottes“

Man möchte meinen, dass ein Mann, der so aus dem Glauben gelebt hat wie Kaiser Karl, eine segensreiche und glückliche Regentschaft ausüben würde. Und man möchte meinen, dass ein Mensch, der ganz Liebe geworden ist wie die heilige Therese, mit ihrem Gebet das Herz Gottes trifft und auf alle Fälle Erhörung findet. Umso mehr mag es erstaunlich sein, dass die Bemühungen und Entscheidungen Kaiser Karls, oft in der Kapelle vor dem Allerheiligsten bedacht und entschieden, nicht aufgingen und ihm letztlich wenig Erfolg beschieden war. Ebenso staunt man, dass Gebete Thereses unerhört blieben und zum Beispiel das Wirken der beiden Missionare, für die Therese viel geopfert und gebetet hatte, ganz anderes verlief, als es sich Therese gewünscht und erbeten hatte. Adolphe Roulland erhielt in China nicht die von Therese für ihn erbetene Gnade des Martyriums, sondern kehrte nach Europa zurück und wurde Novizenmeister und Kaplan einer Kapelle in Frankreich. Und Maurice Bellière kehrte nach schwierigen Missionsversuchen in Afrika krank und ohne Erlaubnis seiner Oberen nach Frankreich heim und starb bereits mit 33 Jahren geistig umnachtet in einer Anstalt für Geisteskranke in Caen. Wollte man die Heiligen nach ihren irdischen Erfolgen beurteilen, würden viele durchfallen. Gott ist anders. Er will von seinen Heiligen nicht Erfolgsgeschichten, sondern das Herz. Er will ihre Liebe und ihre Bereitschaft, täglich das Kreuz auf sich zu nehmen und Jesus nachzufolgen.

„Was ist dann Liebe? Genau dies: zu tun, was jetzt das Richtige ist, weil es Gottes Willen erfüllt. Und es so zu tun, wie Liebe getan sein will: lauter und gern. […] Hier entsteht vom Heiligen ein anderes Bild. Von Außergewöhnlichkeiten ist keine Rede mehr. Der Mensch, der diesen Weg geht, tut, was jeder tun müsste, der jetzt und hier seine Sache richtig machen will. Nicht mehr und nicht weniger. Er versteht aber die Richtigkeit des jetzt und hier Aufgegebenen von Gott her. […] Sein Tun vollzieht sich in der Welt, weiß sich aber dem Willen dessen verpflichtet, der diese Welt geschaffen hat und selbst über aller Welt ist. Mitten in unserem durch jederlei Selbstsucht und Unwahrheit verwirrten Leben sucht er in neuer Weise wiederzugewinnen, was zu Beginn das Dasein des ersten Menschen bestimmte, bevor der seinen Eigenwillen vor den Willen Gottes gestellt hatte. Das zu wollen ist Liebe."[14]

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2022
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Romano Guardini: Der Heilige in unserer Welt, Würzburg 1956, 5.
[2] Romano Guardini, a.a.O., 16.
[3] Hugo Hantsch: Kaiser Karl, in: Mikrut Jan: Kaiser Karl als Christ, Staatsmann, Ehemann und Familienvater, Wien 2004, 549.
[4] Eva Demmerle: Kaiser Karl I. – „Selig, die Frieden stiften…“, Wien 2004, 254f.
[5] Eva Demmerle, a.a.O., 250.
[6] Friedrich Oberkofler: Von Gottes Gnaden, Kisslegg 2006, 212.
[7] Johannes Paul II.: Divini Amoris Scientia, 6.
[8} Therese von Lisieux: Geschichte einer Seele, MsA 2r.
[9] Therese von Lisieux, a.a.O., MsB 4r.
[10] Erich Feigl (Hg.): Kaiser Karl, Wien 1984, 529.
[11] Erich Feigl (Hg.), a.a.O., 539.
[12] Therese Martin: Letzte Gespräche, Illertissen 2018, 231.
[13] Therese von Lisieux, a.a.O., MsA 83r.
[14] Romano Guardini, a.a.O., 11f.

Das heroische Leben des Aloysius Schwartz

Priester und Bettler

Im Vergleich zur hl. Mutter Teresa von Kalkutta ist Aloysius Philip Schwartz bislang sehr wenig bekannt. Doch sein Lebenswerk, das er ganz der Jungfrau der Armen von Banneux geweiht hatte, blüht auf wie eine strahlende Sonne, welche das wunderbare Licht der göttlichen Liebe in unsere Welt hineinstrahlt. Geboren wurde Aloysius Schwartz am 18. September 1930 in Washington, DC, USA, als drittes von acht Kindern. Seine Mutter starb an Krebs, als er 16 Jahre alt war. Bereits zwei Jahre zuvor war er in das St. Charles Seminary in Maryland eingetreten und lernte danach die belgische Société des Auxiliaires des Missions (S.A.M.) kennen, welche Weltpriester zum Einsatz in Asien und Afrika vermittelt. Unter ihrer Verantwortung kam er unmittelbar nach seiner Priesterweihe, die er 1957 empfangen hatte, auf eigenen Wunsch nach Südkorea. Dort gründete er zusammen mit Schwestern und Brüdern sog. Boystowns und Girlstowns, um die Waisen und Kinder verarmter Familien bis ins späte Teenageralter zu betreuen und zu erziehen. 1964 entstand der Orden der Schwestern Maria, 1981 der Männerorden Brüder Christi. 1989 erkrankte er an der unheilbaren Krankheit ALS, an der er am 16. März 1992 verstarb. 2003 wurde sein Seligsprechungsprozess eröffnet. Nachfolgend das Vorwort des Autors eines ergreifenden Buches, das nun auf Deutsch erschienen ist.[1]

Von Kevin Wells

Ich war tief im mexikanischen Inland mit einem Pkw ohne Autoradio auf der Straße von Guadalajara nach Chalco durch einen Landstrich unterwegs, der mich in seiner Einsamkeit an Getsemani erinnerte. Wir kamen an Bergen vorbei, auf denen Buschfeuer brannten, an abgelegenen Haziendas und an Rinderhirten mit ihren großen Sombreros, die magere Rinder hüteten. Meine Reisegefährten waren müde und schweigsam. Während ich durch die stille Landschaft fuhr, schweiften meine Gedanken zurück zu dem, was ich in den vorangegangenen zwei Wochen in Chalco Girlstown [„Stadt der Mädchen in Chalco“] erlebt hatte, einem katholischen Internat für arme und vernachlässigte Mädchen, in dem keine Schulgebühren erhoben werden, mitten in einem leidgeprüften Ort außerhalb von Mexiko-Stadt. Ich hatte Dinge gesehen, die man heute eigentlich nicht mehr sieht. Ich war Zeuge von Ereignissen geworden, die mir wie Wunder vorkamen. Dann schälte sich eine einzelne Erinnerung heraus, ein Gedanke, den Schwester Margie Cheong ausgesprochen hatte, als sie gerade von einem Rundgang in der Dämmerung zurückkam, auf dem sie den Rosenkranz gebetet hatte: „Für uns hier ist Zeit wie das Salböl der Maria Magdalena: Sie ist kostbar. Wir geben ihnen alles, was wir haben und was wir sind.“

Die Kinder und Jugendlichen an dieser Schule strahlen eine verblüffende Art von Freude aus. Es ist keine blutleere, aufgesetzte Freude, sondern eine Freude, die fest in dem wurzelt, was sie in ihrem Inneren wissen, dass die Schwestern Maria ihr eigenes Leben aufgegeben haben, um für sie da zu sein. Eines Abends sah ich, wie Hunderte von Mädchen sich zum abendlichen Glaubensunterricht in der Turnhalle drängten, während draußen in der Ferne zwischen zwei schneebedeckten Vulkangipfeln eine tiefrote Sonne unterging. Eine Stunde später strömten sie wieder ins Freie und hießen mich, den Fremden, lachend und winkend in ihrer Mitte willkommen. Die Vulkane wirkten plötzlich größer – wie stolze und wachsame Väter, die ihre Töchter zu Bett brachten. Wenn genau in diesem Moment die Zeit stehen geblieben wäre – es wäre in Ordnung gewesen.

Ein Besuch in Chalco ist wie ein Ausflug in eine andere Dimension, in ein Leben, das in Amerika selten geworden ist. Die 3142 jungen Mädchen in Chalco Girlstown [„Stadt der Mädchen in Chalco“] besitzen genauso wie die 1910 Jungen am geschwisterlichen Internat Boystown [„Stadt der Jungen“] in Guadalajara weder Handys noch Kopfhörer. Jeden Abend um sieben beten sie gemeinsam den Rosenkranz; der Chor ihrer Stimmen klingt wie ein summender Bienenstock. Weil sie keine Videospiele spielen und auch nicht in den sozialen Netzwerken unterwegs sind, haben sie mehr Zeit, ihre gottgegebenen Talente zu vervollkommnen. Jahrzehntelang haben ihre High-School-Teams regelmäßig die nationalen Meisterschaften gewonnen. Die Musiker unter ihren Absolventen bekommen nach ihrem Abschluss eine Stelle in einem Orchester und spielen vor Tausenden von Menschen. Es sind gebildete, lebensfrohe Katholiken. Und nicht wenige entscheiden sich dafür, in einen Orden einzutreten.

Viele Kinder, die das Girlstown-Internat und die Boystown-Schule in Guadalajara besuchen, mussten schon mit acht oder neun Jahren barfuß auf den Feldern arbeiten, und wenn sie nach Hause kamen, war nichts zu essen da. Beinahe alle haben die Angst kennengelernt, die daher rührte, dass sie nicht wussten, wie und wann sie ihre nächste Mahlzeit bekommen würden. Zayra, eines der Kinder, die ich getroffen habe, hat mir erzählt, dass sie von einem Menschenhändler – von diesen Ungeheuern gab es viele in ihrer Stadt am Meer – einmal eine Stunde lang den Berg hinaufgejagt wurde. Ihr Großvater, bei dem sie lebte, war abends meistens betrunken.

„Ich kniete mich vor die Statue der Jungfrau Maria“, sagte sie, „und betete, dass die Kämpfe und das Trinken aufhören sollten.“ Ein anderes Mädchen, Antonina, war Waise, seit ihr Vater auf der Straße erschossen worden war. Ihre Mutter, glaubt sie, ist durch einen Brand ums Leben gekommen. Solche Geschichten – es gibt Tausende davon – sind der Grund dafür, dass die Schwestern Maria die Kinder jeden Morgen begrüßen wie Mütter ihre aus dem Krieg heimgekehrten Söhne.

Dies hier ist das rettende Land, dies sind die Felder des guten Willens und der Neugeburt. Anfangs verstand ich nicht, warum die Mädchen die Schwestern nicht mit Hermana [„Schwester“], sondern mit Madre [„Mutter“] anredeten. Doch dann begriff ich: Diese gläubigen Frauen erziehen die Schülerinnen, sie geben ihnen zu essen und gute Ratschläge, sie unterweisen sie im Glauben, joggen, spielen Ball und beten mit ihnen – sie machen nie eine Pause. „In erster Linie“, sagte eine der Schwestern zu mir, „sind wir ihre geistlichen Mütter. Sie haben einfach zu viel durchgemacht.“ Der bedächtige, zärtliche Ausdruck ihrer mütterlichen Liebe trägt Schicht um Schicht der Verletzungen und Schrecknisse ab, die zu entsetzlich sind, um hier beschrieben zu werden – und lässt sie heilen. Ihre vollkommene Loyalität diesen Kindern gegenüber hat ein besonderes Ziel: ihnen Christus zu schenken. Es ist eine aufreibende Arbeit, aber sie kennen das Geheimnis der Heiligen: Beharrliche Liebe fördert die Heilung der Herzen. Die Schwestern Maria werden als eine der am schwersten arbeitenden Ordenskongregationen der Welt angesehen.

Obwohl ich an den Schulen der Schwestern Maria Tausenden von strahlenden, zu neuem Leben erweckten Kindern begegnet bin, waren es die Schwestern selbst, diese Märtyrerinnen der Arbeit mit ihrem Respekt gebietenden Rettungsinstinkt, die mich am meisten erschüttert haben. Die 55 Ordensfrauen in Chalco (weltweit sind es 398) wirkten wie ein göttliches Paradox, wie das im Kelch vergossene Blut ihres Herrn. Sie setzen ihr Leben für ihre Schüler ein. Sie sterben sich selbst, und das täglich, damit Kinder, die in verheerenden Verhältnissen gelebt haben, das Leben neu erfahren können. Alle Kinder, die zu ihnen kommen, das wissen sie, haben tiefste Armut erlitten und Kreuze geschultert, die so schwer sind wie der Zeppelin „Hindenburg“. Als Antwort strecken die Schwestern die Arme aus, um ihre Last zu tragen, bis sie wie Simon von Cyrene das Kreuz zu ihrem eigenen gemacht haben. Was ist das Geheimnis ihrer unverbrüchlichen Opferbereitschaft?

Während ich mich in Mexiko aufhielt, freundete ich mich mit Schwester Marinei an. Sie hat ein fröhliches Aussehen und stammt aus Brasilien. Eines Abends unterhielten wir uns und ich fragte sie in einem Moment der Taktlosigkeit, was an ihr denn noch absterben müsse. Ein unbehagliches Schweigen senkte sich zwischen uns wie ein Vorhang. Das Bellen der Hunde im Umland war das einzige Geräusch. Der unschlüssige Ausdruck ihrer Augen erzählte zwei unterschiedliche Geschichten: Sie wusste sich in einer gefühlten Schwäche gefangen und verspürte gleichzeitig den Wunsch, sie zu zeigen. Endlich flüsterte sie: „Ich bin sehr sensibel.“ Ihr Lächeln war so verlegen wie das eines Kindergartenkindes bei seinem ersten Fototermin. „Und ich weiß, dass ich auch das aufgeben muss. Meine Gedanken, meine Verletzungen – das ist alles nichts. Ich muss allem sterben, um ganz von Christus erfüllt zu sein.“ Dann sagte sie:

„Die Armut zu leben heißt, dass ich eine Art Tod akzeptieren muss. Nun, das ist nicht einfach für mich [sie lachte], aber ich weiß, dass ich das mehrmals täglich tun muss. Ich muss alles, was ich bin, hinter mir lassen. Aber das ist das Evangelium – ich verlasse alles – Mutter, Vater, alles, was ich habe. Das ist es, worum Jesus mich bittet. Es ist schwierig, aber diese Schwierigkeiten sind große Geschenke. Weil sie es mir erlauben, mich Jesus und diesen Mädchen ganz und gar aufzuopfern.“

Wie hatte sie dieses Maß an Entsagung erreicht? Wo hatten sie und ihre Ordensgemeinschaft eine solche Liebe gelernt? Allmählich verstand ich, dass Schwester Marinei, genau wie die anderen Schwestern, in die Fußstapfen ihres Ordensgründers, Father Aloysius Schwartz (1930-1992), getreten ist. Die Schwestern Maria sind seine geistlichen Töchter.

Schwartz – oder Father Al, wie jeder ihn nannte – gründete die Schwestern Maria 1964 auf der koreanischen Halbinsel, wo der Krieg nichts als verbrannte Erde hinterlassen hatte. Die Mission der Gemeinschaft bestand darin, den Seelen der Gedemütigten und Missachteten Nahrung zu geben. Father Al nahm sich der Armen, der Waisenkinder, der Aussätzigen, der Ausgestoßenen und all der anderen Menschen an, die am Rand der Gesellschaft lebten. Er baute Krankenhäuser, Schulen, Genesungsheime, Heime für Obdachlose und Heime für behinderte Menschen und ledige Mütter. In den 1980er-Jahren weitete er seine Arbeit auf die Philippinen aus. Als er 1991 die Türen für die Arbeit bei den mexikanischen Armen öffnete, war er bereits sehr krank: Er litt wie Lou Gehrig an Amyotropher Lateralsklerose (ALS). Für Father Al war diese Krankheit kein Zufall: „Unsere Aufgabe besteht darin, unser Blut mit dem Blut Christi zu vermischen“, hatte er einmal gesagt, „und unser Blut mit dem Blut Christi für die Armen zu vergießen […]. Für uns heißt dienen, ständig eine Dornenkrone zu tragen.“

Während der gesamten Arbeit an meinem 2019 erschienenen Buch The Priests We Need to Save the Church [„Die Priester, die wir brauchen, um die Kirche zu retten“] bin ich auf keinen einzigen Menschen – weder einen Priester noch einen Laien – gestoßen, der irgendwie mit Father Al aus Washington, D.C., vergleichbar gewesen wäre. Bei meinen Recherchen las ich die Lebensläufe etlicher vorbildlicher Priester wie Damian de Veuster, Vinzenz von Paul, Johannes Bosco, Maximilian Kolbe und Jean-Marie Vianney. Näheres über das Leben von Father Al zu erfahren, war jedoch so, wie wenn man auf hoher See die Spur eines weißen Wals verfolgt: breit und mächtig und verblüffend. Vielleicht hat kein Priester in der gesamten Weltgeschichte jemals so viel für die Waisen und für Not leidende Kinder getan wie er. „Die Leute sagen, dass der hl. Vinzenz von Paul der große Apostel der Nächstenliebe gewesen sei und dass Father Al Schwartz sich mit seinem ganzen missionarischen Leben an ihm orientiert habe“, bemerkte Monsignore James Golasinski, der zehn Jahre mit Father Al im Fernen Osten zusammengearbeitet hat. „Aber ich habe den Leuten gesagt, dass Monsignore Aloysius Schwartz mehr geleistet hat als der hl. Vinzenz von Paul. Was Father Al zustande gebracht hat, sprengt alle Maßstäbe. Ich war dort und ich habe gesehen, was und wie viel sich entwickelt hat.“

Nach seiner Priesterweihe 1957 meldete sich Schwartz freiwillig, um an den traurigsten Platz in der Welt geschickt zu werden: Südkorea nach dem Koreakrieg. Am Fest Mariä Empfängnis stieg er als neu geweihter Priester in Seoul aus dem Zug und befand sich plötzlich mitten in einem dystopischen Roman. Obdachlose mit leeren Blicken durchwühlten mit ihren Händen Berge von Müll, Waisenkinder mit papierdünner Haut lagen auf den Straßen wie Landminen, die der Krieg zurückgelassen hatte. Dieses Bild verfolgte ihn. Und so bückte er sich und half erst einem Kind auf, dann einem zweiten. Und nach ein paar Jahren hatte er den Lauf der koreanischen Geschichte verändert und war für viele Bewohner der südlichen Halbinsel zu einer Art Anführer geworden. Er aber betete darum, unbekannt zu bleiben. Der Grund, weshalb er bei uns nicht bekannt ist, liegt daran, dass er es nicht sein wollte.

Wäre die hl. Teresa von Kalkutta nicht in das Blickfeld ihres Biografen Malcolm Muggeridge geraten, wäre sie vermutlich, genau wie Schwartz, eine Unbekannte geblieben. Mutter Teresa und Father Al schätzten einander aus der Ferne, obwohl ihr Stil unterschiedlich war, und hin und wieder kreuzten sich ihre Wege. Bei einer dieser Begegnungen sagte Father Al zu Mutter Teresa, dass er ihr ein paar Waschmaschinen kaufen wolle. Die Heilige blinzelte irritiert. Er erklärte ihr: „Ihre Schwestern sollten ihre Zeit nicht damit vergeuden, dass sie ihre Saris von Hand waschen. Die Welt weiß schon, wie demütig sie sind. Sie sollten lieber auf der Straße sein und arbeiten.“ Das war unverblümt, aber aufrichtig gemeint, und sie verstand ihn. So war er, und die Menschen sahen es ihm nach, weil er seine direkte Art mit einem Augenzwinkern abmilderte.

„Er war der mutigste Mann, den ich je kennengelernt habe“, sagte Monsignore Golasinski. „Er hatte vor nichts Angst.“ Man bedrängte ihn von allen Seiten: amerikanische Bischöfe, koreanische Bischöfe, ein mörderischer Gangsterboss, eine Bande von Aussätzigen und der Rektor seines eigenen Seminars. Und jedes Mal ging er mitten durch sie hindurch. „Ich glaube, dass er nicht einmal vor Gott Angst hatte“, sagte der philippinische Bischof Socrates Villegas, „weil vollkommene Liebe alle Furcht überwindet […]. Nur vor einem hatte er Angst. Meine lieben Kinder, er hatte nur Angst vor der Sünde.“

Das stimmte nicht ganz: Father Al hatte auch Angst davor, seine Königin zu enttäuschen. Eines Abends – es war das Jahr 1957 – kniete Al Schwartz, damals noch ein junger Seminarist, in einer Kapelle in Banneux, einem kleinen Ort auf dem Land im unwirtlichen Nordbelgien. Dort war, so wurde berichtet, 24 Jahre zuvor die Muttergottes erschienen und hatte sich selbst als die Jungfrau der Armen bezeichnet. In jener Nacht in ihrer Kapelle weihte Al der Jungfrau Maria sein Leben und gelobte, dass er seinen eigenen Willen und alle Bequemlichkeit aufgeben und den Rest seiner Tage damit zubringen wolle, ihr und den Armen zu dienen. Danach geschahen Wunder, eines nach dem anderen. Er gründete in ihrem Namen einen Orden – die Sisters of Mary of Banneux [„Schwestern Maria von Banneux“] – und starb 1992 mit ihrem Namen auf den Lippen. „Ich wäre froh über ein Loch in der Erde“, scherzte er, „und eine kleine Tafel, auf der etwa steht: ,Hier liegt Al Schwartz. Er gab sein Bestes für Jesus.‘ Das ist alles. […] Mein Apostolat ist ihres, und ich würde sehr gern zu ihren Füßen begraben sein und sagen, dass alles Lob, alle Ehre und aller Ruhm für das, was in meinem Leben an Gutem zustande gekommen ist, ihr gehört und ihr allein.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2022
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Kevin Wells: Priester und Bettler. Das heroische Leben des Ehrwürdigen Dieners Gottes Aloysius Schwartz, geb., 288 S., ISBN 978-3-9479314-5-3 Euro 22,00 – Tel.: 07303-952331-0; www.media-maria.de

Ordensfrau in Mali war über vier Jahre in Geiselhaft

„Den Glauben mit dem Leben verteidigen“

Mali versinkt in Terror und Gewalt. Islamisten haben ein länderübergreifendes Netzwerk aufgebaut, das die Staaten südlich der Sahara immer mehr ins Chaos stürzt. Häufig werden Christen verschleppt und ermordet. Das päpstliche Hilfswerk „Kirche in Not“ hat das Zeugnis einer mutigen Ordensfrau aufgezeichnet.

Von KIRCHE IN NOT e.V.

Sei immer gelassen, Gloria, sei immer gelassen.“ Vier Jahre und acht Monate lang habe dieser Rat ihrer Mutter ihr Kraft gegeben, sagt die kolumbianische Ordensschwester Gloria Cecilia Narváez. Als die Mutter 2020 starb, konnte sie nicht von ihr Abschied nehmen. Damals war Schwester Gloria noch eine Geisel.

Dschihadisten hatten sie im Februar 2017 in Karangasso im Südosten von Mali verschleppt. Erst am 9. Oktober 2021 endete Schwester Glorias Martyrium. Sie überlebte, im Gegensatz zu vielen anderen verschleppten Priestern und Ordensleuten. Auch sie sei oft dem Tod nahe gewesen, erzählt die heute 60-Jährige. Aber der Mut und das Vertrauen auf Gott hätten sie nicht verlassen.

Im Tausch für Mitschwester als Geisel angeboten

Schon der Beginn ihrer Geiselhaft zeugt von diesem Mut: Schwester Gloria hatte sich ihren Entführern freiwillig als Geisel angeboten – im Tausch für eine jüngere Mitschwester. Am 7. Februar 2017 hatten bewaffnete Islamisten die Niederlassung der Ordensfrauen überfallen. Schwester Gloria hatte zu diesem Zeitpunkt bereits über zwölf Jahre in Mali gearbeitet. Ihre Ordensgemeinschaft betreibt ein Waisenhaus, erteilt Schulunterricht und kümmert sich um Mütter und ihre Kinder. Die Mehrheit von ihnen sind Musliminnen. Christen sind in Mali eine kleine Minderheit von rund zwei Prozent der Bevölkerung.

Das westafrikanische Mali galt lange als politisch stabil, bis 2012 das Militär gegen die Staatsführung putschte. Die Streitkräfte warfen der Regierung vor, den Kampf gegen die separatistischen Tuareg-Rebellen im Norden des Landes nicht entschlossen genug zu führen. Der Konflikt verschärfte sich durch die Auseinandersetzung zwischen den Tuareg und erstarkenden islamistischen Gruppen.

Als die Islamisten immer mehr Gebiete im Norden Malis unter ihre Gewalt brachten, startete die internationale Staatengemeinschaft eine Militäroperation und eroberte Gebiete zurück. Dennoch ist die Lage höchst instabil. Im Rahmen der UN-Mission MINUSMA ab 2013 sind auch deutsche Streitkräfte in Mali stationiert. Im Sommer 2022 hat die Bundeswehr ihren Einsatz vorübergehend ausgesetzt. Auslöser waren Schikanen der malischen Militärregierung.

Hass trifft alle – Christen mit besonderer Härte

Trotz der Gewalterfahrung spricht Sr. Gloria mit Hochachtung von ihren muslimischen Nachbarn: „Es gab keine verschlossenen Türen, keine Mauern.“ Der Terror, der von islamistischen Splittergruppen ausgeht und mittlerweile zahlreiche Länder der Sahelzone erfasst hat, trifft die gesamte Bevölkerung. Christen werden jedoch oft mit besonderer Härte verfolgt, da sie den Extremisten als „westlich“ gelten und deshalb besonders verhasst sind.

Durch den steigenden Einfluss der Islamisten bekommt auch das bislang tolerante Zusammenleben der Religionsgruppen in Mali Risse: Projektpartner von „Kirche in Not“ berichten, dass radikale Prediger die Bevölkerung aufwiegeln. So werden gerade christliche Feiertage häufig zum Anlass für Gewalt. Besonders junge Männer sind aufgrund fehlender beruflicher und sozialer Perspektiven leichte Beute für die Terrormilizen und ihre Ideologie.

Es gibt jedoch auch zahlreiche Muslime, die sich dieser Radikalisierung entgegenstellen. Deshalb hat die katholische Ordensgemeinschaft der Afrikamissionare („Weiße Väter“) in der malischen Hauptstadt Bamako ein christlich-islamisches Dialogzentrum aufgebaut. „Kirche in Not“ unterstützt dieses Projekt. Angehörige beider Religionen lernen dort sich und ihre Überzeugungen besser kennen. Vor allem aber fahren die Absolventen auch hinaus in Ortschaften, in denen es Übergriffe auf Christen gegeben hat. Sie versuchen dort Seite an Seite zu deeskalieren und Frieden zu stiften. Dies ist angesichts des zunehmenden Einflusses der Terrorgruppen auch bitter nötig.

Mit Terror Konflikte weiter schüren

Ihre Entführer konnte Schwester Gloria aus deren Äußerungen als Angehörige der „Gruppe zur Unterstützung des Islams und der Muslime“ identifizieren, einer militanten islamistischen Gruppe in Westafrika. Die Gruppe soll Kontakte zum Terrornetzwerk al-Qaida unterhalten und stachelt die Konflikte in Mali und den Nachbarländern immer weiter an.

Die Terrortruppen in Mali wie in anderen Ländern der Sahelzone verfolgen gleiche Ziele: Es geht um die Ausbeutung wirtschaftlicher Ressourcen, Bodenschätzen vor allem. Es geht um politischen Einfluss und den Aufbau eines „transnationalen Kalifates“, das von der Subsahara-Region über den Nahen Osten bis hin zu den Philippinen reichen soll. Und es geht auch um Religion. Die christlichen Minderheiten in Mali und anderswo haben kaum politische Fürsprecher, die Regierungen und das Militär tun nichts für sie. Diese Mischung aus Gleichgültigkeit, Intoleranz bis hin zu offener Ablehnung ist für die christliche Minderheit in Mali und der Region lebensgefährlich.

Schwester Gloria wurde an wechselnden Orten in der Wüste gefangen gehalten. „Die Entführer verlangten von mir, dass ich Sätze aus muslimischen Gebeten nachspreche. Aber ich habe immer wieder betont, dass ich im christlichen Glauben aufgewachsen bin und dass ich um keinen Preis tauschen würde, selbst wenn es mich das Leben kostet.“

„Bitte mehr Respekt vor unserem Gott“

Ihre mutige Haltung nötigte ihren Entführern bei allem Hass auch Respekt ab: „Einmal schlug und beschimpfte mich ein Wächter: ,Mal sehen, ob dein Gott dich hier rausholt‘“, berichtet die Ordensfrau. Seine Gesinnungsgenossen hätten lachend zugesehen. Doch sie habe ihren Peiniger direkt angesprochen: „Haben Sie bitte mehr Respekt vor unserem Gott; es tut mir wirklich weh, dass Sie so über ihn reden.“ Daraufhin hätten sich die Männer nur still gegenseitig angestarrt. Schließlich habe einer von ihnen gesagt: „Sie hat recht, rede nicht so über ihren Gott.“

Ihre langen Jahre der Geiselhaft hätten einen tieferen Sinn gehabt, ist Sr. Gloria überzeugt: „Wir müssen den Glauben mit unserem Leben verteidigen.“ In Mali und anderen Ländern Afrikas ist das für viele Christen Tag für Tag Realität.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2022
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

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