Liebe Leser
Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel
Jesus Christus ist das Licht der Welt (Joh 8,12). In ihm leuchtet die Liebe des Himmlischen Vaters auf. Er, der Sohn Gottes, „ist nicht in die Welt gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für die Vielen“ (Mk 10,45).
„Wer mich sieht, sieht den Vater!“ (Joh 12,45; 14,9). Mit seinem ganzen Leben offenbart Jesus das Vaterherz Gottes, das ewige Wesen des Schöpfers. Wir sehen, wie sich Jesus vollkommen hingibt, bis zum Tod am Kreuz, und sich schließlich als Speise darreicht. Gott ist grenzenlose Liebe, die sich restlos verschenkt. „Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung“ (Joh 13,1).
Und bevor er zum Vater zurückkehrt, überträgt er seine eigene Sendung den zwölf Aposteln, die er erwählt und auf diesen Dienst vorbereitet hatte. „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch!“ (Joh 20,21). Er offenbart ihnen ihr Amt, erklärt ihnen die Bezeichnung „Apostel“, „Gesandter“, und stattet sie mit seiner eigenen Vollmacht aus. „Er hauchte sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!“ (Joh 20,22).
Durch die Handauflegung haben die Apostel ihre Sendung weitergegeben und Bischöfe eingesetzt. Diese wiederum haben schon zu apostolischer Zeit für jede ihrer Gemeinden einen Presbyter (Ältesten) bestellt und ihm durch Handauflegung die Teilhabe an der apostolischen Vollmacht verliehen. Von Anfang an lebt im Priestertum das apostolische Amt weiter, das Fundament, auf das der Herr seine Kirche gegründet hat.
Das Priestertum hat sakramentalen Charakter. Aber es geht nicht nur darum, dass der Akt der Handauflegung, die Priesterweihe, ein Sakrament darstellt, also ein sichtbares Zeichen, durch das die unsichtbare Gnade des Priestertums, die apostolische Vollmacht, vermittelt wird. Der sakramentale Charakter des Priestertums besteht vor allem darin, dass der Priester selbst ein sichtbares Zeichen für die Gegenwart Christi darstellt. Wenn er segnet, segnet Christus selbst, wenn er am Altar steht und die Wandlungsworte spricht, handelt Christus selbst durch ihn. „Wer euch hört, hört mich“ (Lk 10,16), sagt Jesus zu seinen Aposteln.
So sind die Apostel auch in die Sendung hineingewachsen, Jesus durch ihr eigenes Leben sichtbar zu machen, ihn abzubilden. Sie haben alles verlassen und sind ihrem Herrn nachgefolgt, in vollkommener Verfügbarkeit für das Reich Gottes, in selbstloser Hingabe für den Dienst an der Kirche. Dieses Vorbild Jesu und der Apostel hat die zölibatäre Lebensform des Priesters begründet.
Der Zölibat ist ein prophetisches Zeichen, ein Licht für die Welt. Die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen legt Zeugnis von der Hoffnung auf das ewige Leben ab, das wir erwarten. Durch den Zölibat leuchtet Christus im Priester sowohl als Bräutigam der Kirche auf, als auch als Haupt seines geheimnisvollen Leibes, der Kirche. In der Keuschheit wird auch der geopferte Leib Christi sichtbar, gekreuzigt für die Rettung der Welt. Gerade darin ist er für alle Gläubigen ein Leuchtturm in der Orientierungslosigkeit unserer Zeit. Er zeigt den Weg zur selbstlosen Liebe auf, die nur in der königlichen Herrschaft über den Leib verwirklicht werden kann.
Liebe Leser, wie sehr wird dieses Licht durch den Missbrauchsskandal verdunkelt, aber auch durch den „Synodalen Weg“, der die Frage der Keuschheit ausgeklammert und ins Gegenteil verkehrt hat. Wir wollen das Licht wieder auf den Leuchter stellen und um die Heiligung der Priester beten. Mit einem aufrichtigen Vergelt’s Gott wünschen wir Ihnen auf die Fürsprache der allzeit reinen Jungfrau Maria Gottes reichsten Segen!
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)
Zur „Theologie des Leibes“ von Papst Johannes Paul II.
Die prophetische Botschaft der ehelichen Vereinigung
Der hl. Papst Johannes Paul II. hat ein vielfältiges Erbe hinterlassen. Einer seiner wertvollsten Schätze ist die „Theologie des Leibes“, wie er sie selbst genannt hat. Nach ihr besitzen Sexualität und eheliche Vereinigung einen prophetischen Charakter, denn sie offenbaren dem Menschen sein tiefstes Wesen, seine Berufung zur Hingabe und zur Teilhabe am dreifaltigen Leben Gottes. Diese „Sprache des Leibes“ muss ihrer göttlichen Wahrheit entsprechend gelebt werden, andernfalls zerstört sie das wahrhaft Menschliche und beraubt die Person ihres wahren Glücks in der Liebe. Dies arbeitet Johannes Paul Wieczorek (geb. 1992) in seinem Beitrag heraus, indem er den Ansatz Johannes Pauls II. kurz zusammenfasst. Wieczorek ist bei Berlin aufgewachsen, hat Wirtschaftswissenschaften studiert und arbeitet als Redakteur bei Radio Horeb. Zudem ist er Akademischer Referent der Theologie des Leibes nach Johannes Paul II. und Mitbegründer der „Initiative Theologie des Leibes“.
Von Johannes Paul Wieczorek
Der Leib ist mehr als die rein körperliche Materie. Der Leib ist Körper, Geist und Seele. Erst hierdurch wird der Mensch fähig, sein Person-Sein auszudrücken. Die innere Wirklichkeit wird sichtbar durch die äußere.
Neue Sicht der christlichen Anthropologie
In seiner Theologie des Leibes befasst sich Papst Johannes Paul II. mit der menschlichen Liebe und ihrer Bedeutung im Heilsplan Gottes. Zwischen 1979 und 1984 hielt der polnische Papst insgesamt 133 Katechesen zu diesem Thema und eröffnete damit eine neue Sicht auf die christliche Anthropologie. Es geht um Gott, Liebe und Sexualität sowie um die Grundfragen des menschlichen Lebens: Wer bin ich? Was ist der Sinn meines Lebens? Wie kann ich glücklich werden?
„Der Leib und nur er kann das Unsichtbare sichtbar machen: das Geistliche und das Göttliche“, so Johannes Paul II. Für den Papst ist der Leib das ursprünglichste Sakrament, also ein sichtbares Zeichen einer unsichtbaren Wirklichkeit. Der Leib macht die Person erst sichtbar. Er ist ein Geschenk von Gott an jeden einzelnen.
Die bräutliche Bedeutung des Leibes
Für Johannes Paul steht fest: Der Mensch ist zur Liebe berufen. In seiner Theologie des Leibes prägt der polnische Papst die Bezeichnung der bräutlichen Liebe. Damit meint er nichts anderes als die Fähigkeit der Ganzhingabe an den anderen. Die tiefste Sehnsucht des Menschen ist, Liebe zu empfangen und Liebe zu schenken. Der Mensch ist berufen, Geschenk für den anderen zu werden. Hierbei wird die Berufung des Menschen deutlich und erst hier erfüllt sich das wahre Menschsein.
Die „Gegenerfahrung“ zur Ursünde
Der Mensch ist zu mehr berufen, als den anderen für die eigene Befriedigung zu benutzen, den anderen für die eigenen Bedürfnisse und Sehnsüchte zu instrumentalisieren. Die Erfahrung, dass wir von Gott geliebt werden, so wie wir sind, mit allen Ecken und Kanten, mit allem Guten und Schönen, kann mehr und mehr zu einer Wirklichkeit unseres Lebens werden. Diese Erfahrung ist letztlich die „Gegenerfahrung“ zur Ursünde von Adam und Eva. Denn das, was die Schlange den ersten Menschen einflüstert, ist die Lüge, dass Gott etwas zurückhält, dass er nicht will, dass der Mensch glücklich ist. Die Konsequenz daraus ist: Wenn Gott mir nicht gibt, was ich zum Glücklichwerden brauche, dann nehme ich es mir selbst.
Erst wenn wir Gott als ungetrübte Liebe erfahren, konkret in unserem Leben, dann können wir erahnen, dass eine Liebe des Sich-Schenkens nicht das Aufgeben, nicht die Auflösung der eigenen Person bedeutet. Vielmehr findet sich der Mensch dort in seiner wahren Größe. Erst jetzt kann er sich vollends selbst erkennen.
Die „Sprache des Leibes“ in der ehelichen Liebe
Der Leib kann also als Instrument der bräutlichen Liebe bezeichnet werden. Und nach Johannes Paul II. besitzt der Leib deshalb auch eine eigene Sprache.
Jeder kennt die Spannung und Dynamik in Beziehungen und im Besonderen die Anziehungskraft des jeweils anderen Geschlechts. Gerade im Bereich Liebe und Sexualität und in der Beziehung zwischen Mann und Frau hat die Sprache des Leibes eine zentrale Bedeutung.
Die Kirche definiert die christliche Ehe als den Ort der körperlichen, sexuellen Liebe. Wieso? Die Gesellschaft kennt diese vermeintliche Einschränkung der gelebten, intimen Sexualität schon seit vielen Jahren nicht mehr. Treu dem Motto von Friedrich II. „Jeder soll nach seiner Fasson selig werden“ soll jeder leben, wie er es für richtig hält. Und nicht zuletzt hatte die sexuelle Revolution 1968 keinen geringeren Anspruch als die „freie Liebe“. Doch wie frei ist der Mensch heute?
Die leibliche Vereinigung als prophetische Botschaft Gottes
Der Leib ist Instrument der bräutlichen Liebe, er kann jedoch auch instrumentalisiert werden. Johannes Paul II. bezeichnet den Leib und die sexuelle Vereinigung als „prophetisch“; sie verkünden also die Botschaft Gottes. Denn der Prophet ist das Sprachrohr Gottes. Doch der Papst warnt: Wir müssen zwischen den wahren und den falschen Propheten unterscheiden. Denn zum einen können wir mit dem Leib die Wahrheit sprechen, aber wir können auch lügen – denken wir beispielsweise an den Kuss von Judas. Aber auch die menschliche Liebe kann korrumpiert werden.
Begierde und Befriedigung auf Kosten der anderen Person
Die Begierde bezieht sich auf das sexuelle Verlangen, verkürzt jedoch die wahre und ursprüngliche Fülle der geschlechtlichen Liebe, wie sie von Gott her gedacht wurde. Die Begierde sucht die eigene Befriedigung auf Kosten der anderen Person. Diese egoistische Sicht verdunkelt den Blick für den anderen und macht blind für die Selbsthingabe. Er wird zum „Werkzeug“ meiner Suche nach Glück, nach Liebe, die jedoch ins Leere läuft.
Nur von Gott her erkennt der Mensch sein wahres Wesen
Erst wenn sich der Mensch von Gott her versteht und erkennt, eröffnet sich für ihn die volle Dimension seines Wesens, seines Seins und seiner Berufung. Dabei stellt sich folglich auch die Frage, welches Wesen Gott hat und zu was wir berufen sind.
Kurz gesagt: Gott ist die Liebe und er bildet eine ewige Liebesgemeinschaft zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist. Eben zu dieser Liebe ist der Mensch berufen.
Wie hat Christus geliebt?
Die göttliche Liebe kann mit vier Wesensmerkmalen definiert werden:
• Christus gibt seinen Leib freiwillig für uns hin. „Niemand entreißt es [mein Leben] mir, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin“ (Joh 10,18).
• Christus gibt sich bedingungslos, also uneingeschränkt und ohne Vorbehalte hin. Er erwies ihnen „seine Liebe bis zur Vollendung“ (Joh 13,1).
• Treu: Dabei gibt es keine zeitliche Einschränkung. Die göttliche Liebe gilt für immer: „Ich bin bei euch alle Tage“ (Mt 28, 20).
• Fruchtbar: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben“ (Joh 10,10).
Auch wir sind zu eben dieser Liebe gerufen. „Der Mensch wird nicht so sehr im Augenblick seines Alleinseins als vielmehr im Augenblick der Gemeinschaft zum Abbild Gottes“, sagt Johannes Paul. Einen hervorragenden Ort dieser Gemeinschaft bildet die christliche Ehe. Dabei können wir die Wesensmerkmale der göttlichen Liebe auch in dieser Verbindung zwischen Mann und Frau finden.
Berufung zur Liebe nach dem Abbild Gottes
Wenn die Braut und der Bräutigam vor dem Altar stehen, fragt der Priester oder Diakon zusammengefasst: Seid ihr aus freiem Entschluss und ohne Vorbehalte hierhergekommen, um den Bund der Ehe (den Bund der gegenseitigen Hingabe) einzugehen? Versprecht ihr euch die Treue bis in den Tod? Seid ihr bereit, die Kinder anzunehmen, die Gott euch schenken will?
Das Brautpaar bestätigt diesen Bund mit seinem öffentlichen Bekenntnis. Sein „Ja“ zueinander wird jedoch erst im gegenseitigen Sich-Schenken im ehelichen Akt gültig und erfüllt. Hier drückt der Leib eben dieses Versprechen aus. Hier tut sich die ganze Sprache des Leibes kund.
Das Ideal der bräutlichen Liebe befähigt den Menschen zur Hingabe
Damit wird deutlich, dass die Lehre der Kirche im Bereich der Liebe und Sexualität nicht eine Liste von Verboten ist, die den Menschen einschränken will. Vielmehr tut jene Lehre die wahre Bedeutung der menschlichen und insbesondere der ehelichen Beziehung kund. Es ist der Appell zu einer Liebe, die Gott selbst in unser Herz geschrieben hat und die der Würde des Menschen entspricht. Wir sind berufen, Abbild Gottes zu sein, und gerade durch die bräutliche Liebe wird das Realität.
„Der Mensch ist eben deshalb Person, weil er sich selbst besitzt und Herr über sich selbst ist. Sofern er sich selbst besitzt, kann er sich dem anderen schenken“ (Generalaudienz vom 22. August 1984).
Weitere Informationen zur Theologie des Leibes von Papst Johannes Paul II. finden Sie unter www.theologiedesleibes.de
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2023
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„Freundeskreis Maria-Regina Kramer“ – neuer Impuls zur Seligsprechung
Eine Blüte der Reinheit kündet die Kraft der Liebe
Der „Freundeskreis Maria-Regina Kramer“ ist eine neue Initiative, welche die Botschaft der jugendlichen Märtyrerin Maria-Regina Kramer (1928-1945) in ihrer Aktualität herausstellen und einen neuen Anstoß für die Seligsprechung geben will. Die aus Berlin stammende Schülerin, die mit 17 Jahren im Abwehrkampf für ihre Jungfräulichkeit ermordet worden ist, hat ein ergreifendes Zeugnis ihrer Christusliebe hinterlassen. Pater Manfred Amann, geb. 1949, gehört der Augustiner-Chorherren-Kongregation der „Brüder vom Gemeinsamen Leben“ in Maria Bronnen an und engagiert sich seit vielen Jahren im „Freundeskreis Maria Goretti e. V.“. Für die offizielle Dokumentation der Deutschen Bischofskonferenz „Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts“ hat er das Lebensbild von Maria-Regina Kramer verfasst. Nachfolgend sein Beitrag in einer Neubearbeitung für „Kirche heute“.
Von Manfred Amann CRVC
Das Blutzeugnis von Menschen, die lieber den leiblichen Tod erleiden, als der Gewalt nachzugeben und in eine Sünde gegen die Keuschheit einzuwilligen, wird in unserer Zeit mitunter nicht gleich verstanden. Die Kirche hält es jedoch für wichtig, gerade jetzt diese Treue zu Christus und zur von Gott geforderten Tugend vor Augen zu stellen.
Märtyrerinnen der Reinheit
1902 starb das knapp 12jährige italienische Mädchen Maria Goretti als Märtyrerin der Reinheit und wurde 1950 von Papst Pius XII. als „Agnes des 20. Jahrhunderts“ heiliggesprochen.
Der hl. Johannes Paul II. folgte diesem Beispiel und sprach unter anderem die folgenden Märtyrerinnen der Reinheit selig (in der Reihenfolge der Seligsprechung): Sr. Marie-Clémentine Anuarite Nengapeta aus Belgisch-Kongo – heute Demokratische Republik Kongo (1939-1964), seliggesprochen am 15.08.1985, Karolina Kózka aus Wał-Ruda in Polen (1898-1914), seliggesprochen am 10.06.1987, Antonia Mesina aus Sardinien/Königreich Italien (1919-1935) und Pierina Morosini aus Fiobbio in Italien (1931-1957), beide seliggesprochen am 04.10.1987, sowie Teresa Bracco aus Savona in Italien (1924-1944), seliggesprochen am 24.05.1998.
Kraft aus der Eucharistie und der Marienverehrung
Bei der Seligsprechung von Teresa Bracco am 24. Mai 1998 in Turin stellte Papst Johannes Paul II. diese junge Frau als „leuchtendes Vorbild der Keuschheit“ vor, „die sie bis hin zum Martyrium verteidigte und bezeugte. (…) Ihr Märtyrertod war die Krönung eines Lebensweges christlicher Reifung, die sich Tag für Tag durch die Kraft der eucharistischen Gemeinschaft und aus einer tiefen Verehrung der seligen Jungfrau und Gottesmutter entwickelt hatte.“
Ganz ähnlich kann man das frühvollendete Leben der Berlinerin Maria-Regina Kramer charakterisieren. Sie wurde am 1. August 1928 in Berlin-Dahlem geboren. Ihr Vater Johannes Wilhelm Kramer, geb. am 27.05.1897 in Wischin (Westpreußen – heute Wysin in Polen) war evangelisch, arbeitete als Reklamefachmann/Kaufmann und starb am 23.09.1972 in Haitersbach b. Nagold im Schwarzwald. Ihre Mutter Anna Emma Kramer, geb. Bartsch, war katholisch und wurde am 04.04.1898 in Memel (Ostpreußen – heute Klaipèda in Litauen) geboren. Sie starb am 21.09.1990 in Starnberg/Bayern. Die Trauung fand am 27.10.1926 in Berlin statt.
Kindlich religiöser Eifer: „Feig sein darf man nicht!“
Am 9. August 1928 ließen die Eltern ihre Tochter in der Herz-Jesu-Kapelle in Berlin-Dahlem, das damals zur Pfarrgemeinde der Rosenkranz-Basilika in Steglitz gehörte, auf den Namen Maria Regina Ursula taufen. Als sie sieben Jahre alt war, kam es zur Trennung der Eltern. Der Vater schloss nach einigen Jahren eine andere Verbindung und lebte später in Tirol, hatte aber noch Kontakt zu seiner Tochter. Naturgemäß entwickelte sich eine enge Bindung des Kindes zu seiner Mutter. Diese schildert Maria-Regina als lebensfroh, mitunter auch übermütig und unbesonnen, doch immer bereit, kindliche Verfehlungen zu bereuen.
Am 24. Dezember 1936 ging Maria-Regina erstmals zur Beichte und feierte am 24. April 1938 die Erstkommunion. Das Sakrament der Firmung konnte sie am 9. Mai 1938 in Berlin-Kreuzberg St. Marien (Liebfrauen) empfangen. Sie führte ein eifriges religiöses Leben und ging nach Möglichkeit auch werktags zur hl. Messe und Kommunion. In apostolischer Nächstenliebe suchte sie laue Mitschülerinnen für den Glauben zu gewinnen. Auch als unter dem NS-Regime der kirchenfeindliche Geist um sich griff, scheute sie sich nicht, mit dem Messbuch in der Hand zur Kirche zu gehen. Wie ihre Mutter berichtet, rief sie ihr zu: „Feig sein, Mutti, feig sein darf man nicht!“
Im jugendlichen Alter war Maria-Reginas Ideal, einmal zu heiraten und Kinder zu haben. Bei Liebeleien mancher Mitschülerinnen hielt sie sich abseits. Wenn gelegentlich Burschen oder Männer ihr zu nahe zu treten versuchten, wies sie diese entschieden zurück. Als 15jährige erwidert sie einmal einem Mann: „Sie sind doch verheiratet; ich werde mit Ihrer Frau darüber sprechen!“
Umzug nach Vorarlberg: Zuflucht und Schutzlosigkeit
Während des Zweiten Weltkrieges, als Berlin Luftangriffen ausgesetzt war, hielten sich Mutter und Tochter zeitweise bei Verwandten in Zoppot bei Danzig auf, kehrten im Sommer 1942 aber wieder nach Berlin zurück. Als die Kriegsfront Berlin näherrückte, bot sich eine Zufluchtsmöglichkeit in Vorarlberg an. Trotz Schwierigkeiten erlangten sie die Reisegenehmigung und trafen am 31. März 1945 in Langenegg im Bregenzerwald ein, wo sie in großer Bedürftigkeit leben mussten. Hier erlebten sie das Ende des Zweiten Weltkriegs.
In einem Nachbarort von Langenegg hatten französische Truppen marokkanischer Herkunft Quartier bezogen. Maria-Regina, die am 1. August 1945 17 Jahre alt wurde, war immer wieder in Nachbarorte oder nach Bregenz unterwegs, um Einkäufe zu tätigen. Denn die Mutter war schon aus der Berliner Zeit gehbehindert und musste zeitweise im Rollstuhl gefahren werden.
Eines Tages kam Maria-Regina verstört nach Hause, weil sich ihr auf dem Bahnhof ein Marokkaner genähert und sie trotz ihrer Abwehr geküsst hatte.
Obgleich die Berliner Wohnung inzwischen in Trümmern lag, wuchs der Wunsch, aus dem geduldeten Dasein in der Fremde in die Heimatstadt zurückzukehren, doch gab es noch keine Möglichkeit dazu. Da auch die Behörden auf eine Ausreise deutscher Flüchtlinge drängten, erlangten sie schließlich eine Zuzugsgenehmigung und Wohnmöglichkeit im rund 10 km entfernten, auf deutschem Gebiet gelegenen Dorf Aach im Allgäu.
Vertiefung der Christusliebe auf Exerzitien
Noch vor dem Umzug hatte Maria-Regina vom 26. bis 30. August 1945 Gelegenheit, an einem Exerzitienkurs für junge Mädchen in Bregenz-Thalbach teilzunehmen. Ihre Christusliebe erlebte eine machtvolle Vertiefung. Der Exerzitienleiter, Pfr. Hermann Wagner, erinnert sich nach brieflichen Aussagen von 1992 an das Flüchtlingsmädchen aus Berlin, das die Vorträge eifrig mitschrieb.
Umfangreiche Notizen von Maria-Regina sind erhalten. Einige Zitate mögen zeigen, was ihr wichtig war:
„Gott ist Vater, Gott ist gut, gut ist alles, was Er tut“ (aus der Eintragung vom ersten Tag).
„Es muss Nacht werden, ehe man die Sterne sieht. Nacht muss es werden, ehe man die Lichtstraßen sieht in der Höhe droben. Nacht muss es werden, ehe wir an die Größe unseres Gottes glauben“ (P. Lippert).
„Alles Unedle, alles Unreine ist in der Jungfrau ausgeschlossen.“
„Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“
„Jungfräulich sein heißt, von Bindungen frei sein… jederzeit bereit sein, wann immer der Bräutigam kommt.“
„Die Zeit ist kurz. Nur eine kleine Weile. Haben wir den Mut zum Sieg!“
„Christus der Herr spricht: Ja, ich komme bald! Amen. Komm, Herr Jesus!“ (letzter Satz der Exerzitien-Aufzeichnungen).
Im Geist der vollkommenen Hingabe: „Gib mir die Opferkraft!“
Bei der Rückkehr berichtete sie der Mutter voll Eifer von den Eindrücken der Einkehrtage. Sie wählte dann für das gemeinsame Abendgebet einen Text von den Exerzitien und schloss mit Worten der vollkommenen Hingabe, die beide schon im Luftschutzkeller in Berlin gebetet hatten: „O mein Gott und Herr, schon jetzt nehme ich jede Art des Todes, so wie es Dir gefallen wird, mit all ihren Ängsten, Leiden und Schmerzen aus Deiner Hand in voller Ergebung und Bereitwilligkeit an.“
Überliefert ist auch ein Wort von Maria-Regina, das sie kurze Zeit vor ihrem Martyrium nach der Lektüre einer Lebensbeschreibung des hl. Tarsicius, der in Verteidigung der hl. Eucharistie gestorben war, gesagt hatte: „Es muss doch schön sein, für Christus zu sterben.“
Zu den von Maria-Regina gern gesungenen Liedern gehörte auch das Christkönigslied „O du mein Heiland“, in dem es heißt: „Christus, mein König, Dir allein schwör ich die Liebe lilienrein, bis in den Tod die Treue.“ Und am 1. September 1945 notierte sie: „Aus Deinem Opfer und dem Opfermahl der hl. Kommunion gib mir die Opferkraft.“
Ermordet im Kampf um ihre Jungfräulichkeit
Am frühen Morgen des 2. September 1945, einem Sonntag, machte sich Maria-Regina auf den Weg nach Aach, wohin beide einige Tage später umziehen wollten. Auf einem kleinen Handwagen nahm sie zwei Pakete mit. In der Kirche des am Weg liegenden Dorfes Krumbach empfing sie die hl. Eucharistie und wollte in Aach dann am Sonntagsamt teilnehmen.
Vergeblich erwartete Anna Kramer ihre Tochter ab dem Nachmittag. Als sich Vermutungen, sie sei über Nacht in Aach geblieben oder womöglich von einer Militärstreife aufgegriffen worden, nicht bewahrheiteten, stellte man Nachforschungen an.
Der Handwagen war von einem Buben gefunden worden. Am 7. September fand schließlich Jodok Wirt aus Andelsbuch etwas abseits des Weges in der Schlucht des Gebirgsbachs Bolgenach, im sog. Bärentobel, die Leiche von Maria-Regina: entblößt, die linke Hand auf der Brust, die Rechte mit gestreckten Fingern hoch erhoben, die Schädeldecke durch Schläge mit einem stumpfen Gegenstand, vermutlich einem Stein, zertrümmert. Die Ledertasche mit Brot und Obst für unterwegs sowie die Geldtasche lagen unweit der Leiche; auch Uhr und Ring waren nicht geraubt worden. Laut Befund des Bezirksarztes Dr. Leubner hat Maria-Regina ihre Jungfräulichkeit in ihrem Abwehrkampf nicht verloren. Im Totenschein wurde vermerkt: „Am 2. September 1945 im Bärentobel in Krumbach ermordet durch Zertrümmerung der Schädeldecke im Ringen gegen Vergewaltigung.“
Nachspiel und Zeugnis des Beichtvaters
Maria-Regina wurde auf dem Friedhof von Langenegg beigesetzt, der sich neben der Pfarrkirche befindet.
Als Täter wurde nach einem marokkanischen Soldaten gefahndet, auf den verschiedene Beobachtungen hinwiesen. Sein Name ist nicht bekannt geworden. Während der Monate des Aufenthalts von Maria-Regina in Langenegg war Zisterzienserpater Ambrosius Schaidle ihr Beichtvater. Noch im September 1945 erkundigte er sich beim Landesgendarmerie-Kommandanten nach dem Vorfall. Ihm wurde mitgeteilt, die französische Besatzungsbehörde habe der österreichischen Gendarmerie die Weisung erteilt, die Suche nach dem Mörder einzustellen, da er bereits gefunden und verhaftet worden sei.
Die Besatzungsbehörde gab in einem Schreiben an ihre Mutter zu, dass die Tat von einem Besatzungssoldaten begangen worden sei. Außerdem wurde ihr als Abfindung ein Geldbetrag ausgehändigt. Bei einer weiteren Erkundigung P. Schaidles ein Jahr nach dem Mord wurde von einem Sprecher der Militärregierung in Bregenz wiederum die Namensnennung des Mörders verweigert. Unbekannt ist auch seine Verurteilung. Zwei andere Sexualmorde durch Besatzungssoldaten im Bregenzer Wald am 26. Mai 1945 waren mit der Hinrichtung der Täter geahndet worden.
Als mehrmonatiger Beichtvater urteilte Pater Schaidle über Maria-Regina: „Sie strahlte etwas aus, das unvergesslich bleibt. Es war eine Ausstrahlung, die von der Tiefe ihrer klaren, reinen Seele kam… Sie suchte nicht materielle Hilfe, obwohl sie als Flüchtling bitterarm war; ihr Anliegen war das Hineinwachsen in Christus und Sein Reich. Immer mehr konnte und wollte sie sagen wie Paulus: ‚Ich lebe, doch nicht ich, sondern Christus lebt in mir.‘ Als ihr Seelenführer konnte ich in den wenigen Monaten, da ich sie kannte, beobachten, wie Christus immer mehr in ihr Gestalt annahm… Leben war für Maria-Regina Christus, ihr Sterben – heldenhaft, treu und tapfer – war für sie, daran zweifle ich nicht, Gewinn des ewigen Lebens. Gewinn aber auch eines reinen Vorbilds und Beispiels für die Jugend von heute.“
Grabstätte in Langenegg und Verehrung
Ihr Grab in Langenegg ist erhalten. Der Ort befindet sich in der Nähe des „Dreiländerdreiecks“. So dauert die Verehrung dieser Märtyrerin der Reinheit durch Menschen aus Österreich, Deutschland und aus der Schweiz bis heute an. Auch Gebetserhörungen werden berichtet.
Seit 1946 wird der Todesgedächtnistag mit rege besuchten Gottesdiensten begangen, in denen mehrmals Bischöfe der Diözese Feldkirch oder der deutschen Nachbardiözese Augsburg gepredigt haben. Einige Male waren damit Sternwallfahrten der Jugend verbunden.
1959 wurde im Vorarlberg ein „Marianischer Gebetsbund“ gegründet, der die Seligsprechung anstrebt und Schriften über das Leben und Sterben des Mädchens verbreitet. In seinen Rundbriefen publizierte er Zeugnisse über Maria-Regina und Berichte von Gebetserhörungen.
1989 wurde durch die Gründung des „Marianischen Gebetsbundes Augsburg e. V.“ eine breitere Basis geschaffen, um das Vorbild Maria-Reginas bekanntzumachen. Seither wird zu monatlichen Gebetstreffen in Langenegg als „Beten für die Jugend“ eingeladen, in der Regel am 2. Samstag jeden Monats. Dieses Gebet zeitigt auch Früchte in Form von Berufungen.
Der Augsburger Verein verlieh 1989 auch der Todesstätte im Bärentobel ein neues Aussehen und errichtete neben dem Gedenkkreuz eine kleine Holzkapelle mit Altar. Der Feldkircher Diözesanbischof Dr. Klaus Küng hat sie am 2. September 1989, dem 44. Todestag, benediziert. Auch das Haus, das Ma-ria-Regina mit ihrer Mutter zuletzt bewohnt hatte, wurde vom Verein betreut. Der Raum, in dem das Mädchen gelebt hatte, war zu einem Gebetsraum umgestaltet worden. Inzwischen musste das Anwesen einem Neubau weichen.
Im Frühjahr 2023 hat der Verein den Beschluss gefasst, in Zukunft die Bezeichnung „Freundeskreis Maria-Regina Kramer“ zu führen und eine eigene Webseite – Freundeskreis-Maria-Regina-Kramer.net – einzurichten. Hauptanliegen ist es weiterhin, den Seligsprechungsprozess auf den Weg zu bringen. Dafür engagiert sich besonders auch die geistliche Familie „Das Werk“ vom Kloster Thalbach in Bregenz.
Quellen und Literatur:
• Helga Koller: Und die die Besten waren, ließen die Treue nicht. Eine Märtyrin der Reinheit aus unseren Tagen. Maria Regina Kramer, „Die Quelle“ 1947;
• Anna Kramer: Maria-Regina. Gespräch einer Mutter mit ihrer Tochter, Mödling o. J. [1948];
• Josef Manser: Mein Ja zu Gott. Maria-Regina. Ihr Leben und Sterben. Zeugnisse von Personen, die Maria-Regina kannten. Gebetserhörungen, neubearbeitet nach dem Buch „Gespräche einer Mutter mit ihrer Tochter“, Feldkirch o. J. [1980]; 3. erweit. Auflage m. Anhang, o. J. [1993];
• Rundbriefe Nr. 1 (Dezember 1965) bis Nr. 56 (Juli 1993) des Marianischen Gebetsbundes, Langenegg;
• Walter Johler: Vor 50 Jahren: Die letzten Kriegstage im Bregenzerwald (Kapitel: Mord an Maria Regina Kramer im Bärentobel [Krumbach]), in: Bregenzerwald-Heft, 14 (1995) 58-88, bes. 83-88;
• Predigt von Bischof Dr. Bruno Wechner, Feldkirch, in Langenegg am 1.9.1984, in: FMG-Information, Nr. 23 (12/1984), 12-14.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2023
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Fragen an den „Synodalen Weg“
Warum wird das Thema Keuschheit ausgeklammert?
Pfarrer Erich Maria Fink vermisst bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals auf dem „Synodalen Weg“ eine Auseinandersetzung mit dem Thema Keuschheit. Die Frage taucht weder in den Dokumenten auf, noch wird sie in den Diskussionen als Aspekt der Problemlösung angesprochen. Vielmehr vermittelt die gesamte Veranstaltung den Eindruck, als müsse man sich vom Ideal der Keuschheit verabschieden, um den Missbrauch von Kindern durch Priester zu verhindern. Ja, es wird indirekt der Vorwurf erhoben, als habe die Kirche gerade durch ihre rigide Morallehre die jetzige Krise heraufbeschworen. Pfr. Fink sieht darin einen Widerspruch zur biblischen Offenbarung und zum Zeugnis der Kirche seit ihren Anfängen.
Von Erich Maria Fink
Der sexuelle Missbrauch von Kindern durch Priester ist eine tiefe Wunde am geheimnisvollen Leib Christi, der Kirche. Dass diese Wunde ans Tageslicht kommt, ist ein Geschenk von oben, ein gottgewollter Reinigungsprozess. Denn der Skandal schadet der Kirche nicht erst, seitdem er öffentlich geworden ist. Das verschwiegene und vertuschte Verbrechen des Missbrauchs hat der Kirche in ihrer neueren Geschichte viel an geistlicher Kraft geraubt und einen verhängnisvollen Einfluss auf die Weichenstellungen in vielen ihrer Lebensvollzüge ausgeübt. Was Papst Franziskus als schädlichen „Klerikalismus“ anprangert, ist mitunter auf dem Nährboden dieser Sünden gewachsen.
Wie konnte es dazu kommen?
Um den Missbrauchsskandal aufzuarbeiten, haben sich die deutschen Bischöfe für den „Synodalen Weg“ entschieden. Nach dem Abschluss der letzten Synodalversammlung im März 2023 liegen inzwischen alle verabschiedeten Dokumente vor. Um die Umsetzung soll sich nun ein „Synodaler Ausschuss“ kümmern, der vom 10. bis 11. November 2023 in Essen zu seiner ersten konstituierenden Sitzung zusammentreten wird. Es ist der Augenblick gekommen, sich ernsthaft mit den gefassten Beschlüssen auseinanderzusetzen und all das aufzuarbeiten, was auf dem „Synodalen Weg“ geschehen ist.
Das Fehlverhalten von Priestern, die sich an Kindern sexuell vergangen haben, ist zuallererst auf einen Mangel an menschlicher und geistlicher Reife zurückzuführen. Daraus entsteht die Unfähigkeit, die eigene Sexualität positiv in die Verwirklichung der Persönlichkeit zu integrieren und die sexuelle Begierde zu beherrschen. Auf dem Hintergrund des Zölibats stellt die Ausformung einer erfüllenden Keuschheit eine zentrale Aufgabe des priesterlichen Lebens dar. Es ist wichtiger, sich dieser Herausforderung zu stellen, als die Lösung nur in der Aufhebung des Pflichtzölibats zu suchen.
Ohne Zweifel spielen bei der Problematik des Missbrauchs und des Vertuschens auch andere Fragen wie Macht und Kontrolle, priesterliche Lebensform oder die Integration von Frauen in die Leitungsaufgaben der Kirche eine entscheidende Rolle. Diese strukturbedingten Ursachen müssen angegangen werden, um sich Klarheit darüber zu verschaffen, wie es soweit kommen konnte und welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um in Zukunft solche Verbrechen zu verhindern, aber auch, um die Kirche zu befähigen, verantwortungsvoll mit Tätern und Opfern umzugehen.
Wenn Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen
Das Vorbild der Reinheit, wie sie von einem Priester erwartet wird, stellt einen wesentlichen Faktor im pastoralen Dienst der Kirche dar. Denn die Keuschheit ist nicht nur den Priestern aufgegeben, sondern sie gehört als wesentliches Element zur Verwirklichung des christlichen Lebens eines jeden Gläubigen. Jugendliche können auf dem Weg zum Erwachsenwerden nur dann die Fähigkeit zur selbstlosen Liebe erlangen, wenn sie sich um Selbstbeherrschung bemühen, Eheleute sind nur dann in der Lage, einander vollkommene Hingabe und lebenslange Treue zu schenken, wenn sie sich in eheliche Keuschheit einüben. Jeder Christ muss sich auf seine Weise der Herausforderung der Keuschheit stellen, um die Ideale des Evangeliums verwirklichen zu können.
Klafft aber beim Priester dieser Anspruch und dessen Lebenswirklichkeit auseinander, ist das Zeugnis der Kirche, ja, das gesamte Bemühen um Evangelisierung zur Unfruchtbarkeit verurteilt. So besteht die Krise, die durch den Missbrauchsskandal ausgelöst worden ist, nicht nur im Leid, das die Opfer erfahren haben und auf das die Kirche auf erschreckend unchristliche Weise eingegangen ist. Vielmehr führt der Skandal zu einem unvorstellbaren Verlust des Vertrauens in die Kirche und zu einer Schwächung ihrer Überzeugungskraft in der Verkündigung.
Müsste das Thema Reinheit nicht an erster Stelle stehen?
Wären die Täter in der Lage gewesen, ihren Geschlechtstrieb zu kontrollieren, wäre es nicht zu den verabscheuungswürdigen Schandtaten gekommen. Deswegen muss die Frage gestellt werden, ob nicht das Thema Reinheit an erster Stelle stehen müsste, wenn es um die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals geht. Dieser Zusammenhang wäre nicht nur naheliegend, sondern geradezu eine Forderung der Vernunft.
Der „Synodale Weg“ in Deutschland aber, der sich das hehre Ziel gesetzt hat, einen Beitrag zur Überwindung der Missbrauchskrise zu leisten, ist mit keinem Wort auf die Frage nach der Keuschheit des zölibatär lebenden Priesters eingegangen. Das ist meines Erachtens ein Faktum, das in die Kirchengeschichte eingehen wird.
Wie kann man sich erklären, dass ein so hochkarätiges Gremium aus Bischöfen und Laien über Monate und Jahre hinweg über den Missbrauch diskutiert, Dokumente ausarbeitet und in kämpferischer Atmosphäre Abstimmungen durchführt, aber das Thema Selbstbeherrschung völlig ausklammert, das Bemühen um eine keusche Lebensform nicht im Geringsten berührt?
Soll ein Paradigmenwechsel den Katechismus neu schreiben?
Haben die Hirten der Kirche angesichts des offenkundigen Versagens vieler Priester den Mut verloren, zu den Idealen des Evangeliums zu stehen und die Morallehre der Kirche hochzuhalten? Auf dem Boden von Reue und aufrichtigem Umkehrwillen wäre ein eindeutiges Bekenntnis zu diesem Ideal gefordert. Anstelle dessen scheint die Kirche in Deutschland einen Paradigmenwechsel zu bevorzugen.
Was ist damit gemeint? Es wird die Keuschheit nicht nur verschwiegen, sondern im Gegenteil alles versucht, um das freie Ausleben der Sexualität außerhalb der sakramentalen Ehe zu rechtfertigen. Die Hebel werden angesetzt an einer neuen Bewertung von Masturbation, vorehelichen Beziehungen, aktiv praktizierter Homosexualität und dem ehelichen Zusammenleben von wiederverheirateten Geschiedenen. Der Katechismus der Katholischen Kirche müsse umgeschrieben und Dinge, die bislang als Sünde galten, von dieser Liste gestrichen werden.
Ist das der richtige Weg? Ist das die Reform der Kirche, die zu ihrer Erneuerung führen wird? Ist das der Wille Gottes, den der Heilige Geist durch die synodalen Prozesse den Gläubigen und Hirten der Kirche aufzeigen möchte?
Was Gott geschaffen habe, könne nichts Schlechtes sein
Auf dem Hintergrund dieses angeblichen Reformprozesses möchte ich eine grundsätzliche Dimension der christlichen Offenbarung in Erinnerung rufen, die ein Licht auf die genannte Fragestellung werfen kann.
In den Dokumenten des „Synodalen Wegs“ wird sehr einfach argumentiert: sexuelle Vielfalt, homosexuelle Neigungen, so heißt es, seien eine Wirklichkeit, wie sie Gott geschaffen habe. Deswegen könne sie nichts Schlechtes sein, sondern müsse als etwas Gutes angenommen werden. Aus diesem Grund dürfe auch eine sexuell aktiv gelebte gleichgeschlechtliche Beziehung nicht als Sünde bewertet werden. Als Ausdruck der Anerkennung als etwas Gutes müsse die Segensfeier gleichgeschlechtlicher Paare erlaubt und eingeführt werden.
Dabei aber wird der Kern der Heilsgeschichte außer Acht gelassen und die gesamte Offenbarung auf eine oberflächliche Betrachtungsweise verkürzt. Das biblische Menschenbild geht einerseits von der Gottebenbildlichkeit aus, nimmt andererseits aber genauso ernst, dass der Mensch durch den Sündenfall gezeichnet ist. Die ganze Menschheit leidet unter den Folgen der Erbsünde. Die erste Sünde hat nicht nur den Tod in die Welt gebracht, sondern auch Neigungen zur Sünde, welche jedem Menschen anhaften. Die Erlösung durch Jesus Christus geht an diesen Folgen des Sündenfalls nicht vorbei, sondern will sie einer Verwandlung zuführen. Die Schöpfungswirklichkeit, wie wir sie vorfinden, ist nicht einfach gut, sondern stellt uns vor die Aufgabe, sie zu heilen und umzuformen.
Konsequenz aus der paulinischen Erbsündenlehre
Die Einbeziehung der gesamten Menschheit, also aller Menschen durch die gesamte Geschichte hindurch, in die Schicksalsgemeinschaft des gefallenen Menschen ist eine Entscheidung des Schöpfers, mit der ein umfassender Erlösungsplan verbunden ist.
Der hl. Apostel Paulus spricht in diesem Zusammenhang von Adam und Christus und bringt diesen Erlösungsplan auf die Formel: „Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod und auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen… Wie es also durch die Übertretung eines Einzigen für alle Menschen zur Verurteilung kam, so kommt es auch durch die gerechte Tat eines Einzigen für alle Menschen zur Gerechtsprechung, die Leben schenkt. Denn wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern gemacht worden sind, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht werden“ (Röm 5,12ff.).
Was bedeutet das für uns Christen? Wenn Paulus sagt, dass wir „zu Sündern gemacht worden sind“, heißt das zunächst, dass wir mit der Erbsünde und auch mit deren Folgen behaftet sind. Es ist also nicht unsere persönliche Schuld, denn in gewisser Weise hat uns Gott selbst die Neigungen zur Sünde mit auf den Weg gegeben. Es handelt sich um grundlegende „innere Fehlhaltungen“, wie es der bekannte Benediktinerpater Anselm Grün nennt. Vom Wesen her hängen sie mit dem Verlust der vollen Gottesgemeinschaft zusammen. Sie sind Ausdruck der Angst des Menschen um sich selbst, die über ihn hereingebrochen ist, die ihn auf ihn selbst zurückgeworfen und zum Gefangenen seines Egoismus gemacht hat. Die Tradition der Kirche hat diese Neigung zum Egoismus in den sog. „sieben Wurzelsünden“ entfaltet: Stolz, Habsucht, Neid, Unkeuschheit, Unmäßigkeit (Völlerei), Trägheit und Zorn.
In jedem Menschen sind diese Fehlhaltungen irgendwie vorhanden. Sie bilden ein Echo des Sündenfalls in unserem Herzen. Aber sie sind nicht dazu da, dass wir sie ausleben, sondern dass wir darum ringen, sie zu überwinden. Darin besteht eine wesentliche Aufgabe des menschlichen Lebens auf dieser Welt. Diese Berufung anzunehmen, ist eine Frage des Gehorsams Gott gegenüber. Und gerade, indem sich der Mensch dieser Aufgabe stellt, formt er seine Persönlichkeit, überwindet er seinen Egoismus und wird zur wahren Liebe befähigt.
Erlösung des Menschen in der Kraft des Heiligen Geistes
Immer wieder zählt Paulus die Fehlhaltungen auf, die den unerlösten Menschen kennzeichnen. Im ersten Korintherbrief ermahnt er die Gläubigen, diesen Neigungen nicht nachzugeben; denn wer ihnen folgt, wird das Reich Gottes nicht erben (1 Kor 6,9f.). Besonders hebt er Unkeuschheit, Ehebruch und Knabenschändung hervor, ähnlich wie im ersten Brief an Timotheus (1 Tim 1,9f.). Im Römerbrief stellt er in diesen Zusammenhang ausdrücklich die Homosexualität unter Männern (Röm 1,26-32).
Im Galaterbrief spricht Paulus vom „Begehren des Fleisches“, das uns beherrscht (Gal 5,16). Auch hier ist der Blick geweitet, so dass dieses Begehren alle Wurzelsünden umfasst, doch setzt Paulus auch bei dieser Aufzählung „Unzucht“ und „Unreinheit“ an die erste Stelle. Und wieder stellt der Apostel fest: „Wer so etwas tut, wird das Reich Gottes nicht erben“ (Gal 5,19ff.).
Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass Paulus zur Überwindung dieser Fehlhaltungen auffordert und die Abkehr von den Wurzelsünden verlangt. Doch erfolgt sein Ruf zur Heiligkeit nicht im Sinn einer „Gesetzesfrömmigkeit“, einer Gerechtigkeit, die wir durch die Erfüllung des Gesetzes aus eigener Kraft erlangen könnten. Sein Ansatz lautet: Wer sich unter das Gesetz Christi stellt, empfängt den Heiligen Geist, der in ihm die „Frucht des Geistes“ hervorbringen wird (Gal 5,22f.). Die Kraft des Heiligen Geistes, die stärker ist als das „Fleisch“, wird den Menschen verwandeln. Und daran wird man die Erlösung in Christus erkennen: am neuen Menschen, der nach dem Bild Christi gestaltet ist (Eph 4,22ff.). Und so gehen der Ermahnung im Timotheus-Brief die Worte voraus: „Das Ziel der Unterweisung ist Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben“ (1 Tim 1,5).
Anlehnung an die reformatorische Rechtfertigungslehre
Luther hat die berühmte Formel geprägt: „simul iustus et peccator“ – „gerechtfertigt und Sünder zugleich“. Durch den Glauben sei der Mensch zwar gerechtfertigt, er bleibe aber der erbsündlichen Gebrochenheit so sehr verhaftet, dass er sich nicht aus der Sünde lösen könne. An diesen Ansatz Luthers erinnert der „Synodale Weg“. Es hat den Anschein, als ob die Keuschheit in keiner Weise als Ideal erwähnt werden dürfte, weder für Priester und ihre zölibatäre Lebensform, noch für Homosexuelle, die nach der Lehre der Kirche aufgerufen sind, in Keuschheit zu leben, noch für junge Menschen auf ihrem Weg zur Ehe.
Paulus aber bleibt nicht auf der Ebene einer reformatorischen Rechtfertigungslehre stehen. Nach ihm reicht es nicht aus, aufgrund des Glaubensaktes in den Augen Gottes als „gerechtfertigt“ zu erscheinen. Paulus betont die Berufung, mit Christus das Ideal der Keuschheit zu verwirklichen und dadurch ein Zeugnis von der Macht der Erlösungsgnade zu geben.
Ausblick
Worum es geht, hat der hl. Johannes von Avila (1500-1569) in seinem asketischen Hauptwerk „Audi filia, et vide“ („Höre, Tochter, und sieh“), einem Kommentar zum 45. Psalm, herausgearbeitet. Die Aktualität dieser Stimme, die im 16. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Reformation, erklang, wurde von Papst Benedikt XVI. herausgestellt. 2012 erhob er Johannes von Avila, der erst 1970 von Paul VI. heiliggesprochen worden war, zum Kirchenlehrer.
Es ist der Gehorsam Christi, der die Welt erlöst hat. Im Gehorsam gegenüber seinem Vater trat er in die Welt ein (Joh 8,42f.). Am Ölberg rang er sich – um der Rettung der Menschheit willen – zum vollkommenen Gehorsam gegenüber dem Willen des Vaters durch (Mt 26,36-46, Mk 14,36, Lk 22, 40-46). Der Philipper-Hymnus lässt das ganze Erlösungsgeheimnis in der Aussage gipfeln: „Er war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8). Und die Bibel beschreibt den Weg des Bundes als Weg des Gehorsams, im Alten Bund wie in der Nachfolge Christi. Der „Synodale Weg“ muss sich fragen lassen, warum Gehorsam für ihn überhaupt keine Rolle spielt, weder dem Gebot Gottes gegenüber noch dem Lehramt der Kirche (z. B. Ordinatio sacerdotalis, 1994, zum Priestertum der Frau). Es ist eine Frage des Gehorsams dem Schöpfer gegenüber, die Schöpfungsordnung und das eigene Geschlecht anzunehmen (vgl. LGBT, Queer, Gender), aber auch zu akzeptieren, dass jeder berufen ist, seinen Sexualtrieb durch das Bemühen um Keuschheit auf eine selbstlose Liebe hin zu ordnen.
Schließlich stellt sich auch das Problem des Missbrauchs und dessen Lösung ganz anders dar, wenn man es im Licht der Keuschheit als Frucht des Heiligen Geistes betrachtet. Bei der Priesterausbildung müsste die Thematik viel offener angegangen werden. Sie müsste auch in Priesterexerzitien, Fortbildung und Supervision behandelt werden. Wenn ich daran denke, wie wir Menschen begleiten und zu einem geordneten Leben zurückführen, die z.B. an Drogensucht leiden, so könnte dies auch ein Licht auf den Umgang mit Tätern werfen. Wie fachkundig, intensiv und wachsam muss da zusammen mit der Gnade Gottes der Weg in die Freiheit gefunden werden! Ähnlich müsste die Kirche um die Keuschheit ihrer Priester ringen, anstatt nur festzustellen, eine Änderung der Persönlichkeit sei nicht möglich. Wenn wir uns unter das „Gesetz Christi“ und die Macht des Heiligen Geistes stellen, um Tugend und Heiligkeit auszuformen, könnte sich auf neue Weise der Weg zu Barmherzigkeit und wahrer Umkehr eröffnen. „Ihr seid das Licht der Welt!“ (Mt 5,14). Wie sehr hätte die heutige Zeit dieses Licht nötig.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2023
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Die drei Dimensionen der Kirche nach Papst Franziskus
Zum Thema Priestertum der Frau
Zur Eröffnung der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 27. Februar 2023 in Dresden richtete der Apostolische Nuntius, Erzbischof Dr. Nikola Eterović, ein Grußwort an die versammelten Bischöfe. Er ging auf die Forderung des „Synodalen Wegs“ nach der Zulassung von Frauen zu allen Ämtern der Kirche ein und betonte die Aktualität des Apostolischen Schreibens Ordinatio sacerdotalis von Papst Johannes Paul II. Dabei erinnerte er an die Begegnung der Bischöfe mit den Präfekten wichtiger Dikasterien der Römischen Kurie im Rahmen ihres Ad-limina-Besuchs vom 14. bis 18. November 2022 in Rom sowie an die Dokumente, die im Anschluss daran veröffentlicht worden waren. Nachfolgend ein Auszug zur Frage des Frauenpriestertums und der marianischen Dimension der Kirche.
Von Erzbischof Nikola Eterović, Apostolischer Nuntius in Deutschland
Vater Franziskus sowie in der Diskussion vom 18. November 2022 wurde der Inhalt des Apostolischen Schreibens Ordinatio sacerdotalis vom 22. Mai 1994 behandelt, das der heilige Papst Johannes Paul II. an die katholischen Bischöfe „über die nur Männern vorbehaltene Priesterweihe“ richtete. Einige Tage später und mit Hinweis auf den Meinungsaustausch mit den deutschen Bischöfen präzisierte Papst Franziskus seine Gedanken am 28. November 2022 in einem Interview mit der Zeitschrift American Magazine der Gesellschaft Jesu (SJ). Auf die Beobachtung, dass viele Frauen darunter leiden, dass sie in der katholischen Kirche nicht zu Priestern geweiht werden können, antwortete der Heilige Vater: „Das ist ein theologisches Problem. Ich glaube, dass wir das Wesen der Kirche amputieren, wenn wir nur den Weg der Weiheämter im Leben der Kirche berücksichtigen. Der Weg ist nicht nur der des Weiheamtes. Die Kirche ist Frau, die Kirche ist Braut. Wir haben keine Theologie der Frau entwickelt, die dies widerspiegelt. Die Dimension des geweihten Amtes, so können wir sagen, ist die der petrinischen Kirche. Ich beziehe mich dabei auf eine bestimmte theologische Kategorie. Das petrinische Prinzip ist das des Amtes. Aber noch wichtiger ist ein anderes Prinzip, wovon nicht gesprochen wird, und dies ist das marianische Prinzip, das Prinzip des Weiblichen in der Kirche, der Frau in der Kirche, in dem sich die Kirche widerspiegelt, weil sie Frau und Braut ist. Eine Kirche mit nur dem petrinischen Prinzip wäre eine Kirche, von der man meinen könnte, sie sei auf das Weiheamt reduziert, nicht mehr. Stattdessen ist die Kirche viel mehr als das. Sie ist das ganze Volk Gottes, die Kirche ist Frau, die Kirche ist Braut. So spiegelt sich auf diesem Weg die Würde der Frau wider“ (American Magazine, 28. November 2022, nach der englischen Übersetzung).
Diesen beiden Dimensionen des Marianischen und des Petrinischen fügte der Bischof von Rom eine dritte, die sogenannte administrative Dimension hinzu: „Und dann gibt es noch einen dritten Aspekt: den der Administration …, die keine theologische Sache ist, sondern die Sache einer normalen Verwaltung. Und in diesem Bereich glaube ich, dass wir den Frauen mehr Raum geben müssen. Hier im Vatikan funktionieren alle Orte, an denen wir Frauen berufen haben, besser. Im Wirtschaftsrat gibt es beispielsweise sechs Kardinäle und sechs Laien. Vor zwei Jahren habe ich von diesen sechs Laien fünf Frauen ernannt; und es war eine Revolution. Der Vizegouverneur des Vatikans ist eine Frau. Wenn eine Frau in die Politik einsteigt oder Dinge leitet, gelingt es ihr im Allgemeinen besser. Viele Ökonomen sind Frauen, und diese Frauen erneuern die Wirtschaft konstruktiv. Es gibt also drei Prinzipien, zwei theologischer Natur und eines administrativer Natur. Das petrinische Prinzip steht für die Dimension des Weiheamtes, aber die Kirche kann nicht nur damit funktionieren. Das marianische Prinzip, das ist das der bräutlichen Kirche, der Kirche als Braut, der Kirche als Frau. Und dann gibt es das Prinzip der Administration, das nicht theologisch ist.
Und warum kann eine Frau nicht in den ordinierten Dienst eintreten? Weil das petrinische Prinzip dafür keinen Raum bietet. Ja, es ist wahr, wir müssen im marianischen Prinzip sein, das wichtiger ist. Die Frau ist mehr, sie ist der Kirche ähnlicher, die Frau und Mutter ist. Ich denke, dass wir allzu oft in unserer Katechese versagt haben, wenn wir diese Aspekte erklärt haben. Wir haben uns bei der Erklärung zu sehr auf das Verwaltungsprinzip verlassen, was auf Dauer nicht funktioniert. Das ist eine sehr knappe Erklärung, aber ich wollte die beiden theologischen Prinzipien hervorheben: das petrinische Prinzip und das marianische Prinzip, die die Kirche ausmachen. In diesem Sinne ist die Tatsache, dass Frauen nicht in das Leben der Dienstämter eintreten, kein Mangel: nein. Ihr Platz ist ein viel wichtigerer Platz, und das müssen wir noch katechetisch im Sinn des marianischen Prinzips entwickeln“ (ebd.).
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2023
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Synodalität: Mit Maria gemeinsam dem Guten Hirten folgen
„Maria, die Mutter der Kirche, ist die erste Synodalin“
Am 30. April 2023 feierte der Augsburger Bischof Dr. Bertram Meier mit einer Festmesse am Hochaltar den Abschluss der Renovierungsarbeiten an der Wallfahrtskirche Maria Vesperbild. In seiner Predigt ging er auf verschiedene Elemente des Gotteshauses ein und leitete aus ihnen Impulse zum aktuellen Leben der Kirche ab. Dabei nahm er auch Bezug auf den „Synodalen Weg“ und bezeichnete die Gottesmutter als „erste Synodalin“. Kritisch stellte er fest: „Das Missverständnis besteht für mich darin, synodale Versammlungen als Veranstaltungen zu sehen, wo wichtige Themen des Glaubens nicht nur beraten, sondern per Mehrheitsprinzip entschieden und – deutscher Mentalität entsprechend – möglichst zeitnah umgesetzt werden.“
Von Bischof Bertram Meier, Augsburg
Gerne bin ich nach Maria Vesperbild gekommen, zur bekannten Wallfahrtskirche nahe Ziemetshausen, und wie man hier zu sagen pflegt, in die „schwäbische Hauptstadt Mariens“. Ein Ort des Gebetes, den jährlich Tausende Pilgerinnen und Pilger aufsuchen, um vor dem Gnadenbild oder bei der Mariengrotte ihre Anliegen vor Gott zu bringen. Seit Jahrhunderten erfahren Menschen, was Silke Müller-Hölscher in ihrem Büchlein über die Wallfahrtskirche so treffend zusammengefasst hat: „Hier hat man das Gefühl, dem Himmel ein Stück näher zu sein. Hier hat man das Gefühl, dass die Gebete ihren Weg ganz schnell finden."[1] Dabei war diese herrliche Rokokokirche in letzter Zeit an vielen Stellen brüchig und renovierungsbedürftig, wie derzeit vielleicht unsere ganze Kirche in Deutschland: mehrere Bauabschnitte, Verzögerungen bei der Umsetzung sowie manches Problem, mit dem man gar nicht gerechnet hatte. Bauen verschlingt Geld und braucht Geduld. Heute ist es vollbracht: Ende gut, alles gut. Das Heiligtum erstrahlt in neuem Glanz. So freue ich mich sehr, mit Ihnen den Abschluss der Renovierung zu feiern. Hierzu wollen wir unseren Blick am heutigen 4. Sonntag der Osterzeit ganz auf den eigentlichen Herrn dieses Hauses richten: Gottes Sohn, Jesus Christus. ER ist der gute Hirte, was wir hier im Kirchenraum an der Brüstung des nördlichen Oratoriums sehen können. Und ER allein ist die Tür zum Leben, wie wir es eben im Evangelium hörten (vgl. Joh 10,9f). Was es heißt, IHM und seiner Stimme zu folgen, das will ich heute ein wenig mit Ihnen bedenken.
Den Ruf Gottes hören und umkehren
Hören wir zunächst in die erste Lesung aus der Apostelgeschichte hinein! Petrus erlebt etwas, was sich wohl jeder Prediger wünscht: Als er über Gott und dessen Sohn Jesus Christus spricht, treffen seine Worte die Hörer „mitten ins Herz“ (Apg 2,37). Die Leute sind begeistert, fragen nach, und schließlich lassen sich etwa 3000 Menschen taufen. Woran lag es, dass die Stimme des Petrus so überzeugen konnte? Die Antwort liefert uns die Einleitung der Erzählung: Es ist Pfingsten: das Fest, an dem der Herr seine verunsicherte Kirche mit einem kräftigen Sturm durchschüttelte und ihr wieder Mut einflößte. Genau das brauchen wir heute. Die Kirche braucht ein neues Pfingsten, aber nicht mit der Windmaschine, sondern durch unser Gebet.
Der rechte Seitenaltar zeigt, wie die Geburt der Kirche vor sich ging: Versammelt um die Gottesmutter Maria, im Gebet vereint empfangen die Apostel den Heiligen Geist. Im Abendmahlssaal steigt die erste Synode der Kirche: Gottes Geist kommt in Feuerzungen auf die Apostel, die Synodenväter, herab – in ihrer Mitte Maria, sozusagen die Mutter der Kirche, die erste Synodalin. Ohne Maria hätte es die Synode im Coenaculum nicht gegeben.
Diese Synode hat es in sich: Die Verzagtheit der Apostel ist weg; voll Freude gehen sie raus! Das ist der Schlüssel zur Erneuerung der Kirche: Wir können noch so viele Konzepte entwickeln und Strukturdebatten führen. Es hilft nichts, wenn Eines fehlt: die geistliche Umkehr. Wir brauchen weniger Strategen und Organisatoren, sondern Zeugen wie Petrus, die erfüllt vom Heiligen Geist Zeugnis geben, wie Gott in ihr Leben eingegriffen hat. Der einfache Fischer vom See Genezareth hatte tief in seinem Herzen gespürt, dass er in Jesus dem wahren Retter und Heiland begegnet war. Wie im Evangelium die Schafe die Stimme ihres Hirten erkennen (vgl. Joh 10,4), so lässt Petrus sich von der Stimme seines Herrn neu anrufen. Er lässt sein bisheriges Leben hinter sich und folgt ihm nach.
Im Hören auf die Stimme des Guten Hirten liegt die Zukunft der Kirche. Die Konzilsväter haben in der dogmatischen Konstitution Lumen gentium dieses Bild aufgegriffen und das Wesen der Kirche mit folgenden Worten zusammengefasst: „So ist die Kirche der Schafstall, dessen einzige und notwendige Tür Christus ist (Joh 10,1-10). Sie ist auch die Herde, als deren künftigen Hirten Gott selbst sich vorherverkündigt hat (vgl. Jes 40,11; Ez 34,11 ff). Wenngleich ihre Schafe von menschlichen Hirten geleitet werden, so werden sie dennoch immerfort von Christus, dem guten Hirten und dem Ersten der Hirten, geführt und genährt (vgl. Joh 10,11; 1 Petr 5,4), der sein Leben hingegeben hat für die Schafe (vgl. Joh 10,11-15)“ (LG 6). Was aber ist, wenn die Schafe im Stimmengewirr unzähliger Rufer die Orientierung verlieren und nicht mehr wissen, wem sie folgen sollen (vgl. 1 Petr 2,25a)?
Auf dem rechten Weg bleiben
Ein Problem unserer Zeit scheint mir, dass wir bei innerkirchlichen Debatten zu wenig Christus und sein Evangelium als vorrangigen Maßstab anerkennen. Ohne mich neuen Aspekten und Ansätzen in der Theologie zu verschließen, braucht es Konstanten: Fixpunkte, an denen wir uns orientieren, und Grenzen, die wir nicht einfach überschreiten können, ohne die göttliche Offenbarung aufs Spiel zu setzen. Kurz: Wir dürfen die Worte Jesu weder verwässern noch relativieren. Jesus sagt: „ICH bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden“ (Joh 10,9). Es ist allein Christus, durch den der Zugang zum ewigen Leben offensteht: „Keiner kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6). Wenn die Heilige Schrift von „Dieben“ und „Räubern“ berichtet, die sich zu Hirten aufschwingen, können wir darunter falsche Propheten, Irrlehrer oder politische Führer verstehen, die es auch heute gibt. Diese verkünden nicht den Willen Gottes, sondern verfolgen nur ihre eigenen Interessen. Darum ist es so wichtig, dass es ein kirchliches Lehramt gibt, das die Richtung weist und uns vor Abwegen bewahrt.
Diese Gedanken haben einen besonderen Hintergrund: Vor einigen Wochen hat der Synodale Weg in Deutschland seinen vorläufigen Abschluss gefunden; ich habe das Gefühl, dass dabei wenigstens bei manchen ein Missverständnis vorlag. Zunächst ist Synodalität grundsätzlich der Weg, den Gott sich von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet,]2] wie es Papst Franziskus unermüdlich wiederholt. Franziskus will eine synodale Kirche. Daran gibt es keinen Zweifel. Was genau aber ist darunter zu verstehen? Synodal heißt, als Kirche gemeinsam unterwegs sein (griech. σύν-ὁδός = gemeinsam-Weg). Kleriker und Laien kommen zusammen, um sich „im Licht des Wortes Gottes und im Hören auf den Heiligen Geist, mit den doktrinalen, liturgischen, kanonistischen und pastoralen Fragen der Zeit auseinander[zu]-setzen“.[3] Das Missverständnis besteht für mich darin, synodale Versammlungen als Veranstaltungen zu sehen, wo wichtige Themen des Glaubens nicht nur beraten, sondern per Mehrheitsprinzip entschieden und – deutscher Mentalität entsprechend – möglichst zeitnah umgesetzt werden.
Die Rolle der Bischöfe
Die internationale theologische Kommission bezieht klar Position: „Eine Synode, eine Versammlung, ein Rat kann keine Entscheidungen treffen ohne die legitimen Hirten."[4] Damit sind die Bischöfe am Zug. Denn als Nachfolger der Apostel ist es uns aufgetragen, im Namen des Einen und einzigen Hirten Jesus Christus zu handeln. Zugleich sollen wir „aufmerksam den Wünschen (vota) der Gläubigen zuhören"[5] und die verschiedenen Sichtweisen wahrnehmen, bevor wir Entscheidungen treffen. Auf diese Weise wird die apostolische Tradition gewahrt und gleichzeitig die Meinung, ja der Spürsinn der Gläubigen, ihre „katholische Nase“ (sensus fidelium) gewürdigt. Ein Blick in die Kirchengeschichte zeigt, dass die Entscheidungen der Hirten/Bischöfe nicht immer für alle gleich einsichtig waren, oder vereinzelt gar nicht mehr akzeptiert wurden. Es geht bei der rechtmäßigen Verkündigung des Evangeliums ja nicht darum, viel Applaus zu erhalten. Das wusste schon Petrus, wenn er schreibt, dass Christsein mitunter auch bedeuten kann, geschmäht zu werden oder Unrecht zu erleiden (vgl. 1 Petr 2,20b). Christsein ist kein Spaziergang, sondern oft ein Kreuzweg. Doch das Kreuz markiert nicht das Ende – weder für Jesus noch für Petrus noch für uns.
Per crucem ad lucem. Durch das Kreuz ins Licht! Einen Vorgeschmack der himmlischen Herrlichkeit können wir schon jetzt erfahren. Das Gnadenbild im Altarraum zeigt es uns: In den Armen seiner Mutter weist Jesus mit seinem ausgestreckten Zeigefinger nach unten, Richtung Tabernakel. Eine klare Botschaft: „Das, was damals am Kreuz geschah, wird auch hier auf dem Altar gegenwärtig, [und zwar immer dann] wenn der Priester die heilige Messe feiert!"[6] In jeder Eucharistiefeier lädt Jesus, der gute Hirte, uns ein, teilzuhaben an seinem Leiden und an seiner Auferstehung. Das ist die freudige Zusage, die wir im Evangelium gehört haben: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10).
Nehmen wir uns ein Beispiel an Maria! Hören wir auf die Worte ihres Sohnes, des guten Hirten! Kommen wir auf seine Weide und empfangen wir seinen heiligen Leib, der uns innerlich stärkt und Mut macht, damit auch wir wie Petrus in die Welt hinausgehen und Gottes Taten verkünden. Dann sind wir missionarische Jüngerinnen und Jünger des Herrn! Am Ende steht ein Herzenswunsch: Möge das einst von Johann Georg Hitzelberger erbaute und frisch renovierte Heiligtum in Maria Vesperbild mit den herrlichen Fresken von Balthasar Riepp weiterhin ein Ort sein, an dem Gläubige die Gegenwart Gottes spüren können. Ebenso hoffe ich, dass auch in Zukunft viele Menschen die Fatima-Grotte aufsuchen, um dort den Rosenkranz zu beten, ein Lied zu singen oder einfach in Stille da zu sein. Vertrauen wir darauf, dass Maria, die Mutter des Erlösers, keinen übersieht, der hier vorbeikommt. Schauen wir zusammen mit ihr auf ihren Sohn, Jesus Christus, den Guten Hirten, und hören wir auf ihn! Bleibe bei uns, Herr, du wahrer und einziger Hirte. Deiner Stimme allein wollen wir folgen. Maria, du Hörende, hilf uns dabei. Dann erreichen wir unser Ziel: das Leben in Fülle. Amen.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2023
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[1] Müller-Hölscher, Silke: Die Wallfahrtskirche Maria Vesperbild von Johann Georg Hitzelberger, in: Signum in bonum (Festschrift für Wilhelm Imkamp zum 60. Geburtstag), Regensburg 2011, 1027-1040, hier: 1027.
[2] Vgl. Papst Franziskus: Ansprache zur 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode (17. Oktober 2015).
[3] Internationale Theologische Kommission: Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 215), Bonn 2018, Nr. 4.
[4] Ebd., Nr. 69.
[5] Ebd., Nr. 68.
[6] Fuchs, Claudia: „Komm‘ mit nach Maria Vesperbild!“ Wallfahrtsführer für Kinder, Lindenberg 2022, 10.
Rückblick auf den „Synodalen Weg“
Große Sorgen um die Einheit der Kirche
Der Augsburger Weihbischof Florian Wörner bringt in einem kurzen Statement seine Bedenken zum Ausdruck, die in ihm nach dem Abschluss des „Synodalen Wegs“ in Deutschland zurückbleiben. Für ihn ist es nicht ersichtlich, wie man bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals so rasch zu Themen wie Frauenordination, Laienhomilie oder Umgang mit sexueller Vielfalt kommen konnte. Der Druck, unter dem die Bischöfe standen, der offene Kampf kirchenpolitischer Lager gegeneinander und das Erzwingen bestimmter Entscheidungen gegen den Konsens der Gesamtkirche haben seiner Meinung nach nichts mit einer Synodalität zu tun, wie sie Papst Franziskus versteht.
Von Weihbischof Florian Wörner
Am 11. März endete die fünfte und letzte Synodalversammlung des Synodalen Wegs, den die Kirche in Deutschland im Frühjahr 2019 als Reaktion auf die 2018 veröffentlichte MHG-Missbrauchsstudie beschlossen hat und knapp dreieinhalb Jahre gegangen ist. Als Weihbischof in Augsburg war ich wie alle anderen Bischöfe der katholischen Kirche in Deutschland Mitglied der Synodalversammlung und wurde zudem in eines der vier sog. Foren gewählt, nämlich ins Forum I, in dem es um „Macht und Gewaltenteilung“ ging. Im Rückblick treiben mich einige Fragen um:
Da ist die Rede von den „systemischen Ursachen“ für Missbrauch in der Kirche, die die Agenda des Synodalen Weges bestimmten und rechtfertigen sollten. Dass es neben individuellem auch systemisches Versagen gab und gibt, bestreite ich keineswegs. Wie man aber dadurch rasch zu Themen wie Frauenordination, Laienhomilie, Umgang mit sexueller Vielfalt etc. kam, erschließt sich mir nach wie vor nicht. Zudem kann bis heute nicht verlässlich behauptet werden, dass es spezifisch katholische Gründe für Missbrauch gibt, weil bislang keine Vergleichsdaten anderer Institutionen in Deutschland vorliegen.
Kirchenrechtlich steht der Synodale Weg auf wackeligen Beinen. Einerseits wollte man keine Synode durchführen, die eine Approbation durch den Apostolischen Stuhl notwendig gemacht hätte, andererseits erhebt die Mehrheit der Synodalversammlung durchaus den Anspruch auf Verbindlichkeit der Beschlüsse wie bei einer Synode. Für ihre Umsetzung sorgt dann schon ein entsprechender öffentlicher Erwartungsdruck, dem sich der einzelne Bischof nur schwer entziehen kann.
Auch was die Atmosphäre anbelangt, hätte man von Anfang an auf verschiedene Punkte, die in zahlreichen Reflexionen angesprochen wurden, mehr achten sollen. Die grünen und roten Karten kamen nur bei der ersten Synodalversammlung zum Einsatz. Dafür haben Beifallsbekundungen zu Redebeiträgen, verbale und nonverbale Kommentierungen bis hin zu Entgleisungen in der Wortwahl nicht selten zur Emotionalisierung der Debatten beigetragen. Hinzu kam noch, dass die Redezeit über weite Strecken auf eine Minute beschränkt war, was die sachliche und differenzierte Darlegung von Argumenten massiv erschwerte, so dass stattdessen nicht selten Parolen und Stimmungen zum Besten gegeben wurden. Der Verweis auf die angebotenen Online-Hearings und die Möglichkeit, im Vorfeld bei der Erstellung von Textvorlagen durch schriftliche Eingaben mitwirken zu können, kann das nicht wettmachen.
Dass die Versammlung die ganze Zeit über für die Öffentlichkeit per Livestream zugänglich war, mag dem Anliegen einer breiten Beteiligung geschuldet gewesen sein, es erhöhte aber die Hemmschwelle, sich zu heiklen Themen zu äußern, gerade dann, wenn man damit dem Mainstream entgegenstand und hierfür unpopuläre Argumente vortragen musste. Auch die dauerhafte Anwesenheit von Vertreterinnen und Vertretern der Medien förderte in meinen Augen die offene Aussprache nicht.
Besonders problematisch und unwürdig empfinde ich es, wie man mit der Frage nach der Art und Weise der Abstimmung umging. Während die Satzung der Synodalversammlung geheime Abstimmungen vorsieht, ermöglicht ihre Geschäftsordnung die Beantragung von namentlichen Abstimmungen. Man löste diese Divergenz, indem man darüber abstimmen ließ, wie jeweils abgestimmt werden soll. Die Mehrheit war in den meisten Fällen für namentliche Abstimmungen, deren Ergebnisse im Internet detailliert veröffentlicht wurden. Man kann sich vorstellen, wie das den Druck gerade auf die Bischöfe erhöht hat. Natürlich haben die Gläubigen einer Diözese das Anrecht zu erfahren, wie ihr Bischof zu bestimmten Themen votiert, aber umgekehrt soll auch ein Bischof die Möglichkeit haben, sein Abstimmungsverhalten erläutern zu können und frei entscheiden zu dürfen, auf welche Weise er es kommuniziert.
Dass man kritische Anfragen von einzelnen Bischöfen und ganzen Bischofskonferenzen aus der Weltkirche zum Synodalen Weg mehr oder weniger ignorierte und auch römische Stellungnahmen nicht wirklich ernst nahm, macht mir große Sorgen im Hinblick auf die Einheit der Kirche. Glauben wir wirklich, dass man es in Deutschland besser weiß und dass man in vielen Teilen der Welt erst draufkommen muss, was man hierzulande längst erkannt hat?
Insgesamt bin ich der Meinung, dass wir das, was Papst Franziskus unter Synodalität versteht, erst noch lernen müssen. Synodalität ist ein geistliches Geschehen, das vom Ringen um Einsicht in die Führung und den Willen Gottes geprägt sein soll, im Unterschied zu einem profan-demokratischen Parlamentarismus. Das heißt nicht, dass man nicht kontrovers diskutieren und auch streiten dürfte; letztlich muss aber alles von der Suche nach Einmütigkeit in Glaubensfragen getragen sein und zu Entscheidungen führen, die im Hinhören auf den Heiligen Geist getroffen werden. Synodalität hat nichts zu tun mit dem Kampf kirchenpolitischer Lager gegeneinander oder mit dem Erzwingen bestimmter Entscheidungen gegen den Konsens der Gesamtkirche, sondern bedeutet, wie es Papst Franziskus ausdrückt, „sich mit apostolischem Mut, evangeliumsgemäßer Demut und vertrauensvollem Gebet dem Heiligen Geist zu öffnen, damit er es sei, der uns führt“ (Eröffnungsansprache bei der Bischofssynode für die Familie am 5. Oktober 2015).
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2023
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„Er ist auferstanden, aber mit Wunden!“
Joseph Bernhart – Christliche Stimme im Sturm der Zeit
Studiendirektor Jakob Knab, Experte für den christlich motivierten Widerstand gegen die Nazi-Ideologie, nähert sich in diesem Licht dem schwäbischen Gelehrten Joseph Bernhart an. Er betrachtet ihn als aufrüttelnde Stimme, die sich dem Geist des christlichen Abendlandes mit seiner Weite und Unerschütterlichkeit verpflichtet wusste. Dabei ist Joseph Bernhart eine tragisch-glänzende Gestalt, die sowohl ihr persönliches Schicksal als auch die globalen Erschütterungen durch die Weltkriege aufzuarbeiten versuchte. Nie hatte er den priesterlichen Zölibat als solchen und dessen tiefen Sinn in Frage gestellt. Er sah in ihm einen mächtigen Kraftquell der Kirche. Doch erkannte er seine eigene Entscheidung für das Priestertum in jungen Jahren als Irrtum, dessen Konsequenzen er in Demut ertrug. Bischof und Papst sahen letztlich seine lautere Gesinnung und sanierten die Ehe kurz vor dem Tod seiner Frau. Auf dem Hintergrund dieses Ringens leuchtet die tiefe Erkenntnis auf: „Er ist auferstanden, aber mit Wunden. Mit Wunden, aber mit verklärten!“
Von Jakob Knab
Eine persönliche Vorbemerkung
Im Februar 1969 teilte uns der Religionslehrer am Johann-Michael-Sailer-Gymnasium in Dillingen (Donau) mit, dass der große schwäbische Gelehrte Joseph Bernhart in Türkheim verstorben sei. Der uns allen bekannte Regens Albert Lupp, so unser Lehrer, habe ihn dort alle 14 Tage besucht. Viele Jahrzehnte später, im September 2012, konnte ich auf der Pastoralfahrt „Auf den Spuren von John Henry Newman in England“ ein Gespräch mit jenem Prälat Albert Lupp (Kempten im Allgäu) führen. Denn im Hungerwinter 1945/46 war der Bub Albert Lupp aus Türkheim (Schwaben) an hohem Fieber erkrankt. Er flehte seine Mama an: „Wenn ich eine Orange bekomme, dann werde ich gleich wieder gesund.“ Der einzige Ausweg für die fürsorgliche Mutter war der Bittgang zum weltläufigen Mitbürger Joseph Bernhart. Umgehend bestieg der namhafte Gelehrte in Türkheim den Zug nach München und kaufte auf dem dortigen Viktualienmarkt die heiß ersehnte Südfrucht. Albert war hellauf erfreut und dankbar; das Fieber wich, der 17-Jährige wurde wieder gesund.
Sehnsucht nach der wahren Herrlichkeit der Theologie
Der aufgeweckte, empfindsame und hochbegabte Schüler Joseph Bernhart, der am 8. August 1881 in Ursberg (Schwaben) das Licht der Welt erblickte, litt an der mangelhaften Qualität des Unterrichts am Münchner Ludwigsgymnasium: „Aber meinem grenzenlosen Lesehunger war schließlich alles recht, was mich der Öde der Schule, in der neun Jahre lang der Religionsunterricht das Ödeste war, ins reiche, wüchsige Leben entrücken konnte."[1] Nach dem Abitur (1900) stand sein Entschluss fest, am Herzoglichen Georgianum München mit dem Studium der Philosophie und Theologie zu beginnen. Noch Jahrzehnte später bedrückte ihn beim Rückblick die geistige Enge dort. Seinerzeit litt er an „geistiger Atemnot“; denn es gab kaum einen Professor, der ihm „für die wahre Herrlichkeit der Theologie hätte die Augen öffnen können."[2] Als im Oktober 1903 die erste Nummer der katholischen Monatsschrift Hochland erschien, wurde dies auch vom Alumnus Joseph Bernhart mit stürmischer Freude aufgenommen. Im Juni 1904 wurde er zum Priester geweiht. Auf dem Primizbild fand sich dieses Wort des hl. Augustinus: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in Dir, o Gott.“
Schicksalhafte Begegnung mit Elisabeth Nieland
Nach vier Jahren als Kaplan in Altbayern und Schwaben (Markt Wald, Tandern, Hollenbach, Neuburg) wurde er ab 1907 Sekretär der „Deutschen Gesellschaft für Christliche Kunst“; in dieser Funktion war er von seelsorglichen Aufgaben freigestellt. An Pfingsten 1908 begegnete er Elisabeth Nieland, der Sekretärin des Vereins katholischer deutscher Lehrerinnen; die spontane Freundschaft entfaltete sich und reifte zu einer innigen und lebenslangen Liebe. In dieser bewegten Zeit des Jahres 1908 machte er sich zusammen mit dem Pfarrer von Tandern, dem „geistlichen Prinzipal“, auf zu einer Pilgerreise nach Spanien. Ein Ziel war der Wallfahrtsort Monserrat: „Den Gefährten war es wichtiger, um zehn Uhr in der Basilika zu sein und dem Gnadenbild in seinem camerín über dem Hauptaltar nach Pilgerart ihre sinnliche Verehrung zu erweisen. Man kann es berühren, küssen und ihm die Bitte um Erhörung zuflüstern. Die Ausmalung des Raumes vergegenwärtigt in zarten Farben die Wallfahrt der Menschheit zu unserer lieben Frau vom Montserrat. Kein Größerer ist je vor ihr gekniet als Ignatius von Loyola Ende März 1522 in seinem 31. Jahr."[3] In diesen zerklüfteten Jahren pflegten Joseph Bernhart und Elisabeth Nieland einen intensiven Briefkontakt. Im Januar 1913 trafen sich die beiden in London, um dort heimlich eine bürgerliche Ehe einzugehen.
Mitgerissen vom Taumel der nationalen Kriegsbegeisterung
Auch der sensible Gelehrte Joseph Bernhart wurde bei Kriegsbeginn im August 1914 vom Taumel der nationalen Kriegsbegeisterung mitgerissen. Ein Beleg dafür ist seine Kriegspredigt „Wir treten zum Beten"[4] ("Krieg ist der gnädige Sturm, der den Wald vom Morschen befreit“) wie auch seine Feldpredigt „Kreuz und Schwert“. Hier ein Auszug: „Sterben ist der Weg alles Fleisches, wo aber stirbt sich‘s herrlicher als auf dem Felde der Ehre! … Nun aber, da man uns das Schwert in die Hand gezwungen, wollen wir es führen – gerecht, stark und rein. Betrachte dieses Schwert in deiner Hand! Hat es nicht die Form des Zeichens, in dem wir erlöst sind? Des Zeichens, der unseren Frieden bedeutet? Gleicht es nicht dem Zeichen, in dem wir Welt und Tod bezwingen? Kreuz und Schwert – dasselbe Zeichen bedeutet den Frieden und den Krieg. Als Schwert ruft es: Sei stark! Als Kreuz aber mahnt es: Sei getrost!"[5]
Doch die Kriegsbegeisterung vom August 1914 verkehrte schnell ins Gegenteil, wie der Roman „Der getreue Ritter“ von 1915/16 deutlich zeigt. Die Erzählung wurde von Dr. Thomas Groll, dem Augsburger Bistumshistoriker, im Jahr 2009 unter dem Titel „Rudolf von Schlüsselberg“ neu herausgegeben. In dieser Frage hatte sich Joseph Bernhart auch mit Thomas Mann überworfen, der viel länger an der positiven Sicht auf den Ersten Weltkrieg festgehalten hatte. Bernhart hingegen wurde zum entschiedenen Kriegsgegner.
Langer Weg bis zur Aufhebung der Exkommunikation
Im Oktober 1918, in den letzten Wochen des Ersten Weltkrieges, bat er seinen Bischof, ihn aufgrund seiner bürgerlichen Ehe mit Elisabeth Nieland aus dem Klerus des Bistums Augsburg zu entlassen. Es gibt wohl erstaunliche Fügungen, wenn man individuelle Lebensgeschichten mit der großen Geschichte vergleicht: Im September 1939, als mit dem Angriff auf Polen der Zweite Weltkrieg begann, wurden die kirchliche Rekonziliation und die Sanierung der Ehe gewährt; im Januar 1942 wurde die Exkommunikation aufgehoben. Knapp zwei Jahre später, im Dezember 1943 am Fest Maria Empfängnis, starb seine Ehefrau Elisabeth. Ihr hatte er diese Zeilen gewidmet, die man auch heute nur mit klopfendem Herzen lesen kann: „Ich halte deine Hand in der meinigen, und dennoch sehne ich mich nach dir."[6]
Die autobiografische Erzählung „Der Kaplan“ rüttelt auf
Bereits 1919 war ein erster Teil seiner Erinnerungen unter dem Titel „Der Kaplan“ erschienen.[7] Seinen meisterlichen, packenden und glänzenden Stil zeigt jene Szene, wo er den Augsburger Weihbischof Eberle [8] und dessen Predigt zum Bußruf Poenitentiam agite schildert: „Aus dem gemessenen Gewoge der Perioden ragte wie ein Riff aus der Brandung der hocherhobene Arm, und nie wohl hatte ein goldener Manschettenknopf mit seiner Nachbarschaft eine so gepflegte Hand geadelt als die des Lobredners auf den Wüstenmann."[9] Wenige Seiten später wird der Autor freilich darüber klagen, dass der Ton der kirchlichen Amtsträger immer „schroff, karg und kalt“ sei.
Zum Naziregime: „Gott ist Herr auch einer heillosen Geschichte“
Im Dezember des Kriegsjahres 1939 deutete er im Hochland das weltpolitische Geschehen aus einer dezidiert christlichen Perspektive heraus. Bernhart bestand auf einer eigenständigen biblisch-christlichen Betrachtung der Welt. Weil der christliche Glaube in einer anderen Zeitrechnung lebt, sieht er das Zeitgeschehen auch anders. Biblische Beobachtung ist auf Gottes Reich und Herrschaft gerichtet. Was bedeutet dies aber „hodie in diesem Jahr zwischen Wolke und Blitz … weil Unglück und Unrecht im Augenblick oft so grell und betäubend sind …?“
Es hat sich, so Bernharts Antwort, das Mysterium unserer Freiheit in diesen Tagen als das mysterium iniquitatis kenntlich gemacht. Das heißt dann im Blick auf die Herrschaft Gottes, dass „der Herr der Geschichte auch der Herr einer heillosen Geschichte ist.“ Bernhart deutete das Zeitgeschehen als eine Anfechtung durch die Macht des Bösen. Aber auch diese Anfechtung gehöre hinein in den Vollzug des Reiches, „dessen Feld für Kampf und Sieg gerade diese ‚Welt im Argen‘ ist.“ Der „abtrünnige Weltverlauf“ muss das „richtende Licht“ bestätigen, das von Gottes Wort her auf ihn fällt. Von der „Gerechtigkeit der Sache Christi“ her steht die „Aussichtslosigkeit Satans, der als wirkender schon der gerichtete und verworfene ist“, immer schon fest."[10]
Publikationsverbot durch die Reichsschrifttumskammer
Diese biblische Perspektive Bernharts wurde von der Gestapo immerhin als so gefährlich eingeschätzt, dass diese Ausgabe von Hochland beschlagnahmt wurde. Und im Juni 1941 wurde „aus kriegswirtschaftlichen Gründen“ kein Papier mehr zugeteilt, die Zeitschrift Hochland musste eingestellt werden. [11] Am 19. Juni 1941, nur drei Tage vor dem Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion, wurde Joseph Bernhart von der Reichsschrifttumskammer (RSK) mit einem endgültigen Publikationsverbot belegt. Er musste nun – wie auch Werner Bergengruen, Reinhold Schneider, Romano Guardini, Alfred Delp und Theodor Haecker – auf den Alsatia-Verlag in Colmar ausweichen.
Romano Guardini – Theodor Haecker – Geschwister Scholl
Seit der so empfindsame und geistlich empfängliche Jungpriester Joseph Bernhart im Jahr 1918, da der Weltkrieg endete, Romano Guardinis Schrift „Vom Geist der Liturgie“ mit großer Zustimmung las, war ihm dieser namhafte Gelehrte vertraut. Für dessen Festschrift zum 50. Geburtstag steuerte er einen Aufsatz bei und würdigte Guardini als einen „Denker des Gegensatzes“. Zu einer persönlichen Begegnung kam es im November 1945, als Guardini bei der Gedenkfeier in München die Freunde von der Weißen Rose öffentlich ehrte: „Aber sie waren Christen aus Überzeugung. So standen sie im Raum des Glaubens, und die Wurzeln ihrer Seele reichten in jene Tiefen hinab, von denen gesprochen worden ist."[12]
Erst im April 1946 erfuhr Joseph Bernhart, dass Theodor Haecker ein Jahr zuvor in Ustersbach (bei Augsburg) gestorben sei. In seinem Nachruf würdigte er dessen „Zornkraft für die Wahrheit“ sowie dessen „Sprühfeuer von Sprachmacht und sittlichem Ingrimm“. Zudem wurde der einsam ringende Konvertit John Henry Newman, der Haeckers Innenwelt so geprägt hatte, gelobt und herausgehoben. Zustimmend wurde Haeckers prophetische Einsicht angeführt, dass „die Krämpfe des Hasses und des Zornes und des Neides nur durch den Umsturz der Gesinnung“ zu verhindern seien. In der Frühzeit der Ulmer Volkshochschule pflegte Inge Aicher-Scholl, die Schwester von Hans und Sophie Scholl, Kontakte mit Joseph Bernhart.
Suche nach Wahrheit als erhabenstes Ziel menschlicher Existenz
Joseph Bernhart war ein christlicher Autor, der dem weiten Geist einer christlichen und abendländischen Kultur verpflichtet war. Zeitlebens vertiefte sich der einst so ungestüm fragende Student wie auch Jahrzehnte später der gereifte Gelehrte in die Schriften des Kirchenlehrers Augustinus. Denn in der abendländischen Ideengeschichte ist die Suche nach Wahrheit das erhabenste Ziel menschlicher Existenz. Noch im Jahr 2007 wurden die Confessiones des Augustinus[13} in der Übertragung von Joseph Bernhart neu aufgelegt. Zeitlebens rang der verwundete und angefochtene Denker und Gelehrte Joseph Bernhart mit dem Leid, dem Übel und dem Abgrund der Verlassenheit. Sein Nachsinnen mündete in diese Einsicht: „Wir sind nicht von der Tragik der Welt erlöst, sondern hinein erlöst in ihre volle Gültigkeit vor Gott. Erst dann, wenn dies erkannt ist, fassen wir die Herrlichkeit des Auferstandenen. Er ist auferstanden, aber mit Wunden. Mit Wunden, aber mit verklärten."[14] Sein letzter Wunsch auf dem Sterbebett war es, man möge ihm den Rosenkranz und das Buch des hl. Augustinus über die göttliche Dreieinigkeit (De Trinitate) mit in den Sarg legen.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2023
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[1] Joseph Bernhart: Erinnerungen 1881-1930, Weißenhorn 1992.
[2] Begegnung mit Carl Muth, Kempten 1937, 4.
[3] Bernhart: Erinnerungen, 323.
[4] Wir treten zum Beten. Eine Kriegspredigt für alle, die daheimgeblieben, München 1914.
[5] Kreuz und Schwert. Eine Feldpredigt von Joseph Bernhart, München 1914.
[6] Joseph Bernhart: Der eheliche Mensch, in: De profundis, Leipzig 1935, Neuausgabe Weißenhorn 1985, 143.
[7] Hier eine inhaltlich sehr dichte Stelle, wo von den beiden Grundbefindlichkeiten Vertrauen und Angst die Rede ist: „Herr Pater, gab ich zur Antwort, es gibt zwei Sorten unter den Frommen: die einen tun mehr Christum lieben, die andern mehr den Teufel fürchten“ (Bernhart: Der Kaplan, 160).
[8] Als der geltungssüchtige Augsburger Weihbischof Franz Xaver Eberle im Dezember 1937 dem Reichskanzler Adolf Hitler in Berlin einen Besuch abstattete, wurde er von diesem gedrängt, Reichsbischof einer katholischen Nationalkirche („Los von Rom!“) zu werden. Eberle versicherte: „Ich liebe mein Vaterland glühend und stelle mich meinem Führer jederzeit zur Verfügung.“ In Entschiedenheit, Offenheit und Schärfe verhinderte der Münchner Erzbischof Michael von Faulhaber Eberles Ernennung zum Reichsbischof.
[9] Joseph Bernhart: Erinnerungen, Neuauflage Verlag Jakob Hegner, Köln 1972, 244.
[10] Vgl. Thomas Ruster: „Ein heiliges Sterben“ – Der Zweite Weltkrieg in der Deutung deutscher Theologen, in: Peter Bürger (Hrsg.): „Es droht eine schwarze Wolke“ – Katholische Kirche und Zweiter Weltkrieg, Bremen 2018, 74ff.
[11] Seinerzeit namhafte Persönlichkeiten der Inneren Emigration wie Werner Bergengruen, Romano Guardini, Theodor Haecker, Erik Peterson und Reinhold Schneider übten Kritik an der NS-Ideologie als Heilslehre. Haecker hatte Predigten von John Henry Newman für das Hochland ins Deutsche übertragen. Deren Grundtenor war der Widerspruch zwischen der Freiheit des Gewissens und den Übergriffen einer weltlichen Herrschaft, es ging um Standhaftigkeit gegen autoritäre Zumutung und um die Gewissensfreiheit der Person gegen Zwänge und Herrschaftsansprüche der Obrigkeit. Es trat der Gedanke zutage, dass das Böse in der Geschichte schließlich durch das Martyrium gläubiger Menschen überwunden werde.
[12] Romano Guardini: Die Waage des Daseins, Tübingen und Stuttgart 1946, 25.
[13] Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig, 2007.
[14] Joseph Bernhart: De profundis, Leipzig 1935; Neuauflage: Weißenhorn 1985, 192.
Neue Petition von 1000plus
Hilfe statt Abtreibung
1000plus ist eine gemeinnützige Organisation, die weltweit Information, Beratung und Hilfe für Frauen und Familien im Schwangerschaftskonflikt betreibt, fördert und finanziert – insbesondere Beratungsangebote und -einrichtungen, die zu Profemina International und ihren nationalen Kooperationspartnern gehören. Kristijan Aufiero, Gründer und Geschäftsführer der 1000plus-Profemina gemeinnützigen GmbH, geht auf das Vorhaben der Bundesregierung ein, die §§ 218 und 219 des Strafgesetzbuchs abzuschaffen. Vor dem Hintergrund seiner Erfahrung fordert er den Bundestag in einer Petition dazu auf, die geplante Neuregelung nach dem Grundsatz „HILFE statt Abtreibung“ auszurichten. Es müsse gesetzlich verankert werden, dass das erste Ziel der Beratung darin besteht, mit den betroffenen Frauen eine Alternative zur Abtreibung zu erarbeiten und ein Ja zum Leben des ungeborenen Kindes zu ermöglichen. Aufiero lädt dazu ein, sein Anliegen zu unterstützen und die Petition online zu unterschreiben (https://www.1000plus.net/petition). Am 18. April 2023 sendete Radio Horeb ein Interview, das Nadja Neubauer mit Kristijan Aufiero führte. Nachfolgend bearbeitet für „Kirche heute“.
Interview mit Kristijan Aufiero
Radio Horeb: Vor nicht allzu langer Zeit hat eine Kommission im Bundestag ihre Arbeit aufgenommen, die den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches neu regeln will bzw. eine Neuregelung prüft. Was halten Sie denn von diesem Vorhaben? Meines Wissens sind in dieser Kommission keine Lebensschützer vertreten. Ihre Expertise fehlt also.
Kristijan Aufiero: Es ist interessant, dass tatsächlich keine einzige unabhängige Beratungsorganisation eingeladen worden ist. Wir hätten sehr gerne die Erfahrung von vielen hunderttausend Beratungsfällen eingebracht. Damit wird auch klar, was der eigentliche Zweck dieser Kommission ist, nämlich ein Vorhaben zu legitimieren, das bereits fest in Stein gemeißelt ist. Was die Politik auf Biegen und Brechen umsetzen will, soll diese Kommission letztlich absegnen.
Es geht auch darum, den Paragraf 218, der die Abtreibung regelt, aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Was würde es faktisch bedeuten, wenn dieser Paragraf aus dem Strafgesetzbuch wegfällt?
Wir wissen nicht genau, wie die alternative Regelung aussehen wird. Klar ist, und das wird von einzelnen Mitgliedern dieser Kommission auch immer wieder in aller Deutlichkeit formuliert, dass es keine strafrechtliche Verfolgung der Abtreibung mehr geben soll, egal in welchem Stadium sich die Schwangerschaft befindet. Es geht also um nichts anderes als die Legalisierung der Abtreibung bis zum Zeitpunkt der Geburt.
Laut Süddeutscher Zeitung haben fünf Kommissionsmitglieder, Frauen, die zum sogenannten Deutschen Juristinnenbund gehören, in einem aufschlussreichen, geradezu erschreckenden Papier vom Dezember 2022 ganz genau beschrieben, wie sich das Lebensrecht des Menschen während der Geburt graduell vollzieht und wächst. Das heißt, bevor die Geburt beginnt, bevor die Wehen einsetzen, gibt es kein Lebensrecht. Es steigert sich dann langsam innerhalb der Stunden und Minuten, während der Geburtsvorgang andauert. Erst wenn das Kind auf der Welt und die Nabelschnur getrennt ist, gäbe es demnach ein vollständiges Lebensrecht. Als ich das las, traute ich meinen Augen nicht, dass man so etwas wirklich formulieren konnte.
Die Rede von einem graduellen Lebensrecht ist zutiefst schockierend, vor allem deshalb, weil man dieses Konzept überall anwenden kann. So könnte man sagen, dass das Lebensrecht am Ende auch wieder graduell abnimmt. Ich will mir gar nicht ausmalen, was passiert, wenn man diesen Ansatz eines graduellen Lebensrechts auch auf Menschen anwendet, die vielleicht nicht mehr ganz selbstständig leben oder sich nicht mehr artikulieren können. Es ist ein absoluter ethischer Dammbruch, den die Mitglieder dieser Kommission ganz vehement und in aller Deutlichkeit vertreten.
Das Lebensrecht wird hier quasi ausgehöhlt, um sich die Dinge so zurechtzulegen, wie sie einem passen?
Genau, wie sie einem passen oder wie sie dieser aktuellen Zeitgeist-Politik in den Kram passen. Es ist eine absolute Missachtung der Frauen im Schwangerschaftskonflikt und eine Missachtung des Lebensrechts. Wenn ich anderen ein graduelles Lebensrecht zuspreche oder abspreche, bedeutet das nichts anderes, als dass ich über deren Leben verfüge. Ich bestimme, wann sie leben dürfen und wann nicht. Und das ist Unrecht.
Wenn der Bundestag berät, geht es meistens doch eher um Paragrafen und nicht so sehr um die Menschen, vor allem nicht um die Frauen, die im Schwangerschaftskonflikt stehen und sich eine Entscheidung für oder gegen das Leben wirklich nicht leicht machen. Die Frauen, die eine Abtreibung hinter sich haben und mit deren Folgen leben müssen, von denen wird oft überhaupt nicht geredet. Um die Menschen und ihre Betroffenheit geht es nicht. Wie sieht denn die Realität aus? Sie haben durch 1000plus mit diesen Frauen zu tun, die im Schwangerschaftskonflikt stehen, und kennen die reale Situation.
Wir betreiben eine Internetseite, auf die im Durchschnitt jeden Tag 4.500 Frauen zugreifen. Wir sehen, welche Suchbegriffe auf unsere Internetseite führen, welche Tests ausgefüllt werden, und wir wissen natürlich, was uns diese Frauen sagen, wenn sie uns anrufen oder uns schreiben.
Wenn man die Realität dieser Frauen je-den Tag erlebt, kommt man unweigerlich zu der Schlussfolgerung, dass das, was sich im Deutschen Bundestag vollzieht, die politische Agenda einer Ideologie ist. Sie ist vollkommen losgelöst von den eigentlichen Bedürfnissen der Frauen, sondern will einfach eine neue Welt schaffen, etwas vollkommen anderes, als wir es heute haben. Es geht um die Ideologie einer Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit, die Ideologie eines radikalen Individualismus, den eine Frau im Schwangerschaftskonflikt gar nicht will. Und darin besteht etwas Tragisches.
Denn eine solche Frau sehnt sich vielmehr nach einem Freund oder einem Mann, der sie in den Arm nimmt und sagt: „Wir schaffen das zusammen!“ Sie wünscht sich Unterstützung, weil sie überfordert ist, weil sie schon zwei oder drei kleine Kinder hat und nicht mehr ein noch aus weiß. Oder sie wünscht sich eine Möglichkeit, wie sie ihre Ausbildung und ein Kind unter einen Hut bringen kann. Das sind die realen Probleme.
Diese Frauen bringen zum Ausdruck, dass sie sich gegen ihren eigentlichen Wunsch und Willen für eine Abtreibung entscheiden müssen, weil sie keine andere Wahl haben. Deswegen fordern wir, dass gemeinsam mit diesen Frauen zuallererst eine Alternative zur Abtreibung ausgearbeitet wird, ein Lösungskonzept, zu dem sie dann in Freiheit Ja sagen können. Die Haltung: „Nein, ich mische mich nicht ein, tu Du, was Du willst!“, ist im Grunde genommen unterlassene Hilfeleistung.
Ihr Prinzip, das Sie mit 1000plus schon jahrelang erproben, Frauen Hilfe im Schwangerschaftskonflikt zu leisten, wollen Sie jetzt mit Ihrer Petition „HILFE statt Abtreibung“ in die Politik tragen. Wie genau sehen denn die von Ihnen geforderten Neuregelungen der Paragrafen aus?
Erstens dürfte man diese Paragrafen selbstverständlich nicht streichen, sondern müsste sie sogar noch präzisieren. Man müsste verlangen, dass das Prinzip Hilfe zuoberst gilt und dass alle Beratungsstellen genau das tun, was diese Frauen sich wünschen und erwarten: nämlich nach einer Lösung suchen, wie es mit dem Kind weitergehen kann. Der Auftrag muss noch einmal klar im Gesetz formuliert werden, dass es das höchste Ziel ist, das Leben des ungeborenen Kindes zu bewahren und die Frau vor der Abtreibung, die sie gar nicht will, zu schützen. Das ist es, was wir fordern.
Die Petition von 1000plus kann man online unterzeichnen. Ich denke, Sie wünschen sich, dass natürlich möglichst viele diese Petition unterschreiben, damit das, was Sie sich wünschen, was Sie fordern, auch an die Politik getragen wird, und letztlich vielleicht ein Umdenken passiert.
Ich weiß nicht, ob es 50.000, 100.000 oder eine Million Unterschriften braucht, um ein Umdenken in der Politik zu erreichen. Ich weiß auch gar nicht, ob das mit Unterschriften überhaupt möglich ist.
Aber wir haben die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten, wie wir uns diesem Dammbruch stellen: Entweder legen wir die Hände in den Schoß und warten auf bessere Zeiten, weil wir denken: Wir haben es mit einer medialen Übermacht zu tun, gegen die wir ohnehin nichts ausrichten können. Außerdem ist die Politik demokratisch gewählt und legitimiert, und sie will das, was das Volk will, etwas, das zwar vollkommen falsch und unrecht ist, aber die Zeit ist einfach noch nicht reif. Es muss alles zuerst noch schlimmer kommen.
Oder wir versuchen alles, was in unserer Macht steht, um diesen Wahnsinn und um dieses Unrecht zu verhindern. Wir können mit Menschen ins Gespräch kommen und auf die Situation von Frauen im Schwangerschaftskonflikt aufmerksam machen, damit langsam ein Umdenken einsetzt, zuerst in unserem eigenen Umfeld, dann in unserem Bekannten- und Freundeskreis oder am Arbeitsplatz.
Das versuchen wir und ich kann nur alle bitten, sich diesem Vorhaben anzuschließen und etwas zu unternehmen, damit dieses Unrecht mit Gottes Hilfe am Ende doch verhindert werden kann.
Haben Sie mit dieser Petition keine Sorge, dass sich 1000plus noch mehr in die Nesseln setzt? Gerade dadurch, dass jetzt auch schon das Werbeverbot für Abtreibungen gefallen ist und die Forderungen immer weiter gehen, haben Sie keine Angst, dass Beratungs- und Hilfsangebote wie Ihre es künftig noch schwerer haben könnten, überhaupt noch ihre Arbeit zu leisten?
Ich bin ganz sicher, dass es schwieriger wird. Es ist unangenehm, in dieser Art und Weise im Mittelpunkt zu stehen. Aber es ist uns genauso verheißen, dass wir ein Zeichen des Widerspruchs und des Widerstands sein werden. Und diese Zeit hat nichts dringender nötig als Zeichen der Wahrhaftigkeit und des Widerspruchs. Gleichzeitig müssen wir als Beratungsorganisation natürlich alle Vorbereitungen treffen, die uns trotzdem ein Weiterarbeiten, ein Weiterhelfen und ein Weiterberaten möglich machen.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2023
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Zum Buch „Mission Menschenfischer“ von Hinrich E. Bues
Neue Christen gewinnen
Pfr. Lorenz Rösch stellt ein neues Buch von Dr. Hinrich Bues über Mission im 21. Jahrhundert vor.[1] Bues hat als evangelischer Pastor den Weg zur katholischen Kirche gefunden und zeigt mit erfrischender Klarheit auf, wie wir mit Jesus Christus und Maria neue Christen für das Himmelreich gewinnen können. Pfr. Rösch würdigt die vielen praktischen Beispiele und die tiefe biblische Spiritualität, von der die Ausführungen geprägt sind. Er weist aber auch auf gewisse Grenzen hin, auf Elemente, über die der Leser stolpern könnte.
Von Lorenz Rösch
In seinem programmatischen Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ stellte Papst Franziskus klar, „dass die neue Evangelisierung … sich grundsätzlich in drei Bereichen abspielt“ (Nr. 14). Diese sind:
• Der Bereich der „gewöhnlichen Seelsorge“, die denjenigen Gläubigen gilt, die aus Wort und Sakrament leben und am kirchlichen Leben teilnehmen, sowie denjenigen, die auch ohne regelmäßige Gottesdienstteilnahme einen festen katholischen Glauben zeigen. Evangelisierung heißt hier, deren Wachstum in Glauben und Liebe zu fördern.
• Der Bereich derjenigen Getauften, deren Denken und Leben nicht vom Glauben geprägt ist. Evangelisierung in Bezug auf solche „Taufscheinchristen“ zielt darauf ab, „dass sie eine Umkehr erleben, die ihnen die Freude am Glauben … zurückgibt“.
• Der Bereich all derer, „die Jesus Christus nicht kennen oder ihn immer abgelehnt haben“. Evangelisierung bedeutet hier, möglichst allen die Chance zu geben, „das Evangelium zu empfangen“; denn viele „suchen Gott insgeheim, bewegt von der Sehnsucht nach seinem Angesicht“.
Dem kirchlichen Bemühen im ersten Bereich entspricht unter den Bildwelten des Evangeliums die vom Guten Hirten, seiner Herde und der guten Weide, auf die Er sie führt (Joh 10); der Sorge im zweiten Bereich entspricht die daran anknüpfende Bildrede von der Suche nach dem verlorenen Schaf (Mt 18/Lk 15); die Bildwelt vom „Menschenfischen“ hingegen zielt auf den Missionsauftrag „ad gentes“ (hin zu den Völkern/zur Heidenwelt).
Hinrich E. Bues gibt mit seinem Buch „Mission Menschenfischer“ ein Bündel von Anregungen und Anleitungen, um „neue Christen zu gewinnen“, wie der Untertitel sagt, wobei die „lediglich Getauften“ mindestens ebenso sehr im Blickfeld sind. Und natürlich sind die Adressaten des Buchs primär im ersten Bereich zu suchen – mit der Erkenntnis im Hintergrund, dass es zum Wachstum im Glauben wesentlich gehört, ihn anderen nahebringen zu wollen (vgl. die fünf Basiselemente von Rick Warren, in: Kirche heute 10/2021 unter www.kirche-heute.de). So gesehen ist die „Wiederentdeckung der Fischermentalität“ (Pater Karl Wallner OCist im Vorwort) nicht nur für die Zukunft der Kirche, sondern für eine evangeliumsgemäße Reife wichtig.
Was Hinrich Bues bietet, ist tatsächlich ein Bündel, ein facettenreiches Ganzes. Seinen roten Faden erhält es durch die Berichte und Erzählungen insbesondere des Lukas-Evangeliums von den ersten Jüngern Jesu, deren angestammte berufliche Welt tatsächlich das Fischen war und die nun von Jesus gewonnen und eingewiesen werden in diese modifizierte Tätigkeit des Menschenfischens. Hinzu kommt als ein Nebenfaden die persönliche Glaubens- und Berufungsgeschichte des Autors, die ihn vom Kulturchristentum evangelischer Prägung über verschiedene Marksteine persönlicher Suche und Bekehrung zum Pastor und Volksmissionar werden ließ, bis er sich (zusammen mit seiner Frau) zur Konversion in die katholische Kirche geführt sah und in der Ordenshochschule Heiligenkreuz einen neuen Mittelpunkt seiner Berufung fand.
Den biblischen Faden entfaltet Bues mithilfe einer „missionarischen Exegese“ (20) und in der Perspektive einer Theologie des Heiligen Geistes, der ja für die „Übersetzung“ der Heiligen Schrift ebenso maßgeblich ist wie einst für ihre Komposition. Dabei werden die Etappen des ersten Wirkens Jesu von seiner Taufe bis zum Seesturm und zum Gang über den See in eine mutmaßliche zeitliche Abfolge gebracht und erzählerisch verlebendigt, darunter auch bewusst „fiktiv und übertrieben dargestellte“ (155) Passagen. Daran schließen sich jeweils sozusagen Lektionen an, die Zeitthemen und Kirchenfragen aufgreifen, aber letztlich immer auf geistliche und praktische Lernschritte zielen.
In sieben Kapiteln wird der lernwillige Leser vorangeführt, wobei das siebte ein Resümee des Ganzen darstellt, dem dann nochmals ein vierseitiges „Fazit“ (296-299) folgt.
• Das 1. Kapitel fragt nach der „Quelle des Glaubens“ und zeigt auf, dass echter christlicher Glaube nur „von oben“, aus dem Hören und Empfangen kommen kann und ein Werk des Geistes ist.
• Im 2. Kapitel wird – im Zusammenhang mit der Taufe Jesu – eine dogmatische Grundlegung vorgenommen (Ursünde – Erlösung) und zwischen Taufe und rettendem/beglückendem Christwerden unterschieden.
• Der Berufungsweg von Simon Petrus wird im 3. Kapitel zum Anschauungsunterricht für die „Stationen einer Berufung zum Menschenfischer“.
• Das 4. Kapitel führt anhand der Berufung des Matthäus tiefer in das Denken Jesu und das von den Jüngern geforderte Um-Denken ein. Als Beigabe findet sich hier eine Anleitung zum Gebet für Kranke oder Belastete.
• Im 5. Kapitel folgen Ausführungen zu einem Dasein – möglicherweise gar vollzeitlich – als Menschenfischer/in. Das ist nach Erfahrung des Autors ein Kampf an mehreren Fronten: hier das persönliche Sicherheitsbedürfnis, dort eine Kirchengestalt und -theologie, die ohne Glauben auszukommen sucht. Als Beigabe wird ein persönlicher Glaubens-Check angeboten.
• Die Überschrift des 6. Kapitels spricht für sich: „Der Rettungskreuzer der Menschenfischer Christi“. Hier findet man erhellende Ausführungen zu den „skandalösen“ Sonderregeln des Kirchenschiffs – in Sachen Leitungsstruktur, Antriebskraft und spezifischer Mission. Eine anschauliche Erzählung der Versuchungen Jesu in der Wüste sensibilisiert für die „Netze“, die die Mission der Kirche allzu leicht lähmen oder verfälschen. Damit verbindet sich ein Aufruf zur Wiederentdeckung der „kämpfenden Kirche“ (Ecclesia militans) – im „Machtkampf … um das Seelenheil von Menschen“ (257) – um „Menschen für das Himmelreich zu retten“ (260).
Das Buch ist gewiss geeignet, eine Vision von missionarisch gelebtem Glauben anzustoßen, ja unter Umständen eine Bekehrung zu dem Gott, der „will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4). Allerdings muss man dazu über manches im negativen Sinn Anstößige hinwegsehen. Man möchte dem Konvertiten Bues wünschen, gerade an Stellen, wo er Benedikt XVI. ins Spiel bringt, noch tiefer zu graben. So scheint bei ihm die Hoffnung, die in der Erwartung eines letzten Läuterungsfeuers liegt (vgl. Benedikt-Zitat 201; also eine Hoffnung selbst für nicht explizit oder vollständig gläubig Gewordene, zusammenzusehen auch mit der Konzilsaussage, dass Gott jede Menschenseele auf eine nur ihm bekannte Weise mit dem Pascha-Geheimnis Christi verbinden wird, sowie mit dem Gedanken ei-nes stellvertretenden Glaubens der Kirche), nicht verinnerlicht.
Versuche einer „Synthese zwischen Glaube und Vernunft“ (198) scheinen ihm zwar ehrenwert, aber schwierig und nicht wirklich nötig – also ein gutes Stück entfernt von der Ratzinger‘schen gegenseitigen Verwiesenheit beider. Symptom dieser fehlenden Synthese ist das Misstrauen gegenüber aller wissenschaftlich-methodischen Befragung der Bibel. Bedeutet die Annahme eines sekundären Schlusses des Markus-Evangeliums wirklich als Folgerung, der hier festgehaltene Missionsauftrag würde „nicht vom Sohn Gottes stammen“, sondern sei (lediglich!) „von einem unbekannten Ghostwriter hinzugefügt“ worden (127)? Wird er dadurch nicht im Gegenteil auch für den Glaubenden nachvollziehbarer? Oder ist es ein Zeichen unangefochtener Gläubigkeit, wenn, ohne ein Wort darüber zu verlieren, die vorwissenschaftliche Chronologie des Lebens Jesu zugrunde gelegt wird: geboren im Jahr 0, gestorben im Jahr 33 usw.? Wird dadurch nicht der „garstige Graben“ (21) zwischen Geschichte und Wahrheit unnötig vertieft?
Stolpern kann man auch über manche pauschalisierenden Urteile und Auflistungen; ebenso über Ungenauigkeiten im Umgang mit biblischen Zitaten, Worterklärungen und Zuschreibungen. Anstößig muss es schließlich sein, wenn der Autor im letzten Teil des 7. Kapitels nochmals auf das bedeutsame Hindernis für die Evangelisierung zu sprechen kommt, das die Christenheit selbst aufrichtet, nämlich durch ihre Zersplitterung. Hier lässt er den autobiografischen Faden des Buches einmünden in ein Plädoyer: „Durch Umkehr zu Jesus zur Einheit zurückkehren“ sagt die Zwischenüberschrift, doch im Text lautet die Aussage, dass (ähnlich wie der Autor) viele „als einzigen realistischen Weg für die Wiedergewinnung der Einheit der Kirche Christi die Rückkehr in die römisch-katholische Kirche sehen würden“ (291). Ein Wort, das man kaum als Rezept, allenfalls als – aus je persönlichem Ruf heraus gelebte – Prophetie wird verstehen dürfen.
Man möchte Hinrich Bues von Herzen beipflichten und sich im positiven Sinn von seinem Buch anstoßen lassen, wenn er einleitend (20) schreibt: „Ich glaube zuerst und zunächst, dass Jesus Christus uns heute, genauso wie den ersten Menschenfischern damals, zeigen kann, wie das ,Fischen‘ von Menschen durch das Wirken des Heiligen Geistes geht. Dieser Ansatz ist zugegebenermaßen ziemlich naiv, übersteigt meinen theologischen Verstand, aber der Heilige Geist liebt es, in ,kindlichen‘ oder ,einfachen‘ Menschen zur Wirkung zu kommen.“
Bei allem gläubigen Eifer gilt es, sich mit Franziskus (a.a.O. unter Verwendung eines Wortes von Benedikt XVI.) zu vergegenwärtigen: „Die Kirche wächst nicht durch Proselytismus, sondern durch Anziehung“ – mit anderen Worten: Nicht ihr eigenes zahlenmäßiges (Wieder-)Erstarken darf die Motivation von Missionaren sein, sondern das Leben in Fülle, das ihnen zugänglich geworden ist und zu dem möglichst jeder Mensch möglichst bald Zugang finden soll.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)
[1] Hinrich E. Bues: Mission Menschenfischer. Mit JESUS lernen, neue Christen zu gewinnen, HC, 303 S., 24,90 Euro, ISBN 978-3-903602-48-9; E-Mail: bestellung@ bebeverlag.de / www.klosterladen-heiligenkreuz.at
Deutsche Glaubensspuren in Pakistan
Die katholische Kirche in Pakistan wurde in ihrer Geschichte vor allem durch niederländische und irische Missionare geprägt. Und doch begegnet man auf der Reise durch das Land auch immer wieder der Erinnerung an deutsche Ordensfrauen und Priester, die den Menschen bleibende Geschenke der Liebe gemacht haben. André Stiefenhofer, Pressereferent von „Kirche in Not“ Deutschland, hat Pakistan vor wenigen Wochen besucht und zeichnet deutsche Glaubensspuren in dem Land nach, in dem unter zwei Prozent Christen leben.
Von André Stiefenhofer
Christen gehören trotz Ausgrenzung dazu
Die südpakistanische Hafenstadt Karatschi ist eine der größten Metropolen der Welt und das ökonomische Herz der Islamischen Republik Pakistan. Das Leben vibriert in den Straßen Karatschis, es herrscht ein friedlich vor sich hinfließendes Verkehrschaos, in dem viel gehupt, aber nie geschrien wird. „Wir haben es zu eilig, um uns zu streiten“, kommentiert das ein katholischer Priester schmunzelnd. Vielleicht ist das auch der Grund, warum es in Karatschi trotz strenger Glaubensgesetze und der unumstößlichen islamischen Staatsreligion derart viele Kirchenbauten und sogar einen christlichen Friedhof inklusive weithin sichtbarem Kreuz gibt. Die Christen gehören eben zu Karatschi, wer sollte das bestreiten?
Die Legende besagt, dass schon die Apostel Thomas und Bartholomäus auf ihrem Weg nach Indien durch die heutige Erzdiözese Karatschi gezogen sind. Anfang des 17. Jahrhunderts waren es Augustiner-Patres, die das Land erstmals evangelisierten. Später folgten Karmeliten, Kapuziner und Jesuiten.
Ein Gotteshaus für Generationen pakistanischer Katholiken
Mit den Jesuiten beginnen auch die ersten Spuren deutscher Missionare in Pakistan. Sie kamen 1856 von Bombay nach Karatschi. Einer von ihnen war der Architekt Pater Karl Wagner, der die Kathedrale des Heiligen Patrick in ihrer heutigen Gestalt entwarf. Mit ihm kamen die Laienbrüder Georg Kluver und Herman Lau, die Bauleiter für das prächtige Gotteshaus waren. In der Kathedrale von Karatschi findet das europäische Auge daher viel Bekanntes. So stammen der Kreuzweg und die kunstvollen Glasfenster von einer Münchner Firma. Die Erben dieses Betriebes kümmern sich auch heute noch um die Erhaltung.
Pater Wagner starb 1869 – wie so viele Missionare seiner Zeit – an einer schweren Darmerkrankung. Erst zehn Jahre nach seinem Tod konnte der Grundstein für die Kathedrale gelegt werden, doch bis heute ist sie der unverzichtbare Mittelpunkt tausender Katholiken.
Gottes Wort in Landessprache
Grundlagen für den Glauben von noch mehr Menschen hat die im Jahr 2004 verstorbene deutsche Ordensfrau Maria Beatrix Schlepphorst gelegt. In Deutschland ist sie fast vergessen. Auch ihr Orden, die Töchter vom Heiligen Kreuz, hat sich Ende 2022 aus seiner Niederlassung in Rees-Haldern (Erzdiözese Köln) zurückgezogen.
Schwester Beatrix war lange Jahre die Provinzoberin ihres Ordens in Pakistan und wird heute noch in der Diözese Hyderabad in hohen Ehren gehalten. Diese Diözese ist im Gegensatz zur Großstadt Karatschi eher ländlich geprägt. Viele Katecheten reisen von Dorf zu Dorf und sind für die Glaubensweitergabe auf Bibeln und Glaubensbücher in der Landessprache Urdu angewiesen. Sr. Beatrix war es, die in unermüdlicher Kleinarbeit nicht nur die Bibel, sondern tausende Glaubensschriften in diese für Europäer nicht leicht zu erlernende Sprache übersetzte.
Pakistanische Eltern erzählen ihren Kindern deshalb bis heute bewundernd von dieser disziplinierten und fleißigen Ordensfrau. Fast jeder Priesterseminarist Pakistans kennt ihren Namen und nennt mehrere von ihr übersetzte Bücher sein Eigen. Dank ihres unermüdlichen Einsatzes lebt die Erinnerung an Sr. Beatrix Schlepphorst heute noch in ihrem geliebten Pakistan weiter.
Kampf gegen Lepra
Auch in Deutschland immer noch sehr bekannt ist dagegen jene Frau, die maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass die tödliche Krankheit Lepra in Pakistan seit 1996 offiziell unter Kontrolle ist: Schwester Dr. Ruth Pfau war ein Engel für die Ärmsten der Armen. Neben Lepra bekämpfte die Missionsärztin Tuberkulose und Augenkrankheiten im Land. Ihre Errungenschaften waren derart aufsehenerregend, dass sie nach ihrem Tod im Jahr 2017 als erste Frau und erste Nicht-Muslimin ein Staatsbegräbnis erhielt. Das Außenministerium würdigte Schwester Ruth Pfau in einer Erklärung sogar als „Nationalheldin“.
Dass es so weit kam, ist wohl ihrer Berufung und Gottes Fügung zu verdanken. Denn eigentlich wurde Schwester Ruth im Jahr 1960 von ihrem Orden nach Indien geschickt, um dort als Frauenärztin zu arbeiten. Doch um ihr Visum zu erhalten, machte sie Halt in der damaligen pakistanischen Hauptstadt Karatschi. Was sie dort sah, sollte ihr Leben für immer verändern. Ihr Orden, die Töchter vom Herzen Mariä, half damals den Leprakranken in den Armenvierteln Karatschis, und ihre Mitschwestern nahmen sie für einen Tag mit auf diese Mission.
Tief erschüttert lag Sr. Ruth an jenem Abend in ihrem Bett und hörte nur noch einen Satz in sich, der ihre Berufung werden sollte: „Dies ist es, was Du tun sollst.“ Am nächsten Morgen war ihre Entscheidung gefallen und von diesem Moment an ruhte Sr. Ruth nicht eher, bis die Lepra besiegt war. Ein Sieg, der anfangs noch weit entfernt war. Sie schrieb in ihr Tagebuch: „Wenn ich auch nicht helfen kann, so will ich doch das Leiden teilen. Denn nichts zu tun, erscheint mir unerträglich.“ Die Missionsärztin baute Schritt für Schritt eine Klinik für Leprakranke auf – als Frau in einer männerdominierten Kultur. So wuchsen nicht nur die Erfolge im Kampf gegen die tödliche Krankheit, sondern auch der Respekt jenes Landes, das Sr. Ruth von Herzen liebte.
Pakistan braucht Glaubenshelden – auch heute
Pakistan macht aktuell oft negative Schlagzeilen: Der wachsende Islamismus und Nationalismus, die vielen Fälle von Entführungen und Zwangskonversionen christlicher und hinduistischer Mädchen, Vetternwirtschaft, Korruption und Ausbeutung prägen die Berichterstattung. So viele Probleme verführen dazu, wegzusehen, dem Elend seinen Lauf zu lassen. Doch auch heute braucht es Glaubenshelden, die Pakistan und seine Bevölkerung mit Augen glühender Liebe anblicken. Wer folgt P. Karl Wagner, Sr. Maria Schlepphorst und Sr. Dr. Ruth Pfau nach? Der Herr der Ernte weiß es.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)
Zeichen der Einheit und Hoffnung in der Kirche
4. Adoratio-Kongress in Altötting
Von Freitag, 9. Juni 2023, 17 Uhr bis Sonntag, 11. Juni 2023, um 13 Uhr findet in der Basilika St. Anna in Altötting der vierte „Adoratio-Kongress“ statt. Veranstaltet wird dieser Glaubenskongress vom Referat Neuevangelisierung des Bistums Passau in Kooperation mit den Bistümern Augsburg und Eichstätt. Ingrid Wagner, die Leiterin des Referats für Neuevangelisierung in Passau, erläutert im Gespräch mit „Kirche heute“, worum es bei diesem Kongress geht und was die Teilnehmer vor Ort, aber auch diejenigen, die das Geschehen über Radio und Fernsehen mitverfolgen, erwartet.
Interview mit Ingrid Wagner
Kirche heute: Frau Wagner, Sie sind mit der Leitung des Adoratio-Kongresses betraut. Was bedeutet die Bezeichnung „Adoratio“?
Ingrid Wagner: „Adoratio“ ist das lateinische Wort für Anbetung, Verehrung. Und das ist der Kern des Kongresses und unser tiefstes Anliegen: dass Gott angebetet und verehrt wird, dass ihm der Platz zukommt, der ihm gebührt – im persönlichen Leben wie im Leben der Kirche.
Was ist die Grundidee dieser Veranstaltung? Worum geht es bei einem solchen Kongress?
Wir brauchen in dieser herausfordernden Zeit für die Kirche in Deutschland Orte, um Gemeinschaft im Glauben zu erfahren. Es ist unser Anliegen, einen solchen Ort zu schaffen, wo Menschen zusammenkommen, sich austauschen, vernetzen und gemeinsam den anbeten, um den es geht.
Im Johannes-Evangelium sagt Jesus sehr deutlich: „Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt. … Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,4f.). Das ist meine Überzeugung und auch meine persönliche Herausforderung, immer wieder zum Herrn zurückzukehren, bei ihm zu bleiben, von ihm alles zu empfangen, zu hören, was er tun möchte, um dann auch Frucht zu bringen.
Welchen Beitrag möchte der Kongress für Mission und Evangelisierung leisten?
Wir glauben, dass eine wirkliche Erneuerung der Kirche nur aus dem Gebet heraus möglich ist. An unzähligen Orten dieser Welt, an welchen es lebendige Aufbrüche in der Kirche gibt, gründen sie in der eucharistischen Anbetung und ähnlichen Gebetsformen und -bewegungen. Wir brauchen konkrete Orte, wo Menschen Gott begegnen können. Adoratio möchte ein solcher Ort sein und dazu ermutigen, dem Gebet im Privaten und in der Pfarrei neu Raum zu geben und notwendige Schritte für eine Erneuerung des Glaubens in unserem Land zu gehen.
Woher stammt die Initiative? Kann man sagen, wer hat diese Kongresse ins Leben gerufen?
Im Juni 2011 hat Bischof Dominique Rey aus Fréjus-Toulon in Frankreich den ersten internationalen Kongress zur ewigen eucharistischen Anbetung in Rom initiiert. Organisiert wurde er von Père Florian Racine und seiner Gemeinschaft, den „Missionaren der Allerheiligsten Eucharistie“ (MSE). Dieser Kongress widmete sich dem Thema „Von der eucharistischen Anbetung zur Evangelisierung“. Gottes Größe zu erkennen und ihn anzubeten, sei ein erster Schritt auf dem Weg einer neuen Evangelisierung in der Kirche, beschrieb Bischof Rey in Rom die Relevanz von Anbetung. Seit 2014 organisiert Père Florian Racine in seiner Pfarrei in St. Maximin-la-Sainte-Baume regelmäßig Adoratio-Kongresse.
Und wie kam der Kongress nach Altötting?
Den Impuls, einen solchen Kongress bei uns zu organisieren, haben wir tatsächlich in Altötting empfangen. Es war Stefan Borneis, der uns begeistert von seinen Erfahrungen in Frankreich und von seinem Traum, den Adoratio-Kongress nach Deutschland zu bringen, erzählt hat. Wir haben die Idee geprüft und uns dafür entschieden. Eigentlich sollte die Veranstaltung daran erinnern, wie Johannes Paul II. vor damals 40 Jahren auf seiner ersten Heimatreise in Polen zur Neuevangelisierung aufgerufen hat. Wir wollten also einen Kongress zur Neuevangelisierung durchführen. Herausgekommen ist „Adoratio“. Eine schöne Fügung, wie ich finde, und es entspricht auch ganz unserer Erfahrung, dass wir ohne Gebet nichts tun können. So haben wir 2019 zusammen mit der Gemeinschaft aus Frankreich und mit großer Unterstützung aus Altötting und den Partnerdiözesen den ersten Adoratio-Kongress in Deutschland abgehalten.
Aus welchen Elementen setzt sich der Kongress zusammen? Was steht auf dem Programm?
Das Treffen ist eine Mischung aus Gebet und Gemeinschaft. Starke Vorträge, intensive Zeiten des Gebetes in Stille, aber auch Musik. Und es wird die Möglichkeit geben, das Sakrament der Versöhnung zu empfangen und für sich beten zu lassen.
Welche Hirten, also Bischöfe und Kardinäle, werden am Kongress mitwirken? Ist schon bekannt, worüber sie sprechen werden?
Bischof Stefan Oster SDB ist der Gastgeber des Kongresses und wird am Samstag einen Vortrag zum Thema „Die Herrlichkeit und das Kreuz“ halten. Außerdem wird Bischof Bertram Meier aus Augsburg der Eucharistiefeier am Freitag vorstehen und Bischof Rudolf Voderholzer am Samstag. Aus Rom reist Kardinal Koch an, um einen Workshop für Priester zu halten und mit uns am Sonntag die Abschlussmesse zu feiern. Bischof Hanke aus Eichstätt wird auch am Kongress dabei sein und einen Workshop über das Gebet geben.
Was ist das Thema des Kongresses in diesem Jahr? Und welche weiteren Referenten haben ihr Kommen zugesagt?
In diesem Jahr geht es also um die Herrlichkeit Gottes, die wir aus den verschiedenen Blickwinkeln betrachten wollen. Es wird vier große Hauptvorträge geben. Neben Bischof Oster spricht Dr. Johannes Hartl, der am Freitagabend eine Grundlegung zum Thema der Herrlichkeit Gottes geben wird. Am Samstagvormittag referiert Dr. Nina Heereman, die Theologiedozentin in Kalifornien ist. Sie spricht darüber, wie sich die Herrlichkeit Gottes im Menschen zeigt. Am Sonntag wird Georg Mayr-Melnhof den Abschlussvortrag zum Thema „Die Herrlichkeit des Himmels“ halten.
Geplant ist ein großes Podiumsgespräch. Wann wird es stattfinden und worum wird es gehen?
Das Podium, moderiert von Sophia Kuby, findet unter dem Thema „Die Herrlichkeit Gottes in dunkler Nacht“ am Samstag um 14 Uhr statt. Wir beschäftigen uns mit den Fragen, ob der Mensch angesichts von Leid, Tod und Schmerz die Herrlichkeit Gottes erfahren kann? Wie kann Gottes Herrlichkeit mit dem Leid auf der Welt und mit ganz persönlichen Schicksalsschlägen zusammengedacht werden? Das Podium wird sich dieser Frage durch konkrete Lebenszeugnisse annähern, ob durch Tod, unerwartete Umstürze im Leben, Kinderlosigkeit, Konfrontation mit physischem und psychischem Leiden. Jeder der Podiumsteilnehmer hat auf unterschiedliche Art und Weise die übernatürliche Kraft Gottes im Leid erfahren.
Wie soll man sich die Workshops vorstellen, die angekündigt sind?
Es wird ca. 20 Workshops geben, die ein breites Spektrum an Themen abbilden. Einige haben das Gebet und die Anbetung zum Thema: Dekan Bernhard Hesse spricht zum Beispiel darüber, wie man eine 24/7-Anbetung starten kann. Es gibt Workshops zum Thema „Gottes Stimme hören“ und „Anbetung mit Kindern“. Dann gibt es auch viele Workshops rund um das christliche Leben: Wie lebe ich ein eucharistisches Leben im Alltag? Wie lerne ich immer mehr zu lieben? Wie finde ich meine Berufung? Und wir haben Workshops, die sich mit der Erneuerung und Verkündigung des Glaubens beschäftigen: Wie geht es mit den Pfarreien weiter? Was ist Jüngerschaft? Ich denke, es dürfte für jeden etwas dabei sein. Auf unserer Homepage kann man sich die Workshops auch schon anschauen.
Müssen Teilnehmer von außerhalb selbst eine Unterkunft organisieren oder bieten Sie Möglichkeiten an?
Auf der Seite zur Anmeldung finden sich auch Hinweise zu Unterkünften in der Stadt Altötting. Allerdings sind schon viele vergeben und es kann sein, dass man sich etwas außerhalb eine Unterkunft suchen muss. Parkplätze gibt es in Altötting zum Glück aber genug.
Wer kann am Kongress teilnehmen?
Jeder kann an dem Kongress teilnehmen, ob er schon eine Erfahrung im Glauben gemacht hat oder nicht. Der Kongress ist auch für Menschen gedacht, die sich neu die Fragen stellen: Wer ist Gott? Wie kann ich ihn erfahren? Was bedeutet er für mein Leben?
Ist die Teilnahme am Kongress kostenlos oder werden Eintrittsgelder erhoben? Muss man sich dafür anmelden?
Die Teilnahmegebühr für den Kongress beträgt 45 Euro. Für Jugendliche unter 18 Jahre ist die Teilnahme kostenlos. Es gibt auch Tagestickets. Alle Infos dazu und zur Anmeldung finden sich unter: www.adoratio-altoetting.de
Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Adoratio-Kongress in der Vergangenheit gemacht? Was ist bisher das Echo auf diese Veranstaltung?
Von der Resonanz auf den ersten Adoratio-Kongress 2019 waren wir überwältigt. Über 2.000 Teilnehmer hatten sich in Altötting eingefunden. Es war wirklich ein Fest des Glaubens und eine Bestärkung für alle Teilnehmer. Wegen Corona mussten wir den geplanten Kongress im Jahr darauf sehr klein halten. Auch die beiden weiteren Jahre mussten wir auf ein Onlineformat ausweichen. Jetzt freuen wir uns umso mehr, dass wir wieder zur Muttergottes nach Altötting, dem Herzen Bayerns, einladen können.
Was uns auch sehr freut, sind die Früchte des ersten Kongresses. An einigen Orten ist eucharistische Anbetung entstanden, die ihren Anfang bei Adoratio genommen hat. Wir haben sehr, sehr viele positive Rückmeldungen bekommen und sind voller Erwartung auf das, was der Herr uns in diesem Jahr schenken will.
Sie waren früher in der Jugend 2000 engagiert. Können Sie Erfahrungen von Ihrer Jugendarbeit nun in die pastorale Arbeit für Neuevangelisierung und speziell in die Gestaltung des Adoratio-Kongresses einbringen?
Bei der Jugend 2000 habe ich die Kirche – trotz allem – lieben gelernt. Und gerade in dieser Bewegung durfte ich den Schatz der Eucharistie mehr und mehr entdecken, nicht zuletzt auch durch viele Heilige wie Johannes Paul II. und Anna Schäffer.
Ich habe gelernt, wie es gehen kann, Menschen, ob jung oder alt, langsam dazu hinzuführen, das Sakrament der Eucharistie und auch der Beichte wiederzuentdecken.
Wie können wir Räume schaffen, dass Menschen Jesus lieben lernen und in ihrer Beziehung zum Herrn wachsen? Das war die Frage damals und ist sie auch heute noch. Adoratio möchte dazu einen Beitrag leisten, Menschen im Glauben stärken und ihnen Hilfsmittel an die Hand geben, um zuhause, in der eigenen Pfarrei oder in der Gemeinschaft mit der eucharistischen Anbetung zu beginnen.
Von ganzem Herzen danken wir Ihnen für das interessante Gespräch und wünschen allen Teilnehmern einen fruchtbaren Kongress.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)
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