Liebe Leser
Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel
Das Titelthema unserer Mai-Ausgabe lautet: „Afrika – Kontinent der Hoffnung“. Die Formulierung geht eigentlich auf Papst Benedikt XVI. zurück. Doch noch mehr hat sich diesen Gedanken Papst Franziskus als Programm für sein Afrika-Engagement zu Eigen gemacht.
Blicken wir noch einmal kurz auf Benedikt zurück. Zweimal war er nach Afrika gereist, im März 2009 nach Kamerun und Angola und im November 2011 nach Benin. Dort hatte er am 20. November bei einem großen Sonntagsgottesdienst im „Stade de l’amitié“ (Stadion der Freundschaft) von Cotonou das Nachsynodale Apostolische Schreiben „Africae munus“ (Das Engagement Afrikas für den Herrn Jesus Christus) überreicht. Es war das Ergebnis der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Afrika im Oktober 2009. Sie stand unter dem Thema: „Die Kirche in Afrika im Dienst der Versöhnung, der Gerechtigkeit und des Friedens: ‚Ihr seid das Salz der Erde … ihr seid das Licht der Welt‘ (Mt 5,13-14)“.
Alle Äußerungen Benedikts XVI. in und über Afrika zeigen einen Grundgedanken: Er sieht die riesigen Probleme, von denen der afrikanische Kontinent geradezu erdrückt wird. Deshalb möchte er Afrika nicht leichtfertig als „Hoffnung für die Welt“ bezeichnen. Immer spricht er davon unter einem Vorbehalt, unter einer Bedingung: Wenn Afrika auf Gott vertraut, wenn Afrika das Evangelium annimmt und sich von seinen Werten inspirieren lässt, dann kann es ein „Kontinent der Hoffnung“ werden.
Anlässlich des Heimgangs von Benedikt XVI. hob Kardinal Fridolin Besungu Ambongo OFMCap, der Erzbischof von Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo, im Namen aller afrikanischen Bischöfe hervor, Benedikt habe Afrika ermutigt, „auf sich selbst zu vertrauen, um mit Würde aufzustehen. Er sah in Afrika die geistliche Lunge für eine Menschheit, die in einer Glaubens- und Hoffnungskrise zu stecken scheint.“
Auch Papst Franziskus besuchte bisher zweimal den afrikanischen Kontinent, im November 2015 Kenia, Uganda und die Zentralafrikanische Republik und nun vom 31. Januar bis 5. Februar 2023 die Demokratische Republik Kongo und den Südsudan. Dabei nannte er Afrika „das Lächeln und die Hoffnung der Welt“. Und unerschrocken rief er den Machthabern der Welt zu, Afrika endlich eine Chance zur eigenen Entwicklung zu geben und es nicht mehr nur auszubeuten. „Hände weg von Afrika!“
Dazu lassen wir Stimmen aus Afrika zu Wort kommen. Zunächst den südsudanesischen Bischof Christian Carlassare von Rumbek, der ursprünglich aus Italien stammt. Als er 2021 zum Bischof ernannt worden war, wurde zwei Tage vor dem angesetzten Weihetermin ein Attentat auf ihn verübt. Die Schüsse verletzten seine Beine schwer, doch blieb er am Leben. Dieses Schicksal spiegelt die tödlichen Machtkämpfe in Afrika wider. Zeichenhaft aber ist, dass dieser Bischof nun 200 km zu Fuß zum Papstbesuch gepilgert ist. Des Weiteren legen zwei afrikanische Priester und eine junge Afrikanerin Zeugnis von der gewaltigen Kraft des Evangeliums ab, das allein in der Lage ist, Versöhnung zu stiften und eine Zukunft zu eröffnen.
Dazu passt jetzt im Marienmonat Mai wunderbar der Blick auf Kibeho, wo sich die Gottesmutter aus dem Herzen Afrikas an die ganze Welt gewandt hat. Dieser anerkannte Erscheinungsort ist inzwischen zu einem Zentrum der Versöhnung geworden. Dort hatte die Gottesmutter den drohenden Genozid in Ruanda vorausgesagt und den Weg aufgezeigt, um Hass und Gewalt zu überwinden.
Liebe Leser, von Herzen sagen wir Ihnen Vergelt’s Gott für die Unterstützung unseres Apostolats und wünschen Ihnen einen gesegneten Marienmonat Mai und zu Pfingsten ein neues Feuer des Heiligen Geistes: Veni Sancte Spiritus, veni per Mariam!
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)
Papst Franziskus als Pilger des Friedens auf dem „Kontinent der Hoffnung“
Afrika kann die Kirche neu beleben
Christian Carlassare (geb. 1977) ist italienischer Comboni-Missionar aus Schio. 2005 wurde er in das Gebiet des heutigen Südsudans entsandt und am 8. März 2021 von Papst Franziskus zum Bischof von Rumbek ernannt. Zum Papstbesuch pilgerte er mit einer Gruppe von 60 jungen Leuten aus verschiedenen Konfessionen über 200 Kilometer zu Fuß in die Hauptstadt Juba. Dieser Friedenspilgerweg, genannt „Walking for Peace“, begann am 25. Januar. Die Fußwallfahrer legten neun Tage lang je zwanzig Kilometer zurück, hielten unterwegs bei verschiedenen christlichen Gemeinden an, um zu beten und sich auszutauschen, bis sie am 2. Februar in Juba ankamen und mit Papst Franziskus zusammentrafen.
Kirche-heute-Interview mit Bischof Christian Carlassare, Rumbek/Südsudan
Kirche heute: Exzellenz, wie haben Sie den Papstbesuch im Februar dieses Jahres erlebt?
Bischof Carlassare: Es war ein Moment der Gnade, als sich die vielen Menschen versammelten, um Papst Franziskus zu empfangen, seine Botschaft zu hören und für den Frieden im Land zu beten.
Meist stehen die Mächtigen auf den Titelseiten der Zeitungen, während die einfachen Leute im Verborgenen bleiben. Ihr Schrei bleibt oft ungehört und so auch ihre Anliegen. Während der Veranstaltungen mit dem Papst kamen viele Menschen zusammen und konnten ihrem Appell nach Veränderungen Ausdruck verleihen, ihrem sehnlichen Wunsch, dass die Versprechen, im Land Frieden und Stabilität herbeizuführen, endlich erfüllt werden. Dieser Appell wurde auch zum Gebet. Denn die Menschen sind sich voll und ganz bewusst, dass der Friede immer ein Geschenk Gottes ist.
Was hat diese Apostolische Reise von Papst Franziskus Ihrem Land gebracht?
Nach dem Verständnis der traditionellen afrikanischen Kultur bringt der Besuch einer so wichtigen Person immer einen Segen.
Es ist schwer zu sagen, ob der Papstbesuch nachhaltige Früchte der Versöhnung und des Friedens im Land bringen wird, denn der Südsudan leidet immer noch sehr unter sozialer Ungerechtigkeit. Papst Franziskus hat jedoch seinen Teil getan und dazu beigetragen, allen noch mehr bewusst zu machen, dass das Geschenk des Friedens dort Gestalt annimmt, wo wir uns gemeinsam auf den Weg der Versöhnung machen, und zwar mit gewaltlosen Mitteln. Dies ist die erste und wichtigste Frucht des Besuchs, zusammen mit der großen Ermutigung der Kirchen, im Dienst der Gerechtigkeit, des Friedens und der Versöhnung zusammenzuarbeiten, besonders im Rahmen des ökumenischen Rats der Kirchen im Südsudan (South Sudan Council of Churches).
Eine unmittelbare Wirkung des Papstbesuchs zeigte sich in den Worten des Präsidenten, der die Wiederaufnahme des Dialogs mit den Oppositionellen ankündigte, die nicht in der Regierung vertreten sind, eines Dialogs, der von der Gemeinschaft Sant‘Egidio unterstützt wird.
Die Hoffnungen gehen jedoch weit darüber hinaus. Es geht um die Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen in ihre Heimat (etwa ein Drittel der Bevölkerung), um Abrüstung und ein Ende von Ungerechtigkeiten und Gewalt im ganzen Land, um die Zusammenführung der militärischen Kräfte zu einer regulären Armee und die Begrenzung der Zahl der Rekruten, um ein Ende von Korruption und Nepotismus, um den Zugang aller zu Dienstleistungen wie zum Beispiel im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens und der Bildung (nur 20% der Kinder haben Zugang zu Grundschulbildung, 2,8 Millionen Kinder sind immer noch ohne Schule), um eine angemessene Nutzung der Ressourcen zum Aufbau einer stärkeren einheimischen Wirtschaft (es gibt so viel Armut, keine Beschäftigungsmöglichkeiten und eine sehr schwache Währung) und schließlich um den Einigungsprozess des Landes zur Überwindung ethnischer Spaltungen, um einen demokratischen Prozess und Wahlen… Ein langer Weg liegt vor uns!
Wie beurteilen Sie das Engagement von Papst Franziskus für Afrika?
Dem Papst liegt die ganze Welt am Herzen, an erster Stelle die Armen und Ausgegrenzten, denn sie sind der Schatz der Kirche. Ich glaube nicht, dass Papst Franziskus die Welt in eine erste, zweite und dritte Welt einteilt. Es ist alles ein gemeinsames Zuhause und wir sind alle Brüder und Schwestern derselben Familie. Zu Hause müssen wir denen, die schwach sind und Heilung brauchen, besondere Aufmerksamkeit schenken. Die Kirche muss dasselbe tun wie der barmherzige Samariter, den Jesus als Beispiel für jemanden herausstellt, der die Ungerechtigkeiten nicht hinnimmt, sondern leidenschaftlich an eine brüderlichere Welt durch das Engagement eines jeden von uns glaubt, unabhängig von unserer ethnischen Zugehörigkeit. Der Heilige Vater zeigt eine große Aufmerksamkeit und hört auf jene Wirklichkeiten wie den afrikanischen Kontinent, die die Kirche verjüngen und neu beleben können.
Kann Afrika als „Kontinent der Hoffnung“ bezeichnet werden? Was verbinden Sie mit diesem Ausdruck?
Ja, die Kirche blickt mit großer Hoffnung auf Afrika. Die Jugendlichen bilden die Grundlage für diese Hoffnung. In unseren europäischen Kirchen sehen wir, dass sich viele Jugendliche entfernt haben und zu den Gottesdiensten meist nur Erwachsene kommen, ja sogar oft nur ältere Menschen. In Afrika hingegen sehen wir, dass christliche Gemeinschaften hauptsächlich von Jugendlichen gebildet werden. Die Jugend ist die Hoffnung der Kirche.
Und auch die Jugend blickt mit großer Hoffnung auf die Kirche. Sie sucht nach Beachtung. Die jungen Menschen sehen, dass die Kirche auf sie zählt, ihnen Gelegenheit gibt, ihrem tiefen Wunsch nach Wahrheit Ausdruck zu verleihen und die Gesellschaft gemäß den Werten des Evangeliums umzugestalten. Natürlich sind Jugendliche auch unerfahren und brauchen Begleitung. Die Kirche in Afrika ist in diesem Sinne nicht immun gegen Fehler oder Missverständnisse. Es gibt einen großen Bedarf an Evangelisierung, Katechese und einer gesunden, wirklich im Leben verankerten Spiritualität.
Andererseits hat die Kirche auf der zweiten Afrika-Synode anerkannt, dass Afrika eine geistliche Lunge für unsere sehr säkularisierte Welt darstellt. Ich habe es leibhaftig erlebt: Mit ihrer traditionellen Einstellung widmen die Menschen in Afrika dem Glauben einen wesentlichen Teil ihres Lebens. Ihr Lebensgefühl spiegelt den Glauben von der Geburt bis zum Tod durch alle freudigen oder traurigen Erfahrungen wider. Die Menschen in Europa mögen diese Haltung als rückständig beurteilen oder irgendwie als vorwissenschaftliche betrachten. Stattdessen kann Afrika der Welt helfen, die richtige Beziehung zwischen Vernunft und Glauben zu finden. Glaube ohne Vernunft ist blind, aber Vernunft ohne Glauben ist gelähmt. Afrika zeigt große Offenheit, den Glauben in alle Lebensbereiche und das gesellschaftliche Miteinander zu integrieren.
Darüber hinaus kann Afrika dazu beitragen, den sterilen Individualismus zeitgenössischer westlicher Kulturen zu überwinden. Die afrikanische Identität ist demgegenüber viel gemeinschaftlicher. Dies ist so schön in der Ubuntu-Philosophie ausgedrückt: „Ich bin, weil wir sind.“ Dieser Gedanke wurzelt in dem, was wir eine relationale Form der Persönlichkeit nennen können, was im Grunde bedeutet, dass wir diejenigen, die wir sind, aufgrund der anderen sind. Und andere sind, wer sie sind, wegen uns. Es besteht eine Teilhabe an allem, was in der Welt ist und geschieht. Niemand ist neutral. Wir sind verantwortlich für alle Errungenschaften, aber auch für alle Leiden und Ungerechtigkeiten, die es in irgendeiner Ecke der Welt gibt. Wir können nicht in Frieden sein, solange auch nur eine Person an Hunger stirbt, egal wie weit sie von uns entfernt sein mag. Ich denke, dieses Konzept ist gerade in der Enzyklika von Papst Franziskus über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft präsent: „Fratelli tutti“. Die Menschen dürsten so sehr danach, diese Lehre in die Praxis umzusetzen.
Wie sehen Sie die Zukunft der katholischen Kirche in Afrika?
Es ist schwer zu sagen. Ich denke, dass wir uns alle auf einer Reise befinden, und wir müssen standhaft in Treue mit Christus weitergehen. Bislang haben wir das Empfinden, dass die Kirche in Afrika hauptsächlich empfangen hat, aber wir werden eine afrikanische Kirche sehen, die aktiver sein wird, bereit, der Welt mehr zu geben.
Welchen Rat würden Sie den Gläubigen in Europa geben?
Verlieren wir niemals die Hoffnung und spielen wir nicht die Besiegten. In Europa sollten wir uns nicht von Zahlen verwirren lassen, sondern wieder zum Kern des Christentums und des Evangeliums vordringen. Verschließen wir uns nie in unserer glorreichen Vergangenheit oder in unseren alten Kirchen und Institutionen, sondern entdecken wir die missionarische Dimension des Kircheseins neu: als kleine Hefe im großen Teig. Wenn wir wirklich Christen sind, wird die Gesellschaft die Rolle zu schätzen wissen, die wir haben werden, um wachsende Spannungen und Nationalismen zu überwinden und Gemeinschaft und Solidarität zu fördern. Gleichzeitig sollten Christen in der Lage sein, einen Relativismus und einen Konsumismus anzuprangern, welche die menschliche Würde leugnen, um die Menschen wirklich frei zu machen, um auf Gottes Ruf zu antworten und sich für eine brüderlichere Welt einzusetzen.
Die Fragen stellte Pfr. Erich M. Fink.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2023
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„Ich habe meinen Peinigern vergeben“
Ergreifendes Zeugnis aus Nigeria
Am 8. März 2023, dem Weltfrauentag, begrüßte Papst Franziskus bei der Generalaudienz auf dem Petersplatz die beiden nigerianischen Christinnen Maryamu Joseph (19) und Janada Marcus (22) und erteilte ihnen den Segen. Außerdem wurden sie von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und von Außenminister Antonio Tajani empfangen. Beide hatten durch die Terroreinheit Boko Haram schwere Misshandlungen erfahren und berichteten von ihrem Schicksal. Im Gespräch mit „Kirche in Not“ legte Janada Marcus ein bewegendes Zeugnis ab. Als 17-jährige erlebte sie die Ermordung ihres Vaters, zwei Jahre später wurde sie entführt und missbraucht. Doch in einem katholischen Trauma-Zentrum fand sie Hilfe. Ihr Leben zeigt, wie der christliche Glaube, der zu selbstloser Vergebung befähigt, dem krisengeschüttelten afrikanischen Kontinent einen Weg in die Zukunft eröffnen kann.
Kirche-in-Not-Interview mit Janada Marcus, Nigeria
Janada, Ihre Familie war bereits zweimal vor Boko Haram geflohen, als sie sich in Maiduguri in Nordnigeria niederließ. Was geschah dann?
Mein Vater hatte ein Stück Land in der Nähe von Maiduguri gekauft und wir waren froh, dass der Albtraum der Flucht vorbei war. Aber dann kam der 20. Oktober 2018 – der Tag, an dem die Sonne aus unserem Leben verschwand.
Was passierte?
Wir waren gerade bei der Arbeit auf unserem Bauernhof und sangen Lieder. Plötzlich waren wir von Männern von Boko Haram umzingelt. Sie richteten eine Machete auf meinen Vater. Sie sagten ihm, sie würden uns freilassen, wenn er mit mir Sex hätte. Während die Machete auf die Stirn meines Vaters zielte, sah er mich und meine Mutter an. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen. Ich schämte mich für das, was die Männer vorgeschlagen hatten.
Wie reagierte Ihr Vater?
Er senkte den Kopf und antwortete: „Ich kann nicht mit meiner eigenen Tochter schlafen. Lieber sterbe ich, als so eine Gräueltat zu begehen.“ Da nahm einer der Männer die Machete und enthauptete meinen Vater. Ich flehte Gott an, auch mein Leben zu nehmen. Ich war schon eine lebendige Tote.
Sie haben diesen Angriff überlebt. Aber das war noch nicht das Ende des Schreckens …
Zwei Jahre später, im November 2020, war ich auf dem Weg zu einer Behörde, als ich erneut von Boko-Haram-Kämpfern überfallen wurde. Sie verschleppten mich und folterten mich, sechs Tage lang. Es kam mir wie sechs Jahre vor. Ich kann nicht beschreiben, was ich erlebt habe. Dann ließen sie mich frei. Ich ging zurück zu meiner Mutter. Sie brachte mich dann ins Trauma-Zentrum der katholischen Diözese Maiduguri.
Wie war es im Trauma-Zentrum?
Ich wurde erstmal zur Untersuchung in ein Krankenhaus gebracht. Es folgte ein halbes Jahr mit intensiven Therapiegesprächen und geistlicher Betreuung. Ich habe gelernt, meine Vergangenheit zu verarbeiten – die Kunst, heil zu werden, indem ich meinen Schmerz loslasse. Mein Glaube ist stärker geworden. Inzwischen bin ich wieder auf den Beinen und habe mich jetzt in einer weiterführenden Schule eingeschrieben.
Sie sagen, Ihr Glaube sei stärker geworden. Was meinen Sie damit?
Meine schrecklichen Erfahrungen haben mich erst von Gott weggeführt. Ich fragte: Wo war Gott, als mein Vater getötet wurde? Wo war er, als ich Folter und Qualen durchleben musste? Nach meinem Heilungsprozess weiß ich, dass Gott auch im Leid da ist. Boko Haram hat mir so Schlimmes angetan. Ich kann selbst nicht glauben, dass ich das sage: Aber ich haben meinen Peinigern vergeben und bete für die Erlösung ihrer Seelen.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2023
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Mariathon 2023 für die Evangelisierung in Afrika
„Ein Radio, eine Mission!“
Der sog. „Mariathon“ ist bereits zu einer festen Tradition der Radio Maria Weltfamilie geworden. Gemeint ist ein Spenden-Marathon, den Radio Horeb für den Aufbau von Radiostationen und die Unterstützung des Sendebetriebs vor allem in Afrika durchführt. Diakon Michael Wielath stellt die Aktion, die vom 5. bis 7. Mai 2023 stattfindet, kurz vor.
Von Michael Wielath
Der diesjährige Mariathon bei Radio Horeb steht unter dem Motto „Ein Radio, eine Mission!“ Als Hörerfamilie sind wir miteinander verbunden, indem wir gemeinsam den Glauben teilen und uns im Gebet tragen. Wir leben als Gemeinschaft die Freude im Glauben und haben in schweren Zeiten eine Hoffnung, die uns trägt. Als Teil der Radio Maria Weltfamilie haben wir auch die Länder und Regionen im Blick, in denen es den Menschen durch verschiedene Umstände wie Krieg oder Hunger weitaus schlechter geht als uns. Eine großartige Möglichkeit, diesen zu helfen, ist der Mariathon.
In diesem Jahr widmen wir uns schwerpunktmäßig Projekten in Nigeria und in der Demokratischen Republik Kongo – zwei Länder, die wir auch schon in den vergangenen Jahren unterstützt haben. Daneben sammeln wir auch für Radio Maria in Ruanda, Malawi, Belarus, Bosnien und Herzegowina, Russland und in der Ukraine.
In den letzten Jahren durfte ich einige afrikanische Länder besuchen und mir ein Bild von den Projekten machen, die durch unsere großzügige Unterstützung finanziert werden konnten und die auch neue Arbeitsplätze vor Ort geschaffen haben.
Im direkten Austausch mit dem Programmdirektor von Radio Maria in der Demokratischen Republik Kongo, Pater Adeodatus Muhigi, der in der Region des nördlichen Kiwusees in Goma lebt, erhielt ich einen bewegenden Eindruck von der Arbeit dort. Diese Region, die geprägt ist durch Bürgerkrieg, den Vulkanausbruch 2021 sowie Überschwemmungen in der Regenzeit, stand auch beim Besuch von Papst Franziskus im Fokus. Radio Maria ist dort ein wichtiger Pfeiler des Gebetes, des Friedens und der Information. So haben die Einwohner die Möglichkeit, an der Liturgie der Kirche über das Radio teilzunehmen. Versöhnung und Frieden wird im Radio verkündet und gelebt, indem Menschen Zeugnis von ihrem eigenen Versöhnungsweg geben. Schließlich finden Familienmitglieder über das Radio wieder zusammen, die aufgrund der politischen Unruhen geflüchtet sind und im ganzen Land verstreut leben.
Neben den Gästen aus der Weltfamilie von Radio Maria wird auch Erzbischof Ignatius Ayau Kaigama aus Abuja in Nigeria während der Tage des Mariathon vom 5. bis 7. Mai in Balderschwang sein und uns über seine Nation berichten. Nigeria ist mit über 210 Millionen Einwohnern das mit Abstand bevölkerungsreichste Land Afrikas. Ein besonderes Erlebnis war für mich der Besuch in Nigeria im Mai 2022. Während der Gottesdienste war ich überwältigt von der Lebensfreude der dortigen Einwohner trotz ihrer schwierigen Lebensumstände. In der persönlichen Begegnung mit den Menschen wurde klar, dass der Glaube an Jesus Christus ihnen eine starke Hoffnung vermittelt sowie Freude über die Gegenwart Gottes im persönlichen Lebensalltag. Dieses tragfähige Fundament kann auch uns eine Einladung sein, in den Krisen dieser Zeit unser Leben immer tiefer im Glauben an Jesus Christus zu verwurzeln. Leben wir die Freude des Evangeliums und werden wir missionarische Menschen im Sinn des Apostels Paulus: „Ich kann ja gar nicht anders – weh mir, wenn ich sie nicht weitergebe!“ (1 Kor 9,16).
Lassen Sie sich bewegen und seien Sie mit dabei beim Mariathon 2023, wenn wir wieder Weltkirche erleben, denn wir sind ein Radio und haben eine Mission! Genauere Informationen und Bilder finden Sie auf unserer Homepage www.horeb.org
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2023
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Historischer Besuch im Kongo und Südsudan
Papst bringt Hoffnung und Ermutigung
Geboren und aufgewachsen ist Father John Gbemboyo in einem Flüchtlingscamp. Inzwischen wurde er zum Sekretär der katholischen Bischofskonferenz im Sudan und Südsudan berufen. Als eigener Staat existiert der Südsudan erst seit 2011, nachdem es auf der Grundlage eines Referendums seine Unabhängigkeit vom Sudan erklärt hatte. Doch diese jüngste Nation der Welt wird seit 2013 von einem blutigen Bürgerkrieg heimgesucht, dem bereits mehr als 400.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Obwohl 2018 durch ein Friedensabkommen eine Einheitsregierung geschaffen werden konnte, wurden einige seiner wichtigsten Bestimmungen nicht umgesetzt. So gehen die ethnisch bedingten Auseinandersetzungen weiter. Über 60 Prozent der Bevölkerung des Südsudans sind Christen, die hauptsächlich der katholischen Kirche, aber auch anglikanischen und presbyterianischen Traditionen angehören. Father John Gbemboyo blickt in seinem Beitrag auf den Papstbesuch im Kongo und Südsudan zurück, den er als „historisch“ bezeichnet.
Von John Gbemboyo
Papst Franziskus hat der Demokratischen Republik Kongo und der Republik Südsudan vom 30. Januar bis 5. Februar 2023 einen historischen Besuch abgestattet. Die Apostolische Reise war ursprünglich für Juli 2022 geplant. Aufgrund seines angeschlagenen Gesundheitszustands konnte der Heilige Vater die Reise letztes Jahr jedoch nicht antreten und musste sie auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.
Zwei krisengeschüttelte Länder
In beiden Ländern, die seit vielen Jahren unter internen Konflikten leiden, wurde Papst Franziskus herzlich aufgenommen.
Die Demokratische Republik Kongo ist bekannt für ihren Reichtum an Bodenschätzen. Doch viele reiche und entwickelte Nationen haben sich darangemacht, das Land regelrecht zu durchwühlen und auszubeuten, wobei sie der armen Bevölkerung kaum Beachtung schenken.
Die Republik Südsudan erklärte nach einem Referendum im Jahr 2011 ihre Unabhängigkeit vom Sudan. Drei Jahre später stürzte sie aufgrund von Machtkämpfen und Misswirtschaft im Umgang mit den Ressourcen des Landes in einen Bürgerkrieg. Dabei erlebte das Land massenhafte Vertreibungen, Morde und Zerstörungen von Eigentum.
Der Heilige Vater erklärte in beiden Ländern, sein Besuch sei eine Pilgerreise der Versöhnung und des Friedens.
Kongo: „Die Ausbeutung Afrikas muss aufhören!“
Im Kongo verwendete Papst Franziskus das Bild des Diamanten, eines Minerals, das im Land zahlreich zu finden ist. Darauf Bezug nehmend rief das Oberhaupt der katholischen Kirche den Menschen zu: „Steh wieder auf, nimm wie einen reinen Diamanten in deine Hände zurück, was du bist, deine Würde und deine Berufung, die Heimat, die du bewohnst, in Harmonie und Frieden zu bewahren. Lebe von Neuem im Geist deiner Nationalhymne, träume davon und setze ihre Worte in die Tat um!“ Und er fügte hinzu, indem er aus der Hymne das Wort zitierte: „Durch harte Arbeit werden wir ein Land aufbauen, das schöner ist als zuvor; in Frieden!“
Seine Heiligkeit Papst Franziskus nutzte die Gelegenheit, um auch die reichen Länder, die die Ressourcen in Afrika ausbeuten, aufzufordern: „Hände weg von der Demokratischen Republik Kongo, Hände weg von Afrika! Die Erstickung Afrikas muss aufhören: es ist kein Bergwerk, das ausgebeutet, und kein Boden, der zur Plünderung freigegeben ist. Afrika möge selbst der Protagonist seines Schicksals sein!“ Sein Besuch wurde in der Tat als ein Augenblick der Hoffnung für die Kongolesen empfunden, einem Volk, dem Entwicklung und gebührende Fürsorge verweigert worden sind. Viele Länder der westlichen Welt sowie Asien plündern das an Bodenschätzen reiche Land weiterhin aus. In seiner Ansprache an die Zivilbehörden von Kinshasa betonte Papst Franziskus: „Dieses Land und dieser Kontinent verdienen es, respektiert und angehört zu werden, sie verdienen Raum und Aufmerksamkeit.“
Südsudan: „Wir haben den Schrei eines ganzen Volkes gehört!“
Während seines Aufenthalts in der südsudanesischen Hauptstadt Juba hielt Papst Franziskus in Begleitung des Erzbischofs von Canterbury, Justin Welby, und des Moderators der Generalversammlung der Kirche von Schottland, Iain Greenshields, seine erste Rede im Garten des Präsidentenpalasts. Der Besuch dieser drei kirchlichen Führer auf Weltebene war das Ergebnis der Exerzitien, die im Vatikan für die politischen Führer des Südsudan im April 2019 zustande gebracht werden konnten. Bei diesen Exerzitien war Papst Franziskus in Demut niedergekniet, um die Füße der politischen Führer zu küssen, einschließlich des Präsidenten der Republik Südsudan, Salva Kiir Mayardit. Im Anschluss an diese Geste hatte der Papst die Verantwortungsträger zu Frieden und zu einem Geist der Zusammenarbeit zum Wohle ihres Volkes aufgerufen.
In seiner an die Nation gerichteten Eröffnungsrede sagte Franziskus: „Wir haben diese ökumenische Pilgerreise des Friedens unternommen, nachdem wir den Schrei eines ganzen Volkes gehört haben, das mit großer Würde die Gewalt beklagt, die es erleidet, den ständigen Mangel an Sicherheit, die Armut, von der es betroffen ist, und die Naturkatastrophen, die wüten. Jahre der Kriege und Konflikte scheinen kein Ende zu nehmen, und auch in jüngster Zeit, ja selbst gestern, ist es zu erbitterten Zusammenstößen gekommen.“ Genau einen Tag vor der Ankunft von Papst Franziskus mit der ihn begleitenden Delegation in Juba kam es im Landkreis Kajokeji im Bundesstaat Central Equatoria (155 km südlich von Juba) zu einem Angriff, bei dem etwa 21 Menschen kaltblütig und brutal getötet wurden.
„Lassen wir die Zeit des Krieges hinter uns!“
Der Heilige Vater richtete einen eindringlichen Appell an die politischen Führer, in dem er sie an die in Rom abgehaltenen Gebete erinnerte und sie erneut anflehte: „Im Namen Gottes – des Gottes, zu dem wir gemeinsam in Rom gebetet haben, des sanftmütigen und demütigen Gottes (vgl. Mt 11, 29), an den so viele Menschen in diesem geliebten Land glauben – ist es an der Zeit „Nicht weiter“ zu sagen, ohne „wenn“ und „aber“: nicht weiter mit dem Blutvergießen, nicht weiter mit den Konflikten, nicht weiter mit der Gewalttätigkeit und den gegenseitigen Anklagen und Schuldzuweisungen, lasst das Volk nicht weiter nach Frieden dürsten. Nicht weiter mit der Zerstörung, es ist die Stunde des Aufbauens! Lassen wir die Zeit des Krieges hinter uns und eine Zeit des Friedens heraufziehen!“
In einer fast halbstündigen Rede ermutigte Papst Franziskus die Regierung, ein wahres „republikanisches“ Umfeld zu schaffen, welches erfordere, die primären Güter zu nutzen, also die reichlich vorhandenen Ressourcen, mit denen Gott dieses Land gesegnet habe. Sie sollten nicht auf Wenige beschränkt bleiben, sondern als Vermächtnis aller anerkannt werden. Und die Pläne für einen wirtschaftlichen Aufschwung sollten den Forderungen nach einer gerechten Verteilung des Reichtums entsprechen. Er betonte die Tatsache, dass sich die Geschichte immer an gute Führungskräfte aufgrund ihrer guten Arbeit oder Führung erinnert: „Die ‚Söhne und Töchter‘ und die Geschichte selbst werden sich an euch erinnern, wenn ihr dieser Bevölkerung, die euch anvertraut wurde, damit ihr ihr dient, Gutes getan habt. Die künftigen Generationen werden die Erinnerung an eure Namen auf der Grundlage dessen, was ihr jetzt tut, ehren oder auslöschen.“
„Das Land braucht keine zusätzlichen Todesinstrumente!“
Die politischen und kriegführenden Parteien im Südsudan hatten 2018 ein neu belebtes Friedensabkommen unterzeichnet, das das Land auf Wahlen im Februar 2023 vorbereiten sollte. Seitdem wurden kaum Fortschritte erzielt und die Gangart zur Umsetzung wurde nicht eingehalten. Es gibt auch Holdout-Gruppen, die das Friedensabkommen nicht unterzeichnet haben. Die internationale Gemeinschaft hat inzwischen ein Waffenembargo gegen den Südsudan erlassen. Trotz dieser Bemühungen gibt es immer noch Länder, welche die Einfuhr von Waffen in das Land begünstigen. Papst Franziskus forderte zur Kontrolle des Waffenflusses in das Land auf: „Zuallererst muss die Ankunft von Waffen eingedämmt werden, die trotz der Verbote weiterhin in viele Länder der Region und auch in den Südsudan gelangen: Hier wird vieles gebraucht, aber sicher keine zusätzlichen Todesinstrumente. Weitere Dämme sind unerlässlich, um den Verlauf des gesellschaftlichen Lebens zu gewährleisten.“
Der Heilige Vater ermutigt zu einer raschen Umsetzung des Friedensabkommens unter Einhaltung des von der südsudanesischen Regierung der nationalen Einheit aufgestellten Fahrplans, um friedliche und demokratische Wahlen am Ende der inzwischen verlängerten Vorbereitungszeit zu organisieren.
„Die Kirche muss ihre Stimme gegen Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch erheben!“
Für Papst Franziskus war es eine Gelegenheit, den christlichen Gemeinschaften Mut zu machen, besonders bei seinem Treffen mit den Bischöfen, Priestern, Ordensleuten und Seminaristen in der St. Theresa-Kathedrale der Erzdiözese Juba. Dabei verwies er auf das Beispiel von Moses, der von Gott auserwählt worden war, um die Menschen aus Ägypten herauszuführen. Er fügte hinzu, dass Moses ein Mann der Fürsprache, der Führer und der Gebete gewesen sei. Im gleichen Sinn forderte Papst Franziskus die Kirchenführer auf, sich ihrer Rolle bewusst zu sein: „Brüder und Schwestern, um Fürsprecher unseres Volkes zu sein, sind wir auch dazu aufgerufen, unsere Stimme gegen Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch zu erheben, die die Menschen unterdrücken und sich der Gewalt bedienen, um im Schatten der Konflikte Geschäfte zu machen. Wenn wir Hirten sein wollen, die für die Menschen eintreten, können wir angesichts des Schmerzes, der durch Ungerechtigkeit und Gewalt verursacht wird, nicht neutral bleiben, denn wo eine Frau oder ein Mann in ihren Grundrechten verletzt werden, wird Christus selbst verletzt.“ Und der Papst unterstrich, alle hätten die Verantwortung, Gerechtigkeit, Versöhnung und Frieden zu fördern.
Ein Besuch der Hoffnung und Ermutigung
Der Besuch war Hoffnung und Ermutigung für die Menschen in beiden Ländern, in der Demokratischen Republik Kongo wie im Südsudan. Es bleibt eine Herausforderung für die politischen Führer und das Volk, die Früchte des historischen Besuchs zu ernten. Beim Abschluss der Heiligen Messe, die am 5. Februar 2023 in Juba gefeiert wurde, versprach Papst Franziskus, die südsudanesischen Führer und Menschen weiterhin bei ihrer Suche nach wahrem Frieden zu begleiten.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)
Aufarbeitung des nationalen Traumas in Ruanda
Versöhnungsarbeit nach dem Genozid
Was 1994 in Ruanda passiert ist, bleibt ein abgrundtiefes Geheimnis. Wie konnte es in einem überwiegend katholischen Land zu einem Genozid mit fast einer Million Todesopfern kommen? Vom 7. April bis 15. Juli brachten Angehörige der Hutu-Mehrheit etwa 75 Prozent der in Ruanda lebenden Tutsi-Minderheit um. Aber auch Hutu, die sich dem Gräuel widersetzten, wurden getötet. Etwa 200.000 Hutu beteiligten sich an diesem bestialischen Morden. Sie kamen aus den Reihen der Armee, der Polizei, verschiedener Milizen, aber eben auch aus der Hutu-Zivilbevölkerung.
Die Aufarbeitung dieses nationalen Traumas ist ein langwieriger Prozess, der bis in unsere Tage andauert. Die Kirche hilft bei der Resozialisierung von Häftlingen, die wegen der Beteiligung am Völkermord verurteilt worden sind. Noch heute sind viele von ihnen inhaftiert. Pater Théogène Ngoboka ist Leiter der Diözesankommission für Gerechtigkeit und Frieden in Cyangugu und auch verantwortlich für die Gefängnisseelsorge in der Haftanstalt von Rusizi. Dort befinden sich unter den 3850 Häftlingen derzeit noch 1300 wegen Völkermordes verurteilte Männer. Mit P. Ngoboka sprach Agnès Sebaux, Mitarbeiterin des weltweiten katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“, bei einem Besuch in Ruanda. Dieses Jahr fiel der „Internationale Tag des Gedenkens an den Völkermord von 1994 an den Tutsi in Ruanda“, der jeweils am 7. April begangen wird, auf den Karfreitag.
Kirche-in-Not-Interview mit Théogène Ngoboka, Ruanda
Kirche in Not: Pater Ngoboka, Sie arbeiten als Seelsorger in der Haftanstalt von Rusizi. Ein großer Teil der Gefangenen hat sich am Völkermord im Jahr 1994 schuldig gemacht. Wie sind diese Leute verurteilt worden?
Ngoboka: Sie wurden von sog. Gacaca-Gerichten verurteilt. Das sind traditionelle Volksgerichte, die aus den Dorfältesten gebildeten werden. „Gacaca“ bedeutet in der ruandischen Sprache Kinyarwanda „weiches Gras“. Es ist der Ort, an dem man sich versammelt. Ursprünglich ermöglichten die Gacaca-Gerichte die Bereinigung von Streitigkeiten zwischen Nachbarn oder Familienmitgliedern. Es handelte sich um eine Versammlung der Dorfbewohner unter dem Vorsitz der Dorfältesten, bei der jeder um das Wort bitten durfte. Diese Gacaca-Gerichte wurden wieder ins Leben gerufen, um die erforderlichen Gerichtsverfahren einiger 100.000 Menschen zu beschleunigen, die beschuldigt wurden, am Völkermord beteiligt gewesen zu sein.
Die Männer, die 29 Jahre später immer noch im Gefängnis sitzen, sind diejenigen, die die ihnen angelasteten Taten nicht gestehen und zugeben wollten, oder diejenigen, die in mehreren Bereichen Verbrechen begangen haben und deren Strafen kumuliert wurden, oder auch die Männer, die diesen Völkermord predigten und die Befehle erteilten.
Worin besteht Ihre Aufgabe als Gefängnisseelsorger?
Ich habe ein ständiges Besuchsrecht. Zusammen mit den Freiwilligen, die in der Kommission für Gerechtigkeit und Frieden arbeiten, helfe ich den Häftlingen, die bald freigelassen werden, bei der Vorbereitung ihrer Entlassung. Tatsächlich ist es so, dass sie zwar gegenüber dem Gesetz ihre Strafe verbüßt haben können, doch die Gesellschaft wird sie weiterhin verurteilen. Ich erkläre den Häftlingen, dass es wichtig und notwendig ist, sich mit der Gemeinschaft zu versöhnen.
Wie helfen Sie diesen Menschen?
Es handelt sich hierbei um einen langwierigen Prozess der Begleitung der Gefangenen und auch der Gemeinschaft, in die sie zurückkehren werden, um sich dort niederzulassen. Sie müssen den Weg der Versöhnung gemeinsam gehen.
Zuerst bereiten wir die Häftlinge auf diesen Weg vor. Wir klären sie darüber auf, dass es notwendig ist, um Vergebung zu bitten. „Die Gemeinschaft hat immer noch etwas gegen Sie. Sind Sie bereit, Ihre Taten zu gestehen, die Gemeinschaft um Vergebung zu bitten? Wir verpflichten uns dazu, als Vermittler zwischen Ihnen und den Überlebenden einzutreten.“ Wenn diese Häftlinge dazu bereit sind, diesen Weg zu gehen, schreiben sie an alle Menschen, die sie um Vergebung bitten wollen, einen Brief. Sie verpflichten sich dazu, ihr Verhalten zu ändern und drücken ihren Wunsch aus, harmonisch mit der Gemeinschaft zusammenzuleben. Die Leitung der Haftanstalt unterschreibt diese Briefe, um ihre Echtheit zu beglaubigen.
Die Briefe werden den überlebenden Familienangehörigen dann durch Priester oder die freiwilligen Helfer den betreffenden Kirchengemeinden überbracht. Diese übernehmen auch die Aufgabe, die Absicht des Häftlings zu erklären. Dann entsteht ein Dialog, um die Gültigkeit der Aussagen zu überprüfen. So gibt es beispielsweise Briefe, in denen alle Informationen stehen. In anderen Briefen sind sie nicht vollständig. Die Opfer führen dann andere Fakten auf. Die Kommission übernimmt es, all diese fehlenden Informationen festzuhalten und an den Häftling zurückzuschicken. Wir arbeiten als Vermittler, damit die Wahrheit ans Licht kommt.
Und was passiert, wenn die Wahrheit ans Licht gekommen ist?
Wenn der Überlebende bestätigt, dass der Brief wirklich vollständig ist, dann wird ihm vorgeschlagen, in die Haftanstalt zu kommen, um sich mit dem Häftling auszutauschen. Es gibt jeden Monat einen Tag, an dem wir diese Besuche mit dem Sozialdienst der Haftanstalt organisieren. Wir sind dabei immer Vermittler und nehmen an diesem Treffen teil. Wir vereinfachen den Austausch. Dabei kommen starke Gefühle hoch.
Wenn danach die Vergebung gewährt und akzeptiert wird, muss sie auf die Familienmitglieder ausgeweitet werden. Die Vergebung muss von der ganzen Familie akzeptiert werden, sowohl von den Familienmitgliedern des Überlebenden als auch von den Familienmitgliedern des Häftlings.
Wir arbeiten auch innerhalb der Gemeinschaft selbst. Wir organisieren auf der einen Seite Treffen mit den Überlebenden, und auf der anderen Seite mit den Familien der Häftlinge. Anschließend bringen wir beide Seiten zusammen. Die meisten dieser Menschen sind gläubig, und innerhalb dieses Prozesses der Vergebung spielt der Glaube eine maßgebliche Rolle. Alle unsere Begegnungen finden um das Wort Gottes herum statt, in welchem wir Vorbilder für Vergebung finden. Wir beten und tauschen uns über diese Bibeltexte aus, die zeigen, wie sehr die Vergebung befreit. Wir laden auch Menschen ein, die diesen Vergebungsprozess bereits hinter sich haben, damit sie von ihren Erfahrungen berichten. Das ermutigt die anderen. Wenn die Häftlinge dann freigelassen werden, kommen sie in eine Gemeinschaft, die vorbereitet wurde.
Das ist ein langwieriger Prozess…
Ja, und deshalb beginnen wir damit drei Jahre vor der Entlassung. Auch wenn der Häftling freigelassen wurde, ist der Prozess noch nicht abgeschlossen. Wir verpflichten uns dazu, den Weg noch mindestens sechs Monate lang weiterzugehen, damit Häftlinge und Opfer ihre Angst überwinden können. Wir organisieren Begegnungen um das Wort Gottes herum, gemeinschaftliche Tätigkeiten, die es ermöglichen, zusammenzuarbeiten, auf dem Feld oder beim Hausbau… Wir bitten sie, sich zu besuchen. Versöhnung geschieht nicht automatisch. Vertrauen muss aufgebaut werden. Es ist ein langwieriger Weg.
Wir organisieren ebenfalls Pilgerfahrten zum Marienerscheinungsort Kibeho. Dorthin laden wir kleine Gruppen aus den verschiedenen Pfarreien ein. Jeder erzählt dann, welchen Weg er gegangen ist. Man tauscht sich aus. Jeder bestärkt sich selbst auf seinem Weg der Vergebung. – Nach sechs Monaten versucht die Kommission Gerechtigkeit und Frieden, den Stand der Versöhnung einzuschätzen. Die freiwilligen Helfer, die die Beteiligten begleiten, teilen ihre Sichtweise bezüglich des Prozesses und der durchgeführten gemeinsamen Aktivitäten mit.
Wenn dieser Prozess erfolgreich verlaufen ist, organisiert die Kirche einen offiziellen Tag der Einheit und der Versöhnung. Die Häftlinge werden in der Kirche empfangen und bitten offiziell um Vergebung. Sie gestehen in der Öffentlichkeit, was sie getan haben, und bitten um Vergebung. Auch die Opfer sprechen öffentlich ihre Vergebung aus.
Welchen Schwierigkeiten begegnen Sie dabei?
Dieses Verfahren erfordert riesige Anstrengungen. Sogar 29 Jahre später sind die Verletzungen immer noch spürbar. Manche Menschen wollen nicht wieder mit den Wunden konfrontiert werden, weil sie gerade begonnen haben, zu verheilen… Damit diese Versöhnung überhaupt Aussicht auf Erfolg hat, muss das Opfer von der Aufrichtigkeit der Bitte um Vergebung überzeugt sein, und es müssen sämtliche begangenen Taten aufgedeckt werden. Zahlreiche Opfer können immer noch nicht um ihre Angehörigen trauern, weil sie nicht wissen, wo sich deren Leichen befinden. Sie erwarten von den Henkern, den Ort ihres Verbrechens zu erfahren.
Auch für den ehemaligen Häftling ist es sehr schwer. Manche der Häftlinge sagen uns: „Draußen ist es schlimmer als im Gefängnis: Meine Frau führt nun ein neues Leben, mit einem anderen Mann. Ich habe Angst, den Mitgliedern der Familie zu begegnen, deren Angehörige ich getötet habe. Wie kann ich in die Kirche gehen, wo ich Morde begangen habe?“
Eine weitere Schwierigkeit beruht darin, dass nicht alle Mitglieder der Opferfamilie Vergebung aussprechen wollen wie der Rest der Familie. Es ist notwendig, den Rhythmus jedes Einzelnen zu respektieren und ihn auf diesem Weg zu begleiten.
Manche der Häftlinge geben die ihnen angelasteten Verbrechen nicht zu. Gibt es eine Unschuldsvermutung?
Bei der Verurteilung der Mehrheit der am Völkermord beteiligten Menschen waren die Gacaca-Gerichte eine sehr große Unterstützung, doch diese von den Dorfältesten gehaltenen Gerichte hatten auch ihre Grenzen. Wenn es nicht genügend Beweise gab, konnte es sein, dass jemand, auch wenn er behauptete, er sei unschuldig, verurteilt wurde. Im Zuge unserer Arbeit begegnen uns Häftlinge, die zu Unrecht angeklagt und inhaftiert wurden. Es kann zum Beispiel sein, dass Häftlinge zugeben, dass sie geplündert, aber nicht getötet haben. So erhoben einige Überlebende unter dem Eindruck ihrer Gefühle oder aufgrund von Rachegelüsten falsche Anschuldigungen. Wenn jedoch das Gerichtsurteil ausgesprochen wurde, ist es schwierig, die Zeit zurückzudrehen.
Haben Sie solche Häftlinge begleitet, um sie auf ihre Entlassung aus der Haft vorzubereiten?
Ja, das gab es. Ich erklärte ihnen, dass die Versöhnung auf Wahrheit, der Bitte um Vergebung und der Annahme der Vergebung beruht. Jeder Fall ist einzigartig. Wir müssen hier zuhören, unterscheiden und versuchen, die Wahrheit darüber herauszufinden, was wirklich passiert ist.
Können Sie von einem Beispiel berichten, wie eine solche Versöhnung verlaufen ist?
Ja, zum Beispiel die Versöhnung von Herman H. und Gaston N. aus Mibirizi. Während des Völkermordes an den Tutsis war Herman für die Verwaltungszelle verantwortlich, und er hat zahlreiche Menschen getötet. Da er vor dem Gacaca-Gericht seine große Verantwortung in diesem Völkermord zugab, wurde das erste Urteil, das für ihn die Todesstrafe vorsah, in eine Haftstrafe von 25 Jahren umgewandelt. Anlässlich des offiziellen Tages der Einheit und der Versöhnung berichtete Herman folgendes:
„Als ich herauskam, sah ich in meinem Leben keinen Sinn mehr. Ich war verstört. Ich konnte weder in den Gottesdienst, noch auf den Markt gehen. Ich wollte einfach nur bei mir zu Hause eingeschlossen bleiben. Hätte man mich vor die Wahl gestellt, wäre es mir damals lieber gewesen, ins Gefängnis zurückzukehren, anstatt so zu leben. Pater Clément, der Priester meiner Gemeinde, gab bekannt, dass er sich mit freigelassenen ehemaligen Häftlingen und ihren Familienmitgliedern treffen wollte. Er kam zu mir nach Hause. Mit ihm zusammen habe ich diesen Prozess begonnen, der nicht einfach war. Doch Pater Clément blieb weiterhin an meiner Seite, bis ich Gaston N. gegenübertreten konnte, dem Oberhaupt der großen Familie, die ich umgebracht habe. Ich bat ihn um Verzeihung und er hat mir verziehen.“
Gaston N. wiederum hat weder sein Martyrium noch alle Folterungen durch Herman H. vergessen. Die Narben, die er davontrug, sind heute noch sichtbar. Er verweilte lange im Hass, vermischt mit seiner Traumatisierung. Durch die Begleitung der psychosozialen Betreuer der Kommission ist es ihm gelungen, den Prozess der Vergebung anzugehen. Er sagte, dass sein Herz wirklich befreit worden sei und er Herman aufrichtig Vergebung gewährt habe. Heute leben sie gut. Zwischen ihnen gibt es weder Vorurteile noch Verdächtigungen.
Glauben Sie, dass dieser Versöhnungsprozess ohne die Hilfe von Gott möglich wäre?
Nein! Vergebung ist ein Wunder, ein Geschenk Gottes… Wenn Sie all die Gräueltaten hören, die begangen wurden… Vergebung ist eine gottgegebene Kraft.
Im Jahr 2023 ist das Gedenken an den Völkermord mit der Feier des Karfreitags zusammengefallen. Ist das ein Zeichen für Sie?
Ja, sicher, es ist ein deutliches Zeichen, dass Gott in unseren schmerzlichen Momenten bei uns ist. Während des Völkermords fragten sich viele Ruander, die sehr religiös waren, wo Gott sei, vor allem weil ein sehr bekanntes ruandisches Sprichwort sagt: „Gott verbringt den Tag in anderen Ländern und kommt immer zurück, um die Nacht in Ruanda zu verbringen!“ Viele Menschen fragen sich immer noch, warum Gott angesichts ihres Leids schweigt. Die Antwort auf diese Frage findet sich in dem Geheimnis, das wir am Karfreitag feiern: Gott war bei seinen leidenden Kindern, seinen verfolgten Gerechten, seinen abgeschlachteten Unschuldigen. Vergessen wir nicht, dass nach dem Karfreitag das Osterfest kommt, das Zeichen des Sieges des Lebens über den Tod, das Zeichen der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Jesus Christus.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)
In Afrika spricht Maria zur ganzen Welt
Mutter des Wortes
Von 1981 bis 1989 ist die Gottesmutter in dem kleinen Dorf Kibeho im Südwesten von Ruanda drei Mädchen im Alter von 16, 18 und 20 Jahren erschienen. Die Kirche hat die Marienerscheinungen, die von ungewöhnlichen Ereignissen begleitet waren, geprüft und 2001 mit ausdrücklicher Zustimmung des Vatikans als authentisch anerkannt. Die Botschaften sind ein Aufruf zur Umkehr und eine prophetische Warnung vor dem Völkermord in Ruanda, wie er rund zehn Jahre nach den Ankündigungen, nämlich 1994 und 1995 tatsächlich eingetreten ist. Gleichzeitig besitzt die Botschaft von Kibeho, in der sich Maria als „Mutter des Wortes“ vorgestellt hat, eine Bedeutung für die ganze Menschheit. Werner Loss, ein Mitarbeiter von Radio Horeb, der die Sendereihe Kalenderblatt betreut, gibt einen kurzen Überblick.
Von Werner Loss
Kibeho liegt in Ruanda, einem kleinen ostafrikanischen Land am Äquator. Es ist etwa so groß wie das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern und grenzt an Burundi und die größeren Länder Uganda, den Kongo und Tansania. Landschaftlich ist das Gebiet mit seinen vielen Hügeln sehr reizvoll. Man nennt es auch das „Land der tausend Hügel“.
Das kleine Dorf Kibeho befindet sich im Südwesten des Landes auf 1.900 Metern Höhe und hat daher ein relativ mildes Klima. Tagsüber wird es kaum wärmer als 25 Grad und nachts kühlt es auf etwa 15 Grad ab. Bis zum 28. November 1981 hatte die Weltöffentlichkeit von diesem unbedeutenden Ort keine Notiz genommen.
Erscheinungen von 1981 bis 1989
An diesem Tag aber geriet eine 16-jährige Schülerin mit dem Namen Alphonsine im Speisesaal ihrer Schule in Ekstase. Ihrem Tagebuch vertraute sie an, dass ihr eine ganz in Weiß gekleidete Dame erschienen sei. Diese habe sich als „Mutter des Wortes“ vorgestellt. Der 28. November 1981 gilt als der offizielle Beginn der Marienerscheinungen von Kibeho.
Etwa eineinhalb Monate später begegnete die Dame der 18-jährigen Mitschülerin Natalie. Sie hatte danach – wie auch Alphonsine – weitere Erscheinungen. Und wiederum vergingen rund eineinhalb Monate, bis Marie-Claire, 20 Jahre alt, eine Klassenkameradin von Natalie im Internat von Kibeho, ihre erste Erscheinung hatte. Maria überraschte sie während der Pause bei einem Spaziergang im Garten der Schule.
Die Marienerscheinungen dauerten acht Jahre an und endeten offiziell am 8. Jahrestag, dem 28. November 1989.
„Mutter des Wortes“
Mit dem Titel „Mutter des Wortes“ verweist Maria auf ihren Sohn Jesus. In seinem Prolog hat der Evangelist Johannes das Geheimnis der Menschwerdung in Worte gefasst: „Das Wort ist Fleisch geworden“. Damit bringt die Gottesmutter zum Ausdruck, worin ihre Mission in Kibeho besteht. Würde sie sich als „Gottesmutter“ vorstellen, läge der Schwerpunkt auf ihrer Person. Doch sie stellt ihren Sohn, Jesus Christus, das Wort Gottes, in den Mittelpunkt. Als „Mutter des Wortes“ will sie die Menschheit einerseits zu Jesus hinführen, andererseits an das konkrete Wort Gottes erinnern, an das von den Menschen „vergessene“ Evangelium.
Inhalte der Botschaften
Maria sagt, sie sei nach Kibeho gekommen, um sich an die ganze Welt zu wenden. Und sie kommt als liebende Mutter, die ihren Kindern helfen möchte. Sie sagte zu den Jugendlichen und damit zur ganzen Welt: „Ich liebe euch und bin gekommen, um euch zu helfen, weil ich gesehen habe, dass ihr mich braucht.“ Die „Mutter des Wortes“ ist eine fürsorgliche Mutter, die ihren Kindern zu Hilfe kommt.
Es geht um den „tiefen Schmerz“, den die Gottesmutter über den Zustand der Welt empfindet. Maria klagt über schlechten Lebenswandel, schlechte Gewohnheiten, Gefallen am Bösen, Hass, Grausamkeiten und Kriege – einfach gesagt, über die Missachtung der Gebote Gottes. Die Welt befindet sich nach ihren Worten in Rebellion gegen Gott. Und bei einigen Erscheinungen weint Maria. Das Weinen einer liebenden Mutter sagt mehr als viele Worte.
Besonders weint die Muttergottes über den moralischen Zustand der Welt und die herrschende Kultur des Todes, über jene, die das Leben bekämpfen. Die Welt, die gegen Gott aufbegehrt, rennt ins Verderben. Sie droht in den Abgrund zu stürzen. Und so sagt Maria schlimme Ereignisse voraus.
Verbunden damit ist ein dringender Appell zu Umkehr, Reue und Buße. Ferner ruft Maria zum Gebet auf. Insbesondere bittet sie um das Gebet für die Kirche.
Ausdrücklich lenkt die Gottesmutter unsere Aufmerksamkeit auf das Gebet des „Sieben-Schmerzen-Rosenkranzes“. Sie liebt dieses Gebet, in dem die schmerzhaften Ereignisse in ihrem Leben betrachtet werden.
Dabei lehrt Maria die Seherinnen beten und gibt ihnen auch eine Katechese. Sie spricht über das Leiden, das rettet. Dies ist ein wichtiger Aspekt der Botschaften von Kibeho. Leiden kann eine tiefe Bedeutung als Sühne für die Sünden der Welt haben. Es ist eine Teilhabe am Leiden Jesu und damit ein heilbringendes Leiden. Maria lädt uns ein, auferlegte Leiden im Glauben und in Liebe anzunehmen, so wie auch sie es auf Erden getan hat. Außerdem will die Gottesmutter mit ihrer Katechese zur Liebe unter den Menschen erziehen.
Ankündigung schlimmer Ereignisse
Maria spricht von schlimmen Ereignissen, die der Welt drohen. Verblendet rennt die Welt ins Verderben, in den Abgrund. Und Maria weist sozusagen auf die „Notbremse“ hin, um den Eintritt dieser Ereignisse zu verhindern. Diese Notbremse heißt: „Umkehr, Reue, Buße, Gebet“.
Im Dezember 1993 hatte Natalie eine private Erscheinung von bedeutungsschwerem Inhalt. Die „Mutter des Wortes“ sprach von einer „finsteren Nacht“, die bald über das Land hereinbrechen werde. Wenige Monate später begann in Ruanda ein schrecklicher Bürgerkrieg. Bereits 1982, also über zehn Jahre zuvor, hatte Maria den Seherinnen die Gräuel des Krieges gezeigt. Es ist ein Krieg, in dem die Volksgruppe der Bevölkerungsmehrheit, der Hutu, gegen die Tutsi-Minderheit brutal vorging – ein Völkermord mit fast einer Million Todesopfern. Dieser Bürgerkrieg zeigt, wohin Ideologie, Hass und Machtgier führen können.
Heute befindet sich das Land auf dem Weg der Versöhnung. Vor allem von der Kirche in Ruanda wird viel Versöhnungsarbeit geleistet.
Offizielle Anerkennung
Im Jahr 2001 erkannte der Ortsbischof – mit Einverständnis des Vatikans – den übernatürlichen Charakter der Erscheinungen der „Mutter des Wortes“ von Kibeho an. Aus dem kleinen Bauerndorf ist inzwischen ein internationaler Wallfahrtsort geworden, der von zahlreichen Pilgern aus Afrika und anderen Kontinenten besucht wird.
Hören wir auf die Stimme der „Mutter des Wortes“ in Kibeho! Maria will nicht unseren Untergang. Sie will uns zur Brüderlichkeit erziehen und eine Revolution der Liebe entfachen. Bei ihrer letzten Erscheinung genau am achten Jahrestag, dem 28. November 1989, sagte sie: „Ihr sollt wissen, dass ich immer – an jedem Tag – bei euch sein werde.“ Diese Worte zeigen uns eine Mutter an der Seite ihrer Kinder, die sich auf den Weg der Umkehr gemacht haben.
Was ist aus den Seherinnen geworden?
Alphonsine ist in den Klarissenorden eingetreten und hat ihre ewigen Gelübde abgelegt. Natalie lebt in Kibeho. Sie erfüllt Aufgaben am Heiligtum und dient den Pilgern. Maria-Claire hatte geheiratet. Sie und ihr Mann kamen in den Wirren des Bürgerkriegs ums Leben.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2023
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Hintergrundinformationen zur Marienerscheinung in Kibeho
Die Einheit von Buße und Liebe
Pater Dr. Johannes Maria Poblotzki CB stammt aus Berlin und hat mit 18 Jahren nach einer Gotteserfahrung seine Berufung zur Gemeinschaft der Seligpreisungen und zum Priestertum erkannt. Seit 2005 ist er Priester der Gemeinschaft, inzwischen Regens des Priesterseminars sowie Mitglied der Generalleitung der Gemeinschaft der Brüder in Blagnac in Frankreich. Nachfolgend vermittelt er einen außergewöhnlichen Einblick in die Ereignisse von Kibeho, indem er eine aufschlussreiche Auswahl an Fakten und Hintergrundinformationen bietet. Der Artikel entstand auf der Grundlage eines Vortrags, den P. Poblotzki am 28. November 2022 bei Radio Horeb gehalten hat.
Von Johannes Maria Poblotzki
Die Pfarrei
Die Pfarrei, in der Maria als „Mutter des Wortes“ erschienen ist, wurde 1934 gegründet und „Unserer Lieben Frau von Kibeho“ geweiht. Sie gehörte zunächst zum Apostolischen Vikariat Ruanda, dann zu verschiedenen Bistümern, so von 1961 bis 1992 zum Bistum Butare (Astrida) und seitdem zum 1992 neugegründeten Bistum Gikongoro. Zur Zeit der Erscheinungen war der Ort mehrheitlich katholisch. Die Pfarrei galt als sehr lebendig und im katholischen Glauben verwurzelt. Es gingen zahlreiche Priester- und Ordensberufungen aus ihr hervor. Mehrere Neuaufbrüche fassten dort Fuß, wie die Legio Mariens und verschiedene Jugendgruppen. Auch der emeritierte römisch-katholische Erzbischof von Kigali, Thaddée Ntihinyurwa (geb. 1942), stammt aus Kibeho.
Die Erscheinungen fanden in oder bei einer Schule statt, dem College de Kibeho, einer weiterführenden Schule, ähnlich einem Gymnasium. Die Schule wurde 1967 gegründet und lag etwa einen Kilometer von der Pfarrkirche entfernt. Die Schule wurde von Benebekira-Schwestern geleitet, das Kollegium bestand aus Ordensleuten und Laien.
Seherinnen und Augenzeugen
Im Jahr 2001 wurden die Visionen von drei Seherinnen als authentisch anerkannt, nämlich von Alphonsine Mumureke, Anathalie (Nathalie) Mukamazimpaka und Marie-Claire Mukangango. Sie fanden in der Zeit vom 28.11.1981 bis zum 28.11.1989 statt. 20 Jahre wurden wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt. Mit der Anerkennung, welche Bischof Augustin Misago (1943-2012) vornahm, wurde der Bau einer Kapelle beschlossen.
Über die drei anerkannten Seherinnen hinaus hatten jedoch weitere Mädchen Erscheinungen, welche von Zehntausenden Augenzeugen miterlebt und bezeugt wurden. Es handelt sich um Agnes Kamagaju, welche ihre erste Erscheinung am 4. August 1982 hatte, um Stephanie Mukamurenzi, die im Mai 1982 mit 14 Jahren ihre erste Erscheinung hatte, worauf 13 weitere folgten, um Valentine Nyiramukiza, die vom 12. Mai 1982 bis mindestens zum Jahr 2008 häufige Erscheinungen hatte, um Segatashya, welche die Gottesmutter am 2. Juli 1982, und um Vestine Salima, welche sie am 13. April 1982 sah.
Marie-Claire, Segatashya und Stephanie Mukamurenzi kamen beim Genozid ums Leben. Alphonsine, welche ins Klarissenkloster in Abidjan/Elfenbeinküste eingetreten ist, lebt heute in einem Kloster in Benin unter dem Namen Sr. Alphonsine vom glorreichen Kreuz. Nathalie ist in Kibeho geblieben und dient den Plänen der Muttergottes durch ein hingegebenes Leben in Einfachheit und Gebet. Sie hat in dieser Weise dem Wunsch der Muttergottes entsprochen, dort am Erscheinungsort zu bleiben und im Pilgerdienst zu arbeiten.
Die Erscheinungen der drei anerkannten Seherinnen endeten bereits Mitte der 80er Jahre. Marie-Claire sah die Gottesmutter nur sechs Monate hindurch, nämlich bis zum 15. September 1982, Nathalie bis zum 3. Dezember 1983 und lediglich Alphonsine bis 1989, jedoch üblicherweise nur einmal im Jahr, und zwar am Tag der ersten Erscheinung, dem 28. November. Den anderen Seherinnen erschienen Jesus und Maria noch längere Zeit danach.
Die anerkannten Erscheinungen
Alphonsine Mumureke hatte vom 28. November 1981 an zunächst mehrere Erscheinungen kurz aufeinander, dann in größeren Abständen. Die Muttergottes rief die Menschen auf, sich zu bekehren, zu glauben, mit dem Herzen zu beten (nicht nur äußerlich, „geheuchelt“), Gottes Gebote zu halten und die Sakramente regelmäßig zu empfangen.
Zunächst erfuhr sie große Ablehnung. Es hieß, sie sei eine Schauspielerin, die nur Aufmerksamkeit erheischen möchte, oder, sie sei verhext, denn sie stammte tatsächlich aus einem Ort, der dafür bekannt war, dass es an ihm viele okkulte Praktiken gab. Dennoch fassten immer mehr Leute Vertrauen. Bald formierte sich eine größere Gruppe von Gläubigen, die öffentliche Gebetstreffen organisierten und den Rosenkranz beteten. Von kirchlicher Seite gab es zunächst Skepsis und Zweifel.
An Nathalie Mukumazimpaka, die ihre erste Erscheinung am 12. Januar 1982 hatte, ergingen besondere Botschaften mit einem Aufruf zu Sühneleiden und zum unablässigen Gebet für die Welt.
Marie-Claire Mukangango war zunächst eine entschiedene Gegnerin der Erscheinungen von Alphonsine. Doch am 2. März 1982 erschien auch ihr die Gottesmutter. An sie erging die Botschaft des Sieben-Schmerzen-Rosenkranzes, mit einem dringenden Aufruf zur Buße.
Typisch für die Erscheinungen war, dass die Jugendlichen während der Ekstase viel sprachen und nach ihrer Ekstase schwer zu Boden fielen. Die Erscheinungen dauerten sehr lange und eine besondere Rolle spielten Lieder, Fürbittgebete und Segnungen mit Wasser.
Die Seherinnen hielten auch oft längere Zeiten des Fastens. Besonders in der Fastenzeit 1983 fasteten sie viel. Nathalie beispielsweise fastete acht Tage vollständig und sechs Tage teilweise.
Kirchliche Prüfung und Anerkennung
Am 20. März 1982 richtete Bischof Jean-Baptiste Gahamanyi der damals für Kibeho zuständigen Diözese Butare eine Ärztekommission ein. Zu ihr gehörten ein Psychiater, ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt, der Internist einer Uni-Klinik, ein Anästhesist und ein Allgemeinmediziner.
Am 14. Mai 1982 wurde eine theologische Kommission mit einem Dogmatiker, zwei Bibelwissenschaftlern (AT und NT), zwei weiteren promovierten Theologen, einem Prior, einem Lehrer für Französische Geschichte, dem Direktor des nationalen Zentrums für Katechese und Liturgie in Butare und einem ehemaligen Pfarrer von Kibeho eingerichtet. Sie wurde im Dezember 1982 um drei zusätzliche Mitglieder erweitert, und zwar einen Pfarrvikar, einen Moraltheologen und einen Experten für Spirituelle Theologie. Eine erneute Erweiterung wurde am 14. Mai 1984 vorgenommen.
Das erste Ergebnis der Kommissionen war positiv, so dass der Bischof den Erscheinungsort am 15. August 1988 als öffentliche Kultstätte errichtete. Dies bedeutete aber noch keine Anerkennung der Echtheit der Erscheinungen.
Am 29. Juni 2001 gab der Bischof von Gikongoro, Augustin Misago, im Rahmen einer Eucharistiefeier eine endgültige Erklärung über die offizielle Anerkennung der Erscheinungen von Kibeho ab. Anwesend waren der Apostolische Nuntius, alle Mitglieder der ruandischen Bischofskonferenz und zahlreiche Priester, Ordensleute und Laien.
Besondere Ereignisse und Phänomene
Am 28. November 1981 kommt Alphonsine aus dem Erdkundeunterricht und verspürt eine außerordentliche Furcht. Diese Furcht wird größer und vermischt sich mit einem Gefühl der Freude. Kurze Zeit später sind die Mädchen im Speisesaal. Alphonsine hat den Servierdienst. Nach dem Bedienen (gegen 12:35 Uhr) überkommt sie eine Kraft, die sie lähmt und sie sich nicht mehr frei bewegen kann. Sie bemerkt selber, dass sie wie in Ekstase ist und nicht mehr den Raum um sich mit den Mitschülern wahrnimmt. Sie hört eine Stimme: „Mein Kind!“ Alphonsine sieht eine sehr schöne, weiß gekleidete Dame in einer weißen Wolke. Ihr Gewand reicht bis zum Boden und bedeckt die Füße. Auf dem Kopf trägt sie einen weißen Schleier. Ihre Hände hat sie über die Brust gefaltet. So beginnt sie den Dialog mit Alphonsine. Die Erscheinung dauert ca. 15 Minuten.[1]
In der Nacht findet die zweite Erscheinung statt. Maria äußert ihre Enttäuschung über den Unglauben der Mitschüler. Sie kündigt an, dass sie mehrmals wiederkommen wird und dass die nächste Erscheinung am nächsten Tag im Schlafsaal stattfinden wird.
1. Dezember 1981: Maria gibt der Seherin eine Art Band, das sie während der Erscheinungen auf dem Kopf tragen soll. Dieses Band ist später auf geheimnisvolle Weise verschwunden.
2. Dezember 1981: Maria tadelt den Unglauben der Schulgemeinschaft. Sie bringt der Seherin ein Lied und einen Tanz bei. Die Vertrautheit mit der Seherin wächst. Maria verwendet Begrüßungs- und Abschiedsgesten, wie sie in der heimischen Kultur bekannt sind. Tests durch die anwesenden Leute ergeben, dass Alphonsine unempfindlich ist.
6. Dezember 1981: Die Jungfrau Maria segnet Rosenkränze, verweigert die Segnung aber bei denen, die keinen Glauben haben. Die Rosenkränze gleiten der Seherin aus der Hand und fallen zu Boden. Maria sagt: „Der Glaube und der Glaubensabfall werden kommen, ohne dass man es merkt.“
Bei der Erscheinung an Nathalie am 12. Januar 1982 wird sie aufgefordert, den Anwesenden aus dem Buch „Nachfolge Christi“ vorzulesen. Die Muttergottes bittet um viel Gebet zur Bekehrung.[2]
16. Januar 1982: Die Muttergottes möchte, dass man eine Kirche baut. Sie erteilt eine Lehre über den Gehorsam und kündigt Leiden und Verfolgungen der Seher an.
29. Januar 1982: Die Muttergottes wird von vielen Schülern gesehen.
6. Februar 1982: Die Muttergottes ruft zu Bußübungen, Fasten und Gebet auf.
28. Februar 1982: „Der Teufel wird kommen und bestimmte Schülerinnen angreifen, nicht aber die, die den Rosenkranz oder ein Kreuz bei sich tragen.“
14. März 1982: Alphonsine hat einen Traum, in dem ihr eine mystische Reise am 20. März angekündigt wird. Diese soll um 13:30 Uhr beginnen und bis um 6:00 Uhr am 21. März dauern. Nathalie erblindet bis zum 19. März.
19. März 1982: Maria erklärt den Sieben-Schmerzen-Rosenkranz.
20. März 1982: Alphonsine berichtet von einer mehrstündigen „mystischen Reise“ mit der Muttergottes an verschiedene Orte wie die Hölle, das Fegefeuer und den Himmel.[3] Ähnliche Erlebnisse hat Nathalie am 30. Oktober 1982.
27. März 1982: Im Schlafsaal ereignet sich ein Lichtwunder mit großen und kleinen Lichtern.
Die Hauptbotschaft
Maria hat zu den Kindern sehr konkret in die Alltagssituationen hineingesprochen und sie ermutigt, ihre Verhaltensweisen zu ändern. Sie war für die Kinder wie eine geistliche Begleiterin.
Es geht um Gebet, Umkehr, Buße, Gehorsam zur Kirche und zu Gott, Nächstenliebe sowie um eine neue Entschiedenheit, den Glauben zu leben.
Bei der letzten Erscheinung am 28. November 1989 hat die Gottesmutter einige Grundanliegen formuliert:
„Meine Kinder, dass ich euch ,Auf Wiedersehen‘ sage, heißt nicht, dass ich Afrika oder die ganze Welt vergessen werde, es heißt nicht, dass ich die Menschen in Ruanda vergessen werde.“
„Ich fordere euch auf, die Liebe nicht zu vergessen, die ich euch dadurch erwiesen habe, dass ich zu euch gekommen bin.“
„Meine Kinder, betet, betet, betet! Folgt dem Evangelium meines Sohnes und setzt es in die Tat um, dann werdet ihr in eurer Seele sicher glücklich sein.“
„Mein Sohn hat gelitten, man hat ihn verfolgt und geschmäht, aber das hat ihn nicht daran gehindert, König des Himmels und der Erde zu bleiben."[4]
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2023
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[1] Hildegarde Ufitamahoro: Die Jungfrau Maria spricht zur Welt, Illertissen 2018, S. 34 f.
[2] S. 41.
[3] S. 61.
[4] S. 173 ff.
Die Marienheiligtümer von Caravaggio und Treviglio in der Lombardei
Die Marienverehrung des hl. Karl Borromäus
Der katholische Radiosender K-TV bereitet derzeit mehrere Filme über Marienheiligtümer vor, die mit dem Wirken des hl. Karl Borromäus verbunden sind. Im April-Heft haben wir die Marienheiligtümer von Saronno und Rho in der Nähe von Mailand vorgestellt. Nun folgen die Gnadenorte von Caravaggio und Treviglio, die ebenfalls in der Lombardei zu finden sind. Prof. Dr. Manfred Hauke hat ein Buch über die Marienverehrung des hl. Karl verfasst, das den Hintergrund abgibt für das Drehbuch, das der Luganer Professor gemeinsam mit Pfarrer Dr. Thomas Rimmel (K-TV) erstellt hat: Manfred Hauke, San Carlo e la venerazione alla Vergine Maria (Collana di Mariologia 17), EuPress FTL – Cantagalli, Lugano-Siena 2021, 124 S.
Von Manfred Hauke
„Maria von der Quelle“ in Caravaggio
Das größte Marienheiligtum in der Lombardei liegt nahe an der Autobahnstrecke von Mailand in Richtung Gardasee und Venedig, etwa 40 km östlich von Mailand und 27 km südlich von Bergamo. Am Ursprung steht eine Marienerscheinung am 26. Mai 1432. Eine Frau namens Giannetta aus Caravaggio, 32 Jahre alt, befand sich außerhalb des Ortes, um Grasbündel nach Hause zu bringen, die sie für ihre Tiere abgemäht hatte. Auf einmal sah sie, wie aus der Höhe eine wunderschöne und hoheitsvolle Frau herabkam und sich in ihre Nähe stellte. Gekleidet war sie in ein blaues Kleid, und ihr Haupt war mit einem weißen Schleier bedeckt. Giannetta rief aus: „Jungfrau Maria!“ Die himmlische Frau antwortete: „Fürchte dich nicht, meine Tochter, denn ich bin es wirklich. Bleib stehen und knie dich hin zum Gebet!“ Giannetta antwortete: „Herrin, jetzt habe ich keine Zeit. Meine Tiere warten auf dieses Gras.“ Die selige Jungfrau sprach aufs Neue zu ihr: „Nun mach das, was ich von dir will!“ Mit diesen Worten legte sie ihre Hand auf die Schulter von Giannetta, die sich daraufhin hinkniete. „Höre gut zu und bewahre meine Worte im Gedächtnis, denn ich möchte, dass du überall, wo es dir möglich ist, davon erzählst…!“
Mit Tränen in den Augen, die Giannetta wie hellglänzendes Gold erschienen, fügte sie hinzu: „Mein allerhöchster allmächtiger Sohn wollte dieses Gebiet wegen der Bosheit der Menschen zerstören, denn sie unternehmen Tag für Tag immer mehr Böses und fallen von Sünde zu Sünde. Sieben Jahre lang habe ich meinen Sohn um Barmherzigkeit angefleht für ihre Schuld. Deshalb will ich, dass du allen sagst, dass sie an jedem Freitag bei Brot und Wasser zu Ehren meines Sohnes fasten und nach der Vesper jeden Samstag zu meiner Verehrung feiern. Diesen halben Tag sollen sie mir weihen als Dank für die vielen und großen Gnaden, die ich von meinem Sohn durch meine Fürbitte erlangt habe.“
Maria sagte diese Worte mit geöffneten Händen und betrübtem Gesicht. Giannetta meinte: „Die Leute werden mir nicht glauben.“ Daraufhin versprach ihr die allergütigste Jungfrau: „Steh auf, fürchte dich nicht. Berichte, was ich dir aufgetragen habe. Ich werde deine Worte mit so großen Zeichen bestätigen, dass niemand zweifeln wird, dass du die Wahrheit gesagt hast.“ Nach diesen Worten machte sie das Zeichen des Kreuzes über Giannetta und entschwand ihren Augen.
Nach Caravaggio zurückgekehrt, erzählte Giannetta von der Begegnung mit Maria. Viele Leute glaubten ihr und begaben sich an den Ort der Erscheinung. Dort fanden sie eine Quelle vor, die zuvor noch nie jemand gesehen hatte. An diese Quelle kamen einige Kranke, die sich der Macht Gottes anvertrauten. Seitdem wurden dort unzählige Kranke geheilt.
Das älteste geschichtliche Dokument über die Marienerscheinung ist ein Schreiben des Generalvikars von Cremona vom 31. Juli 1432, der den Bau einer Kirche erlaubt. Als die Kirche baufällig wurde, verfügte der hl. Karl Borromäus den Neubau und beauftragte damit den berühmten Architekten Pellegrino Tibaldi. Die 1837 eingeweihte Kirche hat gewaltige Ausmaße. Der Vorplatz ist von 800 Meter langen Säulenhallen umgeben, die den Pilger wie „Arme“ empfangen. Ein Wasserbecken wird vom „heiligen Quell“ gespeist. Ähnlich wie in Lourdes ist das Wasser ein Zeichen der Reinigung und des Lebens. Viele Pilger nehmen die Möglichkeit der Beichte wahr. Im Zentrum der Kirche erinnert die „Heilige Höhle“ mit ansprechenden Standbildern an die Marienerscheinung.
„Unsere Liebe Frau von den Tränen“ in Treviglio
Die Kleinstadt Treviglio liegt nur 5 km nördlich von Caravaggio und gehört zum Bistum Mailand. Am Ursprung des Marienheiligtums steht ein Aufsehen erregendes Tränenwunder aus dem Jahr 1522, dessen 500-jähriges Jubiläum 2022 festlich begangen wurde. Im Krieg zwischen Franzosen und Spaniern drang der französische General Odet de Foix Lautrec nach Treviglio vor, um die ihm nicht wohlgesonnene Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Am 27. Februar 1522 erfuhren die Einwohner von diesem Plan, und bereits tags darauf traf Lautrec mit seinen Truppen ein. Der für die Region zuständige Generalvikar und ein mit den Franzosen verbündeter Adeliger baten den General, die Stadt zu verschonen, und vier Stadtkonsuln präsentierten sich ihm mit Stricken um den Hals als Zeichen der Buße. Lautrec nahm aber seinen Befehl nicht zurück.
Als die Plünderung schon begann, geschah etwas Unvorhergesehenes. Am Freitagmorgen, den 28. Februar, gegen 8 Uhr, begann ein Marienbild plötzlich Tränen zu vergießen und am ganzen Leib zu schwitzen. Das Bild war auf die Wand des Glockenturms gemalt worden, das zur Klosterkirche der Augustinerinnen gehörte. In dieses Kloster hatten sich die Frauen und Kinder geflüchtet, während die Männer in der nahegelegenen Martinskirche Zuflucht gesucht hatten. Das Vergießen der Tränen dauerte etwa sechs Stunden und ließ sich nicht durch natürliche Faktoren erklären. Bemerkenswert war, dass nur die Darstellung Marias Tränen und Schweiß aufwies, während das Jesuskind und die umgebene Mauer vollkommen trocken blieben.
Die Bevölkerung war zutiefst bewegt, und der Generalvikar sowie einige französische Offiziere trafen am Marienbild ein. Sie untersuchten das Gemälde und die Wand. Gemeinsam stiegen sie auch in den Glockenturm, um die Rückwand anzusehen. Das Weinen und Schwitzen des Bildes konnten sie nicht erklären. Der Generalvikar kniete sich vor das Volk nieder und bekundete seine Überzeugung, dass ein Wunder geschehen war.
Die in die Stadt eindringenden französischen Soldaten informierten ihren General, der auf seinem Pferd am Augustinuskloster eintraf. Von den Tränen des Marienbildes überwältigt, versicherte er den Einwohnern Treviglios seine Verzeihung: die Stadt wird nicht zerstört. Daraufhin läuteten alle Glocken der Stadt zum Ausdruck der Freude. Der französische General und ein großer Teil seiner Offiziere warfen sich auf die Knie und legten ihre Waffen und Rüstungen der Gottesmutter zu Füßen. Helm und Schwert von Lautrec sind bis heute in der Wallfahrtskirche erhalten, die zum dankbaren Gedenken an das Wunder errichtet wurde.
Tags darauf verließen die Franzosen Treviglio und wurden später auf dem Weg nach Mailand von den Spaniern besiegt.
Das Wunder wurde am gleichen Tag in einem offiziellen Dokument festgehalten, vorbereitet vom Generalvikar, einem Notar und von vier Ratsherren als Zeugen unterschrieben. Am 1. Juni 1522 beschloss der Stadtrat, von nun an für immer am letzten Tag des Februars das Gedächtnis des Wunders zu begehen, zur beständigen Erinnerung und zum Dank gegenüber der Jungfrau Maria.
Die Tränen des Marienbildes weisen auf die Tränen, die Maria auf Erden geweint hat, und sind ein deutliches Zeichen für ihre mütterliche Fürsorge vom Himmel aus. Wir können sie kommentieren mit den Worten Papst Pius‘ XII. über das bekannte Tränenwunder von Syrakus 1953: Maria „nährt immer Liebe und Mitleid für das elende Menschengeschlecht, dem sie als Mutter gegeben wurde, als sie traurig und weinend am Fuße des Kreuzes stand, an dem der Sohn befestigt war“.
Weiteres zu dem Tränenwunder findet sich im Aufsatz von Manfred Hauke, „Wir sind gerettet, denn die Gottesmutter weint für uns. Das 500-jährige Jubiläum des Tränenwunders von Treviglio (Bistum Mailand) (1522-2022)“, in: Theologisches 52 (9-10/2022), S. 349-376.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2023
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Marienmonat Mai mit Benedikt XVI.
Quell der Güte Gottes
Aus unterschiedlichen Äußerungen Benedikts XVI. hat Professor Dr. Anton Štrukelj (geb. 1952) wertvolle Impulse für den Marienmonat Mai zusammengestellt. Er zitiert aus Gesprächen, die Vittorio Messori und Peter Seewald mit Kardinal Joseph Ratzinger bzw. mit Benedikt XVI. geführt haben, aber auch aus dem theologischen Kommentar zum Geheimnis von Fatima aus dem Jahr 2000 und der Enzyklika „Deus caritas est“. Besonders aktuell sind die Aussagen, die Papst Benedikt XVI. bei seiner Reise nach Fatima 2010 auf dem Hintergrund des Missbrauchsskandals gemacht hat. Die „größte Verfolgung der Kirche“ erwachse „aus der Sünde“ in ihrem Inneren. Für die Kirche sei es „zutiefst notwendig, dass sie neu lernt, Buße zu tun, die Reinigung anzunehmen; dass sie einerseits zu vergeben lernt, aber auch die Notwendigkeit der Gerechtigkeit sieht; denn Vergebung ersetzt die Gerechtigkeit nicht.“
Von Anton Štrukelj
Maria – Ausdruck der Nähe Gottes
Was bedeutet Maria für Sie ganz persönlich?“ – so fragte der bekannte Journalist Peter Seewald Kardinal Joseph Ratzinger. Dieser gab zur Antwort: „Ausdruck der Nähe Gottes. Mit ihr wird die Menschwerdung erst so richtig greifbar. Dass der Sohn Gottes eine menschliche Mutter hat, und dass wir alle dieser Mutter anvertraut sind, ist schon sehr bewegend… Immer haben mir über die liturgischen Marienfeste hinaus die Maiandachten, der Oktoberrosenkranz, die Wallfahrtsorte – also die marianische Volksfrömmigkeit – viel bedeutet. Und je älter ich werde, desto wichtiger und näher wird mir die Muttergottes."[1]
Auf die Frage: „Haben Sie eine besondere Art, den Rosenkranz zu beten?“ antwortet er: „Ich mache ihn ganz einfach, genau so, wie meine Eltern gebetet haben. Beide haben den Rosenkranz sehr geliebt. Und je älter sie geworden sind, desto mehr. Je älter man wird, desto weniger kann man große, geistige Anstrengungen vollbringen, desto mehr braucht man andererseits eine innere Zuflucht und ein Hineinschwingen in das Beten der Kirche überhaupt. Und so bete ich eben, wie sie es auch getan haben."[2]
Die marianische Volksfrömmigkeit hatte also einen wichtigen Platz im Glaubensleben von Papst Benedikt. Die Maiandacht nennt er Frömmigkeit mit Farbe und Klang. Er erzählt: „Bei dem Wort ,Maiandacht‘ wachen für mich, wie wohl für die meisten katholischen Christen, vielerlei Erinnerungen auf. Die geschmückte Kirche steht vor mir, die vom Duft der Frühlingsblumen erfüllt ist; die Lichter gehören dazu und die Lieder, in denen die Wärme, Herzlichkeit und Zuversicht aufklingen.
Nicht die strengen Formgesetze der Liturgie regieren, sondern die einfache Frömmigkeit des Volkes, das Farbe und Klang und starke Gefühle liebt. Die Stimmung des Frühlings überträgt sich in den Kirchenraum; das Blühen der Natur, die laue Luft der Maiabende, die Fröhlichkeit der Menschen in einer sich erneuernden Welt – das alles schwingt mit. In dieser ganz besonderen Stimmung hat die Verehrung Marias ihren Platz, weil sie, die Jungfrau, den Glauben als Jugend darstellt, als den Neubeginn Gottes in einer vergreisten Welt; sie verkörpert Christenheit als Jungsein des Herzens, als Schönheit und als wartende Bereitschaft für das Kommende."[3]
Die Jungfrau Maria, die den drei Hirtenkindern in Fatima am 13. Mai 1917 erschienen war, ist auch uns nahe. Sie ist mit uns! „Maria ist der Ausdruck der Nähe Gottes.“ Wie hat sich die „schöne Frau“ den Seherkindern vorgestellt? Sie sagte ihnen: „Habt keine Angst. Ich komme vom Himmel!“ Welche Botschaft bringt sie uns? Mit den Erscheinungen Mariens hat Gott den Hirtenkindern und der Menschheitsfamilie eine Botschaft der Hoffnung und Rettung gebracht. Gott hat uns ein Fenster der Hoffnung geöffnet, weil die Menschheit die Tür zu Gott und zum Leben immer mehr verschließt.
Fatima – Fenster der Hoffnung
Die Botschaft von Fatima bezeichnete Kardinal Joseph Ratzinger einmal als die prophetischste Vision der Moderne. Fatima sei „ein Werk der liebenden Vorsehung Gottes“. Es sei geschehen, „um uns an Wahrheiten des Evangeliums zu erinnern“.
In einem Gespräch mit Vittorio Messori im Jahre 1985 sagte er: Von Fatima, „von jenem Ort aus ist ein ernstes, gegen die vorherrschende Leichtfertigkeit gerichtetes Signal ergangen, eine Mahnung in Bezug auf den Ernst des Lebens, der Geschichte, und in Bezug auf die Gefahren, die die Menschheit bedrohen. Es ist das, woran Jesus selbst sehr oft erinnert, indem er sich nicht scheut zu sagen: ,Wenn ihr euch nicht bekehrt, werdet ihr alle umkommen‘ (Lk 13,3). Die Bekehrung – und Fatima ruft es voll in Erinnerung – ist eine beständige Forderung an das christliche Leben. Wir müssten es bereits von der gesamten Heiligen Schrift wissen."[4]
Die Botschaft von Fatima ist aufs Engste mit dem Evangelium verbunden. Als Pilger hob Papst Benedikt XVI. im Interview auf dem Flug nach Portugal (am 11. Mai 2010) die bleibende Bedeutung von Fatima hervor. Er sagte sehr klar: „Wer glaubt, dass die prophetische Mission Fatimas beendet sei, der irrt sich.“
Die Botschaft von Fatima ist die Antwort auf die Leiden der Kirche: „Der Herr hat uns gesagt, dass die Kirche auf verschiedene Weise immer leiden würde bis zum Ende der Welt. Wichtig ist dabei, dass die Botschaft, die Antwort von Fatima im Wesentlichen nicht auf bestimmte Andachtsübungen abzielt, sondern auf die grundlegende Antwort, das heißt die ständige Umkehr, die Buße, das Gebet und die drei göttlichen Tugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe. So sehen wir hier die wahre und grundlegende Antwort, die die Kirche geben muss, die wir, jeder von uns, in dieser Situation geben müssen.“
Und Papst Benedikt führte weiter aus: „Unter dem Neuen, das wir heute in dieser Botschaft entdecken können, ist auch die Tatsache, dass die Angriffe gegen den Papst und die Kirche nicht nur von außen kommen, sondern die Leiden der Kirche kommen gerade aus dem Inneren der Kirche, von der Sünde, die in der Kirche existiert. Auch das war immer bekannt, aber heute sehen wir es auf wahrhaft erschreckende Weise: Die größte Verfolgung der Kirche kommt nicht von den äußeren Feinden, sondern erwächst aus der Sünde in der Kirche. Und darum ist es für die Kirche zutiefst notwendig, dass sie neu lernt, Buße zu tun, die Reinigung anzunehmen; dass sie einerseits zu vergeben lernt, aber auch die Notwendigkeit der Gerechtigkeit sieht; denn Vergebung ersetzt die Gerechtigkeit nicht. Mit einem Wort, wir müssen gerade das Wesentliche neu lernen: die Umkehr, das Gebet, die Buße und die göttlichen Tugenden. So antworten wir.
Seien wir realistisch darauf gefasst, dass das Böse immer angreift, von innen und von außen, aber dass auch die Kräfte des Guten immer gegenwärtig sind und dass letztendlich der Herr stärker ist als das Böse. Und die Muttergottes ist für uns eine sichtbare, mütterliche Garantie der Güte Gottes, die immer das letzte Wort in der Geschichte ist."[5]
Das Unbefleckte Herz Mariens wird siegen!
Papst Benedikt XVI., ein großer Theologe und Marienverehrer, spricht uns mit seinem Wort und seinem Vorbild an. In seinem theologischen Kommentar zum Geheimnis von Fatima sagt er: „Ich möchte am Ende noch ein weiteres mit Recht berühmt gewordenes Stichwort des Geheimnisses aufgreifen: ,Mein Unbeflecktes Herz wird siegen.‘ Was heißt das? Das für Gott geöffnete, durch das Hinschauen auf Gott rein gewordene Herz ist stärker als Gewehre und Waffen aller Art. Das ,Fiat‘ Marias, das Wort ihres Herzens, hat die Weltgeschichte gewendet, weil es den Retter eingelassen hat in diese Welt – weil im Raum dieses Ja Gott Mensch werden konnte und es nun ewig bleibt.
Das Böse hat Macht in der Welt, wir sehen es und erfahren es immer wieder; es hat Macht, weil unsere Freiheit sich immer wieder von Gott abdrängen lässt. Aber seit Gott selbst ein menschliches Herz hat und so die Freiheit des Menschen ins Gute hinein, auf Gott zu, gewendet hat, hat die Freiheit zum Bösen nicht mehr das letzte Wort. Seitdem gilt: ,In der Welt werdet ihr Drangsal haben, aber seid nur getrost, ich habe die Welt überwunden‘ (Joh 16,33). Dieser Verheißung uns anzuvertrauen, lädt uns die Botschaft von Fatima ein."[6]
In den abschließenden Worten seiner ersten Enzyklika „Deus caritas est“ ermutigt uns Papst Benedikt XVI.: „Maria ist zur Mutter aller Glaubenden geworden. Zu ihrer mütterlichen Güte wie zu ihrer jungfräulichen Reinheit und Schönheit kommen die Menschen aller Zeiten und aller Erdteile in ihren Nöten und ihren Hoffnungen, in ihren Freuden und Leiden, in ihren Einsamkeiten wie in der Gemeinschaft. Und immer erfahren sie das Geschenk ihrer Güte, erfahren sie die unerschöpfliche Liebe, die sie aus dem Grund ihres Herzens austeilt… Maria, die Jungfrau, die Mutter, zeigt uns, was Liebe ist und von wo sie ihren Ursprung, ihre immer erneuerte Kraft nimmt. Ihr vertrauen wir die Kirche, ihre Sendung im Dienst der Liebe an:
Heilige Maria, Mutter Gottes, du hast der Welt das wahre Licht geschenkt, Jesus, deinen Sohn – Gottes Sohn. Du hast dich ganz dem Ruf Gottes überantwortet und bist so zum Quell der Güte geworden, die aus ihm strömt. Zeige uns Jesus. Führe uns zu ihm. Lehre uns ihn kennen und ihn lieben, damit auch wir selbst wahrhaft Liebende und Quelle lebendigen Wassers werden können inmitten einer dürstenden Welt."[7]
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2023
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[1] Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften (JRGS), hrsg. vom Institut Papst Benedikt XVI. (Regensburg), 13/2, Herder Verlag Freiburg 2016, 702.
[2] JRGS 13/2, 2016, 723.
[3] JRGS 14/2, 2019, 1166.
[4] JRGS 13/1, 2016, 121f.
[5] Insegnamenti di Benedetto XVI, VI, 1 2010, LEV 2011, 666.
[6] Kommentar zum Geheimnis von Fatima, 13. Mai 2000.
[7] Papst Benedikt XVI.: Enzyklika Deus caritas est, 2005, Nr. 42.
Sechs Pfadfinderinnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus
Letzte Wege in die Freiheit
Studiendirektor Jakob Knab hat sich sein Leben lang mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus beschäftigt. Nachfolgend stellt er ein neues Buch (Stuttgart 2023) vor, das ein Licht auf den sog. „Rettungswiderstand“ während des Dritten Reichs wirft. Sechs Pfadfinderinnen aus dem Elsass haben etwa 500 Personen, insbesondere Juden, vor dem Tod gerettet, indem sie ihnen Fluchtwege in die Schweiz erkundet hatten. Es ist das Verdienst von Thomas Seiterich, dieses beeindruckende Zeugnis „christlich motivierter Zivilcourage“ über 30 Jahre hindurch untersucht und dokumentiert zu haben. Nun konnte er diese „vergessene Geschichte des Widerstands“ auf spannende Weise ans Licht der Öffentlichkeit bringen. In seiner Rezension bezeichnet Knab das Buch mit dem Titel „Letzte Wege in die Freiheit. Sechs Pfadfinderinnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ als „reife Frucht“ und „mustergültige Bewältigung“ der „Herausforderung, große Geschichte mit individuellen Schicksalen zu verknüpfen“.
Von Jakob Knab
Was bedeutet „Rettungswiderstand“?
Der Begriff „Rettungswiderstand“ steht für die Zivilcourage jener Menschen, die ihr Leben riskierten, um das Leben von verfolgten Minderheiten in der NS-Gewaltherrschaft zu retten. Nach und nach werden diese unbesungenen Heldinnen und Helden in der deutschen Erinnerungskultur entdeckt. Das Standardwerk[1] hierzu stammt aus der Feder des jüdischen Historikers Arno Lustiger (1924-2012). Laut Lustiger ist es unsere heilige Pflicht, dieser aufrechten und mutigen Menschen des Rettungswiderstandes zu gedenken. Dazu gehören auch jene sechs Pfadfinderinnen, die nun nach acht Jahrzehnten ans Licht unserer Öffentlichkeit gelangen und wahrgenommen werden.
Katholische Jugendgruppe „Èquipe Pur-Sang“
Eugène Prince, der Pfarrer der Innenstadtpfarrei Saint-Jean in Strasbourg, gab den ersten Anstoß; er bat die Pfadfinderinnen um Mithilfe beim Widerstand. Dort am Marienaltar begann die Jugendgruppe „Èquipe Pur-Sang“ (Team Vollblut) ihr Rettungswerk. Während Hitler-Deutschland das Elsass annektierte, organisierten diese sechs Pfadfinderinnen („Guides de France“) Untergrundfluchthilfe für Regimegegner, für Ausgegrenzte und Verfolgte. Lucienne Welschinger war als die Älteste die Anführerin der Gruppe. Für die jungen Frauen Anfang 20 standfest: Es ist ihre patriotische Pflicht, aktiv zu werden. Die Équipe Pur-Sang war geboren. Von 1940 bis 1942 kundschafteten sie Fluchtwege über die Vogesen und in die Schweiz aus. Es gelang ihnen, ungefähr 500 Verfolgte, darunter viele Jüdinnen und Juden, auf diesen Routen in die Freiheit zu bringen.
Unter Einsatz ihres Lebens retteten sie hunderte Menschen, bevor sie selbst ins Visier der Gestapo gerieten. Sie waren aktive katholische Christinnen, die ihr Glaube zu tätiger Nächstenliebe verpflichtete. Gleichzeitig bekannten sie sich als glühende Patriotinnen aus dem Elsass. Autor Thomas Seiterich schildert ihre Lebensgeschichte als beeindruckendes Zeugnis von christlich motivierter Zivilcourage und humaner Orientierung. Dabei bewältigt der Autor mustergültig die Herausforderung, große Geschichte mit individuellen Schicksalen zu verknüpfen.
Hakenkreuzfahnen okkupieren das Strasbourger Münster
Im Juni 1940 hatten Einheiten der Wehrmacht die Stadt Straßburg erobert; die Kriegspropaganda sprach vom „wiederbefreiten Elsaß“. Am 28. Juni 1940, in den allerersten Tagen der Besatzung, besuchte der „Führer“ Adolf Hitler das Strasbourger Münster. Die Kathedrale des Elsass war von Figuren und Sinnbildern der christlichen und abendländischen Kultur leergeräumt und mit großen Hakenkreuzfahnen behängt worden. Auch auf dem Münsterturm wurde die Hakenkreuzflagge gehisst. Hitler tat kund, er werde aus dem Münster ein deutsches Nationalheiligtum machen. Ab August 1940 wurden alle katholischen Gottesdienste und Andachten im Strasbourger Münster verboten. Die beiden theologischen Fakultäten an der Universität Straßburg wurden umgehend geschlossen. Über 100 Studenten der Katholischen Theologie fanden Aufnahme im Collegium Borromäum im nahen Freiburg. Das deutsche Besatzungsregime gründete die NS-Kampfuniversität Strasbourg. Der dortige Lehrstuhlinhaber und bekennende Nationalprotestant Ernst Rudolf Huber[2] propagierte die „völlige Ausschaltung des Judentums“.
Erinnerungen von Marcelle Faber-Engelen
Autor Thomas Seiterich, der vor nunmehr 30 Jahren mit den Nachforschungen begann, schöpfte für sein reifes Werk auch aus den Erinnerungen der hochbetagten, fast hundertjährigen Rettungswiderständlerin Marcelle Faber-Engelen (1923-2023), der letzten, zum Zeitpunkt der Recherche noch lebenden Zeitzeugin. Sie und der Rest der Gruppe bekamen ab 1942 den Schrecken des Regimes mit voller Wucht zu spüren. „Letzte Wege in die Freiheit“ nimmt den Leser mit auf eine Reise in eine vergessene Geschichte des Widerstands, die mit ihrer christlichen Glaubenstreue und mit ihrer menschlichen Strahlkraft berührt. Der ortskundige Autor erzählt spannend und mitreißend von den vier Fluchtrouten, die die sechs Freundinnen erkundet hatten.
Öffentlicher Schauprozess gegen die Fluchthelferinnen
Ein Dossier mit geheimen Informationen, das die Pfadfinderin Lucie Welker nach Vichy überbringen sollte, fiel einem französischen Hitler-Anhänger im Umfeld des Vichy-Regimes in die Hände. Umgehend wurde das Material an die Gestapo weitergegeben. Während die Pfadfinderinnen verzweifelt versuchten, sich zu verstecken, begann die Gestapo mit den Verhaftungen und mit Verhören. Der Prozess gegen die Fluchthelferinnen der „Èquipe Pur-Sang“ und gegen andere Judenhelfer wurde ab dem 17. Januar 1943 als der erste große öffentliche Schauprozess des Volksgerichtshofs (VGH) im annektierten Elsass inszeniert. Es war ein hasserfülltes Tribunal. Blutrichter Freisler verhängte hohe Haftstrafen und Todesurteile, auch das Leben von Lucienne Welschinger sollte unter dem Fallbeil enden.
Intervention von Papst Pius XII. bringt Hitler in Bedrängnis
Im Elsass herrschte helle Empörung. Nach dem Bekanntwerden der Straßburger Todesurteile intervenierte Papst Pius XII. ohne Verzug bei Hitler und bat um das Leben der jungen Menschen.[3] Es ist denkbar, dass der „Führer“ Adolf Hitler auch aufgrund der Intervention von Marschall Pétain, dem Chef des Vichy-Regimes, den Vollzug der Todesurteile bis nach dem „Endsieg“ aussetzte. Doch dafür finden sich keinerlei Belege.
Lucienne Welschinger musste insgesamt 262 endlose Tage lang in Isolationshaft verbringen. In ihrer Vorbereitung auf den gewaltsamen Tod durch das Fallbeil entdeckte sie das Rosenkranzgebet. Am 20. Oktober 1943 endete ihre Todeshaft; sie wurde in das Frauengefängnis Aichach in Bayerisch-Schwaben überstellt.
Im befreiten Straßburg erklingt das „Te Deum“
Am 23. November 1944 wurde Strasbourg befreit. Und die Hakenkreuzfahne auf dem Münster wurde entfernt. Nach vier Verbotsjahren strömten die Gläubigen in die Kathedrale zum Gottesdienst; freudig und dankbar erklang ein feierliches Te Deum.
Aufschlussreich ist im Anhang der historische Überblick „Elsass im Zweiten Weltkrieg“, wo der Autor zudem Einblicke in die Geschichte des Widerstandes gibt. Über 120 Priester aus dem Elsass kamen während der deutschen Besatzungsherrschaft zu Tode; ihr Leben endete in einem Lager oder Gefängnis.
Ergreifende Einzelschicksale von Märtyrern des Erzbistums Strasbourg
Auch Einzelschicksale werden genannt: Ein Mitglied einer Strasbourger Messdienergruppe wurde in das Lager Schirmeck (Vogesen) verschleppt und dort Mitte Dezember 1941 totgeschlagen.
Der Weiße Vater Joseph Stamm wurde Ende April 1945 im Gefängnis Wolfach im Schwarzwald ermordet.
Das Leben des Elsässer Theologen und Missionswissenschaftlers Joseph Schmidlin endete im Januar 1944 im Lager Schirmeck; er wurde zu Tode geprügelt.
Unbekannt in unserem Kulturraum ist auch das Glaubenszeugnis der Pfadfindergruppe „Front de la Jeunesse Alsacienne“ (FJA). Die Todesurteile gegen sechs Mitglieder wurden am 15. Juli 1943 vollstreckt.
Marcel Weinum, der als Ministrant am Strasbourger Münster die Widerstandsgruppe „La Main Noire“ gründete, wurde am 14. April 1942 in Stuttgart enthauptet.
Am 15. Juli 1943 wurde Alphonse Adam, ein Mitglied der FJA, in Strasbourg exekutiert. Der Alumnus stammte aus dem Collège Saint Etienne in Strasbourg. – Keine kirchliche Institution hatte in der Zeit der NS-Gewaltherrschaft derart viele Opfer zu beklagen wie das Bistum Strasbourg.
Ein mit Herzblut geschriebenes packendes Werk
Wenige Leser werden je vom Alsatia-Verlag gehört haben, der von Joseph Rossé (1892 -1951) gegründet wurde. Ab 1940 verlegte Rossé Werke der Autoren der „Inneren Emigration“, von kath. Schriftstellern wie Werner Bergengruen, Reinhold Schneider, Romano Guardini, Alfred Delp und Theodor Haecker.[4] Das Fazit lautet: Auf jeder Seite spürt man, wieviel an Zeit, Kraft und Herzblut Autor Thomas Seiterich in dieses verdienstvolle Buchprojekt investiert hat, um dieses gereifte und packende Werk der Öffentlichkeit vorzulegen. Unbedingt lesenswert!
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2023
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[1] Arno Lustiger: Rettungswiderstand. Über die Judenretter in Europa während der NS-Zeit, Göttingen 2011. – Der Autor ist verwandt mit Jean-Marie Kardinal Lustiger (1926-2007), dem ehemaligen Erzbischof von Paris.
[2] Ernst Rudolf Huber (1903-1990) war ein Schüler des Staatsrechtlers Carl Schmitt (1888-1985), bekannt als der „Kronjurist des Dritten Reiches“. Sohn Wolfgang Huber (* 12. August 1942 in Straßburg) war von 2003 bis 2009 Ratsvorsitzender der EKD. Das Wesen des Politischen sei vorrangig die Verknüpfung von Gerechtigkeit und Frieden, aber nicht, so Haeckers Entgegnung an Carl Schmitt, das Freund-Feind-Verhältnis.
[3] IIn Fachkreisen sorgt derzeit diese gewichtige Neuveröffentlichung des amerikanischen Gelehrten David Kertzer: Der Papst, der schwieg. Die geheime Geschichte von Pius XII., Mussolini und Hitler (Darmstadt 2023) für Aufsehen. Auch in diesem geschichtswissenschaftlichen Werk findet sich keine Erwähnung dieser diplomatischen Intervention des Heiligen Stuhls.
[4] Theodor Haecker: Über den abendländischen Menschen, Kolmar im Elsass 1944. – Die gesamte Auflage der Broschüre „Die Versuchungen Christi“ (Kolmar 1944), die dem Theologen und Freunde Erik Peterson gewidmet war, wurde durch Kriegseinwirkung vernichtet. Aus dem Vorwort des Nachdruckes im Morus-Verlag (Berlin, Juli 1946): „Haecker beweist, dass die Geschichte dieser Versuchungen, ‚im Grunde genommen der Hauptinhalt der Weltgeschichte‘ ist. Er hat die Kühnheit, in einer Zeit, das der nationalsozialistische Staat auf der Höhe seiner Macht stand, es offen auszusprechen, dass ‚die Reiche dieser Welt die Tendenz zur Ungerechtigkeit haben und die Wahrheit nicht lieben‘.“
Bemühen um Seligsprechung von Pfarrer Johann Georg Seidenbusch (1641-1729)
Vorbild für priesterliche Lebensgemeinschaft
Pfarrer Johann Georg Seidenbusch hat in Aufhausen im Bistum Regensburg nach 1675 das erste Priester-Oratorium im deutschen Sprachraum ins Leben gerufen. Am 11. September 2014 schrieb Papst em. Benedikt XVI. dem damaligen Präpositus von Aufhausen, Pater Winfried M. Wermter CO: „Mit Freude habe ich Ihrem Brief vom 3. August entnommen, dass Sie den Seligsprechungsprozess für Propst Seidenbusch in Gang setzen möchten. Durch Bischof Graber bin ich seinerzeit auf diese bedeutende Gestalt aufmerksam geworden. Bei der Vorbereitung seiner Ehrenpromotion bin ich den Schriften des Aufhausener Gründers erstmals näher begegnet. Wenn wir das ‚Gegrüßet seist du, Königin‘ singen, denke ich immer auch an ihn, auf den dieses wunderbare Lied zurückgeht. Diese Gestalt wieder ins Bewusstsein zu rücken und als Vorbild für priesterliche Lebensgemeinschaft bewusst zu machen, scheint mir eine wichtige Aufgabe. So wünsche ich sehr, dass Ihr Vorhaben gelingt und dass nicht nur die Priester in Bayern, sondern weltweit damit einen neuen Patron geschenkt bekommen.“ Die katholische Theologin und Publizistin Dr. Margarete Strauss stellt diese Priestergestalt vor.
Von Margarete Strauss
Im Schatten des „Alten Peter“
Unsere heutige Zeit benötigt glaubensstarke Priesterpersönlichkeiten. Gerade Pfarrer Johann Georg Seidenbusch (1641-1729) ist so eine Gestalt. Er wurde am 5. April 1641 in einer tiefkatholischen kinderreichen Familie in München geboren und in der Pfarrkirche St. Peter getauft. Nach vielen Jahren erinnerte er sich als 78-jähriger Pfarrer in seiner Autobiographie:
„Schon als kleiner Junge, wenn etwa meine Mutter gesponnen und der Vater Handarbeiten erledigt hat, bin ich auf den Ofen oder auf die Bank gestiegen und habe angefangen zu predigen, womit ich meinen Eltern eine Freude bereitete. Einmal hat mein Vater gefragt: ‚Mein Kind, was willst du einmal werden?‘ Darauf antwortete ich: ‚Ein Pfarrer will ich werden, damit ich predigen kann!‘“
Die Kindheit Johann Georgs fiel in die letzten Jahre des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648). Als die Kriegswirren endlich vorüber waren, organisierten eifrige Buben der allgemeinen Sehnsucht nach Frieden entsprechend Prozessionen und bauten sogar eigene Klausen, in denen sie Einsiedler spielten. Für Johann Georg war das aber mehr als ein Kinderspiel. Er entfaltete schon damals seine Neigung zum inneren Gebet, und der wohlwollende Vater stellte sogar den überflüssig gewordenen Kuhstall im Garten als Klause zur Verfügung.
Ausgebildet bei den Jesuiten
1651 trat Johann Georg in das Jesuitenkollegium in München ein, wo er eine sehr sorgfältige Erziehung und Schulbildung erhielt. Bald stand er als eifriger Sodale in den Reihen der blühenden Münchner Marianischen Kongregation für Studenten. Diese wurde von den Patres der Gesellschaft Jesu mit dem Anliegen gegründet, „die Herzen aufzureißen, für Gott und Kirche zu begeistern und einen Vortrupp religiöser Aktivisten zu bilden“.
Im Kollegsaal des Gymnasiums, in dem die Versammlungen der Marianischen Kongregationen stattfanden, begegnete der Zehnjährige zum ersten Mal jener Muttergottesstatue, die dann später in seinem Leben eine entscheidende Rolle spielen sollte und die auch heute noch eine außergewöhnliche Ausstrahlungskraft besitzt. Gerne half der Bub beim Schmücken dieser Statue, die aber eines Tages unter der Treppe abgestellt wurde, weil eine neue, größere Figur angeschafft worden war.
Der Erwerb des „Marianischen Bildnisses“
Johann Georg war sehr vielseitig begabt. Das Malen hatte es dem heranwachsenden Schüler besonders angetan. Der inzwischen 17-jährige Student wurde sogar eingeladen, bei den beruflichen Malern auszuhelfen, als die Stadt München aus Anlass des Besuches von Kaiser Leopold im Jahre 1658 auf den Kopf gestellt wurde: Es galt, Bühnen, Säle und Häuser zu dekorieren, sodass die Fachkräfte ausgingen. Der Jesuiten-Schüler und Hobby-Maler machte sich dabei so verdient, dass er sagen durfte, welche Belohnung er sich dafür wünsche. Er wollte nichts anderes, als die unter der Treppe verstaubende Muttergottes-Figur, die er nach einigem Zögern auch bekam. Zunächst wurde „seine Madonna“ der große Schatz seiner Klause, um später als Gnadenbild die Aufhausener Wallfahrt zu begründen.
Das Bündnis mit Maria
In der Gymnasialzeit in München erreichte die Verbundenheit Seidenbuschs mit Maria eine neue Ebene, durch einen spontanen Schritt innigster persönlicher „Vermählung“ mit Maria. Der Anlass dazu war eine Hochzeit vornehmer Kreise, die er in St. Peter zufällig miterlebte und die ihn innerlich aufwühlte. Es tat ihm weh, als er beobachten musste, wie sich die Gäste sogar in der Kirche um viele Äußerlichkeiten kümmerten, aber niemand wirklich betete. Das tat ihm innerlich so weh, dass es ihn zu dem nahen Maria-Hilf-Altar hindrängte. Danach vertraute er sich ganz Maria an:
„Nun muss ich bekennen, dass ich eine ganz große innere Freude erlebte. Ich legte demütig meine Urkunde ihr zu Füßen nieder. Darin habe ich sie nicht nur ‚Herrin und Anwältin‘ (Dominam et Advocatam) genannt, sondern: ‚Ich erwähle dich als meine über alles geliebte Braut‘ (ad carissimam Sponsam te eligo). Ich habe also Maria zu meiner Verlobten und Braut erwählt.“
Der „Restaurator“ der menschlichen Seelen
Als der damals hochberühmte Joachim von Sandrart, einer der bedeutendsten Maler seiner Zeit, das Naturtalent des Studenten Seidenbusch erkannte, lud er ihn in seine Schule ein, um ihn dort zur Spitze der malerischen Kunst auszubilden. Es gäbe doch genügend Pfarrer und man müsse doch die von Gott gegebenen Talente schätzen und entwickeln. Der künftige Seelsorger schlug die Karriere eines Künstlers aus mit den Worten: „Ja, ich will Maler werden, aber ein solcher Maler, der mit dem Pinsel seiner Zunge und den Farben des göttlichen Wortes die durch die Sünde ruinierten Ebenbilder Gottes wieder repariert.“
Die Priesterweihe und die Wahl einer ärmeren Pfarrei
Nach seinen Philosophie- und Theologiestudien in München und Ingolstadt wurde der junge Seidenbusch 1666 im Freisinger Dom zum Priester geweiht. Er erhielt das Angebot, eine reich begüterte Pfarrei der Abtei als Pfarrer auszuwählen. Der sensible, künstlerisch hochbegabte junge Priester schlug aber die gut dotierten Pfarreien aus – er wollte nicht Verwalter von Pfründen werden, sondern für das Reich Gottes arbeiten. Nachdem Johann Georg alles Gott übergab, glaubte er in der ärmeren Pfarrei Aufhausen den richtigen Ort gewählt zu haben. Dort wirkte er 63 Jahre (1667-1729).
Die Abendandachten
Im Mai 1668 weihte der junge Pfarrer eine von ihm eingerichtete Klause beim Pfarrstadel ein, in die er zuerst sein verehrtes Scheyerner-Kreuz brachte. Vor diesem Kreuz versammelte er jeden Tag zunächst seine Hausgenossen. Sie sollten nicht über die bescheidenen Lebensbedingungen auf dem Dorf klagen, sondern immer wieder Gott für seine Güte danken! Auch Nachbarn schlossen sich gerne der täglichen Abendandacht an.
Als dann der Pfarrer auch seine geliebte Marienfigur unter das Kreuz stellte und ihr schließlich einen eigenen Altar mit dem Titel „Maria zum Schnee“ gab, kam es zu einem immer größer werdenden Pilgerstrom. Es sprach sich herum über die zahlreichen Gebetserhörungen, die viele Menschen nach dem vertrauensvollen Gebet zu Maria an dieser Stelle erfuhren. So reichte die fünfmalige Erweiterung der Stadel-Kapelle nicht mehr aus – es musste eine Kirche für das Gnadenbild gebaut werden!
Bemühungen um Priestergemeinschaften und Gründung von drei Oratorien
Um die Seelsorge in Aufhausen zu ermöglichen und die Seelsorger im Glaubensleben und in der Pastoral zu stärken, strebte Seidenbusch nach einer Priestergemeinschaft. In der Suche nach einer geeigneten Gemeinschaft von Diözesanpriestern erfuhr er von dem Modell des hl. Philipp Neri und begeisterte sich dafür. Er reiste 1675 nach Rom, wurde in das dortige Mutter-Oratorium aufgenommen und erhielt die Vollmacht, diese Priestergemeinschaft auch im deutschen Sprachraum zu etablieren. Dank seines seelsorglichen Denkens in kirchlicher Weite und guter Beziehungen zu den Herrscherhäusern der Wittelsbacher und der Habsburger vermochte Seidenbusch Priester-Oratorien des hl. Philipp Neri zunächst in Aufhausen, dann in Wien (1701) und in seiner Vaterstadt München (1707) ins Leben zu rufen.
Glaube und übernatürliches Denken
Die geistliche Prägung von Johann Georg Seidenbusch kommt besonders in folgendem Motto zum Ausdruck: „Omnia cum Deo et nihil sine eo“– „Alles mit Gott und nichts ohne Ihn!“ Ein anderes Leitwort seines Lebens und Handelns zeigt ebenso das übernatürliche Denken: „Mein‘s gut, tue was du kannst – im Übrigen lass Gott walten!“ Seidenbusch hatte keine großen missionarischen Pläne, aber sein schlichtes und gleichzeitig tiefes Gebetsleben machte es möglich, mit der Vorsehung Gottes genial zusammenzuarbeiten.
Heilige Gelassenheit
Das missionarische Wirken Seidenbuschs über die Pfarrei hinaus war immer wieder von Rückschlägen und Verfolgungen begleitet. Jede Schwierigkeit wurde für ihn zu einer neuen Stärkung der eigenen Spiritualität.
Es kam vor, dass in seinem Zimmer des Wiener Oratoriums eingebrochen wurde. Die zusammengerufene Gemeinschaft war verständlicher Weise über die Zerstörung und den Diebstahl entsetzt. Wie aber reagierte der Präpositus? Seine Antwort auf solche harten Prüfungen war, dass er seine Mitbrüder immer wieder dazu einlud, zusammen mit ihm das Te Deum zu singen. Hier verbindet sich in einzigartiger Weise ein tiefer Glaube mit befreiendem Humor, was durchaus zum großen Vorbild des hl. Philipp Neri passt. Einer von seinen damaligen Mitbrüdern, der auch Zeuge gewisser ekstatischer Erlebnisse von Seidenbusch wurde, reagierte darauf sehr drastisch. Über diesen Mitbruder heißt es im Bericht von Kornmiller: „Er hat über ihn gespottet und ihn für einen Narren und Spinner gehalten.“
Die Kreuzesliebe
Wie sehr Seidenbusch mit dem Gekreuzigten verbunden war, zeigt auch das Selbstbildnis, das er noch als junger Mann malte. Ganz unüblich für die Oratorianer des hl. Philipp Neri bildete er sich mit zwei ausdrucksstarken Symbolen ab: Er hält auf dem Bild nicht nur einen Rosenkranz in der Hand, sondern trägt – zur Hälfte in den Talar gesteckt – ein Missionskreuz auf dem Herzen. Dieses Kreuz begleitete ihn überall hin. Mit diesem Kreuz segnete er besonders in Notsituationen – und erfuhr auch immer wieder eine außergewöhnliche Hilfe „von oben“.
Der Tod und das Grab Seidenbuschs
Am 8. Dezember 1729, an seinem Lieblingsfest, hat Pfarrer Seidenbusch in der Wallfahrtskirche seine letzte Hl. Messe gefeiert. In der kurzen Ansprache rief er wieder dazu auf, die Gottesmutter zu verehren. Er erinnerte daran, dass er am Vigil-Tag dieses Festes das Gnadenbild von Maria-Schnee bekommen hatte, das er dann nach Aufhausen mitbrachte und das zum Herzstück der Wallfahrt wurde. Zwei Tage später, am 10. Dezember, verstarb Johann Georg in tiefem Frieden mit „Maria“ auf den Lippen, im Ruf der Heiligkeit. Er hatte angeordnet, dass man ihn unter der Kirchentüre begraben solle, damit er von allen Eintretenden betrampelt würde. Es war auch sein Verlangen, dass man über seinem Grab diese Inschrift anbringe: Hic requiescit minimus sacerdos („Hier ruht der geringste aller Priester“). In der Grabrede stellte Prof. Dr. Heinrich Widmann OSB einen ganzen „Tugendkatalog“ des verstorbenen Pfarrers und Dekans vor. Heute ruhen die Gebeine im Presbyterium der Wallfahrtskirche Maria Schnee in Aufhausen.
Die dankbaren Söhne des Oratoriums“ – Bemühungen um die Seligsprechung
Den Seligsprechungsprozess von Pfarrer Seidenbusch hatte schon Bischof Rudolf Graber gewünscht; es waren kirchliche, politische wie gesellschaftliche Umstände, die dies bisher verhindert haben. Dennoch lohnt sich ein neuer Versuch, den das im Jahr 2012 wiedererrichtete Oratorium in Aufhausen anstrebt. Rudolf Voderholzer, Bischof von Regensburg, der Seidenbusch als „einen außergewöhnlichen Zeugen der zuvorkommenden Liebe Gottes“ charakterisiert, äußerte sich 2017 in seiner Predigt im Heiligtum Maria Schnee:
„Ich bin den heutigen Oratorianern in Aufhausen unter der Leitung von Probst Winfried Wermter sehr dankbar, dass sie die Anregungen meines Vorgängers Rudolf Graber aufgegriffen haben, Probst Seidenbusch, sein Leben und Wirken dem Vergessen zu entreißen und in seiner Aktualität für heute herauszustellen. Ich bitte Sie alle, sich mit dieser großen Gestalt der bayerischen Kirchengeschichte, dieser großen Priestergestalt unserer Heimat zu befassen, seine Schriften zu lesen, seine Lieder zu singen und sich von seinen Gebeten anrühren und inspirieren zu lassen.“
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)
Maria spendet Trost und Stärkung in Zeiten der Angst
„Nichts soll dich erschrecken...“
Pfr. Dr. Richard Kocher, Programmdirektor von Radio Horeb, spannt einen Bogen von den tröstenden Worten der Gottesmutter in Guadalupe zur spannungsgeladenen Situation von heute. Er zitiert die Worte, mit denen Maria voll Liebe und Zärtlichkeit auf die Sorgen von Juan Diego (1474-1548) eingeht. Die Erscheinungen vom 9. bis 12. Dezember 1531 sind ein helles Licht in Zeiten von Gewalt und Krieg.
Von Richard Kocher
Die in Guadalupe entstandene Wallfahrt ist heute die größte der katholischen Weltkirche. Auf der Tilma, dem mantelartigen Umhang von Juan Diego, prägte damals die Muttergottes ihr Bild ein, das bis heute Gegenstand unzähliger Untersuchungen geworden ist. Auf den Agave-Fasern des Bildes konnten keine tierischen, pflanzlichen oder mineralischen Farbstoffe nachgewiesen werden. Auch bei mikroskopischen Untersuchungen wurden keine Pinselstriche oder Vorzeichnungen entdeckt. In den Augen der Muttergottes spiegeln sich 13 Personen wider, die so winzig klein sind, dass kein Maler sie hätte abbilden können. In ihnen ist zu sehen, wie Juan Diego seinen Mantel öffnet und Blumen herausfallen, die er als Zeichen der Echtheit auf dem Erscheinungsberg im Dezember gesammelt hatte.
Die unmittelbare Folge der Erscheinungen „Unserer Lieben Frau von Guadalupe“ war die größte Bekehrungswelle in der Geschichte der Kirche. Neun Millionen Azteken fanden zum Sohn der Frau, zu Jesus Christus. Die spanischen Eroberer und die einheimischen Azteken fanden sich gleichermaßen in dem Bild wieder: Für Erstere war sie die apokalyptische Frau aus der Offenbarung des Johannes, die mit der Sonne umkleidet ist, für die Letzteren eine Frau im türkisenen Gewand (nur der Kaiser durfte diese Farbe tragen), welche den gefürchteten Schlangengott, den größten Gott der Azteken, dessen Symbol der Halbmond war, mit dem Fuß zertritt. Das Bild schlägt eine Brücke zwischen Eroberern und Eroberten. Maria ist die Friedensbringerin zwischen den Kulturen, die damals hart aufeinanderprallten.
Die Worte voll Zärtlichkeit der Jungfrau an Juan Diego sprechen uns auch heute noch an, als sich dieser durch den Tod seiner Frau und die schwere Erkrankung seines Onkels in einer leidvollen Situation befand: „Wisse, verstehe genau, mein kleinster Sohn, dass ich die vollkommene heilige Jungfrau Maria, die Mutter des einzig wahren Gottes, bin, durch den das Leben ist, des Schöpfers der Menschen, des Herrn, der nah und unmittelbar ist. Ich wünsche sehr, dass man mir hier mein Heiligtum errichtet, wo ich allen Menschen meine persönliche Liebe in meinem barmherzigen Blick, in meiner Hilfe, in meiner Rettung erweisen werde: Denn ich bin in Wahrheit eure mitleidsvolle Mutter, die deine und aller Menschen, die in diesem Land vereint sind, und der anderen Stämme der Menschen, die mich lieben, jener, die zu mir rufen, die mich suchen, die ihr Vertrauen in mich setzen, denn hier will ich ihr Weinen, ihre Sorgen anhören, um ihre Leiden, ihre Nöte, ihre Schmerzen zu heilen...
Höre, nimm es in dein Herz, mein kleinster Sohn, nichts soll dich erschrecken, nichts dich bekümmern, nicht soll sich dein Antlitz, dein Herz betrüben. Fürchte nicht diese Krankheit noch irgendeine andere Krankheit oder einen Kummer, eine Betrübnis. Bin ich denn nicht hier, deine Mutter? Bist du denn nicht in meinem Schutz? Bin ich nicht der Brunnen deiner Freude? Bist du nicht in den Falten meines Mantels, in der Beuge meiner Arme? Brauchst du noch mehr als das? Nichts sonst soll dich betrüben, dich bekümmern; nicht soll dich die Krankheit deines Onkels mit Leid bedrücken, denn er wird jetzt daran nicht sterben. Sei versichert, dass es ihm schon gut geht.“
Wenn wir diese Worte zärtlicher Liebe auf uns wirken lassen, werden sie auch uns in diesen schwierigen und angsterfüllten Zeiten Trost und Stärkung schenken.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2023
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