Juli 2024
Liebe Leserinnen und Leser
Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel
„Löscht den Geist nicht aus! Verachtet prophetisches Reden nicht! Prüft alles und behaltet das Gute! Meidet das Böse in jeder Gestalt!“ (1 Thess 5,19-22). Mit diesen Worten des hl. Apostels Paulus könnte man die neuen Normen des Vatikans zur Beurteilung von übernatürlichen Phänomenen zusammenfassen. Ziel des Dokuments vom 17. Mai 2024 ist es, das Wirken des Geistes für die Kirche fruchtbar werden zu lassen. Dazu legt das Dikasterium für die Glaubenslehre ein Instrumentarium vor, das es den Hirten ermöglicht, flexibler als bisher auf mutmaßliche Erscheinungen und Botschaften einzugehen. Es erlaubt, viel schneller Gutes aufzugreifen und es für die Evangelisierung zu nützen, aber auch einzuschreiten, wenn von solchen Phänomenen ein unguter Geist ausgeht. Schlüssel dafür ist die Entscheidung der Kirche, die Prüfung in Zukunft nicht mehr mit einer Erklärung über den übernatürlichen Ursprung der Phänomene abzuschließen, sondern als höchste Form der Zustimmung ein „Nihil obstat“ (lat. für „es steht nichts entgegen“) zu erteilen. Das ermöglicht, Heiligtümer zu fördern, an denen noch Erscheinungen stattfinden, oder umgekehrt, nach einer zunächst positiven Stellungnahme einzugreifen und Missstände zu beheben. Es scheint wie auf Medjugorje zugeschnitten zu sein. weiter...
75 Jahre Anerkennung der Marienerscheinungen im belgischen Banneux 1933
„Ich bin die Jungfrau der Armen“
Von Leo Palm
Der Vatikan hat neue Normen zur Prüfung und Beurteilung von übernatürlichen Phänomenen herausgegeben. In der Präsentation des Dokuments stellte Víctor Manuel Kardinal Fernández, der Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre, fest, nach 1950 seien nicht mehr als sechs Fälle offiziell geklärt worden. Es sei anzunehmen, dass viele andere Fälle anders oder gar nicht behandelt worden seien. Ein Beispiel für die Anerkennung einer Marienerscheinung in der Vergangenheit ist Banneux. Dort erschien die Gottesmutter vom 15. Januar bis zum 2. März 1933 der elfjährigen Mariette Beco acht Mal und nannte sich „Jungfrau der Armen“. Mariette, die am 25. März 1921 geboren wurde, war die älteste von sieben Kindern und wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Die Familie Beco bewohnte ein bescheidenes Arbeiterhaus außerhalb des belgischen Dorfes Banneux, etwas abseits der Straße und vor einem großen Fichtenwald gelegen. Am 22. August 1949 wurden die Erscheinungen von der Kirche offiziell anerkannt. Der Rektor des Wallfahrtsortes Banneux, Abbé Leo Palm, bietet eine Zusammenfassung der Ereignisse und wirft einen Blick auf die damalige Prüfung durch die Kirche. In seinem Bericht spiegeln sich die unterschiedlichen Aspekte des neuen Dokuments anschaulich wider. weiter...
Kurzer theologischer Kommentar zu den neuen Normen des Vatikans
Kirchliche Beurteilung übernatürlicher Phänomene
Von Manfred Hauke
Prof. Dr. Manfred Hauke lehrt Dogmatik an der Theologischen Fakultät in Lugano (Schweiz). Er ist Vorsitzender der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Mariologie und Mitglied der Internationalen Päpstlichen Mariologischen Akademie. Zu seinem Lebenslauf und seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen vgl. https://manfred-hauke.ch – Nachfolgend bietet er einen kurzen theologischen Kommentar zu den neuen „Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene“, die am 19. Mai 2024 in Kraft getreten sind. weiter...
La Vang im Licht der neuen Normen
Marienerscheinung in Vietnam 1798
Von Erich Maria Fink
Die Erscheinung der Gottesmutter im vietnamesischen Dschungel am 17. August 1798 ist ein klassisches Beispiel dafür, wie die Kirche schon immer mit solchen Phänomenen umgegangen ist. Nach dem biblischen Grundsatz „Löscht den Geist nicht aus!“ (1 Thess 5,19) reagierte sie abwartend und richtete ihr Augenmerk auf die guten Früchte. Die kirchliche Anerkennung beschränkte sich dann meist darauf, dass die Volksfrömmigkeit, die sich aus diesen Ereignissen entwickelt hatte, in die Pastoral eingebunden wurde. weiter...
Das Heiligtum von La Vang
„Die Gnade ist der Wert der Zeit“
Von Klaus-Hermann Rössler
Klaus-Hermann Rössler hat Theologie und Geschichte studiert und ist beruflich in der Sozialverwaltung tätig. In seinem Beitrag stellt er die Bedeutung des Heiligtums Unserer Lieben Frau von La Vang für die katholische Kirche in Vietnam heraus. Mit einem Gang durch die Geschichte dieses Landes zeigt er das leidvolle Schicksal der Katholiken auf, denen die Gottesmutter mit fürsorglicher Liebe zu Hilfe kam. Dass keine schriftlichen Quellen über die Marienerscheinung im Jahr 1798 mehr existieren, stellt für die Forschung eine Hürde dar. Ähnlich zogen im Vorfeld der Heiligsprechung von Juan Diego im Jahr 2002 Historiker die geschichtliche Existenz dieses Sehers von Guadalupe überhaupt in Frage. Doch letztlich konnte durch über 20 Forscher ein Nachweis erbracht werden und Papst Johannes Paul II. stellte sich wie im Fall von La Vang hinter die Überlieferung. weiter...
Geschichtliche Einordnung der neuen Normen
Eingreifen Gottes in die menschliche Geschichte
Von Gianni Sgreva CP
Der Passionistenpater Gianni Sgreva wurde am 2. März 1949 in Caldiero (Verona) geboren. Nach seinem Studienabschluss in Theologie und seiner Promotion in patristischen Wissenschaften am Patristischen Institut Augustinianum in Rom übte er etwa vierzig Jahre lang (1980-2020) an verschiedenen theologischen Instituten eine Lehrtätigkeit in diesen Fächern aus. 1985 gab er im Einvernehmen mit seinem Ordensoberen P. Paul Michel Boyle CP, dem damaligen Generaloberen der Passionisten, diesen Dienst auf und widmete sich der seelsorglichen Betreuung von jungen Menschen, die in Medjugorje eine Bekehrung erlebt hatten. Daraus entwickelte sich die Marianische Gemeinschaft „Oase des Friedens“, für die er die Regeln verfasst hat und als deren Gründer er gilt. Bis zum 16. Juli 2001 widmete er sich der Leitung der Gemeinschaft. P. Gianni Sgreva sah die guten Früchte von Medjugorje, rang aber auch mit vielen offenen Fragen und Vorkommnissen, die mit den mutmaßlichen Erscheinungen verbunden waren. Auf dem Hintergrund seiner reichen Erfahrung versucht er in seinem Beitrag, die neuen Normen des Vatikans zur Beurteilung übernatürlicher Phänomene geschichtlich einzuordnen und theologisch zu interpretieren. Für ihn wäre es ein großer Verlust, wenn die Kirche vollkommen darauf verzichten würde, die verschiedenen Formen des übernatürlichen Eingreifens Gottes in die Geschichte endgültig zu bewerten. Eine wichtige Art der Fruchtbarkeit des Gnadenwirkens des Heiligen Geistes für das Leben der Kirche ginge seiner Ansicht nach dadurch verloren. weiter...
Neue Begegnung mit biblischen Texten
Biblischer Personalismus
Von Engelbert Recktenwald FSSP
P. Franz Prosinger (geb. 1953) ist seit 2020 für biblische Studien freigestellt. Frucht seiner exegetischen Forschungsarbeit ist ein Buch über den „biblischen Personalismus“, das 2023 erschienen ist.[1] In seiner Rezension skizziert P. Engelbert Recktenwald die eindrucksvolle Anthropologie Prosingers als Dialog mit Gott. weiter...
„Troiza“ – die bedeutendste Ikone der Russisch-Orthodoxen Kirche
Ein Meisterwerk christlicher Kunst
Von Dominic Lieven
Die Dreifaltigkeitsikone von Andrej Rubljow (um 1360-1430) gilt als das wichtigste Werk der russischen Ikonenmalerei. Über diese Ikone hat Marie Czernin (geb. 1971) ein Buch in italienischer Sprache verfasst. Am 28. Oktober 2022 ist sie viel zu jung verstorben. Nach ihrem Tod wurde das Buch 2024 auch auf Deutsch veröffentlicht.[2] Es handelt von der spannenden Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte dieses Meisterwerks der christlichen Kunst. Dabei nimmt die Autorin ihre Leser mit in die Welt der russischen Kultur und Geschichte. Auf anschauliche Weise führt sie in die orthodoxe Spiritualität und in das Geheimnis der Dreifaltigkeitsikone ein, das, wie sie abschließend bemerkt, von keinem der Autoren, die sich mit Rubljow befasst haben, gänzlich gelüftet wurde. Für Marie Czernin, die in Rom Kunstgeschichte studierte und seit 2011 für Missio arbeitete, war die Ikone Kunst- und Glaubenswerk zugleich, ja, die Ikone war für sie persönlich zu einer Erleuchtung geworden. So hoffte sie, dass die enorme innere Kraft der Ikone den christlichen Konfessionen zu einer größeren Einheit verhelfen und zu einer Erneuerung der christlichen sakralen Kunst führen könnte. weiter...
Das Geheimnis einer Ikone
Offenbarung einer göttlichen Realität
Von Marie Czernin († 2022)
Das Bezeichnende und Besondere an einer Ikone ist, dass sie für sich selber spricht, während ihr Urheber – sei er noch so talentiert und berühmt – in den Hintergrund tritt. Die Ikone bezeugt jenes Mysterium, das der Künstler mit seinem Pinsel nur andeuten und „umschreiben“ kann. Sie ist die Offenbarung einer anderen Realität, die wie ein Licht durch ein Fenster – die Ikone – in unsere Welt hineinscheint. weiter...
Symbolfigur des neuen Aufbruchs
Heiliger Seraphim von Sarow
Von Erich Maria Fink
Von Kindheit an verspürte Pfarrer Erich Maria Fink den Wunsch, einmal als Priester in Russland zu arbeiten. Doch wegen des Priestermangels stand sein Bischof diesem Plan zunächst ablehnend gegenüber. Als Pfr. Fink noch nicht wusste, dass er ab Januar 2000 für die Seelsorge in Russland freigestellt wird, besuchte er bereits in den 90er Jahren das Wirkungsfeld des hl. Seraphim von Sarow (1754-1833) in Zentralrussland. 1999 organisierte er sogar eine Pfarrwallfahrt zu heiligen Stätten der Russisch-Orthodoxen Kirche, allen voran zum Grab des hl. Seraphim in der Dreifaltigkeitskathedrale von Diwejewo. Denn 1994 hatte er Lehrerinnen mit ihrem geistlichen Mädchenchor aus Moskau kennengelernt, die eine Pilgerfahrt durch Deutschland machten und ihm das Geheimnis dieses Heiligen eröffneten, einer Symbolfigur des neuen Aufbruchs, die auch uns Katholiken viel zu sagen hat. weiter...
Zum 80. Jahrestag des 20. Juli 1944
Stauffenbergs religiöse Wurzeln
Von Jakob Knab
Studiendirektor a. D. Jakob Knab hat sich mit der ganzen Kraft seiner Seele dem Widerstand gegen das Regime der Nationalsozialisten 1933 bis 1945 in Deutschland verschrieben. Kaum jemand hat so intensiv die religiösen Wurzeln der Protagonisten dieses Widerstands zu erforschen versucht wie er. Zum 80. Jahrestag des fehlgeschlagenen Attentats vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler wagt Jakob Knab auch einen Blick auf Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der die Sprengladung im Führerhauptquartier Wolfsschanze deponiert hatte. Stauffenberg war als Chef des Stabes beim Befehlshaber des Ersatzheeres die Schlüsselfigur des Umsturzversuchs. Knab zeigt seine bewegte Entwicklung und sein ehrliches Ringen auf. Dabei arbeitet er vor allem die religiösen Wurzeln Stauffenbergs heraus, die seinen Charakter geformt und letztlich zu seinen Entscheidungen geführt haben. Stauffenberg wurde noch in derselben Nacht gemeinsam mit seinen Vertrauten im Hof des Berliner Bendlerblocks erschossen. Im Zug der Ermittlungen gegen die Verantwortlichen dieser Erhebung gegen das Regime wurden über 200 Personen hingerichtet. weiter...
[1] Franz Prosinger: Leibhaftige Welt. Biblischer Personalismus, EOS Verlag 2023, 282 S., Softcover, 24,95 Euro, ISBN 978-3-8306-8202-8 – Tel.: +49 (0) 8193 71701.
[2] Marie Czernin: Die Dreifaltigkeitsikone des Andrej Rublëv. Mit einem Geleitwort von Christoph Kardinal Schönborn, Be+Be-Vlg. Heiligenkreuz 2024, HC, 215 S., ISBN 978-3-903518-07-0; Euro 29,90 – www.bebeverlag.at/