Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Vor 50 Jahren ist das sog. „Theresienwerk“ entstanden. Eine Gemeinschaft von Priestern, Ordensleuten und Laien hatte sich zum Ziel gesetzt, die Spiritualität der hl. Thérèse von Lisieux (1873-1897) zu verbreiten. Es geht um den „Kleinen Weg“ der Hingabe und des Vertrauens, den die hl. Thérèse entdeckt und auf außerordentliche Weise verwirklicht hat. Sie ist ein strahlendes Vorbild für einen Weg zur Heiligkeit in den gewöhnlichen Dingen des Alltags geworden. Das Theresienwerk ist im ganzen deutschen Sprachraum engagiert. Deshalb wurde es bewusst in der Diözese Augsburg angesiedelt, um die Verbindung mit Österreich und der Schweiz zu erleichtern.

Inzwischen hat das Theresienwerk gewaltige Impulse erhalten, die man bei der Gründung noch nicht voraussehen konnte. Zum einen war es die Erhebung der hl. Thérèse von Lisieux zur Kirchenlehrerin im Jahr 1997, zum anderen die Selig- und Heiligsprechung ihrer Eltern Zélie und Louis Martin 2008 und 2015.

Gründergestalt ist der Jesuitenpater und Priesterseelsorger P. Maximilian Breig SJ (1913-1994), der vom Geist der hl. Thérèse begeistert war und dieses Feuer in den Herzen der Menschen entzünden wollte. Unermüdlich war er mit den Schätzen der Heiligen aus Lisieux unterwegs, um sie durch Vorträge und Einkehrtage unter die Gläubigen zu bringen. Einen besonderen Anlass, die Aufmerksamkeit noch mehr auf die hl. Thérèse zu lenken, sah er in ihrem 100. Geburtstag am 2. Januar 1973. Um die Feier dieses Jubiläums vorzubereiten, richtete er im Jahr zuvor einen Arbeitskreis ein. Doch dieser Kreis erkannte von Anfang an, dass er nicht nur eine vorübergehende Tätigkeit zur Organisation eines Festes ausüben, sondern in Zukunft das ganze Apostolat von P. Breig SJ mittragen und zur Entfaltung bringen sollte.

So wurde das Theresienwerk im Lauf des Jahres 1972 aus der Taufe gehoben. In Erinnerung an diesen Anfang begeht es nun 2022 ein ganzes Jubiläumsjahr. Es steht unter dem Thema „Mit Thérèse Jesus zu den Menschen bringen“, gewiss auch im Blick auf den 150. Geburtstag der Heiligen. Mit großer Dankbarkeit nehmen wir das Angebot des Theresienwerks auf, in KIRCHE heute das ganze Jahr 2022 über in jeder Ausgabe einen Artikel zu aktuellen Themen im Licht der Botschaft der hl. Thérèse zu veröffentlichen.

Es ist kein Zufall, dass die hl. Thérèse bereits am 14. Dezember 1927 von Papst Pius XI. neben dem hl. Franz Xaver zur Patronin der Weltmission erklärt worden ist. Ihr missionarischer Eifer und ihre Liebe zur Heiligen Schrift sind ein prophetisches Zeichen für unsere Zeit. Wie aktuell sind auch die Themen Familie und Priestertum, zu denen ein helles Licht von der Heiligen aus Lisieux ausgeht! Ihr Verständnis für Gehorsam, Kreuz und Herzensreinheit könnten den „Synodalen Weg“ entscheidend inspirieren.

Nicht nur der Name „Theresia vom Kinde Jesus und vom heiligen Antlitz“ passt wunderbar zu Weihnachten, sondern ihr ganzes Lebenszeugnis. Ein Zitat von ihr möge uns in dieser Vorbereitungszeit auf Weihnachten begleiten: „Das Wort Jesu bewahren, das ist die einzige Bedingung für unser Glück, das ist der Beweis unserer Liebe zu Ihm. Aber was ist denn nun dieses Wort? Mir scheint, das Wort Jesu ist Er selbst. Er, Jesus, das Wort, das Wort Gottes! Wir wissen also, welches das Wort ist, das wir bewahren müssen. Wir bewahren Jesus in unseren Herzen!“

Liebe Leser, um unser Apostolat weiterführen zu können, benötigen wir noch eine kräftige Unterstützung (IBAN: DE46 7116 0000 0001 1905 80). Schon jetzt sagen wir Ihnen ein tausendfaches Vergelt’s Gott für Ihre großherzige Spende und wünschen Ihnen von Herzen eine gnadenreiche Advents- und Weihnachtszeit.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Das Theresienwerk feiert sein goldenes Bestandsjubiläum

Mit der hl. Thérèse von Lisieux Jesus zu den Menschen bringen

Im Jahr 1972 wurde das sog. „Theresienwerk“ gegründet, das sich die Verbreitung der Spiritualität der hl. Thérèse von Lisieux (1873-1897) zum Ziel gesetzt hat. Die Entstehung des Werks zog sich über das ganze Jahr 1972 hin. Auf einem Treffen zur Vorbereitung einer Feier des 100. Geburtstags der hl. Thérèse, das vom 2. bis 4. Januar 1972 in Würzburg stattfand, wurde die Gründung eines „Theresienwerks“ mit Sitz in Augsburg beschlossen. Dort fand am 26. Oktober die Gründungsversammlung statt. Am 9. November folgte schließlich ein Dekret des Augsburger Bischofs Dr. Josef Stimpfle mit einer kirchlichen Empfehlung. So begeht das Theresienwerk zu seinem 50-jährigen Bestehen ein ganzes Jubiläumsjahr, das unter dem Thema steht: „Mit Thérèse Jesus zu den Menschen bringen“. Während dieses Jahres 2022 wird das Theresienwerk in jeder Ausgabe von KIRCHE heute einen Artikel zu einem aktuellen Thema im Licht des „kleinen Weges“ der hl. Thérèse veröffentlichen, verfasst von unterschiedlichen Autoren. Zum Auftakt blickt P. Georg Gantioler FSO, der derzeitige Leiter des Theresienwerks (www.theresienwerk.de), in nachfolgendem Beitrag auf die 50-jährige Geschichte zurück und deutet die inhaltliche Ausrichtung der Artikelserie an.

Von Georg Gantioler FSO

Die heilige Thérèse von Lisieux (1873-1897) gehört zu den großen Gestalten der Kirche und ist zugleich als eine Frau mit tiefer, frischer und lebensnaher Spiritualität anerkannt. Ihre selbstbiographischen Schriften („Geschichte einer Seele“), ihre Briefe, Gedichte und Gebete sind Standardliteratur des geistlichen Lebens.

Thérèse – Kirchenlehrerin für unsere Zeit

Papst Johannes Paul II., der Thérèse von Lisieux am 19. Oktober 1997 zur Kirchenlehrerin erhoben hat, schrieb damals im Apostolischen Schreiben Divini Amoris Scientia (Nr. 6f.): „Gott hat durch ihr Leben der Welt eine bestimmte Botschaft gegeben. Er hat einen Weg nach dem Evangelium gewiesen, nämlich den ‚kleinen Weg‘, den alle gehen können, da ja alle zur Heiligkeit berufen sind. […] Ihre Lehre ist zur gleichen Zeit ein Bekenntnis des Glaubens der Kirche, ein Erleben des christlichen Mysteriums und ein Weg zur Heiligkeit.“ Und in Nr. 8 dieses Schreibens stellt der Papst fest: „Sie hat in unserer Zeit die Schönheit des Evangeliums aufleuchten lassen; sie hatte die Sendung, die Kirche, den mystischen Leib Christi, bekannt zu machen und lieben zu lehren, und hat dazu beigetragen, die Seelen von den Härten und Ängsten der jansenistischen Lehre zu heilen, die mehr dazu neigte, die Gerechtigkeit Gottes als sein göttliches Erbarmen zu betonen. […] So ist sie zu einem lebendigen Abbild jenes Gottes geworden, der, wie die Kirche es im Tagesgebet am 26. Sonntag im Jahreskreis formuliert, ‚seine Macht vor allem im Erbarmen und im Verschonen offenbart‘“.

Zélie und Louis Martin – Vorbilder eines heiligen Ehe- und Familienlebens

In den 1950-er Jahren begann man sich auch auf ihre Eltern zu besinnen. Durch die Heiligsprechung durch Papst Franziskus während der Weltbischofssynode über die Familie (2015) wurden sie der ganzen Kirche als Vorbilder eines heiligen Ehe- und Familienlebens vor Augen gestellt. So gehört die „heilige Familie Martin“ zu den großen Schätzen der Kirche. Ihr Licht ist Orientierung für alle, die nach einem Weg suchen, den Alltag in der Gnade des Glaubens zu gestalten.

Das Theresienwerk mit Sitz im Bistum Augsburg versucht seit 50 Jahren, Leben und Spiritualität der heiligen Thérèse von Lisieux und ihrer heiligen Eltern, Zélie und Louis Martin, den Menschen im deutschen Sprachraum nahe zu bringen.

Exerzitientätigkeit von P. Maximilian Breig SJ

Das Theresienwerk ist aus einem spirituellen Boden hervorgewachsen, genauer, aus der Exerzitientätigkeit von Pater Maximilian Breig SJ (1913-1994). Als Soldat im Zweiten Weltkrieg in Frankreich lernte er dort die Verehrung und die Botschaft der hl. Thérèse von Lisieux kennen. Nach dem Krieg hatte er verschiedene Aufgaben inne: Er war von 1950 bis 1956 Spiritual im Priesterseminar in Würzburg, von 1956 bis 1963 erfüllte er als Substitut in der Jesuitenkurie Sekretärsaufgaben, von 1963 bis 1975 war er Priesterseelsorger in der Diözese Augsburg und zugleich Präses der Marianischen Priesterkongregation. Obwohl er in seinem Selbstverständnis immer Jesuit blieb, fühlte er sich sehr der Spiritualität des „Kleinen Weges“ der hl. Thérèse von Lisieux verbunden. Seit 1967 hielt er regelmäßig Exerzitienkurse für Priester und Laien in Lisieux, um auch andere für die Botschaft des „Kleinen Weges“ zu begeistern. Er fand bald Gefährten, die ihn dabei unterstützten, so den Speyerer Weihbischof Ernst Gutting und den Karmeliten P. Theophan Beierle OCD. Im Oktober 1971 erschien erstmals ein, dann regelmäßiger „Lisieux-Brief“, der an alle erging, die in Lisieux an Exerzitien teilgenommen hatten oder als Freunde der hl. Thérèse bekannt waren. Ziel dieses Briefes war es, die Gemeinschaft unter den Thérèse-Freunden zu stärken und diese zu einer Vertiefung der Botschaft der „kleinen Heiligen“ zu führen.

Gründung des Theresienwerks im Jahr 1972

Um den 100. Geburtstag der hl. Thérèse (2. Januar 1973) auch in Deutschland zu feiern, lud Pater Breig Theresienfreunde aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu einem Vorbereitungstreffen vom 2. bis zum 4. Januar 1972 nach Würzburg ein. Im Exerzitienhaus Himmelspforten trafen sich 44 Personen, unter ihnen auch Wallfahrtsdirektor Georges Durand aus Lisieux, Weihbischof Ernst Gutting aus Speyer, der Karmelitenpater Theophan Beierle und Pater Joseph Jahnel von den Johannesmissionaren. Bei diesem Treffen fassten die Versammelten den Beschluss, für die Organisation des Jubiläums ein „Theresienwerk“ zu gründen. Es sollte wegen der Nähe zu Österreich und der Schweiz seinen Sitz in Augsburg haben und wegen der Rechtsfähigkeit im bürgerlichen Bereich und der Ausstellung von Spendenquittungen ein „Eingetragener Verein“ sein. Als Ziel des Vereins wurde formuliert: „Das Leben und die Spiritualität der hl. Thérèse von Lisieux den heutigen Menschen nahe zu bringen durch Veröffentlichungen, Tagungen, Vorträge, Besinnungstage u.ä.“

Die Gründungsversammlung des „Theresienwerk e.V.“ fand dann am 26. Oktober 1972 in Augsburg statt. Zum ersten Vorsitzenden wurde erwartungsgemäß P. Maximilian Breig SJ gewählt, zu seinem Stellvertreter P. Theophan Beierle OCD. Weihbischof Ernst Gutting wurde als Ehrenvorsitzender gewählt. Am 9. November 1972 erfolgte die kirchliche Empfehlung durch den Augsburger Bischof Dr. Josef Stimpfle. Im Dekret schrieb er: „Möge der Herr seinen Segen dazu geben, dass das geistliche Vermächtnis der hl. Thérèse von Lisieux zur Erneuerung der Kirche beitrage.“ Der Bischof ernannte auch einen Beauftragten des Bistums für das Theresienwerk: Domkapitular Dr. Karl Braun, der diese Aufgabe bis zu seiner Ernennung zum Bischof von Eichstätt im Jahr 1984 innehatte. Das erste Büro des Theresienwerkes wurde im Haus der Jesuiten in Augsburg (Sterngasse) eröffnet.

Jubiläumsfeier zum 100. Geburtstag von Thérèse in Würzburg

Am 24./25. Februar 1973 fand die Jubiläumsfeier zum 100. Geburtstag von Thérèse in Würzburg statt. Bei dieser Tagung im vollbesetzten Konzertsaal des Konservatoriums hielt Prof. Dr. Hans Urs von Balthasar den Festvortag. Den Pontifikalgottesdienst im Dom von Würzburg zelebrierte Bischof Dr. Joseph Stangl. In den folgenden Monaten erklärten rund 300 Personen ihren Beitritt zum Theresienwerk. So musste im Juli 1973 das kleine Büro in der Sterngasse aufgrund des starken Wachstums und der vermehrten Aufgaben des Theresienwerkes erweitert werden. Ehrenamtliche Frauen unterstützten P. Breig in der Administration und Organisation, Haupttriebkraft blieb aber stets er selbst.

Im Jahr 1974 fand im März ein weiteres großes Treffen mit 1.300 Teilnehmern in Augsburg statt. In den folgenden Jahren trafen sich die Theresienfreunde in Speyer, Regensburg, Essen, Würzburg, Trier, Freiburg und Luzern zu großen Tagungen, bei denen Theologen wie Ernst Gutting, Barbara Albrecht, Leo Scheffczyk und der evangelische Theologe Ulrick Wickert referierten. Daneben gab es viele Exerzitienkurse, Einkehrtage, Vorträge; es wurden zahlreiche theresianische Schriften veröffentlicht und Originaltexte in deutscher Sprache herausgegeben. Mit den vorhandenen Spendengeldern wurden Priesteramtskandidaten und Projekte in den Missionsländern unterstützt.

Gründung eines „Kernkreises“

Da P. Breig eine weitere kirchliche Verankerung des Theresienwerkes vor Augen stand, auch im Hinblick auf seine gute Weiterentwicklung und den Fortbestand in Treue zur Kirche, bat er 1981 Bischof Stimpfle darum, einen „Kernkreis“ des Theresienwerkes als Pia Unio zu errichten. Es waren Mitglieder, die sich freiwillig auf eine geistliche Lebensordnung verpflichteten. Ebenso bat er, eine Gruppe von ehelos lebenden Frauen des Theresienwerkes unter dem Namen „Dienerinnen des Priestertums Christi“ als Pia Unio zu errichten, was am 1. September 1982 geschah. Diese Vereinigung sollte eine „Vorstufe für ein zu einem späteren Zeitpunkt gegebenenfalls zu errichtendes Säkularinstitut“ sein mit dem Ziel, Priester im theresianischen Geist durch Gebet, Opfer und konkrete Hilfe zu unterstützen. Frauen, die sich den „Dienerinnen“ anschlossen, verpflichteten sich einer eigenen Lebensordnung entsprechend auf die drei Evangelischen Räte.

P. Breig führte einen regen Schriftverkehr mit Bischöfen, Priestern, Ordensleuten, Missionaren und Laien, Erwachsenen wie Jugendlichen, auch mit Mitgliedern anderer christlichen Konfessionen, in welchem er ganz persönlich für die Sache Thérèses warb. Ein besonderes Anliegen war ihm auch, Mädchen anzusprechen, für die er eigene Kreise gründete und eine eigene Zeitschrift herausgab: „Der klare Weg – Mädchen auf dem Weg der hl. Thérèse“.

1986 wurde P. Maximilian Breig von seinen Oberen aufgefordert, aus Altersgründen seine Verantwortung für das Theresienwerk abzugeben und für einen Nachfolger zu sorgen. Er wandte sich in diesem Anliegen an den Augsburger Bischof. Dem Brief legte er einen aktuellen Stand des Theresienwerkes bei: Es hatte im November 1986 1.650 eingetragene Mitglieder, einen Kernkreis von 505 Personen (davon 63 Priester und 12 „Dienerinnen“); 16 bis 20 jährliche Exerzitienkurse wurden angeboten, in 14 Städten gab es monatliche Gebetsstunden; der Lisieux-Brief, der viermal jährlich erschien, hatte eine Auflage von 7.200 Exemplaren; 110 Theologiestudenten in 30 Missionsländer wurden unterstützt; Schriften der hl. Thérèse übersetzt, Bücher publiziert und Broschüren gedruckt.

Wichtige Etappen in der Geschichte des Theresienwerks

Nach einer längeren Nachfolgersuche wurde bei der Mitgliederversammlung am 16./17. September 1989 der Augsburger Stadtpfarrer Anton Schmid zum neuen Leiter gewählt und von Bischof Stimpfle bestätigt. Pfr. Schmid führte mit einer großen Liebe zur hl. Thérèse die Exerzitien- und Pilgerfahrtstätigkeit von P. Breig im Rahmen seiner Möglichkeiten fort. Das Theresienwerk nahm an den deutschen Katholikentagen, verschiedenen Kongressen und Veranstaltungen teil und organisierte zahlreiche Theresientreffen im In- und Ausland. Aus Einkehrtagen für Familien entstand unter der Leitung von Monika-Maria Stöcker (Referentin im Theresienwerk) eine neue Jugendgruppe: „Die Flamme“, aus der später das „Forum Thérèse“ für junge Erwachsene hervorging. In Polen und Lettland entstanden Theresienkreise. Ab 2007 wurden mehrmals Reisen mit dem Reliquienschrein der hl. Thérèse bzw. ihrer Eltern in Deutschland und Österreich organisiert und durchgeführt. Jedes Jahr erschien neue Literatur. Ein Höhepunkt in diesen Jahren waren die Selig- und Heiligsprechung der Eltern der hl. Thérèse, die dem Theresienwerk eine neue Dimension zufügten.

Pfr. Schmid leitete das Theresienwerk bis 2019, bis auch er aus Altersgründen den Vorsitz abgab. Bei der Mitgliederversammlung am 28. September 2019 bin nun ich zum neuen Leiter gewählt worden. Im Januar 2021 ist das Büro des Theresienwerkes nach Donauwörth umgezogen, wo es im Kloster Heilig-Kreuz ein neues Zuhause gefunden hat.

Das Theresienwerk hat aktuell rund 1100 Mitglieder in Deutschland, Österreich und der Schweiz und rund 1000 Freunde, die ohne Mitgliedschaft den Rundbrief „Thérèse“ erhalten. Die Gruppe der „Dienerinnen des Priestertums Christi“ erfuhr leider keine weitere Entwicklung und löste sich aufgrund von Nachwuchsmangel, Krankheit und Tod der Mitglieder de facto auf. Der „Kernkreis“ wurde 1998 in „Gebetsapostolat im Theresienwerk“ umbenannt und existiert heute mit rund 400 Mitgliedern als eine lose Gemeinschaft, die die Anliegen des Theresienwerkes durch intensiveres Gebet mitträgt.

Mit Thérèse Jesus zu den Menschen bringen

Als Motto für das im kommenden Jahr anstehende 50-Jahr-Jubiläum wählte der Vorstand des Theresienwerkes: „Mit Thérèse Jesus zu den Menschen bringen“. Es geht im Theresienwerk nicht um die Verehrung einer lieben kleinen Heiligen. Die hl. Thérèse vom Kind Jesus und vom Heiligen Antlitz weist über sich selbst hinaus. In der Beschäftigung mit ihrem Leben und ihrer Botschaft findet jeder sehr schnell das Zentrum und Geheimnis ihrer Persönlichkeit, nämlich ihre von Liebe zu Jesus glühende Seele. Im Gedicht „Erinnere dich“ (Nr. 24) formuliert sie: „Um dich zu lieben, o Jesus, schenke mir tausend Herzen. Doch das ist noch viel zu wenig, Jesus, höchste Schönheit! Schenk mir, um dich zu lieben, dein göttliches Herz selbst!“ Und in der „Geschichte einer Seele“ stellt sie fest: „Jetzt bleibt mir kein Wunsch mehr, es sei denn der, Jesus bis zur Torheit zu lieben“ (MsA 82v). Die Liebe zu Jesus trägt ihre restlose Hingabe im Karmel von Lisieux, trägt ihren brennenden Wunsch, für Jesus Seelen zu retten, trägt ihre ganz konkrete Liebe zu ihren Mitschwestern und anderen Menschen, trägt ihre Sehnsucht, missionarisch zur wirken, trägt ihr Verlangen nach dem Martyrium, trägt ihre enorme Opfer- und Leidensbereitschaft, und trägt schließlich ihre stockdunkle Glaubensnacht und ihr qualvolles körperliches Leiden in den letzten 18 Monaten ihres Lebens. In ihrem Todesjahr schrieb sie dem Seminaristen Maurice Bellière: „Ich werde im Himmel denselben Wunsch haben, wie auf der Erde: Jesus zu lieben und zu bewirken, dass er geliebt wird“ (Brief 220). So konnte Edith Stein einmal im Blick auf ihre heilige Mitschwester im Karmel formulieren: „Mein Eindruck war nur der, dass hier ein Menschenleben einzig allein von der Gottesliebe bis ins Letzte durchgeformt ist. Etwas Größeres kenne ich nicht, und davon möchte ich soviel wie möglich in mein Leben hineinnehmen und in das aller, die mir nahestehen“ (Brief an Adelgundis Jaegerschmidt OSB vom 17. März 1933).

Erneuerung der Kirche aus der Liebe zu Jesus Christus

Zweifellos muss die erneuerte Verkündigung des Evangeliums, die Erneuerung der Kirche und die Hinführung der Menschen zu den Quellen des Glaubens genau hier ansetzen: bei der Liebe zu Jesus Christus. Thérèse will auch heute der Kirche diese Liebe lehren. Sie hilft „mit ihrer Lehre vielen Männern und Frauen, in allen Lebensverhältnissen Jesus Christus und sein Evangelium kennen- und lieben lernen“ (Johannes Paul II.: Divini Amoris Scientia, 4). Da sich „nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft aufklärt“ (Gaudium et Spes, 22), führt die Liebe zu Christus auch zur rechten Sicht des Menschen, zur Anerkennung seiner Würde, zu seiner Berufung als Kind Gottes. Thérèse findet in ihrer Liebe zu Jesus auch die Schönheit seines Evangeliums, „in ihm finde ich al-les, was meine arme kleine Seele nötig hat“ (MsA 83v), sie versteht die Sendung der Kirche, in deren Herzen sie selbst die Liebe sein will (vgl. MsB 3v), und auch ihr „Kleiner Weg“, das vertrauensvolle Sich-den-Händen-Gottes-Überlassen gerade auch als die schwache und arme Thérèse, entspringt ihrer tiefen Jesusliebe: „Der Aufzug, der mich bis zum Himmel emporheben soll, das sind deine Arme, o Jesus!“ (MsB 3r).

Das Jubiläumsjahr des Theresienwerkes will ein Beitrag zur neuen Verkündigung des Evangeliums Christi sein. Thérèse gelingt es, wichtige Inhalte des kirchlichen Glaubens in eine lebendige und lebensnahe Sprache zu bringen und darin echte Gotteserfahrung auszudrücken. Ihre Gestalt und Botschaft zu vermitteln, schenkt darum auch heute echte, gesunde Orientierung im Zwielicht der Zeichen unserer Zeit.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2021
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Impuls aus der Anfangszeit des Theresienwerks

Antwort auf die Glaubenskrise von heute

Der Gründer des Theresienwerks, P. Maximilian Breig SJ, hielt in den siebziger Jahren einen Vortrag zum Thema: „Theresia von Lisieux: Antwort in der Glaubenskrise der Kirche von heute“. Die Impulse, die er dem Lebenszeugnis der hl. Theresia von Lisieux entnimmt, haben an Aktualität nichts verloren. Sie können gerade in unserer Zeit, in der die Kirche durch den Missbrauchsskandal wie durch den Lösungsversuch des „Synodalen Wegs“ erschüttert wird, Orientierung geben. Der Vortrag leicht gekürzt.

Von Maximilian Breig SJ

Kardinal König gibt in seinem Buch „Kirche in unserer Zeit“ einen kurzen Überblick über die Kirche von heute, in der sich vor allem die Gruppen von Konservativen und Progressiven gebildet haben, und sagt: „Papst und Bischöfe hören auf alle Gruppen, die eine echte Sendung der Kirche unserer Tage haben. Sie werden in diesem Sinne den ‚Weg der Mitte‘ gehen, nicht als faulen Kompromiss, sondern als Weg der Wahrheit, als Wahrheit von rechts und links. Gerade so werden diese Gruppen Menschen des Friedens und der Einheit werden. Aber die Letztverantwortlichen werden nicht zulassen, dass die Gruppen die Einheit der Kirche gefährden, zu Parteien entarten, die einander bekämpfen, statt miteinander zu reden. So wird sich zeigen, dass Gott der Herr der Kirche ist. Und die Zukunft wird erweisen, dass ER da ist und immer da war, in allen Stürmen des Geistes, in aller Erschütterung und Erneuerung."[1]

Das Lehramt weist hin auf Theresia von Lisieux

In der Glaubenserschütterung unserer Tage kann uns – weit mehr als theoretische Anweisungen – das Leben und die Lehre eines zeitgenössischen Heiligen, die ganz getreu den Spuren Jesu im Evangelium folgte, „den Weg der Mitte“ zeigen. Die Päpste weisen uns immer wieder auf die heilige Theresia von Lisieux hin. Bereits Benedikt XV. lehrte: „Die Dienerin Gottes Theresia vom Kinde Jesus hat das Geheimnis der evangelischen Heiligkeit in eine allen Menschen verständlichen Art geoffenbart. Daher wünschen wir, dass das Geheimnis der Heiligkeit von Schwester Theresia vom Kinde Jesus keinem Unserer Söhne verborgen bleibe und alle zur Heiligkeit führe.“

Pius XI. sagte es noch deutlicher: „Das Leben und die Worte Theresias sind zu einem Gotteswort geworden. Durch diese kleine Heilige wollte Gott uns offenbaren, worin die Heiligkeit besteht, zu der alle berufen sind.“ Und Papst Paul VI. zeigt der nachkonziliaren Kirche Theresia erneut als Wegführerin für „all jene, die heute auf der Suche nach dem Wesentlichen sind. Möge ihre Gottesnähe, die Einfachheit ihres Betens unsere Herzen zum Forschen nach dem Wesentlichen mit sich reißen! Möge der Realismus ihrer Liebe unsere Beziehungen in ein Klima des Vertrauens zur Kirche ungestalten."[2]

Wie Theresia ihre eigene Glaubenskrise überwindet

48 Monate dauerte die Glaubensnacht Theresias, vom Ostersonntag 1896 bis zu ihrem Tod. Sie berichtet in ihren „selbstbiographischen Schriften“ rückblickend auf alle Zeiten ihrer Glaubenssicherheit: „Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es Gottlose gäbe, die keinen Glauben haben. Ich meinte, sie sprächen gegen ihre bessere Erkenntnis, wenn sie die Existenz des Himmels leugneten… Jesus ließ mich fühlen, dass es tatsächlich Seelen gibt, die den Glauben nicht haben, die durch den Missbrauch der Gnaden diesen kostbaren Schatz verlieren, Quell der einzig reinen und wahren Freuden. Er ließ zu, dass dichteste Finsternisse in meine Seele eindrangen und der mir so süße Gedanke an den Himmel bloß noch Anlass zu Kampf und Qual war… Man muss durch diesen finsteren Tunnel gewandert sein, um zu wissen, wie finster er ist.“ Vielleicht hat Ida Friederike Görres richtig gesehen, wenn sie den unmittelbaren Anlass zu diesen Glaubenszweifeln in eine Verzerrung des überlieferten Glaubensgutes verlegt.[3]typo3/#_ftn3

Theresia sucht nun nicht krampfhaft nach einer Antwort. Sie bleibt mit Maria beharrlich unter dem Kreuz des verlassenen Herren, der auf seinen Schrei „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ auch keine Antwort erhielt. Abbé Combes zeigt trefflich, wie Theresia das Wort Jesu am Kreuz „Mich dürstet“ als an sich persönlich gerichtet sieht: Jesus dürstet nach Freunden, die seine Verlassenheit teilen, um den Ungläubigen das Glaubenslicht schenken zu können![4]typo3/#_ftn4 So nimmt Theresia, geistig unter den Gottfernen weilend, teil an ihrer Blindheit, um gleichsam selber als eine dieser Ungläubigen unaufhörlich das Erbarmen Gottes herabzurufen.

Aus dieser Wunde gewinnt sie den Brennstoff, um ihre Liebe noch weiter auszudehnen, Brennstoff zum Brandopfer für ihre ungläubigen Brüder. Jede neue Versuchung im Glauben rächt Theresia durch unablässige Aufopferung von Glaubensakten. Für den in der Finsternis verlassenen und für sie unerreichbaren Gekreuzigten will sie sich kein Opfer, keinen Blick, kein Wort entgehen lassen, auch die geringfügigste, verborgenste Tat vollbringen, um eine Versöhnung für alle Sünder zu erbitten: „Dein Kind bittet um Verzeihung für seine Brüder, es ist bereit, das Brot der Schmerzen zu essen, solange du es willst, und es will sich von diesem mit Bitternis beladenen Tisch, an dem die armen Sünder essen, nicht erheben vor dem durch dich bezeichneten Tag… Darf es daher nicht auch in seinen Namen, im Namen seiner Brüder sprechen: Erbarme dich unser, Herr, denn wir sind arme Sünder. Oh Herr, entlass uns gerechtfertigt. Mögen doch alle, die von der Fackel des Glaubens erleuchtet werden, endlich ihren Lichtschein erblicken. Oh Jesus, wenn es nötig ist, dass der von ihnen besudelte Tisch durch eine dich liebende Seele gereinigt werde, so will ich gerne das Brot der Prüfung einsam essen, bis es dir gefällt, mich in dein lichtes Reich einzuführen.“

Das zweite Mittel, wodurch Theresia ihre Glaubensnacht überwindet, ist der Gehorsam. Menschen in der Glaubenskrise suchen oft Antwort auf ihre Probleme am falschen Ort, bei konservativen oder progressiven Extremgruppen. Andere treten aus der Kirche aus und wenden sich einer Sekte zu. Wieder andere ziehen sich in sich selbst zurück, resignieren, kritisieren Papst und Bischöfe und hadern schließlich mit Gott selbst. Nichts von all dem bei Theresia. Sie fängt nicht an, die Verzerrungen der damaligen „pharisäischen Frömmigkeit"[5]typo3/#_ftn5 im Kloster zu kritisieren, sie schimpft nicht über modernistische Strömungen im damaligen französischen Klerus. Sie jammert nicht über neue Fälle verheirateter Priester, die auch damals im Kloster bekannt wurden.

Nicht Kritik, nicht Diskussion ist ihre Antwort, sondern liebender Gehorsam gegenüber den Verantwortlichen der Kirche. Ob die Glaubensprobe durch einen abgefallenen Ordenspriester, durch eine pharisäisch veranlagte Mitschwester oder gar durch die Priorin verstärkt wird, niemals kritisiert Theresia in abfälligem und zersetzendem Sinn. Sie zitiert den heiligen Franz von Sales: „Selig die Gehorsamen, denn Gott wird nicht zulassen, dass sie irregeführt werden!“ Und dann mit eigenen Worten: „Ich habe den Harnisch des Allmächtigen, den Gehorsam, angezogen. Nichts kann mich in Schrecken versetzen. Der stolze Anführer der Engel, Luzifer, hat einst im Schoße des Lichtes geschrien: Ich diene nicht, ich werde nicht gehorchen! Ich aber schreie in der Nacht dieser Erde: Ich werde immer gehorchen. Und ich fühle in mir eine heilige Kühnheit sich regen, bereit, die Wut der ganzen Hölle zu bestehen."[6]typo3/#_ftn6

Hilfen in der Glaubenskrise

Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Grundhaltung Theresias bis ins einzelne hinein bestätigt. Einige Impulse aus der Sicht Theresias können verunsicherten Katholiken in der heutigen Glaubenskrise eine Hilfe bieten.

Neue Haltung zum Evangelium: Theresia legt nicht nur, wie es weitgehend üblich war, die kirchliche Überlieferung aus, sondern führt die Glaubenslehren erneut auf die Quelle der Heiligen Schrift zurück und lässt sie daraus neu hervorgehen: „Das Evangelium aber vor allem andern gibt mir das Nötige für das innere Gebet, in ihm finde ich alles, was meine arme kleine Seele braucht, in ihm entdecke ich immer neu Klarheiten, verborgene und geheimnisvolle Bedeutungen.“ „Ich brauche die Augen nur auf das heilige Evangelium zu werfen, sogleich atme ich den Wohlgeruch des Lebens Jesu und weiß, nach welcher Seite ich laufen muss.“

Neue Haltung zur heiligen Eucharistie: Die damalige jansenistische Frömmigkeit schränkte den Empfang der Eucharistie sehr ein. Theresia hätte sich sehr gewünscht, berichtet ihre Schwester Céline, „täglich zu kommunizieren; dass der Brauch dies nicht zuließ, war eines ihrer größten Leiden im Karmel. Sie bat den heiligen Josef, hier eine Veränderung zu erlangen, und das Dekret Leos XIII., welches in diesem Punkt größere Freiheit verfügte, schien ihr eine Antwort auf ihre glühenden Bitten zu sein… Sie sagte uns voraus, dass es uns nach ihrem Tode nicht am ‚täglichen Brot‘ mangeln werde, was wörtlich in Erfüllung ging.“ Abbé Youf, der am bestehenden Brauch doch nichts änderte, starb einige Tage nach der Heiligen und sein Nachfolger, Abbé Hodierne, führte im Karmel von Lisieux den täglichen Empfang der heiligen Kommunion ein.[7]typo3/#_ftn7 Ob dies nicht auch ein Wink für uns ist, in solchen Anliegen zuerst zum Gebet unsere Zuflucht zu nehmen? Theresia betete glühend, dass die Letztverantwortlichen in der Kirche das eucharistische Leben der Urkirche wieder erneuern möchten, und sie wurde erhört. Die Liturgiereform, die Pius X. begann und vom Zweiten Vatikanischen Konzil durchgeführt wurde, wird im Office Central in Lisieux ausdrücklich der Fürbitte der heiligen Theresia zugeschrieben.

Neue Haltung zu Maria: Im „Gotteslob“ wird Maria als Mutter der Glaubenden und als Schwester der Menschen hervorgehoben. Hier finden wir die dem Evangelium entsprechende Sicht Theresias bis ins einzelne hinein verwirklicht: „Damit eine Predigt über die Gottesmutter Frucht bringe, muss ihr wirkliches Leben vor Augen gestellt werden, so wie das Evangelium es tut, und nicht ihr Leben, wie man es sich vorstellt… Die Gottesmutter wird uns (sozusagen) als unnahbar vorgestellt. Es wäre besser, sie uns als nachahmbar vor Augen zu führen, wie sie ihr verborgenes Leben gleich uns verbrachte, und dabei das Evangelium zugrunde zu legen, worin es heißt: ‚Sie verstanden nicht, was er sagte‘ … Man ist sich wohl bewusst, dass die Gottesmutter die Königin des Himmels und der Erde ist, aber sie ist mehr Mutter als Königin.“

Das neue Licht auf Maria als Vorbild des Glaubens hat Theresia nicht nur aus der beständigen Betrachtung der wenigen Worte über die Mutter Jesu im Evangelium erhalten, auch das „unvergessliche Lächeln“ Mariens, das sie am 13. Mai 1883 schaute, und das ihre Heilung von schwerer Krankheit herbeiführte, hat sie geprägt. Das ruhige, „von bezaubernder Schlichtheit und Einfachheit“ getragene Lächeln Mariens wird in Theresias Gesicht zum Schleier der Unauffälligkeit ihres Leidens. Seit jenem Lächeln der Gottesmutter hat Theresia ein spontanes Misstrauen gegen jedes auffällige, außergewöhnliche Ereignis in ihrem Leben. Sie fürchtet ein Abrücken vom „Kleinen Weg“, den Maria in Nazareth beharrlich ging: „Ich weiß, o Mutter, dass du in Nazareth arm gelebt hast. Keine Verzückungen, keine Wunder, keine Visionen verschönern dein Leben. Auf dem gewöhnlichen Weg gefiel es dir, zu gehen, um den Kleinen den Weg (des Glaubens, ohne zu sehen) zum Himmel zu zeigen!“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Franz König: Kirche in unserer Zeit, Graz 1973.
[2] Paul VI. am 2. Januar 1973.
[3] Ida Friederike Görres: Das verborgene Antlitz, 449.
[4] André Combes: Die Heilige des Atomzeitalters, 173.
[5] Hans Urs von Balthasar: Geschichte einer Sendung, 209.
[6] Ida Friederike Görres: Das verborgene Antlitz, 290.
[7] Céline Martin: Meine Schwester Thérèse, 98.

Faltblatt der „Heimatmission“

Was feiern Christen an Weihnachten?

Die Katholische Neuevangelisierung in Wien hat im Rahmen ihrer Initiative „Heimatmission“ ein Faltblatt herausgebracht, das wichtige Gedanken zur Advents- und Weihnachtszeit enthält. Ziel der Aktion ist es, das Faltblatt möglichst weit zu verbreiten, um die Menschen wieder darauf aufmerksam zu machen, was die Christen an diesem beliebtesten Fest im Kirchenjahr eigentlich feiern. Günther Zoppelt stellt die Weihnachtsaktion vor.

Von Günther Zoppelt

Als Katholische Neuevangelisierung wollen wir einen Beitrag dazu leisten, dass der Missionsauftrag Jesu an die Kirche erfüllt wird: „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“ (Mk 16,15) – „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern… lehrt sie alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Mt 28, 19f). Der Herr betont das alle: Allen soll das Heil in Christus angeboten werden. Denn „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden“ (1 Tim 2,3).

Anstatt endlose Sitzungen abzuhalten und Berge von Protokollen zu produzieren, möchten wir mit Begeisterung das Evangelium einer nach Frieden, Trost und Rettung dürstenden Menschheit bringen. Jetzt am Ende des Jahres liegt der Fokus auf Weihnachten. In den Geschäften, Radio- und TV-Sendern ertönen zu dieser Jahreszeit Advents- und Weihnachtslieder, Christkindlmärkte sind wunderbar geschmückt, überall ist Weihnachtsbeleuchtung zu sehen. Aber, wie Umfragen in den vergangenen Jahren zeigen, kennt kaum jemand den eigentlichen Kern der Weihnachtsfeiern. Wir wollen in Erinnerung bringen, dass Gottes Sohn durch seine Menschwerdung zu uns gekommen ist, um alle Menschen zu erlösen und mit Gott zu versöhnen: „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade“ (vgl. Lk 1,14).

Der Folder „Was feiern Christen im Advent und zu Weihnachten“ dokumentiert auf wenigen Seiten sympathisch und komprimiert diese wunderbarste aller Botschaften in Wort und Bild. Er könnte das Instrument für eine großangelegte Heimatmission zur Weihnachtszeit sein: Sie, liebe Leser, können ihn zur persönlichen Weitergabe (zum Verteilen, Auflegen oder Beilegen zu Ihrer Weihnachtspost) anfordern unter:

Verlag Katholische Neuevangelisierung, A-1180 Wien, Gentzgasse 122/1, E-Mail: kath.neuevangelisierung@aon.at – Tel.: 0043/650/6741371.

Sie können aber auch ihren gesamten Wohnort damit versorgen, indem Sie der Katholischen Neuevangelisierung einen Postwurfauftrag „An alle Haushalte“ ihres Wohn- oder Wunschortes (es können auch mehrere Orte sein) erteilen. Die Kosten für den Druck und die postalische Zustellung des Weihnachtsfolders betragen 33 Cent pro Haushalt. Ihr Einsatz lohnt sich. Denn damit erreichen Sie durchschnittlich 2,5 Personen pro Haushalt. Ja, es stimmt: ein Teil wird im Altpapier landen. Aber wir wissen auch, dass ein Teil „30fache, 60fache und sogar 100fache Frucht“ tragen wird (vgl. Mt 13,1-9). Dafür braucht es konkrete und intensive Gebetsbegleitung. Dann können durch Gottes Gnade Wunder geschehen. Und Weihnachten wird von vielen bewusster, tiefer und gläubiger gefeiert werden. Dazu können Sie beitragen, dazu sind Sie eingeladen.

Aus dem Faltblatt:

Wenn wir Berichte von Mystikern lesen, bewundern wir die Innigkeit ihrer Gottesbeziehung. Weil aber die meisten von uns keine Visionen haben, also aus dem reinen Glauben leben, sind wir geneigt zu denken: „Was dieser Mensch erlebt hat, gilt nicht für mich“. Ganz im Gegenteil! Gott erweist Mystikern seine Gnade, um dadurch uns alle zu beschenken. Diese Begnadeten können uns helfen, mit lebendigem Glauben zur Krippe zu gehen, damit wir uns freuen, Gott als Kind zu begegnen.

Vom hl. Antonius († 1231) ist bezeugt, dass er während eines nächtlichen Gebetes einen wunderschönen Knaben in seinen Armen liebkoste.

Dem Deutschland-Missionar Laurentius von Brindisi († 1619) erschien während der hl. Messe auf dem Altar das Jesuskind in strahlendem Licht.

Der hl. Schwester Faustyna Kowalska († 1938) erschien das göttliche Kind im Januar 1938 und sagte: „An deinem Herzen fühle ich mich wohl!“ Auf ihre Frage, warum Er als Gott sich so klein macht, antwortete der Jesusknabe: „Weil ich dich geistige Kindheit lehren will, damit ich dich an meinem Herzen trage.“

Der Jesuitenpater J. Reus († 1947) sah beim Agnus Dei das göttliche Kind vor sich. Denn Jesus will uns nicht als strenger Richter, sondern mit der Sanftmut eines Kindes begegnen.

Der hl. Pater Pio († 1968): „Unsere Herzen müssen in Liebe zum göttlichen Kind brennen. Möge es in allen Herzen geboren werden!“

Gebet: JESUS, ich glaube an Dich! Du bist als Kind gekommen, am Kreuz gestorben und von den Toten auferstanden! Aus Liebe sagst Du Ja zu mir, hast mich von meinen Sünden erlöst und mich mit Gott-Vater versöhnt. Im Glauben sage ich Ja zu Dir! Komm‘ in mein Herz, komm‘ in mein Leben. Ich will mein Leben nach deinem Evangelium ausrichten. Maria, sei auch meine Mutter. Hilf mir, mit Jesus und der Kirche zu leben. Amen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Mann und Frau im Garten Eden: unverfügbar, unverzweckt und ohne Zwang

Entdeckung der Schönheit von Sexualität

„Eden Culture. Ökologie des Herzens für ein neues Morgen“,[1] so heißt ein neues Buch von Dr. Johannes Hartl (geb. 1979), das dieses Jahr im Herder-Verlag erschienen ist. Tatsächlich versteht Hartl seine spirituell-philosophischen Betrachtungen als Einladung zu einer neuen Kultur: der Eden Culture. Seine Gedanken kreisen um die beiden Brennpunkte Verbundenheit und Schönheit. Darin versucht er den Sinn des menschlichen Daseins für eine lebenswerte Zukunft aufzuzeigen. Seine Inspirationen stammen aus unterschiedlichen Forschungsbereichen. Neben Philosophie und Theologie lässt er Ergebnisse der Soziologie, Bindungsforschung, Psychotherapie und Kunstgeschichte einfließen. Der nachfolgende Auszug (S. 230ff. und 242-247), der sich mit der Entdeckung der zweckfreien Schönheit von Sexualität beschäftigt, überrascht mit der Feststellung, dass die Geschichte der sexuellen Befreiung gerade in dieser Hinsicht auch positiv beurteilt werden müsse. Damit bietet das Buch einen richtungsweisenden Beitrag zur Diskussion um die Morallehre der Kirche auf dem „Synodalen Weg“ in Deutschland. Hartl will unterwegs sein, „um Imaginationsräume aufzusprengen und ein neues Morgen spürbar zu machen“.

Von Johannes Hartl

Schönheit zu erkennen bedeutet ein Ja zur Welt und zum Menschen, ein Ja dazu, dass es etwas gibt, ein Ja dazu, dass es Wahrheit und das Gute gibt, ein Ja zur Welt und zu ihrem Schöpfer. Das klingt sehr philosophisch, doch es ist genau das faszinierende Geheimnis, das anklingt, wenn der Ursprung des Menschen in einem Garten der Schönheit gesehen wird.[2]

Erfahrung des Beheimatetseins

Wer sich in einem schönen Garten wohlfühlt, entdeckt ein tiefes Gefühl des Beheimatetseins. „Es geht um die fundamentale Erfahrung, dass die Welt der richtige und passende Platz für uns ist – eine Heimat, in der unsere menschlichen Fähigkeiten und Hoffnungen ihre Bestätigung finden können. (…) Eine Welt, in der solche Dinge ihren Platz haben, bietet auch einen Ort für uns“, so Roger Scruton..[3] In der Welt finden aber nicht nur schöne Dinge ihren Platz, sondern unsere Suche nach Sinn, Wahrheit und Gerechtigkeit findet auch ihre Entsprechung: Es gibt das Schöne, das tatsächlich wahr und gut ist. In einer Welt, in der unendlich viel Böses, Hässliches und Verlogenes existieren, strahlt dennoch etwas von einem heilen Urgrund auf, den wir intuitiv immer geahnt hatten. „In der Erfahrung des Schönen kehrt die Welt zu uns heim und wir kehren zurück in den Schoß der Welt."[4]

Eine Überlebensfrage

Im Lichte dieser philosophischen Überlegungen wird verständlich, warum für die Menschheit unendlich viel auf dem Spiel steht, wenn das Konzept „Schönheit“ zerfällt. Niemand hat das ergreifender ausgedrückt als der Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar, der einer Theologie der Schönheit ein monumentales achtbändiges Werk gewidmet hat, das wie folgt beginnt: „Schönheit heißt das Wort, das unser erstes sein soll. Schönheit ist das letzte, woran der denkende Verstand sich wagen kann, weil es nur als unfassbarer Glanz das Doppelgestirn des Wahren und Guten und sein unauflösbares Zueinander umspielt, Schönheit, die interesselose, ohne die die alte Welt sich selbst nicht verstehen wollte, die aber von der neuen Welt der Interessen unmerklich-merklich Abschied genommen hat, um sie ihrer Gier und ihrer Traurigkeit zu überlassen. (…) Schönheit, an die wir nicht mehr zu glauben wagen, aus der wir einen Schein gemacht haben, um sie leichter loswerden zu können, Schönheit, die (wie sich heute weist) mindestens ebensoviel Mut und Entscheidungskraft für sich fordert wie Wahrheit und Gutheit, und die sich von den beiden Schwestern nicht trennen und vertreiben lässt, ohne in geheimnisvoller Rache beide mit sich fortzuziehen. Wer bei ihrem Namen die Lippen schürzt, als sei sie das Zierstück einer bürgerlichen Vergangenheit, von dem kann man sicher sein, dass er – heimlich oder offen zugestanden – schon nicht mehr beten und bald nicht mehr lieben kann."[5]

Doch was passiert, wenn wir nicht mehr an die Schönheit glauben? Weiter Balthasar: „In einer Welt ohne Schönheit (…) hat auch das Gute seine Anziehungskraft, die Evidenz seines Getan-werden-müssens eingebüßt; der Mensch steht davor und fragt sich, warum er es tun soll, und nicht lieber das andere, das Böse. Es ist ja auch eine Möglichkeit, die erregendere sogar. (…) In einer Welt, die es sich nicht mehr zutraut, das Schöne zu bejahen, haben die Beweise für die Wahrheit ihre Schlüssigkeit eingebüßt, das heißt, die Syllogismen klappern zwar pflichtschuldig wie die Rotationsmaschinen oder die Rechen-Roboter, die pro Minute eine genau wissbare Anzahl Ergebnisse fehlerlos ausspeien, aber das Schließen selbst ist ein Mechanismus, der niemanden mehr fesselt, der Schluss selbst schließt nicht mehr."[6]

Wir brauchen eine Renaissance der Schönheit! Sie ist einer der wichtigsten Beiträge zu einer Ökologie des Menschlichen. Aus den philosophischen Überlegungen zum Schönen leite ich im Folgenden sieben Thesen ab. Schönheit beheimatet, weckt Leben, macht das Leben ganz, ist gnädig, lebt von Hingabe, ist großzügig und ist spirituell. Jede dieser Thesen formuliere ich als eine konkrete Idee, wie wir zu einer Neuentdeckung des Schönen beitragen können.

Zauber der Liebe

Romeo und Julia. Orpheus und Eurydike. Adam und Eva. Kein anderes Thema durchzieht die Literatur so sehr wie die alte Geschichte vom Suchen und Finden, vom Zauber der Liebe. Dass die Liebe etwas mit Schönheit zu tun hat, ist tief in die Menschheitsgeschichte eingeschrieben. Natürlich zieht man sich schön an für den Menschen, den man liebt. Natürlich lassen Paare sich vor romantischen Sonnenuntergängen fotografieren. Natürlich finden wir es nicht nur in Ordnung oder interessant, wenn zwei sich finden und glücklich werden. Wir finden das schön.

Auch das Erotische ist nicht wegzudenken aus der Kunstgeschichte. Was wäre sie ohne die vielen Werke, in denen es um die Liebe geht? Das betrifft „große“ Kunst ebenso wie heutige Kinofilme. Dass in Titanic Jack für seine Rose stirbt, rührt heute ebenso an wie der Liebestod von Tristan und Isolde im Hochmittelalter. Doch so wie Menschen immer wussten, dass menschliche Liebe etwas Wunderschönes ist, wussten sie auch, dass genau da ein Ort großer Verletzbarkeit liegt. Corruptio optimi pessima, lautet eine alte lateinische Spruchweisheit: Die Verdrehung des Allerbesten ist das Allerschlimmste. Beim Schrecken sexueller Gewalt wird das überdeutlich. Was eigentlich das Schönste und Intimste sein sollte, wird zur tiefsten Erniedrigung.

Wir empfinden eine Vergewaltigung als etwas kategorial anderes als andere Formen von Gewalt. Das war bereits in der Antike so. Platon fordert dafür die Todesstrafe, in Athen scheint das auch durchaus Praxis gewesen zu sein.[7] Im Gegensatz zu „normalen Verbrechen“ wurde Vergewaltigung wie ein Sakrileg oder wie Leichenschändung empfunden. Einen Menschen, der sich an einem Kind vergeht, nennt der Volksmund „Kinderschänder“. Der Begriff ist umstritten, weil er klingt, als würde er das Opfer anstelle des Täters stigmatisieren. Zugleich nimmt er das Gefühl der Befleckung radikal ernst, das Vergewaltigungsopfer haben. Es ist ungleich schlimmer, ein Kind sexuell zu missbrauchen, als einem Kind ständig Alkohol zu trinken zu geben, obwohl beides falsch ist. Denn bei Sexualität und Liebe geht es ums Ganze.

Dass wir Erotik als schön empfinden, ist zutiefst menschlich. Wir finden sie schön, weil sie nicht nur eine biologische Funktion ist. Natürlich geht es beim Sex auch um Befriedigung und Spaß. Doch das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem geheimnisvollen Zauberreich der Liebe. Die ganze Pointe des Erotischen besteht darin, dass es eben nicht nur um mich selbst geht. Wie bei allem Schönen geht es darum, sich selbst zu vergessen. Wer wirklich verliebt ist, denkt beim Küssen eben nicht darüber nach, wie es ihm gerade geht. Dass sich gerade dadurch Glück einstellt, dass man sich hingibt und vergisst, ist das große Geheimnis des Schönen. Es dient keinem Zweck, sondern ist ein Ziel in sich selbst. Und doch entspringt ihm unendliche Großzügigkeit.

In der Sexualität wird das ganz konkret. Aus der Liebe zwischen zwei Menschen kann ein neuer Mensch entstehen. Natürlich geht es bei der menschlichen Liebe nicht nur um Zeugung. Das neue Leben entspringt dem zweckfrei-schönen Spiel der Liebe absichtslos – so wie Sinn und Freude sich gerade deshalb einstellen, weil man etwas tut, das nicht nur dem eigenen Ego dient.

Entdeckung der zweckfreien Schönheit von Sexualität

Die Geschichte der sexuellen Befreiung ist auch eine Geschichte der Entdeckung ihrer zweckfreien Schönheit. Sie ist eben nicht mehr sündhafte Lust, notwendiges Übel zur Zeugung der Nachkommenschaft. Von dieser Theorie weiß der Garten Eden übrigens auch nichts. Zwei nackte Menschen, füreinander erschaffen – von Scham und sexueller Verklemmung keine Spur.

In der sexuellen Revolution verbinden sich geistesgeschichtliche Linien, die in diesem Buch schon wiederholt zur Sprache gekommen sind. Der Mensch erfährt sich als Individuum, nicht nur als fremdbestimmtes Glied der Gesellschaft. Die Entdeckung und das Ausleben der eigenen Gefühle werden zentral, Regelbefolgung verliert an Wert. Die Macht gesellschaftlicher Sanktionen schwindet und unterschiedlichste sexuelle Erfahrungen werden verfügbar. In Europa muss niemand mehr fürchten, als Ehebrecher gesteinigt zu werden. Im Gegenteil: Seine Sexualität unbelastet von engen Moralvorstellungen zu leben, gilt als Kennzeichen von Selbstbestimmung und Welterfahrung. Doch die Verfügbarkeit des Erotischen birgt das Risiko seiner Entzauberung. Was Max Weber für die Technisierung der Welt beschrieb, trifft nun auch für die Sexualität zu: was ohne Probleme erreichbar und unbegrenzt verfügbar ist, verliert etwas von seinem Geheimnis.

Und das Problem liegt sogar noch tiefer. Das Erotische berührt die Verbindung von Seele und Körper an einer entscheidenden Stelle. Das, was uns als „schön“ bei einem begehrten Menschen anspricht, ist nicht nur sein Körper. Wenn man einen Menschen liebt, genügt es einem nicht, wenn dieser Mensch mit seinem Körper sexuelle Handlungen vollzieht. Im Gegenteil: Für die meisten Menschen dürfte es ein Problem darstellen, zu erfahren, dass der Partner an ihm als Person überhaupt nicht mehr interessiert ist und dennoch mit ihm schläft. „Du liebst Sarah? Schlaf doch stattdessen mit Leonie, die ist auch eine Frau“, das wäre für Marc ein empörender Satz, wenn er wirklich Sarah liebt. Einen Menschen zu lieben bedeutet, ihn als das zu lieben, was er ist. Als Einheit von Körper, Geist und Seele.

Verfügbarkeit bis zur Kommerzialisierung in der Pornoindustrie

Indem sich die Sexualität aus dem engen Regelwerk moralischer Regeln gelöst hat, wird sie als eigenständige Größe verfügbar. Marc muss heutzutage nicht mehr Sarah heiraten, um mit ihr sexuell aktiv zu sein. Tatsächlich könnte er sich auch ganz ohne Verbindlichkeit mit Leonie auf Tinder verabreden. Oder seine sexuellen Fantasien auf YouPorn ausleben. All das ist ziemlich leicht und ziemlich umfassend verfügbar. Umfassend verfügbar – und oberflächlicher.

Weniger verfügbar aber ist reale menschliche Beziehung, Verbundenheit. Unsere Fähigkeit, uns wirklich einem Menschen emotional zu öffnen, mit ihm eine Bindung einzugehen, ist stark begrenzt. Sexualität hat sich deshalb an vielen Stellen von Verbundenheit entkoppelt. Es ist nur Sex, nicht mehr. Das Problem dahinter ist, dass auch diese Denkweise von einer Abspaltung des Leibes lebt. Denn auf körperlicher Ebene ist die geschlechtliche Vereinigung tatsächlich die intimste Verbindung, die möglich ist. Sie vermag sogar die beteiligte Frau und den beteiligten Mann für immer zu den Eltern eines neuen Menschen zu machen.

Niemand kann mit beliebig vielen Partnern schlafen, ohne seinen Körper von seiner tiefen Bindungsfunktion zu trennen. Man könnte auch sagen: ohne ihn wie ein Ding zu benutzen. Was aber ein Ding ist, kann auch verkauft werden. Aus der Entzauberung der Natur folgt bei Max Weber die Kapitalisierung des Industriezeitalters.

Im Bereich der Sexualität wird das überdeutlich in der Pornografie (und auch der Prostitution). Der Körper eines anderen wird zum Objekt meiner Lust, an der Person bin ich nicht interessiert. Roger Scruton: „Das pornographische Bild ist wie der Zauberstab, der Subjekte in Objekte, Menschen in Dinge verwandelt – und sie dadurch entzaubert und den Quell ihrer Schönheit zerstört."[8] Es ist kein Zufall, dass die Grenzen zwischen „normaler“ Pornografie und solcher, bei der Menschen erniedrigt und ihnen Gewalt angetan wird, fließend sind. Es entspringt der Logik, dass ein Körper verwendet wird wie eine Sache.

Bilder sind unfassbar mächtig. So wie Rieffs Deathworks das bisher als schön Empfundene bewusst lächerlich machen und entstellen, enthalten Pornos mächtige philosophische Aussagen darüber, wie die menschliche Liebe funktioniert und was es bedeutet, einen Körper zu haben. Die Botschaft lautet: ein reines Mittel zum Zweck, austauschbar wie eine Ware. Es ist bezeichnend, dass der Bestsellerroman Fifty Shades of Grey eine sexuelle Beziehung wie ein Jobangebot ausschreiben lässt, Leistung und Gegenleistung.[9]

Die Kommerzialisierung von Sex betrifft aber nicht nur die Porno-Industrie. Sie transformiert auf umfassende Weise, wie wir über Erotik überhaupt denken. Nach Byung-Chul Han erleben wir derzeit eine „Agonie des Eros“. Er schreibt: „Der Kapitalismus verschärft die Pornographisierung der Gesellschaft, indem er alles als Ware ausstellt und zur Schau stellt. Er kennt keinen anderen Gebrauch der Sexualität. Er profanisiert den Eros."[10] „Profanisierung“ bedeutet: Es ist nicht mehr heilig. Das Heilige ist das, was nicht vermarktet werden darf, das Unverfügbare. Die Entzauberung des Erotischen bedeutet also immer auch seine Vermarktung. Das Profilbild auf Tinder erfüllt dieselbe Funktion wie die Werbung im Fernsehen: Nimm mich! Doch wer will wirklich und dauerhaft als Objekt behandelt werden? Wollen wir eigentlich so leben?

Das Bild vom Garten Eden

Es wird kein Zurück in die gesellschaftlichen Zwänge einer rigiden Sittlichkeit geben und das ist auch gut so. Oft genug war sie einengend und lustfeindlich. Ihr Sinn bestand aber ursprünglich darin, etwas zu beschützen, was nicht beliebig werden darf. Gibt es da etwas, was uns auch heute noch helfen kann? Mir scheint, ja. Und es hat mit dem Gedanken der Schönheit zu tun.

Wir brauchen neue Bilder für das, was menschliche Erotik ausmacht. Dabei gilt es, die lebensdienlichen Aspekte der sexuellen Befreiung zu wertschätzen: die Schönheit der menschlichen Sexualität, die Freiheit jedes Menschen, seinen Umgang damit selbst zu gestalten. Es geht weniger um die Wiedereinführung der Regelmoral als um eine Neuentdeckung der Schönheit des Erotischen.

Dabei kann das Bild vom Garten Eden helfen. Die Sicht auf menschliche Sexualität, die dort in wenigen Worten beschrieben wird, ist zutiefst stimmig, ganzheitlich und schön: „Darum wird der Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und sich an seine Frau binden und sie werden zu einem Fleisch“ (Gen 2,24). Es geht also um eine Verbindung. Eine Verbindung, die erst möglich wird, wenn es eine Ablösung von zu Hause gab (etwas, das jungen Menschen heute immer schwerer fällt). Eine Bindung, die sich dann auch sexuell ausdrückt, wofür das poetische Wortbild „zu einem Fleisch werden“ verwendet wird. Also ein ausschließlicher, einzigartiger Bund. Aus der Sicherheit dieser Verbundenheit entspringt das neue Leben. Unverfügbar, unverzweckt und ohne Zwang. Mann und Frau entscheiden sich frei, stehen auf Augenhöhe, schenken sich einander ganz und sind offen für das Geheimnis des neuen Lebens. Dass das nicht immer so klappt, liegt auf der Hand, es bleibt Geschenk und unverfügbar. Doch das Bild, das Eden zeichnet, berührt uns intuitiv, weil es schön ist. Und weil es wahr ist.

Menschen sollten nie zu Objekten werden und sich auch nicht zu Objekten machen. Deshalb ist Pornografie und Prostitution mit der Würde des Menschen nicht vereinbar. Doch nicht, weil nackte Körper oder wilde Lust nichts Tolles wären, ganz im Gegenteil, sondern weil das Schöne etwas Unverzwecktes hat, ja weil das Schöne nur schön bleibt, wenn es durch Liebe und Wahrheit geordnet wird.

Für meine Kinder wünsche ich mir, dass sie eine solche Sicht von Sexualität vermittelt bekommen. Und nicht die von YouPorn.


[1] Johannes Hartl: Eden Culture – Ökologie des Herzens für ein neues Morgen, Herder Verlag, 1. Aufl. 2021, geb. mit Schutzumschlag, 304 S., ISBN: 978-3-451-03308-7, geb. Ausgabe Euro 24,–; eBook Euro 18,99 – Webseite: www.herder.de
[2] Vgl. Nebel, Gerhard: Das Ereignis des Schönen, Stuttgart: Klett-Cotta 1997, 149-156.
[3] Scruton, Roger: Schönheit, München, Diederichs 2012, 93.
[4] Ebd. 94.
[5] Balthasar, Hans Urs von: Herrlichkeit, Schau der Gestalt, Johannes Verlag, Einsiedeln 31988, 16.
[6] Ebd. 17.
[7] Platon: Nomoi 874c. Vgl. zu dem Thema: Doblhofer, Georg: Vergewaltigung in der Antike, Berlin: de Gruyter 1994.
[8] Scruton: Schönheit, 209. Und weiter: „Diese Entweihung zerstört die Freiheit und leugnet die Liebe. Sie ist der Versuch, die Welt neu zu gestalten als eine Welt, in der es keine Liebe gibt“ (Ebd. 226f.).
[9] James, Erika L.: Fifty Shades of Grey, München, Goldmann 2012, 191.
[10] Han, Byung-Chul: Agonie des Eros, Berlin, Matthes & Seitz 2012, 62.

Sexualität im Licht der „Erlösung des Leibe

Geheimnis der schönen Liebe

„Eden Culture“ meint eine Lebensform, die sich durch die biblische Geschichte vom Garten Eden inspirieren lässt. Pfarrer Erich Maria Fink nimmt die Publikation zum Anlass, an die Lehrverkündigung des hl. Papstes Johannes Paul II. zu erinnern und einen Bogen zum „Synodalen Weg“ in Deutschland zu spannen.

Von Erich Maria Fink

„Eden Culture“ nennt Dr. Johannes Hartl sein neues Buch und knüpft damit an die biblische Eden-Geschichte an. Die Fragen, die heute die Welt beschäftigen, wie Umwelt und Sexualität, beleuchtet er im Licht der Schöpfung, wie sie von Gott anfänglich gedacht war und von der es in der Bibel heißt: „Gott sah, dass es gut war.“ (Gen 1)

Niemand hat den ursprünglichen Plan Gottes mit dem Menschen jemals so umfassend herausgearbeitet wie Papst Johannes Paul II. in seiner „Theologie des Leibes“. Seine ganze Anthropologie und die damit verbundene christliche Erlösungslehre baute er auf dem „Anfang“ auf, also im Rückgriff auf die Verfasstheit des Menschen im Garten Eden vor dem Sündenfall. Mit diesem Ansatz hat Karol Wojtyła bzw. Johannes Paul II. ein einzigartiges historisches Erbe hinterlassen.

Nie zuvor hat die katholische Kirche die Schönheit der Sexualität als Geschenk Gottes an den Menschen so deutlich herausgestellt wie Papst Johannes Paul II. in seiner lehramtlichen Verkündigung: „Als Mann und Frau schuf er sie … und die beiden werden ein Fleisch sein.“ (Gen 1,27; 2,24) Sein Verdienst bleibt es, dass er die verschiedensten Aspekte sexueller Erfahrung überhaupt ins Wort fasste und ihnen im Licht der christlichen Offenbarung einen positiven sittlichen Wert beimaß.

Interessanterweise erwähnt Hartl in seinem Buch Papst Johannes Paul II. und dessen Werk mit keinem einzigen Wort. Wenn in „Eden Culture“ zur Entdeckung der Schönheit der Sexualität aufgerufen und das Thema „Schöner Sex“ als eines von „Sieben Thesen für eine neue Renaissance“ entfaltet wird, so liegt das Buch ganz auf der Linie des hl. Johannes Paul II. Doch bleibt es an der Stelle unvollkommen, wo es die positive Seite der sexuellen Revolution hervorhebt.

Sicherlich ist „die Geschichte der sexuellen Befreiung auch eine Geschichte der Entdeckung ihrer zweckfreien Schönheit“, wie Hartl unterstreicht. Und auch Johannes Paul II. sieht sie nicht nur als „sündhafte Lust“ und gleichsam als „notwendiges Übel zur Zeugung der Nachkommenschaft“. Doch hängt nach ihm die Schönheit der Sexualität davon ab, dass sie in selbstloser Liebe gelebt wird. Die „schöne Liebe“ ist für ihn das Ergebnis der Überwindung der Begierde, welche durch den Sündenfall Einzug in die menschliche Geschlechtlichkeit gehalten hat. So kann der Mensch ohne Selbstbeherrschung die Fähigkeit zur selbstlosen Hingabe nicht erlangen. Schlüssel zum Erleben der wahren Schönheit von Sexualität ist nach Johannes Paul II. die Überwindung des Egoismus durch die Integration des sexuellen Triebs in den personalen Selbstvollzug des Menschen. Gerade darin sieht er den entscheidenden Aspekt der „Erlösung des Leibes“, von der im Römerbrief die Rede ist (Röm 8,23). Sie ist eine Frucht des Zusammenwirkens aller personalen Kräfte mit der Gnade der Erlösung.

In diesem Licht begründet Johannes Paul II. das Gebot vorehelicher Enthaltsamkeit und die Ausschließlichkeit sexueller Aktivität bzw. direkter Befriedigung im Rahmen einer lebenslangen Ehe zwischen Mann und Frau. Aber auch alle Formen der Enthaltsamkeit wie insbesondere der Zölibat um des Himmelreiches willen können nach dieser Sicht zu einer vollen Entfaltung des Mann- und Frauseins führen, insofern die Geschlechtlichkeit als integraler Bestandteil der menschlichen Person verstanden und verwirklicht wird. 

Der Missbrauchsskandal hat seine tiefsten Wurzeln in der Vernachlässigung der so verstandenen „Erlösung des Leibes“. Zur Überwindung ist nicht das Aufgeben des Zölibats gefordert, sondern die zielstrebige Förderung einer neuen Kultur der Keuschheit im Licht selbstloser Liebe. Stattdessen versucht der „Synodale Weg“ in Deutschland den Skandal dafür zu nützen, die christliche Forderung nach Beherrschung der Sexualität vollkommen auszuhebeln. Er stellt die anstehenden Aufgaben genau auf den Kopf. Der Ansatzpunkt, der zugleich die dahinterstehende Ideologie offenbart, ist die Forderung einer Mehrheit der Teilnehmer des „Synodalen Wegs“, der praktizierten Homosexualität einen heilbringenden Wert zuzuerkennen und ihr den Makel der Sünde zu nehmen. Das ist der Grund, warum sich gerade an dieser Frage die Geister scheiden. Was droht, ist ein synodaler Sündenfall, ein Verrat am Evangelium. Die Bischöfe haben die Hirtenpflicht, um der ihnen anvertrauten Herde willen die Notbremse zu ziehen. Diese Aufgabe am Ende Rom zu überlassen, wäre unredlich und würde den Schaden für die Kirche nur noch vergrößern. Der hl. Johannes Paul II. hat uns in dieser Hinsicht zur rechten Zeit klare Orientierung geschenkt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2021
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

„,Exodus 90‘ kann ich jedem empfehlen, besonders Pornografie-Abhängigen“

Ein Weg in die Freiheit

Es ist ein großes Verdienst von Papst Benedikt XVI., dass er im Jahr 2009 die Legionäre Christi und das Regnum Christi einem tiefgreifenden Läuterungsprozess zugeführt hat. Das Ergebnis ist eine segensreiche Erneuerung dieser apostolischen Gemeinschaften, die sich im Lauf von zehn Jahren nicht nur erholt, sondern zu einer neuen Blüte entwickelt haben. 2018 wurden die Gottgeweihten Frauen und Gottgeweihten Männer im Regnum Christi durch den Heiligen Stuhl als „Gesellschaften des apostolischen Lebens“ anerkannt. Am 31. Mai 2019 traten die neuen Statuten in Kraft. – Unter den zahlreichen Initiativen der Regnum-Christi-Föderation findet sich das Programm „Exodus 90“, das vielen Männern auf der ganzen Welt zu einem neuen Leben verholfen hat. Felix Honekamp (geb. 1970), Unternehmensberater, verheiratet und Vater von zwei Kindern, legt ein Zeugnis von seinen Erfahrungen mit diesem Programm ab, dem er sich im Januar 2021 angeschlossen hat. Wer sich davon angesprochen fühlt und „freier“ werden will, kann sich bis zum 10. Dezember 2021 auf der deutschsprachigen Webseite des Regnum Christi anmelden, wo Männergruppen koordiniert werden: www.regnumchristi.eu/de/veranstaltungen-und-termine/

Von Felix Honekamp

Am 4. Januar 2021 bin ich mit dem Programm „Exodus 90“, das eben 90 Tage hat, gestartet. Zusammen mit mehreren hundert anderen Männern in Deutschland, Tausenden weltweit, und gemeinsam mit einer kleinen Bruderschaft von sieben Männern, habe ich mich auf den Weg der Freiheit gemacht: Ägypten hinter uns lassen, den Pharao besiegen, ausziehen in die Wüste, den Blick fest gerichtet auf den Herrn, um uns nicht zu verirren. Nach diesen 90 Tagen kann ich zwei Dinge sagen:

Frei sein!

Erstens, dass die Erfahrung der Befreiung von ungesunden Bindungen, seien es Medien, sei es Konsum, sei es Genuss, seien es die Wurzeln einer ungeordneten Sexualität, um ein Vielfaches besser ist, als ich im Vorfeld geglaubt hätte. Den Israeliten kam die Sklaverei in Ägypten irgendwann gar nicht mehr als falsch vor. Man arbeitete für die Unterdrücker, begann, deren Gebräuche zu übernehmen, deren Götter anzubeten und sich in der Situation einzurichten. Wer sich fügte, der hatte vermutlich ein zwar hartes aber doch auch sicheres Leben. Erst als die Israeliten zunächst nur vom Pharao fordern, ihren Gott anzubeten, stellt sich heraus, wo die Fesseln liegen.

Der Pharao, wie jeder falsche Gott, ist bei vielen Dingen kompromissbereit, aber nicht, wenn es darum geht, ihn nicht mehr als Gott zu akzeptieren. Spürt man erst mal die Fesseln der eigenen Abhängigkeiten, und der dahinterstehenden eigenen Dämonen, dann wird es umso erleichternder, wenn sich diese langsam lösen – in meinem Fall unter Begleitung zweier Priester mit einem fast körperlichen Gefühl der Befreiung, der Lockerung der Fesseln um mein Herz.

Nie wieder nach Ägypten!

Und das zweite, was ich heute sagen kann, ist, dass ein Entschluss feststeht: Nie wieder zurück nach Ägypten! Dessen Fleischtöpfe, die die Israeliten im Buch Exodus so anziehend fanden, sind nur ein Abklatsch dessen, was Gott für einen Ehemann, einen Familienvater, einen Sohn seiner Eltern, einen Freund anderer Männer, einen Kollegen, ein Mitglied einer Gemeinde, vorgesehen hat. Ist es angenehm, sich abends vor den Fernseher zu hauen und Chips und Schokolade zu futtern? Ist es angenehm, sich (im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten) einfach zu kaufen, was man haben will? Ist es angenehm, sich zu gönnen, was einem vermeintlich zusteht? Natürlich ist es das.

Und es ist sicher alles bequemer, als sich im Rahmen von asketischen Übungen zu bescheiden, sich von Süßem und Alkohol, Medien und anderen Versuchungen fernzuhalten, morgens früh aufzustehen, kalt zu duschen und dann eine Stunde zu beten. Aber wie Papst Benedikt es 2005 zu deutschen Pilgern gesagt hat: „Bequem sind die Wege des Herrn nicht, aber wir sind ja auch nicht für die Bequemlichkeit, sondern für das Große, für das Gute geschaffen.“

Gamechanger

Und so kann ich das Programm Exodus 90 nur wirklich jedem empfehlen – aber Vorsicht: Wer das ernsthaft macht, für den wird es das Leben wandeln! Dann gibt es Dinge, die man einfach nicht mehr tun mag. Es gibt einige Dinge, die ich aus dem Programm mitnehme, einfach, weil sie mir geistlich wie körperlich guttun (bevor jemand fragt: Ja, wer keine Süßigkeiten mehr isst, keinen Alkohol trinkt und stattdessen dreimal die Woche Sport macht, der nimmt an Körpergewicht ab). Manches davon ist eher unauffällig: Wenn ich weiterhin meinen Fernsehkonsum reduziere und zumindest ein bisschen besser darauf achte, was meine Familie und ich da schauen, dann ist das nach außen nur eine Kleinigkeit.

Leb wohl, Facebook!

Außenwirkung – in meiner eigenen sozialen Blase – hat dagegen mein Entschluss, mich in Zukunft von sogenannten sozialen Medien fernzuhalten. Wenn ich etwas, nach einer kurzen Anlaufzeit, in diesen 90 Tagen nicht vermisst habe, dann ist es das Herumstreunen in Facebook & Co. Es tut meinem Blutdruck nicht gut, mich mit anderen Menschen, die meine Meinung teilen, in Wut und Zorn über politische und gesellschaftliche Fehlentwicklungen hineinzusteigern. Und in meinen eigenen kurzen Beiträgen ist im Normalfall auch nichts, was nicht schon ein anderer gesagt oder geschrieben hätte. Der Welt entgeht schlicht keine wichtige Weisheit, wenn ich meine Meinung nicht mit ihr teile.

Daher werde ich mich dort in ein paar Wochen vollständig zurückziehen. Ich respektiere jeden, der Facebook als Medium nutzt, aber ich selbst bin nicht stark genug, um ausreichend Distanz zwischen mich und die dort behandelten Themen zu bringen. An der Stelle folge ich meinem Lieblingsfreikirchler John Eldredge, dessen Podcast-Beiträge mich auch durch die vergangenen Monate begleitet haben, mit den Worten: „Don’t let that into your heart!“

Weg mit den Dämonen

Ein Programm wie Exodus 90 legt behutsam aber deutlich offen, wo die eigenen Dämonen zu Hause sind, warum sie so oft „erfolgreich“ sind, welche persönlichen Wurzeln sie nutzen und wie zerstörerisch sie wirken. Ich selbst habe mich beispielsweise nach einigen Tagen der Exodus-Erfahrung entschieden, mich parallel beim Programm Generation David von free!ndeed anzumelden, um die noch verbliebenen Bindungen an ungeordnete Sexualität zu bekämpfen, übrigens ein Programm, das ich jedem Pornografie-Abhängigen – trocken oder nicht – nur sehr ans Herz legen kann.

Ich habe begonnen, abgesehen von den Exodus-90-eigenen Betrachtungen des Buches Exodus, intensiver die Bibel zu lesen. Und ich sehe jetzt zu, dass die Beschäftigung mit der Schrift ein wesentlicher Teil meines Lebens bleibt, um tiefer zu entdecken, wo Jesus mich haben möchte. Den Kontakt zu meiner Bruderschaft will ich – unter uns besteht da auch Einigkeit – aufrechterhalten, um immer weiter auch zuzusehen, dass wir nicht wieder in „alte Muster“ der ungesunden Bindungen und Verstrickungen zurückfallen.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit

Im Sport heißt es so schön „Die Wahrheit liegt auf dem Platz“, insofern waren die 90 Tage des Exodus ein intensives Trainingscamp. Jetzt aber gilt es, jetzt ist es notwendig, im „normalen“ Leben das aufrecht- und präsent zu halten, was ich dort von und über Gott gelernt habe (zum Beispiel, dass Gott mit mir spricht, wenn ich im Gebet schreibe … eine wunderbare Entdeckung!). „Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Steht daher fest und lasst euch nicht wieder ein Joch der Knechtschaft auflegen!“ (Galater 5,1) – diese beiden Sätze habe ich mir gemerkt und zur Sicherheit in unserer heimischen Gebetsecke aufgehängt. Das kann ich nur allen anderen Teilnehmern von Exodus 90 wünschen und auch Sie einladen, ein solches oder ein ähnliches Programm einmal zu durchlaufen.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2021
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Online-Kongress zum 25. Geburtstag von Radio Horeb 11.-12. Dezember 2021

Ein revolutionäres Sendekonzept

Zu seinem 25-jährigen Bestehen veranstaltet „Radio Horeb“ am 11. und 12. Dezember 2021 einen Online-Kongress. Grußworte und Beiträge werden nicht nur eingespielt, Gäste nicht nur zugeschaltet, sondern wichtige Teilnehmer wie die Geschäftsführung der Weltfamilie von Radio Maria und die Moderatoren von Radio Horeb werden tatsächlich in Balderschwang zusammenkommen und die Veranstaltung zusammen mit dem Leiter und Programmdirektor von Radio Horeb, Pfr. Dr. Richard Kocher, vor Ort ausrichten. Man kann das Radio zu seiner Erfolgsgeschichte nur beglückwünschen und ihm eine fruchtbare Zukunft wünschen. Mit seiner Treue zum Evangelium und seinem kirchlichen Geist ist es zu einem wertvollen Schatz im Reich Gottes geworden.

Von Richard Kocher

Wenn eine Mehrheit beim Synodalen Weg per Abstimmung eine Debatte beschließt, ob man das sakramentale Priestertum in der Kirche überhaupt noch braucht, und andere Stimmen homosexuelle Beziehungen in den Rang eines Sakramentes erheben wollen, dann sind es nicht diese Forderungen – beide für mich inakzeptabel –, sondern die bei vielen dahinterstehende Geisteshaltung, die mich betroffen macht. Wird nicht hier und bei anderen Postulaten, besonders der Sexualmoral, der hohe Anspruch des Evangeliums auf die eigenen Bedürfnisse, Triebhaftigkeit und Trivialität heruntergeschnorrt?

Kein Unvoreingenommener kann die Bergpredigt lesen, ohne von ihr angerührt zu werden. Wir erschrecken über das, was der Herr von seinen Jüngern erwartet: eine Leidensbereitschaft bis hin zum Martyrium, ein Gott-gleich-werden als Söhne Gottes in der Feindesliebe, einen eindeutig anderen Lebensstil, der sich von materialistisch gesinnten Menschen und Gottlosen (Zöllnern und Sündern) abhebt, eine Totalität und Radikalität, in der kein Bereich unseres Lebens ausgespart bleibt in unserer Beziehung zu Gott, eine Reinheit und Heiligkeit, welche die der Pharisäer weit übersteigt, eine ausstrahlende Freude als Erkennungszeichen sowie eine Armut im Geist, denn nur, was leer ist, kann auch gefüllt werden.

Wenn all dies ignoriert und das Evangelium nur noch als Zuspruch, nicht aber auch als Anspruch verstanden wird, dann wird das Salz schal (vgl. Mt 5,13) und nicht einfach nur von den Leuten zertreten, sondern in die Finsternis „hinausgeworfen“, denn dies meint der Text im griechischen Original als Anspielung auf den faulen und unnützen Knecht.

Oft werde ich gefragt, wie bei mir alles mit meiner Tätigkeit als Programmdirektor begonnen hat. Ich antworte immer: mit der Sehnsucht, ein Radio nach dem Stil von Radio Maria bei uns in Deutschland zu machen. In den ersten Jahren meiner Arbeit für Radio Horeb war ich oft in Varese und Erba in der Provinz Como. Das Sendekonzept der Italiener war revolutionär und ist es bis heute geblieben. Fast niemand hielt es für möglich, ein Radio dieser Dimension, das nur von Spenden finanziert und wesentlich von Ehrenamtlichen unterstützt wird, zu betreiben. Bei jedem Besuch bei den Protagonisten von Radio Maria Italien wurde mir klarer, welch ein Segen von dieser Station für das ganze Land ausgeht. Nur ein Beispiel: Auf eine Sendung für Inhaftierte kam in der Redaktion ein großer Stapel von Briefen an. Ich war zutiefst beeindruckt von diesen Zeugnissen. Das Radio brachte tatsächlich Licht in dunkle Gefängniszellen und erkaltete Herzen; es vermittelte Hoffnung! Die Besprechungen, in denen es inhaltlich um den Aufbau von Radio Horeb in unserem Land ging, waren in der Regel am späten Nachmittag zu Ende. Bei der Fahrt nach Hause habe ich noch bis weit in die Schweiz hinein Radio Maria Italien gehört. Der Empfang wurde allerdings immer schwächer und brach schließlich ganz ab. Für mich war das wie eine Seifenblase, die zerplatzte, ein scheinbar unerfüllbarer Traum.

Weil die Rundfunkgesetzgebung in Deutschland eine andere war, gab es keine Möglichkeit, ein Radio dieser Art bei uns zu betreiben. Wenn ich in die Nacht hineinfuhr, ergriff mich eine melancholische Stimmung, die sich in der Bitte an die Gottesmutter äußerte, uns doch die Wege für ein solches Radio auch in Deutschland aufzutun. Mit dem Zuschlag einer Digitalradiofrequenz für Radio Horeb am 17. Mai 2011 begann der Traum Wirklichkeit zu werden – für mich ist es nach wie vor ein „Wunder“. Zehn Jahre sind seitdem ins Land gegangen, in denen Radio Horeb beträchtlich gewachsen ist und für viele Menschen in Deutschland wie auch für Radio Maria Stationen auf der ganzen Welt, besonders in Afrika, zum Segen wurde.

Beim Online-Kongress vom 11.-12.12. 2021 werde ich darüber berichten und viele Interna, über die ich mich bisher öffentlich nicht geäußert habe, darlegen. Ich freue mich, Ihnen hierbei meine Aquarelle vorstellen zu dürfen, die wir in diesem Jahr unseren Wohltätern ab einer Spendenhöhe von 50 Euro in Form eines Kalenders zukommen lassen werden. Viele Gäste und Begleiter auf unserem Weg werden vor Ort sein oder ein Grußwort per Videozuschaltung ausrichten.

An diesen Tagen werden Sie unsere Moderatoren nicht nur hören, sondern auch sehen können: ein Wunsch, der immer wieder an uns herangetragen wird. Die gesamte Geschäftsführung der Weltfamilie von Radio Maria wird in Balderschwang vor Ort sein.

Verschiedene Grußworte von kirchlichen Würdenträgern, wie etwa dem Augsburger Bischof Dr. Bertram Meier, sowie von hochrangigen Repräsentanten der Medienwelt, wie dem Präsidenten der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien und dem Chefredakteur von Focus Money, werden wir ausstrahlen. Besonders freue ich mich, dass Pater Dr. Anton Lässer, der einst mit dem Radio in Balderschwang begonnen hat, zu uns kommen wird. Der größte Teil der Feierlichkeiten wird auch bei EWTN.TV und teilweise auch bei K-TV ausgestrahlt werden. Der Programmchef von EWTN.TV, Martin Rothweiler, wird bei uns sein. Den Kongress können Sie im Bild mitverfolgen, wenn Sie auf unsere Homepage gehen: www. horeb.org – über unsere Horeb-App, Facebook und Youtube.

Durch Lohnerhöhungen und gestiegene Verbreitungskosten für Digitalradio sowie besonders durch den Kauf eines Gebäudes neben dem Medienhaus in Balderschwang fallen zusätzliche Kosten in Höhe von ca. 600.000 Euro an. Eine Zuhörerin regte einen Spendenmarathon ähnlich dem Mariathon im Monat Mai an und hatte auch schon einen Namen hierfür: Jubilathon.

Nahezu alle Radio Maria-Stationen führen tatsächlich einen zweiten Spendenmarathon zur Deckung der eigenen Unkosten durch, manche sogar einen dritten – meist im Monat Dezember. Wir werden dies nicht tun, bitten Sie aber herzlich um eine Jubiläumsspende. Hierzu werden wir Ihnen verschiedene Projekte vorstellen, für die wir Ihre Unterstützung brauchen. Wenn im Rückblick auf die vergangenen 25 Jahre etwas deutlich geworden ist, dann ist es die Tatsache, dass Radio Horeb ein Werk der Muttergottes ist. Ohne ihren Beistand hätte es nie so viele Schwierigkeiten überwinden und sich so stark ausbreiten können. Jetzt brauchen wir Ihre Hilfe und ich danke Ihnen jetzt schon, dass Sie sich ansprechen lassen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2021
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Entwicklung „neuer“ Menschenrechte (Teil 8)

Gibt es ein Recht auf Inanspruchnahme von „Leihmutterschaft“?

Der französische Rechtswissenschaftler Grégor Puppinck weist in seiner Analyse nach, wie sich auf internationaler Ebene eine erschreckende Ideologie ihren Weg bahnt, ohne dass die Weltöffentlichkeit bemerkt, was eigentlich passiert. Nach außen hin präsentiert sich die neue Form der Rechtsprechung als Verteidigung von „Menschenrechten“. Dahinter aber verbirgt sich ein menschen-verachtendes Weltbild, das die Würde des Menschen mit Füßen tritt. Wofür die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von ihrem Ursprung her steht, nämlich für die Unantastbarkeit der Würde eines jeden Menschen und die damit verbundenen unveräußerlichen Rechte, wird auf den Kopf gestellt. Es ist der unverhohlenste Angriff auf die christlichen Werte und die vom Christentum geformte Kultur, den die Gesellschaft in der westlichen Welt je gesehen hat. Um ihr Ziel zu erreichen, versucht diese Ideologie unter anderem, gegen alle nationalen Widerstände das Recht auf Inanspruchnahme von „Leihmutterschaft“ durchzusetzen. Puppinck spricht in diesem Zusammenhang von Baby-Fabriken und einem skandalösen Menschenhandel.

Von Grégor Puppinck

Das Thema der Leihmutterschaft ist zum Kampfplatz des Konflikts zwischen Anhängern und Gegnern des Rechtes auf ein Kind geworden, wobei erstere der Ansicht sind, dass es sich dabei nur um ein reproduktionsmedizinisches Verfahren unter vielen anderen handle.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entmachtet die Konventionsstaaten

Durch eine Reihe von Entscheidungen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Schritt für Schritt, aber dennoch sehr rasch, die Konventionsstaaten dazu gezwungen, die Praxis der Leihmutterschaft zu akzeptieren. Selbstverständlich hält er dabei das Prinzip aufrecht, dass die Staaten nicht dazu verpflichtet sind, sie zu legalisieren, wie sie ja auch die Abtreibung nicht legalisieren müssen – gleichzeitig aber nimmt er ihnen aber alle Mittel aus der Hand, die dazu notwendig wären, sie tatsächlich zu unterbinden.

Im Juni 2014 setzte der Gerichtshof mit der Entscheidung Menesson gegen Frankreich[1] den ersten Schritt, indem er Frankreich dazu verhielt, ein in den Vereinigten Staaten von einer Leihmutter zur Welt gebrachtes Kind als Kind eines französischen Ehepaars in das Personenstandsregister einzutragen. In diesem konkreten Fall war das Kind mit den Samenzellen des Ehegatten und der Eizelle einer dritten Person in vitro gezeugt worden; die Leihmutter hatte das Kind im Rahmen einer nach amerikanischem Recht zulässigen Vereinbarung gegen Bezahlung ausgetragen.

Sanktionierung der kommerziellen Produktion und des Verkaufs von Kindern

Auf diesen Präzedenzfall gestützt konnte der Gerichtshof im Januar 2015 in der Entscheidung Paradiso und Campanelli gegen Italien[2] gleich einen Schritt weitergehen: diesmal wurde Italien gemaßregelt, weil dort einem Ehepaar das Sorgerecht für ein Kind entzogen wurde, für das es zwar bei einer auf Leihmutterschaft spezialisierten Agentur in Moskau den Betrag von 49.000 Euro bezahlt hatte, das aber, wie sich herausstellte, mit keinem der beiden Auftraggeber eine biologische Verwandtschaft aufwies. Der Gerichtshof hatte gegen die kommerzielle Produktion und den Verkauf eines Kindes überhaupt nichts einzuwenden; es genügte ihm, dass das Wunschelternpaar sich ungefähr sechs Monate lang „wie Eltern“ verhalten hatte, um zu dem Ergebnis zu gelangen, hier liege eine Familienbeziehung vor, die den Schutz der Gesellschaft verdiene. Zwei Richter, darunter das italienische Mitglied des Richterkollegiums, kritisierten damals in einem Sondervotum, dass mit dieser Entscheidung das Recht der Mitgliedstaaten, der Leihmutterschaft die rechtliche Anerkennung zu verwehren, zunichtegemacht werde, wodurch letztlich sogar die Legitimität jedes Widerstands gegen die Leihmutterschaft in Frage gestellt sei.

Der nächste Schritt war im Juli 2016 die Legitimierung der Low-cost-Leihmutterschaft und des Anspruchs homosexueller Personen auf Inanspruchnahme der Dienste einer Leihmutter: in den Rechtssachen Foulon und Bouvet wurde Frankreich dazu angehalten, die Elternschaft zweier homosexueller Väter im Hinblick auf Kinder anzuerkennen, die in einer indischen Baby-Fabrik von Leihmüttern zur Welt gebracht worden waren.[3] Die Leihmutter, eine junge Inderin, hatte dafür 1.300 Euro erhalten.

Wie ein roter Faden zieht sich die immer gleiche Logik durch diese Entscheidungen: die Dehumanisierung der Fortpflanzungstechnik ermöglicht es jedermann, ein Kind zu erwerben und mit ihm eine „Familie“ zu begründen, die der Gerichtshof dann eilfertig gegen jene Gesetze in Schutz nimmt, die den Handel mit Menschen unterbinden sollen. Letzten Endes geschieht es stets im Namen des vermeintlichen Kindeswohls, dass die „Wunscheltern“ an ihr Ziel gelangen. So hat der Gerichtshof innerhalb von nur zwei Jahren die Leihmutterschaft salonfähig gemacht und die Staaten zumindest teilweise dazu verpflichtet, die auf diese Weise hergestellte Elternschaft anzuerkennen. Nach und nach wird mit diesen Entscheidungen die Liberalisierung der Leihmutterschaft immer weiter vorangetrieben, einem „Rhythmus folgend, der von unserem Gerichtshof vorgegeben wird“, wie Dean Spielmann, der Präsident des Gerichtshofs, bei der feierlichen Sitzung vom 30. Januar 2015 stolz verkündete. Er wies dabei darauf hin, dass „unser Gerichtshof dazu aufgefordert wurde … den Takt zu geben“ und freute sich, dass anlässlich des 2014 gegen Frankreich ergangenen Urteils „die französische Regierung entschieden hat, auf einen Antrag, die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an eine Große Spruchkammer zu überweisen, zu verzichten, was doch zeigt, dass unsere Entscheidung akzeptiert wurde“.[4] Es kommt freilich häufig vor, dass eine Regierung es geradezu darauf anlegt, vom Straßburger Gerichtshof verurteilt zu werden, um mit dieser Entscheidung dann umstrittene Gesetzesänderungen innenpolitisch rechtfertigen zu können.

Der mutige Protest Italiens weist das diktatorische Vorgehen in Schranken

Im Gegensatz zu Frankreich hat allerdings Italien es gewagt, gegen die Verurteilung durch den EGMR vorzugehen und erreichte so einen spektakulären Sinneswandel vor der Großen Spruchkammer. Diese zu überzeugen war nicht ganz einfach. Im Gegensatz zu ihrer üblichen Praxis ließ sie keine Drittinterventionen zu und schlug sogar das Angebot des orthodoxen Moskauer Patriarchats aus, ein wenig Licht auf die düstere gesellschaftliche Wirklichkeit der Leihmutterschaft in Russland zu werfen. Von allen Leihmutterschaftsentscheidungen des EGMR war Paradiso und Campanelli die skandalöseste und mithin die angreifbarste, da in der Tat „das Kind das Opfer eines regelrechten Menschenhandels war: es wurde von den Antragstellern in Auftrag gegeben und gekauft“.[5]

Schlussendlich kam die Große Kammer mit elf gegen sechs Stimmen zu dem Ergebnis, dass im konkreten Fall, insbesondere angesichts des Fehlens jeglicher Verwandtschaft zu wenigstens einem der beiden Wunscheltern und der Kürze des Zusammenlebens, letztlich doch kein „Familienleben“ vorgelegen habe, und erklärte bei dieser Gelegenheit sogar, dass die Menschenrechtskonvention „dem bloßen Wunsch, eine Familie zu gründen, keinen Schutz zuteilwerden lässt“. Mehr noch, der Gerichtshof erklärte auch den Entzug des Kindes aus der Obsorge der Antragsteller für rechtens, da „es der Legalisierung dieser Situation, die sie selbst unter Verletzung wichtiger italienischer Gesetze herbeigeführt hatten, gleichkäme, wenn man das Kind in der Obhut der Antragsteller belassen wollte“.[6] Damit hat der Gerichtshof den Staaten wenigstens eine gewisse Freiheit belassen, gegen die Praxis der Leihmutterschaft vorzugehen, wenn dabei krass gegen nationale Gesetze verstoßen wird – allerdings nur dann, wenn nicht das Bestehen eines „Familienlebens“ zwischen dem Kind und den Erwachsenen festgestellt wird.

Moralische Begründungen werden heruntergespielt oder bewusst ausgeklammert

Während der Gerichtshof bei seinen vorangehenden Entscheidungen der Meinung war, alle für ein Verbot der Leihmutterschaft sprechenden moralischen Gründe aus seinen Erwägungen ausklammern zu müssen, haben diese, was bemerkenswert ist, im Verfahren vor der Großen Kammer eine zentrale Rolle gespielt. In den früheren Entscheidungen hatte der Gerichtshof die Praxis der Leihmutterschaft überhaupt nicht hinterfragt, sondern nur zugestanden, dass die Regierungen im Lichte „ihrer Wahrnehmung dieser Problematik“ in Bezug auf sie eine „ethische Entscheidung“ treffen dürfen.[7] In der 2015 ergangenen ersten Entscheidung der Rechtssache Paradiso und Campanelli wurde die Rolle der Moral ebenfalls mit dem Hinweis heruntergespielt, dass der Verweis auf die öffentliche Ordnung – also auf den Schutz der Moral – nicht „als Freibrief für jeden Eingriff verstanden werden kann“.[8] Der Gerichtshof nahm sogar ausdrücklich für sich in Anspruch, seine Entscheidung „frei von jeder moralischen Erwägung"[9] zu treffen! Im Gegensatz dazu hat die Große Kammer dem öffentlichen Interesse eine zentrale Stellung eingeräumt: sie anerkennt, dass die Frage der Beziehung zwischen den „Wunscheltern“ und einem im Ausland mithilfe gespendeter Keimzellen fabrizierten Kind „komplex und sensibel“ ist; darüber hinaus anerkennt sie, und schließt in ihre Beurteilung des Falles ein, dass der Wunsch einer Regierung wichtig und legitim ist, ihre Bürger davon abzuhalten, zur Inanspruchnahme illegaler Behandlungsmethoden, die gravierende ethische Probleme aufwerfen, ins Ausland zu reisen, selbst wenn diese Praktiken dort legal sein mögen.[10] Der Unterschied zur Entscheidung in der Rechtssache Menesson, in der der Gerichtshof es bloß für „denkbar“ hielt, dass „Frankreich den Wunsch haben könnte, seine Bürger von der Inanspruchnahme von Behandlungsmethoden im Ausland abzuhalten, wenn diese im Inland verboten sind“,[11] ist spürbar. Die Große Kammer anerkennt auch, dass Leihmutterschaft die Gefahr in sich trägt, einen veritablen Handel mit Kindern auszulösen,[12] nachdem bereits zuvor eine andere Entscheidung[13] einen Zusammenhang zwischen Leihmutterschaft und Menschenhandel festgestellt hatte. Während die Entscheidung von 2015 eine Situation, die rechtswidrig herbeigeführt worden war, zu legitimieren suchte, um so die Interessen des aus dieser rechtswidrigen Handlung hervorgegangenen Kindes zu schützen, lässt der Gerichtshof nunmehr gelten, dass das Allgemeininteresse legitimerweise der Befriedigung individueller Wünsche entgegenstehen und, wenigstens bis zu einem gewissen Ausmaß, auch Maßnahmen, die ein bestimmtes Kind betreffen, rechtfertigen kann. Der Gerichtshof anerkennt die Angemessenheit solcher Maßnahmen auch über den Anlassfall hinaus, da sie allgemein den Schutz von Kindern zum Ziel haben, d.h. „ein „legitimes Ziel des Schutzes der öffentlichen Ordnung aber auch der Kindeswohlfahrt – nicht nur desjenigen Kindes, um das es im Einzelfall geht, sondern der Kinder im Allgemeinen – da es ja die Prärogative des Staates ist, die rechtliche Abstammung mittels der Adoption wie auch mittels des Verbots gewisser reproduktionsmedizinischer Methoden zu regeln“.[14]

Letztlich soll jedem der Zugang zu einem Kind ermöglicht werden

Dies war das Ergebnis eines langen Kampfes vor den europäischen Institutionen, an denen sich auch das ECLJ beteiligte, und der darauf abzielte, den Gerichtshof davon zu überzeugen, dass es die Praxis der Leihmutterschaft selbst ist, die im Widerspruch zu Menschenwürde und Menschenrechten steht. Im Gegensatz zum Europäischen Parlament, das die Leihmutterschaft klar verurteilt hat,[15] hat der Gerichtshof aber leider nicht die Möglichkeit ergriffen, „in eindeutiger Weise gegen solche Praktiken Stellung zu beziehen“, wie vier Richter in ihrem an die Entscheidung angeschlossenen Sondervotum bedauernd feststellten.[16]

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2021
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[1] EGMR: Menesson gegen Frankreich, 65192/11 und Labassée gegen Frankreich, 65941/11, beide vom 26. Juni 2014.
[2] EGMR: Paradiso und Campanelli gegen Italien, 25358/12, 27. Januar 2015 (diese Entscheidung wurde später durch eine Große Kammer revidiert).
[3] Foulon und Bouvet gegen Frankreich, 9063/14 und 10410/14, 21. Juli 2016.
[4] Dean Spielmann: Ansprache bei der feierlichen Sitzung des EGMR zur Eröffnung des Arbeitsjahres, Straßburg, 30. Januar 2015. Veröffentlicht auf der Website des Gerichtshofs.
[5] Zustimmendes Sondervotum der Richter De Gaetano (Malta), Pinto de Albuquerque (Portugal, Wojtyczek (Polen) und Dedov (Russland), veröffentlicht im Anhang zur Entscheidung der Großen Kammer (2017).
[6] EGMR: Paradiso und Campanelli gegen Italien [GC], 25358/12, 24. Januar 2017, §§ 141 sowie 215.
[7] EGMR: Menesson gegen Frankreich, 65192/11, 26. Juni 2014, §§ 83 und 62.
[8] EGMR: Paradiso und Campanelli gegen Italien, 25358/12, 27. Januar 2015, § 80.
[9] Ibid., § 76. Bereits 1991 hatte die dam. EKommMR sich gerühmt, ein Urteil zu treffen, „ohne dabei eine Meinung über die grundlegende Problematik dieser Frage zu äußern“: Lavisse gegen Frankreich, 14223/88, 5. Juni 1991.
[10] EGMR: Paradiso und Campanelli gegen Italien [GC], 25358/12, 24. Januar 2017, § 203.
[11] EGMR: Menesson gegen Frankreich, 65192/11, 26. Juni 2014, § 99.
[12] EGMR: Paradiso und Campanelli gegen Italien [GC], 25358/12, 24. Januar 2017, § 202.
[13] EGMR: D. und andere gegen Belgien, 29176/13, 8. Juli 2014.
[14] EGMR: Paradiso und Campanelli gegen Italien [GC], 25358/12, 24. Januar 2017, § 1
[15] In einem am 17. Dezember 2015 angenommenen Jahresbericht über Menschenrechte und Demokratie in der Welt hat das Europaparlament „die Praxis der Ersatzmutterschaft, die die Menschenwürde der Frau herabsetzt, da ihr Körper und sei-ne Fortpflanzungsfunktionen als Ware genutzt werden“, verurteilt und die Auffassung vertreten, „dass die Praxis der gestationellen Ersatzmutterschaft, die die reproduktive Ausbeutung und die Nutzung des menschlichen Körpers – insbesondere im Fall von schutzbedürftigen Frauen in Entwicklungsländern – für finanzielle oder andere Gewinne umfasst, untersagt werden und dringend im Rahmen der Menschenrechtsinstrumente behandelt werden sollte“.
[16] Nur die Richter De Gaetano (Malta), Pinto de Albuquerque (Portugal, Wojtyczek (Polen) und Dedov (Russland) sprachen klar aus, dass „die Leihmutterschaft, ob sie nun unentgeltlich oder gegen Bezahlung erfolgt, mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Sie stellt eine Herabwürdigung nicht nur des betroffenen Kindes, sondern auch der Leihmutter dar“ und widerspricht daher den „der Konvention zugrundeliegenden Werten“. Der russische Richter fügte hinzu, dass die Leihmutterschaft das „schwerwiegende Problem des Menschenhandels“ nach sich zieht.

Johannes Oesterreicher, Max Josef Metzger, Annie Kraus

Große Pioniere der Einheit

Studiendirektor Jakob Knab (geb. 1951) skizziert in seinem Beitrag, wie sich die Wege großer Pioniere der Einheit und des Friedens im 20. Jahrhundert gekreuzt haben. Sie inspirierten sich gegenseitig, endeckten im gemeinsamen Einsatz für ihre Ideale Christus und die Kirche, legten unerschrocken Zeugnis für ihren Glauben ab und hinterließen bedeutende Spuren. Der gebürtige Jude Johannes Österreicher, der sich mit 20 Jahren taufen ließ und drei Jahre später zum Priester geweiht wurde, war maßgeblich an der Abfassung der Judenerklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils beteiligt.

Von Jakob Knab

Als bahnbrechender Wendepunkt in der Beziehung Judentum und Christentum gilt die Erklärung Nostra Aetate (1965) über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. Der Artikel 4 lautet: „Im Bewusstsein des Erbes, das sie mit den Juden gemeinsam hat, beklagt die Kirche, die alle Verfolgungen gegen irgendwelche Menschen verwirft, nicht aus politischen Gründen, sondern aus Antrieb der religiösen Liebe des Evangeliums alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgendjemandem gegen die Juden gerichtet haben. Deshalb verwirft die Kirche jede Diskriminierung eines Menschen oder jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen, weil dies dem Geist Christi widerspricht."[1] Bei diesem Artikel 4 müssen die Verdienste des gebürtigen Juden Johannes Oesterreicher (1904-1993) eigens genannt werden. Wer war dieser Gelehrte?

Oesterreicher aus Liebau (Mähren) war in der zionistischen Jugendbewegung Blau-Weiß aktiv gewesen. Die Gründung von Blau-Weiß war die jüdische Antwort auf die zunehmenden antisemitischen Tendenzen in der Wandervogel-Bewegung. Als Student der Humanmedizin in Wien entdeckte er das Werk von John Henry Newman Die Entwicklung der christlichen Lehre (1922), das Theodor Haecker aus Dankbarkeit und Liebe für Kardinal Newman ins Deutsche übertragen hatte. Ende April 1924 kam er nach Graz, um vom Priester Max Josef Metzger[2] getauft zu werden. Das Ordinariat in Graz hat ihm aber nicht erlaubt, den Juden Oesterreicher zu taufen. Er durfte nur der Taufpate sein. Am 3. Mai 1924 hat der Dompfarrer in der Sakristei des Grazer Domes die Taufe vorgenommen. Der erwachsene Täufling hat den Taufnamen Johannes Maria für sich ausgewählt. Und das war Metzger, der in der von ihm gegründeten Missionsgesellschaft vom Weißen Kreuz „Vater Paulus“ genannt wurde, nicht so recht, denn er hatte den Namen Timotheus vorgeschlagen.[3]

Am 17. Juli 1927 wurde Oesterreicher im Stephansdom Wien von Kardinal Gustav Piffl zum Priester geweiht. Nach dem sogenannten „Anschluss“ musste er im März 1938 aus Österreich fliehen. Noch von Frankreich aus wandte er sich gegen das rassistisch motivierte Kriegstreiben des NS-Regimes. Sein lebenslanges Wirken galt dem Dialog von Juden und Christen. Im Herbst 1986 blickte er zurück: „Eine ausführliche Darstellung meines Lebens und meines Bekenntnisses zu Christus würde Wochen in Anspruch nehmen. Ich müsste u.a. den Einfluss beschreiben, den Sören Kierkegaard, Kardinal Newman, Ferdinand Ebner, Theodor Haecker, Der Brenner, Die Fackel, vor allem die Evangelien auf mich hatten."[4]

Max Josef Metzger war von seiner Sendung, Christus als den Friedenskönig der Welt zu verkünden, durchdrungen. Im Mai des Epochenjahres 1917 gründete er den Weltfriedensbund vom Weißen Kreuz, im September 1919 gründete er die Missionsgesellschaft vom Weißen Kreuz[5], im Advent 1939 verfasste er ein Schreiben an Papst Pius XII. mit der Bitte um ein Unions- und Friedenskonzil, er gab entscheidende Anstöße für die ökumenische Bewegung Una Sancta, er erwarb sich bleibende Verdienste bei der Rettung von jüdischen Menschen.[6]

Zu diesen glücklichen Menschen gehörte Annie Kraus[7], die am 14. Juni 1900 als Kind jüdischer Eltern in Hamburg geboren wurde. Sie studierte Philosophie (u.a. bei Husserl in Freiburg); in ihrer Studienzeit knüpfte sie Kontakte zur jüdischen Weggefährtin Hannah Arendt, aber auch zu zahlreichen katholischen Gelehrten, so zu Romano Guardini, zum Philosophen Josef Pieper, zum jüdischen Konvertiten und Politikwissenschaftler Waldemar Gurian. Auch mit ehemaligen Protestanten und späteren Konvertiten wie Erik Peterson, Gertrud von le Fort und Dietrich von Hildebrand suchte sie den Gedankenaustausch.

Im Februar 1940 übersiedelte Max Josef Metzger in das Pius-Stift nach Berlin-Wedding. Hier in der Hauptstadt knüpfte er erste Kontakte zum widerständischen Solf-Kreis. Hier traf er auf seinen badischen Landsmann Richard Kuenzer.[8] In der Berliner Wohnung von Johanna Solf[9] trafen sich oppositionelle Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes und andere Gegner des NS-Regimes. Hier wurden couragierte Versuche unternommen, politisch und rassisch Verfolgten ins Ausland zu helfen. Man unterhielt auch Kontakte zum ehemaligen Reichskanzler Joseph Wirth, der wie Richard Kuenzer aus Freiburg im Breisgau stammte.

Mitglieder des Solf-Kreises halfen verfolgten Juden. Zu den Personen, die Annie Kraus vorübergehend Unterschlupf gewährten, gehörte auch Richard Kuenzer. Im Frühsommer 1942 fand Annie Kraus eine zeitweise Unterkunft bei Anna Winkler, der Haushälterin von Max Josef Metzger. Zwischen Metzger und Annie Kraus entwickelte sich eine vertraute freundschaftliche Beziehung. Im Juni 1942 bat sie ihren „väterlichen Freund“ Max Josef Metzger um die Taufe; Martha Reimann (Sr. Gertrudis) wurde die Taufpatin. Annie Kraus zufolge unterstützte er noch eine Reihe von Juden aufs Tatkräftigste, indem er ihnen Unterkunft, Lebensmittel und falsche Ausweise vermittelte.

Im Frühjahr 1943 verließ Annie Kraus Berlin; denn als „Illegale“ hatte sie keinen Zugang zu den öffentlichen Luftschutzkellern. Max Josef Metzger vermittelte ihr beim Priester Anton Fischer in Durach im bayerischen Allgäu ein neues vorübergehendes Versteck. Metzger kannte seinen Mitbruder von seinen Vortragsreisen für die Una Sancta. Seit 1935 war Fischer wiederholt verhört und verwarnt worden, weil er u.a. Kontakte zu Juden in der Schweiz unterhielt. Annie Kraus überlebte die NS-Gewaltherrschaft. 1953 zog sie nach Innsbruck, wo sie Anschluss zu einem Kreis um Karl Rahner fand und dann Jahre später mit einer Arbeit über Thomas von Aquin[10] promovierte. Sie hielt weiterhin Kontakt zu ihrer Taufpatin und zum Christkönigs-Institut in Meitingen (bei Augsburg). Annie Kraus starb am 21. März 1991 in Münster. Ihr Grab wurde vor zwei Jahren aufgegeben.

Max Josef Metzger war am 29. Juni 1943, dem Fest Peter und Paul, in Berlin verhaftet worden. Zunächst wurde vermutet, dies sei erfolgt, da er Juden versteckt habe.[11] Am 14. Oktober 1943 wurde er vor dem Volksgerichtshof angeklagt. Sein Friedensmemorandum vom Februar 1943 brachte ihm den Vorwurf der Feindbegünstigung und des Hochverrats ein. Die Hilfe für Verfolgte freilich blieb der Gestapo unbekannt. Blutrichter Freisler verurteilte ihn zum Tode. Das irdische Leben von Max Josef Metzger endete am 17. April 1944 unter dem Fallbeil in Brandenburg-Görden. Er opferte sein Leben für den Frieden der Welt und die Einheit der Kirche.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2021
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[1] Zweites Vatikanisches Konzil, Erklärung Nostra Aetate über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen.
[2] Siehe auch die neue umfassende Biografie von Ludwig Rendle: Max Josef Metzger. Gerechter Friede statt Gerechter Krieg. Ein Pionier der Friedensbewegung, Ostfildern 2021.
[3] Freundliche Auskunft von Gertraud Roßmann, Archiv des Christkönigs-Instituts in Meitingen.
[4] Johannes Maria (John) Oesterreicher in einem Brief vom 16. Oktober 1986; zitiert in: Ferdinand Holböck: „Wir haben den Messias gefunden!“, Stein am Rhein ²1987, S. 145.
[5] Diese Bewegung wurde am 27. Juni 1919, dem Herz-Jesu-Fest, in Graz gegründet und wurde 1928 nach Meitingen (bei Augsburg) verlegt. Die Vereinigung trug nun den Namen „Christkönigsgesellschaft“ und erhielt am Christ-Königs-Fest 1969 die kirchliche Anerkennung als Säkularinstitut („Christkönigs-Institut“).
[6] Rettungswiderstand ist ein von dem jüdischen Historiker Arno Lustiger eingeführter Begriff, der von all den Menschen erzählt, die in den von den Nationalsozialisten besetzten Gebieten und im Deutschen Reich jüdischen Menschen das Leben retteten. –  Arno Lustiger, der Cousin von Kardinal Jean Marie Lustiger, ist auch der Verfasser dieses Standardwerkes: Rettungswiderstand. Über die Judenretter in Europa während der NS-Zeit, Göttingen 2011. Die Widmung lautet: Ihrer zu gedenken ist heilige Pflicht.
[7] Weiterführend hierzu: Andreas Mix: Hilfe im katholischen Milieu. Das Überleben der Konvertitin Annie Kraus, in: Überleben im Dritten Reich. Juden im Untergrund und ihre Helfer, hg. von Wolfgang Benz, München 2003, S. 131-142.
[8] Er war im „Friedensbund Deutscher Katholiken“ aktiv. Als bekennender Katholik stand er dem NS-Regime von Anfang an kritisch gegenüber. Er sondierte Fluchtmöglichkeiten für verfolgte Juden. Am 5. Juli 1943 wurde er verhaftet; am 23. April 1945, noch kurz vor dem Ende des Krieges und des NS-Regimes, wurde er von einem Sonderkommando des RSHA in Berlin erschossen.
[9] Johanna Solf war die Witwe von Heinrich Solf (1862-1936), der von Oktober bis Dezember 1918 Staatssekretär des Auswärtigen Amtes war. Am Abend des 30. Januar 1933, am Tag der „Machtergreifung“ durch Adolf Hitler und dem NS-Regime, sprach Heinrich Solf vom „Finis Germaniae“. Er bemühte sich, jüdischen Gelehrten, Künstlern und Technikern zur Einreise nach Japan zu verhelfen, was in einigen Fällen auch gelang.
[10] Ihr Interesse an Thomas von Aquin geht zurück auf das Jahr 1935, als sie noch als jüdische Studentin das Büchlein von Raissa Maritain: L’Ange de l’École, ou saint Thomas d’Aquin raconté aux enfants, ins Deutsche übertrug: Der Engel der Schule. Thomas von Aquin der Jugend dargestellt.
[11] Rupert Feneberg: Max Josef Metzger – ein politischer Theologe, in: Feneberg/Öhlschläger (Hg.): Max Josef Metzger. Auf dem Weg zu einem Friedenskonzil, Stuttgart 1987, S. 13.

Wie kann man an das Gute glauben?

Gott – die selbstlose Liebe

Pater Engelbert Recktenwald FSSP (geb. 1960) vermittelt einen Einblick in die philosophischen Auseinandersetzungen um das Gute, das der Mensch in seinem Gewissen als moralischen Anspruch erlebt. Doch bleiben seine Überlegungen nicht abstrakte Philosophie, vielmehr können sie uns helfen, unser ganzes Denken und unser Weltbild neu auf das Gute auszurichten. Sie zeigen einen Weg auf, wie wir zur Gewissheit über Gott und zum Glauben an ihn gelangen können. Wer sich dem Anruf des Guten stellt, tritt zugleich in die Wirklichkeit Gottes ein und erhält Anteil an seinem Sein. Nur durch die Entscheidung für das Gute kann der Mensch zu Gott aufsteigen und für seine alles umfassende Liebe offen werden.

Von Engelbert Recktenwald FSSP

Um an Gott zu glauben, müssen wir an das Gute glauben. Dieser Glaube an das Gute kann ein rationaler Zugang zur Gotteserkenntnis sein. Er ist notwendige und auch – konsequent zu En-de gedacht – hinreichende Bedingung, um einen Gottesbegriff zu gewinnen, der die Existenz seines Inhalts hinreichend verbürgt. 

„Letztlich verfolgt jeder nur seine eigenen Interessen“

Doch was ist mit diesem Glauben gemeint? Es gibt die Redensart, dass jemand den Glauben an das Gute verloren habe. Dahinter steht zumeist die Erfahrung, dass das Gute, das man durch Menschen erfahren hatte, sich als täuschender Schein herausstellte. Die erfahrene Hilfe war in Wirklichkeit nur berechnender Egoismus, Ehrlichkeit war nur vorgetäuscht, Selbstlosigkeit war nur gespielt. Solche Erfahrungen werden dann verallgemeinert bis zur resignativen Feststellung: „Es gibt keine echte Liebe. Letztlich verfolgt jeder nur seine eigenen Interessen. Jeder ist sich selbst der Nächste. Die Rede von einem Gutsein, das diesem Egoismus entgegengesetzt ist, dient nur der Verschleierung eben dieses Egoismus. Es gibt in Wirklichkeit nur Selbstbehauptung. Moral ist lediglich eine besonders raffinierte Weise der Selbstbehauptung.“

Es war Nietzsche, der solches Denken in Philosophie umsetzte, in eine Philosophie des generellen Verdachts. Seine Genealogie der Moral dient ihrer Entlarvung und der Erhärtung des Verdachts, dass jeder moralische Anspruch im Dienst eines verborgenen Eigeninteresses stehe. Dieser Anspruch ergeht im Namen des Guten, und wenn ich als Adressat einer moralischen Forderung diesem Anspruch glaube, gerate ich in die Falle: Weil es angeblich gut ist, soll ich rücksichtsvoll sein, hilfsbereit, gerecht, ja sogar selbstlos und opferbereit. In Wirklichkeit ist die moralische Güte und die Wertschätzung, die mit diesen Haltungen verknüpft wird, eine Erfindung der Schwachen, um sich vor den Starken zu schützen. Für diese ist der moralische Imperativ eine Fessel. Wenn sie an das Gute glauben, fallen sie auf diese Erfindung herein und lassen sich durch diese Fessel daran hindern, ihre Stärke auszuspielen und das zu verwirklichen, was für sie gut und vorteilhaft ist. Das moralisch Gute ist der Feind des physisch Guten. Es wurde von den Sklavennaturen erfunden, um das Gesunde, Wilde und Kraftstrotzende zu zähmen. Wer an es glaubt, glaubt an eine Chimäre.

Kann man den Anspruch des moralisch Guten erfinden?

Doch hier stellt sich die Frage, wie es möglich ist, eine solche Chimäre zu erfinden. Wo kommt der Begriff des moralisch Guten überhaupt her? Und wie kann jener, der einen solchen Begriff erfunden hat, ihn einem Anderen ins Denken bringen, dazu auch noch einem Anderen, der daran überhaupt kein Interesse hat?

Wenn der Schwache dem Starken, der ihn töten will, sagt: „Das darfst du nicht!“, was ist dann mit „dürfen“ gemeint? Und wie kommt es, dass der Starke dieses Wort versteht? Das „Dürfen“ drückt ein moralisches Sollen aus: „Du sollst nicht töten!“ Jemanden nicht töten zu dürfen, bedeutet die moralische Pflicht, sein Leben zu achten.

Das moralische Sollen kann nicht erfunden werden. Ein Hörer des Wortes „sollen“ könnte seinen Sinn nicht verstehen, wenn es nur die Erfindung eines Anderen wäre. Er versteht es nur, weil beide sich auf eine gemeinsame Erfahrung beziehen, nämlich die des moralischen Sollens. Diese Erfahrung ist ihnen deshalb gemeinsam, weil sie beide ein Gewissen haben. Das Gewissen ist der Ort der Erfahrung des moralisch Guten.

Weil alle Menschen ein Gewissen haben, ist ihnen ein Raum moralischer Verständigung eröffnet. Erst dieser Raum ermöglicht auch die Leugnung des Moralischen. Um etwas verleugnen zu können, muss ich von dem Verleugneten Kenntnis haben. Ohne die allen Menschen gemeinsame Gewissenserfahrung des moralisch Guten würde kein Mensch verstehen, was Nietzsche eigentlich in seiner Philosophie des Verdachts leugnet. Nicht einmal Nietzsche selber würde es verstehen. Er wüsste gar nicht, wovon er redet. Er muss von dem, was er leugnet, wenigstens einen Begriff haben. Woher hat er ihn? Die Antwort: Durch die Erfahrung des moralischen Sollens. Das Gewissen ist der Ort der Empfänglichkeit für den moralischen Anspruch. Immanuel Kant schreibt: „Ohne alles moralische Gefühl ist kein Mensch; denn bei völliger Unempfänglichkeit für diese Empfindung wäre er sittlich tot“ (MST AA VI 400). Mit dem „moralischen Gefühl“ meint Kant jene Achtung vor dem Sittengesetz, die mit dessen Erkenntnis Hand in Hand geht. Nietzsche war nicht sittlich tot. Er war so empfänglich für das moralische Sollen, dass er es nicht mehr aushielt und dagegen rebellierte. Auch der Kampf gegen das Gute gibt noch Zeugnis von dessen Existenz.

Der kleine Schritt vom moralischen Pessimismus zum moralischen Nihilismus

Den Glauben an das Gute zu verlieren, kann zweierlei heißen. Es kann heißen, dass ich zu der Überzeugung komme: ‚Wir sollten zwar gut sein, sind es aber nicht. Es wäre zwar schön, aber wir schaffen es nicht.‘ Oder es kann die Überzeugung bedeuten: ‚Das Gute ist eine Chimäre.‘ Das erste ist der moralische Pessimismus, das zweite der moralische Nihilismus. Der Nihilismus leugnet die Idee des Guten, der Pessimismus die Möglichkeit ihrer Verwirklichung. Psychologisch ist es oft nur ein kleiner Schritt vom Pessimismus zum Nihilismus. Warum ist das so? Viele Faktoren können dafür verantwortlich sein. An dieser Stelle ist es nicht nötig, sie alle zu besprechen. Ich möchte nur auf jenen eingehen, der mir der wichtigste zu sein scheint: In einer vom Bösen beherrschten Welt verkleinert sich der Raum möglichen moralischen Handelns auf ein Minimum. Wenn ich in einer Welt voll skrupelloser Egoisten lebe, bin ich so durchgängig zur Selbstbehauptung gezwungen, dass für selbstlose Liebe, Rücksicht und Hilfsbereitschaft kaum noch Raum bleibt. Mit uneigennützigem Verhalten spiele ich den Egoisten nur in die Hände. Das moralisch Gute wird dann zum Nährboden des Erfolgs des Bösen. Moralisches Handeln wird sinnlos und selbstmörderisch. „Wenn jeder an sich denkt, ist an jeden gedacht“, lautet die durchaus stimmige Maxime solcher Welt. Bekannt ist der Witz, in dem zwei Schnitzel auf einer Platte serviert werden. Fritz nimmt sich sofort das größere. Peter weist ihn zurecht: „Das tut man nicht!“ Fritz: „Welches Schnitzel hättest du denn genommen?“ Peter: „Das kleinere.“ Fritz: „Aber das hast du doch!“ Die Moral aus der Geschichte: Es gibt Situationen, in der die Maxime des Guten anscheinend gerade noch gut genug dafür ist, das Verhalten des Egoisten zu rechtfertigen.

Der Ehrliche ist in einer Welt voller Lug und Betrug anscheinend der Loser, der auf Ideale hereinfällt, die nichts wert sind. Die Moral hindert ihn an der Selbstbehauptung. Die Verdächtigung des moralisch Guten als einer Chimäre scheint sich zu bestätigen.

Der moralische Anruf eines unschuldigen Kindes in Not

Doch keine Gesellschaft ist völlig amoralisch. Es gibt auch Kinder. Meine Begegnung mit der Unschuld eines Kindes, das in Not ist, zerreißt den Nebel des moralischen Nihilismus. Der moralische Anruf, der vom Kind ausgeht, kann durch keine noch so schlechte Erfahrung so verdunkelt werden, dass er nicht eine Chance für mich sein könnte, mich seiner realen Existenz zu vergewissern: Egal, wie schlimm es in der Welt zugeht: Dieses Kind braucht meine Hilfe! Keine noch so korrupten Zustände könnten mich von der unterlassenen Hilfe entschuldigen. Ich wäre ein Lump, wenn ich dem Kind nicht helfen würde. Nicht von ungefähr gibt es historische und literarische Zeugnisse, wie Kinder das Gewissen eines verdorbenen Menschen wieder geweckt haben. Beim berühmten Birdman von Alcatraz waren es sogar Vögel.

Die Rückkehr zum Glauben an das Gute stellt sich in solchen Fällen heraus als eine Rückkehr zur psychischen Gesundheit. Die totale Verrohung des Gewissens, die mit dem Verlust des Glaubens an das Gute Hand in Hand geht, ist das Zeichen des Ausfalls einer menschlichen Erkenntnispotenz, die sich auf moralische Werte bezieht. Sie ist Wertblindheit.

Das Gute hat die Macht, ein Handeln einzufordern und zu rechtfertigen

Aber was ist denn nun das Gute, dem ich meinen Glauben schenken soll? Was soll ich über es denken?

Das Gute hat die Macht, mein Handeln zu rechtfertigen. Es geht meinem Handeln in Form eines Sollens voraus, eines moralischen Gesetzes, das mit Autorität ein Handeln einfordert, das seinen Maßstäben entspricht. Und es rechtfertigt nach geschehener Tat mein Handeln und verleiht meinem Willen einen absoluten Wert. Natürlich kann ich auch sagen, dass ich ihm selber diesen Wert verleihe, da ich es ja bin, der von seiner Freiheit solcherart Gebrauch macht, dass sein Handeln gut ist. Diesen Aspekt hebt Kant hervor, wenn er sagt, dass der Mensch durch sein moralisches Tun „seinem Dasein als der Existenz einer Person einen absoluten Werth“ gibt (KU V 208 f). Aber dieses Wertgeben ist dem Menschen nur möglich, weil ihm das Gute in Form des Sittengesetzes vorausgeht. Ich kann einem Bild durch Form und Farbe Schönheit verleihen, aber deshalb bin ich nicht selber der Schöpfer der Farben. Formen, Farben und die Gesetze der Schönheit gab es schon längst, bevor ich auf der Welt war. Ähnlich verhält es sich mit der Moral: Ich bin in eine Welt hineingeboren, die aufgrund des Sittengesetzes eine moralische Welt ist. Ich bin weder der Ursprung des Sittengesetzes noch der Schöpfer des Guten, das mir im Spruch des Sittengesetzes begegnet. Ich bin durch mein moralisches Handeln freie Ursache der Verwirklichung des Wertes, aber nicht dessen Erfinder.

Das Sittengesetz befiehlt mir das Tun kraft des Guten. Die Verdoppelung des Guten, die in dieser Aussage aufscheint und die der Aufmerksamkeit dessen nicht entgeht, der sich daran erinnert, dass das Sittengesetz selber nur ein Name des Guten ist, ist nur scheinbar. Ob ich sage: „Das Sittengesetz befiehlt mir das Tun kraft des Guten“ oder „Das Sittengesetz befiehlt es mir kraft eigener Autorität“, spielt keine Rolle. Es ist beides dasselbe. Es ist dasselbe Gute, das einmal als Norm, einmal als Wert erscheint. Die Forderung des Sittengesetzes ist durch das Gute als Wert gerechtfertigt. Das Gute verleiht ihm seine Autorität. Autorität ist moralische Macht.

Die „feierlichen Majestät“ des moralischen Gesetzes

Autorität, die durch den materialen Wert des Guten einsichtigerweise gerechtfertigt ist, hat in Bibel und Philosophie viele Namen: Heiligkeit, Herrlichkeit, Majestät, Glorie, doxa. Kant spricht von der „feierlichen Majestät“ des moralischen Gesetzes (KpV AA V 77).

Ein Sittengesetz, das mir das Gute zu tun befiehlt, ohne dass ich das Gute als ein solches denke, welches durch sein Gutsein einsichtigerweise gerechtfertigt wäre und welches seinerseits den Herrschaftsanspruch des Gesetzes rechtfertigt, wäre ein tyrannisches. So hat es Kant nicht gedacht, auch wenn er manchmal so verstanden wird. Ein Paradebeispiel für solches Verständnis liefert Malte Hossenfelder, der über Kants Ethik schreibt: „Ihr unbedingtes Sollen kann nur der Verdummung und Versklavung der Menschen Vorschub leisten.“ Kant suche „uns mit aller Gewalt in der Unmündigkeit zu halten […], indem er von uns verlangt, dass wir uns bedingungslos, auch gegen unsere vitalsten Interessen, einem Imperativ beugen, für den es eingestandenermaßen keine einzige vernünftige Begründung gibt“.[1] Hossenfelder übersieht, dass es auf der grundsätzlichsten Ebene, um die es Kant geht, für den kategorischen Imperativ nur deshalb keine außerhalb seiner liegende Begründung geben kann, weil er sonst ein von diesem Grund bedingter, folglich ein hypothetischer Imperativ wäre. Die unbedingte Sollenserfahrung ist selber der letzte Vernunftgrund aller Moral. Auch um der vitalsten Interessen willen ist es mir nicht erlaubt, Unrecht zu verüben. Das sollte auch Hossenfelder verstehen. Der moralische Imperativ geht vor. Ich muss den moralischen Wert immer mitdenken, um all das nachzuvollziehen, was Kant über den kategorischen Imperativ sagt.

Doch Kant ist durch seinen Formalismus selber schuld an solchen Missverständnissen. Einerseits reduziert er das Gesamtphänomen des moralisch Guten auf die Form des Gesetzes, andererseits denkt er den materialen Wertgehalt des Guten doch immer mit, ohne dies zu explizieren. Einerseits provoziert die besagte Reduktion, die sich etwa in der Forderung zeigt, nur die Form des Gesetzes, also sein Verpflichtungscharakter als solcher, dürfe der Bestimmungsgrund unseres Willens sein, das Hossenfelderische Missverständnis. Andererseits wird die Tatsache, dass Kant den materialen Wertgehalt stets mitdenkt, belegt durch solche Äußerungen wie: „Der gute Mensch kann sich an der Herrlichkeit des moralischen Gesetzes nicht sattsehen“ (RGV 91). Diese Herrlichkeit ist der materiale Wertgehalt, der den Verpflichtungscharakter des Gesetzes einsichtig macht. Hossenfelder hat sein Problem mit Kant, weil er diesen Wertgehalt nicht mitdenkt. Und weil Kant ihn stets mitdenkt, hält er sein Loblied auf die Pflicht für so plausibel, dass ihm die Möglichkeit jenes Missverständnisses gar nicht erst in den Sinn kommt.

In der Kritik der Urteilskraft kennzeichnet Kant das Gute als „das, was vermittelst der Vernunft, durch den bloßen Begriff, gefällt“ (AA V 207). Das moralisch Gute gefällt nicht nur durch seine Schönheit, sondern durch seine Erhabenheit. Das Gefühl des Erhabenen aber reißt nach Kant mehr hin als alles Schöne (RGV VI 23, 29 f).

Jörg Splett sieht hier zurecht das Zentrum sittlicher Erfahrung: „In der Tat kommt erst mit der Hoheit des Doxischen das einzigartige Selbst-Gerechtfertigtsein des im Gewissen begegnenden Anspruchs zu Wort."[2]

Wie kann ich das Gute als ein Sein denken?

Doch wie muss ich die Realität dieses Guten denken, wenn ich ihm diese Hoheit des Doxischen einräume, kraft deren es in Form des Sittengesetzes eine gerechtfertigte Autorität über die Realität meines Handelns ausübt? Wenn es sogar die Macht hat, meinem Willen realen, absoluten Wert zu verleihen, dann kann es selber kein bloßes ens rationis sein, also ein Seiendes, das sich bloß meinem Denken verdankt. Wenn ich das Gute so denke, wie es gedacht zu werden beansprucht, dann darf ich es nicht bloß als ein Gedachtes denken. Oder anders ausgedrückt: Ich denke das Gute als es selbst nur dann, wenn ich es gleichzeitig als eine Realität anerkenne.

Doch wo ist sein Ort? Wie kommt das Gute zu seiner Realität? David Hume fragte: Wie kommt aus dem Sein das Sollen? Wir fragen jetzt: Wie kommt das Sollen zu seinem Sein? Es ist dies dasselbe Problem, nur von der anderen Seite.

Doch die Fragen sind falsch gestellt. Es ist ein Problem unseres Denkens. Das Sein hat kein Problem mit dem Sollen, und das Sollen hat kein Problem mit dem Sein. Sondern wir haben das Problem, die Einheit von beidem zu denken. Aus Hume‘scher Sicht stellt sich das Problem in Form der Frage: Wie kann ich in das Sein ein Sollen hineinzaubern? Ein Sollen kann ich aus dem Sein ja nur dann ableiten, wenn es schon drinsteckt. Unsere Überlegungen dagegen haben uns zur umgekehrten Frage geführt: Wie kann ich das Gute als ein Sein denken? Wie soll ich das im Gewissen erfahrene Sittengesetz denken, wenn ich es als eine Realität jenseits des bloß von mir Gedachtwerdens denken soll? Ein bloß Gedachtes kann mich als reale Person nicht verpflichten. Die Verpflichtung kann nicht weniger real sein als ich selber. Wenn die Verpflichtung real ist, muss auch der materiale Wert als solcher, kraft dessen die Verpflichtung gerechtfertigt ist, Erscheinung einer unbedingten Realität sein. Und da ich Person bin, muss diese Realität selber personal sein. Ein nichtpersonales Gutes bliebe ungeschützt der Infragestellung seiner Geltung ausgesetzt. Selbst Kants richtige Bemerkung, dass es sich um ein Faktum der Vernunft handele, kann nicht das letzte Wort in dieser Sache sein, wenn nicht zuvor geklärt wird, was „Vernunft“ jenseits des je empirischen Vernunftvermögens des Einzelnen meint. Es muss eine absolute personale Vernunft geben, die kraft ihrer Identität mit dem Sittengesetz das Kantische Faktum der Vernunft verwandelt, und zwar von einem „Klotz im Magen“ (Hegel) in eine lichtvolle und plausible „Verbindung von Einsichtigkeit und Unbedingtheitserfahrung“ (Splett, 145).

Der Aufstieg zu Gott – zum Glauben an den Guten

Da das Gute einen Status hat, kraft dessen es im Sittengesetz allen möglichen Vernunftwesen vorgegeben ist, kann es selber nicht eines dieser Vernunftwesen sein, sondern muss, wie es der Ursprung aller moralischen Normen ist, so auch der Ursprung aller Personen sein. So kommen wir zu einem Gottesbegriff, der Sein und Sollen in einer ursprünglichen Einheit zusammenfasst. Gott ist das Sittengesetz selber, aber als Person gedacht. Die Normen des Sittengesetzes sind personal. Max Horkheimer hat bemerkt: „Ohne Berufung auf ein Göttliches verliert die gute Handlung, die Rettung des ungerecht Verfolgten ihre Glorie."[3] Diese Glorie, die „Hoheit des Doxischen“ (Splett), die „feierliche Majestät“ und „Herrlichkeit“ des Gesetzes (Kant) kann nur dann berechtigterweise Autorität über den menschlichen Willen beanspruchen, wenn sie selber Erscheinung einer göttlichen Vernunft ist. Wenn das Gute göttlich und Gott gut ist, dann begegnet mir im Guten nicht nur der moralische Anspruch, der die gute Handlung von mir fordert, sondern auch die göttliche Liebe, die mächtig genug ist, Glorie mitzuteilen. Der absolute Wert, dem ich nach Kant durch gutes Handeln meiner Existenz gebe, ist Teilhabe am absoluten Wert dessen, der schon immer als der Gute existiert. Den Glauben an das Gute kann ich gegen alle Infragestellung seiner Glorie und Erhabenheit nur durchhalten, wenn er zum Glauben an den Guten wird.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2021
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[1] Malte Hossenfelder: Das Erbe des kategorischen Imperativs, in: Andreas Lorenz (Hg.): Transzendentalphilosophie heute. Breslauer Kant-Symposion 2004, Würzburg 2007, 117-129, hier 122.
[2] Jörg Splett: „Wenn es Gott nicht gibt, ist alles erlaubt“? Zur theologischen Dimension des sittlichen Bewußtseins, in: Walter Kerber (Hg.): Das Absolute in der Ethik, München 1991, S. 131-156, hier 141.
[3] Max Horkheimer: Theismus-Atheismus, in: Gesammelte. Schriften Bd. 7: Vorträge und Aufzeichnungen 1949 -1973, Frankfurt/M. 1985, 173-186, hier 184.

Musikerfamilie Berger

Das Evangelisationsapostolat von Dr. Margarete Strauss

Margarete Strauss wurde als ältestes von fünf Kindern des Musikerehepaares Josef und Valentina Berger am 15. Juli 1988 in Karaganda in Kasachstan geboren. Nach der Aussiedlung der Familie im Jahr 1989 aber ist sie in Deutschland aufgewachsen. Gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern macht sie von klein auf Lobpreismusik zur Ehre Gottes und hat auch eigene Lieder veröffentlicht. Neben der Musik widmet sie sich noch einem anderen Zugang zu Gott: Seit ihrem Theologiestudium und der im Jahr 2020 erfolgreich abgeschlossenen Promotion in Exegese des Neuen Testaments beschäftigt sie sich ausführlich mit der Heiligen Schrift und möchte durch ihre täglichen Bibelauslegungen auch anderen Menschen diesen Schatz zugänglich machen. Seit 2016 ist sie mit Eduard Strauss verheiratet. Gemeinsam haben sie das Ziel, am Aufbau des Reiches Gottes in der Welt mitzuwirken. Das Interview für KIRCHE heute führte Doris de Boer, Diplomtheologin, Publizistin und dreifache Mutter aus Kevelaer.

Interview mit Margarete Strauss

Frau Dr. Strauss, Sie sind Theologin, aber auch Musikerin. Welche Instrumente beherrschen Sie?

Dr. Margarete Strauss: Meine Hauptinstrumente sind Klavier, Gitarre und Orgel und natürlich die Stimme.

Zusammen mit ihrer Familie haben Sie CDs herausgebracht. Wie kam es dazu?

Wir machen seit vielen Jahren Lobpreismusik zur Ehre Gottes. Unsere Lieder sind u.a. auf unserem Youtube-Kanal erschienen. Inzwischen haben wir schon drei CDs produziert. Die erste CD zu Ehren der Muttergottes erschien 2005 und trägt den Titel „Wir ziehen zur Mutter der Gnade“. Unsere Weihnachtslieder-CD „Weihnachten in mir“ kam 2008 heraus und 2014 erschien unsere CD mit Vertonungen der Psalmen „Er ist mein Retter“. Alle CDs werden gegen eine Spende angeboten, der Erlös dient der Missionsarbeit in Kasachstan und Russland. Unter anderem betreibt mein Onkel Anton Berger eine Armenküche im Osten Kasachstans. Wir veranstalten auch große Benefizkonzerte in Hagen, früher auch in Bad Pyrmont.

Ihre Familie veranstaltet also gemeinsam Konzerte. Wie ist es, mit den Eltern und Geschwistern gemeinsam auf der Bühne zu stehen und in Liedern Zeugnis für den Glauben zu geben?

Es schweißt sehr zusammen, wenn man gemeinsam das Herz zum Herrn erhebt. Ich habe in all den Jahren immer sehr viel Freude durch das Musizieren erlebt. Natürlich gab es auch stressige Zeiten, gerade vor Konzerten, doch wir waren uns immer bewusst, für wen wir das alles eigentlich tun. Beim abendlichen Familiengebet haben wir oft zusätzlich zu unseren Gebeten Lieder eingebaut, z.B. bei der Josefsandacht im März. Das war immer etwas Besonderes.

Sie haben auch viele eigene Lieder geschrieben, ein Lied sogar auf Hebräisch, in dem Sie den 23. Psalm aufgreifen. Was bewegt Sie dabei?

Ich bin wirklich dankbar für die musikalische Gabe, die mir der Herr geschenkt hat. Es ist mir eine Ehre, Musik nicht nur hören, sondern auch praktizieren oder komponieren zu dürfen. Letztendlich ist es ja auch das, was wir im Himmel auf ewig tun werden: Gott loben und preisen mit allen Engeln und Heiligen.

Sie haben sich nach Ihrem Schulabschluss für ein Theologiestudium entschieden. Wie haben Sie das Studium erlebt?

Ich habe in Münster Theologie studiert und das als schwierig empfunden, da die Theologie dort sehr liberal gelehrt wird. Aber ich hatte von zuhause her eine feste Grundlage im Glauben. Und vom Gebet getragen, besonders vom Rosenkranz, habe ich das Studium, wie ich meine, „gläubig“ gemeistert. Dankbar bin ich besonders dafür, dass ich durch das Studium die Sprachen der Bibel gelernt habe. Dadurch erlangte ich einen vertieften, apologetischen Zugang zum Glauben. Ich habe versucht, das, was ich glaube, zu überdenken und auch zu verteidigen. Dabei sind mir auch die Grenzen der Einheitsübersetzung bewusst geworden.

Welche Übersetzungen haben Sie schätzen gelernt?

Für das Alte Testament halte ich die Elberfelder Bibel für eine gute Übersetzung, für das Neue Testament ist das Münchener NT sehr wortgetreu. Wird ein spiritueller Zugang zur Heiligen Schrift in schönem Deutsch gewünscht, ist die Allioli-Arndt-Bibel zu empfehlen.

Sie legen täglich die Lesungen der Heiligen Messe aus. Wie gehen Sie dabei vor?

Ich schätze sehr den vierfachen Schriftsinn. Danach gibt es nicht nur eine wörtliche Bedeutung der Heiligen Schrift, sondern sie ist auch allegorisch, moralisch und anagogisch zu verstehen, d.h. sie bezeichnet eine Glaubenswirklichkeit, gibt eine Handlungsanweisung oder ist Ausdruck der Hoffnung. Anfänge dieses vierfachen Schriftsinns finden sich bereits im Alten Testament, doch die Kirchenväter haben ihn besonders ausgebaut. Ich halte mich gerne an diesen ganzheitlichen Schriftsinn. Die Heilige Schrift ist ein unergründlicher Schatz. Auf diese Weise schöpft man und schöpft und erreicht doch nicht den Boden. Die Bibel ist wirklich wie ein Brunnen ohne Grund. Man entdeckt immer etwas Neues und das macht die Beschäftigung mit der Heiligen Schrift auch so spannend. Gerne schaue ich auch bei mehrdeutigen Versen nach, wie die Kirchenväter diese Stelle ausgelegt haben. Es gibt dazu eine sehr gute App namens „catena bible“, auch als Website aufrufbar (catenabible. com). Jeder Vers der Bibel ist mit einer Auslegung der Kirchenväter vertreten. Ich kann es den Menschen nur ans Herz legen, sich mit der Bibel zu beschäftigen. Dadurch wächst die Liebe zu Gott. Gott offenbart sich uns besonders durch die Heilige Schrift.

Welches sind Ihre Lieblingsbibelstellen?

Was mich immer besonders überwältigt sind die typologischen Linien, besonders bei heilsgeschichtlichen Knotenpunkten: Im Alten Testament etwa trägt Isaak selbst das Holz für das Opfer, im Neuen Testament ist es Christus, der sein Kreuz zum Berg Golgotha trägt. Diese wunderbaren Typologien offenbaren, dass Gott wirklich der Autor der Geschichte und Heilsgeschichte ist und dass er uns an der Hand führt. Das ist wunderschön! Besonders liebe ich auch die Johannesoffenbarung. Es ist ein Buch mit sieben Siegeln, das uns der Heilige Geist aber entsiegelt, das man vor allem liturgisch lesen und auslegen muss.

Der hl. Petrus, der erste Papst, gibt im Blick auf die Briefe des hl. Paulus zu: „In ihnen ist einiges schwer zu verstehen und die Unwissenden, die noch nicht gefestigt sind, werden diese Stellen ebenso verdrehen wie die übrigen Schriften zu ihrem eigenen Verderben.“ (2 Petr 3,16). Woran orientieren Sie sich bei schwer verständlichen Stellen?

Die Heilige Schrift ist Gotteswort in Menschenwort. Trotzdem übersteigt Gottes Offenbarung oft unseren Geist. Nicht umsonst sagt Jesus schon zu seinen Aposteln: Sie könnten nicht alles fassen, doch der Geist werde sie „in der ganzen Wahrheit leiten“ (Joh 16,13). Das gilt auch für uns heutige Christen, denn dieser Prozess läuft immer noch. Gewiss ist die Offenbarung abgeschlossen, doch der Herr lässt uns immer mehr begreifen, was er mit seinen Worten gemeint hat (KKK 67). Je mehr wir uns mit der Heiligen Schrift beschäftigen, desto mehr begreifen wir sie. Ich komme immer wieder in die Situation, dass eine Schriftstelle schwer zu verstehen ist. Dann schaue ich als erstes in den textkritischen Apparat, um zu sehen, ob es bei den Handschriften Abweichungen gibt. Ich bemühe mich, die Stelle wortwörtlich zu übersetzen und in den Kontext der gesamten Perikope zu setzen. Dann schaue ich in die Auslegung der Kirchenväter und auch in die exegetische Literatur. Bei allem aber bitte ich vor allem den Herrn um den Heiligen Geist, dass er mir die Augen öffne und mich begreifen lässt, was es bedeutet.

Sie sind schon einige Zeit auch im Internet und in sozialen Netzwerken unterwegs, um Zeugnis zu geben und besonders auch junge Menschen zu erreichen. Wie sind die Rückmeldungen?

Jeden Montag poste ich etwas zum aktuellen Kirchengeschehen. Immer wieder lege ich dabei den Finger in die Wunden, spreche beispielsweise Homosexualität oder Halloween an und gebe eine Beurteilung aus meiner katholischen Sicht. Oft bekomme ich auch Anfeindungen zu spüren, wenn Menschen mit meiner Einstellung nichts anfangen können. Aber ich möchte natürlich nicht die Masse erreichen, sondern eher in die Tiefe gehen. Im Advent 2020 habe ich auch begonnen, theologische Kurse online anzubieten. Neben den O-Antiphonen ha-be ich einen Kurs über die Lauretanische Litanei oder über eucharistische Wunder gegeben. Die Teilnehmer sind dabei ganz gemischt, der jüngste war 14, der älteste weit über 70. Und es waren Teilnehmer aus Kalifornien und Bulgarien dabei. Also aus der ganzen Welt sind so Menschen im Glauben zusammengeschweißt worden.

Was möchten Sie durch Ihr missionarisches Wirken erreichen, was möchten Sie den Menschen ans Herz legen?

Ich möchte eine knieende, gottesfürchtige Theologie vertreten, die das klare Ziel hat, die Menschen zur Heiligkeit zu führen. Die Heiligkeit ist unser aller Anspruch durch die Taufe. Dabei ist mir die eucharistische Anbetung sehr wichtig. So kann ich Menschen, die mir am Herzen liegen, vor den Herrn tragen. Genauso schätze und liebe ich den täglichen Rosenkranz.

Ihr Laienapostolat leben Sie aber nicht nur online?

Ich bin als theologische Referentin auch in Pfarrgemeinden und bei geistlichen Gemeinschaften tätig, bin bei Maria 1.0 engagiert und arbeite ehrenamtlich auch bei Radio Horeb mit. Gerade war ich bei der Gig-Konferenz (Gott ist gut), auf der ich Zeugnis geben durfte. Wenn wir die Heilige Schrift und den Katechismus verinnerlichen, dafür brennen, evangelisieren wir durch unser gelebtes Beispiel. Wir fallen dann durch unser Andersleben auf und die Menschen kommen selbst auf uns zu, weil sie Interesse an unserer Lebensweise haben.

Es gibt viele Videos, in denen Sie zu strittigen Themen wie Yoga oder „Homo-Ehe“ Stellung beziehen. Was treibt Sie dazu an?

Es ist nicht leicht, unbeliebte Positionen öffentlich zu vertreten. Das hat mir schon viel Leid eingebracht. Aber ich kann nicht damit aufhören, denn Jesus sagt uns, dass wir Salz der Erde sein sollen. Ich kann nicht deswegen aufgeben, salzig zu sein, weil es in den Wunden der Gesellschaft, der Kirche und in den Herzen der Menschen brennt. Ich sage mir immer wieder: Gut bleibt gut, auch wenn die Mehrheit es nicht mehr tut. Böse bleibt böse, auch wenn die Mehrheit es tut. Gottes Gebote ändern sich nicht.

Ihr Hauptthema ist die Evangelisation. Dabei fühlen Sie sich ganz klar der katholischen Glaubenslehre verpflichtet.

Ich staune immer wieder über den Reichtum der katholischen Lehre. Besonders in apologetischen Situationen wird mir das jedes Mal neu bewusst. Da geht mir auf, wie umfassend und schön die katholische Lehre wirklich ist: Schrift und Tradition ergänzen sich so wunderbar, wie wir es im Laufe der lehramtlichen Verkündigung deutlich sehen können. Es ist wahrhaft eine katholische Lehre, „allumfassend“. Die Weite zeigt sich auch darin, dass sie sich der Vernunft nicht verschließt. Mich berührt immer wieder, dass Glaube und Vernunft einander nicht widersprechen. Katholische Lehre und Wissenschaft stehen im Dialog miteinander. Man darf sogar sagen, dass die Wissenschaften aus der Theologie hervorgegangen sind.

Kennen Sie auf Ihrem persönlichen Weg auch Glaubenszweifel oder Lebenskrisen?

Zweifel nicht, aber ich hatte zu bestimmten Zeiten meines Lebens auch viele Fragen. Ich habe dann all diese offenen Fragen vor das Allerheiligste gebracht und Jesus hingehalten. Oft bekam ich in solchen Momenten den Impuls, die Bibel aufzuschlagen. Ganz oft bekam ich genau die Antworten, die ich gerade brauchte. Gott spricht wirklich durch die Heilige Schrift zu uns. Sie ist unser großer Schatz.

Mit Ihrer Herkunftspfarrei in Kasachstan sind Sie über Ihren Priesteronkel also noch immer verbunden. Was bedeutet für Sie diese Gemeinde St. Josef?

Für mich ist die Gemeinde St. Josef in Karaganda ein Gnadenort inmitten der Wüste der damaligen Sowjetunion. Vom Wirken des sel. Paters Ladislaus und vieler anderer heiligmäßiger Geistlicher zehren die Leute bis heute. In meinem Bekanntenkreis und in der Verwandtschaft werden ihre Katechesen immer noch wachgehalten. Gerade meine Mutter kann so viele Dinge erzählen und zitieren, auch die Katechesen von Gertrude Detzel, die seliggesprochen werden soll. Als alle Priester in Arbeitslager gebracht worden waren, gab sie mit ihren Katechesen den Katholiken geistliche Nahrung. St. Josef war in dieser Zeit der Unterdrückung wirklich ein Stück Himmel auf Erden. Es ist wahr, dass in der Unterdrückung der Glaube besonders aufblüht. Das sehen wir auch in unserer Zeit. Immer wieder erinnern mich diese „Helden“ daran, auch heute, in unserer heutigen Gesellschaft nicht einzuknicken, komme, was wolle.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2021
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„Chance des Lebens“

Es ist wieder soweit: Um einen in Deutschland, Österreich und der Schweiz nie dagewesenen Ausbau von lebensrettender Information, Beratung und Hilfe für Schwangere in Not zu ermöglichen, hat ein kleiner Kreis von großzügigen 1000plus-Förderern einen neuen Verdoppelungsfonds mit dem Titel „Chance des Lebens“ ermöglicht! Konkret haben sie Verdoppelungszusagen von insgesamt 895.971 Euro gegeben. Das bedeutet, dass alle Spenden, die bis zum 31. Dezember mit dem Stichwort „Chance“ eingehen, bis zu diesem Betrag verdoppelt werden.

Von Kristijan Aufiero

Der blinde Hass, der uns von linksextremen Gewalttätern und von Vertretern staatlicher Beratungsstellen entgegenschlägt, ist in seiner Maßlosigkeit und Radikalität erschütternd. Jene, die unsere Beratung und Hilfe für Schwangere in Not angreifen, lassen keinen Zweifel an ihrem eigentlichen Ziel: die vollständige Legalisierung der Abtreibung bis zur Geburt und die Abschaffung aller Hilfsangebote, die Frauen helfen, sich für das Leben zu entscheiden. Das alles ist beängstigend. Aber wenn ich von „unseren“ 100.000 beratenen Frauen etwas gelernt habe, dann, dass jeder Krise und jeder Herausforderung auch eine Chance innewohnt. Und genauso ist es hier und heute.

Wir haben in den vergangenen Monaten intensiv gebetet und darüber nachgedacht, wie die Schwangerschaftskonfliktberatung der Zukunft unter den sich rasant ändernden und erschwerten Rahmenbedingungen aussehen kann. Wie können wir auch in Zukunft beste Beratung und Hilfe in Pro Femina-Qualität zur Verfügung stellen? Und zwar zu jeder Zeit, an jedem Ort und auf die Weise, die den Kommunikationsgewohnheiten der Schwangeren von heute entspricht? Herausgekommen ist ein Quantensprung: Ein Beratungsangebot, das sich einer Nachfrage erfreut, die wir selbst nicht für möglich gehalten hätten. Inzwischen nutzen über 6.000 Frauen im Monat die Möglichkeit, sich rund um die Uhr, an allen Orten der Welt, anonym und in der Geschwindigkeit Rat und Hilfe zu holen, die sie gewohnt sind, wenn sie ihre Smartphones zur Hand nehmen. Wenn wir uns diesen Veränderungen und Herausforderungen unserer Zeit stellen, dann sind 6.000 beratene Frauen im Monat erst der Anfang!

Bitte ergreifen Sie mit uns diese einmalige „Chance des Lebens“! Bitte beteiligen Sie sich mit einer Spende am diesjährigen Verdoppelungsfonds und helfen Sie mit, immer mehr Schwangere in Not und ihre ungeborenen Babys vor einer Abtreibung zu bewahren. Mehr lebensrettende Information, Beratung und Hilfe für verzweifelte Schwangere in Not: Das ist unsere Antwort auf Hass, auf Ideologie und auf alle Angriffe gegen die Kultur des Lebens! Näheres unter www.1000plus.net

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2021
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